Papas Heldin - Elke F. - E-Book

Papas Heldin E-Book

Elke F.

4,8

Beschreibung

Die Ärzte gaben unserer Heldin drei Tage. Kürzer kann ein menschliches Leben kaum sein. Unsere Tochter würde wohl gleich mit ihren Heldentaten beginnen müssen. Sie wurde zu „Dani in Bestform". Wie schnell sich ein Leben dann ändern kann, wie eine Lawine, die plötzlich ins Tal stürzt und nicht aufzuhalten ist, musste ich in den vergangenen Jahren erfahren. Dieses Buch erzählt die Geschichte von Dani und ihrem Papa Ralf. Ihnen ist es gewidmet.

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Inhaltsverzeichnis

Unsere Heldin

Gutes Sprungwetter

Drei Tage

Hier bin ich!

Christian

Danis Transplantation

Komm, wir machen es uns jemütlich!

Dani in Bestform

Regenbogen

„Elchen“

Ralf

Schlusswort

Erinnerungen

Unsere Heldin

Die Ärzte gaben Papas Heldin drei Tage. Kürzer kann ein menschliches Leben kaum sein. Du würdest wohl gleich mit deinen Heldentaten beginnen müssen. Dabei wollten die Mediziner dir nicht einmal Nahrung geben, weil sterbenden Neugeborenen keine Nahrung zugeführt wird. Verklärt sagten sie uns das, Ralf und mir, deinen Eltern. Immer hatten wir uns füreinander bestimmt gewusst, heirateten, wünschten uns so sehr ein Kind. Jetzt warst du geboren, stark nierenkrank auf dieser Welt. Es war Freitag, der 13. Juli 1979; ein Sommerkind.

Drei Tage. Wir organisierten eine Nottaufe, weinten bis zum vierten Tag. Etwas weniger am fünften, wohl täglich etwas weniger, Angst und Traurigkeit verließen uns aber lange Wochen nicht. Wir sprachen deinen Namen lauter: Dani, die Koseform von Daniela.

Heldenhafte sechs Tage. Die Ärzte waren verblüfft. Sie waren nur die ersten von vielen Menschen, die Papas Heldin verblüffen würde.

Versuchen wir es mit Nahrung, sagten sie, führten dir Wasser mit etwas Öl und etwas Zucker zu. Umgehend erbrachst du es. „Es riecht auch angebrannt und irgendwie eklig“, sagte ich auf meine offene Art, „da würde mir auch schlecht.“ Fachmännisch wiesen die Ärzte uns darauf hin, dass Neugeborene keinen Geschmackssinn haben. Bei Heldinnen mag das anders sein, oder war es doch unsere Intuition, dass auch ein Neugeborenes Angebranntem abwehrend begegnen würde. Ralf und ich fanden eine Nahrung für Dani. Tatsächlich behielt sie diese bei sich, wurde stärker.

Wie glücklich uns das machte. Ein aufflammendes Glück inmitten der großen Angst, die Ralf und mich lange nicht loslassen würde. Besonders Ralf war pessimistisch, wollte mich vor zu großen Schmerzen schützen. So liebevoll war er immer.

Dani! Wie viele Menschen hast du verzaubert in den 33 Jahren, die sich aus den drei Tagen entfalteten, die sie vorhersagten.

Mehr ein Kind, als eine Erwachsene bist du gewesen. Manchmal aber auch die junge Frau. Auf deine Art warst du zeitlos. Eben so, wie Heldinnen zeitlos sind.

Ralf, dein Bruder Christian und ich wollten dir ein normales Leben ermöglichen. Wir haben immer gewusst, gemeinsam schaffen wir das. Auch wenn es oft sehr schwer war. Unsere ganze Familie, unsere Eltern und Geschwister, alle Verwandten und Freunde aber, ihr seid ein Geschenk Gottes, ein fortwährender Segen, der uns immer trägt. Ohne euch hätte es die wunderbaren Jahre mit Dani nicht gegeben.

