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te *Pandoras Walk* ist mein Work in Progress Projekt, das ich, heute am 29.10.2023 abgeschließe. Kurzgeschichten und zwei badische Gedichte, mit einem Roten Faden, aus den Jahren 2012 bis 2020. Das letzte Updates gab im OKT 2023.
Der rote Faden ist meine Auseinandersetzung mit einer schweren psych. Erkrankung (Exogene Depression und schlimmeres...), die 1994/95 ausbrach. Nach jeder Kurzgeschichte kommt ein kleiner (oder größerer) Kommentar, um den Geschichten eine Stringenz zu verleihen. Titelbilder für die jeweiligen Kapitel habe ich selbst gestaltet und noch bis Mitte Mai 2021 an den Bildern herumgebastelt. Die äußeren Gründe der Erkrankung waren vielfältig: Extremes sexistisches Mobbing am Arbeitsplatz, ein Burnout aufgrund des berufl. Drucks, dazu ein privates tragisches Ereignis, das sich in dieser Zeit ankündigte (meine Mutter starb mit 54 Jahren an Krebs), ließen mich, die damals sehr naive, junge Frau in einen diffusen, aufgelösten Humpty-Dumpty-Zustand geraten, der mich fast meinen Verstand kostete. Leider bleibt einem auch im Jahr 2021 immer noch nicht das Stigma erspart, das mit Depressionen u. Angsterkrankungen, seien sie auch noch so durch die äußeren Umstände begründet, einhergeht. Man steht am Pranger, in einer eigenartigen Tabuzone des Darüber-Schweigen-Müssens. Im Jahr 2012 habe ich begonnen an den Kurzgeschichten zu schreiben.
Jahrelang schreiben, wieder hinlegen, wegwerfen, um- und neuschreiben. Das ist mein Weg aus der Tabuzone und gegen die eigene Sprachlosigkeit.
Das kleine E-Buch-Projekt ist mein Versuch geworden, diese schlimme und mein Leben auf sehr negative Weise prägende Zeit ganz simpel beschreiben. Es gibt aber auch anderes, das ich als Vorlage für meine Geschichten benutzte, z. B. Zeitungsartikel oder eine Oper, - alles, was mich interessierte, wurde benutzt. Das Schreiben hat sich entwickelt und manches ist gelungen, anderes nicht so sehr, - bitte gleich um Verzeihung, Andrea Mink - Indie-Autorin-with-trial-and-error
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Tja, es ist schon extrem lange her, als im Bayerischen ein kleines Mädchen geboren wurde, dem ein seltsames Schicksal widerfahren sollte.
Aber zu der Vorgeschichte. Eine junge, sehr schöne, Sechszehnjährige verliebte sich Anfang der Sechziger Jahre in einen GI. Ein Farbiger, der wie sie die Musik von Elvis liebte. Sie war verknallt bis über beide Ohren, und er auch ein bißchen in sie. Er war jung und schon verheiratet in New Orleans, aber davon wußte das kleine deutsch "Frolein" nichts.
Er war in dem kleinen bayerischen Kaff stationiert, indem sie wohnte. Erst knutschten sie nur so herum, aber dann wurde die Liason ziemlich heftig. Er mußte bald wieder nach Amerika, da wollte sie sich ihm zum Abschied einmal schenken. Sie war noch Jungfrau, und nach dem Kino mit einem Film mit den Beatles, liebten sich die beiden. Im Regen, plötzlich war ein Gewitter da, und sie versteckten rasch sich in einem Heuschober vor den Wassermassen.
Auf dem Land ging damals alles noch etwas gemächlicher zu, Angst brauchten sie vor Entdeckung nicht haben. Leidenschaftlich, wild, und romantisch; es war die schönste Nacht ihres jungen Lebens! Das junge Mädchen verging fast vor Lust und Freude.
Ihm ging es genauso. Aber zwei Wochen später war er weg. wieder in den USA. Und sie stand allein da. Erst traurig vom Abschied, mit bittersüßem Schmerz, denn sie war stolz mindestens einmal seine Frau gewesen zu sein. Ja, eine Frau geworden zu sein.
