Papa Hamlet. Ein Tod - Arno Holz - E-Book

Papa Hamlet. Ein Tod E-Book

Arno Holz

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Beschreibung

Die Erzählung "Papa Hamlet", 1889 von dem Autorenduo Arno Holz und Johannes Schlaf unter Pseudonym veröffentlicht, gilt als Paradebeispiel naturalistischer Dichtung. In protokollartigen Dialogen und akustisch-visuell aufgeladenen Erzählpassagen schildert der Text das armselige Leben eines gescheiterten, dem Alkohol verfallenen Schauspielers. Für die minutiöse Erzähltechnik wurde der Begriff des Sekundenstils geprägt. Ergänzt wird die Ausgabe durch die Studentengeschichte Ein Tod, ein Vorwort der Autoren sowie Johannes Schlafs Kurznovelle "Ein Dachstubenidyll", die die Grundlage für "Papa Hamlet" war. Mit einem Nachwort und Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Arno Holz / Johannes Schlaf

Papa HamletEin Tod

Im Anhang: Ein Dachstubenidyll. Eine novellistische Skizze von Johannes Schlaf

Nachwort und Anmerkungen von Philipp Böttcher

Reclam

1963, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961961-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019656-4

www.reclam.de

Inhalt

Papa Hamlet

Vorwort

Einleitung des Übersetzers

Papa Hamlet

Ein Tod

Ein Dachstubenidyll

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Literaturhinweise

Nachwort

[5]Papa Hamlet

[7]Vorwort

Den besten Aufschluss über die Entstehungsgeschichte des »Papa Hamlet« gab seinerzeit das Vorwort zur ersten Auflage der »Familie Selicke«. Da dieses aber inzwischen, gelegentlich der dritten Auflage, durch ein neues ersetzt wurde, so ist es vielleicht nicht unerwünscht, wenn wir es jetzt, gelegentlich der dieser Sammelausgabe unserer Schriften, wieder zum Abdruck bringen.

Es lautete:

Im Januar 1889, also jetzt gerade vor einem Jahre, brachte der Verlag von Carl Reissner in Leipzig eine »Papa Hamlet« betitelte Novität auf den Büchermarkt, als deren Verfasser ein bis dahin noch gänzlich unbekannt gewesener Norweger Bjarne P. Holmsen angegeben war, während sein Übersetzer sich Dr. Bruno Franzius nannte. Dieses Buch war eine Mystifikation, und die Unterzeichneten waren ihre Urheber.

Was sie dazu veranlasst hatte? Die alte, bereits so oft gehörte Klage, dass heute nur die Ausländer bei uns Anerkennung fänden und dass man namentlich, um ungestraft gewisse Wagnisse zu unternehmen, zum Mindesten schon ein Franzose, ein Russe oder ein Norweger sein müsse. Als Deutscher wäre man schon von vornherein zur alten Schablone verdammt, nur jene dürften skrupellos die alten Vorurteile über Bord werfen, nur jene sogenannten »neuen Zielen« zustreben! Mit anderen Worten: Quod licet Jovi, non licet bovi!

Wir waren der Meinung, dass diese Klage nur auf einer falschen Deutung der Tatsachen beruhe. Wir glaubten, dass die bekannte, ablehnende Haltung, die unsere landläufige [8]Kritik uns Jüngeren gegenüber nun einmal einnimmt, mit unserem Deutschtum absolut nichts zu schaffen habe; dass dieses ihr vielmehr völlig gleichgültig sei, dass es ihr einzig auf unsere »Richtung« als solche ankäme! Wir waren überzeugt, dass man uns mit den üblichen Komplimenten überhäufen würde, auch wenn wir beispielsweise als Norweger zeichneten! Es unterlag uns gar keinem Zweifel, dass der Kampf heute nicht mehr zwischen Inlandstum und Auslandstum tobe, sondern nur noch – man verzeihe uns hier diese dehnbaren Worte – zwischen Idealismus und Realismus, zwischen Konvention und Naturwollen! Und in der Tat hat denn auch unser Experiment unsere Hypothese bestätigt …

Diese Mystifikation als solche glückte glänzend. So durchaus durchsichtig sie auch gehalten war und so leicht es jetzt natürlich auch manchem geworden sein mag, nachträglich zu behaupten, er hätte sie gleich durchschaut: man glaubte an die Existenz Bjarne P. Holmsens sieben volle Monate lang und kam erst hinter seine Nichtexistenz, nachdem bereits die Verfasser selber kein Hehl mehr aus ihr machten.

