Patient 0 - Cali d'Amad - E-Book

Patient 0 E-Book

Cali d'Amad

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Beschreibung

„Ich bin ein Raubtier; animalisch, roh, brutal, der reine Instinkt, der reine Trieb, die reine Natur. Ich habe keine Liebe zu vergeben, ich brauche nur dein Inneres, um fortzubestehen, deine Hülle schmeiße ich fort.“ Er ist der größte Massenmörder aller Zeiten und weiterhin auf freiem Fuß. Er hat 40 Millionen Menschen auf dem Gewissen und es kommen täglich Tausende hinzu. Dennoch kennt kaum jemand seine Geschichte oder weiß wie er zu dem wurde, was er heute ist, nämlich das Humane Immundefizienz Virus (HI-Virus). Ursprünglich verklärt als die „4H-Krankheit“, die von Haitianern, Homosexuellen, Hämophilen und Heroinabhängigen übertragen wird, hat kaum eine andere Infektionskrankheit das Zusammenleben von Menschen so stark verändert wie das HI-Virus, das bis in die intimste Sphäre vorgedrungen ist, die zwei Menschen miteinander teilen können. Wo kommt das Virus her? Wie konnte es sich ausbreiten? Wer ist sein erstes Opfer, wer ist Patient 0? Der angehende New Yorker Schriftsteller Nathanael jagt Anfang der 1980er Jahre den Antworten auf diese Fragen nach. Seine Recherche führt ihn von Amerika über Europa bis nach Afrika, doch letztlich liegt die Antwort näher als ihm lieb ist.

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Seitenzahl: 739

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Cali d'Amad

Patient 0

Biographie eines Massenmörders

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Patient 0

Prolog

1

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5

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Epilog

Impressum neobooks

Patient 0

Prolog

New York City, November 1983

“Vielleicht ist Liebe nur der Beweis dafür, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und zwei befreundete Seelen sich zufällig im jetzigen Leben wiedergefunden haben. Für Izzy.”

Nathanael saß an seinem Schreibtisch und legte den Füller zur Seite, nachdem er seinen Abschied niedergeschrieben hatte. Er sah dem Papier zu, wie es gierig die Tinte der letzten Buchstaben aufsog. Das anfänglich fast schwarze Blau hellte sich langsam auf. Seine Augen kletterten die Zeilen hinauf bis zum Anfang seines Abschiedsbriefes, er wollte ihn sich noch einmal durchlesen. An einigen Stellen konnte er seine eigene Handschrift nicht lesen, so sehr hatte seine Hand gezittert. Er knipste das Licht der Tischlampe vor sich an, es war dunkel geworden. Ein zuckender Lichtkegel schob sich über die Seiten. Sein Blick fiel auf den Lampenschirm aus poliertem Messing, in dem sich die vorbereitete Schlinge über seinem Kopf spiegelte und wie von Geisterhand schaukelte.

Es war so weit.

1

Heinrich

Saatlegung

Berlin, Februar 1911

Lange bevor wir uns treffen sollten, lebte mein erstes Opfer im fernen Berlin und ich in den tiefen Urwäldern Westafrikas. Wir waren für einander bestimmt und ich wusste, dass wir uns eines Tages treffen würden, doch bis dahin sollte noch viel Zeit vergehen und die Welt erst einmal aus den Fugen geraten; später nannten sie es den Ersten Weltkrieg. Doch der Reihe nach.

Heinrich war sein Name und er war 14 Jahre alt, als ich das erste Mal auf ihn aufmerksam wurde. Er war der Sohn eines Barbiers, der ihm nie ein richtiger Vater war und seiner Mutter nie ein richtiger Ehemann. Von Beginn an also standen Heinrichs Karten schlecht ein guter Mensch werden zu können. Nicht umsonst heißt es, nur die Liebe eines Vaters macht aus einem Jungen einen Mann, der die vier Kardinalstugenden hochhält. Ohne diese Zuneigung bleibt er ein spielsüchtiger Junge, dem es an Ernst fehlt, einer ohne Tapferkeit und Sinn für Gerechtigkeit, und einer, dem sich der Zugang zu Besonnenheit und Weisheit niemals öffnen würde. Heinrich sollte noch jede einzelne dieser Tugenden mit den bloßen Händen erdrosseln.

Im besonders langen und kalten Winter von 1911 beschloss ich in Heinrich den Wunsch zu pflanzen in die Ferne reisen zu wollen, näher zu mir, nur einen Herzschlag entfernt. Sein Geist war unglücklich, so war es mir ein Leichtes ihn zu verführen. Der von mir auserkorene Tag war ein vollkommen gewöhnlicher Vertreter des Februars; nass, kalt und grau, mit der Leere, die allen Wintertagen nach Weihnachten und Neujahr zu eigen war. Kaum wurde es hell, dämmerte es auf der anderen Seite des Horizonts bereits. Die Menschen sehnten sich nach dem Frühjahr, nach Sonne, nach Leben. Heinrich sehnte sich nach Ferne.

