Operation White Angel - Kevin Schweikert - E-Book

Operation White Angel E-Book

Kevin Schweikert

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Beschreibung

Alexander Schalk hat alles, was man zum Glücklichsein braucht: eine schöne Frau, ein schickes Haus, einen gut bezahlten Job. Als eines Tages ein unbekanntes Virus alle Männer auf dem Planeten zeugungsunfähig werden lässt, kümmert ihn das zunächst wenig - bis seine Frau kurze Zeit später schwanger wird. Sollte er etwa gegen den Erreger immun sein? Alles deutet darauf hin, dass Alexander der "White Angel" ist, nach dem die ganze Welt fieberhaft sucht - von ihm hängt das Fortbestehen der Menschheit ab. Die beiden beschließen, ihr Geheimnis niemandem zu verraten ... Eine große Geschichte über Liebe und Hass in Zeiten des Untergangs.

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Ähnliche


 

KEVIN SCHWEIKERTOPERATION WHITE ANGEL

 

 

Für Oma - versprochen ist versprochen.

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Widmung

I Meteorismus Teil 1

-1-

-2-

-3-

-4-

-5-

-6-

-7-

-8-

-9-

-10-

-11-

-12-

II Meteorismus Teil 2

-1-

-2-

-3-

-4-

-5-

-6-

-7-

-8-

III Aufbruch

-1-

-2-

-3-

-4-

-5-

-6-

IV Himmelbach-Chroniken

-1-

-2-

-3-

-4-

-5-

-6-

-7-

-8-

-9-

-10-

-11-

V Heimkehr

-1-

Danksagung

Impressum

 

IMETEORISMUS TEIL 1

 

-1-

 

SAMSTAG, 10. JANUAR 2026

 

Der Buchhalter Alexander Schalk war nicht der Meinung, dass es einem Kinde gut tat, in einem schalldichten Kellerraum aufzuwachsen.

Er wusste nicht, ob ein Säugling derartige Umstände bewusst wahrnahm. Doch er konnte sich gut vorstellen, dass sein Kind eines Tages eine Phobie entwickeln würde. Oder aber, es würde zeit seines Lebens eine besondere Zuneigung zu solchen Räumen verspüren, ohne zu wissen weshalb.

All dies war immer noch besser, sogar viel besser, als das, was seinem Kind zustoßen konnte, wenn er nicht alles Menschenmögliche unternahm, um seine Existenz vor der Welt da draußen geheimzuhalten. Alina und er hatten die Sache ausdiskutiert, unermüdlich, immer und immer wieder aufgerollt und von verschiedenen Seiten beleuchtet, Tag für Tag am Frühstückstisch und Abend für Abend vor dem Zubettgehen. Es gab keine andere Möglichkeit.

Derzeit lag sie ein Stockwerk höher mit einem gebrochenen Bein auf dem Sofa, während er hier unten versuchte, eine Festung der Isolation zu schaffen, wobei ihm seine handwerkliche Unfähigkeit nicht sonderlich zupass kam. Das Isolieren von Räumen hatte in seinem Leben nie eine bedeutende Rolle gespielt. Sicher, im einundzwanzigsten Jahrhundert wimmelte es im Internet von idiotensicheren Schritt-für-Schritt-Anleitungen zu allen erdenklichen Zwecken. Doch in diesem Zeitalter gab es wohl ebenso viele Personen, die es sofort registrieren würden, wenn er nach einer dieser Anleitungen recherchierte. Was, wenn das schalldichte Abschotten von Kellerräumen eines der Kriterien für auffälliges, nachwuchsverdächtiges Verhalten erfüllte? Alina war sicher, dass es eine offizielle, von der Regierung aufgestellte Liste mit derartigen Kriterien gab, die für alle Datenspeicherungsstellen weltweit verbindlich war.

Wenn er darüber nachdachte, sah er im Geiste seinen eigenen Namen, sowie den seiner Frau, auf einem Computerbildschirm auftauchen. Dort wurden diese in ein spezielles Verzeichnis verschoben, mit dem Titel Verdächtige Objekte. Gleichzeitig sah er auf einem anderen Bildschirm eine Satellitenaufnahme seines Stadtteils, ein Fadenkreuz, das auf eine bestimmte Position ausgerichtet wurde und langsam immer näher heranzoomte, bis sein Haus in voller Größe auf dem Bildschirm zu sehen war; man konnte sogar die Geranien in den Blumenkästen vor den Fenstern erkennen. Man würde Nachforschungen anstellen. Man würde herausfinden, dass in diesem Haus, in diesem Keller nicht etwa gerade Aufnahmen für ein Heavy-Metal-Album stattfanden.

Verdammte Paranoia, schoss es ihm durch den Kopf. Er lehnte an der Wand neben der Kellertür und begutachtete seine bisherige Arbeit skeptisch. Langsam ließ er sich an der Wand niedersinken, bis er den kalten Betonboden unter sich spürte, und seufzte auf. Er hatte den ganzen Nachmittag hier unten verbracht, und erst jetzt, in diesem kleinen Moment des Innehaltens, fiel ihm auf, dass es hier unten angenehm nach blumigem Waschmittel duftete. Wahrscheinlich hatte seine Frau heute morgen eine Ladung aus der Waschmaschine geholt. Doch nein, dann wäre von dem blumigen Hauch jetzt nichts mehr zu vernehmen. Sie musste die Wäsche gemacht haben, während er hier drin vor sich hin gewerkelt hatte. Er liebte diesen Duft. Oh Mann. Jetzt spinnst du wirklich schon. Aber ganz gewaltig. Selbstverständlich kraxelt deine Frau mit ihrem gebrochenen Bein die Kellertreppe herunter, eine Krücke in der Linken und den Wäschekorb unter die Rechte geklemmt. Als er erneut in die Luft schnupperte, roch er nur Kellermief, den Geruch von Plastik und von trocknendem Mörtel. Egal. Es gab bestimmt schlimmere Halluzinationen, die man in einer solchen Situation haben konnte. Wahrscheinlich hatte er den Geruch noch vom vergangenen Tag in der Nase. Da hatte überall auf der Treppe Wäsche herumgelegen.

Unruhig sah er sich um und wusste nicht weiter. Er hatte das kleine, vergitterte Kellerfenster mit einem halben Eimer Mörtel, von dem er noch ungefähr wusste, wie man ihn anrühren musste, zugemauert. Er hatte den Maurern bei den Renovierungsarbeiten zugesehen, als Alina und er das Haus vor zwei Jahren gekauft hatten.

Anschließend hatte er die Wände rundherum sorgfältig mit Styroporplatten abgedeckt, und er vermutete, dass in dem Raum dadurch eine angenehme Wärme herrschen würde, war jedoch absolut nicht sicher, ob diese Maßnahme zur akustischen Abdichtung beitrug. Doch was man hatte, das hatte man; außerdem wollte er noch mindestens zweimal zum Baumarkt fahren. Es war weniger verdächtig, wenn er seine Materialien nicht alle auf einmal kaufte. Als nächstes waren die Eierkartons dran. Seine Frau hatte über die vergangenen Monate eine ganze Kiste davon gesammelt. Danach eine Schicht Schaumstoff. Und danach eine abschließende Schicht Styroporplatten. Er fühlte sich wie der letzte Stümper und verfluchte den Tag, an dem er sich für den Beruf des Buchhalters entschieden hatte. Tontechniker hätte er werden sollen. Oder Ingenieur. Oder aber, er hätte Alinas Bedenken ignorieren und sich heimlich im Internet schlau machen sollen. Doch nun war er bereits zu weit fortgeschritten; er hatte dieses Projekt unfachmännisch begonnen und würde es genauso unfachmännisch zu Ende führen.

Er legte die Bohrmaschine beiseite, mit der er die Styroporplatten in der Kellerwand befestigt hatte. Während er nachdenklich auf dem Boden saß, hatte er sie die ganze Zeit in den Händen gehalten und den Kopf geschüttelt, wie ein Junge, der das Messer noch umklammert hielt, mit dem er gerade seine eigenen Eltern erstochen hatte, und der seine Tat noch gar nicht fassen konnte. Dann klopfte er sich mit den Händen den Staub von der verblichenen Jeans, die er extra für diesen Zweck aus der hintersten Ecke seines Kleiderschrankes hervorgekramt hatte, und ging nach oben.

 

Im Wohnzimmer, wie im gesamten Erdgeschoss, herrschte ein geheimnisvolles Halbdunkel.

Er fand Alina schlafend auf der Couch vor. Auf ihrer Brust lag ein rosafarbenes Buch, wobei das Heftchen die Bezeichnung kaum verdiente. Es schien so, als schien sie nun den Schlaf nachholen zu wollen, den sie in den etlichen Nächten ihrer nicht enden wollenden Diskussionen versäumt hatte. Sie hatte sich angewöhnt, alle Jalousien im Haus tagsüber stets halb unten zu lassen, um Blicke abzuschirmen. Alexander konnte sich zwar nicht vorstellen, wer sich auf sein Grundstück stehlen sollte, um heimlich durch die Fenster zu spähen. Viel zu sehen bekommen würde ein solcher Besucher ohnehin nicht, da Alina seit einigen Wochen ausschließlich Oberteile trug, die ihr mindestens zwei Nummern zu groß waren, sodass ihr Bauch, der selbst jetzt im späten siebten Schwangerschaftsmonat kaum verdächtig aussah, praktisch nicht zu sehen war. Außerdem fand er, dass ein solches Verhalten mehr Misstrauen erregte, als dass es Schutz brachte. Jedoch hielt er es für aussichtslos ihr das klar zu machen. Alina atmete friedlich im Schlaf. Er gab ihr einen leisen Kuss auf die Stirn. Ihr eingegipstes Bein ruhte auf dem gläsernen Wohnzimmertisch, und er betrachtete es nachdenklich. Er hatte es ihr gebrochen, und das war ihm noch immer unbegreiflich.

