Paradies verloren - John Milton - E-Book

Paradies verloren E-Book

John Milton

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Beschreibung

Paradies verloren ist die Geschichte vom biblischen Sündenfall. Ab dem ersten Vers strebt dieses spiegelbildlich zweigeteilte Epos in zwölf Büchern dem Akt des ersten Ungehorsams zu. Wird im ersten Teil vom Zustand vor der Erschaffung der Welt erzählt und in einer Rückschau vom Geschehen, das zu Satans Sturz führte, so wird im zweiten Teil von den Ereignissen berichtet, die zum Fall der Menschen führen, und in einer Vorschau von der Geschichte nach dem Sündenfall. In heiterer Aufbruchstimmung werden Adam und Eva in eine Welt losziehen, die vom freien Willen bestimmt ist.  John Milton, der seine Dichtung nicht nur neben die Schöpfungsgeschichte stellte, sondern diese auch zu korrigieren wagte, will göttliche Vorsehung begründen: Aus Bösem entsteht Gutes. Er bricht in seinem großen Gesang mit allen Regeln seiner Zeit, lässt vertrauten Satzbau und alle »Fron des Reimens« hinter sich. Der Held mit perfidem Plan heißt zunächst: Satan, der Widersacher mit inzestuöser Familiengeschichte, personifiziert in Sünde und Tod und in seinem Gefolge Moloch, Belial, Mammon, Beelzebub. Miltons Satan ist ein tragischer und deshalb sympathischer Held voller Selbstzweifel, der mit seinem Engelsheer heroisch gegen die göttliche Tyrannei rebelliert und durchs Chaos reist, um sein schlangenlistiges Verführungswerk zu vollführen. Paradies verloren.

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John Milton

PARADIES VERLOREN

erzählt, übersetzt, kommentiertvon Rolf Schönlau

FRIEDENAUER PRESSE

Inhalt

Paradies verloren?

1. Buch: Neuformierung in der Hölle

2. Buch: Strategiedebatte und Reise durch das Chaos

3. Buch: Die neue Welt

4. Buch: Das Paradies

5. Buch: Engelskunde und Aufruhr im Himmel

6. Buch: Krieg im Himmel und Engelsturz

7. Buch: Die Schöpfung

8. Buch: Kosmologie und Geschlechterordnung

9. Buch: Der Sündenfall

10. Buch: Die Folgen für Mensch und Umwelt

11. Buch: Die Geschichte bis zur Sintflut

12. Buch: Nach der Sintflut und die Vertreibung

… und kein Ende

Anhang

Übersetzungsbeispiele (1667–1968)

Das Leben des John Milton

Miltons Erblindung

Literaturhinweise

John Milton wird im Epigramm des jüngeren Dichterkollegen John Dryden mit Homer und Vergil verglichen: Der eine sei wegen seiner gedanklichen Tiefe, der andere wegen seiner Erhabenheit nicht zu übertreffen, es sei denn, die beiden Eigenschaften würden, wie bei Milton, in einem Dichter vereint.

Kupferstich von Robert White, wie alle Aufmacherseiten der 12 Bücher, aus der ersten illustrierten Ausgabe von »Paradise Lost«, London 1688, British Library London

Paradies verloren?

Warum eines der berühmtesten ungelesenen Werke der Weltliteratur umbenennen? Warum nicht Das verlorene Paradies als Titel beibehalten und, wie alle deutschen Übersetzungen des Versepos Paradise Lost von Theodor Haak 1667 bis Hans Heinrich Meier 1969, das Prädikat zum Attribut machen?

Der Unterschied zwischen attributivem und prädikativem Gebrauch des Partizips ist von entscheidender Bedeutung: Kündigt Das verlorene Paradies eine Erzählung über ein längst vergangenes Geschehen an, das abschließend beurteilt werden kann, verweist Paradies verloren auf den Befund eines Zeugen, der noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Ereignisses steht, wie Spiel verloren, Krieg verloren, Macht verloren.

Und John Milton hatte verloren, als er um 1658 Paradise Lost zu schreiben begann. Für den überzeugten Anhänger der englischen Republik war, nachdem der Lordprotektor Oliver Cromwell gerade gestorben war, absehbar, dass die puritanische Revolution scheitern würde und die Restauration der Monarchie bevorstand. Er hatte schmerzhaft zur Kenntnis zu nehmen, dass sich seine gesellschaftspolitische Utopie zerschlagen hatte: Paradies verloren.

Satan weckt seine Legionen, die im Flammensee daniederliegen. Im Hintergrund das Pandämonium mit den gefallenen Himmelsfürsten.

Kupferstich von Michael Burghers, nach John Baptist Medina, British Library London

1. BUCH: NEUFORMIERUNG IN DER HÖLLE

Von des Menschen erstem Ungehorsam

Und dem Genuss verbotener Frucht, mit dem

Der Tod kam in die Welt und unser Leid

Durch Edens Fall, bis ein weit größerer Mensch,

Uns dann zurückgewann den Ort des Heils,

Sing, Himmelsmuse, die du auf dem First

Des Horeb oder Sinai hast entflammt

Den Hirten, der das auserwählte Volk

Belehrt, wie dereinst Erd und Himmel sich

Entrang dem Chaos;

[1.1–10]