Eine der ersten »Enthüllungen« brachte die erste Novembernummer des »Magazins für die Litteratur des In- und Auslands« in einem »Kaberlin« unterzeichneten Artikel. Der Anfang desselben lautete:

 

»Der Verfasser des Dramas ›Vor Sonnenaufgang‹, Gerhart Hauptmann, hat auf der ersten Seite seines Buches einen gewissen Bjarne P. Holmsen freudig anerkannt. Es war dessen Novellenzyklus ›Papa Hamlet‹, erschienen bei C. Reissner in Leipzig, der, wie es in der Widmung heißt, die entscheidende Anregung gegeben hatte. Wieder einmal, so dachte [9]ich – das Buch in die Hand nehmend, ist die Befruchtung aus dem Ausland gekommen; es scheint also, dass der deutsche Realismus zur Selbständigkeit immer noch nicht reif – vielmehr noch gezwungen ist, die französische Knechtschaft mit der des Nordens zu wechseln.

Als ich jedoch die erste der drei Novellen durchgelesen hatte, erschien mir bereits die Echtheit der norwegischen Ortsfärbung sehr zweifelhaft. Denn nur zu bald bricht jenes urwüchsige, warme Element eines Humors durch die Schilderung, der nur den Germanen der Mittelzonen zu eigen ist. Und eine Nachforschung bestätigte meinen Verdacht: es stellte sich heraus, dass sich hinter dem Namen Holmsen ein jungdeutscher Dichter versteckt hält, der als Pfadfinder in dem bisher noch ziemlich dunkeln Gebiet des deutschen Realismus schon bekannt ist: Arno Holz, der Dichter des ›Buchs der Zeit‹.«

 

Zu diesem Absatze veröffentlichte dann die übernächste Nummer desselben Blattes folgenden Brief. Wir bringen ihn hiermit abermals zum Abdruck, um auch in Zukunft etwaigen ähnlichen Deutungen unseres Zusammenarbeitens ein für alle Mal aus dem Wege zu gehen.

 

Sehr geehrter Herr!

Gestatten Sie mir zu dem in No. 45 Ihres Blattes erschienenen Aufsatze »Neurealistische Novellen. Besprochen von Kaberlin« freundlichst folgende Berichtigung:

Nachdem mich der Herr Verfasser des betreffenden Artikels – nebenbei bemerkt des weitaus eingehendsten und gediegensten, der, wenigstens in der deutschen Presse, bisher über »Papa Hamlet« erschienen ist – als Autor dieses [10]Buches namhaft gemacht, setzt er in Form einer kleinen Fußnote hinzu:

»Johannes Schlaf soll ebenfalls, aber nur im zweiten Grad, an der Arbeit beteiligt sein.«

Nun! Er soll es nicht nur, sondern er ist es auch! Und soweit wenigstens unsere, d. h. seine und meine Kenntnis der Sachlage reicht, ist es überdies durchaus ungerechtfertigt, einem von uns beiden, und zwar ganz gleichgültig welchem, eine Beteiligung »ersten« oder »zweiten« Grades zuzumessen. Im Gegenteil! Nicht allein, dass wir unsere Arbeit zu gleichen Hälften geleistet zu haben glauben, wir haben sie tatsächlich so geleistet!