Er trottete die Gasse entlang, das Gesicht vor dem eisigen Wind schützend vermummt, nur die olivgrünen Augen waren zu sehen. Sie waren eingebettet zwischen der schlaff über der Stirn hängenden Krempe seiner Schiebermütze und den bis über die Nase gezogenen zotteligen Schal, den seine Mutter aus Wollresten gehäkelt hatte, was die bunten Flecken hier und da erklärte. Die Mütze war ihm viel zu groß und rutschte ständig ins Gesicht; er hatte sie auf der Straße in den Überbleibseln eines Arbeiteraufstandes gefunden, den die Polizei mit Schlagstöcken aufgelöst hatte. Die armen Schweine hatten gegen die prekären Bedingungen in den Fabriken und Mienen des noch jungen und aufstrebenden Kaiserreiches aufbegehrt, doch auf diesem Ohr war der Kaiser taub.

Als Stätte für meine Verführung hatte ich Heinrichs Lieblingsgeschäft gewählt, einen Kolonialwarenladen unweit der Barbierstube. Der Junge stand vor dem Schaufenster und zählte mit kältesteifen Fingern die aus der Kasse seines Vaters gestohlenen Groschen in seiner Hand. Für einen Becher Kakao würden sie reichen, befand er und schob den Schal unter das Kinn, bevor er die Ladentür öffnete. Mit der warmen Luft wehten ihm Düfte entgegen, die seine Sinne berauschten und ihn in ferne Länder entführten, näher an mich heran. Nur ein leidenschaftlicher Riecher wie Heinrich es war, konnte die einzelnen Aromen in diesem Gewühl aus Düften unterscheiden. Als Erstes ließ ich ihn die Würze des Tabaks schmecken, gefolgt von Noten der Vanille aus Tahiti, Zimt und Kardamom aus Indien, abgerundet mit Nelken und Anis aus Anatolien, und gerösteten Kaffeebohnen aus Kenia. Über allem aber schwebte ein bissiger, fast bitterer Geruch von vulkanisierter Kautschukmilch; seit einiger Zeit führte der Krämer auch Regenstiefel und Regenmäntel, eine Mode die jüngst von Großbritannien übergeschwappt war. Mit den Düften kamen Bilder, und mit den Bildern warme Gedanken. Heinrich plagte Fernweh, es war Zeit meine Saat zu streuen.

Der Krämer stand am Tresen, im Geplänkel mit dem Briefträger vertieft. Sie hatten die weltpolitische Bühne betreten, obwohl keiner der Beiden jemals außerhalb der Stadtgrenzen Berlins gewesen war. Spätestens wenn die Dummen die Politik für sich entdecken, so meine Erfahrung im Umgang mit den Menschen, ist die Welt nicht mehr sicher. Ihre Gemüter erhitzten sich an der Kriegstreiberei des Kaisers, wie der Briefträger weltmännisch schimpfte. Auslöser war ein Zeitungsartikel, in dem die Oberste Marineleitung für noch mehr Kriegsschiffe warb. Der Krämer, Leidgeplagter der galoppierenden Preise für Güter aus den französischen und britischen Kolonien, rieb sich bereits die Hände bei der Aussicht auf eigene deutsche Ländereien in Übersee, um nicht mehr dem Preisdiktat der unliebsamen Nachbarn unterliegen zu müssen. Er beschwerte sich darüber, dass sogar die Belgier, obschon ihr eigenes Land nicht größer war als Bayern, Kolonien besaßen die dreimal so groß waren wie das gesamte deutsche Kaiserreich. Der Postler hingegen, ein heimlicher Konsument kommunistischer Depeschen, war skeptisch.

“Das Heil der Deutschen liegt hier, auf eigenem und festem Boden”, verkündete er, eine Kolumne aus einer der rotgefärbten Depeschen zitierend, “wir sind schließlich kein Seefahrervolk!”

“Ich will aber zur See”, sagte Heinrich vollkommen unerwartet und ungebeten. Krämer wie Postler starrten ihn schweigend an, bevor sie in Gelächter ausbrachen; Kinder verlachen ist die ungeschriebene achte Todsünde.

“Zur See? Und warum?”, fragte der Krämer verdrießlich.

“Ich möchte die Welt sehen, ferne Länder besuchen!”

“Du sollst doch die Barbierstube deines Vaters übernehmen!”

“Nein, ich möchte reisen”, trotzte der Junge.

