Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen (Nationalepos der Polen) - Adam Mickiewicz - E-Book

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen (Nationalepos der Polen) E-Book

Adam Mickiewicz

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Beschreibung

Dieses eBook: "Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen (Nationalepos der Polen)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Pan Tadeusz (vollständiger Titel: Pan Tadeusz oder Der letzte Einritt in Litauen. Eine Adelsgeschichte aus dem Jahre 1811 und 1812 in zwölf Versbüchern) ist ein großes Versepos des polnischen Schriftstellers und Philosophen Adam Mickiewicz und gilt als das späteste der großen Versepen in der europäischen Literaturgeschichte. Es ist das Nationalepos der Polen. Die Geschichte beginnt in Paris. Polnische Emigranten erinnern sich 1834 an den letzten Aufstand gegen den Zaren in Polen-Litauen. Adam Mickiewicz ist einer von ihnen und erzählt die Geschichte des Pan Tadeusz. Der junge Tadeusz Soplica kehrt 1811 nach Beendigung seiner Studien auf das polnische Adelsgut seiner Familie in Litauen zurück. Inhalt: Die Wirthschaft Das Schloss Kurmacherei Diplomatie und Jagd Der Streit Der Edelweiler Die Beratung Das Gasthaus Der Kampf Die Emigration. Jacek Das Jahr 1812 Lieben wir uns!

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Adam Mickiewicz

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen (Nationalepos der Polen)

Vollständiger Titel: Pan Tadeusz oder Der letzte Einritt in Litauen. Eine Adelsgeschichte aus dem Jahre 1811 und 1812 in zwölf Versbüchern

Übersetzer: Siegfried Lippiner

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-0918-0

Inhaltsverzeichnis

Erster Gesang.
Die Wirthschaft.
Zweiter Gesang.
Das Schloß.
Dritter Gesang.
Kurmacherei.
Vierter Gesang.
Diplomatie und Jagd.
Fünfter Gesang.
Der Streit.
Sechster Gesang.
Der Edelweiler.
Siebenter Gesang.
Die Berathung.
Achter Gesang.
Der Einritt.
Neunter Gesang.
Der Kampf.
Zehnter Gesang.
Die Emigration. Jarek.
Eilfter Gesang.
Das Jahr 1812.
Zwölfter Gesang.
Lieben wir uns!

Zur Zeit der polnischen »Republik« war die Vollstreckung richterlicher Urtheile eine sehr schwierige Sache, – in einem Lande wo die executive Gewalt fast gar keine Polizei zur Verfügung hatte, und die Mächtigen Haustruppen hielten, manche – wie die Fürsten Radziwill – sogar viele Tausend Mann. Hatte also der Kläger sein Decret erlangt, so mußte er sich zum Zwecke der Execution an den Ritterstand, d.h. an die Schlachta, wenden, die auch die vollziehende Gewalt besaß. Die Verwandten, Freunde und Districtsgenossen des Klägers zogen dann aus, mit dem Decret in der Hand und vom Gerichtsfrohn (Wozny) begleitet, – und eroberten, oft nicht ohne Blutvergießen, die demselben zugesprochenen Liegenschaften, welche der Gerichtsfrohn legal »tradirte« oder in Besitz übergab. Eine derartige bewaffnete Execution der gerichtlichen Entscheidung nannte man »Zajazd«, »Einritt«. In früheren Zeiten, in denen die Achtung vor dem Gesetze herrschte, wagten selbst die mächtigsten Herrn nicht, einem Urtheilsspruch Widerstand entgegenzusetzen. Bewaffnete Überfälle kamen selten vor und Gewaltthätigkeiten gingen fast niemals straflos hin. Man kennt aus der Geschichte das traurige Ende des Fürsten Wasil Sanguszko, und des Stadnicki, genannt »der Teufel«. Die Verderbniß der öffentlichen Sitten in der Republik vermehrte die Zahl der Einritte, die eine fortwährende Ruhestörung für Lithauen bildeten.

Es sei erlaubt, den Leser gleich an dieser Stelle über die politischen Begebenheiten, die unser Gedicht berührt, kurz zu orientiren: Nach der dritten Theilung suchten viele begabte und eifrige Patrioten, vor Allem der berühmte General Dombrowski, für die polnische Sache im Auslande zu wirken. Dombrowski vereinbarte (1797) mit Bonaparte die Bildung polnischer Legionen, die, in nationaler Uniform, aber französischer Organisation, mit den Heerschaaren der Republik vereint kämpfen sollten. Viele tapfere Krieger folgten Dombrowski's feurigem Aufruf, sammelten sich um ihn in der Lombardei und glänzten von nun ab mit in den vordersten Reihen der Napoleonischen Heere. Einer der hervorragendsten Feldherrn neben Dombrowski war der General Kniaziewicz, der namentlich im römisch-neapolitanischen Feldzuge (1798 und 1799) und später an der Seite Moreau's und Richepanse's in der Schlacht bei Hohenlinden (1801) mit großer Auszeichnung kämpfte. Aber weder Dombrowski's, noch Kniaziewicz's Dienste, noch alle die Opfer an Blut und Leben, die die Legionen für Napoleon brachten, vermochten den französischen Machthaber zu irgend einem für die Polen segensreichen Schritte zu bewegen. Im Frieden zu Luneville (1801) wurde ihrer Sache nicht gedacht, und kurz darauf ein großer Theil ihres Heers unter dem Fürsten Jablonowski nach San Domingo geschickt, um dort gegen den Negerhäuptling Toussaint L'Ouverture zu kämpfen, der sich gegen die französische Herrschaft erhoben hatte. Erst 1806, als der Krieg mit Preußen und Rußland ausgebrochen war, schien sich Bonaparte für die Polen lebhafter zu erwärmen. Er selbst forderte den alten Freiheitshelden Kosciuszko auf, seine Landsleute zu den Waffen zu rufen; dieser aber schlug es ab – er mißtraute den Versprechungen des Kaisers. Dombrowski hingegen leistete ihm wieder Heeresfolge und rückte unmittelbar nach der Schlacht bei Jena in Posen ein. Auch diesmal aber blieben Napoleon's Thaten weit hinter seinen Versprechungen zurück. Im Frieden von Tilsit (1807) wurde Rußlands geschont. Aus dem preußischen Antheil an den ehemals polnischen Provinzen schuf Napoleon das Großherzogthum Warschau, zu welchem später (im Wiener Frieden 1809) noch Westgalizien geschlagen wurde. Immerhin aber sahen die Polen diese Schöpfung als den Keim eines künftigen Reiches an, dessen baldige Wiederherstellung sie von einem neuen französisch-russischen Zusammenstoß erhofften. In der That erklärte Napoleon, als er 1812 über den Niemen ging, den begonnenen Feldzug gegen Rußland für den »zweiten polnischen Krieg« – und die Polen eilten begeistert unter seine Fahnen. Prinz Joseph Poniatowski, der bekannte Marschall Napoleon's, und General Dombrowski führten neue zahlreiche Heerschaaren in den Kampf, die im russischen Feldzug ebenso tapfer und todesmuthig kämpften, wie früher auf den Schlachtfeldern Deutschlands, Italiens und Spaniens. Der Ausgang des Feldzuges war auch das Ende ihrer Hoffnungen.

Im Herbst 1811 und im Frühling 1812 spielt nun unsre Erzählung. Alles blickt voll Erwartung über den Niemen, der das unter russischer Herrschaft stehende Lithauen vom Großherzogthum Warschau trennt. Über den Niemen eilen die Jünglinge, um sich mit den Landsleuten zu verbünden – vom Herzogthum aus soll die Befreiung herannah'n. In den letzten zwei Gesängen der Dichtung sehen wir denn auch die polnischen Generale bereits in Lithauen und freudig und hoffnungsvoll schließt die Dichtung. (d.Ü.)

Erster Gesang.

Inhaltsverzeichnis

Die Wirthschaft.

Inhaltsverzeichnis

Rückkehr des jungen Herrn. Die erste Begegnung im Stübchen, die zweite bei Tische. Des Richters wichtige Lehre von der Artigkeit. Des Kämmerers politische Bemerkungen über die Moden. Beginn des Zwistes um Mutz und Falk. Die Klagen des Wojski. Der letzte Gerichtsfrohn. Ein Blick auf die damalige politische Lage Lithauens und Europas.

Lithauen! Wie die Gesundheit bist du, mein Vaterland! Wer dich noch nie verloren, der hat dich nicht erkannt. In deiner ganzen Schönheit prangst du heut' vor mir, So will ich von dir singen, – denn mich verlangt nach dir!