Was für eine Satzkonstruktion! Selbst im Deutschen, das sich mit Verschachtelungen und Inversionen viel leichter tut als das Englische, stellt die komplizierte Syntax, die das Ende wie etwas, das man nicht gerne anfasst, immer wieder vor sich herschiebt, eine Herausforderung dar. Kein Wunder, wenn Samuel Johnson sagte, Milton habe in keiner herkömmlichen Sprache geschrieben, oder John Keats, er habe das Englische zerstört, oder wie Joseph Addison sich ausgedrückt hatte, unter Miltons geballter Sprachgewalt sei das Englische hinweggesunken. Maß genommen haben mag der Dichter für seine Kunstsprache an der freien Satzstellung des Lateinischen, der Lingua franca seiner Zeit. Er hatte die lateinische Sprache nicht nur als verantwortlicher Sekretär für die diplomatische Korrespondenz der englischen Republik tagtäglich benutzt, sondern auch zeit seines Lebens zahlreiche Gedichte und Pamphlete auf Latein geschrieben.

Miltons Leser und Leserinnen waren aber nicht nur damit konfrontiert, dass sich der Autor von der konventionellen englischen Syntax befreit hatte, denn gleich am Anfang gerieten sie bei der Lektüre ins Straucheln. War doch der Blankvers seit Shakespeares Zeiten das Maß aller poetischen Dinge: Auf eine unbetonte Silbe folgte eine betonte, und das fünfmal hintereinander, jambische Fünfheber. Von des Menschen erstem Ungehorsam, hätte man lesen müssen, oder im Original Of Mans First Disobedience, and the Fruit, was offensichtlich Nonsens war. Unbotmäßiger konnte ein Dichter nicht beginnen. Kein Zweifel, das musste Absicht sein: Das Epos hatte nicht nur Ungehorsam zum Thema, es praktizierte ihn selbst.

Und schon ging es zum nächsten Verstoß: Die Gedanken schlossen nicht mit der Verszeile ab, wie es sich gehörte, sondern sprangen über auf die nächste: Zeilensprung! Enjambement! Doch das Schlimmste kam noch – da war kein Reim! Sollte das ganze Epos aus ungereimten Versen bestehen, wie sie auf dem Theater gesprochen wurden? Ein schneller Blick über die erste Seite – kein einziger Reim. Seite für Seite aufgeschnitten, Abertausende von Versen – nirgendwo ein Reim, kein Paarreim, kein Kreuzreim, auch nichts Umschließendes. Dieser Milton brach mit allen Regeln.

So oder ähnlich könnte es einem Leser der Erstausgabe von 1667 ergangen sein. Einem, der bis zum Tode Oliver Cromwells 1658 der puritanischen Republik durchaus zugetan war, aber 1660 die Rückkehr zur Monarchie gleichwohl begrüßt hatte. Wer kannte nicht die Pamphlete, mit denen Milton den Königsmord an Charles I. gerechtfertigt hatte? Wer wusste nicht, was Milton noch kurz vor der Landung von Charles II. geschrieben hatte – dass sich der neue König inmitten der ständigen Verbeugungen und Verrenkungen eines unterwürfigen Volkes, das ihn vergötterte und anbetete, in Positur werfen würde? Andere Anhänger Cromwells waren wegen weit geringerer Vergehen geköpft und gevierteilt worden. Milton wurde zwar verhaftet, aber wieder freigelassen und konnte bis zur Generalamnestie untertauchen. Bei reichen Gönnern, wie es hieß, um endlich sein großes Epos zu schreiben, das alles übertreffen sollte, was die Welt bisher gesehen hatte, wobei es sich ursprünglich um ein Nationalepos handeln sollte, über König Artus oder einen anderen Helden der glorreichen britischen Vergangenheit.

Nach der kopfschüttelnden Lektüre der ersten fünf Verse dürfte besagte Leserschaft bei der sich anschließenden Anrufung der Muse versöhnlich genickt haben, denn bei aller Freizügigkeit in der Wortstellung bezog sich der Dichter immerhin auf die Formel, mit der seit Homer und Vergil ein Epos zu eröffnen hatte. Nur – und hier kam schon der nächste Fauxpas – dass ausgerechnet jene Muse adressiert wurde, die keinen geringeren als Mose inspiriert haben sollte, dem auserwählten Volk zu erzählen, dass Himmel und Erde am Anfang aus dem Nichts entstanden waren. Doch dieser Dichter hielt sich nicht einmal an den gültigen Wortlaut der Bibel, sondern behauptete, wie Hesiod und Platon, alles wäre aus dem Chaos gekommen. Zurück zur biblischen Muse:

wenn Siloahs Bach,

Der vom Berg Zion zum Orakel floss,

Dir mehr gefällt, fleh ich dich an, von dort

Mir beizustehen, auf dass mein kühnes Lied

Die Höhen des Parnass weit überfliegt,

Dieweil es Dinge sucht, die ungewagt

Geblieben noch in Rede oder Reim.

[1.10–16]

Die Muse soll den Dichter erheben, was denn sonst, aber nicht auf den Parnass, den Sitz der Musen in der griechischen Mythologie, sondern darüber hinaus, damit er alles überflügele, was jemals in Rede oder Reim geschrieben wurde. Milton konnte sich darauf verlassen, dass seine Leserschaft erkennen würde, worauf mit der Wendung angespielt war – auf Ludovico Ariosto, der 1516 im Orlando furioso (Rasender Roland), dem berühmtesten neuzeitlichen Versepos, gleich zu Beginn geschrieben hatte, er werde Dinge sagen, »die nimmer Reim und Prosa noch gelehrt«. Die Anrufung geht aber noch einen Schritt weiter:

O Geist, der du ein redlich reines Herz

Dem prächtigen Tempel stets den Vorzug gibst,

Erklär mir, was du weißt, denn du warst da

Von Anbeginn, saßt brütend, taubengleich

Die Schwingen ausgespreizt, auf dem Abyss,

Und schwängertest. Was in mir dunkel ist,

Mach hell, was niedrig, hebe weit empor,

Dass ich, gemäß dem hohen Gegenstand,

Die ewige Vorsehung erläutern und

Den Menschen Gottes Weg begründen kann.