Alexander setzte sich neben seine Frau auf die Couch und beobachtete , wie ihre Brust sich langsam hob und senkte. Er lehnte sich zurück und war kurze Zeit später selbst eingenickt.

 

-2-

 

EIN HALBES JAHR ZUVOR – FREITAG, 18. JULI 2025

 

Hätte man dem Buchhalter Alexander Schalk an diesem Morgen die Frage gestellt, ob es einem Kind wohl gut täte, die ersten Monate seines Lebens in einem schalldichten Kellerraum zu verbringen, so hätte er ganz gewiss verneint.

Natürlich war dies eine Frage, über die er noch nie von sich aus nachgedacht hatte; es war eine Frage, mit der sich wohl allgemein die wenigsten frischgebackenen Väter beschäftigen müssen. Als Alexander an diesem Morgen an den Frühstückstisch trat, wo er seine Frau vorfand, die in ihren rosafarbenen Morgenmantel gehüllt war und ihn munter begrüßte; auf dem Tisch ein Körbchen voll frischer Brötchen, gekochte Eier, Butter, und ein Glas ihrer Marmelade, die sie schon seit Jahren leidenschaftlich selbst einkochte; da war ihm natürlich nicht klar, dass genau diese Frage schon sehr bald ihr gemeinsames Leben von Grund auf bestimmen würde.

Er trat an den Tisch und tat, was er wohl schon einige Zeit nicht mehr getan hatte: Er gab ihr einen Guten-Morgen-Kuss. Sie strahlte ihn aus ihren braunen Augen an, sah dann wieder in das bunte Heftchen, das sie aufgeschlagen in einer Hand hielt, und nahm einen großen Schluck aus der Kaffeetasse in ihrer anderen Hand. Er warf einen beiläufigen Blick auf das Cover. Alinas Name stand darauf; darunter der Titel „Mörderischer Kuss“, und wiederum darunter eine Fotografie, die ein Paar blitzender Augen und blutrote Lippen zeigten, die im Halbdunkel lagen. Er erinnerte sich vage daran, wie sie ihm von der neuen Romanidee erzählt hatte. Eine Frau, die ihren Mann um die Ecke bringt, um mit ihrem neuen Liebhaber nach Las Vegas durchzubrennen – woraufhin sie feststellen muss, dass dieser ein mindestens ebenso kaltblütiger Mörder ist wie sie selbst. Die Idee war ihm nicht sonderlich originell erschienen, aber da Alina ihn so selten vorab in ihre Schreibprojekte einweihte, wollte er diese vertrauliche Geste nicht mit Kritik vergelten. Alina schrieb in ihrer Freizeit Romane für einen Verlag, der ausschließlich Reihen publizierte, die man wohl „Hausfrauenkrimis“ nannte. Sie hatte in dieser Sparte ein heißgeliebtes Hobby entdeckt und bereits zwölf Geschichten veröffentlicht. Alexander hatte einmal begonnen, eine davon zu lesen, allerdings schon nach wenigen Seiten abgebrochen. Dafür hatte er sich entschuldigt, und sie hatte es ihm auch nicht übel genommen; das nahm er zumindest an.

Im Hintergrund lief der kleine Fernseher, der auf einer Konsole aus Birkenholz neben dem Spülbecken stand. Alina hatte ihn eines Tages gekauft und dort aufgestellt, sodass sie nun bereits mit drei Fernsehgeräten ausgestattet waren. Ursprünglich hatte sie im Sinn gehabt, am Frühstückstisch ihre Sitcoms anzuschauen, die schon am frühen Morgen auf den Privatsendern gezeigt wurden, doch Alexander hatte das sehr schnell unterbunden. Er hatte sie vor die Wahl gestellt, entweder, sie würden sich zum Frühstück ein vernünftiges Programm ansehen, oder der Fernseher käme schleunigst wieder zurück in den Karton und hinab in die dunklen Tiefen ihres Kellers. Und so lief nun jeden Morgen am Frühstückstisch das Morgenjournal der Öffentlich-Rechtlichen. Natürlich durfte sie umschalten, sobald er gegangen war; er musste bereits eine Stunde vor ihr das Haus verlassen, um zur Arbeit zu kommen.

Auch heute hatte Alina das Morgenjournal eingeschaltet, das jetzt noch auf kaum hörbarer Lautstärke lief. Doch an diesem Morgen hätte sie seinetwegen sämtliche Folgen von The Big Bang Theory an einem Stück schauen können, ohne dass es ihm gegen den Strich gegangen wäre. Er trat zur Kaffeemaschine, stellte seine Tasse unter, drückte auf den Knopf und ließ seine Gedanken drei Tage zurückschweifen. Am Abend davor hatten seine Frau und er sich in einem knappen, spontanen Gespräch für ein gemeinsames Kind entschieden. Am Tag darauf hatte Alina ihre Pille abgesetzt, und sie hatten sich sofort an die Arbeit gemacht.

Das war es, was ihn in diese Hochstimmung versetzte, die er in diesen frühen Morgenstunden wahrlich nicht kannte, und die wohl auch die kommenden Tage noch andauern würde.

Er nahm sich seinen Kaffee und setzte sich an den Tisch, der aus schwerem Kirschholz gefertigt war. Die eigentümliche Maserung schillerte in den verschiedensten Braun- und Rottönen durch die polierte Oberfläche hindurch. Seine Frau hatte eine Schwäche für den Biedermeier, und dementsprechend sah die gesamte Einrichtung aus. Fast alle Möbel im Haus schienen direkt aus dem späten neunzehnten Jahrhundert zu stammen. Der Küchentisch und die Polsterstühle; die beiden gepolsterten Sofas und die drei Sessel im Wohnzimmer, alle mit denselben aufwendig gestalteten Stickbezügen; das Schlittenbett im Schlafzimmer und der respekteinflößende Nussbaumschrank, sowie der Sekretär in Alinas Bürozimmer. Ebenso fand sich in nahezu jedem Raum eine kleine Kommode oder ein Beistelltischchen aus ebenso schillerndem Holz, und darauf befand sich nicht selten eine kleine Tischuhr mit Marmorsäule, eine vergoldete Lampe mit liebevoll verziertem Webschirm, oder gar eine Anordnung winziger Figuren aus weißem Porzellan. Dieser Stil zog sich jedoch nicht konsequent durch das gesamte Haus; es gab keine entsprechenden Tapeten, und sowohl die Einbauküche als auch das Badezimmer bestanden aus zeitgenössischen Elementen. Das hatte Alexander aber noch nie sonderlich gestört. Er hatte seiner Frau bei der Einrichtung freie Hand gelassen. Es wäre ihm auch schwer gefallen, ihr in dieser Hinsicht Vorschriften zu machen; schließlich hatte sie all diese kostspieligen Sammlerstücke aus eigener Tasche bezahlt.

Alina gähnte herzhaft und streckte sich wie eine Katze. Dabei warf sie ihm ein verschmitztes Grinsen zu, das er über den Rand seiner Tasse hinweg erwiderte. Sie gähnte noch einmal, warf das Heft auf den Tisch und küsste ihren Mann auf die Stirn. „Ich bin mal im Badezimmer“, hauchte sie. Er erriet ohne Schwierigkeiten, was sie dort drinnen vorhatte. „Wenn du nachher noch Zeit hast … kannst du dich ja zu mir reinschleichen.“

Sie kniff ihm liebevoll in die Wange und verließ die Küche. Alexander sah ihr lächelnd nach. Er dachte darüber nach, wie weit es zurücklag, dass sie derlei Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten, dass in diesem Haus so etwas wie Liebe in der Luft lag – und er dachte darüber nach, welche erstaunlichen Veränderungen Einzug hielten, seitdem sie beschlossen hatten, eine Familie zu gründen. Natürlich drängte sich im gleichen Moment der Gedanke auf, dass diese Euphorie vergänglich war, dass ein Kind kein Heilmittel darstellte für eine bröckelnde Ehe; er wusste es ja, das waren Luftschlösser, vor denen ihn die unzähligen Eheratgeber und Internetforen gewarnt hatten, die er schon vor Monaten gelegentlich konsultiert hatte … Doch er schob diesen Gedanken einfach beiseite, so wie man einen Kerl beiseite schieben mochte, der einem auf dem Weg zur Supermarktkasse dämlich vor der Nase herumstand.

Er griff sich die Fernbedienung vom Tisch und stellte den Ton lauter.

„ … kommenden Tagen wird die politische Situation im nahen Osten weiterhin angespannt bleiben.“

Bärbel Giesebrecht, die Sprecherin, trug eine weinrote Bluse. Ihr langes, blondes Haar wallte ihr um die Schultern und umrahmte das zierliche Gesicht, aus dem große, schokoladenbraune Augen den Zuschauern ernst entgegenblickten. Alexander fand, dass sie Alina ausgesprochen ähnlich sah. Vielleicht fand er genau deswegen so sehr Gefallen an der Sendung. Sie atmete sehr tief ein und kam dann zur nächsten Meldung.