Dann blieben ihre Tage aus. - Und das Drama begann. Ihre Mutter war eine alleinstehende Putzfrau, die sich mit ihrer Tochter mehr schlecht als recht durchbrachte. Jetzt bekam aber das Kind ein Kind. Das war der Weltuntergang für die kleine Familie. Was für eine Schande!
Aber die werdende Großmutter war nicht feig, hatte sich auch nie im Krieg gegen Juden gemein gezeigt. Was man von ihrem Vater ihrer Tochter nicht sagen konnte. Der Vater war auch nach Kreigsende ein ganz überzeugter Nazi, ohne Reue. Aber irgendwie hatte er es geschafft nicht auffällig zu werden, keiner wollte ihn entnazifizieren. Das war sehr seltsam, aber er brauchte keinen Persilschein, obwohl er offen zugab immernoch "die Ideale" zu haben.
Und jetzt das. - Die sechzehnjährige junge Frau wurde erst, aus tiefster Verzweiflung und einem Ohnmachtsgefühl tüchtig von ihrer Mutter ausgeschimpft. Es gab auch eine schallende Ohrfeige. Aber eine Abtreibung kam nicht in Frage! Es war Mitte der Sechziger Jahre, da kannte man das noch nicht oder tat so, als würde man so etwas nicht kennen. Abtreibung, Engelmacherinnen, unmöglich auf dem Lande. Und dazu war man ja katholisch. - Wenn das Kind nicht ausgerechnet von einem "Schwarzen" gewesen wäre..., aber da konnte man halt nichts mehr machen. Das war Gottesfügung, bekreuzigte sich die fromme, rechtschaffene Mutter, und wartete mit ihrem Fräulein Tochter die Geburt des Kindes ab. Es war ihr ja auch nicht besser ergangen...
Die junge Frau kannte sich vor Scham und Schande kaum aus. Und ein Portraitfoto aus der Zeit als sie schon hochschwanger war, zeigte eine wunderschöne, aber schon sehr verzweifeltes Mädchen, das zu früh lernen mußte, das das Leben nicht so einfach sein konnte. Ih Kind kam auch zu früh. Die junge Mutter hatte sich geschnürt, "um die Schand ned ertrogn zu miassn". Vielleicht wurde das Baby deshalb ein Frühgeborenes im siebten Monat? Oder das Alter der Mutter war ein Grund dafür, jedenfalls kam es zu einer dramatischen Fahrt mit einem Taxi zu dem städtischen Krankenhaus. Die Hochschwangere hatte starke Schmerzen und hielt die Fahrt dorthin kaum aus. Schnell wurde sie in den Kreissaal gebracht, und sie gebar ihr Kind. Beide Mutter und das Kleine schwebten in Lebensgefahr.
Die junge Mutter wurde ins Leben zurückgeholt. Und das Frühchen, ein Mädchen, ein "Negerchen", - das heute verbotene Wort war damals in Anführungszeichen "in Ordnung", sehr süß und so zart, mußte in die Kinderklinik nach München gebracht werden, auch wenn es nicht aus Schokolade war, sondern und das Ärzteteam, um das Leben des kleinen Menschchens rang. Man pflegte man es sechs Wochen lang, so eine Frühgeburt war in damals keine Kleinigkeit. Erst nah am Tod, dann liebevoll im Brutkasten aufgepäppelt von den Ärzten und Krankenschwestern, - Nonnen waren es -, wurde es wie durch ein Wunder immer kräftiger und konnte dann zu seiner Mutter nach Hause entlassen werden.
Die ledigen Teenagermama und die fromme Großmutter freuten sich doch über das liebe entzückende Kinderl, das so schwach war, so das es nicht schreien konnte. Oder war es so brav? Sie hatten den Neuankömmling wirklich lieb. - Auch wenn es "kohlrabenschwarz" war. - Da erfuhr, der von der nagelneuen Großmutter ungeliebte versteckte Erzeuger ihrer Tochter von der Geburt des Kindes.