[1.17–26]

Seine Muse, die er als Geist anspricht – ob der Heilige Geist gemeint ist, bleibt offen –, schwebt nicht, wie in der Bibel, auf dem Wasser, sondern hat körperlichen Kontakt mit der noch ungestalten Materie. Der Schock, sich vorzustellen, dass der Geist mit dem Chaos kopulierte, muss genauso groß gewesen sein wie die Faszination, die von dem Bild ausging. Dieser schwängernde und zugleich brütende Geist – ein Zwitter! – sollte also über den Dichter kommen und ihm die Gabe verleihen, die göttliche Vorsehung auszulegen. Milton stellte sich neben Mose und sein Epos neben die biblische Schöpfungsgeschichte!

So weit die Einleitung, die unmissverständlich deutlich macht, was der Dichter seiner Leserschaft zumutet. Zur Rechtfertigung der formalen Freiheiten versah Milton das Buch, das sich auch nur schleppend verkaufte, im Nachdruck der Erstausgabe 1668 mit einem Vorwort. Der Reim, stand dort zu lesen, sei Behinderung und Zwang, nur Geklingel gleichlautender Endungen, seine Vernachlässigung befreie das Epos aus seiner lästigen, modernen Knechtschaft. Wohl auch als Lesehilfe wurden den zehn Büchern Inhaltsangaben vorgeschaltet.

Seine endgültige Struktur erhielt Paradise Lost dann in der zweiten Auflage von 1674, in der die beiden längsten Bücher geteilt waren, so dass ein Epos mit 12 Büchern entstand. Der Eingriff führte allerdings nicht zu einer Angleichung der Buchlängen, denn auch in der Neugliederung ist das längste Buch fast doppelt so lang wie das kürzeste. Milton ging es vielmehr darum, die äußere Gestalt von Vergils Aeneis mit seinen 12 Büchern und Homers Ilias und Odyssee mit jeweils 24 Büchern zu adaptieren, um seine höchsten literarischen Ansprüche schon auf den ersten Blick geltend zu machen.

Milton wurde manchmal als englischer Homer bezeichnet, in jungen Jahren auch als englischer Vergil, eine Zuschreibung, die er pflegte, indem er mit seinem Spitznamen Die Lady kokettierte, den er aufgrund seiner femininen Erscheinung am Christ’s College in Cambridge bekommen hatte. Bekanntermaßen wurde auch Vergil als mädchenhaft und jungfräulich beschrieben.

Ein Epos brauchte natürlich einen Helden, einen, der zwischen zwei Pflichten zerrissen war, wie Achilles, Odysseus, Aeneas, Orlando oder wie sie alle hießen. Aber wer sollte den Helden abgeben in einem biblischen Epos, das von des Menschen erstem Ungehorsam erzählen wollte? Etwa Adam? Adam und Eva? Aber nicht die wurden als Erste vorgestellt, sondern Satan. Sollte der etwa als Held fungieren? Ein ausgemachter Skandal wäre das!

Im 1. Buch dreht sich tatsächlich alles um Satan. Allein seine Geschichte wird erzählt, sein Ungehorsam geschildert, aufgrund dessen er den angestammten Platz im Himmel verlor, in die Hölle stürzte und aus Rache für seine Vertreibung Adam und Eva dazu anstachelte, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Er hatte im Himmel eine Revolte angezettelt und war mit einem Heer rebellischer Engel gegen die Herrschaft des Allmächtigen vorgegangen. Zwar gibt es in der Bibel keine direkte Schilderung des Aufstands, doch die Textstellen, die darauf hinweisen, dürften Miltons bibelfester Leserschaft bekannt gewesen sein. Die gescheiterte Rebellion im Himmel als Miltons Verarbeitung der erfolglosen Revolution in England zu lesen, lag auf der Hand.

Der Dichter Milton malt dann aus, welche Strafe die Rebellen erwartet hatte: Neun Tage und neun Nächte gefesselt in einem Flammensee von ewig brennendem Schwefel, unendlich weit vom Himmelslicht entfernt, in schwärzester Nacht, einem sichtbaren Dunkel, darkness visible, wie Milton das Unsagbare zum Ausdruck brachte. Seine Kombination zweier einander widersprechender Begriffe ist so bekannt, dass sie in englischen Grammatiken als Beispiel für die rhetorische Figur des Oxymoron hergenommen wird.

Die flüssigen Feuer, in denen die Rebellen Folterqualen ohne jeden Funken Hoffnung erleiden, wie es als Anklang auf Dantes Inferno heißt, gehen niemals aus, so dass die Schmerzen kein Ende nehmen, denn auch gefallene Engel sind unsterblich. In dieser grauenvollen Lage entdeckt Satan neben sich Beelzebub, den zweitmächtigsten der aufrührerischen Engel, und spricht ihm, und nicht minder sich selbst, Mut zu:

Wenn auch die Schlacht verloren ist,

So doch nicht alles: Meine Willenskraft,

Der Rache Eifer, den Hass, der niemals stirbt,

Den Mut, sich nie zu unterwerfen, und was

Auch sonst noch unbezwinglich ist,

Das soll sein Zorn und seine Stärke nie

Entreißen mir als höchste Glorie.

