Ost-Erfahrung - Nicola Haardt - E-Book

Ost-Erfahrung E-Book

Nicola Haardt

4,8

Beschreibung

Lange war es nur ein Traum, dann packt Nicola Haardt ihr Fahrrad und fährt los - immer gen Osten. Ihr Ziel ist der Baikalsee, mehr als 6.000 km Luftlinie von ihrer Heimat entfernt. Ihr Weg führt sie durch Europa über den Ural bis nach Sibirien und Zentralasien. Aus dem Inhalt: Ein halbes Jahr lang radelt Nicola Haardt durch Osteuropa, das Baltikum und Russland, bis sie den Baikal erreicht. Überwältigt entscheidet sie spontan, dort in Sibirien zu überwintern, bevor sie über die Stan-Staaten den Rückweg antritt. Letztendlich ist sie 1 ½ Jahre unterwegs, legt 20.000 km auf dem Rad zurück. Mit ihrer Ost-Erfahrung lässt sich Nicola auf ein Abenteuer ein zwischen sibirischer Tiefebene und dem Hochgebirge Zentralasiens, zwischen einsamer Lagerfeuerromantik und sich unter unglaublicher Gastfreundschaft biegenden Tischen. Sie genießt die Taufe in einem Eisloch im sibirischen Winter und übersteht die unerträgliche Hitze in der Wüste Usbekistans. Zu ihrem größten Ansporn werden die Menschen unterwegs; mal ist es ein kurzer Gruß vom Straßenrand, mal ein ausgedehntes Klavierkonzert auf einer Datscha. Persönlich und humorvoll beschreibt die Autorin diese eindrucksvollen Begegnungen. Kommen Sie mit auf diese außergewöhnliche Reise tief in den Osten!

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Bildnachweis:

Die Bilder des Textteils: Nicola Haardt

S. 162 Igor Alferow, S. 192 Sergej Ignatenko

Coverfoto: Nicola Haardt

Kartenicon: © Stepmap GmbH, Berlin

Karte: © Nicola Haardt, Kartengrundlage maps-for-free.com

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2015 traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag, Hamburg

www.reiseliteratur-verlag.de

www.traveldiary.de

Der Inhalt wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Bei Interesse an Zusatzinformationen, Lesungen o.ä. nehmen Sie gerne Kontakt zu uns auf.

Umschlagentwurf und Layout: Jürgen Bold, Jens Freyler

Satz: Jens Freyler

Druck: Standartu Spaustuve

ISBN 978-3-944365-64-0 eISBN 978-3-944365-74-9

Nicola Haardt

Ost-Erfahrung

Mit dem Rad von Bochum zum Baikal

 

Inhalt

vorweg

tief in den Osten …

Aller Anfang ist gar nicht so schwer

Kaliningrad – Grenzerfahrung & erste Freunde

Weiter durchs Baltikum: Litauen und Lettland

Russland - aller Anfang ist doch nicht so einfach

Zentralrussland – Zwiebeltürme, Wolga & Co

Ural – Zähne zusammenbeißen und durch

Sibirien – die herbeigesehnte Tiefebene

Zeit für Urlaub – ein Abstecher nach Tuwa

Endspurt

tief im Osten …

Am Baikal – einfach unglaublich

Winterschlaf – oder was macht man in Sibirien sonst?

Feiertage

Winterausflüge: glatte walenki & eisfester Wanjuscha

Der Abschied naht

tief aus dem Osten …

Zwar traurig, aber endlich wieder unterwegs

Durch die Steppe Kasachstans

Wanjuscha wird krank

Wir radeln nach Kirgisistan

Rund um den Issyk-Köl gibt es Überraschungen

Durch die Berge ins Ferganatal

Usbekistan – Land der Extreme

Kasachstan, diesmal mehr Wüste als Steppe

Nochmal ein Stückchen Russland

Zivilisationsschock auf der Krim & erholsame Ukraine

Vertrautes Polen

„Willkommen“ in Deutschland

Häufig verwendete russische Begriffe

vorweg

Ahhh, ich liege in meinem Zelt - alleine. Es ist stockfinster und draußen tobt ein Unwetter, ich befinde mich weit ab jeglicher Zivilisation. Um mich herum nichts als Stille. Nein - eigentlich ist es gar nicht still, denn der Sturm heult, unheimlich knarren die Äste der Bäume, dann und wann brechen laut krachend Zweige. Regen prasselt auf das Zelt, der Wind reißt an den flatternden Wänden und dazwischen immer wieder wilde Tierschreie. Es hört sich so an, als käme gleich eine ganze Horde wutentbrannter Bären in meine Richtung gestürmt - wohl empört darüber, dass ich auf ihrem Territorium mein Zelt aufgestellt habe.

