Park Avenue Killings: Eine Mörderin zum Verlieben - Band 1 - Jane Stanton Hitchcock - E-Book
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Park Avenue Killings: Eine Mörderin zum Verlieben - Band 1 E-Book

Jane Stanton Hitchcock

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Beschreibung

Eine Mörderin zum Verlieben: Der humorvolle High-Society-Roman »Park Avenue Killings« von Jane Stanton Hitchcock jetzt als eBook bei dotbooks. Jo Slater, Millionärsgattin, feste Größe der New Yorker High Society und bedeutende Kunstmäzenin fällt aus allen Wolken: Ihr bisher vorbildlicher Ehegatte stirbt beim Liebesspiel mit einer französischen Gräfin. Jo findet sich nun nicht nur in der Rolle der betrogenen Ehefrau, sondern auch als arme Witwe wieder – ihr Mann hatte sein Testament kurz vor seinem Tod zugunsten seiner Geliebten geändert! Aber Jo hat einen Plan, um sich an der französischen Schnepfe zu rächen – und das ihr zustehende Erbe wiederzuerlangen. Dafür ist sie sogar bereit, mit ihren Louboutins über Leichen zu stöckeln … »Wunderbar böse – Jane Stanton Hitchcock trifft voll ins Schwarze!« People Magazine Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle High-Society-Roman »Park Avenue Killings« von Jane Stanton Hitchcock. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Jo Slater, Millionärsgattin, feste Größe der New Yorker High Society und bedeutende Kunstmäzenin fällt aus allen Wolken: Ihr bisher vorbildlicher Ehegatte stirbt beim Liebesspiel mit einer französischen Gräfin. Jo findet sich nun nicht nur in der Rolle der betrogenen Ehefrau, sondern auch als arme Witwe wieder – ihr Mann hatte sein Testament kurz vor seinem Tod zugunsten seiner Geliebten geändert! Aber Jo hat einen Plan, um sich an der französischen Schnepfe zu rächen – und das ihr zustehende Erbe wiederzuerlangen. Dafür ist sie sogar bereit, mit ihren Louboutins über Leichen zu stöckeln …

»Wunderbar böse – Jane Stanton Hitchcock trifft voll ins Schwarze!« People Magazine

Über die Autorin:

Jane Stanton Hitchcock, in New York geboren und aufgewachsen, ist erfolgreiche Autorin von Bühnenstücken, Filmproduktionen und preisgekrönten Romanen. Neben dem Schreiben ist das Pokerspiel ihre große Leidenschaft: Jane Stanton Hitchcock nimmt regelmäßig an der World Poker Tour sowie den World Series of Poker teil.

Bei dotbooks erscheinen ihre mörderisch guten High-Society-Romane »Park Avenue Killings« und »Park Avenue Murders« sowie ihr psychologischer Spannungsroman »Deine Schuld wird nie vergeben« und der Vatikan-Thriller »Das schwarze Buch«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2020

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2002 unter dem Originaltitel »Social Crimes« bei Hyperion, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Die tote Geliebte« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2002 by Jane Stanton Hitchcock

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2003 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/surangaw

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-166-3

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Jane Stanton Hitchcock

Park Avenue Killings

Roman

Aus dem Amerikanischen von Heidi Lichtblau

dotbooks.

Eine Gesellschaft mag es sein,jedoch keine heitere.

EDMOND UND JULES DE GONCOURT.

La Femme au XVIIIème siècle

Kapitel 1

Mord war nie mein Lebensziel. Im Grunde meines Herzens bin ich ein sentimentaler Mensch. Bei alten Kinofilmen weine ich. Ich liebe Tiere und Kinder. Bei jedem Straßenbettler werde ich umgehend schwach. Daher hätte ich vor fünf Jahren jeden für verrückt erklärt, der mir gesagt hätte, ich könne vorsätzlich einen Mitmenschen umbringen. Aber das Leben steckt voller Überraschungen, darunter auch die Erkenntnis, wer wir wirklich sind und wozu wir fähig sind. Aber lassen Sie mich einen Augenblick bei dem letzten Abend in jenem Zustand verweilen, den ich heute als Unschuld bezeichnen würde.

Es war einer dieser vollkommenen Abende in Southampton, lau und sternenklar, mit einer leichten Brise vom Ozean her. Ich stand an der Spitze eines kleinen Empfangskomitees und begrüßte die Gäste einer Party mir zu Ehren. Vor meinem geistigen Auge sehe ich sie vor mir, meine Freunde und Bekannten, wie sie einer nach dem anderen an mir vorbeizogen, juwelenbehängt und mit jener hohlen Selbstzufriedenheit im strahlenden Gesicht, wie nur Geld sie hervorbringt.

Ich war fester Bestandteil der Welt, die als »New Yorker Society« bekannt ist, in der die Fische größer und die Gewässer kälter sind, oder, je nach Blickwinkel, die Fische kälter und die Gewässer größer. Eine Welt, in der ich ganz in meinem Element war. Ich war Mrs. Lucius Slater – für meine Freunde: Jo –, Frau eines der reichsten und prominentesten Geschäftsmänner New Yorks.

Angeblich gehörte ich zur Schickeria – ein Etikett, das mir gar nicht passte. Denn es warf ein grelles und lächerliches Licht auf mich und klingt nach einem Leben voller Privilegien und Oberflächlichkeiten, wo jeder in entsprechender Staffage und mit einem teuren Lächeln von einer Party zur nächsten hastet. »Gesellschaftliche Leitfigur« hätte mir besser gefallen, da Ablenkungen wie das Fest an jenem Abend nur ein kleiner Teil des Milieus waren, in dem ich eine bedeutende Rolle spielte: einer Welt des Geldes und der Macht im Allgemeinen und der Herrschaft über die New Yorker Einrichtungen im Besonderen.

Mir war völlig klar, dass Dick Bromire, der Gastgeber, seinen angeschlagenen Ruf mit meinem Namen ein wenig aufpolieren wollte. Dem kontaktfreudigen Immobilienmagnaten, in den beschaulichen älteren Gesellschaftskreisen New Yorks fest etabliert, drohte eine Anklage wegen Steuerhinterziehung – einen Vorwurf, den er scharf von sich wies.

Ich stand neben ihm und beobachtete den mondgesichtigen, bulligen Fünfundsechzigjährigen in seinem weißen Dinnerjacket wie er die Ankömmlinge mit einem Händeschütteln und einem etwas mechanischen Lächeln begrüßte.

»Schön, Sie zu sehen, danke fürs Kommen, danke fürs Kommen«, wiederholte er immerzu, ohne sich auf einen Plausch einzulassen. Als Mittelpunkt des Skandals du jour wollte er es wohl lieber auf keine heiklen Kommentare ankommen lassen.

Seine ruppige Art wurde wie üblich durch den Charme Trishs abgemildert, seiner bedeutend jüngeren Frau, einer sportlichen Blondine aus Florida, der man eine gemeine Rückhand zugetraut hätte, deren wahre Vorstellung von einem athletischen Nachmittag jedoch im Ausräumen ihrer Wandschränke bestand. Sie stand neben ihrem Mann und stellte in einem umwerfenden Ensemble aus Goldlamé-Haremshosen und einem knappen Oberteil stolz ihre durchtrainierte Taille zur Schau. Ihre schweren Smaragd- und Diamantenohrringe, eine Einzelanfertigung von Raj, einem zurückgezogen lebenden Pariser Juwelier, dessen unauffälliges Geschäft als Mekka der juwelenliebenden Reichen galt, erinnerten mich an militärische Abzeichen einer untergegangenen mitteleuropäischen Monarchie.

Mein Mann Lucius und ich kannten die Bromires schon seit Ewigkeiten. Lucius und Dick waren alte Golfkumpel. Lucius hatte Dick vor Jahren zu einer Mitgliedschaft im Trump National Golf Club verholfen. Trish gehörte dem Sommerlesekreis an – dem Milliardärslesekreis, wie er von neidischen Spöttern genannt wurde, da alle Frauen darin reiche Männer hatten und angeblich während der Diskussionen über Proust, Trollope und Flaubert Aktientipps nur so hin- und herflogen.

Schon immer waren die Bromires äußerst nett zu uns gewesen, doch als wahre Freunde hatten sie sich erwiesen, als Lucius drei Monate vor meiner Geburtstagsfeier einen Herzinfarkt erlitten hatte. Für Lucius' Transport von Southampton nach New York hatte Dick uns seinen Helikopter zur Verfügung gestellt. Zusammen mit meinen engsten Freundinnen Betty Waterman und June Kahn hatten Dick und Trish mit mir eine lange Nacht in dem trostlosen Kunstlicht der Korridore des New York Hospital ausgeharrt und um Lucius' Leben gebangt.

»Vielleicht erinnere ich mich nicht, aber ich vergesse nie«, lautet mein Motto, und es tat mir Leid, dass die Steuerfahndung nun hinter Dick her war. Er durfte mich feiern (obgleich mehrere Freundinnen mir geraten hatten, ›einen Bogen um ihn zu machen‹, wie sie es nannten), weil ich ihn mochte, basta.

Da ich keine Kinder habe, betrachte ich meine Freunde als meine Familie. Ich halte zu ihnen, auch wenn das vielleicht gerade nicht opportun ist. Das lernte ich in Oklahoma, wo ich aufgewachsen bin. »Zusammen sind wir obenauf, alleine geh'n wir drauf«, sagte mein Vater immer. So unkultiviert wir in meiner Heimat auch sein mögen, treu sind wir weiß Gott.