O heil'ge Jungfrau, Czenstochowa's Schirm und Schild,3 Leuchte der Ostrabrama! Du, deren Gnadenbild Schloß Nowogrodek und sein treues Volk bewacht: Wie mich, als Kind, dein Wunder einst gesund gemacht, Als von der weinenden Mutter in deinen Schutz gegeben, Ich das erstorb'ne Auge erhob zu neuem Leben, Und konnte gleich zu Fuß in deine Tempel geh'n, Gerettet, Gott zu danken für's Heil, das mir gescheh'n: So wird zum Schooß der Heimat dein Wunder uns wiederbringen! Indessen trage du mir der sehnenden Seele Schwingen Zu jenen waldigen Hügeln, zu jenen grünen Auen, Die weit und breit sich dehnen am Niemenstrom, dem blauen, – Zu jenen Feldern, prangend voll bunter Ähren und Garben, Wo goldig strahlt der Weizen, der Roggen silberfarben, Rübsamen bernsteinhell, Buchweizen schneeig blüht, In jungfräulichem Roth der duftige Quendel glüht, Und, wie ein Band, durch Alles der grüne Rain sich schmiegt, Drauf da und dort ein Birnbaum still die Krone wiegt.

Auf einem Hügel erhob sich mitten in solchem Land, Von Birkengehölz umgeben, an eines Bächleins Rand, Ein Herrenhaus, – von Holz, der Unterstock von Stein; Es leuchteten von Ferne die Wände weiß und rein, Das Weiß vom dunklen Grün der Pappeln noch gehoben, Die ihm zum Schutze dienen vor des Herbstwinds Toben; Ein wohnlich saub'res Haus, wenn auch von mäßiger Größe, Hat eine große Scheuer, und drei Getreidestöße Liegen noch neben ihr – die faßte der Söller nicht mehr. Man sieht wohl, reichgesegnet ist das Land umher. Der Garben Zahl auch, die weit und breit auf dem Gelenge, Wie Sterne, dicht erglänzen, und auch der Pflüge Menge, Die sich schon zeitig auf dem mächtigen Brachfeld zeigen, Dem schwarzscholligen, (sicher derselben Herrschaft eigen Und wohl bestellt, es sieht wie Gartenbeete aus –) Das alles zeigt, daß Fülle und Ordnung herrscht im Haus; Das Thor ist weitgeöffnet und sagt dem Wand'rer an, Daß freundlichen Empfang der Gast gewärtigen kann.

Ein zweispänniges Fuhrwerk kam eben durch das Thor, Flog um den Schloßhof, fährt beim Gange wieder vor. Ein junger Herr steigt aus; die verlassenen Pferde zieh'n Das Gras abrupfend, langsam wieder zur Einfahrt hin. Im Hof ist's öd'; ein Riegel verschließt die Thür zum Gang, Von einem Pflöckchen durchsteckt. – Der Fremde fragt nicht lang, Sucht kein Gesinde auf: er öffnet, ohne zu säumen, Und tritt in's Haus. Wie lange war er nicht in den Räumen! Bis nun hielt ihn die Schule in der Stadt entfernt, – Wie wohl ist ihm! Er hat doch endlich ausgelernt! Nun wird von jeder Wand sein Blick so festgehalten, Er grüßt sie mit vollem Herzen, die wohlbekannten, die alten!

Noch mit denselben Tapeten sind sie ausgeschlagen, Der Hausrath ganz wie damals in seiner Kindheit Tagen; Jetzt scheint ihm Alles freilich nicht mehr so groß, so schön; – Dieselben Bilder sieht er, die er damals geseh'n: Hier in der Czamarka Kosciuszko, den Blick zum Himmel gekehrt, Mit beiden Händen hält er umspannt sein starkes Schwert, So war er, als er einstmals am Altar geschworen, Mit diesem Schwert zu verjagen die drei Usurpatoren Oder auf ihm zu verbluten. Im polnischen Gewand Sitzt dort, die Freiheit betrauernd, Rejtan,4 – in seiner Hand Sieht man, auf's Herz gerichtet, ein blitzendes Messer ragen, – Phädon und Cato's Leben sind vor ihm aufgeschlagen. Und dort der junge Jasinski,5 so schön, so voller Gram, – Daneben Korsak, der niemals von seiner Seite kam, Auf Praga's Schanzen steh'n sie, auf Russenhaufen beisammen, Kühn hau'n sie drein, – und Praga steht schon ringsum in Flammen. Und sieh', im Holzgehäuse, an der Alkoventhür Die alte liebe Spieluhr sogar erkennt er hier, Und zieht in kindischer Freude, wie einstmals, an der Schnur, Und Dombrowski's alte Weise6 spielt die alte Uhr.

Er eilt durch's ganze Haus, nach jenem trauten Stübchen, Wo er vor zehn Jahren gespielt als kleines Bübchen. Kaum ist er eingetreten, stutzt er und weicht zurück: Ein Frauengemach! Er mustert's mit erstauntem Blick; Wer mag hier wohnen? Der alte Oheim war unvermählt, – Die Tante hatte zum Wohnort Petersburg erwählt! Die Wirthschaftsfrau? Unmöglich! – Was soll der Flügel nur? Und Noten auf ihm und Bücher, – von Ordnung keine Spur; In holdem Durcheinander Alles umhergezaust, – Das waren nicht alte Händchen, die da so gehaust. Und hier ein weißes Kleid auf die Sessellehne gebreitet, Frisch vom Nagel geholt, zum Anzieh'n vorbereitet; Und auf den Fenstern duften, in Blumentöpfen gehegt, Geranium, Veilchen, Astern, Levkojen, wohlgepflegt; Er tritt an eins der Fenster: ein neues Wunder, sieh'! Im Obstgarten, am Rande, wo Unkraut sonst gedieh, Lag nun ein winzig Gärtlein, getheilt von schmalen Stegen, Und Sträuße von englischem Gras und Münze allerwegen; Als Namenszug geformt, faßt es ein Zäunchen ein, Ein winziges, hölzernes, mit schimmernden Maßliebreih'n; Die Beetchen waren frisch begossen von sorgender Hand, Man sah noch das Blechgefäß, das auf dem Boden stand. Doch wo ist die Gärtnerin? sie war wohl eben hier; Noch zittert ja in den Angeln dort die kleine Thür, – Und nah' der Thür im Sande, trocken, weiß und fein, War eine Spur so leicht von einem Füßchen klein; Das hatte nicht Schuh, noch Strumpf – und rasch durchlief's den Raum, Und wie es lief, man sieht's, berührt' es den Boden kaum.

Der Fremde stand am Fenster und sann und schaute lange – Der Blumen süßer Duft umspielt ihm Brust und Wange, Und bis zum Veilchenstrauch neigt er das Antlitz nieder, Die Augen suchen umher – und bleiben haften wieder, Dort an den Spuren haften von jenen Füßchen klein – Er schaut' und sann: weß mochten wohl die Füßchen sein? Zufällig blickt er auf – und sieh', auf der Planke stand Ein junges Mädchen, gekleidet in ein weiß Gewand, Das von der Brust hinab den schlanken Leib umfloß – Der Schwanenhals, die Arme blieben frei und bloß. So pflegt ein lithauisch Mädchen des Morgens nur zu geh'n, So wird's von eines Mannes Augen nie geseh'n. Drum hält sie auch die Hände ob der Brust verschränkt, Wiewohl sie ja gewiß an keine Lauscher denkt. Das Haar, in Locken nicht gelöst, in kleine Knötchen Gebunden nur und rings besteckt mit weißen Schötchen, Ziert wundersam den Kopf, wie's in der Sonne strahlt: Den Kronen gleich, die man um Heiligenstirnen malt. Sie blickt in's Feld, das Antlitz ist drum nicht zu sehen, Dort unten weit, dort scheint sie nach Jemand auszuspähen. Nun hat sie gefunden – lacht, klatscht in die Hand – und schnell, Gleich wie ein weißer Vogel, entfliegt sie von der Stell' Und flattert durch Garten und Blumen – und flink kommt sie gerannt Über ein Brett, das lehnet an der Zimmerwand, Und eh' er's merkt, da fliegt sie schon durch's Fenster herein, So still und leicht und glänzend, wie des Mondes Schein. Und summend ergreift sie das Kleid, will sich zum Spiegel wenden: Da sieht sie den Jüngling – das Kleidchen fällt ihr aus den Händen – Bleich wird sie vor Staunen und Schreck – roth wird sein Angesicht, Gleich dem Gewölk, das hinfließt durch des Morgens Licht. Er drückt die Augen zu, bedeckt sie in scheuem Schweigen – Will reden, Entschuldigung stammeln – kann sich nur verneigen Und tritt zurück. Und schmerzlich schrie auf die holde Maid, Undeutlich, wie ein Kind furchtsam im Schlafe schreit. Erschrocken blickt' er auf – doch sie war nicht mehr da, Verwirrt ging er hinaus, wußt' nicht wie ihm geschah: Sollt' er sich freu'n darob, was da sich zugetragen? Sich schämen? oder lachen? er konnt' es selbst nicht sagen.