Er, der als junger Soldat im Krieg gewesen war, Sudetendeutscher, den es nach Bayern verschlagen hatte, und der noch vor Kriegsende ein junges Mädchen kennenlernte, das auch nicht abgeneigt war ihn zu treffen. Denn lieber ein Kind von "so anem, ols fir n Hitler orbeitn". Sie war jung und klug, vom Fanatismus der Nazis nicht angesteckt. Und so kam es, wie es kommen mußte. Und sie schaffte das Wunder nicht für Hitler und in der Rüstungsfabrik zarbeiten zu missn, auf eine ganz natürliche, sehr weibliche Weise. Deshalb konnte sie auch ihrer schwangeren Tochter nicht ganz so bös sein, denn wie die Mutter so die Tochter! Für sie war es ein bißchen die Strafe Gottes, mit der sie nun so gut als möglich leben mußte. Für den unehelichen Großvater auch, aber eine, die er gerne aus der Welt geschafft hätte.
Erst konnte er sich mit der Tatsache garnicht abfinden. Ein Kind, von einem "Schwarzen", auch noch ein "Ami". Aber er betete zu seinem nationalsozialistischen Gott, das alles gut werden möge. Und als er das Baby als es ein Jahr alt war, sehen durfte, fand er es irgendwie süß und erkannte in ihm die Reinkarnation Hitlers. Er war sich sicher, dieses Kind mußte Adolf sein großer Führer sein! Er war sich ganz gewiß, und betete frohlockend zu seinem Gott, wo immer der sich auch befand. - Ein Verrückter eben, wie es im Buche steht...
Der armen, aber doch ein bißchen stolzen Großmutter und der Mutter des Kindes sagte er nichts davon. Seine ehemalige Geliebte verscheuchte ihn auch gleich wieder, "dos Du glei wieder hinkimmst, wo Du hinghörst, alter Nazi", - und damit war diese "Beziehung" wirklich endgültig zu
- ENDE -
KOMMENTAR am 15.07.2020
Diese Geschichte ist dem Leben meiner Grossmutter nachempfunden, doch habe ich einige biographische Daten nicht erwähnt. Es ging mir um die Fiktion, nicht um Ihre tatsächliche Biographie.
Dennoch möchte ich heute einige persönliche Fakten hier auf's Papier bringen. Meine Grossmutter (31.12.1909 - 13.01.1999) war mit einem ungefähr 10 Jahre jüngeren Mann liiert, - und der war wie sie noch unverheiratet. Im Januar 1945 brachte sie ihre einzige Tochter zur Welt. Sie hatte diesen Ausweg gewählt, um den Drohungen der NS-Partei zu entkommen.
Ihr Bruder war dazu verdammt worden als Hilfslehrer im Dt. Reich herumzureisen und sie, die kleine Schwester, sollte für das Regime arbeiten. Daheim war noch die demente Mutter zu pflegen.
Der großer Bruder, der Lehrer in Sulzburg war, hatte seine gesamten Schüler:innen immer gerecht und gut behandelt, das wird in der Dauerausstellung JUDEN IN SULZBURG in der dortigen ehem. Synagoge dokumentiert. Da er nicht beim Ausgrenzen der jüdischen Schüler:innen mitgemacht hatte, wurde er als Hilfslehrer durch das dt. Reich gejagt und es gab das Zitat "Man hat g'wartet bis ihn e Bömble trifft".
Ich denke, das es noch schlimmer für ihn gekommen wäre, hätte seine jüngere Schwester Liselotte, meine Großmutter, nicht wie sie mit Sarkasmus erzählte ein Kind für den "Führer" gekriegt. Schlimmer, soll heißen mögliches KZ für den Bruder und Tötung der dementen Mutter Lina.
Den Vater ihres Kindes hat sie ganz bewusst nach dem 2. Weltkrieg nicht geheiratet, da er, wie sie es sagte, nach dem Krieg immer noch ein Nazi war und an den Endsieg geglaubt hatte.
Sie nahm die Alimente für ihr Kind, das sie ausgerechnet Ortrud nannte, da sie, obwohl sie die Nazis hasste, aber als ambitionierte jüngeren Pianistin, der wie sie sagte "der Krieg ihrer Karriere dazwischen gekommen ist", dennoch Richard Wagners Musik liebte.
Meine Grossmutter sagte mir einmal, welche Komponisten sie sehr gerne spielte, doch ich hab's zu meiner Schande vergessen, - war Chopin und Schumann auch darunter oder verwechsle ich jetzt die Komponisten? Zu lange her, schade.
Sie versuchte nach dem Krieg den Kontakt mit dem Erzeuger ihrer Tochter so gut wie möglich zu vermeiden, dennoch war er der braun-schwarze Schatten über unserer Familie.