„Es ist und bleibt ein Rätsel: Der seit einigen Wochen andauernde weltweite Geburtenrückgang beschäftigt die globale Politik wie kein anderes Thema, ohne dass die Wissenschaftler bisher eine Ursache für dieses besorgniserregende Phänomen feststellen konnten.“ Die Dame hatte ihre Stirn in Falten gelegt. Alexander tat es ihr unwillkürlich nach. Er überlegte angestrengt, konnte sich jedoch nicht erinnern, in den letzten Wochen eine derartige Meldung mitbekommen zu haben. War er so in seiner Arbeit gefangen gewesen? Wann hatte er denn das letzte Mal eine Nachrichtensendung angesehen oder gar eine Tageszeitung in die Hand genommen? Es schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Alina jedoch musste auf ihrer Arbeit zwangsläufig davon erfahren haben. Er würde sie bei Gelegenheit fragen. Seine Frau arbeitete vormittags in der Praxis von Dr. Andris, dem einzigen Arzt in Niedertalbrück.

„Die europäischen KBEZ, Kommissionen für Bevölkerungsentwicklung und Zukunftsfragen, die seit ihrer Gründung in den jeweiligen Staaten die Verwaltung der Krankenhäuser und Spitäler übernommen haben, sind gestern Abend in Genf zusammengekommen und haben ihre Auswertungen offengelegt, die mit größtmöglicher Sorgfalt vorgenommen wurden. Diesen zufolge wurde in der vergangenen Woche europaweit keine einzige Geburt gemeldet. Die gleichen Meldungen kamen aus anderen Teilen der Erde, und obwohl diese noch nicht offiziell bestätigt wurden, ist davon auszugehen, dass auch außerhalb Europas die Geburtenrate momentan gegen Null gesunken ist.“ Die blonde Dame sah nun wirklich sehr bestürzt aus. Ihre braunen Augen starrten Alexander entgegen wie die eines aufgeschreckten Rehs, das mitten auf der Landstraße von einem herannahenden LKW überrascht wird. Vielleicht hatte sie es selbst versucht, so wie er und Alina, und gelangte nun zu der Einsicht, dass sie sich vielleicht noch einige Zeit länger gedulden musste? Alexander atmete beunruhigt ein und aus. Und wer oder was, zum Teufel, waren diese mysteriösen KBEZ, die anscheinend den Hebammen in den Kreißsälen über die Schulter schauten? Er musste wirklich einiges verpasst haben. Vielleicht war es keine schlechte Idee, sich diese Woche mal wieder Zeit für seinen Stammtisch zu nehmen. Er hatte diese Angewohnheit früher stets für schrecklich stumpf und altmodisch gehalten, aber ehe er sich’s versah, war er ihr selber erlegen.

„Aus diesem Grunde planen die KBEZ europaweit stichprobenartige Fruchtbarkeitstests, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Die deutsche KBEZ hat den Antrag auf die Durchführung dieser Tests gestellt, und die Regierung hat ihre Unterstützung bereits zugesichert.“ Es wurde ein Bild der streng blickenden Bundeskanzlerin neben der blonden Nachrichtensprecherin eingeblendet.

„Aus der Bevölkerung wird dann eine repräsentative Zahl von Männern und Frauen im geeigneten Alter ausgewählt. Diese werden durch ein Zufallsverfahren ausgelost und schriftlich dazu aufgefordert, den Fruchtbarkeitstest bei ihrem zuständigen Gynäkologen beziehungsweise Urologen durchführen zu lassen. Bis der Bundestag diese Tests genehmigt, werden aber voraussichtlich noch einige Tage vergehen.“ Alexander schüttelte den Kopf. Er war mit den Gedanken bereits zur Hälfte im Büro, und er wollte über diese Meldung gar nicht weiter nachdenken. Er wollte nicht zu Ende denken, was das für Alina und ihn bedeuten mochte. Als er sah, wie das Gesicht der Bundeskanzlerin einem Strandpanorama wich, wollte er aufspringen und sich auf den Weg machen. Doch dann bemerkte er, dass die Meldung noch nicht zu Ende war. Der Himmel über dem Meer war schmutzig grau, und das Wasser selbst wogte unruhig hin und her. Auf dem Strand waren einige dunkelhäutige Menschen zu sehen, die geschäftig hin und her liefen. In der Ferne sah man die Umrisse von Häusern, die jedoch irgendwie wüst aussahen. „Experten haben nun den Beginn des Geburtenrückgangs rechnerisch zurückdatiert und festgestellt, dass dieser im März vergangenen Jahres eingesetzt haben muss, nur wenige Wochen nachdem ein Meteorit südlich von Indonesien ins Meer gestürzt war und eine Flutwelle auslöste, die mehrere hundert Menschen das Leben kostete.“

Als die Bilder von überfluteten Straßen und von umgeknickten Palmen eingeblendet wurden, von Menschen, die auf Holztüren paddelten und von Rindern, die im Wasser ertranken, erinnerte sich Alexander grob an die Geschehnisse. Das war Anfang des Jahres gewesen.

Die blonde Dame wandte sich nun einem jungen, hageren Mann mit Brille und zerzaustem Haar zu, der auf einer Projektion neben ihr auftauchte. Er stand mit stolzer Miene vor einem gläsernen Gebäude und hielt ein Mikrofon mit dem Emblem des Senders in der Hand. „Unser Kollege Johann Winter live aus Jakarta; Johann, welche Verbindung haben die Experten denn nun genau zwischen der tragischen Katastrophe im Frühling und dem derzeitigen weltweiten Notstand hergestellt?“

Die Verbindung nach Jakarta war anscheinend nicht besonders gut, denn Johann schien die Frage seiner Kollegin erst nach guten zehn Sekunden übermittelt zu bekommen. Die Nachrichtensprecherin faltete die Hände und drückte sie nervös zusammen. Ihre Zunge fuhr zweimal kurz über ihre Unterlippe. „Nun, einige führende Wissenschaftler, Hauptverantwortliche der europäischen KBEZ, aber auch der amerikanischen, sind davon überzeugt, dass ein noch nicht bekanntes Virus für die momentane Situation verantwortlich ist. Dafür spricht ihrer Meinung nach einfach dieser totale Stillstand, in dem wir uns zur Zeit befinden, auch wenn wir erst nach den angekündigten Fruchtbarkeitstests Näheres wissen werden. Jedenfalls hat man in Betracht gezogen, dass ein solches Virus auch von außerhalb unserer Erde stammen könnte, da der Meteoriteneinschlag im indischen Ozean eben zeitlich dazu passt und … ja, man hat beschlossen, vom Meeresgrund einige Proben zu nehmen, um eventuell eine Antwort auf die vielen Fragen zu finden, die sich uns in diesen Tagen stellen.“ Offensichtlich zufrieden mit seiner Ansprache nickte Johann in die Kamera und wurde dann ausgeblendet. Die Dame räusperte sich.

„So ist der derzeitige Stand der Dinge, meine Damen und Herren, und wir können nur hoffen, dass sich bald eine Lösung findet. Die Regierung richtet vorab den dringenden Appell an alle Bürgerinnen in Deutschland: Falls Sie entgegen den vorliegenden Daten in den vergangenen Monaten die Empfängnis hatten und sich somit nun in Schwangerschaft befinden, melden Sie sich bitte umgehend unter folgender Rufnummer …“ Eine lange Telefonnummer in geradezu übertrieben großen, weißen Lettern erschien und füllte für mehrere Sekunden den gesamten Bildschirm aus. „Dasselbe gilt, wenn Sie lediglich den Verdacht haben, dass dies auf Sie zutreffen könnte. Die Regierung dankt Ihnen für Ihre Kooperation.“ Sie starrte für einige Sekunden angestrengt auf den Teleprompter, so als erwartete sie eine weitere Meldung, doch dann fuhr sie fort: „Sobald neue Erkenntnisse vorliegen, erfahren Sie es natürlich zuerst hier bei uns.“

Alexander schaltete den Fernseher aus. Er hatte genug gesehen.

Das war keine alltägliche Mord-und-Totschlag-und-Krieg-mit-Flüchtlingsströmen-Meldung, die einen nur so lange beschäftigte, bis die Nachrichtensendung wieder vorbei war. Alexander grübelte nach einem passenden Adjektiv, um sie zu beschreiben. Er entschied sich für das Wort einschlägig. Dieser Tag hatte mit einer einschlägigen Nachrichtenmeldung begonnen.

Er war zu früh dran und hatte noch nichts gegessen, doch das war ihm egal. Kurz entschlossen schnappte er sich seine Aktentasche, verließ die Küche, trat auf den Flur und rief, mehr aus einer spontanen Idee heraus, in Richtung Badezimmer: „Schatz! Hast du das ge...“ Halt um Gottes Willen deine Klappe, unterbrach er sich selbst im Stillen. Er blinzelte heftig und lauschte auf eine Antwort. Wenn sie von dieser Sache erfährt, wird sie am Boden zerstört sein.

Wenige Sekunden später sah er Alinas Umrisse hinter der gläsernen Badezimmertür. Langsam öffnete sie die Tür, steckte den Kopf durch den Spalt und lächelte ihn an, dann trat sie einen Schritt auf den Flur hinaus. „Was ist denn, mein Schatz?“

Und der Haussegen wird genauso schief hängen wie zuvor.

