Oscar Wilde: Märchen und Erzählungen: Halbleinen -  - E-Book

Oscar Wilde: Märchen und Erzählungen: Halbleinen E-Book

0,0

Beschreibung

Der vorliegende Band enthält eine Auswahl der schönsten Märchen und Erzählungen aus den beiden Sammlungen 'Der glückliche Prinz' und 'Das Granatapfelhaus'. Der junge König, Der Geburtstag der Infantin, Der junge Fischer und seine Seele, Das Sternenkind, Der glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose, Der selbstsüchtige Riese, Der treue Freund, Die romantische Rakete, Der Geist von Canterville. Mit zeitgenössischen Illustrationen von Aubrey Beardsley und Alfons Mucha.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 299

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



OSCARWILDE

 

Märchen und Erzählungen

 

 

 

Übersetzt und bearbeitet vonRichard Zoozmann

Der vorliegende Text folgt der Ausgabe:Oscar Wilde, Erzählungen und MärchenTh. Knaur Nachf., 1924

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© 2012 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hamburg

 

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung aufelektronischen Systemen, vorbehalten.All rights reserved.

 

ISBN: 978-3-86820-927-3

 

www.nikol-verlag.de

DAS GRANATAPFELHAUS

Der junge König

1.

E

s war die Nacht am Tage vor seiner Krönung, als der junge König einsam in seinem wunderbaren Gemach weilte. Seine Höflinge hatten ihn verlassen, dem zeremoniellen Tagesgebrauch gemäß die Häupter bis zur Erde neigend. Sie alle hatten die große Halle des Königsschlosses aufgesucht, um dort noch die letzten Unterweisungen vom Hofzeremonienmeister entgegenzunehmen. Waren ihrer doch noch einige, die sich nach wie vor ganz ungeschraubt bewegten! Und dass dies bei einem Höfling ein gar großes Vergehen ist, bedarf wohl keiner Worte.

Der Knabe (denn er war nichts anderes mit seinen sechzehn Jahren) war nicht betrübt, dass sie gegangen waren. Er hatte sich mit einem leisen Seufzer der Erleichterung zurückgeworfen auf die weichen gestickten Kissen seines Lagers und ruhte dort nun glutäugig, die Lippen hauchgeöffnet wie ein brauner Faun des Waldes oder wie irgend ein junges Tier der Wildnis, das die Jäger eingefangen hatten.

Und wirklich waren es ja auch die Jäger gewesen, die ihn gefunden, ihn wie durch Zufall aufgetrieben hatten, als er barfüßig, die Flöte in der Hand, hinter der Herde des armen Ziegenhirten herging, der ihn aufgezogen, und dessen Sohn zu sein er seit frühester Kindheit an gewöhnt war. Des alten Königs einziger Tochter Kind, gezeugt in geheimem Ehebund mit einem, der im Range tief unter ihr stand, einem Fremden, flüsterten viele, der durch den wunderbaren Zauber seines Saitenspieles die Liebe der jungen Fürstin zwang, während wieder andere von einem Künstler aus Rimini munkelten, dem die Prinzessin viel, vielleicht zu viel Ehre erzeigt hatte, und der plötzlich aus der Stadt verschwunden war, sein Werk im Dome unvollendet lassend: – So hatte man ihn, als er eben erst eine Woche alt war, von der Seite seiner Mutter nächtlich weggestohlen, während sie im Schlummer lag, und ihn einem gemeinen Bauer und dessen Weibe in Obhut übergeben, die beide ohne eigene Kinder waren und in einem entlegenen Teil des Waldes lebten, der mehr als einen Tagritt von der Stadt entfernt war.

Gram oder die Pest, wie der Hofarzt feststellte, oder ein schnelles italienisches Gift, wie manche rieten, in einem Becher gewürzten Weines dargereicht, mordete noch in der Stunde des Erwachens das bleiche Mädchen, das ihn geboren hatte. Und als der treue Bote, der das Kind auf seiner Satteldecke davontrug, von seinem müden Hengste stieg und an die plumpe Pforte der Hirtenhütte pochte, wurde der Prinzessin Leib in ein frischgeschaufeltes Grab gesenkt, das man auf einem öden Kirchhof außerhalb des Stadttores gegraben hatte. Ein Grab, worin, wie man raunte, schon ein anderer Leichnam lag, der eines jungen Mannes von wundersamer, fremdartiger Schönheit, dessen Hände mit einem knotigen Seile auf den Rücken gebunden waren und dem die Brust von vielen roten Wunden blutete.

So lautete wenigstens die Geschichte, die das Volk einander flüsternd anvertraute. Sicher aber war es, dass der alte König auf dem Sterbebette (sei es, dass ihn seine große Sünde reute oder sei es auch nur, weil er nicht wollte, dass das Königreich an einen falle, der nicht seines Stammes war), eilends nach dem Knaben gesandt hatte und ihn im Angesicht des Rates seinen Erben nannte.