Eine langjährige Freundschaft, verstärkt durch ein fast ebenso langes, nahestes Zusammenleben, und gewiss auch nicht in letzter Linie beeinflusst durch gewisse ähnliche Naturanlagen, hat unsere Individualitäten, wenigstens in rein künstlerischen Beziehungen, nach und nach geradezu kongruent werden lassen! Wir kennen nach dieser Richtung hin kaum eine Frage, und sei sie auch scheinbar noch so minimaler Natur, in der wir auseinandergingen. Unsere Methoden im Erfassen und Wiedergeben des Erfassten sind mit der Zeit die vollständig gleichen geworden. Es gibt Stellen, ja ganze Seiten im »Papa Hamlet«, von denen wir uns absolut keine Rechenschaft mehr abzulegen vermöchten, ob die ursprüngliche Idee zu ihnen dem einen, die nachträgliche Form aber dem anderen angehört oder umgekehrt. Oft flossen uns dieselben Worte desselben Satzes gleichzeitig in die Feder, oft vollendete der eine den eben angefangenen Satz des anderen. Wir könnten so vielleicht sagen, wir hätten uns das Buch gegenseitig »erzählt«; wir haben es uns einander ausgemalt, immer deutlicher, bis es [11]endlich auf dem Papier stand. Uns nun nachträglich sagen zu wollen, das gehört dir und das dem anderen, liegt uns ebenso fern, als es in den weitaus meisten Fällen auch tatsächlich kaum mehr zu ermitteln wäre. Wir haben nicht das mindeste Interesse daran! Unsere Freude war, dass es dastand, und die Arbeit selbst gilt uns auch heute noch mehr als die Arbeiter. Ein weiteres, größeres Opus haben wir bereits wieder unter der Feder, und es wird sich ja zeigen, ob es die von uns angenommene »Einheit unserer beiden Naturen« bestätigen wird oder nicht.

Mit der Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung

 

Ihr ergebenster Arno Holz.

Berlin, 1. November 1889.

 

Das angedeutete Werk ist dieses Drama. –

Zum Schlusse noch eins! Wir haben uns nicht versagen können, aus den uns vorliegenden Kritiken über unser Buch, das übrigens – der Kuriosität wegen sei es erwähnt! – zur Zeit von Herrn Harald Hansen in Christiania ins Norwegische übersetzt wird, eine kleine Blütenlese zusammenzustellen. Möge ihre seltene Farbenpracht die Leser ähnlich erfreuen, wie sie uns erfreut hat! …

 

Glaubt der Verfasser ein Realist zu sein, … dann täuscht er sich.

C. Alberti in der »Gesellschaft«

 

Als Norweger ist Bjarne P. Holmsen natürlich Realist und ein radikalerer als alle seine Landsleute.

»Hamburger Nachrichten«

 

[12][…]

 

Ein Trost für das patriotische Gefühl – wenn auch ein sehr kleinlicher – ist es beinahe, dass nach diesen jämmerlichen deutschen »Werken« der vorliegende Ausländer gleichfalls nichts Rühmliches bietet.

Beilage zu den »Blättern für litterarische Unterhaltung«

 

Ein norwegischer Dichter, welcher sich bald, und mit Recht, auch bei uns in Gunst setzen wird!

»Leipziger Tageblatt«

 

… Ein Machwerk traurigster Sorte!

C. Alberti in der »Gesellschaft«

 

… Ein Beleg mehr für die litterarische Kraft des Nordens!

»Kieler Zeitung«

 

Es sind drei Sittenbilder aus dem norwegischen Leben, in welchen die Rohheit des Inhalts mit der Rohheit der Darstellung einen tadellosen Zusammenklang bildet.

»Die Post«

 

[…]

 

Da geht uns denn doch schließlich die Galle über, sowohl an dem Ekel, den diese Verirrung erregen möchte, als an dem Ärger, den der Missbrauch guter Mittel hervorruft!

»Frankfurter Zeitung«

 

[13]Es sind keine fröhlichen Bilder, die Bjarne P. Holmsen zeigt. Sie erfreuen nicht, sie ergreifen. Wir dürfen über die Wahl seines Sujets nicht mit ihm rechten, denn er allein kann wissen, was ein Gott ihm zu sagen gegeben. Wir müssen zufrieden sein, dass in unseren Tagen ein Talent erstanden ist, welches kleine Züge so sorgsam zu beachten und festzuhalten versteht wie einst Jean Paul und welches zugleich eine Phantasie besitzt, wieTheodor Amadeus Hoffmannsie besessen.

»Berliner Börsencourir«

 

[…]

 

Der Herr Verleger hat geglaubt, den Eindruck dieser Novellen, in denen entsetzlich viel geflucht und geschimpft wird, durch höchste Eleganz der Ausstattung einigermaßen abzuschwächen. Schade um das schöne Papier und den tadellosen Druck.

»Die Post«

 

[…]

 

Franzius lässt uns die Bekanntschaft mit einem jungen norwegischen Humoristen machen, der in der Tat eine nicht gewöhnliche Begabung besitzt und dessen Humor Franzius grandios zu nennen ein Recht hat.