In ihrer rechten Hand lag etwas, das im ersten Moment wie ein Fieberthermometer aussah, und Alexander identifizierte dieses Etwas mit geübtem Blick als einen Schwangerschaftstest. Sie hielt ihn so, dass er die blauen Linien auf der Vorderseite nicht sehen konnte (und selbst wenn er sie gesehen hätte, wäre ihm ihre Bedeutung sehr wahrscheinlich ein Geheimnis geblieben). Alina sah ihn mit leuchtenden Augen an.

„Ich wollte dir nur sagen, ich gehe jetzt“, antwortete er etwas atemlos. „Bin spät dran.“

„In Ordnung.“ Sie kicherte und ließ den Schwangerschaftstest zwischen ihren Fingern herumkreisen, so wie es Schlagzeuger gelegentlich mit ihren Drumsticks taten. Das irritierte ihn ein wenig, denn es war ihm neu, dass sie derlei fingerakrobatische Tricks beherrschte. „Wie du siehst, hab ich es gewagt den ersten Test zu machen. Aber er zeigt noch nichts an … Wahrscheinlich bin ich viel zu früh dran, aber ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.“ Sie zwinkerte ihm zu, und er erwiderte es. Natürlich zeigt er noch nichts an. „Ich bin ja so aufgeregt“, jauchzte sie leise, machte einen eleganten Satz auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Hab einen tollen Tag.“ Und schon huschte sie wieder ins Badezimmer zurück.

„Das wünsche ich dir auch“, rief er ihr nach, allerdings ohne rechte Leidenschaft, und verließ mit nachdenklicher Miene das Haus.

-3-

 

SAMSTAG, 19. JULI 2025

 

Alina hatte die vergangenen vierundzwanzig Stunden tatsächlich nichts mitbekommen. Das lag wohl nur daran, dass gestern Freitag gewesen war, und freitags hatte Dr. Andris keine Sprechstunde. Wäre sie zur Arbeit gegangen, dann wäre dies wohl zwangsläufig eines der ersten Gesprächsthemen gewesen, das ihr zu Ohren gekommen wäre. Alina arbeitete bereits seit vielen Jahren als Halbtagskraft bei dem Allgemeinarzt, dessen Praxis nur drei Straßen entfernt lag. Dr. Andris war ein unglaublich großer, ausgemergelter Mann, der sich seine Kittel maßanfertigen lassen musste und stets einen intensiven Alkoholgeruch verströmte.

Natürlich hatte Alexander gewusst, dass es eine dämliche Idee war, Alina diese Meldung zu verheimlichen. Bereits in dem Moment, als er aus der Haustür ins Freie getreten war, hatte er sich dafür einen Idioten gescholten. Jedoch war er sich auch bewusst, was ihn dazu bewogen hatte: Diese neuartige, positive Stimmung. Sie war es wert, verteidigt zu werden.

Doch spätestens Montag würde Alina ohnehin alles erfahren. Deshalb beschloss er schweren Herzens, heute würde er ihr diese deprimierende Neuigkeit persönlich eröffnen.

Er saß am Frühstückstisch. Bärbel Giesebrecht hatte soeben mit bestürzter Miene verkündet, dass eine Gruppe von Tauchern einige Proben von dem Meteoriten genommen hatten, der rund hundert Kilometer vor der indonesischen Küste auf dem Grund des Ozeans lag. Die Wissenschaftler hatten die Proben ausgewertet, und so war die wohl schlimmste aller Befürchtungen wahr geworden: Der Meteorit enthielt tatsächlich Spuren eines unbekannten Virus, und es war gut möglich, dass dieser für die derzeitige Notlage verantwortlich war. Das würde man aber erst nach eingehenden wissenschaftlichen Untersuchungen mit Sicherheit sagen können. Alexander schluckte schwer und war heilfroh, dass Alina im Badezimmer war. Sie sollte alles erfahren, aber nicht auf diese Weise; er wollte zunächst ein paar einleitende, beruhigende Worte anbringen und es ihr dann erzählen, aber ohne Fernsehbericht im Hintergrund. Als die Giesebrecht in ihrem Studio gerade einen hochrangigen österreichischen Biologen begrüßte, hörte er, wie sich die Badezimmertür öffnete. Rasch, bevor ihn der Mut verlassen konnte, schaltete er den Fernseher stumm und rief halblaut: „Schatz, es gibt da etwas, das wir besprechen müssen.“

„Oh ja, da hast du recht“, tönte es ihm freudig entgegen. „Wir haben wirklich etwas zu besprechen, mein Lieber.“

Sie wird sich bereits alle möglichen Details ausgemalt haben. Vielleicht hat sie sich schon verschiedene Vornamen überlegt. Die Einrichtung für das Kinderzimmer. Bestimmt möchte sie ein Schwangerschaftstagebuch führen. Mach dich mal auf eine gewaltige Flut an Tränen bereit. Und zwar von euch beiden.

Er spürte den Windzug, als sie hinter seinem Rücken vorbeischritt. Schwungvoll ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen. Sie trug denselben rosa Mantel wie am Vortag. In ihrer Hand lag ein weiterer Schwangerschaftstest, den sie ihm triumphierend entgegenhielt. „Schau dir das an.“

Er sah zwei blaue Linien in dem runden Fensterchen. Die eine schien etwas breiter zu sein als die andere.

Wortlos starrte er einige Sekunden lang darauf. Dann hob er den Blick zu seiner Frau.

Ihre Augen leuchteten wie zwei kleine Seen im Sonnenaufgang, und einen Moment später fiel sie ihm um den Hals und weinte Freudentränen in den Kragen seines Hemdes.

 

„Wenn ich dich also richtig verstehe: Du willst, dass niemand von dem Kind erfährt“, sagte Alexander und kratzte sich am Kopf. Seine Miene drückte Ratlosigkeit aus. Und so banal seine Zusammenfassung klingen mochte; darauf lief es schließlich hinaus, und darüber hatten sie die letzten zwei Stunden diskutiert. Nun war es bereits später Vormittag. Auf dem Küchentisch lag ein kleines Häufchen von nass geweinten Taschentüchern. Diese stammten von Alina. Ihr Freudengeheul hatte sich schnell in Tränen der Enttäuschung und Niedergeschlagenheit verwandelt. Er hatte den Ton des Fernsehers laut gestellt und ihr gleichzeitig erzählt, was geschehen war. Sie hatte wohl einige Sekunden gezweifelt. Er musste zugeben, seine Worte klangen wie ein schlechter Witz, doch sie hatte nur dem Gespräch zwischen dem Biologen und der Moderatorin lauschen müssen, und schon war ihr klar geworden, dass ihr Gatte sich keinen Scherz erlaubte. Vor einigen Minuten hatte sie einen zweiten Schwangerschaftstest gemacht, um sicherzugehen, doch er hatte dasselbe Ergebnis gezeigt.

„Ja und nochmals ja, Alexander“, flüsterte sie und starrte auf einen ungewissen Punkt hinter ihm. Dies waren zwei Warnsignale zugleich. Wenn Alina tagsüber, im Verlaufe eines Gespräches zu flüstern begann, dann bedeutete dies normalerweise, dass sie sich gerade selbst zügelte, um nicht stattdessen laut zu schreien. Und wenn sie ihn mit seinem vollen Vornamen ansprach, dann kam dies einer Aufforderung gleich, seine Koffer zu packen und auf unbestimmte Zeit im Hotel zu übernachten. Er hatte in den letzten Monaten hinreichend Gelegenheiten gehabt, diese Zeichen deuten zu lernen. Auch wenn es ihn nicht sonderlich beeindruckte, denn er wusste, dass Alina eine solche Aufforderung niemals offen aussprechen, geschweige denn durchsetzen würde.

„Wir müssen uns vor Augen halten, wie beschissen die ganze Situation ist“, fuhr sie in normaler Lautstärke, aber mit brüchiger Stimme, fort. „Und du hast es vorhin selbst so ausgedrückt … Die Menschheit stirbt vielleicht gerade aus. Das ist der reine Wahnsinn.“

Er stand auf und holte sich den fünften Kaffee, wenn er richtig mitgezählt hatte. Er hatte wohl noch nie so viel Kaffee an einem einzigen Morgen getrunken. „Na ja, es erinnert mich an irgendeinen Film, den ich mal gesehen habe. Aber dennoch: Die Lage kann sich jederzeit wieder ändern.“

Seine Frau hätte wohl, zumindest seinem eigenen Empfinden nach, das Recht gehabt, ihn des Hauses zu verweisen. Denn sie war es, die dieses Haus bezahlt hatte, und zwar auf einen einzigen Schlag. Ihre Eltern, beide reiche Geschäftsleute, waren wenige Wochen, nachdem sie sich mit Alexander verlobt hatte, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Der Pilot hatte die Maschine in selbstmörderischer Absicht an einer Gebirgskette zerschellen lassen, etliche Menschen mit in den Tod gerissen. Alina, die einzige Tochter der Eheleute Hochgraf, war einerseits am Boden zerstört und hatte sich bis zum heutigen Tag nicht vollständig davon erholt, war jedoch andererseits auf einen Schlag um mehrere Hunderttausend Euro reicher geworden. Sowohl die prunkvolle Hochzeitsfeier als auch ihr schickes, einstöckiges Häuschen in Bungalow-Bauart hatte er allein Alina zu verdanken, und er musste sich davon abhalten, daran zu denken, denn es wurmte ihn einfach viel zu sehr. Alina hatte somit keine näheren Verwandten mehr; er selbst hatte einen älteren Bruder, Harald, der zwei Straßen weiter wohnte.