Im Meierhof indeß hat man schon wahrgenommen, Daß heut' ein neuer Gast im Hause angekommen. Schon hatte man die Pferde in den Stall gebracht, Und, wie sich ziemt, sie reichlich mit Hafer und Heu bedacht. Der Richter leidet sie nicht, alle die neuen Manieren,7 Daß man beim Juden läßt die Pferde einquartieren. Kein Diener kommt ihm entgegen; doch meine darum nicht, Daß man in Richters Hause versäume Dienstespflicht. Sie warten bis der Wojski im Staat erscheinen kann,8 Der ordnet hinter dem Hause eben das Nachtmahl an: Ein Hausfreund ist's, dem Richter auch entfernt verwandt, Der in der Regel die Gäste, wenn nicht der Herr zur Hand, Empfängt und unterhält. Sobald der Fremde erschien, Sucht' er in aller Stille in's Vorwerk zu entflieh'n; Da er im Pudermantel nicht gut empfangen kann, Legt er nun möglichst rasch die Sonntagskleider an; Die lagen seit früh bereit – denn da schon hatt' er vernommen, Daß heute viele Gäste zur Abendmahlzeit kommen.

Von fern erkennt er den Gast; mit lautem Freudenschrei, Mit ausgebreiteten Armen eilt er nun herbei, Herzt ihn, küßt ihn – und jenes wirre Gespräch beginnt: Von Jahren erzählte man gern in wenigen Worten geschwind, Stets unterbrochen von Fragen und Seufzern und Entzücken, Ausrufen, neuen Grüßen und neuen Händedrücken. Als endlich der Wojski genug hat an aller Art Berichten, Erzählt er ganz zum Schluß des heutigen Tags Geschichten:

»Gut, mein Thaddäus,« sagt' er – (so war der Jüngling genannt; Als er zur Welt gekommen, war der Krieg im Land, Da hatte man ihm den Namen von Kosciuszko gegeben); »Gut, mein Thaddäus, daß du heim kommst heute eben, Da wir so viele Mädchen bei uns im Hause sehen; Wir dürften ja in Kurzem hier deine Hochzeit begehen: So meint der Onkel. – An Auswahl fehlt es g'rade nicht; Viel Leute sind jetzt bei uns versammelt zum Grenzgericht, Den Handel mit dem Grafen, der sich schon schleppt seit Jahren, Zu endigen. Er selbst kommt morgen hergefahren. Der Kämmerer9 mit Gemahlin und Töchtern ist schon hier, Die Jugend ist im Wald und jagt dort im Revier – Die Alten und die Damen sehen sich nahe beim Wald Die Ernte an. Dahin kommt auch die Jugend bald. Willst du, so geh'n wir hin, da wirst du sie gleich erschauen: Den Onkel, die Kämm'rerschaft und die geehrten Frauen.«

Nun haben sie den Weg zum Walde eingeschlagen Und thun sich nimmer genug mit Sagen und mit Fragen – Die Sonne sank. Sie strahlte wol in schwächerem Glanz, Doch breiter, als bei Tage – und geröthet ganz, Gleich wie des Ackermanns gesundes Antlitz glüht, Wenn er den langen Tag sich auf dem Feld gemüht Und nun zur Ruhe geht. Schon auf des Waldes Wipfel Senkt sich die Scheibe nieder, und Gezweig und Gipfel Erfüllt ein neblicht Dunkel, das in Eines schließt Den ganzen weiten Wald und wie zusammengießt. Und schwarz und schwärzer wird er, ein riesengroß Gemach, Roth über ihm die Sonne, wie Feuer auf dem Dach.

Da sinkt sie in die Tiefe. Noch blitzt es durch den Wald Wie eine Kerze durch des Fensterladens Spalt, – Und es verlischt. Und die Rechen, die die Mägde schwangen, Die Sicheln, die im Getreide vereint zusammenklangen, Erschweigen und ruh'n. Denn also ist des Richters Wille: Sobald der Tag beschlossen, halte der Landmann stille; Der Herr der Welten maß die Zeit der Arbeit zu: Wenn seine Dienerin, die Sonne, geht zur Ruh', Ist's Zeit auch, daß der Bauer ruht und sich behagt; So pflegt der Richter zu sagen, und was der Richter sagt, Der bied're Ökonom sieht es als heilig an. Die Wagen auch, in die man Schober zu legen begann, Heimfahren sie ungefüllt; die Thiere geh'n zur Rast, Mit Freuden fühlend die leichte, ungewohnte Last.

Eben kommt die Gesellschaft vom Walde, – lachend und heiter, Doch wohlgeordnet. Voran die Kinder mit ihrem Begleiter, Drauf mit der Kämm'rersfrau der Richter, und daneben Der Kämmerer selber, fröhlich von den Seinen umgeben. Gleich d'rauf die jungen Damen, die jungen Herrn zur Seite, Die Damen den Herrn voran, um halben Schrittes Weite: So will's die Sitte. Niemand wies da zur Ordnung an, Niemand stellte in Reih und Glied – nein, Jedermann Befolgte unwillkürlich Ordnung und rechte Art. Denn beim Richter, da wurden die alten Sitten gewahrt, Und niemals hat er Verstöße gegen die Achtung geduldet, Die man dem Alter, dem Geist, dem Stand, der Würde schuldet. Denn rechte Sitte, sagt er, erhält Geschlecht und Reich. Und wenn sie sinkt, so sinken Geschlecht und Reich zugleich. So hatten sich Haus und Gesinde der Ordnung angepaßt; Und kam zu Besuch ein Verwandter oder ein fremder Gast: Wenn er nur kurze Zeit in Haus sich aufgehalten, Zollt' er den Sitten Gehorsam, die beim Richter galten.

Nur kurz begrüßt er den Neffen: reicht ihm würdig zum Kuß Die Hand, küßt ihm die Stirn und sagt ihm freundlichen Gruß. Er spricht nur wenig – es sind so viele Gäste zur Stell' – Doch wie er mit dem Ärmel seines Kontusz schnell Die helle Thräne wegwischt, die ihm vom Auge rinnt: Sieht man, er liebt Thaddäus, wie ein eigen Kind.

Aus Feld und Flur und Wald und Weide nah' und fern Kehrt Alles nun zurück nach Hause mit dem Herrn; Hier eine Heerde Schafe, sie wälzt sich in die Gasse Lautblökend und Staub aufwirbelnd; dort die schwere Masse Tyroler Kälber, die Hälse mit Messingglocken behängt; Da fliegen vom Anger her die Pferde – Alles drängt Zum Brunnen, wo auf und nieder kreischt der hölzerne Arm, Den Trog mit Wasser zu füllen für den durstigen Schwarm.

Müd', und von Gästen umringt, säumt doch der Richter nicht, Auch jetzt genau zu erfüllen die wichtige Landwirthspflicht. Er selbst begiebt sich zum Brunnen. Wenn's Abends heimwärts geht, Da sieht der Wirth am Besten, wie's mit dem Viehstall steht. Die Prüfung überließ er seinen Knechten nie: Er weiß, des Herrn Auge füttert wohl das Vieh.