Bei der Ankunft von Miranda Somers, deren Anwesenheit bei einer Party in unserem kleinen Kreis verhieß, am rechten Ort zu sein, plusterte Trish sich sichtlich auf. Miranda Somers, eine clevere Schönheit unbestimmten Alters, gilt als Cheerleaderin der Gesellschaft. Unter dem Pseudonym »Daisy« schreibt sie eine Kolumne in der Zeitschrift Nous. Die Nous ist so eine Art gesellschaftliches Sammelalbum: der Mode, den Berühmtheiten und dem Bestreben geweiht, gesellschaftliches Leben als Spaß hinzustellen, selbst wenn es, wie so häufig, sterbenslangweilig ist. Miranda streut Sternenstaub und einen Hauch Satire auf die Ereignisse, mit denen sie sich befasst.

Sie kam am Arm von Ethan Monk, Kurator des Municipal Museums und einer meiner engsten Freunde. Der Mönch, wie er in der Kunstwelt genannt wird, ist ein blonder, jungenhaft wirkender Brillenträger, dessen kerniges Aussehen durch ein einnehmendes Wesen ergänzt wird. Ethan ist bewandert, ohne pedantisch zu sein. Keiner in Amerika kennt sich über das französische Mobiliar des achtzehnten Jahrhunderts besser aus als er, und so war er es auch, der mir bei der Zusammenstellung der Sammlung half, die Lucius und ich schließlich dem Museum stifteten. Ich liebe Ethan aus vielen Gründen, nicht zuletzt deshalb, weil er einem kleinen Tratsch hie und da nie abgeneigt ist, ohne sich jedoch an den Problemen anderer zu weiden wie so viele unserer Freunde.

Trish scharwenzelte ein wenig zu sehr um Miranda und Ethan herum, die beide für augenscheinliche Speichelleckerei wenig Geduld aufbringen. Sie gingen bald zu mir weiter. Miranda küsste auf ihre berühmte Miranda-Art die Luft, um Haare und Make-up zu schonen. »Schatz, du hast es doch immer wieder drauf!«, meinte sie.

Als Nächstes sah ich meinen Liebling June Kahn auf mich zugetänzelt kommen, die aussah wie eine Tinker Bell mittleren Alters. Junes Streben nach Jugendlichkeit äußerte sich an diesem Abend auf makabre Weise in einem pinkfarbenen Organzakleid, das zu einer Drittklässlerin bei einer Ballettaufführung weitaus besser gepasst hätte als zu einer petite dunkelhaarigen Fünfzigjährigen. Sie umarmte mich. »Du siehst toll aus! Und das Zelt ist einfach göttlich! Wie eine große glühende Zwiebel! Wer ist denn schon da? Und wer kommt noch? Oh, mir tun jetzt schon die Füßchen weh!«

Junes Stimme war schrill vor Aufregung über die Party, ihre Augen huschten wie wärmesuchende Raketen auf der Jagd nach Berühmtheiten herum. Als June unvermittelt ein Ziel ausmachte– eine bekannte Nachrichtensprecherin, die auch eine prominente New Yorker Gastgeberin war –, strahlte sie auf und weg war sie. Ich fand Junes Schwäche für Berühmtheiten liebenswert. Sie erinnerte mich an ein kleines Mädchen in einem Petticoat, das auf Autogrammjagd war.

Hinter June zuckelte Charlie Kahn daher, ihr Mann, ein schlanker, distinguiert aussehender Sechziger mit silbrigem Haar. Mit dem dünnen Lächeln, das er für alle Freundinnen Junes übrig hatte, gab er mir die Hand. Charlie erinnerte mich an einen ängstlichen Hund, der nicht gestreichelt werden wollte.

»Na, wo steckt denn der große Mann? Noch unter uns, hoffe ich?«, meinte er.

»Gesund und munter, mein lieber Charlie«, erwiderte ich. »Er ist bloß nicht im Empfangskomitee dabei.«

»Es ist so, wie ich immer sage: Mitnehmen kann man's zwar nicht, aber wenn man genug davon hat, geht man nicht!«, meinte er in Anspielung auf Lucius' Herzinfarkt.

Er lachte. Ich nicht.

Als Nächstes begrüßte ich Betty Waterman. Sie beugte sich zu mir. »Man kriegt das Mädchen zwar aus dem Harem, aber den Harem nicht aus dem Mädchen«, raunte sie mit Blick auf Trish Bromires Aufmachung im Stil von Tausend und eine Nacht. Angesichts ihres eigenen Aufzuges kam mir das Sprichwort vom Glashaus und den Steinen in den Sinn. Betty, ein kräftiger Rotschopf, wollte an diesem Abend in einem reich bestickten bananengelben Kaftan und einem goldblauen Schürzenlatz Furore machen.

»Diese Kluft wiegt eine Tonne!«, stöhnte sie und versuchte, mit beiden Händen die Schulterpartien zurechtzuschieben. »Gil sagt, ich sehe darin aus wie Tutenchamun!«

Gil, ihr Mann, hatte es auf den Punkt gebracht. Ich half ihr, das Kostüm zurechtzurücken, aber viel brachte das auch nicht.

Ich wusste, dass die Watermans eine französische Gräfin zu Besuch hatten und dass Betty Trish Bromire in letzter Minute gefragt hatte, ob diese mitkommen dürfe. Zwar hatte sich die liebe Trish noch am selben Nachmittag darüber beklagt, dass nun die ganze Sitzordnung über den Haufen geworfen sei, doch insgeheim freute sie sich über die Anwesenheit eines adeligen Gastes.

»Na, wo steckt die Gräfin nun also?«

»Bei Gil«, erwiderte Betty. »Wir sind jeder mit einem Auto da, weil ich früher wieder gehen möchte. Ich habe nämlich morgen gleich in der Früh ein Tennisspiel anstehen.« Sie breitete die Arme zu einem Willkommen aus, rief »Hallo, Rattenpack!« und schritt ins Zelt.

Das Empfangskomitee zerstreute sich. Ich schlenderte ins Zelt, um nach Lucius zu sehen. Als einziger Mann in einem schwarzen Tuxedo war er leicht zu entdecken. In der Einladung war ausdrücklich um »weiße Dinnerjackets« für Männer und »festliche Garderobe« für Frauen gebeten worden. Doch Lucius weigerte sich, Weiß zu tragen. »Weiß ist was für Ober und Leichen«, lautete sein Argument. Lucius tat immer, was ihm passte. Das bewunderte ich an ihm. Die Meinung anderer war ihm längst nicht so wichtig wie mir.

Ich entdeckte meinen Mann auf einem der kleinen goldenen Ballsaalstühle an einem runden Tisch nahe der Tanzfläche. Er plauderte lächelnd mit einem steten Strom an Freunden, die ihm ihre Aufwartung machen und ihn begrüßen wollten. Beim Näherkommen bekam ich ein paar unpassende Scherze mit, wie sie leider mit der Rückkehr eines Mannes, der dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen ist, einhergehen: »Fabelhaft, dich in so guter Form zu sehen, Kumpel!«

»Siehst großartig aus, Mensch!« – »Nun, wo du wieder auf dem Damm bist, Junge, muss ich mich auf dem Golfplatz ja vor dir hüten!«

Alles Lügen.

In Wahrheit sah Lucius grauenhaft aus, ein Schatten seines früheren Selbst. Der athletische und elegante Mann, den ich geheiratet hatte und der sein jugendliches Aussehen und Auftreten über die normale Zeitspanne hinaus bewahrt hatte, war nun gebrechlich und bleich. Er hatte an die fünfzehn Kilo abgenommen und sah wie eine Vogelscheuche aus. Seine Schultern, Ellbogen und Kniegelenke traten unter dem schwarzen Stoff seines nun sehr locker sitzenden Tuxedos wie Kleiderbügel hervor. Sein Gesicht war hager, und der scharfe Glanz seiner marineblauen Augen war durch Angst und Schmerz getrübt. Doch Lucius' Intermezzo mit dem Sensenmann hatte es nicht fertig gebracht, ihn sonderlich zu demütigen. Noch immer hatte er das strenge, gebieterische Auftreten eines entthronten Monarchen.

»Wo zum Teufel hast du gesteckt?«, fragte er.

»Im Empfangskomitee.«

»Die ganze Zeit? Du meine Güte!«

Wie so viele reiche Männer wollte Lucius seine Frau ständig um sich herum: teils als Kindermädchen, teils als Sexbombe, teils als Dekoration. Was gar nicht immer so leicht war. Ich kümmerte mich nicht um seinen gereizten Tonfall, beugte mich zu ihm hinunter und gab ihm ein Wangenküsschen.

»Lässt sich's aushalten, mein Schatz? Viele Freunde da?«

»Die üblichen Verdächtigen. Dabei hätte ich gar nichts dagegen heimzufahren, ehrlich gesagt!«

»Ich auch nicht! Aber da müssen wir jetzt durch.«

Ich bemerkte, dass er Champagner trank, und schnappte ihm das Glas aus der Hand.

»Schatz, du weißt doch, was die Ärzte gesagt haben!« Vorerst keinen Sex und keinen Alkohol, hatte es geheißen.