„Aber wir wissen nicht, wann. Und angenommen, sie ändert sich nicht …“ Sie begann, an ihrem kleinen Finger herumzukauen. „Stell dir das mal vor. Stell dir vor, das geht Wochen, Monate oder gar Jahre so … Überleg mal, was mit uns passieren wird, wenn sie wissen, dass wir … Kinder bekommen können. Dass wir die Einzigen sind.“

Alexander setzte sich mit seiner Kaffeetasse auf seinen Platz zurück, nahm einen schnellen Schluck und verbrannte sich prompt den Mund. Fluchend knallte er die Tasse auf den Tisch, sodass der Kaffee über den Rand schnappte. Er hustete und sagte: „Da spricht die Schriftstellerin aus dir, Alina.“

Er erntete einen bösen Blick.

„Wir beide, das einzige Paar auf dem Erdball, von dem der Fortbestand der Menschheit abhängt. Unser ganzes Leben die einzige Mission, eine neue Erdengeneration zu zeugen. Das klingt doch etwas zu fantastisch. Ich bin mir sicher, wird sind nichtdie Einzigen. In den nächsten Tagen werden sie berichten, dass der Spuk vorbei ist, dass wieder nach und nach überall auf der Welt Frauen schwanger werden, dass es sich nur um eine vorübergehende Anomalie gehandelt hat. Glaub mir.“

Er führte seine Tasse erneut zum Mund und schlürfte vorsichtig.

„So könnte es sein“, flüsterte sie. „Ich hoffe es; ich bete, dass du recht hast. Aber falls nicht, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ich bin auf diesem Planeten zur Zeit die einzig fruchtbare Frau. Oder aber, du bist der einzig zeugungsfähige Mann.“

Alexander starrte auf die winzige Mattscheibe neben dem Spülbecken. Der Ton war fast ganz herunter geregelt. Es wurde gerade ein Werbespot über ein Arzneimittel gegen Reizhusten und Gliederschmerzen gezeigt, und dieser dauerte genauso lange, wie Alexander brauchte, um die Worte seiner Frau zu verarbeiten. Natürlich hatte er diese Schlussfolgerung in den vergangenen vierundzwanzig Stunden bereits selbst angestellt. Doch er hatte sie stets mit einem ungläubigen Lächeln, begleitet von einem leichten Kopfschütteln oder gar einem ungeduldigen Abwinken, als absurd verworfen. Nun sprach seine Frau eben diese Schlussfolgerung laut aus, und das in einem derart ernsten und bedeutungsschwangeren Ton, dass sie ihm beinahe als eine unausweichliche Tatsache erschien. „Keiner kann voraussagen, wie lange es noch so bleibt.“

„Und deshalb musst du mir versprechen, es vorerst niemandem zu erzählen.“

Er schwieg für ein paar Sekunden. „Nun gut.“

„Auch in der Firma nicht.“

„Ja.“

„Oder am Stammtisch.“

„Ich sagte doch bereits, einverstanden!“ Er sah sie scharf an und überlegte sich, wie er sie beruhigen konnte.

Es schien ihm unbegreiflich, warum dies alles so plötzlich kam. Er hatte nichts von alldem mitbekommen. Hätte das Ganze nicht mit einer Meldung über einen sprunghaften Rückgang der weltweiten Schwangerschaften beginnen müssen? Eine Meldung, die ja dann bereits spätestens ein dreiviertel Jahr zuvor hätte öffentlich werden müssen? Er war sich ziemlich sicher, dass hierüber ebenso Statistiken geführt wurden, wie über die Entbindungen. Hätte diese Meldung nicht die erste Welle der Bestürzung auslösen müssen, gefolgt von weiteren Meldungen über eine immer weiter zurückgehende Geburtenrate, welche ja die logische Folge gewesen wäre?

Er meinte, vor etwas mehr als einem Monat eine kleine Meldung vernommen zu haben. Doch dann hatte man nichts mehr gehört, bis schließlich am vergangenen Morgen plötzlich der Notstand ausgerufen worden war. Denn auch bei ihm im Büro hatte anscheinend niemand mit dieser Entwicklung ernsthaft gerechnet, und er wusste, dass unter seinen Kollegen einige waren, die es mit dem Lesen der Tageszeitungen peinlichst genau nahmen, um in der Mittagspause angeregte Diskussionen über die belanglosesten Themen veranstalten zu können. Einige prahlten sogar gelegentlich mit ihren Zeitungs- und News-Apps, die sie rund um die Uhr haut- und zeitnah am Weltgeschehen teilhaben ließen und zu verstehen gaben, wie sehr ihre Anwender mit dem Zahn der Zeit gingen.

Alina holte tief Luft und sagte: „Dieses Virus, oder was auch immer da entdeckt wurde … Ob man dagegen überhaupt was unternehmen kann? Ich meine … die Menschen werden sich eine Zeit lang einreden, dass sie bestimmt irgendwann eine Lösung finden. Die Regierungen werden Geld in die Forschung stecken und die Wissenschaftler werden sich für jede vermeintliche Erkenntnis hochleben lassen. Aber irgendwann werden die Leute es mit der Angst zu tun bekommen.“

Sie sah hinaus aus dem Fenster. Ihr Blick wirkte angestrengt. Alexander hätte sich gerne umgedreht um zu prüfen, ob es dort etwas Interessantes zu sehen gab. Schließlich stand er auf und ging neben seiner Frau in die Hocke, wobei er ihre Hand nahm und sie zärtlich küsste. „Schatz, solange die medizinischen Untersuchungen noch nicht begonnen haben, kann man gar nichts darüber sagen, ob dieser Virus etwas mit der ganzen Sache zu tun hat. Und das hat auch dieser Biologenfritze von vorhin ganz ausdrücklich betont. Nächste Woche verschicken sie diese Schreiben von der Regierung, und falls wir unter diesen zufällig ausgewählten armen Idioten sein sollten, wird der Wisch einfach direkt in den Reißwolf wandern, weil ich auf diese Sache so ziemlich gar keine Lust habe, verstehst du? Alles Panikmache.“

Sie sah ihn an und küsste ihn auf die Stirn, dann nahm sie einen Schluck aus ihrem Wasserglas und hustete heftig. Alexander klopfte ihr kräftig auf den Rücken und nahm sie dann in den Arm. Alina atmete kurz durch, dann befreite sie sich aus seiner Umarmung. „Ich weiß, dass du mich für hysterisch und meine Sorgen für maßlos übertrieben hältst.“

„Das ist …“

„Und jetzt wirst du so etwas sagen wie ‚Aber nein Schatz, das stimmt nicht, ich weiß, wie du dich fühlst‘, nur damit du nicht zugeben musst, was ich dir gerade vorgeworfen habe.“

Alexander stand auf und setzte sich an seinen Platz zurück. Er aß den Rest von seinem Frühstücksei und sagte schließlich: „Im Moment finde ich das tatsächlich übertrieben, da hast du recht. Ich weiß nicht, warum du in einer so … apokalyptischen Stimmung bist. Aber ich hab überhaupt kein Problem damit, wenn erst mal niemand davon erfährt, denn schließlich bist du nicht schwanger geworden, damit wir überall damit angeben und den Leuten ein Ohr abquatschen können, nicht wahr? Aber ich denke trotzdem, dass du deine Bedenken früher oder später beilegen solltest, denn spätestens in einem halben Jahr werden die Leute von ganz allein auf den Trichter kommen, selbst wenn wir schweigen wie die Massengräber und so tun, als ob du neuerdings immer ein Kissen unter der Bluse trägst.“

Er stand auf und trat ans Fenster. Von hier aus konnte man direkt auf die Straße sehen. Draußen war keine Menschenseele unterwegs. Die Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatten ein Trampolin in ihrem Vorgarten aufgestellt, auf dem zwei Kinder im Grundschulalter vergnügt auf- und abhüpften. Alexander betrachtete sie eine Weile, dann drehte er sich wieder um und sah, dass Alinas Augen glänzten. Einen Augenblick später rollte eine Träne ihre rechte Wange hinunter und blieb an ihrem Kinn hängen.

„Weißt du was“, wisperte sie mit brüchiger Stimme und wischte die Träne mit dem Handgelenk fort, „ich war so glücklich … die letzten vierundzwanzig Stunden lang hab ich mich gefühlt, als müsste ich platzen vor Glück. Aber jetzt wünschte ich, es wäre besser nicht passiert. Weil wir es uns ganz anders vorgestellt hatten. Ich zumindest. So ist es ein schreckliches Gefühl.“ Eine zweite Träne folgte der ersten.

Auch er dachte für einen Moment zurück. An die Gefühle, die ihre Pläne über die Operation Nachwuchs in ihm ausgelöst hatte. Aber direkt vor diesen überwältigenden Gefühlen war etwas anderes gewesen; etwas Dunkles, Bedrohliches. Er erinnerte sich, wie Alina das Gespräch begonnen hatte, wie sie beide im Schlafzimmer umhergetrottet waren und sich bettfertig machten. Sie hatte es mit dem Satz ‚Alex, ich muss mit dir über etwas sprechen‘ begonnen. Und er konnte nicht leugnen, dass er in diesem Moment an alles andere gedacht hatte, als an Nachwuchs. Mit einem Schlag traf ihn die Gewissheit, dass ein solcher Satz nur zwei mögliche Szenarien einleiten konnte. Die erste Möglichkeit war, sie wollte sich von ihm trennen. Die zweite Möglichkeit war, sie hatte ihn betrogen. Und natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit: dass sowohl das eine als auch das andere der Fall war.

Er erinnerte sich, wie er die Faust geballt hatte.