Und es scheint, dass sich in dem Jüngling vom ersten Augenblick seiner Anerkennung an die seltsame Schönheitstrunkenheit offenbarte, die späterhin so großen Einfluss auf sein Leben ausüben sollte. Sie, die ihn durch die Flucht der Gemächer geleiteten, die man für ihn bereit gestellt hatte, wussten viel von dem Schrei der Lust zu erzählen, der über seine Lippen brach, wenn er des kostbaren Geschmeides und der reichen Prachtgewänder ansichtig wurde, die er von nun an tragen sollte, und von der ausgelassenen, fast wilden Freude, mit der er sein raues Lederkoller und seinen grobzottigen Schafwollmantel von sich schleuderte. Manchmal freilich vermisste er die goldene Waldesfreiheit, und dann war er stets geneigt, über die mühseligen Förmlichkeiten zu schelten, die einen so großen Teil des Tages bei Hofe in Anspruch nahmen. Der herrliche Palast jedoch (Joyeuse nannte man ihn), dessen Herr und Besitzer er nun war, schien ihm gleich einer nur zu seiner Lust und Wonne erschaffenen Welt. Und so oft er nur einer Ratsverhandlung oder einer Sitzung im Audienzsaale entfliehen konnte, flüchtete er hastigen Laufes die breite Treppe hinab mit ihren Löwen aus goldenem Erze und ihren Stufen aus hellem Porphyr und schritt von Raum zu Raum, von Gang zu Gang, wie einer, der in Schönheit Linderung für Schmerz, Genesung aus Krankheit sucht.

Auf diesen Entdeckungsreisen, wie er sie gerne nannte (und es waren für ihn tatsächlich Reisen durch ein wahres Wunderland), begleiteten ihn oft die schmalhüftigen, blondhaarigen Pagen des Hofes in ihren weiten Mänteln mit dem lustig flatternden Bänderschmucke. Noch öfter aber blieb er allein. Doch ein ihn blitzartig durchzuckender Instinkt, einer Eingebung vergleichbar, verriet ihm regelmäßig, dass sich die Geheimnisse der Kunst am besten insgeheim erlernen, und dass die Schönheit, wie ja auch die Weisheit, ihre Knechte einsam um sich haben will.

Gar manche seltsame Geschichte ging um diese Zeit von Mund zu Mund. Man erzählte, wie ein behäbiger Bürgermeister, der gekommen war, eine wortreich ausgeschmückte und gezierte Anrede im Namen der Bürger der Stadt zu halten, wie ihn dieser auf den Knien vor einem großen Bild tief in Anbetung versunken gefunden hatte, vor einem herrlichen Gemälde, das soeben aus Venedig angekommen war und einen Dienst und Kultus für neue Götter zu künden schien. Bei anderer Gelegenheit hatte man ihn viele Stunden hindurch ängstlich vermisst und ihn erst nach langer Suche in einem kleinen Gemach in einem der nördlichen Türme des Schlosses entdeckt, wie er gleich einem, den Verzückung in Banden hält, auf eine griechische Gemme starrte, in die eine entzückende Adonisgestalt geschnitten war. Man hatte gesehen, dies wusste das Gerücht, wie er die heißen Lippen auf die Marmorschläfe einer alten Statue drückte, die man im Strombette gelegentlich des Baues der steinernen Brücke ausgegraben hatte, und die als Inschrift den Namen des bythinischen Sklaven des Hadrian trug. Und er hatte eine ganze lange Nacht damit zugebracht, die Wirkung des bläulich fahlen Mondlichtes auf ein Silberbildnis des Endymion zu belauschen.

Alles, was da seltsam und kostbar war, übte einen großen Zauber auf ihn aus, und im Eifer, sich den Besitz zu sichern, hatte er viele Kaufleute nach allen Himmelsrichtungen ausgesandt: einige, um mit dem rauen Fischervolk der Nordmeere um Bernstein zu feilschen, einige nach Ägypten, um jene grüne Wundertürkisen ausfindig zu machen, die man nur in Königsgräbern findet und die Zauberkraft besitzen sollen, wieder andere nach Persien, um seidene Teppiche und bemaltes Tongeschirr zu erstehen, und manche endlich sogar nach Indien, um Schleiergewebe zu kaufen und getöntes Elfenbein, Mondstein und Armgeschmeide aus Nephrit, Sandelholz und blaues Email und Tücher von allerfeinstem Wollgewebe.

Was ihn jedoch am meisten beschäftigte, war sein Krönungsgewand, das goldgewobene Gewand, und die rubinbesetzte Krone und das Zepter mit feinen Perlenreihen und Perlenreifen. An diese dachte er auch jetzt, zur Nachtzeit, als er zurückgelehnt auf seinem üppig weichen Lager ruhte und dem großen Tannenscheite zusah, das sich im offenen Feuer des Herdes knisternd zu glühender Asche verzehrte. Zeichnungen, die die Hände der berühmtesten Künstler der Zeit dafür entworfen hatten, waren ihm vor schon vielen Monaten vorgelegt worden, und er hatte Befehl erteilt, dass die Schar der Handwerker Tag und Nacht an ihrer Ausführung schaffen, und dass Hunderte von Leuten die ganze Welt durchsuchen sollten nach Juwelen, die ihrer Arbeit würdig wären. Er sah sich im Geiste bereits umwogt vom strahlenden Krönungsgewand vor dem Hochaltar des Domes stehen. Und ein Lächeln spielte um seinen jungen Knabenmund, verweilte dort und zündete helle Flammen in seinen dunkeln Waldlandsaugen an.