Im Vorhaus, Licht in den Händen, standen um diese Zeit Protasius, der Gerichtsfrohn,10 und der Wojski im Streit. Protasius nämlich hatte heimlich aus dem Saal Den Tisch fortschaffen lassen sammt dem Abendmahl Und anzurichten befohlen, so rasch sich's machen läßt, Im Schloß, unweit des Walds: ein altes Trümmernest. Was sollte dies? Der Wojski macht ärgerliche Gesichter, Zankt, – entschuldigt sich dann bei dem erstaunten Richter; Was hilft's? es ist schon spät: der Richter muß die Gäste Um Nachsicht bitten und führt sie in die verfallene Veste. Im Geh'n erklärt ihm Protas des Breiten und des Langen, Warum er sich die Befehle zu ändern unterfangen: Es ist im Hause kein genügend großer Saal Für Gäste von solchem Range und von solcher Zahl; Im Schloß giebt's eine Halle, recht groß und wohlerhalten, Die Wölbung ganz – es ist zwar eine Wand gespalten, Die Fenster ohne Scheiben, doch ist's ja Sommerzeit, Auch hat's die Dienerschaft zum Keller gar nicht weit. So spricht er und blinzelt ihm zu – und seine Miene zeigt, Er hat noch andre Gründe, die er klug verschweigt.

Zweitausend Schritt vom Hause sah man das Schloß nun ragen: Ein stolzer, mächt'ger Bau. Hier hauste in frühern Tagen Das alte Geschlecht der Horeszko; der Schloßherr war gefallen Zur Zeit der innern Wirren; und von den Gütern allen War Nichts geblieben; schlecht verwaltet und gepflegt, Theils durch Processe zerrieben, theils mit Beschlag belegt, Ward endlich, was nicht Verwandte von Mutterseite bekommen, Von Gläubigern getheilt. Das Schloß hat Niemand genommen; Denn es zu erhalten, fiel bei mäßigen Mitteln nicht leicht. Als aber der Graf die Jahre der Mündigkeit erreicht – Ein naher Nachbar, entfernt mit den Horeszko verwandt, – Kam er, ein reicher Junker, heim aus fremdem Land, Und ihm gefiel das Nest. Warum es ihm gefiel? Wer sagt es? Er erklärte, es wär' in gothischem Stil – Und standen doch dem Richter die Akten zu Gebote, Daß der Erbauer aus Wilna gewesen, und kein Gothe. Genug, den Grafen gelüstet's nach dem Schloß – und just Befällt, Gott weiß warum, den Richter dieselbe Lust. Nun stritt man im Grundgericht, im Obergericht, im Senat, Und wieder im Grundgericht und dann im Regierungsrath; Endlich, nachdem man viel Geld und viel Papier verthan, Langt nun die Sache wieder beim Grenzgerichte an.

Protasius hatte Recht; es faßte bequem die Halle Die Leute vom Gericht und auch die Gäste alle, – Groß wie ein Refectorium: die Wölbung hochgestreckt, Auf Pfeilern ruhend, der Estrich ganz mit Stein gedeckt. Schmucklose, nackte Wände, doch war die Mauer rein – Rings eine große Menge von Reh- und Hirschgeweih'n Mit Aufschriften, wann und wo die Beute ward erlegt, Der Jäger Wappenbilder überall eingeprägt, Und Jeder mit Namen genannt; und über alle erhoben, Prangt der Horeszko Halbbock an der Wölbung droben. Eintraten Alle in Ordnung und stellten sich sodann Ringsum im Kreise auf; der Kämm'rer obenan. Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern; Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn. Daneben der Almosenier, bei dem der Richter steht; Der Priester spricht ein kurzes lateinisches Gebet; Man giebt den Männern Branntwein; dann setzen sich Alle in Ruh' Und sprechen der Lithauersuppe schweigend und tapfer zu.11

Thaddäus gehört wohl zur Jugend, doch sitzt er nach Gastesrecht Heut' oben, nah' dem Hausherrn, beim weiblichen Geschlecht. Zwischen dem Onkel und ihm ist aber ein Sitz noch leer, Als sollt' noch Jemand kommen. Oft sieht der Onkel her Und wendet sich dann wieder zur Thür, erwartungsvoll, – Als wollt' er und wüßte sicher, daß Jemand erscheinen soll. Zur Thür begleitet Thaddäus seinen suchenden Blick Und kehrt mit ihm dann wieder zum leeren Sitz zurück. Seltsam, da sitzt ja rings ein ganzer Mädchenreigen, – Er dürft' sich vor den Augen eines Prinzen zeigen, – Lauter Edelgeborene, Junge, Schöne, Feine: Wo aber Thaddäus hinschaut, da sitzt ja g'rade keine! Die Jugend liebt die Räthsel, und räthselhaft ist der Ort. Zerstreut spricht er nur hin und wieder kaum ein Wort Zur holden Nachbarin, zu Kämmerer's Töchterlein, Er wechselt ihr nicht die Teller, gießt nichts in's Glas ihr ein, Denkt nicht daran, den Damen artige Reden zu bieten, Die da an ihm der Hauptstadt feine Erziehung verriethen, – Zu jenem leeren Platz lockt es ihn einzig hin: Nun nicht mehr leer, – es füllen seine Gedanken ihn, – Vermuthungen, unzählige, läßt er darüber laufen, Wie nach dem Regen im Feld der muntern Fröschlein Haufen; Doch königlich ob Allem ein trautes Bildniß schwebt, Der Wasserlilie gleich, die aus der Fluth sich hebt.

Man war beim dritten Gang. Da goß ein Tröpfchen Wein Der Kämm'rer in das Gläschen des Fräuleins Rosa ein, Und schob der jüngern Tochter den Gurkenteller hin Und sprach: »Ja, Fräulein Töchter, so alt und plump ich bin, Muß ich euch heut' bedenken.« – Da stürzen rasch zu ihnen Ein paar der jungen Herrn, die Damen zu bedienen. Der Richter warf auf Thaddäus einen Seitenblick, Schob sich die Ärmel des Kontusz erst ein wenig zurück, Goß dann Tokaier ein und sprach: »Wir schicken heute Zur Schule in die Hauptstadt unsre jungen Leute, So will's die neue Mode. Und wir räumen ein: Sie mögen an Bücherweisheit uns überlegen sein. Doch täglich muß ich die Jugend daran kranken seh'n, Daß keine Schule lehrt mit Menschen umzugeh'n. Vor Zeiten pflegte der Junker an einen Hof zu fahren, Ich selber diente einen Zeitraum von zehn Jahren, Beim Wojewoden, unsres verehrten Kämm'rers Vater; (Hier drückt' er den Kämm'rer am Knie), der war mein treuer Berather, Als ich den Staatsdienst lernte – und hielt mich lang' in Acht, Und hat dann endlich aus Einem einen Menschen gemacht. Sein Name bleibt uns theuer, so lang' mein Haus besteht, Und seiner Seele gedenk' ich täglich im Gebet. Und hat mir's weniger Nutzen als Anderen gewährt, Bin ich vom Hofe wieder zum Acker zurückgekehrt. Indeß die Andern, die wohl würdiger erschienen, Hernach in höchsten Ämtern dem Staate durften dienen: Hab' ich doch so viel gewonnen, daß Jeder muß gesteh'n: Bei mir ist nie was wider die Artigkeit gescheh'n, Noch gegen das rechte Benehmen. Und ein Benehmen, ein feines, – Das sag' ich kühn, ist weder was Leichtes noch Kleines. Nichts Leichtes – denn mit dem Kratzfuß ist es nicht gethan, Anlächeln, den Ersten Besten, das lernt ein Jeder an, Das ist die Artigkeit des Krämers, das ist modern, Doch nicht altpolnisch, nicht die Art der edlen Herrn. Artigkeit schuldet man Jedem, doch Jedem auf andre Art, Denn Kindesliebe muß auch sein mit Artigkeit gepaart, Auch das Verhalten des Mannes zum Weibe – vor der Welt, – Des Herrn zur Dienerschaft: und nirgends ist's gleich bestellt. Da muß man lange lernen, um wirklich nie zu fehlen Und Jedem die schuldige Achtung richtig zuzuwäh len. – Man hat auch früher gelernt! Wie oft besprachen die Herrn Die polnische Zeitgeschichte – die Schlachta redete gern Von Allem, was im engeren Bezirk geschehen; So gab man denn dem Bruder Schlachcic zu verstehen, Daß Alles ihn kennt, ihn nicht zu übersehen vermag; Drum ließ sich auch der Schlachcic nicht gehen. – Heutzutag, Heut' frägt man Keinen: wer bist du? welcher Eltern Sohn? Mit wem hast du gelebt? Und wie? Nein, nichts davon – Ist Einer nur kein Bettler oder gar ein Spion, So wird in jedem Haus gleich kühnlich vorgesprochen. Wie jener Vespasian, der nie zum Geld gerochen, Und nie nach seinem Ursprung und Wege mochte fragen: So scheert man heut' sich nicht um Abkunft und Betragen; Hat Einer Gewicht und Stempel, so gilt er in der Welt: So schätzt man denn die Freunde, wie die Juden das Geld.«