Ihre Tochter, meine Mutter haßte den Namen Ortrud, wie ihre anderen Namen, Johanna und das slawische Wanda. Die Vornamen waren Anlass für viel Streit.
Ich bin das Kind der Tochter und liebte ihren Vornamen Ortrud. Es war eben der Vorname meiner Mama, wie ich meiner Schwester mal sagte ,und aus diesem Grund mochte ich ihn.
Der Mann, den meine Grossmutter "der Erzeuger Deiner Mutter" und "schön und blöd" nannte, hat mich nur mit einem Jahr auf Familienfotos beweisbar gesehen. Sonst wurde er bewusst von uns Kindern (Ich habe noch eine 2 Jahre jüngere Schwester) fern gehalten.
Ich hatte aber immer das Gefühl, das er, - hatte er auch noch einen Bruder und bis wann hat der gelebt? -, uns von Ferne beobachtet hat. Oder auch manchmal ganz von der Nähe...
Meine Kindheit war kein Traum, denn dieser braune Schatten des NS-Großvaters wabberte bedrohlich über unserer Familie. War das Liebe und liebevoll? Ich denke nicht.
Heute verstehe ich die schwierige und tragische Situation meiner Großmutter und meiner Mutter besser. Als Kind durchschaute ich vieles nicht. Als junge Erwachsene genauso wenig.
Ich habe in den letzten Jahren erkannt, welche Zusammenhänge sie oft so hilfos und schwierig, auch gewalttätig machten, obwohl beide sehr wohl sehr gute Eigenschaften besaßen, Modernität und Courage zeigten, wo andere sie nicht hatten und auch im Traum nicht daran dachten eigene Vorurteile zu hinterfragen.
Licht und Schatten lagen nah beieinander. Beide waren Opfer von Vorurteilen, beide litten, waren sprach- und hilflos und das machte ihr Leben zur Hölle.
Anno 1969 lag Großmutters Bechstein-Flügel zerschmettert in unserem Garten in Sulzburg. Durch ihre jahrelange Überschuldung konnte sie die Kanalisation für das Haus nicht bezahlen. Wir verloren unser Haus und zogen weg nach Müllheim, Breisgau-Hochschwarzwald.
In den 60ziger, 70ziger Jahren war es auch dort nicht leichter für eine Großmutter, Mutter und 2 Kinder und die Konflikte zwischen Mutter und Tochter eskalierten weiter.
Der nichtgewollte Großvater beobachtete uns mit seiner schwarzen deutschen Liebe, - ich fürchte, das brachte so viel Gewalt in unser Leben.
Nicht farbig wie eine dunkle schöne Ebenholzhautfarbe, sondern dieser unsägliche Talmiglanz der sogen. schwarzen dt. Erziehung, diesem schrecklich-gewaltätigen Erziehungstils und angeblicher "zärtlichster" Liebe mit extremer Strenge des Dominanten zum Unterworfenen, das nur Demütigung für die so geliebten bedeutet und wie ein Fluch auf die Psyche und das Leben wirkt.
Er tat nicht gut. Er war unser Familienkarma.
Aber von Ferne beobachtete der blauäugige, rassenreine Opa das Kind, und freute sich irgendwie, und wenn ihn das auch fast umbrachte, über jeden Fortschritt, über jeden bestandenen Schultest. Irgendwie war das Kind der Schande doch von "deutschem, gutem Blute", oder was er sich da wirres wieder dachte.
Doch vielleicht sah er auch mit seiner verzerrten Sicht der Dinge, das das kleine, vom afrikanischen Esel gefallene, Negerküsschen, - etwas böse konnte er es nur so nennen -, klug, ja richtig aufgeweckt war. Von seinem arisch-germanischen Stammbaum stammte es doch trotzdem ab! Schade, das es so rabenschwarz war... - Was konnte er dagegen tun? Viel hatte er im Krieg und auch danach gehört, von der Mystik und Magie des Nationalen... Konnte er, wenn auch von Ferne, das treue, gute Arische auch in dem Negerlein erwecken? Gerade in das braune, weiche Babyfleisch den Geist des ehrenvollen übermenschlichen Deutschen erwecken? Das Kind war gar zu schwarz, was tun?