Nach einiger Zeit erhob er sich und stand nun gegen die geschnitzte Blendung des Kamins gelehnt da, und blickte sinnend in dem matterleuchteten Gemach umher. Die Wände waren mit reichen Stickereien bekleidet, die den Triumph der Schönheit darstellten. Die eine Ecke füllte ein hoher Schrank aus, der mit Achat und Lapislazuli ausgelegt war, und dem Fenster gegenüber stand ein eigentümlich gearbeitetes Kästchen mit lackierten Holzflügeln, goldbestäubt und goldgeschmückt, darauf dünnglasige Venezianer Schalen und ein Becher aus dunkelgeädertem Onyx ruhten.

Blasse Mohnblüten waren von geschickten Nadeln auf die Seidendecke des Bettes wie hingestreut worden, als wären sie den müden Händen des Schlafes entfallen, und hohe Stäbe gekehlten Elfenbeins hoben den samtenen Baldachin, auf dem gleich weißem Wogenschaume große duftige Büschel von Straußfedern ragten, zu den bleichen Silberreliefs der Decke empor. Ein lachender Narziss aus grüner Bronze hielt einen geschliffenen Spiegel über seinem Haupte, und auf dem Tische stand eine flache Schüssel aus Amethyst.

Draußen vor dem Fenster konnte er die Riesenkuppel des Domes sehen, die wie ein dunkelndes Gestirn über den schatteneingehüllten Häusern ragte, und die müden Wachen, die auf der nebelumflorten Terrasse am Strome auf und nieder schritten. Fern, irgendwo in einem Garten schlug eine Nachtigall. Leiser Jasmingeruch drang durch das offene Fenster herein. Er strich die braunen Locken aus der Stirn zurück und griff dann zu einer Laute, über deren Saiten er die Finger gleiten ließ. Seine schweren Lider senkten sich und eine seltsame Müdigkeit überkam ihn. Nie zuvor hatte er mit allen Fibern, noch nie so voll tiefer Freude den Zauber und das Geheimnis der Schönheit auf sich einwirken gefühlt.

Als die Mitternachtsstunde vom Turme schlug, berührte er eine Glocke und seine Pagen traten ein und entkleideten ihn mit umständlicher Förmlichkeit, gössen ihm duftendes Rosenwasser über die Hände und streuten reichlich Blumen über die Kissen hin. Wenige Augenblicke darauf hatten sie das Gemach verlassen, und er schlief ein.

 

2.

Und wie er so schlief, träumte er einen Traum. Und dies war sein Traum:

Es war ihm, er stünde in einer schmalen niedrigen Dachkammer inmitten sausender, klappernder Webstühle. Das kümmerliche Tageslicht schlich durch das vergitterte Fenster und zeigte ihm die abgemagerten Gestalten der Weber, die sich über ihre Nahmen beugten. Blasse, kränklich aussehende Kinder kauerten auf den schweren Balken. Wenn die Webschiffchen durch den Einschlag schossen, hob sich das Richtscheit auf, und wenn die Schiffchen aussetzten, ließen sie das Richtscheit wieder herabfallen und pressten die Fäden aneinander. Die Gesichter der Leute waren hungerverzerrt und ihre dünnen Arme und Hände schlotterten in den Gelenken. An einem Tische hockten abgemagerte Weiber und säumten an Stoffen. Ein beklemmender Geruch erfüllte den Raum, und die Luft war dick und fäulnisschwanger und von den Wänden sickerte es in nassen Tropfen hernieder.

Der junge König trat zu einem Weber, stellte sich neben ihn und sah ihm zu.

Und der Weber blickte ihn gehässig an und sprach: »Was siehst du mir denn so zu? Bist du ein Kundschafter, den unser Herr über uns gesetzt hat?«

»Wer ist dein Herr?«, fragte der junge König.

»Unser Herr?«, rief der Weber bitteren Tones. »Er ist ein Mensch wie ich. Wahrhaftig, nur ein kleiner Unterschied besteht zwischen ihm und mir: Er trägt schöne Kleider, während ich in Lumpen laufe, und er leidet nicht weniger durch Völlerei, als ich schwach vor Hunger bin.«

»Das Land ist frei«, sprach der junge König, »und du bist keines Menschen Knecht.«

»Im Kriege«, erwiderte der Weber, »macht sich der Starke den Schwachen zum Knecht, und im Frieden macht sich der Reiche den Armen zum Knecht. Wir müssen arbeiten, um zu leben; sie aber geben uns einen Schandlohn, sodass wir rein sterben müssen. Wir frönen für sie von früh bis spät, und sie häufen Gold an in ihren Truhen. Unsere Kinder welken vor der Zeit dahin. Und die Gesichter derer, die wir lieben, werden hart und ingrimmig. Unsere Füße keltern die Trauben und ein anderer schlürft den Wein. Wir säen das Korn, aber unsere Speicher bleiben leer. Wir tragen Ketten, obgleich sie kein Auge sieht, und wir sind Knechte, obgleich man uns Freie schimpft.«

»Ist dem wirklich so?«, fragte der König.

»Alldem ist wirklich so«, entgegnete der Weber. »Bei den Jungen ist’s so und bei den Alten, bei den Frauen und bei den Männern, bei den kleinen Kindern wie bei jenen, die das Alter lahm gemacht hat. Die Krämer zermürben uns und wir vermögen nichts dagegen auszurichten: Wir müssen tun, was sie uns gebieten. Der Priester reitet vorüber und betet seinen Rosenkranz. Für uns aber sorgt kein Sterblicher. Durch unsere sonnenlosen Gassen schleppt sich die Armut mit glanzlos stieren Hungeraugen und ihr auf dem Fuße folgt die Sünde mit verquollenem Angesichte. Frühmorgens macht uns das Elend munter und nachts sitzt die Schande an unserem Bett. Doch was soll dir all dies? Du bist keiner von den Unseren. Aus deinen Zügen strahlt zu viel Glück.«

Und mürrisch wandte er sich ab und warf das Schiffchen durch den Webstuhl, und der junge König sah, dass es einen Goldfaden nach sich zog.