Sich beugen und um Gnade flehen auf Knien

Und dessen Macht vergöttern, der noch jüngst

Den Schrecken dieses Arms sein Königreich

Bedrohen sah, das wäre wahrlich feig,

Das wäre Schimpf und Schande, tiefer noch

Als dieser Sturz, denn unsere Götterkraft

Und himmlische Substanz vergehen nicht,

So dass uns das, was wir erlebt, nicht schwächt;

Und da an Weitblick wir dazugelernt,

Bleibt größere Hoffnung jetzt für den Entschluss,

Durch List und durch Gewalt ihn ewiglich,

Mit Krieg zu überziehen, unsern Feind,

Der im Triumph und Siegesübermut

Allein nun als Tyrann des Himmels herrscht.

[1.105–124]

Beelzebub hält ihm entgegen, dass das Rebellenheer zwar sehr mächtig gewesen sei, aber im Allmächtigen seinen Meister gefunden habe. Er hadert mit der Unsterblichkeit, die ihnen nichts als ewiges Leiden beschere. Das sei doch alles sinnlos, da könne man sich gleich dem Gegner unterwerfen und ihm als Sklaven dienen. Satan beeilt sich, die Zweifel seines wankelmütigen Mitstreiters zu zerstreuen, und schwärmt ihm vor, was für ein Quell ewiger Freude es doch sei, Böses zu tun und die Pläne des allmächtigen Widersachers zu durchkreuzen.

Als er das sagt, mit Mühe den Kopf aus den Flammen haltend, bemerkt Satan, dass die Racheengel, die sie im Flammensee gefangen gehalten hatten, in den Himmel zurückgerufen werden. Schwefelhagel, Donner und Blitz lassen nach, die Feuerwogen weichen zurück und geben den Blick auf einen Küstenstrich frei, ein trostloses und düsteres Land zwar, auch brennend, aber immerhin fester Boden.

Mit größter Anstrengung gelingt es Satan und Beelzebub, sich dorthin zu retten, vermeintlich aus eigener Kraft, in Wahrheit ein Zugeständnis des Allmächtigen, der sie gewähren lässt, damit sie ihr böses Werk vollbringen und den Menschen verführen, allerdings nur, um am Ende wutentbrannt zu erkennen, wie der Erzähler im Vorgriff kommentiert, dass sich Böses stets in Gutes verwandelt und Gnade hervorbringt. Doch damit all das geschehen kann, muss der gefallene Erzengel, riesig wie der Leviathan, den manche Schiffer für eine Insel halten, die Hölle erst einmal als souveräner Herrscher in Besitz nehmen.

Ist das die Gegend, dies das Land, der Ort –

So der verlorene Engel – dies der Sitz,

Den wir uns für den Himmel eingetauscht,

Das trübe Dunkel für das helle Licht?

Sei’s drum – da er als Höchster jetzt bestimmt

Was recht sein soll, bloß weg, weit weg von ihm,

Der an Vernunft uns gleicht, nur durch Gewalt

Uns über ist. Leb wohl, Elysium,

Wo ewig Freude wohnt: Gegrüßt sei mir

Die Hölle; abgrundtiefe Unterwelt,

Empfange den, der dich jetzt innehat,

Den weder Raum noch Zeit verändern kann.

Der Geist ist selbst sein eigner Ort und macht

Aus Himmel Hölle, Hölle Himmel sich.

Was kümmert’s, wo ich bin und was ich soll,

Wenn ich derselbe bin, geringer kaum

Als jener, den der Donner größer macht?

Hier sind wir endlich frei, die Allmacht hat

Hier nicht gebaut und treibt aus Neid uns fort.

Hier herrschen wir, und herrschen, meine ich,

Ist selbst in einer Hölle lohnenswert:

Der Hölle Herr anstatt des Himmels Knecht!

[1.242–263]

Die stolzen Worte mit einer Schlussparole, die den Bibelvers aus den Psalmen und Achilles’ Worte aus der Odyssee auf den Kopf stellt, zeigen Wirkung, vor allem bei Satan selbst, der sich sogleich anschickt, seine Legionen zusammenzurufen, die im Flammenmeer dahinsiechen. Schon schreitet er wie ein antiker Held über den brennenden Boden zurück zum Ufer, ausgerüstet mit Schild und Speer, die seine überragende Macht kundtun. Sein Schild ist so groß wie der Mond in Galileos Fernrohr, mit dem der Astronom das Gestirn in dreißigfacher Vergrößerung betrachten konnte. Verglichen mit seinem Speer ist der Mast eines Flaggschiffes, der aus der höchsten norwegischen Fichte hergestellt wurde, gerade einmal so groß wie ein Kommandostab.

Kaum vernehmen seine Truppen die donnernde Feldherrenstimme, rappeln sie sich auf, wie Wachen, die vom Kommandanten beim Schlafen überrascht wurden, erheben sich noch halb betäubt und breiten sich wie ein Heuschreckenschwarm unter dem Höllengewölbe aus, bis ihnen der Feldherr mit dem Speer deutet, sich auf dem düsteren Land niederzulassen.