»Vossische Zeitung«

 

[…]

 

[14]Logische und psychologische Entwicklung ist bei diesem Holmsen ein überwundener Standpunkt.

»Frankfurter Zeitung«

 

Wie Papa Hamlets Stolz, der geschminkt und geliehen ist, wie sein Selbstbewusstsein, welches sich mit den goldenen Fetzen seiner Lieblingsrolle ausstaffiert, sich einer immer öderen Wirklichkeit anbequemt, wie in dem wirtschaftlichen Bankbruch allmählich nackter und nackter die ganz gewöhnliche, ganz gemeine Bestie hervortritt, das ist mit einer Meisterschaft skizziert, welches an keiner Stelle verlegen ist, den charakteristischen Zug und für diesen das charakteristische Wort zu finden.

»Berliner Börsencourir«

 

… Im Übrigen hat der Verfasser nur für den Schmutz einen klaren Blick.

»Allgemeine Kunstchronik«

 

… und als sicherste Bürgen dichterischen Berufes einen freien Humor und in glücklichen Momenten jene Prägnanz und Keuschheit der Gestaltung und Darstellung, die mit wenigen Strichen oft ein ganzes, großes Gemälde andeutet …

»Hamburger Nachrichten«

 

[…]

 

Der junge Autor, der uns hier vorgestellt wird, … stellt in der krassesten Weise die Auswüchse einer Schule dar, der man schon an sich nicht ohne starke Vorbehalte und Bedenken entgegentreten kann. Er gehört… zu jenen…[15]Ibseniden und Björnsterneiden, die in der Überbietung derManierender Meister die beste Art der Nachahmung zu suchen scheinen.

»Frankfurter Zeitung«

 

[…]

 

… Was den impressionistisch-pessimistischen Effekt anbetrifft, so darf man dem Autor zu seinem Können gratulieren.

G. M. Conrad in der »Gesellschaft«

 

… ungenügende Art der Darstellung!

»Berner Bund«

 

… erstaunliche Lebendigkeit der Darstellung!

»Vossische Zeitung«

 

… rücksichtslose aber wahre Darstellung!

»Kieler Zeitung«

 

Ausdrucksvoll herausgebildete Darstellung!

»Hamburger Nachrichten«

 

Das lesen wir nicht, wir sehen es vor Augen, während das Herz zusammenkrampft, die Faust sich ballt!

»Berliner Börsencourir«

 

Holmsen malt mit einem dicken Borstenpinsel.

»Züricher Post«

 

… Das sind die Geschehnisse, welche uns der Dichter erzählt. Die unvergleichlicheKleinmalerei, mit welcher er es erzählt, möge nun jeder selbst genießen.

»Leipziger Tageblatt«

 

[…]

 

Unter solchen Händen muss auch der beste Stoffzuschanden werden; die Kunst wird geradezu entweiht und dies gar noch, ohne dass sich dafür ein ethischer oder sozialer Vorwand entdecken ließe!

»Frankfurter Zeitung«

 

[…]

 

Man ist verletzt durch die scheußlichen Bilder, die der Verfasser vor unsere Phantasie gebracht hat. Er behandelt die denkbar widerwärtigsten Themata mit Vorliebe.

»Berner Bund«

 

Was man vor hundert Jahren an Empfindsamkeit gesündigt hat, das wird hier zehnfach durch Brutalität wettgemacht; uns wird auch nicht das Äußerste von Schmutz erspart.

»Frankfurter Zeitung«

 

[…]

 

Nichts als Schmutz, Elend, Verkommenheit – körperlich wie geistig. Ich hasse jenen schönfärbenden falschen Idealismus, welcher alles in erborgten Schimmer kleidet. Er ist eine Lüge und – der Tummelplatz der kunstfertigen Kunstspieler. [17]Aber ebenso ist ein Todfeind echter Poesie jene sogenannte Wahrheit, welche alle Krankheiten, seien sie des Leibes oder der Seele, auf die Gestalten häuft und die Augen schließt, um nichts Lichtes sehn zu müssen. Auch das ist Lüge.

Otto von Leixner in der »Deutschen Romanzeitung«

 

[…]

 

Alles erscheint verzerrt, wie in den teergefüllten Glaskugeln, die man früher in Gärten hatte, aber diese Vergröberung des Groben ist weder Porträt noch Kunstwerk, sondern einfach Versündigung an Kunst und Natur zugleich.