So sprach der Richter und prüfend blickt er umher im Kreis. Denn ob er geläufig redet und mit Verstand: er weiß, Daß ungeduldig die Jugend sei in unsren Tagen, Und langes Erörtern sie langweilt, wie gut auch vorgetragen. Allein in tiefem Schweigen sitzen und horchen Alle. Nun blickt er auf den Kämm'rer, wie das wohl ihm gefalle; Der hat zwar nie mit Worten des Lobes unterbrochen, Doch öfter Beifall genickt, indeß der Richter gesprochen. Der Redner schweigt. Der Kämm'rer nickt noch immerfort; So füllt er denn Beider Becher und nimmt auf's Neu' das Wort: »Die Artigkeit ist auch von nicht geringem Werth: Hat Einer Andre schätzen gelernt, wie sich gehört, Nach Alter und Geburt, nach Tugend und Gebahren, So mag er auch seinen Werth im rechten Licht gewahren; Wie wir auch bei der Wage, um unser Gewicht zu wissen, Ein Gegengewicht an's andre Ende setzen müssen. Werth aber ist, ihr Herren, besonderer Beachtung, Wie Jünglinge den Damen erweisen schuld'ge Achtung. Zumal wenn Glückesgüter und hoher Stand noch heben Die Tugenden und Reize, die Natur gegeben. Da finden sich die Herzen, – da sah man sich gestalten Schon manchen herrlichen Bund. – So dachten unsre Alten. Und drum« – hier wandt' er rasch den Kopf zur Seite hin, Winkt' zu Thaddäus hinüber und blickte streng' auf ihn – Man sah, jetzt werd' er gleich die Nutzanwendung zieh'n.

Da schlug der Kämm'rer klimpernd auf die goldne Dose Und sprach: »Es mag schon sein, jetzt geht es etwas lose, – Doch einst, mein lieber Richter, war's schlechter noch als heut! Hat nun die neue Mode uns Alte auch erneut, Oder ist's wirklich besser, genug, so scheint es mir. – Ach, ich gedenke der Tage, da die Franzosenmanier Zum ersten Mal in's Land kam. Herrchen strömten in Schaaren Aus fremden Ländern herüber, ärger als Tataren, Die Gott und Glauben verfolgten und was uns die Väter vermacht, Gesetz und Recht und Sitten und selbst die alte Tracht! Milchbärte, vergilbt und näselnd, oft auch nasenlos, – Es war ein Jammer zu sehen, – die kamen und thaten groß, Hatten Brochuren in Händen und allerlei Zeitungsblätter, Verkündeten neue Moden, neue Gesetze und Götter; Die Rotte nahm die Geister gefangen in kurzer Zeit; Denn wenn der Herr einmal ein Volk der Strafe geweiht, Dann pflegt er zuerst die Köpfe der Bürger zu verkehren. So wagten denn die Vernünft'gen den Stutzern nicht zu wehren; Es fürchtete sich vor ihnen das Volk, wie vor der Pest, Saß ja der Keim der Krankheit schon in den Herzen fest. Man schrie wol über die Gecken, doch that man, wie sie thaten, – Gesetz und Glauben und Sprache – Alles wurde verrathen! Es war ein Faschingspossen, voll Tollheit und voll Schmach, Dem bald das große Fasten, die Knechtschaft, folgte nach!

Wie ich aus meiner Kindheit mich zu erinnern weiß, Da kam zu meinem Vater in den Oszmianer Kreis Der Herr Podczaszyc12 auf einem kleinen französischen Wagen, – Der Erste, der in Lithau'n französische Kleider getragen. Als wär's ein Wunderthier, so lief man hinter ihm her;13 Beneidet wurde das Haus, das da genoß die Ehr', Das Wägelein mit den zwei Rädlein zu seh'n vor seiner Schwelle, (Man hieß das Cabriolet); an der Lakaien Stelle Sah man im Wagenkasten zwei Hündchen auf dem Lager, Auf dem Bock ein deutscher Kerl, als wie ein Brett, so mager, Mit langen, dürren Beinen, wie die Hopfenstangen Mit Strümpfen daran, die Schuhe geziert mit silbernen Spangen. Der Zopf an der Perrücke von einem Beutel gehalten – Wie sie das seh'n: vor Lachen bersten fast die Alten; Die Bauersleute aber bekreuzen sich und sagen: Der venetianische Teufel fahre im deutschen Wagen. Lang' aber wär's, zu geben des Herrchens Konterfei: Uns kam er vor, wie ein Affe oder ein Papagei, In seiner großen Perrücke, die der närrische Tropf Dem goldnen Vließ verglich, – wir einem Weichselzopf. Wenn damals auch Mancher fühlte, daß unsre polnische Tracht Viel schöner sei, als das Fremde, das wir nachgemacht, So schwieg er. Sonst hätte ›Verrath!‹ geschrie'n die grüne Schaar, ›Verrath an der Cultur! Der Fortschritt in Gefahr!‹ – Also beherrschte die Narrheit die Köpfe ganz und gar.

Der Ankömmling versprach, er wolle uns reformiren, Uns konstituiren und civilisiren – Erklärt' uns, daß welche Redner im Franzosenreich Die neue Erfindung gemacht: die Menschen wären gleich. Wiewohl doch diesen Punkt die Bibel längst erledigt, Und jeder Geistliche das von der Kanzel predigt. Der Satz war alt; es galt nur, daß man ihn erfüllt! Doch damals hat alle Köpfe solche Blindheit umhüllt, Daß selbst die älteste Sache keinen Glauben fand, Wenn's in französischen Blättern nicht zu lesen stand. Daß sich der Herr Podczaszyc Marquis benennen ließ, Verschlug nicht gegen die Gleichheit. Die Titel sind aus Paris – Und damals waren sie dort modern, die ›Herrn Marquis.‹ Als aber später die Mode in andre Geleise trat, Da führte derselbe Marquis den Titel Demokrat; Zuletzt, bei der neuen Mode, unter Napoleon, Kam unser Demokrat zurück aus Paris: als Baron; Vielleicht, im Lauf der Zeit, hätt' sich bei läng'rem Leben Noch aus dem Herrn Baron ein Demokrat ergeben; Paris lebt ja am liebsten nach immer neuem Schnitt, Und was der Franzmann aufbringt, das macht der Pole mit.

Gottlob, daß wenn die Jugend jetzt in's Ausland zieht, Es nicht mehr so, wie früher, der Kleider wegen geschieht, – Nicht um in gedrucktem Kram nach neuen Gesetzen zu spüren, Oder Beredtsamkeit im Café zu studiren. Denn der Napoleon, ein energischer Mann und gescheidt, Der läßt für Plaudereien und Moden keine Zeit; Jetzt dröhnen die Waffen; da schwillt uns alten Leuten das Herz, Daß wieder man von den Polen hört reden allerwärts. Der Ruhm ist da – so ist auch die Republik nicht fern! Der Baum der Freiheit sprießt ja aus dem Lorbeer gern; – Nur traurig, daß sich uns so ohne Thätigkeit Die Jahre schleppen! Und Jene so ferne allezeit, – So lange warten! Und selten kommt eine Nachricht sogar! Hört,« – sprach er leise zum Mönch, – »hört, Pater Robak, ist's wahr, Daß ihr von jenseits des Niemen Briefe habt bekommen?14 Habt ihr nicht etwas auch von unsrem Heer vernommen?« »Gar nichts,« warf kühlen Tons der Bernhardiner hin, Das ganze Gespräch war sichtlich nicht nach seinem Sinn – »Was scheert's mich auch? Mich langweilt das politische Treiben; Hab' ich auch was aus Warschau, so betrifft das Schreiben Nur Ordenssachen. Wer fängt davon beim Nachtmahl an? Hier giebt es Laien, für die das nicht gehören kann.«