Dani hat uns alle, hat wohl die meisten Menschen sehr berührt. Viele konnten sie nach einer Begegnung nicht mehr vergessen. Mir schrieb selbst einer ihrer Ärzte, als er von Danis Tod erfuhr:

„Dani war für mich ein Stück Bonn!“

Die Zeilen dieses Buches sind zur Erinnerung für euch alle. Gewidmet sind sie unserer Dani und meinem geliebten Ralf, Christians Papa.

Eure Elke / Herbst 2015

Gutes Sprungwetter

Beginnen wir die Geschichte unserer Heldin mit zwei Stars der etwas anderen Art. Da saßen sie nun gemeinsam in der Einsatzzentrale der Feuerwehr der Stadt Bonn, mein Vater Hans aus Thüringen und Ralfs Vater Horst aus Hessen, kamen ins Gespräch, wurden Freunde und erzählten von ihren Familien, ihren Frauen Annemie und Gerti, den Kindern Beate und Reiner und natürlich von Ralf und Elke.

„Treffen wir uns doch mal privat¨, waren sich die beiden einig. So geschah es. Ralf und ich sahen uns das erste Mal, da waren wir fünf und sechs Jahre alt und waren uns gleich sehr sympathisch. Auch unsere Familien mochten sich und wir trafen uns regelmäßig. Wenn die Eltern wieder mal ein Treffen vereinbarten, war ich schon ganz nervös. Ralf hatte so schöne treue braune Augen, die faszinierten mich schon als Kind. Wir spielten dann zusammen, schließlich waren wir damals schon einer super Team. Nur wenn die Jungs die Glaskugeln am Weihnachtsbaum, diese teure und zauberhafte Weihnachtsdekoration, mit kleinen Gegenständen beschossen, fand ich das irgendwie doof.

Auch als unsere Eltern weniger Zeit für gemeinsame Treffen fanden, verloren Ralf und ich uns nicht aus den Augen. Immer sonntags sahen wir uns beim Gottesdienst. Ralf reifte zu einem etwas zurückhaltenden Teenager heran. Manchmal sprachen wir miteinander, aber nur ein wenig.

Im Winter des Jahres 1973 nahmen wir gemeinsam an einer Jugendaktivität unserer Gemeinde teil, Ralf war sechzehn, ich war fünfzehn Jahre alt. Wir vertieften uns in lange Gespräche, fanden viele unserer Ansichten bei dem anderen wieder, spürten eine Seelenverwandtschaft. Mit diesem Gefühl begannen wir das Jahr 1974. Kurz nach Neujahr kamen einige von uns auf die fixe Idee, in den Kölner Zoo zu fahren.

Kein Mensch geht im Winter in den Zoo. Aber wir tickten da wohl anders. Was für ein Glück! Nach dem Zoobesuch fragte Ralf zum Abschied: „Gehen wir morgen zusammen in die Stadt?“

Ich nickte. Ja, das passe gut, sagte ich, ich müsse sowieso etwas umtauschen.

Ob das stimmte, ich weiß es nicht mehr. Was soll‘s. Wir gingen jedenfalls in die Stadt, trafen uns wieder und wieder, hielten plötzlich Händchen beim Gehen, spazierten zum Rheinufer, umarmten uns, gingen zum Venusberg. Oft saßen wir stundenlang in einem kleinen Park unweit von meinem Zuhause. Wir nennen ihn Baumschul-Wäldchen. Zwischen den Blättern sprachen wir darüber, wie wir uns unsere Zukunft vorstellten, gaben uns den ersten, noch vorsichtigen Kuss. Jetzt gingen wir so richtig zusammen, würden überall zusammen hingehen, durchs ganze Leben.

Die Bundeswehr brachte uns allerdings erstmal ins Stolpern. Ralf sollte eingezogen werden. Wie sollte das bitte gehen, uns Untrennbare zu trennen?

Als Grund zur Ausmusterung würde unsere unzertrennliche Liebe wohl leider nicht anerkannt werden. Aber als Grund für eine kirchliche Verlobung vor Antritt des Wehrdienstes allemal. „Die Elke will sich den Ralf noch schnell vor der Bundeswehr sichern“, witzelten unsere Freunde. Die Sticheleien hielten uns natürlich nicht auf. Im Jahre 1977 feierten wir Verlobung. Ein wundervoller Tag im Kreise unserer Familien.