Etwas später ändern sich die Geräusche, eine Gruppe besoffener Russen nähert sich meinem Zelt, umkreisen es – immer enger. Sie bedrohen mich. Was wollen die von mir? Mich ausrauben? Vergewaltigen? Sie grölen aggressiv unverständliche Wortfetzen – ich verstehe nix, außer, dass sie keinen Spaß verstehen. Wo kommen die aus dem Nichts her? Und dann wieder die Bären, immer lauter wird ihr Stampfen und Brummen, immer aufdringlicher die Betrunkenen. Männergeschrei vermischt sich mit dem Bärengeheul, sie haben zusammen mein Zelt eingekesselt – es gibt keinen Ausweg mehr … Schweißgebadet wache ich auf, sitze aufrecht im Bett und lausche: Draußen stürmt es wirklich, der Wind heult und Regen prasselt ans Fenster, es ist stockdunkel. Immer noch sitzt mir die Angst im Nacken, Panik macht sich breit. Was um Himmels Willen habe ich da vor? Ich befinde mich in einer ehemaligen Stasi-Kaserne in Potsdam, heute ist es ein Studentenwohnheim. Um Geld zu sparen, habe ich mich hier für drei Monate zur Zwischenmiete einquartiert. Bin ich total übergeschnappt? Seit ich meinen Pass weggegeben habe, um ein russisches Jahresvisum1 zu beantragen, habe ich fast nächtlich diese Albträume. Dabei will ich doch nur eine Radtour machen …

Ziemlich genau vier Jahre später befinde ich mich an einem der wohl schönsten Orte der Erde und ich schlafe so gut wie lange nicht mehr. Keine Albträume, im Gegenteil. Es umgibt mich eine friedliche Ruhe, es ist Winter und draußen schneit es sanft. Ich bin wieder zurückgekehrt nach Olchon, einer Insel im Baikalsee. Zu meinem Lieblingsplatz in Russland, um endlich die unglaubliche Zeit auf dem Rad schriftlich festzuhalten.

Noch immer kommen mir die Tränen, wenn ich zurückkehre und ich habe jedes Mal diesen Kloß im Hals. Immer wieder verliebe ich mich neu. Der Ort hat eine magische Ausstrahlung auf mich. Es ist mehr als nur die Schönheit und Einzigartigkeit der Natur, die Herzlichkeit der Menschen, ihr einfaches und hartes Leben, was mich fasziniert. Was ich empfinde, wenn ich hier bin, kann man vielleicht besser verstehen, wenn ich ganz von vorne beginne: ungefähr bei den Albträumen.

Schon einige Jahre hatte ich den Wunsch, mich auf mein Rad zu setzen und gen Osten zu fahren. Noch früher war es der Wunsch, einmal um die Erde zu radeln. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch immer mehr eine Richtung herauskristallisiert: Nach Osten muss es gehen. Warum? Keine Ahnung, aber es ist einfach meine Himmelsrichtung - dieser Drang ist da! Allerdings gibt es ja auch noch den inneren Schweinehund, da kann man träumen so viel man will, aber auch zu handeln – gar nicht so einfach.

Eigentlich sollte ich demjenigen danken, der mir 2002 im Borgentreicher Liebestal – dort wo ich dachte, dass die Welt noch in Ordnung sei – das vor meinem Bulli parkende Rad geklaut hat. Während ich seelenruhig im Auto schlief. Damals habe ich die Tragweite des Ganzen nicht begriffen, war entsetzt und unendlich traurig und enttäuscht, dass ein Dieb an diesem idyllischen Ort so gemein sein kann.