»Frankfurter Zeitung«

 

[…]

 

Für den Stil kann nur der Übersetzer verantwortlich gemacht werden, und Letzterer scheint der Ansicht zu sein, man müsse das Abscheuliche auch abscheulich schreiben. Man wird nicht bald eine solche Fülle abgehackter Sätze und unschöner Worte in einem Werke beisammen finden. Eine wahreDistellesevon Geschmacklosigkeiten.

»Allgemeine Kunstchronik«

 

[…]

 

Der Übersetzer nennt Holmsen einen »Anatomen« von der Art der großen modernen Schriftsteller; das ist er aber in keiner Weise, denn sein Seziermesser ist kein Instrument, welches bloßlegt, erklärt, verdeutlicht, wie es der Realismus zu tun pflegt, sondern es schabt nur allerhand [18]Fleischfetzen und Knöchelchen auf einen Haufen zusammen, aus denen der arme Leser dann die Glieder heraussuchen mag. Gewiss kann man dem Realismus als Prinzip von allerhand Standpunkten aus Vorwürfe machen, aber der schwerste Vorwurf wäre der der Verundeutlichung statt der Verdeutlichung – denn er will ja im Prinzip nichts als die Deutlichkeit der Dinge, sei es selbst die gemeine Deutlichkeit auf Kosten der Verklärung.

»Blätter für litterarische Unterhaltung«

 

Die Technik der Darstellung ist in hohem Grade originell. Es sind fast lauter Farbenspritzer, jäh, grell, unvermittelt, die sich in der Phantasie des kunstgeübten Lesers sofort zum brennendsten Lebensgemälde zusammensetzen. Nur Bilder, keine Gedanken. Diese erschrecklicheVirtuositätder Wirklichkeitsnachbildung in winzigen Ausschnitten, nur am Tragisch-Banalen geübt, macht den Leser auf die Dauer ganz nervös.

G. M. Conrad in der »Gesellschaft«

 

… Abgesehen, sagen wir, von dem Krassen solcher Motive, ist auch die stilistische Methode, durch welche Holmsen seine Effekte zu erreichen bemüht ist, eine höchst widerliche … Man ist oft viele Sätze hindurch ganz im Unklaren über den Ort der Handlung, über Personen und ihre Verhältnisse. Die Lektüre des Buches lässt daher einen sehr unbehaglichen Eindruck zurück!

»Berner Bund«

 

Aber für das Beste, für eine Errungenschaft, aus der sich noch ein Kardinalgrundsatz des epischen Verismus [19]entwickeln kann, halte ich die Art der Darstellungsweise selbst! »Holmsen« beschreibt nämlich die Dinge von innen nach außen, d. h. , er konzentriert sie so in die Lebensäußerungen, dass sie sich dem Leser durch dichterische Schlüsse von selbst erzählen … Ich werde mich wohl hüten, eine solche Darstellungsweise im Prinzip neu zu nennen, denn sie wird bereits von vielen Realisten, hie und da angewandt, aber »Holmsen« ist der erste, der sie konsequent durchgeführt, und in diesem Sinne der Einheitlichkeit ist sein Stil, den die glücklichste Wirkung rechtfertigt, mit ganzem Recht relativ neu zu nennen. Es ist wohl möglich, dass durch die dichte Folge der die Situation fortrückenden Momente hie und da die Darstellung hüpft und dadurch Unklarheiten entstehen, aber dafür reizt dieser Stil, ja zwingt die Phantasie geradezu die entstehenden Lücken durch Mitdichten auszufüllen, wodurch der Leser in die angenehmste Spannung gerät!

»Magazin«

 

[…]

 

Es würde nichts nützen, den Gang der Erzählungen hier in Hauptumrissen wiederzugeben. Das würde auch leicht genug sein, denn nicht um sonderbare Verknotungen und fremdartige, unerwartete Geschicke handelt es sich, sondern um alltägliches Menschenelend, aber mit Dichteraugen geschaut und im Dichterherzen nachgefühlt.