Welche Gedanken in seinem Kopf aufgestiegen waren.

Welche Worte ihm auf der Zunge lagen.

Wie er sie angeblickt hatte.

Wie er förmlich versucht hatte, sie mit seinem Blick auf der Stelle zu fixieren, zu Stein erstarren zu lassen.

Wie sie diesen Blick etwas verwirrt erwidert hatte, um dann ohne zu zögern mit ihrem Wunsch herauszuplatzen, der auf einen Schlag all diese Gedanken vertrieb, der ihn all die Worte vergessen ließ, die sich ihm bereits aufgedrängt hatten, sie ihr an den Kopf zu werfen, der in ihm ungeahnte Glücksgefühle auslöste, die bis heute angehalten hatten, der ihm die ganze Welt plötzlich so bunt, freundlich und wunderbar wie nie zuvor erscheinen ließ.

Alexander wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als die Gefühle seiner Frau teilen zu können, doch so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nur teilweise. Das Leben ging genauso weiter wie bisher, und die Menschheit hatte mit der jüngsten Generation noch gute neunzig Jahre Zeit, ein Problem zu beseitigen, dass sich bestimmt in naher Zeit von selbst lösen würde.

Es gab nichts, was ihr gemeinsames Glück trüben konnte, davon war er überzeugt.

Er trat langsam wieder zu ihr hin. Sie lehnte sich an seine Schulter und begann zu schluchzen.

-4-

 

DONNERSTAG, 14. AUGUST 2025

 

Man könnte wirklich heulen“, sagte Dieter und legte den Kopf weit in den Nacken, um keinen Tropfen seines dunklen Hefes zu vergeuden. „Scheiße, ich meine, schaut euch doch um, die ganze Welt … für’n Arsch.“ Er setzte sein Glas mit einem lauten Klonk! auf den Tisch und legte seine riesigen, behaarten Hände darum, während er mit verklärtem Blick in die Ferne sah. Alexander, der neben ihm saß, brummte, und für Dieter klang es wahrscheinlich zustimmend. Dieter war der Malermeister im Dorf und hatte ihr Häuschen gestrichen, bevor sie eingezogen waren. Außer ihnen befanden sich noch zwei weitere Männer am Tisch. Zu Alexanders Rechten hockte sein Nachbar Simon, ein schlaksiger Mann von vierundzwanzig Jahren. Seine knabengleiche Statur und seine jungenhaften Gesichtszüge hätten Anlass dazu geben können, ihn noch einige Jahre jünger zu schätzen; seine Halbglatze jedoch ließ ihn wiederum um einiges älter erscheinen, sodass diese beiden Merkmale sich gegenseitig aufwogen und ihn insgesamt genauso alt erscheinen ließen, wie er tatsächlich war. Er trug eine Hornbrille mit großen Gläsern, die ihm ständig die Nase herunterrutschte; sodass er sie sich ungefähr alle fünf Minuten mit dem Zeigefinger wieder nach oben schieben musste. Es war Alexander ein Rätsel, warum Simon nicht einmal die Bügel richten ließ, doch er hatte ihn auch noch nie danach gefragt. Ihm gegenüber hatte ein gewisser Mark Platz genommen, der ein Glas billigen Rotweins vor sich hatte, welchen er in großen Schlücken hinabkippte; er hatte seit Alexanders Ankunft bereits zweimal nachbestellt. Ein Kerl, den er bereits aus seiner Jugend kannte, und mit dem er hier nicht gerechnet hatte. Als er an den Tisch getreten war und seine Visage erblickt hatte, wäre er am liebsten wieder rückwärts hinausgegangen. Doch das ließ sich schlecht anstellen, da Simon und Dieter ihn bereits entdeckt hatten und ihn heiter und lautstark willkommen hießen, weil er bereits mehrere Wochen nicht mehr zum Stammtisch erschienen war. Im Laufe der Gespräche erfuhr er, dass Dieter sich mit Mark angefreundet hatte, was wohl bedeutete, dass er nun regelmäßig mit ihm rechnen musste. Er hatte ihn in den letzten Jahren hin und wieder im Dorf gesehen, aber nie mit ihm gesprochen. Wenn sich ihre Blicke einmal versehentlich begegnet waren, so hatte sich Mark stets verstohlen abgewandt. Und darüber war Alexander auch sehr froh gewesen. Doch heute, in dieser Situation und in Anbetracht der feucht-fröhlichen Stimmung, würde er wohl oder übel ein paar Worte mit ihm wechseln müssen.

Normalerweise zählte ihre Runde mindestens die dreifache Zahl Männer, doch der Rest hatte sich laut Aussage von Simon verspätet, und wiederum zwei waren krank. Ihr Stammtisch fand stets im einzigen Gasthof statt, den das Dorf Niedertalbrück noch hatte: im Goldenen Hahn, der jedoch gar nicht so golden war, wie man vermuten mochte. Die zwei kleineren Bars im Ort, das Crystal’s und The Club, hatte das Jungvolk erobert.

Der Goldene Hahn war an diesem Donnerstag Abend nicht besonders gut besucht. Außer den vieren saßen ein paar vereinzelte Rentnerehepaare in den anderen Ecken der Gaststube. Ein Mann lungerte an der Theke herum. Die Lautsprecher, die in in den Ecken an der Wand hingen, spielten leise Elvis Presley, was Alexander ein wenig seltsam erschien. Gewohnt war jedoch der allgegenwärtige Duft nach Wiener Schnitzel und Spätzle mit dunkler Soße.

Seit dem Tag, an dem Alina ihr Kind zum Geheimnis erklärt hatte, waren gute vier Wochen vergangen. Der Stand der Dinge war noch immer derselbe. Die Wissenschaftler forschten Tag und Nacht. Die Stichprobentests an der Bevölkerung waren bereits durchgeführt worden, mit dem Ergebnis, dass von den rund zehntausend ausgewählten männlichen Probanden hundert Prozent zeugungsunfähig geworden waren (was jedoch noch keinesfalls bedeuten musste, dass dies auf die gesamte männliche Bevölkerung zutraf, wie man immer wieder mit Nachdruck betonte). Es wurde stark vermutet, dass der entdeckte Virus dafür verantwortlich war. Die Frauen waren davon gänzlich unbeschadet geblieben, was nur einen schwachen Trost darstellte.

„War einer von euch bei diesen Untersuchungen?“, fragte Alexander. Alina und er hatten gebetet, dass er nicht zu den Probanden gehören möge, und dieses Gebet war erhört worden.

„Mich haben sie vorgeladen“, entgegnete Simon, der sofort wusste, wovon Alexander sprach, mit seiner hohen Stimme. „Ich sag’s euch, so was hab ich noch nie erlebt. Musste drei Stunden warten, obwohl außer mir nur noch zwei andere da waren. Und die kamen erst nach mir dran.“

„Wer waren die?“, fragte Mark neugierig, und schwenkte sein Glas, um den letzten Schluck des Rotweins zu belüften.

„Nie gesehen, keine Ahnung. Haben mich dann irgendwann abgeholt. Musste zum Doktor, erst untersuchen lassen. Widerlicher Kerl. Dann gab’s eine Röntgenaufnahme. Und zum Schluss halt noch eine Probe.“

„Haben Sie dich auch noch abgemolken, du armer Knilch“, lachte Mark, leerte sein Glas und gab der Kellnerin ein Zeichen, ihm noch eine Karaffe zu bringen.

„War ja zu erwarten.“ Simon fuhr sich mit der Hand über den Schädel. Dann fing er an, mit den Fingern der rechten Hand auf den Tisch zu trommeln.

„Mein Cousin arbeitet bei Durex“, warf Mark ein. Die Kellnerin servierte seinen Wein und bekam als Zeichen der Dankbarkeit einen Klaps auf den Hintern. Sie beschwerte sich nicht darüber, was wohl daran lag, dass sie offenbar aus Polen oder Ungarn stammte und gerade genug Deutsch sprach, um die Bestellungen zu verstehen und die richtigen Getränke zu servieren. „Armer Knilch. Hat sich so hochgearbeitet und jetzt können sie ihre Produktion wohl bald auf Luftballons umstellen. Dann ist immerhin nicht alles verloren.“ Er hob sein Glas empor und legte den Kopf in den Nacken.

„Die Durex-Leute werden schon irgendwo unterkommen.“ Simon verdrehte die Augen. „Aber was ist mit den Hebammen, den Kindergärtnerinnen, den Lehrern?“

„Die Schnullerhersteller“, warf Dieter säuerlich ein. „Die Windelproduzenten. Die Zwiebackbäcker, Herrgott noch eins.“

„Ich lass mich von dieser Sache nicht verrückt machen“, erklärte Alexander und nahm einen Schluck von seiner Whisky-Cola. Es war bereits die zweite an diesem Abend. „Das Ganze ist jetzt seit einem Monat offiziell. Die Wissenschaftler sind an der Sache dran. Und denkt doch mal nach: Wie wahrscheinlich ist es, dass wirklich jeder einzelne Kerl auf dieser Welt mit diesem verfluchten Virus in Kontakt gekommen ist?“

„Na ja, die haben gesagt, dass er sich über’s Trinkwasser verbreitet hat“, rief Dieter aus und leerte sein Glas. „Was irgendwie logisch erscheint, da dieser Drecksmeteorit ja mitten ins Meer fallen musste.“

„Schon, aber vielleicht gibt es irgendwo jemanden, der seitdem keinen Tropfen Trinkwasser benutzt hat?“

„Du meinst, ein fetter Typ, der irgendwo auf seiner Couch rumhängt, sich von einem riesigen Jahresvorrat an Bier, Cola und Red Bull ernährt und seit einem Monat nicht mehr unter der Dusche war?“ Dieter, der selbst einen beachtlichen Leibesumfang aufwies, sah ihn an, als könnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein solches Wesen auf diesem Planeten existierte.