Den Führergeist erwecken! Ein wahrer Kraftakt für einen echten aufrechten Deutschen. Was für eine gute Idee er doch hatte! Hitlers Geist im Körper eines NegerSchornsteinfeger-Mädchens zu transferieren, das war ab sofort seine heilige Pflicht und wahre, völkische Mission! Das Schwärzchen sollte seine Rache für die bittere Niederlage Deutschlands zu spüren bekommen! Für die ewige Besetzung des deutschen Reiches sollte es als Fanal dastehen! Mit alter schwarze-brauner Magie und Manipulation, wie es in "Mein Kampf", seinem allerheiligsten Besitz, stand. Nur damit konnte er die Schmach und Schande von der Familie auslöschen. Da war er sich ganz sicher. Unauffällig lebte, das nun komplett wahnsinnig gewordene Opili sein Leben weiter und schmiedete seinen glühendheißen, wie in der Hölle in der Hitler schon lange wohnt, geisteskranken Rachefeldzug für die Zukunft.
Das Kind entwickelte sich prächtig. Isabella hieß es zwar nicht wie das Taxi, in dem es fast geboren worden wäre. Einem Wagen der Firma Borgward, - so schöne Limousinen gibt es heute garnicht mehr. Nein, der Vorname hatte sich der uneheliche, ungeliebte Großvater ausbedungen, sollte mit "A" anfangen. Die junge Mutter fand die Idee trotzdem toll! Ein Jugendbuch hatte sie gelesen. "So ist Andrea", war ein quasi Jugendbuch-Bestseller zu der Zeit. Es war also abgemacht. Das Mädchen wurde auf den Namen Andrea getauft, auch wenn der katholische Priester etwas von "Zefix! Unehelich und a no schwoarz." knurrte.
Viele Andreas wurden in den Sechzigern geboren. Alle ihre Mütter hatten das Buch über das selbstständige Mädchen, das Sekretärin werden wollte, gelesen. Ihr erster Schritt in Richtung Emanzipation. Ungewöhnlich für diese Zeit! Mädchen sollten bloß schnell unter die Haube kommen, ein Beruf war da zweitrangig. So war es nun einmal, und wer an den Regeln rüttelte, hatte es verdammt schwer.
Das Mädchen Andrea wuchs bei ihrer Oma und Mutter auf. Zu Hause und in der Schule war sie aufmerksam und brav. Sogar in der Pubertät munkte sie fast nicht auf. Nach der Mittleren Reife machte sie an einer beruflichen Schule ihr Allgemeines Abitur, und studierte an der Universität das Grundschullehramt in den Fächern Deutsch und Handarbeit. Unter den Studenten war sie eine Einzelgängerin, als Referendarin und auch später als Lehrerin. Sie passte anscheinend irgendwie nirgends hin, war eine Exotin, die alleine blieb. Sie war deswegen traurig, aber das Lehren der Kinder in der Schule tröstete sie darüber hinweg.
Andrea war eine erwachsene Frau geworden. Mittelgroß, etwas mollig, schwarz, modern. Kurz hintereinander mußte sie den frühen Tod der Mutter, die ihr lebenlang ledig geblieben war, - sie hatte einen Autounfall -, und den darauffolgenden Tod der Großmutter, die das frühe Sterben der Tochter nicht verwand und an gebrochenem Herzen starb, verkraften. Diese Zeit war für sie nicht leicht. Fast wäre auch sie an der Trauer umgekommen.
Doch die Jahre vergingen mit der Arbeit an der Grundschule. Sie hatte die Kleinen, "die Zwergerln", wie sie sie heute noch nennt, gern. Denen Deutsch und Handarbeit zu lehren, gab ihr Halt und Freude in dem recht einsamen Dasein. Sie war isoliert. Warum, das war ihr nicht bewußt. Vielleicht lag es an ihrer Schüchternheit? Und der Trauerzeit?
Im Jahr 2012 im Mai klingelte bei ihr Telefon. Sie war gerade zuhause und korrigierte die Aufsätze ihrer 3. Klasse. Der über achtzigjährige verschollene Großvater war dran. Mit schwacher, aber bestimmten Stimme erzählte er ihr von seinem Krebs. Im Endstadium. Unheilbar. Besuchen solle sie ihn. In Wiesbaden. Das wäre die Enkelin ihm schuldig.