»Leipziger Tageblatt«

 

Grade wir … grade wir haben im höchsten Grade die Pflicht, uns gegen unreife Knaben zu wenden, welche den [20]Realismus diskreditieren, indem sie seinen Namen benutzen, um ihre ganz gewöhnliche Unfähigkeit zu bemänteln, die sich hinter Grotesksprüngen à la Hanswurst versteckt. Der Realismus ist eine ernste, heilige Sache, aber keine Löwenhaut, hinter der sich Esel verstecken dürfen … – Wir müssen auch Herrn Holmsen von unseren Rockschößen abschütteln!

C. Alberti in der »Gesellschaft«

 

Es hat schon mehr als einmal eine Zeit des Realismus gegeben, und immer war sie eine Übergangszeit. Sie geht der Blüte der Literatur vorauf oder sie folgt ihr, und es kann uns nicht irre machen, dass dem Realismus eine wüste Schar von Unfähigkeiten lärmend sich aufdrängt. DieserHaufezerstiebtverdientermaßen wie Spreu, und wenn er sich für eine Schule hält, weil er sich schülerhaft gebärdet, so wird sein Lärmen doch mit dem Tage vergessen. Aus Sturm und Drang ist Großes hervorgegangen, nicht weil Sturm und Drang groß waren, sondern weil unter den Stürmern und Drängern sich Große befanden. Auch jetzt stehen wir mitten in solchem Sturm und Drang, aber zum ersten Mal sehen wir in dem Gewimmel, das bisher nur dieLaufgräbender Literaturfestung mit schlechterMakulaturfüllte, ein starkes Talent, und dieses Talent hat mit diesem Gewimmel nichts gemein. Bjarne P. Holmsen wird wohl von den Realisten als einer der Ihren reklamiert, doch er weiß von ihnen so wenig wie die Nachtigall von einer Gesangsschule.

»Berliner Börsencourir«

 

[…]

 

[21]Allen, die sich die Menschheit und die Poesie verekeln wollen, sei dieses Buch bestens empfohlen!

Otto von Leixner in der »Deutschen Romanzeitung«

 

[…]

 

… In der Tat ein seltsames Buch, welches sehr verschiedene Aufnahme finden wird … Wann kommen Bücher wie »Papa Hamlet« dahin, wohin sie gehören: ins Volk?

»Züricher Post«

 

Und unsere eigene Meinung?

»Der eine betracht’s,

Der andere beacht’s,

Der dritte verlacht’s –

Was macht’s?«

 

Berlin, 24. Dezember 1889.

Arno Holz.

Johannes Schlaf.

[22]Einleitung des Übersetzers

Bei dem in jüngster Zeit namentlich auch durch die Erfolge Ibsens noch so gesteigerten Interesse, das man seit ungefähr einem Jahrzehnt der jungen, kräftig aufstrebenden norwegischen Literatur in fast allen Kulturländern entgegenbringt, habe ich es für eine nicht undankbare Aufgabe gehalten, meinen deutschen Landsleuten endlich auch einen Autor zugänglich zu machen, dessen Schöpfungen, obwohl zur Zeit auch in ihrer norwegischen Heimat noch lange nicht nach Gebühr gewürdigt, doch sicher danach angetan sind, in naher Zukunft die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken.

Dieser Autor ist Bjarne Peter Holmsen.

Am 19. Dezember 1860 als der dritte Sohn eines streng orthodoxen Landpfarrers in Hedemarken geboren, verlebte er seine Kindheit in der alten Handelsstadt Bergen. Ein Onkel von ihm, ein Bruder seiner Mutter, der dort als Rechtsanwalt tätig war, hatte ihn, um seinen Eltern, deren Nachwuchs sich unterdes noch vergrößert hatte, eine Last abzunehmen, zu sich genommen.

Aber die Fortschritte des kleinen Bjarne auf der Lateinschule waren sehr mittelmäßige. Der Onkel erlebte nur wenig Freude an ihm. Es schien keine Aussicht vorhanden, dass er jemals sein Nachfolger werden würde. Er ist es auch in der Tat nicht geworden. Ob nun nur seiner geringen Begabung für die Humaniora zu Folge, mag freilich dahingestellt bleiben. Tatsache jedenfalls ist es, dass der zukünftige Autor des »Papa Hamlet«, an dessen grandiosem Humor sich die Leser dieses Buches sicher erquicken werden, in Christiania bereits durch sein erstes Examen