Ralfs Abreise rückte näher.

Eines Abends sah ich, wie er sich im Spiegel betrachtete. „Gut siehst du aus“, spaßte ich.

„Die Militärs werden mir die Haare abrasieren“, antwortete er. Das stank ihm gewaltig. Keinesfalls wollte er eine der kurzrasierten Eintheitsfrisuren verpasst bekommen. „Nicht mit mir“, sagte er bestimmt, drapierte mehrere Spiegel um sich herum, nahm eine Schere zur Hand und begann sich selbst die Haare zu schneiden.

„Denen komme ich zuvor“, kommentierte Ralf seine Aktion und tatsächlich: Seine Frisur sah nach dem letzten Schnitt super aus. Wer hätte gedacht, dass Ralf nicht nur Dani und Christian regelmäßig die Haare schneiden würde, sondern auch Opa Horst und Oma Gerti.

Auch in Ralfs Kaserne in Lippstadt sprach es sich alsbald herum, dass Ralf als begnadeter Frisör den Soldaten coole Frisuren abseits des Einheitsbreis verpasste. Rein zufällig trug ein in der Nachbarschaft der Kaserne ansässiger Frisör-Salon Ralfs Nachnamen, so dass die Befehle der Vorgesetzten – „Rekruten, morgen antreten beim Frisör F.!“ - immer gerne und mit einem Lächeln befolgt wurden. Dass die Soldaten damals an einer anderen Kaserne in Deutschland ähnlich individuelle Haarschnitte trugen, ist nicht anzunehmen.

Wie sehr aber habe ich meinen Figaro vermisst. Jede erdenkliche Stunde hatten wir zusammen verbracht. Jetzt diese Trennungen während der ganzen Woche.

Bekam Ralf während dieser Zeit ein Fünfmarkstück in die Finger, legte er es immer schnell beiseite, suchte zum Abend ein Telefon auf, ließ den Fünfer in den Geldschlitz rutschen, „biieep“, da nahm ich auch schon ab. „Hallo, Elke...“, kaum waren die ersten Worte gesprochen, schluchzte ich und musste weinen vor Sehnsucht. So ist das halt, wenn man füreinander bestimmt ist.

„Elke“, sagte Ralf dann immer, „wein doch nicht. Lass uns doch etwas reden. Bald ist mein Fünfer weg.“ Der war tatsächlich bald weg. Trotzdem war es schön gewesen!

An den Wochenenden fielen wir uns in die Arme und sprachen immer öfter davon, noch während Ralfs Bundeswehrzeit zu heiraten. Fragen musste Ralf mich nicht, uns beiden war eh immer klar gewesen, dass wir heiraten würden. Außerdem hatte Ralf bereits mit sechs Jahren zu seiner Mutter gesagt: „Ich glaube, ich muss die Elke heiraten, die mag auch keine Zwiebeln.“

Unser Vorhaben nahm Formen an.

Wir freuten uns wie die Schneekönige. Bis Ralf einige Tage später den Bescheid bekam, dass einige Wochen vor unserer Hochzeit sein Fallschirmspringerkurs stattfinden würde. Genauso, wie viele Jahre später und begeistert von Papas Erzählungen unser Sohn Christian sich freiwillig zu den Fallschirmspringern meldete, hatte damals schon sein Papa Ralf sich dafür begeistert. Tatsächlich sprangen beide aus einem fliegenden Flugzeug, ach du lieber Himmel.

Ralfs erster Sprung fand nun tatsächlich vier Wochen vor unserer Hochzeit statt. Er musste eine bestimmte Anzahl Sprünge absolvieren. Sei das Wetter schlecht, hieß es, würde sich der Kurs verlängern. Unseren Hochzeitstermin könnten wir dann vergessen, weil Ralf am geplanten Tage nicht den Sprung ins Eheglück, sondern aus einem Flugzeug absolvieren würde.