“So so, reisen willst du also? Dein Vater wird dir schon noch die Flausen austreiben! Und jetzt schließ endlich die Tür, will ja nicht den ganzen Wohnblock heizen, die Holzkohle fällt mir schließlich nicht aus dem Hintern”, fauchte der Krämer, und das, obwohl der Junge gerade schon dabei gewesen war sie zu schließen.

Heinrich schälte sich den Schal vom Hals und trat vor den Tresen, der ihn um einen halben Kopf überragte. Der Krämer trug seit je her immer dasselbe, stellte Heinrich fest und brütete darüber, ob er mit seinem weißen, bis zum scharfkantigen Kragen zugeknöpften Hemd und der dunkelgrünen Schürze darüber bereits auf die Welt gekommen war. Der Gedanke amüsierte ihn. Und seitdem der Kaiser den Zwirbelbart salonfähig gemacht hatte, trug auch der Krämer einen, obwohl seine spärliche Gesichtsbehaarung für diese Mode ungeeignet war.

“Einen Becher heiße Kakaomilch, bitte”, bestellte Heinrich und der Krämer verlangte wie immer Vorkasse. Der Junge streckte seinen Arm aus und stellte die abgezählten Münzen zu einem Turm gestapelt auf dem Tresen ab. Nach seinem Vater war der Krämer der geizigste Mensch den Heinrich kannte. Er litt unter Weitsichtigkeit und stülpte sich bei Arbeiten die ein akribisches Augenmaß bedurften eine Brille über die Nase, wie gerade in diesem Moment, bei der korngenauen Abmessung des Kakaopulvers. Erst kippte er drei volle Löffel in den blechernen Becher, nahm dann einen vollen und einen halben wieder heraus, um dann doch wieder einen für seine Verhältnisse großzügigen halben Löffel dazuzugeben.

Der Krämer setzte Milch zum Kochen auf, die er bei dem Jungen heimlich zu Eindritteln mit Wasser verdünnte. Heinrich indes schlenderte mit großen Augen und tiefe Atemzüge durch die Nase nehmend zwischen den Regalen umher, die Auslage an Waren aus fernen Ländern studierend. Getrocknete Früchte waren im Angebot; Ananas, Papaya, Feigen, Melonen. Hochprozentiges aus Tennessee und Schottland, dunkle Tafelschokolade aus der Karibik, Gewürze aus dem Orient und noch von viel weiter weg.

“Fertig, rief der Krämer und goss die dampfende Milch in den Becher. Es machte ihn nervös, dass der Junge außerhalb seiner Sichtweite im Laden herumspazierte.

“Ist fertig hab ich gesagt”, keifte der Krämer und erschrak, als der Junge plötzlich vor dem Tresen stand. Heinrich erhob sich auf die Zehenspitzen, um nach dem Becher zu greifen. Die Kakaomilch schlug gefährlich hohe Wellen, die am inneren Rand des Bechers brandeten. Es kribbelte in seinen Fingerspitzen, als das warme Blut sie durchdrang. Endlich konnte er sie wieder spüren. Vorsichtig schlürfend nahm er den ersten Schluck. Viel zu heiß, sagte die Zunge, und wie, ergänzten die Finger. Mit einer hektischen Bewegung wollte Heinrich den Becher wieder auf den Tresen abstellen, verlor aber das Gleichgewicht und tänzelte auf den Zehenspitzen zur Seite. Fast die Hälfte der Milch schwappte über den Rand des Bechers und verteilte sich plätschernd über den Tresen. Kleine Perlen des köstlichen Kakaos kullerten gefährlich nah bis an die Kante, einige tröpfelten hinab in den Abgrund und sammelten sich zu einer kleinen Pfütze auf den Dielen. Heinrich fächerte wild mit seinen Fingern durch die Luft, als versuchte er die Hitze wieder herauszuschütteln.

Der Krämer zeterte, “kannst du nicht aufpassen Junge! Weißt du überhaupt wie viele faule Zähne dein Vater ziehen muss, damit du Kakao süffeln kannst?!”

Er rief nach seinem Gehilfen, dem alten Cornelis. Nach einigen Sekunden geriet der Vorhang hinter der Theke in Wallung. Vorsichtig schob sich ein Kopf mit schneeweißer Mähne hervor.

“Beeil dich”, drängte der Krämer, “der verdammte Bengel hat die Milch verschüttet! Bring den Lappen mit und wisch die Brühe vom Tresen! Und vergiss den Boden und die Kanten nicht, sonst klebt das morgen alles!”

Der Krämer wendete sich wieder Heinrich zu, ihn boshaft musternd, wie er auf den Fußspitzen stehend und mit langem Hals das Ausmaß der Überschwemmung auf dem Tresen inspizierte.