Und ihn befiel tiefes Entsetzen und er sprach zum Weber: »Welch Gewand webest du da?«

»Das Krönungsgewand des jungen Königs«, erwiderte jener. »Doch was kümmert das dich?«

Und der junge König stieß einen lauten Schrei aus und erwachte und siehe: Er war in seinem eigenen Gemach, und durch das Fenster sah er den großen Mond wie eine honigfarbene Laterne in den Lüften hängen.

 

3.

Und wieder fiel er in Schlaf und träumte. Und dies war sein Traum:

Ihm war, als läge er auf dem Deck einer großen Galeere, die Hunderte von Sklaven dahinruderten. Auf einem Teppich, ihm zur Seite, saß der Besitzer der Galeere. Er war schwarz anzusehen wie Ebenholz, und sein Turban war aus knallroter Seide. Breite Silberringe hingen schwer in seinen dicken Ohrlappen und zogen sie förmlich nieder, und in den Händen hielt er zwei elfenbeinerne Waagschalen.

Die Sklaven waren alle nackt bis auf einen zerlumpten Lendenschurz, und jeder Mann war an seinen Nachbar angekettet. Heiße Sonnengluten brannten auf sie nieder, und die Neger liefen das Fallreep auf und ab und peitschten ihre Rücken mit schneidend harten Riemen. Sie streckten die mageren Arme aus und zogen die plumpen Ruder durch die Wassermassen, sodass die salzige Gischt hoch aufspritzte.

Endlich erreichten sie eine kleine Bucht und fingen an zu loten. Ein leichter Wind blies vom Lande herüber und hüllte Deck und Raasegel in eine Wolke feinen, roten Staubes. Drei Araber kamen auf wilden Mauleseln angesprengt und schleuderten ihre Speere nach ihnen. Der Besitzer der Galeere griff aber nach einem bunten Bogen und schoss einem von ihnen durch die Kehle, sodass er schwer vornüber in die Brandung stürzte, worauf seine Gefährten davon galoppierten. Ein in gelbe Schleier gehülltes Weib folgte langsam auf einem Kamele sitzend und blickte von Zeit zu Zeit nach dem Leichnam zurück.

Sobald sie Anker geworfen und das Segel gerafft hatten, stiegen die Neger in den Kielraum und holten eine lange Strickleiter herauf, die mit starken Bleigewichten beschwert war. Der Besitzer der Galeere warf sie über Bord und befestigte die beiden Enden an zwei eisernen Haken. Dann ergriffen die Neger den jüngsten der Sklaven. Sie schlugen seine Fesseln entzwei, füllten ihm Nasenlöcher und Ohren mit Wachs und banden einen großen Stein um seine Hüften. Müde kroch er die Leiter hinab und verschwand im Meere. Einzelne Luftblasen stiegen quirlend da auf, wo er versunken war, und etliche der anderen Sklaven spähten neugierig über Bord. Vorne, am Bug der Galeere, saß ein Haifischbeschwörer und wirbelte eintönig auf seiner Trommel.

Nach einiger Zeit stieg der Taucher wieder aus den Tiefen empor und klammerte sich schwer keuchend an der Leiter an: Seine Rechte hielt eine Perle. Die Neger entrissen sie ihm und schleuderten ihn ins Meer zurück. Die Sklaven schliefen indessen über ihren Rudern ein.

Wieder und wieder tauchte der andere auf. Und so oft er sich zeigte, brachte er eine schöne Perle mit sich nach oben. Der Besitzer der Galeere wog sie und steckte sie alle in einen kleinen grünen Ledersack.

Der junge König versuchte zu sprechen, aber die Zunge klebte ihm am Gaumen fest und seine Lippen versagten den Dienst. Die Neger schwatzten miteinander und fingen an, sich um eine Schnur leuchtender Perlen zu streiten. Zwei Kraniche umkreisten dabei unablässig das Schiff.

Zum letzten Mal kam der Taucher nach oben, und die Perle, die er jetzt mitbrachte, war schöner anzusehen als die Perlen des Ormuz. Denn sie war an Form dem Vollmond gleich und bleicher und weißer als der Morgenstern. Ein Zittern rann noch durch seine Glieder und dann lag er still da. Die Neger zuckten die Schultern und warfen den Körper über Bord.

Und der Besitzer der Galeere lachte, streckte die Hand nach der Perle aus, und als er sie betrachtet hatte, drückte er sie an seine Stirne und neigte sich tief. »Sie soll«, sprach er, »für das Zepter des jungen Königs sein«, und er gab den Negern ein Zeichen die Anker zu lichten.

Und da dies der jungen König vernahm, stieß er einen lauten Schrei aus und erwachte, und sah durch das Fenster die langen grauen Finger der Dämmerung nach den erbleichenden Sternen greifen.

 

4.