»Ich setz mich zu dir«, meinte ich und zog einen Stuhl her. Lucius hatte für mich grundsätzlich Vorrang.

Sobald ich mich ihm fügte, wurde er freundlicher.

»Nein, Jo. Du drehst mal schön deine Runden. Es ist dein Abend. Genieß ihn!«

Dabei machte ich mir aus riesigen Partys gar nicht viel, lieber hätte ich bei meinem Mann gesessen und mich mit ihm unterhalten. Doch als Ehrengast kannte ich meine Pflichten gegenüber meinen Gastgebern.

»Auch das geht vorbei, Schatz«, meinte ich.

Ich zwinkerte Lucius zu, setzte wieder mein Partygesicht auf und stürzte mich ins Getümmel.

Das kerzenbeschienene Zelt war ein einziges Meer aus runden Esstischen, die von hohen Glasvasen mit einer Überfülle von Blumen und Schleifen dominiert wurden. Ein Orchester spielte die samtigweichen Melodien eines Debütantinnenballes. Der Tanzboden aus Acrylglas, in das Muscheln eingelassen worden waren, wurde von unten beleuchtet und schien aus irgendeinem Grund wie ein futuristischer Zauberteppich über dem Holzboden zu schweben. Er war der einzige moderne Touch weit und breit. So hübsch er war, insgesamt wirkte die Party irgendwie schwerfällig und altmodisch wie eine majestätische alte Galeone. Es hatte etwas von Old Economy. Und genau das gefiel mir. Es kam einem so angenehm vertraut vor.

Die Gäste waren für diesen Anlass aus aller Herren Länder eingeflogen. Viele von ihnen blieben nicht einmal über Nacht. Ihre Privatflugzeuge und Wagen mit Chauffeur standen bereit, sie an ihren Herkunftsort zurückzubringen, sobald der Abend vorüber war beziehungsweise sie sich langweilten. Während ich mich durch die Menge schlängelte, entdeckte ich einen Bekannten nach dem anderen. In gewisser Weise kam es mir vor wie Ertrinken – oder wie das Gefühl, das man dabei angeblich haben soll –, denn mein ganzes Leben schien an mir vorbeizuziehen.

Die amis mondains waren gesammelt ausgeschwärmt. An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass ich meinen Bekanntenkreis in zwei Gruppen einteilte: in wahre Freunde und amis mondains. Als wahre Freunde bezeichnete ich diejenigen, die ich wirklich mochte. Amis mondains – »weltliche Freunde« – waren die, zu denen ich den Kontakt nur um des gesellschaftlichen Lebens willen kultivierte. Also nicht etwa, weil ich sie besonders mochte oder sie mich, sondern weil wir alle Spieler im gleichen Spiel waren. Auch wenn wir ständig miteinander konkurrierten, vermittelten uns unsere Zusammenkünfte doch ein Gefühl der Sicherheit. Geld, und insbesondere die Art, wie wir es auszugeben pflegten – auf der Suche nach dem Einzigartigen, dem Exklusiven und dem Außergewöhnlichen in der Kunst, im Luxus und im Leben –, stellten das Bindegewebe dar, das uns alle zusammenhielt. Bei den verschiedenen Festlichkeiten, auf die wir alle gingen, lachten und tratschten wir miteinander, aber – und in New York zählt bis zum Aber gar nichts – wir ließen selten eine Gelegenheit aus, um einander privat mies zu machen.

Als wäre alles in bester Ordnung, waren die amis mondains zu Dick und Trish Bromire freundlich und charmant wie immer. Nein, sie boten Dick sogar alle ihre Unterstützung an. Und doch war mir klar, dass sie, selbst während sie seine Horsd'œuvres aßen und seinen Champagner tranken, über die Einzelheiten seines bevorstehenden Sturzes spekulierten. Ich schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf, wie etwa »Glaubst du, es wird Anklage gegen ihn erhoben?« ... »Hast du im Wall Street Journal diesen scheußlichen Artikel über ihn gelesen?« ... »Es heißt doch tatsächlich, die Bundespolizei sei hinter ihm her!« ... und so weiter und so fort. Einige lästerten sogar offen über ihn und schoben als Grund, warum sie dieses großartige Fest trotzdem nicht ausgelassen hatten, vor, sie seien ja nicht seinet-, sondern meinetwegen da.

Dick war verwundetes Wild, sein Ruf stand auf dem Spiel und schlimmer – viel schlimmer – sein ganzes Vermögen. Ich hasste es, dass er selbst im eigenen Haus vor Klatschmäulern nicht sicher war, aber so läuft das in der New Yorker Gesellschaft nun mal: Leb durch Geld, stirb durch Geld.

Ich spielte meine Rolle, lächelte, begrüßte alle liebenswürdig und überhörte das provokative Geflüster über unseren lieben Gastgeber geflissentlich. Von vielen Seiten erhielt ich Komplimente über mein gutes Aussehen. Das geschah zwar bestimmt nur aus Höflichkeit, doch es freute mich trotzdem. Schließlich hatte ich in den vergangenen Monaten unter großer Anspannung gestanden, was ja bekanntlich nicht spurlos an einem vorübergeht. Lucius war kein einfacher Patient, um es milde auszudrücken. Es war ja an sich schon schwierig genug, rund um die Uhr Pflegerinnen zu organisieren. Doch wenn Lucius eine bestimmte Pflegerin nicht mochte, dann hatte sie auf der Stelle zu gehen, und mir blieb nichts anderes übrig, als sofort einen Ersatz zu finden oder selbst acht Stunden hintereinander bei ihm zu sitzen. Doch nun hatten wir das Schlimmste überstanden. Inzwischen fühlte Lucius sich schon viel besser, und Caspar, unser Chauffeur, hatte seine Pflege übernommen. Ich freute mich, dass es Lucius besser ging, aber noch immer war ich erschöpft und um seine Gesundheit besorgt, folglich hörte ich gern, dass man es mir nicht ansah.

Hätte ich mich damals beschreiben sollen, dann hätte ich mich als eine Frau gewissen Alters von durchschnittlicher Größe geschildert, gut erhalten durch Selbstdisziplin und genügend Geld für jegliche Art von Schönheitspflege. Ich hatte ein volles, rundes Gesicht, einen hellen, gleichmäßigen Teint und einen schwungvollen Gang, der mich jünger wirken ließ. Da ich einer adretten, eleganten Erscheinung einer weicheren, schmeichelnderen den Vorzug gab, trug ich mein glattes, blondes Haar zu einem Helm geschnitten. Allgemein hieß es, meine wissbegierigen smaragdgrünen Augen seien mein größtes Plus. Obgleich sich erste Alterserscheinungen zeigten – hie und da ein paar Falten, etwas schlaffere Haut um Hals und Unterkinn –, hatte ich mich noch nicht getraut, mich liften zu lassen, da ich mich vor dem erschreckten Aussehen einer Außerirdischen fürchtete, den die kosmetische Chirurgie mehreren meiner Freundinnen verpasst hatte. Ich wählte stets schlichte, aber gut geschnittene Kleidung. Ich war beileibe keine Schönheit, doch es gab Tage, an denen ich im Spiegel einen Blick von mir erhaschte und mir dachte: »Nun, es könnte schlimmer sein!« Wenn mein Benehmen bei größeren Veranstaltungen ein bisschen einstudiert und gespreizt wirkte, dann deshalb, weil ich mich in großen Menschenmengen befangen fühlte.

An dem Abend meines Geburtstages trug ich ein langes, weißes Etuikleid aus Seide, um meinen allerliebsten Besitz hervorzuheben: eine Kette aus schwarzen Perlen, Rubinen und Diamanten, die einst Marie-Antoinette gehört hatte. Lucius hatte sie mir zu unserem ersten Hochzeitstag geschenkt.

Ich bahnte mir meinen Weg durch die Menge, als mir jemand an die Schulter tippte. Es war Tutenchamun Betty mit einem großen Glas Scotch in der Hand.

»Jesses, Jo, hier watet man ja förmlich durch Geld«, meinte sie. »Stell dir vor, ich war in drei verschiedene Gespräche über Privatflugzeuge verwickelt! Wie viel würde dir über Jetdekoration einfallen?«

Wir verstummten, um einem Mann in unserer Nähe zuzuhören, der lauthals mit den Milliarden Dollars prahlte, die er gerade trotz Wirtschaftsflaute für seine Risikofonds hatte auftreiben können. Betty verdrehte die Augen und raunte mir zu: »Erzähl mir nicht, dass es hier nicht Leute gibt, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben!«

»Das würde ich auch, wenn ich wüsste, wie man sich mit ihm in Verbindung setzt!«

»Habe ich schon versucht. Es ist immer besetzt bei ihm.«

Betty, nun voll in Fahrt, hob den Blick zu dem riesigen Kristalllüster, der über der Zeltmitte funkelte. Sie hob die Stimme.

»Satan, hörst du mich?«, fragte sie. »Wenn du alle Seelen in Southampton zusammentrommeln möchtest, musst du hier einfach bloß in einer G-5 landen! Und ich fliege lieber mit dir als mit den meisten dieser Arschlöcher!« Dann wandte sie sich mit einem beschwipsten Funkeln in den Augen zu mir um. »Jo, ich habe eine Idee! Lass uns zu jedem ›Fick dich!‹ sagen, den wir hassen.«

»Ich habe da eine bessere Idee. Machen wir uns doch mal auf die Suche nach deinem Hausgast«, sagte ich in der Hoffnung, sie dadurch von dem Fegefeuer abzulenken, das sie ansonsten zwangsläufig entfachen würde.