„Möglich.“ Auch Alexander leerte sein Glas. Ihm gelang es ohne Mühe, genauso besorgt dreinzublicken wie die anderen, und darüber war er froh. Er bemerkte jedoch, dass sein Atem schneller ging als gewöhnlich, und er konnte diese Reaktion beim besten Willen nicht unterdrücken. Daher entschloss er sich, eine dritte Whisky-Cola zu bestellen.

Als man sie ihm brachte, blickte er einen Moment lang in die schwarzbraune Tiefe des Glases, so als ob er sich über den Rand eines steinernen Brunnens beugte. Für einen Moment glaubte er, wenn er sich nur fest konzentrierte, könne er darin kleine, kaum sichtbare, bedrohlich geformte Organismen sehen, mit Stacheln übersät und von einer unheilvollen, außerirdischen Lebenskraft erfüllt, die sie, die Menschen, heimgesucht hatte. Dann sah er sein eigenes Gesicht, dass sich auf der zitternden Oberfläche spiegelte, und er erschrak über den unsinnig ängstlichen Ausdruck in seinen Augen und hob schnell den Kopf. Das alles konnte doch gar nicht wahr sein. Außerirdischer Virus. Was für ein Scheiß.

„Selbst wenn das nicht der Fall wäre, dann müssten doch statistisch gesehen zumindest ein oder zwei Männer auf der Welt immun dagegen sein“, grübelte Simon, der den ganzen Abend nur Malzbier getrunken hatte und runzelte die Stirn. „Wahrscheinlich, ohne es selbst zu wissen? Das frage ich mich schon die ganze Zeit, seitdem dieser Wahnsinn begonnen hat.“

„Von so einer Statistik höre ich jetzt aber das erste Mal“, hörte sich Alexander sagen. Er konnte nicht anders, als den Kopf zu seinem Glas hinabzusenken.

„Simon, du bist ja so ein wunderbarer Klugscheißer“, röhrte Mark und schlug seinem Sitznachbarn mit der flachen Hand auf den schmächtigen Rücken, sodass dieser sich an seinem Malzbier verschluckte und einen Hustenanfall bekam, was Mark erneut in brüllendes Gelächter ausbrechen ließ.

„Aber das ist schon richtig so, einfach nie die Hoffnung aufgeben, mein Junge. Der Meinung sind deine Frau und du ja wohl auch, Alex, hab ich recht?“ Mark zwinkerte ihm zu und grinste über das ganze gerötete Gesicht. Alexander warf ihm einen lauernden Blick zu. „Was willst du damit sagen?“

Hatten sie sich das Du angeboten? Er erinnerte sich nicht, aber es machte wohl keinen Unterschied.

Simon stieß einen letzten Huster aus und schob seine Brille, die ihm bei Marks Angriff beinahe ganz von der Nase gerutscht wäre, zurück auf ihren Platz.

„Na ja“, erklärte Mark, „meine Schwester meinte, sie hätte Alina schon zweimal in der Drogerie getroffen, und beide Male hatte sie einen Schwangerschaftstest gekauft. Vor ein paar Tagen bin ich ihr dort selbst über den Weg gelaufen. Sie hat so getan, als würde sie mich nicht kennen. Was soll’s. Jedenfalls hat sie wieder das Gleiche gekauft. Fünf Stück hat sie auf’s Kassenband gelegt. Man könnte ja auf den Gedanken kommen, ihr leitet seit neuestem ein Heim für schwer erziehbare Mädchen!“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Tja, da hättet ihr euch wohl ein paar Monate früher an die Arbeit machen müssen. Aber wie ich sagte, ist doch nur recht, wenn die Hoffnung …“

Alexander spürte den Drang aufzuspringen, hielt sich aber im letzten Moment auf dem Sitzpolster und kompensierte den Impuls, indem er sein Glas lautstark auf die eichenhölzerne Tischplatte knallte. „Wie wäre es, wenn du einfach dein versoffenes Mundwerk hältst? Das geht dich einen Scheißdreck an, und ich hab keine Lust, mir deine Sprüche darüber anzuhören. Alina ist fix und fertig wegen dieser Sache. Außerdem erinnerst du dich anscheinend schon nicht mehr an … du weißt, was ich meine.“ Alexanders Stimme war immer lauter geworden und bebte bei den letzten Worten so stark, als würde er während dem Sprechen von unsichtbaren Händen durchgeschüttelt. Dieter fasste ihn am Arm.

Mark legte den Kopf ein wenig schief und presste die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen. „Bitte, mach mir bloß keine Angst“, flötete er und leerte dann sein gesamtes Glas mit einem einzigen, langen Schluck.

„Nur eine kleine Warnung“, entgegnete Alexander leise. Er glaubte nicht, dass sein Gegenüber dies hörte, doch vielleicht war das besser so. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt noch in der Verfassung war, dieser Warnung Taten folgen zu lassen. Du musst ruhig bleiben, verdammt, ganz ruhig, atme einfach tief durch.Das nächste Mal verplapperst du dich, wenn du dich nicht im Griff behältst.

Und doch, er hasste Mark dafür, wie er über Alina gesprochen hatte. Wie laut er es herausposaunt hatte. Verdammter Schwätzer. Sie hatte all die Schwangerschaftsteste zur Nachkontrolle gekauft. Und natürlich war sie jedes Mal zum gleichen Ergebnis gekommen.

Einige Sekunden lang herrschte Stille. Nur das leise Geplapper der Rentnerpärchen, die neugierig aus ihrer Ecke herüber schauten, war aus dem Hintergrund zu hören, und die leise, aber eindringliche Stimme von Elvis. Dieter und Simon warfen sich ratlose Blicke zu.

„Ähm … ich denke, wir können darauf vertrauen, dass die Wissenschaftler früher oder später eine Lösung finden“, brach Simon vorsichtig die Stille. „Irgendwo in Bonn, in einem großen Forschungszentrum haben sich einige der besten Wissenschaftler aus Deutschland und anderen Ländern zusammengetan und arbeiten quasi rund um die Uhr. Kam neulich in den Nachrichten. So wird es noch in einigen anderen Ländern der Erde sein, denke ich mir. Und abgesehen davon, was ist mit den weltweiten Samenbanken? Da könnte man auch noch einiges rausholen, wenn man sparsam damit umgeht. Und sonst … besteht immer noch die berechtigte Hoffnung, dass sich jemand findet, der von dem Virus verschont wurde.“

„Das wäre der Messias.“ Dieter, der nach wie vor geistesabwesend in die Ferne blickte, fing an, sein Glas zwischen seinen Händen zu drehen. Alexander, der noch immer ein wenig zitterte, blickte ihn mit einem Ausdruck der Entgeisterung an, verstand seine Worte jedoch nicht.

Mark schien ihn gar nicht gehört zu haben. „Stellt euch das vor. Die Menschheit bangt um Ihre Zukunft. Alle Kerle der Welt verspritzen nur noch nutzlosen, toten Saft. Die Alten gehen einer nach dem anderen über den Jordan und die Bäuche der Frauen bleiben unbefruchtet und leer. Und jetzt stellt euch vor, ihr seid der Einzige, der die Macht hat, die Menschheit von ihrem Joch zu befreien … der Einzige, der das Fortbestehen der Menschheit sichern kann.“ Ein trauriges Lächeln trat auf sein Gesicht. Ohne zu wissen warum, fiel Alexander plötzlich ein, dass Dieter vor mehr als zehn Jahren seine einzige Tochter verloren hatte. Sie war mit drei Jahren an Leukämie gestorben. „Sie würden vor ihm auf die Füße fallen und ihn anbetteln, dass er ihre Frauen schwängert. Dass er die nächste Generation zeugt. Mein lieber Mann, der Typ hätte wirklich den Rest seines Lebens alle Hände voll zu tun. So jemand wäre wie Gott.“

Mark rülpste.

Simon kratzte sich am Kopf.

„Ich geh dann mal besser“, sagte Alexander und stand auf.

-5-

 

MITTWOCH, 17. SEPTEMBER 2025

 

Als Alexander an diesem Abend durch das Gartentörchen trat, sah er den Fremden, der vor seiner Haustür stand. Es war ein großer, schlanker, grau gekleideter Mann, dessen ebenfalls graue Haare glatt nach hinten gekämmt waren. Das war alles, was er vorerst von ihm zu Gesicht bekam, da er ihm gerade den Rücken zuwandte. Er redete auf Alina ein, die im Türrahmen lehnte und unablässig nickte. Als sie Alexander entdeckte, hellte sich ihre Miene auf, doch sie sagte nichts, und der Fremde schien noch nicht bemerkt zu haben, dass der Herr des Hauses das Grundstück betreten hatte.