Und wieder fiel er in Schlaf und träumte. Und dies war sein Traum:

Ihm war, als wanderte er durch einen düsteren Wald, worin seltsame Früchte wuchsen und schöne, giftige Blumen. Nattern züngelten nach ihm, wo er vorüberging, und bunte Papageien flatterten kreischend von Ast zu Ast. Träge Riesenschildkröten schliefen im heißen Schlamme und die Bäume waren von Affen und schillernden Pfauen übervölkert.

Weiter und weiter ging er, bis er den Waldsaum erreichte. Dort ward er einer ungeheuren Menschenmenge ansichtig, die im Bette eines vertrockneten Stromes Frondienste tat. Wie Ameisen kribbelten und tummelten sie sich um die Felsblöcke herum. Sie stachen tiefe Gruben im Boden aus und stiegen darin hinab. Einige von ihnen zersprengten die steinigen Massen mit großen Äxten, andere wühlten im Sande. Sie rissen den Kaktus mit der Wurzel aus und zertraten die Scharlachblüten. Sie eilten sämtlich hin und her, schrien einander zu und keiner ging müßig.

Aus dem Dunkel einer Höhle spähten Tod und Habsucht nach ihnen und der Tod sprach zur Habsucht: »Ich bin müde. Gib mir ein Drittel von ihnen, so will ich meines Weges ziehen.«

Die Habsucht aber schüttelte das Haupt und entgegnete: »Es sind meine Knechte.« Und der Tod sprach zu ihr: »Was hältst du da in deinen Händen?«

»Drei Getreidekörner halte ich da in meinen Händen«, entgegnete sie, »was aber geht das dich an?«

»Gib mir eines davon!«, rief der Tod. »Ich will es in meinen Garten pflanzen. Nur eines gib mir, und dann will ich meines Weges gehen.«

»Gar nichts will ich dir geben«, sprach die Habsucht und verbarg die geizige Hand in den Falten ihres Gewandes.

Und der Tod lachte, und nahm eine Schale und tauchte sie in einen Wassertümpel. Und aus der Schale stieg das Sumpffieber auf. Es lief durch die große Menschenmenge und der dritte Teil von allem Leben lag tot. Ein kalter Nebel folgte darauf und die Wasserschlange lief neben ihm daher.

Und als die Habsucht sah, dass der dritte Teil der Menge tot war, schlug sie sich an die Brust und heulte. Sie schlug ihre trockenen Brüste und schrie laut:

»Du hast den dritten Teil aller meiner Knechte gemordet, hebe dich nun von hinnen! In den Bergen der Tartarei wütet der Krieg und die Könige beider Parteien rufen dich. Die Afghanen haben die schwarzen Ochsen gefällt und ziehen aus in den Streit. Mit ihren Speeren haben sie dröhnend auf die Schilde geschlagen und ihre Eisenhelme aufgestülpt. Was gilt dir mein Tal, dass du hier verweilen solltest? Hebe dich von hinnen und kehre nicht wieder hierher zurück!«

»Nimmermehr«, entgegnete der Tod, »ich gehe nicht eher bis du mir eines deiner Getreidekörner gegeben hast.« Aber die Habsucht schüttelte den Kopf und knirschte wütend mit den Zähnen. »Nichts will ich dir geben«, murmelte sie, »gar nichts!«

Und der Tod lachte und nahm einen schwarzen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn tief in den Wald hinein, und aus dem Dickicht wilden Schierlings kam die Tollwut in einem purpurflammenden Kleide und glitt durch die Menschenmenge dahin und berührte sie, und jedermann starb, den sie berührte. Das Gras vertrocknete unter ihren Füßen, wo sie lautlos darüber hinglitt.

Und die Habsucht erschauerte und streute Asche auf ihr Haupt. »Du bist grausam«, rief sie, »du bist grausam. In den mauerumgürteten Städten Indiens herrscht Hungersnot und die Zisternen von Samarkand sind vertrocknet; Hungersnot herrscht in den mauerumgürteten Städten Ägyptens und die Heuschrecken sind in Schwärmen aus der Wüste eingefallen. Der Nil hat seine Ufer nicht befruchtet und die Priester haben der Isis und dem Osiris geflucht. Hebe dich fort von hier und hin zu jenen, die nach dir dürsten, und lass mir meine Knechte am Leben.«

»Nimmermehr«, entgegnete der Tod grinsend, »ich will nicht eher gehen, bis du mir ein Getreidekorn gegeben hast.« – »Nichts will ich dir geben«, entgegnete die Habsucht, »gar nichts.«

Und wieder lachte der Tod, und pfiff durch die Finger und ein Weib kam durch die Lüfte geflogen. »Pest« stand auf ihrer Stirn geschrieben und eine Schar fleischloser Geier umkreiste sie, die das Tal mit ihren Schwingen deckten, sodass kein Sterblicher am Leben blieb.

Und die Habsucht floh schreiend durch den Wald davon. Der Tod aber sprang auf sein rotes Roß und sprengte von hinnen. Sein Ritt brauste schneller als des Windes Wehen.

Und aus dem Schlamm im Kessel des Tales krochen hervor Drachen und fürchterliche schuppige Tiere, und Schakale kamen über den Sand gelaufen und witterten mit gierigen Nüstern nach rechts und links.