Er spricht sie als Fürsten, Herrscher und Krieger an, nicht mit ihren alten Namen, denn die wurden nach dem Aufstand aus den Annalen des Himmels gelöscht. Nur er selbst erhielt schon dort seinen neuen Namen: Satan, der Feind oder Widersacher. Die anderen, wie etwa Beelzebub, sollten erst wieder Namen von den Menschen bekommen, die sie später als Götzen anbeten würden.

Ihrem Rang und ihrer Macht nach treten die gefallenen Himmelsfürsten einer nach dem anderen vor den großen Feldherrn. Mit dieser Auflistung kommt Milton einer Konvention nach, die ein Epos seit Homer erfüllen musste, denn im 2. Buch der Ilias werden die Namen der Anführer genannt, die mit ihren Schiffen nach Troja kamen. Für sein Pendant zu Homers so genanntem Schiffskatalog verwendete Milton die biblischen Namen von Göttern, die von den Feinden der Israeliten angebetet wurden.

Zuerst kommt der, den die Phönizier Moloch nennen werden, weil er Menschenopfer fordert, vorzugsweise erstgeborene Kinder, die ihm beim Schall von Pauken und Trompeten durch das Feuer gereicht werden. Selbst der weise König Salomon wird ihm, direkt gegenüber dem rechtmäßigen Gotteshaus, einen Tempel erbauen.

Auf Moloch folgt Kemosch, Hauptgott der Moabiter aus dem Osten des Toten Meeres, dem zu Ehren man auch in Jerusalem üppige Orgien feiern wird. Danach tritt der in Phönizien angebetete Baal und die babylonische Ishtar, beide Wollust und sexuelles Begehren im Schilde führend, aus der Menge heraus. Wie alle Geister – der befruchtende und zugleich ausbrütende Geist aus der Einleitung inbegriffen – sind sie Zwitterwesen, was in einem kurzen theoretischen Exkurs ausgeführt wird:

Denn Geister nehmen, wie es grad beliebt,

Mal dies Geschlecht, mal das, mal beide an,

So unverfestigt ist ihr reiner Stoff,

An Glieder und Gelenke nicht geknüpft,

Noch auf zerbrechlich Knochenwerk gebaut

Wie plumpes Fleisch; sie wählen eine Form,

Geschlossen, offen, dunkel oder hell,

Die dienlich ist und ihren Zweck erfüllt

Für einen Liebes- oder Feindschaftsdienst.

[1.423–431]

Es folgen Astoreth, auch Astarte genannt, Himmelskönigin mit Sichelhörnern, die phönizische Jungfrauen dazu verlocken wird, ihr bei Vollmond Gelübde abzulegen. Da ist Thammuz, ein Gott der Fruchtbarkeit, dessen Schönheit die Töchter Syriens und Libanons so betören sollte, dass sie ihm, wie Hesekiel in seiner Vision sieht, im Tempel mit ausschweifenden Liebesliedern huldigen. Auch das Seemonster Dagon, halb Mensch, halb Fisch, dem bei den Philistern an der Küste Palästinas Tempel errichtet werden, tritt vor den Feldherrn, gefolgt von Rimmon, dem Donnerer, Hauptgott von Damaskus, der einen König zwingen wird, den Altar des Herrn zu schänden. Nach ihm kommen Osiris, Isis und Horus mit ihrem Tross, nur darauf aus, Ägypten mit Zaubereien und Rätselbildern zu betrügen. Der Letzte in der Reihe der ranghöchsten Dämonen ist Belial, der das Laster um seiner selbst willen liebt und in den Straßen von Sodom als Abgott verehrt wird. Zwar werden ihm keine Tempel erbaut und keine Altäre errichtet, aber er steckt die Priester mit seiner Lüsternheit an, herrscht an Höfen und in Palästen. Für die zeitgenössische Leserschaft lag auf der Hand, dass mit Belial der fidele König Charles II. gemeint war, dessen Hof in ganz Europa als »Herrschaft der Unterröcke« verspottet wurde.

Schließlich, jünger als Erde und Himmel, deswegen geringer an Rang, wenn auch bekannter unter den Menschen, die Götter Griechenlands: Titan, des Himmels Erstgeburt, dem Saturn die Macht entreißen wird, nur dass ihm dasselbe Schicksal von seinem Sohn Jupiter widerfährt, der seinen luftigen Wohnsitz zuerst in Kreta auf dem Berg Ida und schließlich auf dem Olymp aufschlägt. Es fehlen auch nicht die mit dem vertriebenen Saturn Entflohenen, die nach Westen ziehen werden, über die Adria nach Italien und weiter zu den Britischen Inseln, frei nach dem Mythos, dass ein Trojaner einst König von Cornwall geworden sei. Den Blick in die vergangene Zukunft gewährte dem Dichter die Muse, die vor der Parade der alttestamentlichen und antiken Götter abermals angerufen wurde.

Als Satan gewahr wird, wie das gesamte Rebellenheer an seinen Gesichtszügen hängt, nur zu bereit, Hoffnung darin zu lesen und neuen Mut zu schöpfen, lässt er mit Fanfarenklängen sein golden funkelndes Herrscherbanner aufrichten, woraufhin ein Jubelschrei ausbricht, der selbst das Reich des Chaos erschrickt. Zehntausende von Bannern werden geschwenkt, ein Wald von Speeren erhebt sich über ein wogendes Meer von Helmen und Schilden. In griechischer Phalanx rücken sie, im Bewusstsein ihrer vereinten Kraft, bei aufmunternden Flötenklängen vor, bis sie in waffenstarrender Front vor ihrem Feldherrn Halt machen, um seine Befehle entgegenzunehmen.