Wie kam denn der dazu ihr Schuldgefühle einzureden und sie, die ihn noch nie gesehen hatte, - jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern -, im Befehlston zu sich zu zitieren? - Wiesbaden? Da wollte sie nicht hin. Sie überlegte. Einem Sterbenden den letzten Wunsch zu verweigern, das wäre doch unmenschlich, - auch wenn es der eigene Naziopa ist -, oder? Sie war verunsichert und zögerte. Aber dann versprach sie den Besuch doch und fuhr am nächsten Wochenende beklommen hin.
Das war schon eine Strecke München - Wiesbaden. Aber sie, das mußte sie zu geben, war neugierig auf ihn geworden, diesem einzigen noch lebenden Verwandten. Wäre er nur keiner der Ewiggestrigen gewesen! Und ein Sterbender. Konnte sie das noch einmal durchstehen? Großmutter und Mutter, was hätten die wohl zu dieser Fahrt gesagt? - Aufgeregt, nervös, mit einer ganzen Palette von widersprechlichen Gefühlen, fuhr Andrea mit der Bundesbahn zum Todkranken. Fand mit Ach und Krach das Krankenhaus und sein Zimmer. Die Nummer hatte er ihr eingeschärft. - Die Vier-und-Zwanzig in der Onkologie! - Sie betrat, sich selbst verwünschend, den Raum und wurde von seiner blondgefärbten alten, hageren Frau mit verweinten Augen höflich begrüßt. Fast herzlich von dieser Unbekannten in die Arme genommen zu werden, war peinlich.
Der Großvater, da war er. Bleich, schmal, gebrechlich, am Tropf, - wahrscheinlich Morphium drin -, so lag er ihm Krankenbett und lächelte sie an. Fast war er nicht mehr da. Es war ein sehr seltsames Gefühl das Andrea beschlich, als sie seinen Blick erwiderte. Er hob die eine Hand etwas und winkte sie zu sich. Es blieb ihr nichts anderes übrig und so nahm sie an seiner Seite Platz. Er sprach gerührt, mit seiner schwachen, brüchig gewordenen Stimme, das er sie heute um etwas äußerst wichtiges bitten müße.
Er hatte sie jahrzehntelang von weitem immer beobachtet. Stolz war er auf die Enkelin, denn sie hatte sich, trotz Schwärze, zu einer prächtigen deutschen Frau entwickelt! Seine sudetendeutschen Erbanlagen waren doch für etwas gut gewesen! Und sogar der Führer, den er bald hoffte wiederzusehen, sollte sich doch ein wenig über seinen Erfolg freuen können!
Er tätschelte, etwas aus dem Konzept, gekommen ihre braunen Hände. Handarbeitslehrerin! Die Tugenden des nationalistischen deutschen Frauenbundes leuchteten in ihr in glorisosem Schein! Er sah sie durchdringend an und still dachte er im von Morphium benebelten Hirn, wäre es jetzt möglich, das der ewige Geist des Führers sich auf seine Enkelin Andrea übertrug? Diese negroide, nicht mehr so junge Frau. War sie jetzt da, seine Rache? - Er drückte ihre Hände fester. So fest er nur konnte und blickte ihr erstaunt in die braunen Augen. - Insgeheim hatte er immernoch die Hoffnug auf das Reinkarnationswunder... Eine schwarze Reichsdeutsche wollte aus der all zu brav und naiv daher schauenden Handarbeitslehrerin machen. Naja, das mußte man heutzutage tolerieren, wenn man weiterkommen wollte. Der Zweck heiligt die Mittel, sowieso...
Immernoch neugierig, und auch entsetzt darauf wartend, was der Totkranke ihr sagen würde, der seine Finger in ihre Hände krallte, das es schmerzte und sie beschwörend ansah und irgendetwas leise lallte; so ließ sie, die angeblich auf alles Gefasste, die Rede vom Nazi-Opa über sich ergehen.
"Eine prächtige deutsche Frau", faselte er fanatisch, "die ihn womöglich in seiner rechtsnationalen Partei vertreten könnte, wenn er nicht mehr sei, auch wenn sie schwarz war. Ja, da konnte er nichts daran ändern.