So sprach der Mönch und schielte zur Seite bei dem Wort. Ein Russe, der Hauptmann Rykow, saß unter den Gästen dort, Ein alter Kriegsmann, im nahen Dörfchen einquartiert, Aus Höflichkeit geladen. Der hatte nur wenig gespürt Von allen den Reden; in's Essen war er versunken tief. Doch nun er von Warschau hörte, erhob er den Kopf und rief: »Herr Kämmerer! O, ihr! Ihr wollt nur allerhand Von Bonaparte! von Warschau! Ja, das Vaterland! Ich bin kein Spion – kann polnisch kann Das wohl versteh'n, Ja, Vaterland! ja wohl! kann mir zu Herzen geh'n! Ich bin ein Russe, ihr Polen, – aber jetzt nicht raufen, Jetzt ist ja Waffenstillstand, drum brüderlich essen, saufen! Thun oft so mit dem Franzmann auf den Posten schwatzen, Schnaps trinken, – dann heißt's: Hurrah! und die Kartätschen platzen. Ein russisches Sprichwort: Geliebt, geklopft! – wie mit den Frauen: Gestreichelt, wie mit der Plätte, wie einen Pelz gehauen! Ich sag': 'S wird Krieg! – Vorgestern kam die Ordre herab, Es brachte sie dem Major der Adjutant vom Stab: Marschfertig stehen! Gilt's nun dem Türken oder Franzen; – He! dieser Bonaparte! der könnt' uns kuranzen! Ohne Suwarow nähm's vielleicht ein böses End'; – Wie's mit dem Franzmann losging, da hieß es im Regiment: Der Bonaparte hext.15 Zwei Zauberer gegen einander, – Denn Suwarow hext auch. Einst, in der Schlacht, verschwand er: Wohin? Sucht Bonaparten; nun aber ging's euch bunt, Der Franzmann wird zum Fuchs – und Suwarow zum Hund, Drauf Bonaparte zum Kater und kratzt' euch mit den Krallen – Und Suwarow zum Fohlen. – Was weiter vorgefallen, Mit unsern Hexenmeistern – nun, da gebt nur Acht –« Hier schwieg er und aß. Es wurde der vierte Gang gebracht, Als plötzlich die Seitenthüre rasch ward aufgemacht.

Eintrat ein weiblich Wesen, jung und wohlgestaltet; Ihr plötzlich Kommen, ihr Reiz, der Putz, den sie entfaltet, Lenkt Aller Blick auf sie; man heißt sie froh willkommen, Offenbar kennen sie Alle, Thaddäus ausgenommen; – Von schwerem rosafarbnem Seidengewand umflossen Der schlanke Leib, der Hals von Spitzen rund umschlossen; Die Krause ausgeschnitten an der holden Brust, Die Ärmel kurz, – den Fächer hält sie nur zur Lust, Es ist ja gar nicht heiß – der Fächer, mit Gold belegt, Sprüht Funken rings umher, wie sie ihn spielend bewegt. Der Kopf, wie ein Haubenstock: das Haar in Locken gebunden, Von rosafarbnen Bändern überall durchwunden – Inmitten, dem Aug' zur Folie, glänzt ein Edelstein, Wie im Kometenschweife eines Sternes Schein. Kurz, eine Galatracht; und Manche flüstern still, Daß sie für's Land, am Werktag, wohl nicht sehr passen will. Das Kleid ist kurz, und doch entdeckt man die Füßchen schwer – Wie sie so schnell dahinläuft oder sich schiebt vielmehr, Gleich den Persönchen, die man am Dreikönigsfest Im Krippenspiel von versteckten Knaben schieben läßt. Mit leichtem Neigen grüßt sie im Laufen der Gäste Schaar, Und will zum Sitz gelangen, der ihr bereitet war. Das war nicht leicht. Es mochte an Stühlen Mangel sein, So saßen auf vier Bänken die Gäste in vier Reih'n; Man mußte sie stören, wollt' man über die Bank nicht springen; Sie aber weiß behende zwischen die Bänke zu dringen, Und dreht sich dann zwischen den Sitzenden und dem Tische fort, Wie eine Billardkugel, bis zu ihrem Ort. Und unsern Jüngling berührt sie ganz nah' im Weiterschieben, – Sie war mit einer Falbel an Jemand hängen geblieben, Und gleitet ein wenig – und ehe sie sich fassen kann, Hält sie sich fest am Arm des Herrn Thaddäus an. Und nun, nachdem sie sich bei ihm entschuldigt fein, Nimmt zwischen ihm und dem Richter sie ihre Stelle ein – Doch ißt sie gar nichts – fächelt sich nur ohne Ruh', Dreht an dem Heft des Fächers, – legt sich ab und zu Den Spitzenkragen zurecht und streift mit leichter Hand Bald über eine Locke, bald über ein Rosenband.

So war wohl vier Minuten das Reden unterbrochen. Indeß wird unten am Tisch, erst flüsternd nur gesprochen, Dann zwischen den Männern halblaut ein Gespräch geführt: Es ist das heutige Jagen, das man discutirt: Notar und Assessor16 streiten, wild und wilder entbrannt, Um einen gestutzten Hund, ein Windspiel, Mutz genannt; Das der Notar mit Stolz sein theures Eigen heißt, Und das auch den Hasen gefangen, wie er jetzt beweist. Worauf der Assessor zeigt, dem Herrn Notar zum Trutz, Dies Lob gebühre dem Falk und keineswegs dem Mutz. Die Anderen alle befragt, was ihre Meinung sei, Ergriffen theils für Mutzen, theils für Falken Partei, Als Augenzeuge der, und der nach Kennersinn. – Am andern Ende sagt indessen zur Nachbarin Halblaut der Richter: »Vergieb, es war nicht zu verschieben; Die Gäste hatten sich lang im Freien herumgetrieben – Und Alle bekamen Hunger nach dem vielen Geh'n; Auch dacht' ich nicht, dich heute bei uns zu Tisch zu seh'n.« Drauf wandt' er, die Becher füllend, zum Kämm'rer sich zurück, Und leise besprachen beide die neuste Politik.

Wie rechts und links sich so beschäftigt Jedermann, Blickt Herr Thaddäus näher die Unbekannte an. Er denkt, wie er doch früher errathen hab' sofort, Für wen bestimmt gewesen der leergelass'ne Ort. Laut klopft sein Herz – erröthend glüht sein Wangenpaar: Was er im Stillen vermuthet, so sah er's offenbar! So war's bestimmt, daß sitzen sollt' bei ihm so traut Die Schöne, die er heut' im Dämmerlicht erschaut! Zwar die Gestalt – sie schien ihm schlanker jetzt zu sein: Weil sie im Anzug war, und der macht groß und klein. Dort hatt' er kurz das Haar und goldig-hell gefunden, Hier ist es rabenschwarz, in lange Locken gewunden; Gewiß, die Farbe kam wohl von den Sonnenstrahlen, Die ja des Abends Alles röthlich golden malen. Nicht hatt' er das Antlitz geseh'n, – sie war zu rasch entschwunden – Doch war's ein schönes Bildniß, was sich sein Sinn erfunden; Schwarzäugig, weiß an Wangen – so stellte sich's ihm dar – Die Lippen, wie ein prangend Kirschenzwillingspaar, Und Mund und Aug' und Wangen – hier war's, wie er gedacht. Das Alter ist's, was noch am meisten denken macht: Ein junges Mädchen glaubt' er im Garten zu gewahren, Und diese Dame war ein Weib in reifern Jahren. Doch Jugend frägt die Schönheit nach dem Taufschein nicht, Jung ist dem jungen Manne jedes Frauengesicht, Gleichaltrig dünkt dem Burschen, was nur in Schönheit blüht, Und jedes Lieb jungfräulich dem schuldlosen Gemüth.

Thaddäus war wohl schon fast zwanzig Jahre alt, Und Wilno, die große Stadt, seit Jahren sein Aufenthalt; Doch war er von einem Priester, der ihn treu bewahrt, Gar streng erzogen worden in der Väter Art. So bracht' er denn nach Hause der herben Zucht Gewinn: Ein schuldlos-reines Herz und einen lebendigen Sinn; Doch auch nicht wenig Neigung, über die Schnur zu hauen. Im Voraus plant' er schon in fröhlichem Selbstvertrauen: Die langentbehrte Freiheit nun zu genießen nach Lust; Jung war er, flink und stattlich, und war sich auch dessen bewußt: An Kraft und Frische war er seiner Eltern Kind – Er hieß Soplica, – und alle die Soplica's sind Bekanntlich gut bei Leibe und voll gesunder Kraft, Zum Waffenhandwerk einzig, nicht so zur Wissenschaft.