Auch auf meiner Arbeit im Verteidigungsministerium bemerkten sie meine Unruhe. „Wenn ich Ralf nur mal anrufen könnte“, klagte ich und gewann das Lächeln eines Vorgesetzten. „Na, einen besseren Draht als hier aus dem Ministerium kannste dir ja wohl kaum wünschen.“

Ich wusste, was er meinte, hatte das aber bisher nicht gewagt. Schließlich gab es diese Telefonlisten, jede Kaserne war darin mit ihrer Telefonnummer verzeichnet. „Na, los!“, spornte mich der Kollege an, ich nahm die Liste aus dem Ordner, ging diese eilig durch. Da war Ralfs Kasernennummer, ich wählte.

„Verteidigungsministerium“, sagte ich bestimmt, „den Kadetten Ralf F. möchte ich sprechen.“ Das lief ja wie geschmiert. Kurz darauf war Ralf am Hörer.

„Hier Verteidigungsministerium“, wiederholte ich und lachte, „wie ist das Wetter bei euch?“

Ralf musste ebenfalls lachen. „Gutes Sprungwetter“, sagte er spontan. Während der Wochenenden planten wir unsere gemeinsame Wohnung, die Einrichtung, die Tapeten, die Gardinen und Möbel, erträumten unser gemeinsames, bald Realität werdendes Zuhause. Unserer wundervollen Hochzeit am 6. Januar 1978 (standesamtlich) und am 8. Januar 1978 (kirchlich) stand nichts mehr im Wege. Alles konnte wie lange geplant verlaufen. Unser Traum wurde wahr und es war ein wunderbares Fest mit Familie und Freunden. Nach einer Woche Heimaturlaub musste Ralf nun noch für ein halbes Jahr zurück zur Bundeswehr. Da ich ein Angsthase war, übernachtete ich während dieser Zeit bei meiner Oma Tilla, die mich abends liebevoll bekochte und mich wahrlich verwöhnte. Die Wochenenden verbrachten Ralf und ich in unserem neuen Zuhause.

Dass wir Kinder haben würden, eine richtige Familie sein mit allem, was dazu gehört, wie sonnenklar Ralf und mir das immer gewesen ist. Es bedurfte keinerlei Planungen und langer Gespräche, war nicht umwölkt von Ängsten; unsere Liebe gab uns alle Kraft und Zuversicht für die Zukunft. Nichts wünschten wir uns jetzt mehr, als ein Kind. Und waren uns einig: „Wird es ein Mädchen, soll es Daniela heißen.“

Drei Tage

Elf Monate nach unserer Hochzeit wurde ich schwanger. Wie glücklich streichelten wir beide meinen Bauch, konnten die Geburt unseres gemeinsamen Kindes kaum erwarten. Niemand hätte zu denken gewagt, dass Ralfs und meine Kräfte bald auf eine so harte Probe gestellt würden.

Im dritten Monat der Schwangerschaft trat Fieber auf, 39 Grad Celsius. Eine Cerclage wurde gelegt, also der Muttermund umschlungen, um eine Frühgeburt unseres Kindes zu vermeiden. Die Ärzte planten bereits damals einen Kaiserschnitt ein. Die Geburt würde keine natürliche sein. Erstmalig drang während dieser Tage die medizinische Diagnostik in ihrer, trotz vieler großartiger Ärzte, letztendlich ganzen Kälte in unser so unverwundbar geglaubtes Glück ein. Ängste zogen in unsere Leben ein, Ängste, die uns blutjungem und naivem Liebespaar damals gänzlich unbekannt waren. Ralf war damals einundzwanzig Jahre alt, ich zwanzig.

Der vorzeitige Blasensprung und eine Beckenendlage unseres Kindes machten den Kaiserschnitt bereits eine Woche vor dem regulären Geburtstermin unumgänglich. Seit mehreren Tagen lag ich bereits in der Klinik. Aber jetzt würde es losgehen. Zittern und Angst überkam mich, ein Unglück könne geschehen.

