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Pandahill - Skizzen 2020 Sex, Wahn, Blutrausch - die Abgründe einer Kultur, die sich nach der Endzeit sehnt.
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Seitenzahl: 95
Veröffentlichungsjahr: 2021
Erst am Ende der Befreiung aller Dinge wird der
Mensch sich selbst befreit haben.
Fang
BBQ
Brief
Bäcker
Es läuft dieser Song aus der 90er Jahre Bacardi Werbung im Radio, als sie an ihm vorbei fahren. Um 22:57 Uhr beschließen Margarethe und ihr Freund Jean-Paul einen Bagel zu essen, bei Coffee Fellows, in dieser finsteren, lauwarmen Spät-Sommernacht auf der A 38 in westlicher Richtung. Die Einfahrt zur Raststätte ist gepflastert mit Lastwagen, die ihr Lager aufschlagen. Ein paar Kilometer vorher haben sie ein Auto gesehen, das auf dem Standstreifen stand, tot, ohne Licht, ohne Warndreieck, ohne Mensch.
Scheiße, meint Jean-Paul, schau dir mal den an. Gib Gas und lass uns weiterfahren, wir nehmen die nächste Raststätte. -Ich will aber nicht die nächste Raststätte, entgegnet Margarethe giftig, ich will meinen Triple Cheese Bagel und ich will ihn jetzt.
Wenns um Essen geht versteht sie keinen Spaß und schon gar keine Kompromisse. Und was, erklärt sich der ängstliche, dürre Jean-Paul hinter seiner riesigen Hornbrille, halb versteckt unter der Kapuze seines ausgeleierten, braunen Pullovers - was ist, wenn der Typ voll der Psycho ist, so wie die creepy Dudes, über die man in der Crime immer liest -Es ist mir scheiß egal, ob das ein creepy Dude aus der Crime ist, schimpft die massiv gebaute Margarethe in ihren schwarzen, zerrissenen Leggins, unter dem großen, grauen Überwurf - ist mir echt voll wuppe, wa? Der soll sich mal nicht mit mir anlegen, wenn ich Kohldampf habe!
-Aber wir sind vor einer Stunde vom All You Can Eat Buffet losgefahren… weil es leer war!
-Was?!? WAS?!?!
-Nnn….nichts, ergibt sich Jean-Paul, ich bin nur sauer, weil die in dem Restaurant schon nach 18 Gängen keine Ente und keine Nudeln mehr hatten… ich hab sooo Hunger!
-Also, dass du Hunger hast, kann ich mir nicht vorstellen, so wie du gefressen hast, kommentiert Margarethe schnippisch. Aber mach was du willst, du Bohnenstange im Speckmantel, du.
Und so lässt Jean-Paul das Schicksal über sich ergehen. Wenn er noch länger diskutiert, dann frisst ihn seine Freundin lebendig. Da ist das Risiko, dass dieser verlotterte, blutverschmierte Typ, der hier die Einfahrt zur Autobahn-Raststätte ohne Wagen hinkend hinein schlurft, ein wahnsinniger Serienmörder sein könnte, bei Weitem attraktiver. Lass mich nur schnell die Polizei anrufen, ja?, meint er noch, woraufhin Margarethe, die kaum noch sprechen kann vor lauter Speichelfluss, aggressiv schwabbelnd aufs Lenkrad schlägt und droht, wenn du noch einen Satz sagst, der nichts mit Bagel oder dreifachem Käse zu tun hat, dann beiß ich dir den Kopf ab!
Sein Bein tut so unfassbar weh, dass er eigentlich nur noch darüber lachen kann. Aber das macht er nicht, er ist fokussiert, auch, wenn er ins Leer blicken mag. Es gibt nur ein Ziel und nichts, das ihn davon abhalten wird. So schleppt er sich Schritt für Schritt, Meter für Meter, zur friedlich erleuchteten Tankstelle, eine grotesk dunkelrote Linie aus Blut hinter sich her ziehend.
Vor der automatischen Schiebetür bleibt er kurz stehen, Maskenpflicht. In Zeiten der Corona Pandemie muss er Mund und Nase bedecken. Also kramt er sein dreckiges, tiefrot gefärbtes Tuch aus der Tasche seiner zerrissenen, schwarzen Cargo Hose. Bevor er es sich umbindet, wringt er es nochmal aus, dickflüssige, blutige Tropfen fallen zu Boden, als würde er ein abstraktes Bild malen. Er sieht nun aus wie ein Cowboy der Apokalypse und schleppt sich weiter zum Tresen. Ein paar polnische LKW Fahrer hocken in der Ecke, kippen Wodka und mampfen recht geräuschvoll Knackwürste. Die junge Dame auf der anderen Seite der Plexiglas-Scheibe schaut ihn an. Oh, je, alles in Ordnung, fragt sie besorgt?
Er nickt nur.
Kann ich Ihnen helfen?
Er nickt. Eine Schachtel Pepe, bitte, die dunkelgrünen, und ein Feuerzeug.