Eine Zeit lang bin ich auf den dreißig Jahre alten Möhren meiner Eltern geradelt und der eine Gang, der von den ursprünglich dreien übriggeblieben war, funktionierte auch wunderbar - aber so richtig viel Spaß hat es nicht gemacht. Ein neues Fahrrad musste her. Dummerweise war ich gerade in einer Weiterbildung zum GIS-Spezialisten2 und hatte wenig Geld. Trotzdem leistete ich mir ein für meine Verhältnisse teures Weltenbummler-Rad: ein robustes Reiserad mit wenig Schnickschnack aber verlässlichen Komponenten. Für den Alltag und „normale“ Fahrradurlaube sicherlich etwas überdimensioniert – aber ich kenne ja meinen inneren Schweinehund. Die Ausrede „ich würde ja sofort losfahren nach Russland, leider hab ich kein geeignetes Fahrrad“ hatte ich ab sofort nicht mehr! Schon mal eine weniger …

Es ist dann noch eine ganze Zeit vergangen, erst einmal war Arbeiten und Geld verdienen angesagt. Irgendwann knickte mein freiberuflicher Auftragsboom ein, doch ich hatte ein kleines Geldpolster angespart und war ungebunden. Wenn ich also wirklich radeln und nicht nur träumen wollte – einen besseren Moment konnte es wohl nicht geben!

Ich fing an zu rechnen und zu planen. Wie viel Zeit habe ich, bevor der sibirische Winter meiner Radtour ein natürliches Ende bereitet? Fahre ich früh genug in Deutschland los, habe ich vermutlich ein halbes Jahr. Beim Planen merke ich: Ich brauche ein Ziel. Osten als Himmelsrichtung alleine reicht mir nicht, das war mir irgendwie zu unkonkret. Ich rechnete Kilometer zusammen, schaute auf die Karte: Fünf Zentimeter, das könnte ich ungefähr in einem Monat schaffen. Sechs mal fünf – 30 Zentimeter von Bochum entfernt, war im Osten auf der Karte ein langgezogener, nicht zu übersehender See – der Baikal. Na, den kann man ja gar nicht verfehlen – ein ideales Ziel also! Außerdem ein Name, den man kennt, auch wenn ich bisher wenig mit ihm verband. Aber eigentlich war es mir auch gar nicht so wichtig, ihn zu erreichen, ehrlich gesagt lag es sogar außerhalb meiner Vorstellungskraft, jemals dort anzukommen. Ich brauchte einfach nur etwas, das ich anpeilen konnte. Mein Motto war das von vielen Reisenden: Der Weg ist das Ziel.

Wie weit ich dem Weg tatsächlich folgen würde, wollte ich von Tag zu Tag entscheiden - ich wollte auf jeden Fall nicht irgendwann bereuen, es nicht wenigstens versucht zu haben!

Am 19. März war es dann soweit - der Tag des Aufbruchs war gekommen. Allen Bedenken zum Trotz und voller Vorfreude auf das, was nun vor mir liegt und gespannt darauf, wie weit ich kommen werde, fuhr ich bei Nieselregen am späten Sonntagvormittag mit voll bepacktem Rad tief im Westen – in Bochum - los. Bereits Berlin kam mir in diesem Moment verdammt weit weg vor. Und wenn ich es bis dorthin schaffte, hätte ich es bereits tief in einen Osten – eben den von Deutschland – geschafft. Es kommt einfach nur auf die Sichtweise an! Dafür allerdings hätte ich kein russisches Visum gebraucht …

 

1    Leider gibt es dieses Jahresvisum nicht mehr, statt 365 darf man mittlerweile nur noch für maximal 2 × 90 Tage im Jahr einreisen.

2    GIS = Geographische Informationssysteme

Aller Anfang ist gar nicht so schwer

Hurra, endlich bin ich unterwegs! Noch begreife ich meine Freiheit nicht, fahre einfach los, denke nicht viel nach. Zuviel musste in letzter Minute noch organisiert werden, der Abschied ist eher verhalten und leise. Wer weiß denn schon, ob ich nicht in zwei Wochen wieder zurück bin? Ich schließe das nicht aus. Zu wenig kann ich mir vorstellen, was auf mich zukommt - ob es alleine nicht zu langweilig, gefährlich oder umständlich ist.

Noch ist außerdem alles so vertraut. Schließlich radel ich nicht zum ersten Mal das Ruhrtal entlang. Wobei mir zu dieser frühen Jahreszeit als voll bepackter Radtourist bereits hier in Deutschland neugierige Blicke folgen. Irgendwo in Niedersachsen fragen mich Sonntagsspaziergänger interessiert: „Wohin soll’s denn gehen?“ Ich rufe ihnen im Vorbeifahren zu: „Nach Russland!“ Ich ernte fröhliches Gelächter, als hätte ich ‘nen guten Witz gemacht. Da sagt man mal die Wahrheit … Lachend fahre ich weiter, ich kann’s ja selbst noch nicht so recht glauben.