„Wo ist Ralf? Bitte ruft ihn schnell!“

Im Außendienst des Fernmeldeamtes unterwegs, war Ralf nicht zu erreichen. Mobiltelefone gab es damals nicht. Heute unvorstellbar. Aber wer unterwegs war, war eben weg. Stundenlang probierten wir es. So sehr brauchte ich ihn jetzt, wurde immer nervöser. Meiner Schwester Beate gelang es schließlich, ihn zu erreichen.

Ralf schaute damals auf den Kalender. Es war ein Freitag, der Dreizehnte. Abergläubisch war er nie. Trotzdem überfiel auch ihn Angst, während er in die Klinik eilte.

Unter Vollnarkose, wie damals üblich, gelang der Schnitt. Unsere Daniela wurde ins Licht der Welt gehoben.

Unser Mädchen! Unser ganzes Glück!

Wie zwei Tanks, löchrige Schwämme ohne Funktion, füllten Danis übergroße Nieren ihren Bauch. Polyzystische Nierenmissbildung. Beidseitig. So etwas hatten die Ärzte hier noch nie gesehen. Trotzdem wuchs wie durch ein Wunder Danielas während der ersten drei Untersuchungen ermittelter Apgar-Index von sehr schlechten Drei auf heldenhafte Neun an: 3-6-9 – super Dani, trotz allem nur knapp an der Bestnote Zehn vorbei.

Danielas Nierenwerte aber waren katastrophal schlecht. Außerdem röchelte unser Mädchen, bekam kaum Luft. Asphyxie. Drohender Erstickungszustand durch Absinken des arteriellen Sauerstoffgehalts, Kreislaufschwäche. Umgehend brachten die Ärzte unser Baby in die Uni-Kinderklinik und auf die erste Intensivstation ihres Lebens.

Selbst lag ich noch in der Narkose, wurde schließlich wach und von den Ärzten mit den Worten begrüßt: „Sie haben ein Mädchen!“

Erschöpft wie ich war, gelang mir nur mühsam ein Lächeln und ich erfasste im selben Moment, wie Sorgen über das Gesicht des Arztes huschten, lernte meine erste Lektion im Lesen der Mimik von Ärzten. Wie oft werde ich in den kommenden Jahrzehnten in ihre Gesichter schauen und noch vor dem Öffnen des Mundes und den ersten Worten wissen, was sie mir sagen werden.

„Leider hat ihr Mädchen Anpassungsschwierigkeiten und musste gleich in die Klinik“, sagte der Arzt mit ruhiger Stimme.

„Anpassungsschwierigkeiten“, dieses Wort hatte er gewählt. Dann wurde mein Bett, geschoben von einer Schwester, in Bewegung gesetzt, entlang der Flure, auf eine Tür zu, neben der meine Eltern standen. Wie im Nebel passierte ich sie. Dennoch sah ich es: Unendlich traurig standen sie dort, Mama hatte Tränen im Gesicht, Papa sah gänzlich zerschlagen aus. Gleichzeitig waren sie wohl glücklich, mich gesund zu sehen.

„Was ist mit Dani?“

Erfüllt von Liebe presste Ralf mich gleich an sich, hielt mich fest, schaute mich dann an und musste, weil er bereits mehr wusste über unsere winzige Dani, zu sprechen beginnen. Worte aus Angst und Trauer, unter Schmerzen ausgesprochen: „Elke, unsere Dani ist sehr, sehr krank. Die Ärzte haben gesagt, dass sie höchstens drei Tage leben wird.“

Unsere Welt zerbrach.

Nur mit unserer Liebe, mit endloser Kraft und der Unterstützung unserer Familien und Freunde würden wir sie wieder errichten und zum Leuchten bringen können.

Selbst war ich von der Operation und Traurigkeit zu geschwächt, um zu Dani in die Kinderklinik zu fahren. Ralf hasste Krankenhäuser. Natürlich aber fuhr er zu unserem Mädchen, schritt vorbei an den Neugeborenen, die, allesamt todkrank, in Inkubatoren seinen Weg säumten, bis zu unserer Dani. Kam man am nächsten Tag wieder, war oft erneut eines der kleinen Bettchen leer. Oder ein anderes Kind lag darin.