Und der junge König schluchzte und sprach: »Wer waren jene Männer und wonach suchten sie?«

»Sie suchten nach Rubinen für eines Königs Krone«, antwortete einer, der hinter ihm stand. Und der junge König erschrak und wandte sich um. Da sah er einen Mann, der wie ein Pilger gekleidet war und einen Silberspiegel in Händen trug. Und er erbleichte und sprach: »Welches Königs?« Da antwortete der Pilger: »Blick in diesen Spiegel und du wirst ihn sehen.«

Und er blickte in den Spiegel und sah sein eigenes Antlitz. Da schrie er laut auf und erwachte. Das helle Sonnenlicht strömte in das Gemach. Und auf den Bäumen im Garten und über den lauschigen Verstecken sangen die Vögel.

 

5.

Und der Kämmerer und die Würdenträger des Staates traten ein und huldigten ihm. Und die Pagen brachten ihm das Gewand aus Goldgewebe und legten Krone und Zepter vor ihn hin.

Und der junge König blickte die Kleinodien an. Und sie waren schön anzuschauen. Schöner waren sie als irgendein Ding, das er je gesehen hatte. Aber er entsann sich seiner Träume und sprach ernst zu seinen Großen: »Nehmt diese Dinge fort, denn ich will sie nicht tragen.«

Aber die Höflinge staunten und einige lachten, denn sie vermeinten, er scherze.

Doch er sprach nochmals tiefernst zu ihnen und sagte: »Nehmt diese Dinge weg und versteckt sie vor mir. Wenn dies auch der Tag meiner Krönung ist, so will ich sie doch nicht tragen. Denn auf dem Webstuhl der Sorge und von den bleichen Händen der Not ist dieses mein Gewand gewoben worden. Blut klebt im Herzen des Rubins und Tod im Herzen der Perle.« Und er erzählte ihnen seine drei Träume.

Und als die Höflinge die Träume hörten, blickten sie einander an und flüsterten und sagten: »Wahrlich, er ist wahnsinnig geworden! Denn, was ist ein Traum wohl anderes als ein Traum, und ein Gesicht mehr als ein Gesicht? Sie sind nicht Dinge der Wirklichkeit, auf die man achten musste? Was auch haben wir mit dem Leben jener zu schaffen, die für uns frönen? Soll ein Mensch nicht Brot genießen, ehe er den Sämann sah, noch Wein schlürfen, bevor er den Winzer befragte?«

Und der Kanzler sprach zum jungen Könige und sagte: »Herr, ich bitte dich, lass ab von all den düsteren Gedanken, und kleide dich in dieses prächtige Gewand und setze diese schimmernde Krone auf dein Haupt. Denn wie soll das Volk wohl wissen, dass du sein König bist, wenn du nicht eines Königs Kleid und Würden trägst?«

Und der junge König blickte ihn an. »Ist dem wirklich so?«, fragte er. »Werden sie mich nicht als ihren König anerkennen, solange ich nicht eines Königs Kleid trage?«

»Sie werden dich nicht erkennen, Herr!«, rief der Kanzler.

»Ich wähnte, es habe Männer gegeben, deren Augen wie die eines Königs blickten«, entgegnete er. »Doch vielleicht ist es so, wie du sprichst. Aber dennoch will ich dies Gewand nicht tragen, noch mag ich mich mit dieser Krone krönen lassen. Nein, genau so wie ich einzog in das Schloss, will ich aus ihm wiederum hervorgehen.«

Und er hieß alle ihn zu verlassen, einen Pagen ausgenommen, den er wie seinen Freund hielt, einen Knaben, der ein Jahr jünger war als er selbst. Diesen nur behielt er zu seiner Bedienung bei sich. Und als er sich im klaren Wasser gebadet hatte, öffnete er eine große bemalte Truhe und nahm daraus das Lederwams und den großen Schaffellmantel, die er getragen hatte, zur Zeit, als er noch am Hügelhange des Hirten zottige Ziegen hütete. Die legte er an, und in die Hand nahm er den kunstlosen Hirtenstab.

Und der kleine Page öffnete die großen blauen Augen weit, des Staunens voll, und sprach lächelnd zu ihm: »Herr und Gebieter, wohl sehe ich dein Gewand und auch dein Zepter, wo aber ist deine Krone?«

Und der junge König pflückte einen Zweig wilder Rosen, die den Altan umschlangen, und bog ihn sich zum Reif und drückte ihn sich aufs blonde Haupt.

»Dies soll meine Krone sein«, erwiderte er.

Und also angetan trat er aus seinen Gemächern in die offene Halle hinaus, wo die Edelleute seiner harrten.

Und die Edelleute spotteten und etliche riefen ihm zu: »Herr, das Volk harrt eines Königs, und du sendest ihm einen Bettelmann.« Und andere waren voller Entrüstung und sprachen: »Er bringt Schande über unser Land, und er ist nicht würdig unser Herr zu sein.« Er aber erwiderte nicht ein einziges Wort, sondern schritt an ihnen vorüber und stieg die helle Treppe aus schimmerndem Porphyr hinab und ging hinaus durch die erzenen Tore, und bestieg sein Pferd und sprengte dem Dome zu, während ihm der kleine Page zur Seite lief.

Und das Volk lachte und schrie: »Da reitet der Narr des Königs vorbei!« Und sie verhöhnten ihn.

Und er zog die Zügel an und sprach: »Nicht doch, ich bin es, euer König !« Und er erzählte ihnen seine drei Träume.