Sowieso ist die Laune bestens: Den ersten Sonnenbrand und die sich von nun an ständig pellende Nase nehme ich gelassen hin, auch den Nachtfrost und Tagestemperaturen, die selten im zweistelligen Bereich liegen. Viel zu sehr genieße ich den Sonnenschein. Der Nieselregen vom ersten Tag ist schnell vergessen. Ebenso die Prognose eines guten Freundes, dass ich sicher, kaum raus aus Bochum, die erste Panne haben werde. Nein Thomas, es gibt keine Panne!

Nur, dass ich am ersten Tag bereits meinen Vorsatz breche, zum Eingewöhnen auf keinen Fall mehr als 80 Kilometer am Tag zu fahren. Am zweiten Tag werfe ich diesen mit 120 Kilometern total über den Haufen – eine echte Dummheit! Aber Freunde suchen sich ihren Wohnort eben nicht nach idealen Fahrradentfernungen aus. Und für schlappe vierzig Kilometer eine Übernachtung dazwischen zu schieben, halte ich für überflüssig. Nicht ganz ohne Folgen. Denn mehr oder weniger untrainiert und mit vier vollen, also wirklich randvollen Packtaschen plus Zelt, Schlafsack und Isomatte (OK, die ist echt leicht) zu fahren, braucht wohl doch eine gewisse Eingewöhnung. So viel Gepäck hatte ich noch nie auf dem Rad. Spaßeshalber habe ich das Gepäck gewogen - bei dreißig Kilo hörte für mich der Spaß auf, den Rest habe ich lieber nicht mehr auf die Waage gestellt. So genau wollte ich es dann doch nicht wissen.3

Leider ist mein rechtes Knie über die plötzliche Anstrengung nicht ganz so begeistert, wie ich es bin. Bereits am zweiten Tag überkommt mich leichte Panik, dass nun, wo es noch gar nicht so recht losgegangen ist, schon alles wieder zu Ende sein könnte. Mein rechtes Knie streikt. Von nun an werde ich erst einmal fast einbeinig fahren, zu stur bin ich, jetzt schon Erholungspausen einzulegen. Vielleicht habe ich auch Angst: Wenn ich jetzt schon Pause mache, breche ich die Tour ab. Zum Glück habe ich so komische Plastikdinger an meine Pedalen gebastelt und kann so mit dem linken Bein nicht nur runtertreten, sondern die Pedale auch hochziehen. Meinem Körper scheint es zu bekommen. Die ersten dreißig Kilometer sind zwar täglich eine Qual, aber dann scheint sich mein Knie ins Unvermeidliche zu ergeben und ist fast vollständig einsatzfähig. Erst in Bergheide bei Potsdam mache ich zwei Tage bei Freunden eine Osterpause. Immerhin bin ich da ja auch schon weit im Osten von Deutschland gelandet!

Meine wie ich finde wohl verdienten Ruhetagen genieße ich in vollen Zügen. Quasi ein Rundherum-Wohlfühlprogramm in netter Gesellschaft mit Grillen und Osterfeuer: einfach nur essen, schlafen und ausruhen. Nach den ersten 600 Kilometern genau das Richtige. Ich fange an zu realisieren: Nun bin ich also wirklich unterwegs! Ich bin sooo gespannt was kommt. Bis hierher war es doch eher eine Art Freunde-Hopping.

Wobei die Abnabelung ganz allmählich geschieht. Zwar radel ich ab Berlin durch für mich unbekannte Gegenden, aber ich werde ein paar Tage von zwei Freunden begleitet. Jörg und Guido sind extra aus dem heimischen Ruhrpott nach Berlin angereist, um mich bis an die polnische Ostseeküste zu begleiten. Als sich die beiden von mir verabschieden, wird mir ganz mulmig. Genau genommen sind es die ein bis zwei Tage vor dem endgültigen Abschied, die mir zu schaffen machen – in denen es mir ein wenig Angst und Bange wird, wann immer ich an die bevorstehende Trennung denke. Ein ganz kleines bisschen ist es wie bei den Albträumen vor meiner Abfahrt, die ich übrigens seitdem ich unterwegs bin nicht mal mehr ansatzweise habe.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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