Thaddäus war in Allem der Ahnen rechter Sproß. Er war vortrefflich zu Fuß, auch recht geschickt zu Roß; Nicht dumm, jedoch im Wissen nicht gar weit gedieh'n – Wiewohl der Ohm nichts sparte, ihn würdig zu erzieh'n – Er hantirte lieber mit Säbel und Schießgewehr: Er wußte, daß man ihn bestimmt zum Militär, Wie es sein seliger Vater im Testament gewollt – Und seufzte nach der Trommel, wenn er studiren sollt'. Doch plötzlich gefiel's dem Onkel, anders für ihn zu wählen, Er hieß ihn nach Hause kommen, sich möglichst bald vermählen, Und dann die Wirthschaft führen; versprach, ihm als erste Gabe Ein kleines Gut zu geben, – dann seine ganze Habe.

All' diese Tugenden, die Herrn Thaddäus schmücken, Bemerkt die Nachbarin, ein Weib von scharfen Blicken, – Die hohe, schöne Gestalt betrachtet sie mit Lust, Die kraftgeschwellten Arme, die männlich-breite Brust, – Die Wangen auch, die immer erglüh'n in rothen Flammen, So oft mit ihrem Blick der seine trifft zusammen; Denn seine Blödigkeit war nun verschwunden ganz, Kühn blickte jetzt sein Auge, voller Glut und Glanz – Und sie gleich ihm – und wie die Kerzen am Altare, So glühten gen einander zwei helle Augenpaare.

Sie knüpfte die Unterhaltung auf französisch an: Er kam aus der Stadt, vom Studium – weshalb sie von Büchern begann, Und was seine Meinung wäre von der und jener Erscheinung – Und neue Fragen erzeugte jede gegebene Meinung. Und wie sie nun gar anfängt von der Malerei, Von Tanzkunst, von Musik, ja von der Bildhauerei – Zeigt sie in Farben und Noten und Bücher sich eingeweiht, Daß fast Thaddäus versteinert vor so viel Gelehrsamkeit! Er fürchtet, Schand' und Spott zum Schluß davonzutragen, Und stottert, wie ein Schulbub vor des Lehrers Fragen. Zum Glück ist der Lehrer hübsch und hält kein streng Gericht. Die holde Nachbarin erräth, woran's gebricht, Und bringt die Sprache auf leicht're und minder weise Dinge: Auf's Landleben, – wie viel Langweil' und Müh'n es mit sich bringe, Wie man die Zeit muß nützen, wie sich unterhalten, Das Leben fröhlicher und schöner zu gestalten. Thaddäus erwidert kühner, nun geht es glatt vom Munde: Man war auf vertrautem Fuß nach einer halben Stunde, Beginnt selbst kleine Späße, neckt und zankt und droht; Zum Schluß stellt sie vor ihn drei Kügelchen aus Brod, Als drei Personen zur Wahl: er wählt die Nächste aus; Die beiden Kämm'rerstöchter zieh'n die Stirne kraus, Die Nachbarin lacht auf, aber sie verschweigt, Wen jene glücklichere Kugel angezeigt.

Ganz anders unterhielt man sich auf der andern Seite: Denn Falk's Partei hat plötzlich sich aufgerafft zum Streite, Und über Mutzens Freunde ging's unbarmherzig her. Groß war der Kampf, – man aß die letzten Speisen nicht mehr, Man stritt nur, stehend und trinkend; am schrecklichsten aber war, Gleich wie ein Birkhahn zu schauen, der hitzige Notar. Wenn er einmal begonnen, so sprach er in Einem fort, Eindringlich mit Geberden malend jedes Wort. Der Herr Notar Bolesta war früher Advokat, Man nennt ihn Prediger, weil er so rege Gesten hat. Die Hände an der Seite, nach hinten die Ellenbogen, Die Finger mit den langen Nägeln vorgezogen, So zeigt er jetzt, im Bild, die beiden Hunde am Strick: Nun schließt er: »Hussah! Wir lassen in Einem Augenblick Ich und der Assessor, auf Einmal, unsre Hunde los, Als wie mit Einem Finger zwei Hähne am Doppelgeschoß – Hussah! Sie liefen – der Hase, ripps! in's Feld, – sie nach –« Hier fuhr er über den Tisch und stellte, während er sprach, Den Lauf mit den Fingern dar, mit wunderbarem Geschick; »Sie nach – und waren vom Wald schon weg ein gutes Stück. Falk ripps! voran – ein Hitzkopf, obzwar ein flinker Springer, Er rannte Mutzen vor – um so viel – um einen Finger. Ich wußt' es: er blamirt sich! – Der Graue, pfiffig und fein, Schießt scheinbar g'rad in's Feld, – die Hunde hinterdrein – Ein Schlaukopf! Wie er die Meute beisammen weiß, – bums! ging's Nach rechts – ein Purzelbaum – sie nach – er wieder links: Flink in zwei Sätzen, – er macht sich die Dummheit der Hunde zu Nutz – Sie flugs nach links ihm nach: er in den Wald, und mein Mutz: Rapps!« – Also schreiend war er, über den Tisch gebogen, Bis auf die andre Seite mit seinen Fingern geflogen – Und »Rapps!« so schrie er mächtig Thaddäus dicht in's Ohr – Thaddäus und seine Dame schrecken jäh empor, Aus traulichem Gespräch. Es fliehen wider Willen Die Stirnen von einander vor dem lauten Brüllen: Gleich zwei verbund'nen Wipfeln, die der Wirbelwind Mit jähem Stoße scheidet. Es trennen sich auch geschwind Die Hände, die unter'm Tisch nah' bei einander lagen – Und Eine Röthe sieht man aus zwei Gesichtern schlagen.

Thaddäus wollt' verbergen, wie zerstreut er war, Und meinte: »Ja, ohne Zweifel, ja, mein lieber Notar, Schön ist der Mutz, ist er nur auch ein tüchtiger Packer –« »Ein Packer«? schrie der Notar, »mein Lieblingshund, so wacker, Der wär' vielleicht kein Packer?« Thaddäus freut sich nun sehr, Daß ein so schöner Hund ganz ohne Tadel wär', Bedauert, ihn nur beim Gang vom Wald geseh'n zu haben, Und ihn nicht näher zu kennen nach allen seinen Gaben. Darauf erbebt der Assessor, läßt aus der Hand den Becher – Mit Basiliskenblicken durchbohrt er den jungen Sprecher – Er war nicht so beweglich, konnt auch nicht so schrei'n, Wie der Notar, er war viel schmächtiger und klein, Doch Kreistag, Ball und Redoute kannten seine Schrecken: Der Mann hat einen Stachel in der Zunge stecken, Hieß es von ihm; so witzig wußte er zu spaßen, Man hätt' es im Kalender können drucken lassen – Und immer scharf und bissig. – Früher ziemlich reich, Verputzt' er sein eigenes Erbtheil und das des Bruders zugleich, Um in der großen Welt nur recht viel Pomp zu entfalten; Drauf trat er in den Staatsdienst, um im Bezirk zu schalten. Er jagt für's Leben gerne, theils der Kurzweil wegen, Theils, weil ihm Horn und Treibjagd Erinn'rungen erregen An seine jungen Jahre, da er noch sein genannt Viel Jägersleute und Meuten, weit und breit bekannt. Zwei Windspiele besaß er noch aus jenen Zeiten, Und Einem von diesen wollt' man noch den Ruhm bestreiten! So rückt er denn näher, streichelt langsam den Backenbart, Und lächelnd beginnt er (es war ein Lächeln giftiger Art): »Ein Hund ohne Schwanz, das ist ein Schlachcic ohne Amt – Der Schwanz macht ihn behender: woher auch das Sprichwort stammt, Ihr scheint euch aber den Stutzschwanz als Vorzug vorzustellen? Übrigens mag eure Tante hier das Urtheil fällen, Ob auch Frau Telimene in der Hauptstadt geweilt Und unser ländliches Leben erst seit Kurzem theilt, Doch weiß sie im Jagen besser, als junge Jäger, Bescheid, – Seht ihr: So kommt die Einsicht von selber mit der Zeit.«

Thaddäus, so angedonnert, er wußte kaum, warum, – Erhebt sich ganz verwirrt, bleibt eine Weile stumm, Mißt aber den Assessor mit immer wild'rem Blick: Da niest der Kämmerer zweimal, es war ein großes Glück – Helfgott! ruft Alles – er neigt sich dankend im ganzen Kreise Und an die Dose klopft er mit den Fingern leise. Die Dose war von Gold, mit Edelsteinen belegt, Das Bild des Königs Stanislaus mitten eingeprägt; Der König hatte sie einstmals seinem Vater gegeben, In Ehren hielt sie nun der Sohn sein ganzes Leben. Klopft er an diese Dose, so heißt das: er will sprechen. Da schweigen Alle und Keiner wagt ihn zu unterbrechen. – Er sprach: »Großmächtige Herrn und Brüder allzumal! Nur Forst und Felder sind des Jägers Tribunal, Weshalb ich in solchen Dingen zu Haus kein Urtheil künde, Und unsere Sitzung für morgen anzuberaumen finde, Und weitere Repliken den Streitenden untersage. Frohnbote, für morgen, für's Feld, vertage du die Frage! Der Graf mit seinem Jagdtroß trifft hier morgen ein, Und ihr auch, Nachbar Richter, werdet mit uns sein, Frau Telimene auch, die Fräulein und die Frauen – Kurz, morgen kriegen wir ein wacker Jagen zu schauen – Und unser Wojski auch wird sich uns nicht entzieh'n.« Mit diesen Worten reicht er dem Greis die Dose hin.