Ein Mann aber trat aus der Menge hervor, dessen Antlitz voll Bitterkeit schien und sagte: »Herr, weißt du nicht, dass das Leben des Armen aus dem Überflusse des Reichen strömt? Euer Prunk nährt uns, und eure Laster geben uns Brot. Für den harten Herrn zu frönen, ist bitter; noch bitterer aber ist es, keinen Herrn zu haben, für den man frönen darf. Meinst du etwa, dass uns die Raben speisen werden? Und welche Abhilfe willst du dem Lauf der Welt bringen? Willst du dem Käufer gebieten: Du sollst für so und so viel kaufen, und dem Verkäufer: Du sollst zu diesem Preis verkaufen? – Ich meine, nein. Da­rum reite zurück in dein Schloss und kleide dich in Purpur und feines Linnen. Was hast du mit uns zu schaffen, die wir leiden?«

»Sind nicht die Reichen und die Armen Brüder?«, fragte der junge König.

»Seit jeher sind sie Brüder«, entgegnete der Mann. »Und der Name des reichen Bruders ist Kain.«

Da füllten sich die Augen des jungen Königs mit Tränen und er ritt vorwärts, vom Murren des Volkes begleitet. Und den kleinen Pagen ergriff Angst und er verließ ihn.

 

6.

Und als er vor die breite Türe des Domes kam, streckten die Kriegsleute die Hellebarden vor und sprachen: »Was suchst du hier? Keiner tritt durch diese Tür ein, es sei denn der König.«

Und sein Angesicht rötete sich vor Zorn und er sprach zu ihnen: »Ich bin euer König«, und stieß die Hellebarden zur Seite und schritt hinein.

Und wie ihn der alte Bischof in seinem Hirtenkleide kommen sah, erhob er sich verwundert von seinem Throne, schritt ihm entgegen und sprach zu ihm: »Mein Sohn, ist dies eines Königs Gewandung? Wo ist die Krone, mit der ich dich krönen, und das Zepter, mit dem ich deine Hand belehnen soll? Wahrlich, dieser Tag sollte für dich ein Tag der Freude sein und nicht ein Tag der Erniedrigung.«

»Soll sich die Freude in das Gespinst des Leides kleiden?«, fragte der junge König. Und er erzählte seine drei Träume.

Und da sie der Bischof vernommen hatte, zogen sich seine Brauen zusammen und er sprach: »Mein Sohn, ich bin ein alter Mann und stehe im Winter meiner Tage und ich weiß, dass in der weiten Welt viel üble Dinge geschehen. Trotzige Räuber steigen von den Bergen nieder und tragen die Kindlein davon und verkaufen sie den Mauren. Löwen kauern und spähen nach den Karawanen aus und stürzen sich auf die Kamele. Wilde Eber entwurzeln das Korn im Tale, und Füchse benagen den Wein auf den Hügeln. Seeräuber verwüsten die Küsten, und verbrennen dem Fischer die Schiffe und rauben ihm die Netze. In den salzigen Sümpfen leben Aussätzige; ihre Häuser sind aus geflochtenem Rohr und keiner darf ihnen nahen. Bettler schleichen durch die Stadt und würgen ihr schimmliges Brot mit den Hunden hinunter. Kannst du denn all dies ungeschehen machen? Willst du den Aussätzigen zu deinem Bettgenoss erwählen und den Bettler an deiner Tafel sitzen lassen? Soll der Löwe tun, wie du befiehlst, und sollen dir die wilden Eber gehorchen? Ist er, der das Elend schuf, nicht weiser als du? Darum rühme dich nicht um dessentwillen, was du getan hast. Nein, ich befehle dir, in das Schloss zurückzureiten und Freude über dein Angesicht auszugießen und deinen Leib mit der Gewandung zu kleiden, die einem König ziemt. Und mit der goldenen Krone will ich dich krönen und das Perlenzepter will ich dir in die Hände legen. Deiner Träume aber gedenke nicht mehr. Die Not dieser Welt ist zu groß, als dass sie ein Mann tragen könnte, und der Kummer der Welt ist zu schwer, als dass ein Herz ihn leide.«

»Sprichst du so in diesem Hause?«, fragte der junge König und schritt am Bischofe vorbei und schritt die Stufen des Altars hinan und stand vor dem Bilde Christi.

Er stand vor dem Bilde Christi; und zu seiner rechten Hand und zu seiner linken Hand standen die herrlich getriebenen Goldgefäße, und die edelsteinbesetzten Kelche voll gelben Weines und die Phiolen, angefüllt mit dem heiligen Öle. Er kniete nieder vor dem Bilde Christi und die hohen Kerzen brannten hell vor dem mit funkelnden Juwelen ausgelegten Schreine und die duftenden Wolken des Weihrauches ringelten sich in schmalen blauen Kränzen zitternd durch den Dom. Er neigte das Haupt im Gebete und die Priester in ihren steifen Goldgewändern schlichen vom Altare fort.

Und plötzlich ertönte ein wildes Lärmen von der Straße her, und herein stürzten die Edelleute mit gezückten Schwertern und wehendem Federschmuck und mit Schilden aus blinkendem Stahl. »Wo ist dieser Träume Träumer?«, riefen sie. »Wo ist dieser König, der wie ein Bettelmann einhergeht? Dieser Knabe, der Schmach über unser Land bringt? Wir wollen ihn töten. Denn wahrlich, er ist nicht würdig, über uns zu herrschen.«

Und wieder beugte der König das Haupt und betete. Und da er sein Gebet beendet hatte, stand er auf und wandte sich um und blickte sie alle traurig an.