»Ich hab die Reichen so verdammt dick!«, meinte sie, während wir durch die Menge gingen.

»Dann musst du einmal ein paar neue Leute kennen lernen.«

»Bloß keine neuen Leute! Außer ihr Name fängt mit X, Y oder Z an! In meinem alten Adressbuch ist kein Platz mehr ... Oh! Da drüben ist sie!«

Betty deutete ans Zeltende, wo eine hübsche, elfengesichtige jüngere Frau mit kurzem, dunklem Haar und glänzenden dunklen Augen allein dasaß, an einem Glas Weißwein nippte und die Menge aus der Ferne überblickte. Sie hatte eine sehr weiße Haut und glühte in einer Art ätherischen Blässe. Sie trug einen langen schwarzen Rock und ein schlichtes schwarzes Oberteil, dazu eine einreihige Perlenkette. Sie wirkte etwas niedergeschlagen, wie Leute es oft tun, wenn sie bei großen Zusammenkünften keinen Anschluss finden.

»Was für einen Hintergrund hat sie noch mal?«, wisperte ich, während wir auf sie zugingen.

»Hab ich dir doch schon erzählt. Ihr Mann, Michel, war ein Freund von Gil. Starb vor ungefähr einem Jahr. Wir sind ihr auf einer Party in New York über den Weg gelaufen und ich habe sie – dumm wie ich bin – beiläufig zu uns nach Southampton eingeladen. Ich meine, wer erwartet schon, dass jemand so eine Einladung tatsächlich annimmt? Scheiße! Natürlich kommen die Engländer und bleiben ewig. Bleibt nur zu hoffen, dass die Franzosen da anders sind.«

Betty stellte mich der Gräfin Monique de Passy vor, die sich so ehrerbietig von ihrem Stuhl erhob und mir die Hand gab, als sei ich die Königinmutter. Ihr Griff war fest und geradeheraus, nicht schlaff und vorsichtig wie so häufig bei europäischen Frauen.

»Gräfin.«

»Monique, bitte, Mrs. Slater.«

»Nennen Sie mich Jo.«

Nachdem das geklärt war, setzten wir drei uns.

»Jo, es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen«, meinte Monique mit einem ganz leichten französischen Akzent. »Ich bewundere Sie schon so lange!«

Die glitzernden Augen der Gräfin und ihre offene Art boten eine einnehmende Mischung. Sie war nicht kriecherisch, sondern sympathique, wie die Franzosen sagen. Ihre Erleichterung darüber, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte, war spürbar. Unsere kleine Gruppe war nicht gerade bekannt für die herzliche Begrüßung von unbekannten Neulingen, außer sie waren sehr, sehr reich.

»Ich finde es faszinierend, eine Amerikanerin kennen zu lernen, die sich für Marie-Antoinette interessiert«, sagte sie.

»Für das Zeitalter Ludwig des Sechzehnten«, korrigierte ich sie. »Marie-Antoinette hatte ein Spatzenhirn, fürchte ich.«

»Aber sie hatte einen großartigen Geschmack. Die da hat ihr gehört«, erklärte Betty und deutete auf meine Kette, die ich unwillkürlich berührte.

Monique wirkte beeindruckt. »Wirklich? Die Kette hat Marie-Antoinette gehört? Darf ich fragen, woher Sie sie haben?«

»Mein Mann hat sie mir zum ersten Hochzeitstag geschenkt.«

»Erzähl ihr die ganze Geschichte«, bat Betty.

Das machte ich nur zu gern.

»Eigentlich ist sie ganz interessant«, sagte ich. »Nachdem Marie-Antoinette eingekerkert worden war, schmuggelte Marie-Antoinette diese Kette hier zu einem ihrer Kammermädchen mit der Anweisung, nach England zu reisen und sie dort zu verkaufen. Dieses sollte daraufhin nach Frankreich zurückkehren und mit dem Geld der Königin und der königlichen Familie zur Flucht verhelfen. Zwei Befehlen der Königin kam das Kammermädchen nach. Sie reiste nach London und verkaufte die Kette an einen Herzog. Doch sie kehrte nie nach Frankreich zurück. Sie blieb in England und ließ sich dort in großem Stil nieder. Das ist alles dokumentiert. Die Kette hat Lucius direkt der herzoglichen Familie abgekauft.«

Monique war entzückt. »Mein Mann wäre von dieser Geschichte begeistert gewesen! Er hat mit mir immer die Conciergerie besucht, wo alle Leute aufgelistet sind, die mit der Guillotine geköpft worden sind. Auf der Namensliste stehen ungefähr sechs oder sieben de Passys. Was für ein Wunder, dass überhaupt noch einer übrig geblieben ist.«

Zum Zeichen, dass das Dinner serviert wurde, spielte das Orchester eine kleine Fanfare.

»Wenn wir schon von der Guillotine sprechen, du solltest mal sehen, neben wem ich sitze! Wow!« Betty machte eine entsprechende Geste mit dem Zeigefinger quer über den Hals. Wir drei erhoben uns, um uns an unsere jeweiligen Tische zu begeben. Monique gab mir zum Abschied die Hand.

»Es war reizend, Sie kennen zu lernen, Mrs. Slater – Entschuldigung, Jo. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«

»Warum kommen Sie und Betty denn nicht einfach morgen zum Lunch bei uns vorbei?«

»Ich kann leider nicht, Süße«, entgegnete Betty. »Um eins kommen die Klempner zu mir. Dieser Tage scheint Gil nichts anderes im Kopf rumzugehen als der verdammte Wasserdruck der Dusche. Aber Sie können ja gehen«, wandte sie sich an Monique.

Die Gräfin hatte Bedenken. »Ich möchte niemandem zur Last fallen.«

»Herrgott noch mal, aber Sie haben mir doch die ganze Zeit in den Ohren gelegen, dass Sie Jos Haus sehen wollen! Das ist Ihre Chance!«, meinte Betty. Monique errötete. »Du bist ihr Idol, Jo. Sie hat mir erzählt, dass sie bei ihrer Ankunft in New York als Erstes die Slater Gallery besucht hat.«

Betty hatte die Angewohnheit, über jemand Anwesenden in der dritten Person zu sprechen, als wäre er nicht da. Die Gräfin, weiterhin rot vor Verlegenheit, tat mir Leid. Ich fühlte mich äußerst geschmeichelt. Wie nett, jemandes Idol zu sein, dachte ich bei mir. Ich erinnerte mich an die Zeit, als Clara Wilman mein Idol gewesen war und daran, wie aufgeregt ich bei unserer ersten Begegnung gewesen war.

»Kommen Sie doch, bitte«, meinte ich, denn ich wollte die junge Frau von Bettys Redeschwall erlösen. »Wenn es Sie interessiert, zeige ich es Ihnen gern!«

Monique lächelte. »In diesem Fall sage ich gern ja!«

Das Dinner dauerte lang und lief im üblichen Rahmen ab. Als ersten Gang reichten Ober Silberkübel herum, aus denen wir alle riesige Portionen Kaviar auf silberdollargroße Blinis auf die Teller häuften. Als Nächstes war Lachs en croûte an der Reihe, dann Salat. Kurz vor der Geburtstagstorte bemerkte ich, wie Dick Bromire meinem Tischnachbarn Ethan Monk einen Blick zuwarf. Ich ahnte, was geschehen würde.

»Um Himmels willen, bloß keine Ansprachen«, flüsterte ich Ethan zu.

Er tätschelte mir den Arm und erhob sich. »Courage, ma chère.« So andächtig wie ein Sumpfvogel auf Futtersuche schritt er zu dem Mikrofon auf der Tanzfläche. Es wurde an Gläser geklopft, und im Raum trat Stille ein. Sehr aufrecht und mit einem eingefrorenen Lächeln auf dem Gesicht lauschte ich einer witzigen ethanesken Reise in die Vergangenheit, beider Ethan bei den frühen Tagen unserer Freundschaft anfing und mit der Beschreibung der Slater Gallery schloss, die Lucius und ich dem Municipal Museum 1990 gestiftet hatten.

Er erzählte die inzwischen berühmte Anekdote, wie ich ein großartiges Porträt aus dem achtzehnten Jahrhundert von David erkannt hatte, das in einer obskuren Bücherei im Norden des Staates New York hing. Er sprach davon, wie ich durch meine Großzügigkeit zum ›kulturellen Erbe Amerikas‹ beigetragen hätte.

Hier verkniff er sich auch nicht ein wenig Eigenlob. Aber das verdiente er auch. Viele waren sich einig, dass die Sammlung von französischem Mobiliar aus dem achtzehnten Jahrhundert, die ich mit Ethans unschätzbarer Beratung gekauft hatte, es sogar mit den prächtigen Wrightsman Rooms im Metropolitan Museum aufnehmen konnte. Ich musste daran denken, wie ich letztens auf dem Weg zu einer Versammlung des Museumsvorstandes bei der Galerie Halt gemacht hatte und so erfreut und gerührt gewesen war, als ich eine Gruppe von Schulkindern vor einer Replik von Marie-Antoinettes Privatgemächern stehen sah, die alle möglichen Fragen darüber stellten. Ich fühlte, ich hatte einen Anteil daran, dass ihnen eine neue Welt eröffnet wurde.