„Ihr kleines Mädchen“, sagte eine hünenhafte Professorin zu Ralf, „liegt in diesem Inkubator dort.“

Ralf trat an die Maschine. Lange betrachtete er seine Tochter, so klein war sie mit ihren 43 Zentimetern und 2.700 Gramm. Seine Hand tastete an seiner Jacke herunter. Traurig zog er eine Sofortbildkamera aus seiner Tasche, die er für den Außendienst beim Fernmeldeamt brauchte, wandte sich einer Schwester zu und bat sie, ein Foto zu machen.

„Darf ich mein Kind auf den Arm nehmen?“, fragte Ralf vorsichtig.

Die Schwester lächelte und half ihm. Machte dann ein Foto von den beiden. Kurz darauf schob sich das erste Bild unseres Kindes unten aus dem Apparat, erst nur weißer Nebel darauf, dann, von Sekunde zu Sekunde deutlicher zu erkennen, unsere zauberhafte Dani in den Armen ihres Papas. Und dieses ganz junge Leben sollte in wenigen Stunden schon wieder vorbei sein? Das Foto in seiner Hand trat Ralf ins Freie vor die Klinik, sprach ein Gelübde in den Juli-Himmel!

„Lieber Gott, lass das Kind nicht leiden, aber wenn du mir die Dani weiter schenkst, werde ich mich das ganze Leben mit aller Kraft um sie kümmern.“

So geschah es.

Wie das Foto nur langsam ein Bild unseres Kindes zur Erscheinung brachte, würde Dani viele Wochen benötigen, um aus ihrer lebensbedrohlichen Situation und der Klinik bedächtig einen Weg in die Welt und ihr Leben mit Ralf und mir zu finden. Bis dahin lag damals aber noch ein weiter Weg vor uns.

Am Sonntag nach ihrer Geburt ließen wir Dani von meinem Schwiegervater Horst, der, wie unsere beiden Familien, Teil der Neuapostolischen Gemeinde an der Ersten Fährgasse in Bonn war, nottaufen. Noch zu geschwächt, konnte ich nicht dabei sein. Wieder hielt Ralf seine Dani auf dem Arm, würde sein Leben lang davon berichten, wie sein Mädchen ihn angeschaut habe. Damals aber erzählte Ralf nur Düsteres von Dani, wollte mir nicht viel Hoffnung machen, mich schonen. Ich sollte mich nicht an ein Kind klammern, dem die Ärzte, weil es sterben würde, nicht einmal zu essen gaben.

Das Telefon klingelte. Ist sie gestorben? Immer dieser Gedanke.

Heldinnen aber lassen sich nicht so leicht unterkriegen. Tatsächlich folgte auf den zweiten Tag der dritte, auf den dritten der vierte und so fort.

Unser Mädchen wuchs unter den ratlosen Blicken der Ärzte und den vielen Fragen ihrer Eltern.

„Kann man da gar nichts machen¨, fragte Ralf, „transplantieren vielleicht?¨ Immer war ihm dieses technische Verständnis eigen. Defekte Teile gehören natürlich ausgetauscht.

Die hünenhafte Professorin schüttelte den Kopf. Bei so kleinen Kindern sei das leider noch nicht möglich.

Es stellte sich heraus, dass die Ärzte auch nicht recht wussten, was mit Dani los war. „Hypoxischer Hirnschaden durch Sauerstoffmangel während der Geburt“, war eine der „Gott sei Dank“ falschen Diagnosen, die wir erhielten. Deshalb habe unser Kind auch keinen Trinkreflex. Außerdem sei die Kopfdecke verknöchert, das Gehirn könne sich nicht entwickeln. Lebe sie weiter, müsse die Schädeldecke gesprengt werden. Das sagten sie uns. Gesprengt. Unerträgliche Sätze, die uns allen beinahe die Luft abschnürten. Eigentlich sprach nichts dafür, dass Dani leben würde. Und immer wieder auf diese Intensivstation für Kinder. Wieder ein Bett leer. Ein letzter Hauch. Das konnte uns auch passieren.