Der saß an der Ecke mitten unter den Jägersleuten, Geschlossenen Auges hört' er all' das Reden und Streiten, Doch ohne ein Wort zu sprechen, wiewohl man ihn öfter fragt, – Denn Keiner weiß, wie er, Bescheid in Sachen der Jagd. Er schwieg; die Prise, die er zwischen die Finger schloß, Wog er in langem Sinnen, bis er sie endlich genoß – Er niest: daß es gewaltig hallt im ganzen Gemach; Kopfschüttelnd und bitter lächelnd begann er drauf und sprach: »O! Wie mich alten Mann das wundern muß und grämen! Was sagten die alten Jäger, wenn sie das vernähmen, Daß mitten in so vieler edler Herren Kranz Processe verhandelt werden um eines Windspiels Schwanz? Was sagte der alte Rejtan, käm' er zur Erde wieder? Er gienge nach Lachowicze und legt' auf's neu' sich nieder. Was dächt' sich der Wojewode Niesiolowski17 heute, Er, der jetzt in der Welt besitzt die erste Meute, Und hält zweihundert Jäger, nach großer Herren Art, Und hundert Wagen Netze in seinem Schloß bewahrt, Und doch, wie ein Mönch, seit Jahren sitzt in seinem Nest, Und sich um keinen Preis zur Jagd erbitten läßt, Und selbst dem Bialopiotrowicz18 es unlängst abgeschlagen? Denn was auch soll der Alte auf euren Jagden jagen? Das wär' ein schöner Ruhm, den solch ein Herr erstritte, Wenn er, nach heut'ger Mode, auf Hasenfährten ritte! Zu meinen Zeiten, ihr Herrn, da hießen wir Jägersleute Wolf, Elenn, Bär und Eber edelmännische Beute, Und was nicht Klauen, Hauer oder Hörner trug, Ließ man für Bursch und Troßknecht mit gutem Recht und Fug. Es hätte ja jeder Herr mit Grau'n sich weggewendet Von einer Flinte, die jemals dünnes Schrot geschändet! Windspiele hielt man wohl, denn bei der Heimkehr geschah's, Daß unter dem Roß hervorglitt so ein armer Has', Da mochte man zur Kurzweil auf ihn die Hunde hetzen, Und Bürschlein auf kleinen Rößlein pflegten ihm nachzusetzen, Vor ihrer Eltern Augen, die solche Lustbarkeiten Kaum würdigten anzuschauen, geschweige drüber zu streiten. Drum, gnädigster Herr Kämm'rer, mög's euch gefällig sein, Die Ordre zurückzunehmen, mir aber zu verzeih'n, Daß ich auf solch ein Jagen mich keineswegs begebe, Und nie begeben werde, so lange ich noch lebe. Hreczecha heiß' ich und seit Lech's, des Königs Zeiten, That niemals ein Hreczecha wider Hasen reiten.«

Hier fingen die jungen Leute laut zu lachen an; Man stand vom Tische auf, der Kämmerer schritt voran, Seinem Alter und Amt ertheilt man die Ehre gern; Im Gehen grüßt er die Damen, die ältern und jüngern Herrn. Drauf folgt der Mönch, der Richter schließt sich dicht an ihn, Der Richter giebt an der Thür den Arm der Kämm'rerin, Thaddäus bietet ihn Frau Telimenen dar, Assessor und Krajczanka bilden das nächste Paar, Zum Schluß des Wojski Tochter mit dem Herrn Notar.

Thaddäus führt einige Gäste zur Scheuer; – er ist verstimmt, Durchaus nicht guter Laune, verwirrt, sogar ergrimmt; Und alles, was heut' geschehen, zergliedert er im Sinn, Die erste Begegnung, die Mahlzeit neben der Nachbarin; Und namentlich dies »Tante«, dieses Eine Wort, Wie eine lästige Fliege, umsummt's ihn immerfort Gern möcht' er vom Gerichtsfrohn sich näher berichten lassen, Über Frau Telimene, – doch der war nicht zu fassen; Auch der Wojski war fort. Sie waren allesammt Den Gästen gleich gefolgt, wie's des Gesindes Amt, Die Stuben herzurichten. Die Damen und die Alten Sollten im Herrengebäude ihre Nachtruh' halten, Indessen, an Stelle des Hausherrn, Thaddäus die jungen Leute Zur Scheuer führt, aufs Heu; dort übernachten sie heute.

Bald drauf lag tiefe Stille über das Haus gebreitet, Gleichwie in Klosterhallen, wenn man zur Hora geläutet. Des Wächters Stimme nur durchtönt die Ruh' der Nacht. Entschlummert sind schon Alle. Nur der Richter wacht; Als Oberhaupt des Hauses durchdenkt er nun den Zug In's Feld – und ordnet auch die ferneren Spiele klug; Aufseher, Verwalter, Vögte erhalten Befehle genau, Stallknechte, Schreiber und Jäger, und auch die Wirthschaftsfrau, Auch alle Rechnungen vom Tag sind durchzuseh'n. Nun sagt er dem Gerichtsfrohn, er wolle zu Bette geh'n. Der bindet ihm den Gurt ab – ein Slucker Gurt und gediegen19, Mit strahlenden dichten Quasten, die wie ein Helmbusch fliegen; – Die eine Seite aus Goldstoff, mit Purpurblumen geschmückt, Die andre aus schwarzer Seide, mit Streifen, in Silber gestickt; Man kann einen solchen Gurt auf beiden Seiten tragen, Die goldne an festlichen, die schwarze an Trauertagen. Der Frohn nur weiß es, wie man ihn lösen und falten muß – Jetzt ist er eben daran, und sagt noch dies zum Schluß:

»Was macht's, daß ich die Tische geschafft zum Schloß hinein? Geschadet hat es Niemand – und Euch kann's nützlich sein. Hat doch um dieses Schloß sich der Proceß entsponnen, Und heute haben wir darauf ein Recht gewonnen. Da mögen unsre Gegner noch so viel Ingrimm zeigen: Ich weise nach, wir nahmen das alte Nest zu Eigen. Wer auf ein Schloß zur Mahlzeit lädt eine ganze Schaar, Hat's oder nimmt's in Besitz: das ist doch sonnenklar; Sogar die Gegner selber sollen uns Zeugniß geben: Ich weiß dergleichen Fälle genug aus meinem Leben.«

Schon schlief der Richter. Der Frohn geht sacht in's Vorhaus hinein, Setzt sich und zieht aus der Tasche bei einer Kerze Schein Ein Büchlein, das er immer und überall mit sich trägt, Zu Haus und auf der Reise, und wie ein Gebetbuch hegt. Es war die Gerichtsvocanda;20 da standen in voller Zahl Die Fälle all' verzeichnet, die vor dem Tribunal Protasius selbst verkündigt mit eignem Mund vor Jahren, Oder von denen er später Näheres mocht' erfahren. Andern scheint die Liste nur Namen zu enthalten, Ihm ist sie ein Gemälde voll herrlicher Gestalten. In Sinnen versunken, las er: Oginski mit Wizgird, Die Dominikaner mit Rymsza, Rymsza mit Wyzogird, Radziwill mit Wereszczaka, Giedroic mit Rdultowski, Obuchowicz mit dem Kahal, Juraha mit Piotrowski, Malewski mit Mickiewicz, und zum Schluß der Graf Mit Richter Soplica; – und jeder Name, auf den er traf, Mahnt ihn an große Händel, an alle Einzelheiten, Er sieht Gericht und Zeugen, hört die Parteien streiten, Er sieht sich selbst, wie er im weißen Zupan stand, Den blauen Kontusz darüber, am Säbel die eine Hand, Die andre auf dem Tisch – und vor dem Tribunal