Seine Stimme klingt schmerzverzerrt, nur schwerfällig kehrt er die Worte aus seinem Rachen. Die junge Angestellte schiebt skeptisch die Kippen unter dem Virenschutz durch. Mit verklebten Fingern greift er danach, fischt sich eine Zigarette aus der Packung. Ssss…sieben Euro Siebzig, stammelt die junge Frau.
Er nickt, holt einen feuchten, blutgetränkten Zehner aus seiner Tasche, klatscht ihn kraftlos gegen die Scheibe, wo er kleben bleibt wie eine missbrauchte Serviette. Dann zerrt er träge das schmutzige Tuch von seinem Gesicht, zündet sich die Kippe an und sinkt laut lachend in sich zusammen, während das flackernde Blaulicht immer näher kommt.
Corey Taylor schreit sich die Seele aus dem Leib, aber es ist nunmal der einzige Klingelton, bei dem sie wach wird. Maya ist auf dem Sofa eingeschlafen, auf dem Fernseher fragt Netflix, ob sie noch zuschaut, das Kind liegt neben ihr und schnarcht. Panisch schreckt sie hoch als wäre sie gerade einem Alptraum entflohen.
Doch der fängt gerade erst an.
Sie nimmt den Anruf mit halbgeschlossenen Augen entgegen, schleicht leise aus dem Wohnzimmer damit der Kleine nicht aufwacht. Die Polizei ist dran, sagt, man habe ihren Mann in einer Tankstelle aufgegabelt, verletzt, verwahrlost und unansprechbar. Zwei Minuten später sitzt sie mit dem schlafenden Kind im Auto und rast in die Nacht.
Kim klammert sich an einen dampfenden, miserablen Kaffee, von dem er noch keinen Schluck genommen hat. Man hat ihn grob gereinigt, seine Klamotten beschlagnahmt und seine Wunden verbunden. In einem grauen, namenlosen Sportanzug sitzt er da im Verhörraum, starrt auf seine Hände. Papa!, ruft sein vierjähriger Sohn, der ihn von der anderen Seite des Spiegels sieht. Obwohl er ihn nicht hören kann, schaut Kim auf, zeigt zum ersten Mal eine annähernd menschliche Reaktion.
Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?, will der Polizeibeamte Helmut Mahler von Maya wissen, die besorgt ihre langen, grauschwarz gefärbten Haare um ihre Finger wickelt.
Sie haben in der letzten Woche ein paar Mal per FaceTime telefoniert, aber richtig bewusst gesehen hat sie ihn vor sechs Tagen, als er nackt auf dem Bett stand und sie kniend vor ihm. Mit großen Augen schaute sie ihn an, sein Sperma schluckend, lächelnd. Dann schaltete er die kleine Nachttischlampe aus und sie schliefen eng umschlungen ein. Am nächsten Morgen, als sie noch vor Morgengrauen zur Arbeit ging, lag er in einem tiefen, traumlosen Schlaf. Maya gab ihm einen Kuss auf die Stirn und einen neckischen Klaps auf den nackten Hintern, bevor sie noch mit der Wärme der letzten Nacht in den Adern die Wohnung verließ.
Tag EINS 06.36 Uhr: Hand in Hand schleichen die ersten Sonnenstrahlen und sanfter Kaffeeduft durch die Räume. Kim wird von seinem Sohn Rod geweckt, der gerade auf ihm herumturnt. Er spielt Monster und faucht seinen Vater an. Nach ein paar morgendlichen Albernheiten frühstücken die beiden, ziehen sich an und machen sich mit dem Fahrrad auf Richtung Kindergarten. Sie wohnen in einem ruhigen Vorort, recht ländlich. Kim, eigentlich Großstadtkind, radelt mit einer gewissen Selbstironie über den Feldweg, entlang an Wiesen, über eine kleine Brücke, die über einen kleinen Fluss führt. Es ist herrliches Spätsommer-Wetter. Rod verabschiedet sich rührend herzlich von seinem Vater, weiß, dass er für ein paar Tage weg sein wird. Mit seinem kleinen Deuter-Rucksack auf dem Rücken rennt er zur Kindergartentür, hoch zu seinen Freunden, im zweiten Stockwerk schaut er nochmal aus dem Fenster im Treppenhaus, winkt, wird dann aber von einem Kind abgelenkt, das unachtsamer Weise gegen das Glas rennt. Rod verdreht die Augen und schüttelt den Kopf, denn der ungeschickte Junge neben ihn ist Lennox Dee Hempel, der stets für solche Aktionen gut ist. Kim winkt zurück, muss über die Situation lachen, was dem Daddy von Lennox Dee nicht wirklich gefällt. Der steht neben ihm am Tor vom kleinen Zaun, heißt Henry Hempel aka Beat Boy [sein DJ Name] und hält tapfer den 2000er House Style am Leben, mit männlicher Version der Hühnerarsch-Frisur, hellblauen Lee Jeans, weißen DC Sneakern und einer weißen Trainingsjacke.