Satan lässt die Augen durch die Reihen schweifen, mustert die ungeheure Schar und ist von Stolz erfüllt, denn er weiß, dass es eine Streitmacht wie diese nie wieder gäbe, nicht vor Theben, nicht vor Troja, nicht unter König Artus und nicht, wenn die Christen unter Orlando gegen die Sarazenen kämpfen würden. Seine Krieger überbieten alle Sterblichen an Heldenmut und hören allein auf ihn, ihren Feldherrn, der wie ein Turm vor ihnen steht und von seinem einstigen Glanz gerade so viel verloren hat wie Sonnenstrahlen im Frühdunst oder wie das Zwielicht bei einer Sonnenfinsternis, das die Könige ängstigt, weil sie Umsturz befürchten. Wegen dieser Anspielung wäre Paradise Lost beinahe der Zensur zum Opfer gefallen, denn der regierende König Charles II. wurde bei einer Sonnenfinsternis geboren.

Satans Gesicht zeigt unbeugsamen Mut und Stolz, in seinem Blick liegt Grausamkeit, aber auch Mitleid für die Millionen von Geistern, die allein seinetwegen aus der Herrlichkeit des Himmels gefallen sind. Sie bilden einen Halbkreis um ihn und seine Hauptleute, woraufhin er zu sprechen ansetzt. Dreimal füllen sich seine Augen mit Tränen, wie Engel sie weinen, bis er, immer wieder unterbrochen von Seufzern, die richtigen Worte findet:

Ihr Myriaden von Unsterblichen,

Vergleichbar dem Allmächtigen! Der Kampf

War nicht unrühmlich, schlimm der Ausgang nur,

Wie dieser Ort und diese Abdrift uns

Horrend bezeugt. Doch welche Urteilskraft,

Voraussicht oder Ahnung, welcher Geist,

Der weiß, was war und ist, nimmt ernstlich an,

Dass eine Göttermacht wie diese hier

Jemals zurückgeschlagen werden kann?

Bezweifelt jemand, selbst nach dem Verlust,

Dass sämtliche Legionen, deren Bann

Den Himmel hat entleert, aus eigener Kraft

Zurückerobern können ihren Sitz?

Das Heer des Himmels soll mein Zeuge sein,

Ob falscher Rat, ob meine Ängstlichkeit

Die Hoffnung uns zerschlug. Nein, sondern er,

Monarch im Himmel, saß auf seinem Thron,

Bis dahin ungefährdet herrschte er,

Durch Ruf, durch Brauch und Billigung gestützt,

Gebieterisch, doch er verbarg uns seine Kraft,

Verführte uns zu dem Versuch und Fall.

Wir kennen fortan seine Macht und unsere auch,

So dass wir weder reizen ihn zum Krieg

Noch fürchten, wenn gereizt. Das Beste ist,

Verschlagen durch Betrug und Hinterlist

Bewirken, was Gewalt nicht ist geglückt,

Damit er letzten Endes von uns lernt:

Wer durch Gewalt besiegt, besiegt nur halb!

Der Raum schafft neue Welten sich, wovon

Gerüchte sich bereits im Himmel halten, dass

Er ein Geschlecht dorthin verpflanzen will,

Das auserwählt, den Himmelssöhnen gleich,

Mit seiner Gunst gesegnet seien soll.

Dorthin lasst uns den ersten Ausfall tun

Zum Spionieren, oder sonst wohin,

Denn nimmermehr soll dieser Höllenpfuhl

Uns Himmelsgeister knechten, der Abyss

In Finsternis uns hüllen. Doch der Plan

Gehört beraten: Friede ist verpönt!

Wer wird an Unterwerfung denken? Krieg,

Ja, Krieg, sei’s offen oder unsichtbar!

[1.622–662]

Ein Meisterstück der Truppenmotivation, wie Satan mit geschliffener Rhetorik die jüngst erlittene Niederlage relativiert und in einen moralischen Sieg ummünzt. Aus dem Vorwurf, der Gegner habe nicht mit offenen Karten gespielt, leitet er die Berechtigung ab, auch selbst versteckt zu agieren. Nachdem nun geklärt ist, wie der Gegenschlag erfolgen soll, verrät der Feldherr auch, wo – an einem wunden Punkt des Gegners, seinem neuen Lieblingsprojekt, von dem er gerüchteweise gehört haben will. Das sei nur ein Vorschlag, mehr nicht, sagt Satan, denn er will kein Despot sein und sich mit ihnen beraten, bevor sie losschlagen. Dass man zum Handeln entschlossen ist, steht jedoch außer Frage. Und was das bedeutet, auch – Krieg!

Kaum ist das Wort gefallen, zücken Millionen von Cherubim ihre Flammenschwerter, so dass die Hölle hell erleuchtet ist, und schlagen damit auf ihre Schilde, denn der Himmel soll ihren ungebrochenen Widerstandsgeist vernehmen. Wie um zu zeigen, dass metallische Erze in seinem Inneren verborgen sind, beginnt ein mit glänzender Schlacke überzogener Berg Feuer zu speien. Schon ist ein Trupp dorthin unterwegs, mit Spaten und Pickeln ausgerüstet, angeführt von Mammon, dem gebückten Geist, der bereits im Himmel den Blick stets nach unten gerichtet hielt, weil er den mit Gold gepflasterten Boden bewunderte. Er, der später die Menschen lehren wird, Mutter Erde ihre Eingeweide zu entreißen, hat mit seinen Gehilfen bald massige Goldrippen freigelegt.