Als Ethan sich setzte, dachte ich, nun wäre es ausgestanden. Von wegen. Ich sah, wie sich Lucius am Tisch nebenan hochhievte und dann gemessenen Schrittes zum Mikrofon ging. Ich hielt den Atem an. Dass Lucius öffentlich eine Rede auf mich hielt, hatte es noch nie gegeben.

»Jo, nun schau mich doch nicht so an!«, brüllte er so laut in das Mikrofon, dass es zu einer quietschenden Rückkoppelung kam. Allgemeines Gelächter. »Wie die meisten von Ihnen wissen, ist der einzige Toast, den meine Frau mag, der, der mit Butter und Marmelade serviert wird. Aber im Leben eines Mannes kommt die Zeit, wo er aufstehen und allen zeigen muss, wer der Boss ist ... Also, Boss«, wandte er sich direkt an mich, »heute Abend werde ich selbst auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, all deinen Freunden und Freundinnen erzählen, was sie bereits wissen: was für eine bemerkenswerte Frau du bist. Und dieses eine Mal bleibt dir nichts anderes übrig, als den Mund zu halten und zuzuhören. Okay?«

Obgleich ich verneinend den Kopf schüttelte, freute ich mich insgeheim.

Während mein gebrechlicher Mann über mein Leben sprach und darüber, wie ich Mrs. Slater geworden war, und den anderen dabei die alte Lüge auftischte, wie er sich bei einer Dinnerparty von Betty und Gil Waterman in mich verliebt hätte, blickte ich mich im Raum um. Ich fragte mich, wie viele hinter meinem Rücken immer noch als »die Verkäuferin« von mir sprachen. Der einzige Mensch, der offiziell Bescheid wusste, wie Lucius und ich uns wirklich kennen gelernt hatten, war Lucius' Rechtsanwalt, Nate Nathaniel.

Lucius schloss mit den Worten: »Ich bin dir dankbar, Jo, dass du mich durch diese schrecklichen letzten Monate gebracht hast und so eine großartige Ehefrau und Frau bist. Auf dich, Kid!« Der Applaus, der daraufhin einsetzte, galt mehr ihm als mir. Schwach, wie er war, hatte er doch überlebt. Man bewunderte ihn. Ich ging zu ihm und gab ihm einen dicken Kuss. Der Saal tobte.

Als wir wieder saßen, erhob sich Dick Bromire und gab dem Orchester ein Zeichen. Es spielte ein paar Fanfarentakte der »Marseillaise«. In diesem Moment erblickte ich die Gräfin. Sie lächelte und zollte mir mit einem Nicken einen stummen Tribut. Sie sah so hübsch aus, und doch so unglücklich.

Zwei Ober rollten eine riesige Torte auf die Tanzfläche – eine Miniaturkopie des Petit Trianon, mit Vanilleglasur bedeckt.

Alle sangen »Happy Birthday« für mich, und danach hielt Dick Bromire die letzte Ansprache des Abends. Er ließ sich über meinen »legendären Stil«, meinen »außergewöhnlichen Geschmack« und meine »erstaunliche Großzügigkeit« aus und schloss seine lieben Bemerkungen, indem er das Champagnerglas hob und mich direkt ansprach: »Jo, du bist in jeder Hinsicht eine große Wohltäterin. Ich persönlich bin dir ungeheuer dankbar für deine Großzügigkeit gegenüber Trish und mir. Damit, dass du heute Abend unser Ehrengast bist und uns deinen Geburtstag feiern lässt, erklärst du der Welt, was du von uns hältst. Und lass mich das eine sagen ...Wenn wir für dich gut genug sind, werte Dame – der Standard, an dem sich alle Eleganz misst –, dann sind wir ganz einfach ... gut genug! Die einmalige und einzigartige Jo Slater!«

Ehe ich mich's versah, hatten sich alle erhoben und applaudierten mir. Ich war so gerührt und erfreut, dass ich gar nicht merkte, dass ich weinte. Ich wünschte, meine Eltern hätten mich an diesem Abend sehen können, an dem die gesamte New Yorker crème de la crème das Glas auf mich erhob. Mein Vater wäre ganz aus dem Häuschen vor Freude gewesen, aber meine Mutter einfach nur stolz. Verwundert dachte ich mir im Stillen: Kiddo, du bist Lichtjahre entfernt von der armen kleinen Landpomeranze von einst. Wie hast du es bloß so weit gebracht?

Kapitel 2

Das alte Sprichwort, das besagt, dass manche Menschen »in der falschen Wiege« geboren wurden, trifft auf mich zu. Schon früh war mir klar, dass ich nicht dazu ausersehen war, mein restliches Leben in Oklahoma City zu verbringen, wo ich geboren und aufgewachsen war. Dennoch, mein stetiger Aufstieg von der Studentin zur Empfangsdame eines Restaurants, zur Verkäuferin zur Sammlerin und Philanthropin und, schließlich, zu einer der grandes dames von New York ist eine ziemlich bemerkenswerte Geschichte, selbst aus meiner Sicht. Nach all den Ereignissen der letzten Zeit habe ich mir darüber häufig Gedanken gemacht. Mitunter muss man ein paar Schritte zurückgehen, um vorwärts zu kommen. Man muss sich vergegenwärtigen, wo man war, um sich darüber klar zu werden, wo man ist.

Ich wurde als Jolie Ann Meers geboren, einziges Kind von Myrna und Dyson Meers aus Oklahoma City, Oklahoma. Ich rechne es meinen Eltern hoch an, dass sie sich bemühten, mich als gottesfürchtigen, verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. Das ist an sich schon keine einfache Aufgabe, doch in meiner Familie war die Herausforderung besonders groß, da bei etlichen meiner Verwandten ›ein paar Schrauben locker waren‹, wie mein Vater sich ausdrückte.

Onkel Laddie, der Bruder meiner Mutter, ein Bestattungsunternehmer, war nicht im eigentlichen Sinn verrückt. Aber er wäre um Haaresbreite des Mordes angeklagt worden. Die Polizei verdächtigte ihn, meine miesepetrige Tante Tillie Weihnachten 1973 aus einem Hotelfenster in Tulsa gestoßen zu haben. Onkel Laddie behauptete, sie sei gesprungen und zauberte einen Abschiedsbrief hervor, der daraufhin von mehreren Handschriftexperten ohne schlüssiges Ergebnis untersucht wurde. Alle waren wir einhellig der Meinung, er habe es getan – und aus gutem Grund. Tante Tillie war ein absoluter Trauerkloß, sie hasste das Leben und diejenigen, die es genossen. Meine Mutter erklärte, sie sei die perfekte Gefährtin für einen Bestattungsunternehmer. »Anscheinend nicht«, versetzte mein Vater.

Dann war da mein Cousin Derek, der Sohn der Schwester meines Vaters, der es nie zu einem Highschool-Abschluss gebracht hatte und irgendwie Millionär wurde. Genau wie der »King«, wie er Elvis nannte – der am selben Tag starb, an dem Derek geboren wurde –, verschenkte er Autos an wildfremde Leute. Als Derek aus dem Gefängnis kam, war er immer noch reich, was es meinen Eltern nicht leicht machte, darauf zu beharren, dass Verbrechen sich nicht auszahlt.

Meine Mutter, Myrna, war Verkäuferin bei Baliet's, einem gehobenen Damenoberbekleidungsgeschäft in Oklahoma City. Sie war eine ausgezeichnete Schneiderin und nahm nebenbei Änderungen vor, um sich zusätzlich Geld zu verdienen. Als Teenager war sie bei einem Schönheitswettbewerb des Staates Oklahoma Zweite geworden. Noch immer war sie eine sehr attraktive Frau, und ich glaube, sie verstand nie, warum ihr Aussehen ihr nicht mehr im Leben eingebracht hatte.

Mein Vater, ein Chiropraktiker, war ein notorischer Schürzenjäger. Es schien, als bekäme er Frauen nicht nur in beruflicher Hinsicht gern zwischen die Finger. Mutter ertrug seine Treulosigkeiten stumm, sublimierte ihren Kummer in Hochglanzzeitschriften für Dekoration und Inneneinrichtung. Manchmal musste ich mich neben sie setzen, und dann blätterten wir gemeinsam die Seiten durch und deuteten auf die Räume und Gegenstände, die uns am besten gefielen. Überraschenderweise ging das Stilgefühl meiner Mutter über den provinziellen Standard hinaus, auch wenn ich keine Ahnung habe, woher sie es hatte. Je mehr ich sehe, umso mehr komme ich zu dem Schluss, dass Stil mit relativem und absolutem Hörvermögen vergleichbar ist. Die einen haben es, die anderen nicht. In punkto Geschmack war Mutter recht sicher. Relatives Hörvermögen, kein absolutes.