Es machte nicht den Anschein, als wäre es diese eine, bestimmte Art von Herrenbesuch, an die er immer wieder unwillkürlich denken musste; meistens dann, wenn er sich auf der langen Autobahnstrecke zwischen Köln, wo sich seine Arbeitsstelle befand, und Niedertalbrück befand; wenn er auf die leuchtende, digitale Uhrzeit auf dem Armaturenbrett blickte und dachte, dass er heute mal wieder verdammt spät dran war, wie so oft in den letzten Wochen und Monaten, und dass Alina den ganzen Nachmittag alleine zuhause saß; sie nutzte diese ruhigen Stunden vermutlich, um an ihren Hausfrauenromanen zu arbeiten, aber dennoch …

Er arbeitete als Buchhalter bei der AMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, wo er seit seiner Ausbildung angestellt war und ein überdurchschnittliches Gehalt genoss. Dies stellte auch das einzige Argument dar, was ihn davon abhielt, zu einem der näher gelegenen Büros zu wechseln.

Vielleicht war es einer dieser Menschen, die seit einigen Tagen im Lande herumreisten, von Tür zu Tür gingen und Unterschriften für eine Petition sammelten. Diese Petition forderte, die deutschlandweiten Samenbanken zu verstaatlichen und für die Bevölkerung zu öffnen. Alina hatte ihm davon erzählt, und dass sie jedes Mal unterschrieben hatte; dafür lobte er sie ausgiebig. Aber hatte sie nicht erwähnt, dass es sich bei diesen Leuten um Studenten gehandelt hatte?

Als er auf etwa zwei Meter herangetreten war, hörte er, was der Mann seiner Frau erzählte. Er sprach sehr gedämpft. Sein Arm war angewinkelt, so als hielte er Alina irgendeinen Gegenstand entgegen.

Gleichzeitig warf er, fast reflexartig, einen Blick auf Alinas Bauch, und stellte beruhigt fest, dass nichts zu sehen war. Nach der kurzen Zeit, schalt er sich selbst. Da müsste sie ja mindestens Vierlinge bekommen.

„ … mir ein sehr großes Anliegen, Ihnen in einem persönlichen Gespräch den Plan Gottes begreiflich zu machen, sodass auch Sie erkennen, dass die Erlösung ganz nah ist, und dass wir uns nicht fürchten müssen.“

„Ich bitte Sie …“, begann Alina, doch Alexander sagte laut und deutlich: „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Der Mann zuckte kaum merklich zusammen und wandte sich langsam um. Ein unfassbar freundliches Gesicht strahlte ihm entgegen, das ihn an die Dauerwerbesendungen des Privatfernsehens erinnerte. Die Augen des Fremden waren genauso grau wie der Rest von ihm. Es schien fast so, als hätte ihn lediglich irgendein Zeichner mit einem Bleistift skizziert.

„Auch Ihnen wünsche ich einen wunderschönen Abend, mein Herr“, begrüßte er den stirnrunzelnden Alexander mit einer unglaublich tiefen und sanften Stimme. „Wenn Sie erlauben, dass ich mich kurz vorstelle, mein Name ist Luis, und ich gehöre zu der Glaubensgemeinschaft der Kinder der Endzeit.“

Seine Hand schnellte vor und hielt ihm die Broschüre entgegen. „Ich erzählte bereits Ihrer reizenden Frau von dem Grund meines Besuches. Sie hat bereits eines dieser wunderbaren kleinen Heftchen von mir bekommen. Darin können sie die Visionen unseres Meisters studieren, der die ganze Katastrophe bereits vor Jahren vorhergesagt und dokumentiert hat. Sie haben es verdient, die Wahrheit zu erfahren, welchen Plan der heilige Vater für uns Menschen ersonnen hat, den er dieser Tage bereits in die Tat umsetzt.“ Auf der schwarzen Vorderseite stand in großen, weißen Lettern gedruckt Warten auf das Ende.

„Zweimal brauchen wir das bestimmt nicht“, entgegnete Alexander mit unverhohlener Missgunst.

„Es wäre mir ein sehr großes Anliegen, Ihnen in einem persönlichen Gespräch den Plan Gottes begreiflich zu machen, sodass auch Sie erkennen, dass die Erlösung ganz nah ist, und dass wir uns nicht fürchten müssen.“

„Das geht leider nicht. Meiner Frau geht es nicht gut, wie sie zweifellos sehen können. Und ich würde nun gern meinen Feierabend in Ruhe verbringen. Ihr Besuch war umsonst.“

„Möchten Sie nicht erfahren, was der Herr Wunderbares mit uns allen vorhat? Möchten Sie …“

Alexander ließ die Tasche zu Boden fallen und gab dem grauhaarigen Mann mit der flachen Hand einen Schubser vor die Brust, worauf dieser verdattert einige Schritte zurücktaumelte. Die drei Traktate, die er noch in der Hand gehalten hatte, flatterten zu Boden. Eines davon wurde von einem kecken Windstoß erfasst und wehte auf die Straße hinaus. „Mein Herr, ich …“

„Sie verlassen auf der Stelle mein Grundstück“, sagte Alexander mit Grabesstimme zu dem Mann, der zwar einen Kopf größer, aber wesentlich schmächtiger war als er selbst. Dessen freundliches Lächeln hatte sich nun in eine verdrossene, säuerliche Miene gewandelt, und seine Mundwinkel zuckten nervös, während er beschwichtigend die Hände hob.

„Kein Wort mehr, runter von meinem Boden“, wiederholte Alex und streckte den Arm wie ein Wegweiser in Richtung der Straße aus. Der unwillkommene Besucher machte keine Anstalten, sich zu bewegen, und schien stattdessen fieberhaft nach einer umstimmenden Antwort zu suchen.

Alexander ging einen großen Schritt auf den Mann zu.

Dieser holte noch einmal tief Luft, unterbrach sich dann jedoch selbst. Er wandte sich ab und schritt dann, betont bedächtig, mit stolzem Gang das Kieswegchen entlang durch das Tor, auf die Straße hinaus. Dort drehte er sich nach rechts und ging davon.

Während sie dem Mann namens Luis nachsahen, fuhr ein Polizeiauto an Ihrem Haus vorbei; es vergingen wenige Sekunden, dann folgten zwei weitere, die in nahezu Schritttempo, dicht gedrängt, durch die Westendstraße rollten. In den letzten Wochen hatte Alexander immer mehr Polizeiautos in Niedertalbrück gesehen. Genau genommen, war kein Tag vergangen, an dem er auf der Heimfahrt nicht einem Streifenwagen begegnet war. Auch hatte er immer öfter Polizeibeamte bemerkt, die zu Fuß unterwegs waren, die sich angeregt unterhielten und geschäftig in der Gegend umhersahen. Er hatte es allerdings vorgezogen, Alina vorerst nicht darauf anzusprechen.

Als der graue Mann nicht mehr zu sehen war, hob Alexander seine Tasche vom Boden auf, legte seinen freien Arm um Alina und schob sie behutsam ins Haus hinein. Er ließ einen letzten, verdrossenen Blick über seinen Vorgarten schweifen. Hinter einem Fenster des Nachbarhauses bewegte sich etwas. Die Gardine schwang leicht hin und her. In diesem Haus wohnte Simon mit seiner Frau, deren einziges Hobby darin bestand, die Nachbarschaft auszuspähen. Natürlich hatte sie nun auch diese Szene mitbekommen, vom Logenplatz aus, und bereits morgen würde der Rest der Straße über den Vorfall Bescheid wissen.

„Jemand hat mir neulich auf der Arbeit von diesen Typen erzählt.“ Einer von den Kerlen mit ihren News-Apps war es gewesen. „Ich sag dir, die tun nur so fromm, sind aber in Wahrheit ziemlich durchgeknallt.“ Er schloss die Tür hinter sich. „Verdammte Dreckskerle.“

Alina gab ihm einen Kuss auf den Mund. „Beruhig dich, Schatz. Du bist früh dran heute.“

„Ich hab Kopfschmerzen bekommen und bin früher gegangen. War verdammt stressig heute. Das, was er dir da gegeben hat, schmeiß das weg.“

„Alex … setz dich erst mal und werd wieder ruhig. Ich mag es nicht, wenn du so grob zu anderen Leuten bist, das weißt du.“

„Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich später heimgekommen wäre. Du könntest mir ruhig etwas dankbar sein.“ Er ließ die Tasche auf den Küchentisch fallen, öffnete den Kühlschrank und nahm sich eine Pepsi heraus. Dann kramte er im Regal nach der Schachtel mit den Kopfschmerztabletten.

Alina ließ sich auf einem Stuhl nieder. „Es erinnert mich an die Sache mit Mark.“ Sie seufzte und griff nach ihrem Wasserglas, das auf dem Tisch stand.

Alexander warf sich seine Tablette in den Mund und spülte sie mit einem großen Schluck Pepsi hinunter. „Hatten wir nicht ausgemacht, dieses Thema nicht wieder von neuem anzuschneiden?“, fragte er spitz und setzte sich neben sie, während er die Dose mit einem zweiten großen Schluck leerte er. Dann rülpste er leise. Das hatte er noch nie gemacht. Wenn es eines gab, was Alex hasste, dann waren das schlechte Manieren.

„Ich sage dir nur, wie ich mich fühle.“

Mark. Dieser Name markierte den Beginn einer Zeit, in der aufhörte, Alina abends auszuführen. Und wenn er es sich genau überlegte, dann hatte diese Zeit wohl bis zum heutigen Tage angedauert.

Diese unrühmliche Sache hatte sich in jener Phase ereignet, als Alexander und Alina sich in seiner Studienzeit regelmäßig verabredeten. Sie hatten damals zahllose Abende im Crystal’s verbracht, einer kleinen Bar am anderen Ende des Dorfes, die auch heute noch immer großen Zulauf von Seiten der jungen Generation hatte.