Niemand möge sich über Goldvorkommen in der Hölle wundern, heißt es erklärend, denn das sei der angemessene Platz für das teure Gift. Aus dem Gold und anderen Mineralien, die ebenfalls reichlich vorhanden sind, wird das Pandämonium errichtet, wie Milton den Versammlungsort der Dämonen nennt. Erstaunlich ist das Tempo, in dem der Riesenbau hochgezogen wird, der den Turm von Babel und alle Wunderwerke der Könige von Memphis an Glanz und Größe übertrifft. Wofür die Menschen später Jahrhunderte benötigen würden, das schaffen die Bautrupps der gefallenen Engel in nur einer Stunde.

Ähnelt schon das Schmelzen der Metalle und das Gießen des Bauwerks, das wie Nebeldunst aus dem Boden emporsteigt, einer Symphonie, so gleicht das vollendete Gebäude einem griechischen Tempel: Pilaster und dorische Säulen, Architrave, Kranzgesimse und Friese mit Bildschmuck, hohe Deckengewölbe mit Sternenlampen und Ampeln, die das Pandämonium wie mit Himmelslicht ausleuchten.

Der Erbauer des Meisterwerks, das in Babylonien, Ägypten und Assyrien seinesgleichen suchen wird, war schon im Himmel ein gefragter Architekt und entwarf dort die prächtigsten Paläste für hochrangige Engel. Später sollte er bei den Griechen und dann bei den Römern als Vulcanus Berühmtheit erlangen, Beiname Mulciber oder Besänftiger der Feuersbrunst. Man wird sich erzählen, dass er von Zeus aus dem Himmel geworfen wurde und einen ganzen Tag lang fiel, bis er auf der Insel Lemnos landete. Nur dass das nicht der Wahrheit entspreche, korrigiert der Erzähler den Mythos, denn Mulciber sei schon lange vorher mit den rebellischen Engeln aus dem Himmel vertrieben worden, um nun in der Hölle zu bauen.

Unverzüglich werden Herolde ausgesandt, um zu verkünden, dass im Pandämonium, dem Kapitol Satans und der Seinen, ein hoher Rat abgehalten würde. Alle Legionen, Haufen und Regimenter sollten ihre ranghöchsten Vertreter schicken. Daraufhin strömen sie von allen Seiten herbei, begleitet von Hunderttausenden von Truppen, für die selbst die große Halle zu klein ist. Es wimmelt wie in einem Bienenstock bei der ersten Frühjahrssonne, bis ein Signal ertönt, woraufhin die Riesengestalten augenblicklich zu kleinwinzigen Zwergen schrumpfen. Durch die Verkleinerung fänden alle großzügig Platz, ist der launige Kommentar des Erzählers. Ihre eigene Größe behalten nur die tausend Seraphim und Cherubim, die sich abgesondert im innersten Gemach zu nichts Geringerem als dem geheimen Konklave zurückgezogen haben. Der Erlass wird verlesen und die Beratung beginnt.

Satan am Höllentor, das von der Sünde und dem Tod bewacht wird.

Kupferstich von Michael Burghers, nach John Baptist Medina, British Library London

2. BUCH: STRATEGIEDEBATTE UND REISE DURCH DAS CHAOS

Die Sitzung im Pandämonium beginnt mit Redebeiträgen von Moloch, Belial, Mammon und zuletzt Beelzebub, die kontroverse Positionen vertreten. Die Vielzahl der Fraktionen mag Miltons Leserschaft an all die kleinen politisch-religiösen Gruppierungen zu Zeiten der Republik erinnert haben, wie die Ranters, Quakers, Levellers, Diggers, Fifth Monarchists oder Muggletonians, die gezielt in die Gottesdienste gegangen waren, um sie zu stören oder zu sprengen.

Satan, der königlich über der Versammlung thront, begründet seine Legitimation zur Herrschaft erst einmal aus dem Gesetz des Himmels, das ihn zum rechtmäßigen Führer gemacht habe, dann aus der freien Wahl durch seine rebellischen Mitstreiter, aus seinen Verdiensten im Kampf und schließlich aus dem höchsten Grad an Verdammnis, der ihn treffe. Dass niemand anders freiwillig so eine gefährliche Position einnehmen würde, sei ein Garant ihrer Einigkeit.

Moloch, der Generalissimus, der glaubt, es an Stärke mit dem Allmächtigen aufnehmen zu können, und für den nichts schlimmer ist, als in seiner Bedeutung herabgesetzt zu werden, plädiert mit starken Worten für offenen Krieg. Das Millionenheer warte nur auf das Signal, aus dem Höllenkerker auszubrechen. Sie würden den Tyrannen in seiner Himmelsburg mit ebenden Waffen angreifen, die er erfunden habe, um sie, die aus dem Himmel Vertriebenen, niederzuhalten: Höllenfeuer, Schwefelglut und schwarze Flammen, dazu ein gerechter Zorn, der die erlittene Qual in Kampfesmut verwandelt.