Eines Tages, ich war dreizehn, nahm sie mich zu einem Termin bei einer ihrer Kundinnen mit – Mrs. Fortes, eine durch Öl zu Geld gekommene Dame mit einem riesigen Haus. Während Mutter im Schlafzimmer Kleider absteckte, ging ich auf Entdeckungsreise. Ich erinnere mich daran, wie ich in dem riesigen Wohnzimmer eine chinesische Figurine von einem der Couchtische hochhob. Ich musterte gerade ihren bunten Turban, als eine Stimme durch den Raum schallte: »Stell die wieder hin!« Ich war so erschrocken, dass ich den kleinen Mann beinahe fallen gelassen hätte. Die Stimme gehörte zu einem verärgerten Dienstmädchen, das auf mich zumarschierte und mir die Figur entriss.

»Weißt du denn nicht, dass man die Sachen in anderer Leute Häuser nicht anfassen soll?« Sie stellte die Figur behutsam wieder auf den Tisch.

Sie zog mich an der Hand, drückte mich aufs Sofa und legte mir einen großen Bildband auf den Schoß, der auf dem Couchtisch gelegen hatte.

»So. Hier bleibst du jetzt einfach sitzen und schaust dir das an, bis deine Mutter fertig ist! Verstanden?«

An bestimmte Augenblicke in seinem Leben erinnert man sich besonders gut – und zwar nicht, weil sie zu dem Zeitpunkt so bemerkenswert waren, sondern weil man im Rückblick sieht, wie das Schicksal seinen Lauf nimmt. Und als ich in dem Buch herumblätterte, war das solch ein Moment. Es war voller Bilder eines außergewöhnlichen Hauses, eines atemberaubend schönen Gebäudes. Ich dachte, vielleicht lebt Gott dort. Oder wenn nicht, dann sollte er es.

Als es für Mutter und mich Zeit zum Gehen war, klappte ich das Buch zu und sah den Titel, der in großen goldenen Lettern auf dem Buchumschlag prangte. Es hieß schlicht Versailles.

Auf der Heimfahrt fragte ich meine Mutter, was Versailles – natürlich sprach ich es völlig falsch aus – denn eigentlich sei. Typisch meine Mutter, hielt sie daraufhin sofort bei der Bücherei an und besorgte mir ein speziell auf junge Leser zugeschnittenes Buch über die Geschichte dieses großartigen Palastes. Noch am gleichen Abend begann sie, es sich mit mir anzuschauen. Die Könige, Königinnen und Adeligen des französischen Hofes drangen in meine Fantasie ein wie eine Armee von Erzengeln. Danach verschlang ich alles, was mir über dieses Thema in die Hände fiel. Ich entwickelte eine Faszination für die Geschichte von Marie-Antoinette.

In dem Jahr, als ich meinen Collegeabschluss machte, erlitt mein Vater einen Schlaganfall. Danach war er auf der rechten Seite gelähmt und konnte weder laufen noch sprechen. Er saß zu Hause in einem Rollstuhl, scheinbar geistig hell, trotz seines Zustandes, und sah den ganzen Tag fern. In seinen Augen blitzte noch immer der Schalk. Es ist seltsam, das zu sagen, aber meine Mutter schien nun, da Vater immer daheim und vollkommen von ihr abhängig war, glücklicher zu sein, als sie es je gewesen war – vielleicht, weil er nun endlich ihr gehörte, ihr ganz allein. Sie betüterte ihn Tag und Nacht.

Natürlich musste die Praxis meines Vaters geschlossen werden. Die Arztrechnungen verschlangen unsere Ersparnisse, unsere Finanzlage war ausgesprochen prekär. Zwar hatte ich ein Stipendium für die University of Tulsa erhalten, doch konnte Mutter uns allein beim besten Willen nicht über Wasser halten. Daher begrub ich meine Hoffnungen auf einen Magistergrad in französischer Geschichte einstweilen und nahm bei Sizzler's, einem Steaklokal, das in der Nähe des Penn Plaza lag, einen Job als Empfangsdame an. Die Arbeitszeit war anständig, das Trinkgeld toll, und es war kein schlechter Job, die Gäste aus besseren Kreisen zu begrüßen und kennen zu lernen, die dort aßen.

In einer Stadt mit so vielen Schnellrestaurants wie Oklahoma galt das Sizzler's als Nobellokal. Es war mit Holz verkleidet und mit Kopien von Cowboyskulpturen Remingtons und Reproduktionen von Indianer-Gemälden von C.M. Russell dekoriert. Die Klientel bestand hauptsächlich aus Geschäftsleuten und Fremden.

Ich hatte ungefähr acht Monate im Sizzler's gearbeitet, als am 1. April 1973 ein Stammkunde namens John Shanks anrief und sagte, er werde sich leider leicht verspäten und ich solle mich doch bitte gut um seinen Gast, einen gewissen Mr. Lucius Slater, kümmern, wenn dieser auftauche. Kurz vor acht kam ein silberhaariger Mann mit tief liegenden blauen Augen und elegantem Auftreten an den Empfangstisch. »Guten Abend«, grüßte er mich mit rauer, kultivierter Stimme. »Ich bin hier mit Mr. Shanks zum Essen verabredet.«

Ich nahm an, dass er von der Ostküste kam. Trotz seines sicheren Auftretens trug er doch eine gewisse Zurückhaltung zur Schau, die mich sofort für ihn einnahm. Das großtuerische Gehabe seines abwesenden Gastgebers fehlte ihm völlig.

»Mr. Slater?« Er nickte leicht überrascht. »Mr. Shanks hat gerade angerufen und gesagt, er würde sich leider verspäten. Würden Sie unterdessen gern einen Drink an der Bar zu sich nehmen, oder möchten Sie sich lieber schon an den Tisch setzen?«

»Letzteres, danke.«

Ich nahm eine Speisekarte und führte den Gast an Mr. Shanks Stammtisch, der in einer ruhigen Ecke des Restaurants unter einem Gemälde zweier durch Schnee reitender Indianer lag. Er nahm auf der roten Lederbank Platz. Ich reichte ihm die Karte und fragte ihn, ob er etwas zu trinken wünsche. Er faltete die Hände zusammen und überlegte einen Augenblick.

»Ich glaube, ich bin in der Stimmung für einen Kir Royale.«

Ich hatte keine Ahnung, was das war. »Verzeihung?«

Er lächelte. »Champagner mit einem Schuss Crème de Cassis.«

Davon hatte ich noch nie gehört.

»Glaube nicht, dass wir so etwas haben, Sir.«

»Na gut. Dann bitte einfach ein Glas Champagner.«

»Da müssen Sie, glaube ich, eine ganze Flasche bestellen, Sir. Wir servieren Champagner nicht glasweise.«

»Schön. Dann bestelle ich eine Flasche. Helfen Sie mir denn beim Trinken?« Er schenkte mir ein kurzes Lächeln, senkte dann aber den Blick. Ich spürte, dass ihm die Frage so herausgerutscht war, ohne Berechnung.

»Ich wünschte, das ginge«, erwiderte ich. Auch ich antwortete ohne Berechnung. Bis zum heutigen Tag wundere ich mich darüber, dass ich mich das zu sagen traute. Ich hatte noch nie zuvor mit einem Gast geflirtet.

Er sah wieder zu mir auf. »Warum geht das nicht?«

Ich spürte, wie ich über und über rot wurde. »Oh, das ... das geht einfach nicht.«

»Ich sage Ihnen etwas. Ich bestelle trotzdem eine Flasche, und vielleicht besinnen Sie sich eines anderen. Vielleicht?«

»Vielleicht.«

Er blickte mich mit seinen wunderbaren Augen an. Er mochte mich, das merkte ich. Und ich mochte ihn, auch wenn er offensichtlich viel älter war als ich und auch älter als jeder, mit dem ich bisher ausgegangen war. Ich schätzte ihn so auf fünfzig, fünfundfünfzig, also auf fast so alt wie meinen Vater. Vermutlich war das zunächst auch einer der Gründe, warum ich mich von ihm angezogen fühlte. Ich glaube, ich kämpfte damals mit der Angst, meinen Vater durch einen weiteren Schlaganfall zu verlieren. Mich in Lucius zu verlieben war für mich vielleicht eine Möglichkeit, an meinem Vater festzuhalten.

Jahre später, als Lucius und ich in Erinnerungen an unsere erste Begegnung schwelgten, behauptete er, er habe bereits an diesem Abend gewusst, dass er mich heiraten würde. Ich hätte das damals nicht voraussagen können, da ja, wie mir meine Mutter immer warnend vorhielt, wahre Liebe nie geradlinig verläuft. Lucius kam immer häufiger geschäftlich nach Oklahoma City. Und zum Essen ging er stets ins Sizzler's. Eines Abends aß er ganz allein dort und fragte mich, ob ich mit ihm ausgehen würde. Bei unserer ersten Verabredung erzählte er mir dann, dass er sich gerade von seiner Frau scheiden lasse, mit der er seit einundzwanzig Jahren verheiratet sei. Die Scheidung verlaufe in gütlichem Einvernehmen, und sie seien lediglich ihrem einzigen Sohn Lucius jr. zuliebe zusammengeblieben, der neunzehn Jahre alt sei und demnächst das zweite Jahr seines Collegestudiums beginne. Ich freute mich, dass er mir die Wahrheit sagte. Wir begannen uns regelmäßig zu treffen und binnen kurzem waren wir bis über beide Ohren ineinander verliebt.