Und siehe: Durch die gemalten Fenster strömte das Sonnenlicht auf ihn herab, und die Sonnenstrahlen wanden um ihn ein Prunkgewebe, weit herrlicher als das Gewand, das zu seiner Lust und Freude angefertigt ward, und der tote Stab erblühte in seiner Hand und trug Lilien, die weißer als Perlen waren. Der trockene Dorn erblühte und trug Rosen, die röter als Rubine waren. Weißer als edle Perlen waren die Lilien, und ihre Stiele waren von lichtem Silber. Roter als Blutrubinen waren die Rosen, und ihre Blätter glitzerten aus getriebenem Golde. Er stand da in eines Königs Gewand und es war, als erfülle Gottes Herrlichkeit den Raum. Und die Heiligen schienen sich in den geschnitzten Nischen zu bewegen. Im Prunkgewande eines Königs stand er vor ihnen, und der Orgel entströmten Melodien, und die Trompeter bliesen auf ihren Trompeten, und die Chorknaben sangen.

Das Volk aber fiel vor andächtiger Scheu in die Knie, und die Edelleute bargen die Schwerter in ihren Scheiden und huldigten ihm. Und das Angesicht des Bischofs wurde bleich und seine Hand erzitterte: »Ein Größerer als ich hat dich gekrönt!«, rief er und er kniete vor ihm nieder.

Und der junge König stieg die Stufen des Hochaltars herab und schritt heimwärts, mitten dahin durch die Menge. Kein Sterblicher aber wagte es, ihm in das Angesicht zu schauen, denn es glich dem Angesichte eines Engels.

Der Geburtstag der Infantin

1.

E

s war der Geburtstag der Infantin. Zwölf Jahre war sie grade alt geworden, und die Sonne glitzerte hell auf die Gärten des Palastes hinab. War sie auch eine wirkliche Prinzessin und Infantin von Spanien, so hatte sie doch alljährlich nur einen Geburtstag, ganz wie gewöhnlicher Leute Kinder. Deshalb war es denn auch für das ganze Land eine Sache von der allerhöchsten Wichtigkeit, dass ihr hierfür ein wirklich schöner Tag beschert werde. Und ein wirklich schöner Tag war der heutige gewiss.

Die schlanken gestreiften Tulpen streckten sich kerzengerade auf ihren Stielen empor, gleich dichten Reihen von Soldaten und blickten verächtlich über den Nasen hinweg auf die Rosen hinunter und sprachen: »Jetzt sind wir genau so prächtig wie ihr.« Die purpurfarbenen Schmetterlinge schwirrten auf goldbestaubten Flügeln umher und statteten den Blumen, einer nach der anderen, flüchtige Besuche ab. Die kleinen Eidechsen huschten aus den Mauerritzen hervor und lagen nun da, sich badend im weißen Sonnenlichte; und die Granatäpfel brachen auf und barsten unter der Glut und zeigten ihre blutendroten Herzen. Selbst die blassen, gelben Zitronen, die in solcher Fülle von dem schon morsch werdenden Geländer herab und längs dunkler Bogengänge hingen, schienen in dem flammenden Sonnenscheine farbensatter auszusehen, und die Magnolienbäume erschlossen ihre großen erdballrunden Blüten wie aus zartgespaltenem Elfenbein und schwängerten die Luft mit heißen, schweren Düften.

Das Prinzesschen selbst aber ging mit seinen Gespielen die Terrasse auf und nieder und spielte Versteck hinter den runden Vasen aus Stein und den alten moosbewachsenen Statuen. An gewöhnlichen Tagen war es ihr nur erlaubt, mit Kindern ihres eigenen Ranges zu spielen, und sie musste sich daher immer und immer wieder für sich allein ihre Spiele suchen. Ihr Geburtstag aber war ein ganz besonderer Tag, und der König hatte Befehl gegeben, dass sie alle jungen Freunde und Freundinnen, die ihr lieb waren, zu sich bitten dürfe, um mit ihnen fröhlich zu sein. Es lag eine würdevolle Anmut über diesen feingliedrigen spanischen Kindern, wie sie so umherhuschten, die Knaben mit ihren breitbefederten Hüten und kurzen flatternden Mänteln, die Mädchen mit langen Gewändern aus Brokat, deren Schleppe sie rafften, und riesigen Fächern aus Schwarz und Silber, mit denen sie die Augen vor dem Sonnenlicht schützten. Doch die Anmutreichste von allen war und blieb die Infantin, in der etwas beschwerlichen Mode jener Zeit am geschmackvollsten Geschmückte. Ihre Tracht war ein grauer Atlas. Der Nock und die weitgebauschten Ärmel waren mit schwerer und erhabener Silberstickerei besetzt und das steife Mieder strotzte von Reihen schöner Perlen. Zwei winzige Pantöffelchen mit großen, rosenfarbenen Rosetten lugten unter ihrem Kleide bei jedem Schritte neugierig lustig hervor. Rosenfarbig und perlgrau war ihr mächtiger Gazefächer, und eine schöne weiße Rose trug sie in ihrem Haare, das wie ein starrer Glorienkranz verblichenen Goldes rund um ihr blasses Gesichtchen stand.