Den Zaudernden, denen der Weg vielleicht zu steil erscheint, gibt er zu bedenken, dass nicht das Fallen als angeborene Bewegung von Engeln gilt, sondern das Aufsteigen, sei es auch aus der Hölle. Zwar weiß Miltons Leserschaft um die Schwierigkeiten, mit denen die beiden Höllenfahrer Aeneas und Dante bei ihrer Rückkehr zu kämpfen hatten, aber Dante war ein Mensch und Aeneas nur ein Halbgott. Also kann Moloch mit Fug und Recht zu seinen Truppen sagen:

Wenn auch der Aufstieg leicht,

So fürchtet man die Folgen: Reizen wir

Den Stärkeren erneut, er könnte uns

Noch schlimmer stürzen lassen! Solche Angst

Gerade in der Hölle? Gibt es Schlimmeres,

Als fern von Seligkeit, im Abgrund hier

Zu grenzenloser Pein verdammt zu sein?

[2.81–87]

Selbst wenn der Allmächtige sie aus unbändigem Zorn in Nichts verwandeln würde, sei das immer noch besser als ewige Qualen zu erleiden. Sollten sie aber nicht zu Nichts werden können, weil sie unsterblich sind, umso besser, denn dann würden sie ohne Unterlass gegen seinen Thron anrennen und wenn auch nicht den Sieg davontragen, so doch zumindest Rache üben.

Vor seinem Auftritt als zweiter Debattenredner wird Belial in einem Kurzporträt als anmutig, ja beinahe menschlich vorgestellt, als schönster Geist, den der Himmel je verlor. Doch soll er auch hohl und träge sein, ein Überredungskünstler, der die Wahrheit verdreht, während von seiner Zunge Manna fließt. Er nimmt Molochs Hauptargument für den Krieg auf, liest darin aber nur Gründe gegen den Krieg. Wenn nur der Mut der Verzweiflung hinter einem neuen Angriff auf den Himmel stände, fehle dem Rebellenheer die nötige Schlagkraft für einen siegreichen Feldzug. Mit denselben Mitteln, die schon einmal versagt hätten, bräuchte man es kein zweites Mal zu versuchen. Und was wäre das, nebenbei gesagt, für eine Rache, wenn der Allmächtige unbeschadet weiter auf seinem Thron säße? Dem abartigen Schielen auf die eigene Vernichtung, die er Moloch unterstellt, hält er entgegen:

Wer möchte denn,

Wenn auch gequält, verlieren die Vernunft,

Das Denken, das durch Ewigkeiten schweift,

Um gänzlich zu erlöschen, aufgeschluckt

Vom weiten Schoß der ungestalten Nacht,

Bar jeden Sinns und Antriebs? Und wer weiß,

Selbst dieses eingeräumt, ob unser Feind

Das kann und will? Wie er’s gewähren kann,

Ist fraglich; dass er’s nicht will, ist sicher.

Wird er, so klug, auf einmal seinen Zorn

Aus Unbeherrschtheit oder Unbedacht

Entladen, seine Feinde wunschgemäß

Vor Wut vernichten, die er sich bewahrt

Zur Pein, die ewig währt?

[2.146–159]

Auf die rhetorische Frage folgt die Aufforderung, sich daran zu erinnern, dass ihnen die Hölle nach den Qualen, die sie erdulden mussten, vor kurzem noch als sicherer Ort und Zuflucht erschien. Immerhin säßen sie jetzt dort zur Beratung zusammen, vereint und bewaffnet. Bei einem neuen Krieg, egal ob offen oder versteckt geführt, müssten sie bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, und weitaus schlimmere Strafen einkalkulieren: Was, wenn die Feuerkatarakte, siebenfach verstärkt, wieder über sie kämen und sie – wie später Prometheus, weiß die gebildete Leserschaft – an Felsen geschlagen für immer und ewig im Flammensee kochen müssten? Sein Rat sei, sich ruhig zu verhalten. Gut möglich, dass der Allmächtige irgendwann sein Interesse an ihnen verlieren und sie nicht weiter behelligen würde. An die Verhältnisse in der Hölle könne man sich im Übrigen gewöhnen.

Nach dem Kriegstreiber Moloch und dem abwiegelnden Belial ergreift Mammon das Wort, ohne dass er noch einmal charakterisiert werden muss. Was er zu sagen hat, entspricht dem prägnanten Bild des Dämons, der stets gebückt geht, um dem Boden Schätze zu entreißen. Zuerst führt er der Versammlung vor Augen, dass sie keine Chance hätten, den Allmächtigen zu stürzen, solange Chaos nicht wieder die Herrschaft übernommen und die bestehende Ordnung zerstört habe. Folglich könnten sie nur auf Begnadigung hoffen, um in den Himmel zurückzukehren. Was bedeuten würde, sich neuerlich zu unterwerfen, Vasallentreue zu schwören, erzwungene Hallelujas zu singen und ewig den zu verehren, den sie hassten. Das könne keiner wollen.

Lieber suchen wir

In uns das Heil und richten uns in dem,

Was unser ist, gut ein, im Abgrund zwar,

Doch sind wir frei und niemand untertan:

Die harte Freiheit vor dem leichten Joch

Des Sklavenpomps! Wie groß wir sind, zeigt sich,

Wenn Großes wir aus Kleinstem, Nützliches

Aus Schaden, Überschuss aus Ungunst uns

Erschaffen können, wenn trotz Übeln wir

Gedeihen und aus Leid Vergnügen wird,

Durch Arbeit und Geduld.

[2.252–262]