Lucius versicherte mir, dass seine Scheidung plangemäß verlaufe, und bat mich, nach New York zu ziehen. Obgleich ich nichts lieber getan hätte, war mir nicht wohl dabei, mit einem verheirateten Mann eine Beziehung einzugehen. Ich hatte keine Lust, mich in die Ränge »anderer Frauen« einzureihen, wie jene, die meine Mutter all die Jahre vor der Krankheit meines Vaters so unglücklich gemacht hatten.

Allerdings merkte ich rasch, dass Lucius nicht lockerließ, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass er mich wollte. Und ich wollte ihn auch. Zum einen waren wir körperlich völlig versessen aufeinander. Zwischen uns knisterte es derart, dass wir, als er mit mir nach Paris reiste, um mir die Stadt meiner Träume zu zeigen, die ersten zwei Tage im Bett verbrachten und nichts als vier Wände und eine Zimmerdecke sahen. Doch Sex war nicht das Einzige, was uns miteinander verband. Wir schienen dieselben Rhythmen, Vorlieben und Abneigungen zu haben. In Paris lernten wir uns wirklich kennen.

Für ein naives junges Mädchen aus Oklahoma war die Stadt des Lichtes eine Offenbarung. Ihre leuchtende Schönheit warf mich einfach um. Lucius kannte sich dort gut aus und sprach Französisch. Aber ich wusste viele Dinge, die ihm nicht bekannt waren. Mir kam es vor, als würde ich einen riesigen historischen Themenpark besuchen, in dem ich mir endlich alles anschauen konnte, wovon ich gelesen und worüber ich mich kundig gemacht hatte. Als er mit mir zum Beispiel nach Versailles fuhr, war er erstaunt, wie gut ich darüber Bescheid wusste. Mit meinem College-Französisch kam ich gut durch und merkte, dass mir die Sprache wirklich lag. Bei unserer Abreise sprach ich sie mit einem glaubwürdigen Akzent.

An unserem letzten gemeinsamen Abend gingen wir zum Essen in eines von Lucius' Lieblingsbistros. Er ergriff über den Tisch hinweg meine Hand und sagte: »Ich habe alles genau durchdacht ... Du ziehst nach New York. Ich besorge dir eine Wohnung. Sobald ich geschieden bin, heiraten wir!« Er griff in seine Tasche und schob mir einen Diamantring auf den Finger.

»Und was ist mit Mom und Dad? Die kann ich doch nicht einfach verlassen!«

»Ich werde dafür sorgen, dass es den beiden an nichts fehlt. Das hatte ich ohnehin vor – selbst wenn du beschließt, nicht nach New York zu kommen. Das heißt, wenn du es mir gestattest.«

In meinen Augen war er der erotischste, liebste und wunderbarste Mann, der mir je begegnet war. Ich nickte wie ein gehorsames kleines Mädchen. Protest war zwecklos. Ich wollte ihn. Und ich wollte ein anderes Leben.

Nach einem tränenreichen Abschied von meinen Eltern zog ich nach New York, um mit Lucius zusammen sein zu können. Zu diesem Zeitpunkt ging es meinem Vater sehr schlecht, und meine Mutter war zu müde und zu besorgt, um groß nachzufragen, woher ich das Geld hatte. Sie war dankbar für meine Hilfe. Bestimmt wusste sie, dass ich einen »Sugar Daddy« hatte, wie sie reiche Männer nannte, doch sie stellte keine Fragen. Sie wünschte mir einfach Glück und erklärte, ich hätte alles Gute der Welt verdient.

Lucius brachte mich in einer hübschen kleinen Wohnung in einem modernen Gebäude Ecke Third Avenue und Sixty-fourth Street unter. Ich fand einen Job in der Silberabteilung bei Tiffany's. Auf die Bewerbung schrieb ich Josephine Meers statt Jolie Ann. Allerdings mochte ich es, wenn man mich Jo nannte, denn Lucius nannte mich immer so, und außerdem klang es um so vieles kultivierter als Josephine.

New York wirkte auf mich so berauschend wie Paris, wenn auch auf völlig andere Art und Weise. Ich ging in die Oper, ins Ballett, besuchte die Symphonie, das Theater. Ich besuchte alle Museen – das Metropolitan Museum, die Frick Collection, das Museum of Natural History, das Municipal Museum.

Doch am besten gefielen mir die New Yorker Antiquitätengeschäfte und Auktionshäuser, wo ich einige der großartigsten Möbelstücke und Gemälde, die je geschaffen worden waren, tatsächlich berühren konnte. Erstaunt erfuhr ich, dass man Stücke der großen Kunsttischler wie etwa Jacob und Riesener tatsächlich erstehen konnte, und dass es New Yorker mit Sammlungen gab, die sich mit jedem Museum der Welt messen konnten.

Lucius erzählte mir von einigen sehr teuren Antiquitätenläden und Galerien, die unauffällig in Privathäusern untergebracht waren, ohne dass ein Türschild darauf hinwies. Allmählich dämmerte mir, dass New York eine Stadt war, wo viele Dinge, die man sehen und auch viele Menschen, die man kennen wollte, dem Blick verborgen blieben.

In punkto Scheidung war alles geregelt, als man bei Ruth, Lucius' Frau, Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostizierte. Ich empfand ihr gegenüber zehnmal mehr Schuldgefühle als Lucius, der aus seiner Verachtung für sie keinen Hehl machte: »Ruths Vorstellung von einer stimulierenden Dinnerunterhaltung besteht in Beihilfe zum Selbstmord versus staatlich gelenkte Gesundheitsfürsorge.« Das war das Einzige, was ich an Lucius nicht mochte – seine Respektlosigkeit gegenüber Ruth.

Ich dagegen war besessen von dem Gedanken, ich hätte ihre Krankheit auf irgendeine Weise verursacht. In meiner Vorstellung war Ruth eine achtbare, wenn auch langweilige Frau, die eine solch schreckliche Krankheit sicher nicht verdient hatte. Doch Lucius schwor, dass sie von uns beiden keine Ahnung hatte. Ich sagte Lucius, ich wolle ihn nicht mehr sehen, bis sich ihr Schicksal entschieden habe. Ich drängte ihn sogar dazu, zu ihr zurückzugehen. Aber er versicherte mir, dass sie keine Versöhnung wolle.

Der immer ernstere Zustand Ruth Slaters offenbarte mir deutlich, wie verzweifelt Frauen in New York auf einen reichen Mann aus waren. Trotz meiner Weigerung, ihn zu sehen, rief Lucius täglich bei mir an und erzählte mir immer wieder neue Geschichten darüber, wie mehrere Freundinnen von Ruth, verheiratete wie unverheiratete, ihm bereits Avancen gemacht und ihre wahre Absicht hinter angeblicher Besorgnis für Ruth verschleiert hätten. Sie weinten mit Ruth am Bett und zwinkerten Lucius hinter deren Rücken zu. Er ertappte eine ihrer allerbesten Freundinnen bei einem vertraulichen Plausch mit Ruths Arzt, die herausfinden wollte, wie lange Ruth noch zu leben hatte. Zwei Monate, nachdem man den Krebs diagnostiziert hatte, starb Ruth. Lucius war wieder zu haben.

Ein Witwer ist der Heilige Gral möglicher Heiratskandidaten. Er hat nichts von seinem Vermögen eingebüßt, und zudem vermählen sich schon einmal verheiratete Männer gern wieder. Der Witwer trauert ebenso sehr um das glückliche Eheleben wie um die Verstorbene. Es war noch keine halbwegs schickliche Zeit verstrichen, da wurde Lucius schon von einem Schwarm hoffnungsfroher Frauen belagert, die die nächste Mrs. Slater werden wollten. Doch er hielt mir gegenüber Wort.

Nun musste Lucius eine Möglichkeit ersinnen, wie er mich in sein Leben einführte, ohne dass ans Licht kam, dass wir uns schon seit einem Jahr kannten. Und zu diesem Zeitpunkt lernte ich nun die Findigkeit meines zukünftigen Mannes kennen. Er arbeitete einen raffinierten Plan aus.

Er fädelte es ein, dass ich zu einer Dinnerparty bei Betty und Gil Waterman eingeladen wurde. Dann verkündete er, dass er mir dort zum ersten Mal begegnet wäre.

»Betty hat uns miteinander bekannt gemacht. Sie hat uns nebeneinander gesetzt, und beim Dessert war ich bereits höllisch verliebt«, lautete sein Spruch. Und natürlich glaubte ihm niemand. Schlaue New Yorker wissen es besser: Sie wussten, dass Lucius Slater mich in Wirklichkeit als Verkäuferin bei Tiffany's kennen gelernt hatte. Es existierte da diese Legende: Lucius kam, um einen Silberfüller zu kaufen, und ich erkannte ihn wegen eines Fotos, das ich mir aus der Zeitschrift Fortune aus einer Liste Amerikas führender Geschäftsmänner herausgeschnitten hatte. Angeblich habe ich ihm dann meine Telefonnummer zugespielt und ihn anschließend mit gewissen berüchtigten Künsten in die Falle gelockt. Hinter meinem Rücken wurde ich von all seinen Freunden als »die Verkäuferin« bezeichnet.

Lucius nahm mir ein Versprechen ab: »Wenn jemand dich je fragen sollte, ob du mal bei Tiffany's gearbeitet hast, dann streite es ab«, erklärte er mir.

»Wieso?«

»Weil es stimmt. Und weil es so einfach herauszubekommen ist, dass du dort gearbeitet hast.«

Ich blickte immer noch nicht durch.