Er sagt nichts, guckt nur leicht grimmig zum grinsenden Kim rüber. Grundlegend ist er aber ein netter Kerl, lebt wie die meisten in dem verschlafenen, Thüringer Nest in der gefühlten, selektiven Vergangenheit.
Kim und Beat Boy haben für ein paar Meter einen gemeinsamen Weg nachhause, also gehen sie zusammen ein Stück und unterhalten sich. Grundlegend hasst Kim es, mit den anderen Eltern zu reden, nicht, weil sie nicht nett sind oder er sie nicht leiden kann, nein, es hat drei Gründe:
1 es gibt eigentlich nichts zu reden, wozu also das Rarara?
2 sie sind wie 70-jährige, die in den Körper von 30-jährigen gestopft wurden
3 er redet grundlegend nicht gerne.
Ganz besonders hat Kim eine Abneigung gegen lockere Unterhaltungen, Small Talk und so was. Es kommt ihn immer so vor, als würde man sein eigenes Essen mit ins Restaurant bringen - muss doch nicht sein.
Jedenfalls, Herr Hempel ist ungefähr im gleichen Alter wie Kim, Anfang Dreißig, die Grenz-Generation zwischen dem analogen und digitalen Zeitalter, wohl die einzigen, die beide Welten verstehen und die Retter der Menschheit sein könnten, nur nicht sind, weil wir durch die zweidimensionalen Barbaren, die uns umschließen wie eine Pizza Calzone, umzingelt sind. Es ist Zeit für eine Revolte!
Sowas hatte Kim beim ersten Kindergeburtstag, auf dem Rod eingeladen war, zu den anderen Eltern gesagt und seit dem geht Maya lieber alleine auf solche Veranstaltungen. Entsprechend zurückhalten ist Kim gerade auf den anfänglich schweigsamen Weg der beiden Väter, den sie nur gemeinsam bestreiten, weil es ein ungeschriebenes Gesetzt auf dem Land ist, dass man das so macht. Beat Boy Hempel macht dann den ersten Aufschlag, relativ umgänglich.
-Freitag, endlich Wochenende, hey, was geht da bei dir so?
-Ähm, na ja, also ich fahre ne Woche weg, Elbsandsteingebirge, wandern.
-Mit der ganzen Familie?
-Ne, die bleiben hier. Nur ein paar Freunde und ich.
-Geil, Mann, dann lass richtig die Schwarte krachen, Boy, ich mach das auch zwei, drei mal im Jahr, einfach mal raus und GIB IHM bis zum Abwinken.
-Ja, ok, na gut, wir wollen eigentlich wirklich durchs Gebirge laufen, Natur und so.
-Klar, Mann, total, voll verständlich. Haste da auch so ne App und so?
-Ja, klar.
-Kollegen von mir machen das auch, Adidas App, Outdoor Kings, Real Men Maps, ich kenn mich aus. Was hast du so?
-Pokémon Go.
Und so findet das Gespräch ein jähes Ende.
10.27 Uhr: Kaffee läuft links und rechts an seinen Mundwinkeln herab. Gierig schüttet er sich die schwarze Brühe in die Kehle [sein Thermobecher ist schon voll und immer noch genau eine Tasse übrig]. Und da Kim es hasst, Lebensmittel zu verschwenden und schleunig zum Zug muss, ergibt sich jene Szene, schwer bepackt mit Backpack und frisch geputzten Zähnen, die dem Kaffee einen seltsamen Geschmack verleihen.
Die kleine Provinzbahn chauffiert ihn bei herrlichstem Wetter nach Erfurt. Dort hat er einen Aufenthalt von knapp einer halben Stunde, die er nutzt, um sich ein Comic zu kaufen und seinen Kaffeevorrat aufzustocken. Schließlich schmeißt er sich in eine weitere Regionalbahn und landet kurz nach 14 Uhr in Gera, wo die Bande bereits auf ihn wartet. Von da an geht die Fahrt weiter in einem Toyota Kleinbus, graphitschwarz mit grünen Felgen und einem orangefarbenen Trittbrett an den Seiten. Nach gut zwei Stunden heiterer Fahrt mit Skatepunk und Chili-Schoten erreichen sie das tschechische Hinterland. Sie lassen die Kleinstädte hinter sich, deren Architektur noch stark an den Sozialismus erinnert, im Laufe der Jahre runtergekommen, veraltet und trostlos. Auch die niedlichen Dörfer durchqueren sie, gelangen über schier endlose Landstraßen zu kleineren Bauernhöfen und schließlich zu einem kleinen Haus mit großem Garten, nicht weit vom Wald entfernt.
Schon seit fast 20 Jahren essen die Jungs bei gemeinsamen Abenteuern Chilis. Die Jungs… die Männer mittlerweile… sind Kim, Paul, Sven, Corbin und Axel. Nachdem nun die scharfe Frucht feurig durch den Darm gewandert ist, entfacht ein heißblütiger Kampf ums Badezimmer.