Ralf und ich aber fragten und handelten. „Was können wir tun? Sie lebt doch, sie muss doch jetzt essen! Geben sie ihr doch etwas!“

Muttermilch konnten Danis Nieren nicht verarbeiten. Am fünften Tag gaben die Ärzte Dani über eine Nasensonde deshalb fünf Tropfen Mazola-Öl, gemischt mit Wasser und Zucker, um ihrem kleinen Körper Kohlenhydrate zuzuführen. Zitternd saßen wir an ihrem Bett, als Dani die Mischung erbrach.

„Frau F., Sie sind doch noch so jung“, sagte eine Ärztin damals zu mir, „Sie können doch noch so viele Kinder bekommen.“

Mit großen Augen sah ich die Frau an. Nichts als Mitleid brachte sie mir entgegen.

„Lassen Sie Dani doch hier¨, fügte sie hinzu.

Diese Offerte entsetzte mich. Verstanden habe ich sie nicht. Auch nicht nachgefragt. Was aber wäre geschehen, wenn wir „Ja“ gesagt hätten, „ja“, wir lassen die Dani dort. Was wäre mit unserem Kind geschehen?

Ich wage es nicht zu denken.

Also weiter. „Geben Sie ihr zu essen. Sie muss doch essen.“

Die Ärzte griffen auf eine aus den USA importierte Nahrung für nierenkranke Babys zurück. Dani behielt diese bei sich. Die Nierenwerte wurden etwas besser. Manchmal konnten wir lächeln.

Kurz darauf erreichte uns die Nachricht, die Nahrung für Dani sei nicht mehr zu bekommen. Traurigkeit und Angst, Unwissenheit und Hilflosigkeit.

In alle Richtungen.

Ralf und ich fuhren heim.

Alles hatten wir vorbereitet gehabt, das Kinderzimmer und Kleidung für unser Baby waren hergerichtet.

Jetzt, Leere im Zimmer, Leere im Herzen. Auch im Kreise unserer Familie. Allesamt hatten sie vor der Geburt Kleidung und Spielzeug genäht und erworben. Jetzt konnten sie die Dinge nur beiseite legen. Welch traurige Gegenstände und Menschen.

„Sind Sie eigentlich allein erziehende Mutter?“, fragte mich damals eine Therapeutin,

„Wie meinen Sie denn das?“, erwiderte ich, völlig verblüfft von dieser Frage. „Sie sind doch noch so jung“, ergänzte die Therapeutin.

„Mein Mann ist neun Monate älter als ich.“

Gezwungen lächelte sie mich kurz an und schritt davon. Später wurde mir klar, was die Frau gemeint hatte. Immer wieder hatte sie in ihrem Job gesehen, dass junge Väter die Mütter verließen. Besonders häufig kam und kommt das auch heute noch vor, wenn ein Kind krank oder behindert zur Welt kommt. Ein solches sich Abwenden des Mannes hatte die Ärztin auch bei mir wie selbstverständlich angenommen.

Abends erzählte ich Ralf von dem Gespräch.

„Was müsste ich denn für ein Mensch sein, euch zu verlassen“, sagte er, verstört von dem Gedanken, dass Menschen so etwas tun.

Undenkbar war das für meinen geliebten Ralf.

Verträgliche Nahrung für unsere nierenkranke Dani, Ralf beschaffte sie. Um Danielas Unverträglichkeiten wissend, hatte er unermüdlich die Regale der Drogerien und Supermärkte erkundet sowie die Bonner Apotheken konsultiert, jeden Beipackzettel von Babynahrung inspiziert, schließlich heimkommend mich umarmt mit den Worten: „Das müsste sie vertragen!“

Dani vertrug es. Sie aß und kam etwas zu Kräften.

Ralf musste wieder arbeiten gehen, täglich fuhr ich nun mit Bus und Bahn in die Uniklinik, um bei unserem Kind zu sein. Immer habe ich gewusst:

Dani spürt, wenn ich da bin.

Einmal kam ich ins Krankenhaus und war hellauf begeistert, als ich sah, dass Dani Möhrchen bekam. Die Schwester hatte ihr die Nahrung versehentlich gegeben, Dani jedoch vertrug sie. Welch große Freude!