»Ist doch ganz einfach«, erklärte er. »Wenn wir den Klatschtanten etwas wirklich Gutes zum Tratschen geben, dann bohren sie gar nicht weiter nach. Du leugnest, Verkäuferin gewesen zu sein. Sie finden heraus, dass du eine warst. Und schon denken sie, sie hätten die dunkle Wahrheit über dich herausgefunden, und werden deswegen so bissig, dass sie sich nicht die Mühe machen werden, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Glaub mir: In dieser Stadt funktioniert die Lüge innerhalb der Lüge grundsätzlich.«

Lucius hatte Recht, seine Rechnung ging auf. Niemand schöpfte Verdacht, dass wir schon vor Ruths Tod etwas miteinander gehabt hatten und er mich als seine Geliebte nach New York geholt hatte. Bei einer kleinen Feier in der Wohnung seiner Busenfreunde June und Charlie Kahn in der Fifth Avenue wurden wir miteinander vermählt. Die einzigen weiteren Anwesenden waren sein Sohn, Betty und Gil Waterman und Nate Nathaniel, Lucius' Rechtsanwalt und Freund.

Wegen seiner Krankheit konnte mein Vater nicht kommen. Meiner Mutter bot Lucius zwar an, sie mit einer Privatmaschine nach New York zu fliegen, aber sie lehnte mit der Begründung ab, sie wolle meinen Dad nicht allein lassen. Doch ich ahnte, dass mehr dahinter steckte. Sie billigte unsere Ehe nicht, da sie den wahren Hintergrund ahnte, und ich erinnere mich, wie sie mir damals sagte: »Sei auf der Hut, Jolie Ann. Was sie mit einer machen, das machen sie mit einer anderen wieder!«

Die Tatsache, dass man sich über meine einfache Herkunft lustig machte, ärgerte mich anfangs. Aber – und wie gesagt, bis zum Aber zählt in New York nichts – ich stellte fest, dass ich da durchaus nicht die Einzige war. Nur die wenigsten aus der so genannten New Yorker Gesellschaft stammten aus vornehmen Verhältnissen. Eigentlich wimmelte es darin nur so von ehemaligen Verkäuferinnen, Stewardessen und Exnutten – die, wie ich selbst – reiche Männer geheiratet hatten. Caesars Frauen nannte ich uns, denn durch die Macht unserer Männer waren wir über alle Kritik erhaben – zumindest während wir anwesend waren.

Die große Tragik meines Lebens bestand darin, dass Lucius und ich kein Kind bekamen. Ich wollte eines, er nicht. Ich glaubte, das läge daran, dass sein einziges Kind so eine Enttäuschung für ihn war. Wann immer ich das Kinderthema anschnitt, reagierte Lucius gereizt und ablehnend und meinte, noch so eine enorme Verantwortung brauche er nicht. »Was auch immer geschieht, gegenüber seinem Fleisch und Blut ist man verpflichtet«, sagte er. »Wenn man erst mal so alt ist wie ich, dann wird dir klar, dass man nicht einfach ein Kind haben kann, ohne dass man ihm sein Leben widmet. Und ich möchte mein Leben nicht einem weiteren Kind widmen.«

Ich fand mich mit dem Opfer ab und tröstete mich mit der absurden und irrigen Vorstellung, die Kinderlosigkeit würde unsere Ehe auf ewig frisch und jung erhalten.

Obgleich ich mich dem mittleren Alter näherte – für keine Frau eine leichte Zeit –, muss ich doch sagen, dass ich das Leben genoss und mich sehr vom Glück begünstigt fühlte. Auch wenn ich mich bemühte, nichts als selbstverständlich zu betrachten, nahm ich nach zwanzig Ehejahren an, dass mich nichts mehr von meinem Kurs abbringen könne, dass Lucius und ich, was auch immer bezüglich der Gesundheit und dem üblichen Auf und Nieder des Alltags geschah, ein Team seien: Ich würde mich immer um ihn kümmern und er sich immer um mich. Ich dachte, ich befände mich nun endlich in der richtigen Wiege.

In Anbetracht all dessen fällt es mir immer noch schwer zu glauben, dass ich, Jo Slater, angeblich eine große Möbelexpertin, nicht in der Lage war, im eigenen Haus die tief sitzende Fäule unter dem Furnierholz zu entdecken.

Kapitel 3

Unser Haus in Southampton war ein gigantisches, mit braunen Holzschindeln verkleidetes »Sommercottage« – wie man sie einst zu nennen pflegte –, das auf einem zwei Hektar großen Grundstück an der First Neck Lane stand, ungefähr eine Achtel Meile vom Ozean und dem Beach Club entfernt. Von einem wohlhabenden New Yorker Rechtsanwalt namens Thaddeus McClelland gebaut, verfügte das riesige Haus über eine lange, breite Veranda, die durch eine Reihe massiver weißer Säulen aufgewertet wurde. Das vierstöckige Innere wartete mit großzügigen Salons und komfortablen Zimmern auf, zuzüglich einem Kaninchenstall von Bedienstetenzimmern und einer riesigen Küche samt Speisekammer. Lucius und ich hatten es vor Jahren einem Aktienhändler abgekauft, der Pleite gemacht hatte, hauptsächlich wegen des Grundstücks, das weitläufig und üppig bewachsen war, bepflanzt mit stattlichen, alten Bäumen, die über dem Rasen aufragten. Ursprünglich hieß es »Three Fountains«, doch Lucius nannte es in »Bierhalle« um, vor allem, um einige seiner spießigeren Freunde zu irritieren. Ihm kam Southampton mitunter ein bisschen protzig vor.

Am Morgen nach meiner Geburtstagsparty begann das Telefon um acht Uhr zu klingeln. Mir machten große Partys in der Regel am nächsten Tag viel mehr Spaß, wenn ich mit Freundinnen noch mal die Einzelheiten durchhechelte. Alle Anrufer hoben hervor, was für ein großer Erfolg der Abend doch gewesen sei, selbst Betty, was in New York – ein Widerspruch in sich – nichts damit zu tun hatte, ob er unterhaltsam gewesen war oder nicht. Man musste einfach dabei gewesen sein, und das allein zählte.

Nach dem Frühstück schrieb ich Trish Bromire ein paar Dankeszeilen und ließ sie – mitsamt einem Korb Blumen aus dem Garten – persönlich überbringen. (Ich hatte ihr bereits eine alte Goldschatulle geschenkt, um ihr schon vor dem Abend zu danken. Hübsche Geschenke zu machen und zu erhalten – das ist etwas, was unser Grüppchen gern tut.) In den frühen Tagen meines New Yorker Daseins hatte ich meine gewundene Handschrift, wie ich sie in der Schule gelernt hatte in eine flotte Internatsschrift abgeändert, ähnlich der Clara Wilmans. Lucius erklärte mir, eine Handschrift sei wie ein Akzent; sie verrate den Hintergrund einer Person. So sehr ihm das bei anderen auffiel, so sehr vernachlässigte er das bei sich selbst. Seine eigene Handschrift war grauenhaft.

Seit seinem Schlaganfall schliefen Lucius und ich getrennt, wobei ich darauf bestanden hatte, das ehemalige Eheschlafzimmer zu übernehmen, da es mit seinem frischen blauweißen Dekor und den verlängerten Erkerfenstern zum Garten hin so heiter wirkte. An einem klaren Tag war der Ozean in der Ferne als feiner Streifen zu sehen. Lucius blieb gewöhnlich bis gegen zehn im Bett, frühstückte dort und las die Zeitung, doch an diesem Morgen war er nicht auf seinem Zimmer. Ich entdeckte ihn unten in der Bibliothek, wo er an seinem Schreibtisch saß und telefonierte. Er blickte mich über seine Brille hinweg an und machte mir ein Zeichen, doch hereinzukommen und mich zu setzen.

»Na, und wie geht's dem Geburtstagsmädchen heute?«, fragte er und legte den Telefonhörer auf.

»Allen hat die Party so gefallen!«

»Zum Teufel mit allen! Hat sie dir gefallen?«

»Ja. Wirklich. Und deine Ansprache ganz besonders. Warum bist du schon so früh auf?«

»Ist es früh? Übrigens, Nate schickt mir heute Vormittag mit Fedex etwas zu. Ich muss es unterschreiben und noch heute wieder zurückschicken.«

Nate war es gewesen, der einen strengen vorehelichen Vertrag aufgesetzt hatte, in dem ich für den Fall einer Scheidung oder Lucius' Todes auf all meine Rechte an seinem Besitz verzichtete. Er wettete mit Lucius, dass ich ihn nicht unterschreiben würde. Aber das tat ich natürlich. Lucius' Geld interessierte mich nicht – anfangs hatte ich ja nicht einmal gewusst, dass er vermögend war. Doch Nate traute mir nicht. Ich denke, es überraschte ihn, als ich gar nicht protestierte. Ich wollte, dass Lucius völlig klar war, dass ich ihn nicht wegen seines Geldes geheiratet hatte. Nach diesem Gesichtsverlust bat Nate Lucius unter vier Augen trotzdem darum, vor mir auf der Hut zu sein.

»Ich kenne diese Sorte«, hatte er gesagt. »In ein paar Jahren wird sie versuchen, den Vertrag abzuändern. Denk an meine Worte.«