“Taugenichts”, schimpfte er, “und sowas wie du will in die weite Welt hinaus! Du gibst doch nur ein miserables Bild von uns Deutschen ab! Besser du bleibst zu Hause und kümmerst dich um faule Zähne und eitrige Abszesse, wie dein Vater und sein Vater zuvor!”

Der Postler grinste gehässig, der Krämer stimmte mit ein. Sie widmeten sich wieder der politischen Großwetterlage, während sich der alte Cornelis mit gekrümmten Rücken zur Tat schleppte, gewappnet mit Eimer und Lappen. Er robbte auf seinen stöhnenden Knien und wischte der Pfütze hinterher. Heinrich ging ihm zur Hand. Er mochte ihn. Sogar sehr. Wenn der Krämer mal nicht da war, dann machte Cornelis mit ihm eine Reise um die Welt, von Regal zu Regal, von Auslage zu Auslage. Er selbst hatte als Seemann auf einem niederländischen Handelsschiff die Welt bereist und konnte zu jedem Hafen den er jemals angelaufen war eine Geschichte erzählen, die zwar nicht immer kindsgerecht war, aber – oder gerade deswegen – Heinrich immer ins Staunen versetzte. So einen Vater hatte er sich immer gewünscht.

“Lass dir nichts sagen”, flüsterte Cornelis, “auf der Welt gibt es Träumer und es gibt Zweifler. Der Träumer wird solange von Zweiflern niedergemacht, bis er eines Tages seinen Traum verwirklicht!”

“Und wenn er seinen Traum nicht verwirklichen kann?”, fragte Heinrich nach einiger Bedenkzeit.

“Dann war er niemals ein richtiger Träumer, sondern ein heimlicher Zweifler! Du musst dich entscheiden wer du sein willst. Aber merke dir, ein Herz voll mit Zweifel lässt kein Platz für Träume! Also lass dir von diesen Versagern nichts einreden. Glaube daran, ganz fest, dann wird sich alles in Bewegung setzen, um dir diesen Traum zu verwirklichen.”

Heinrich lächelte. Er wusste nicht wie und vor allem was sich alles für ihn in Bewegung setzen würde, doch der Gedanke, nur fest daran zu glauben, ließ ihn nie mehr los.

Meine Saat war gestreut.

2

Nathanael

Der Montagsvater

New York City, November 1969

Ich mochte den Namen Nathanael nicht, da mir die biblische Referenz des Namens zuwider war, ebenso wie der Vater, der mir diesen Namen gab. Den Erinnerungen meiner Mutter zufolge hatte ich jedes Mal, wenn sie versucht hatte mir ein Nathanael zu entlocken, nur Nayl von mir gegeben, sodass ich fortan von allen nur noch Nayl genannt wurde. Außer von meinem verdrießlichen Vater, der mich einfach nur Junge nannte.

Als Kind war es meine größte Angst gewesen wie mein Vater zu werden. Er hatte immer nur schlechte Laune. Außer an Montagen, weshalb ich ihn heimlich Montagsvater nannte. Es war insofern kein Zufall, dass der Montag zu meinem Lieblingstag der Woche wurde. An Montagen neckte mich mein Vater und machte Witze, spielte Daumenringen mit mir und ließ mich manchmal sogar gewinnen. Er übergoss mich mit väterlichen Ratschlägen, wie man zum Beispiel den Rasierhobel hielt oder den Schaum richtig anschlug. Oder wie man einen faulen Zahn erkannte und diesen schnell und sauber extrahierte. Gelegentlich war er rührselig und nahm mich sogar in den Arm, wie ein richtiger Vater eben. Allen die glauben, das sei selbstverständlich und keiner weiteren Erwähnung wert, sollten sich an dieser Stelle zu ihren Vätern beglückwünscht fühlen. Alle anderen können zumindest nachempfinden, was ich durchmachen musste.

Einmal ging die Eintagsliebe sogar so weit, dass mein Vater mir von Jugendstreichen erzählte, die ich ihm niemals zugetraut hatte, diesem grimmigen alten Mann, der nur selten lächelte. Außer natürlich an Montagen, da grinste der Alte ständig. Als lebte er nach seiner eigenen Religion, die den Montag verehrte wie einen Sabbat. Weshalb ausgerechnet Montag, blieb mir ein Rätsel. Ich hatte es aber auch nie wirklich hinterfragt. Warum auch, schließlich hatte ich einen richtigen Vater, wenn auch nur für einen Tag. Nein, ich verehrte den Montag ebenfalls. Wie ein Jünger folgte ich blind meinem Messias, solange dieser mir den Magen und das Herz füllte. Religion bedeutet schließlich glauben, nicht verstehen.

Die gute Laune meines Vaters schwang sich meistens bereits am Sonntagabend auf, um die Herrschaft über sein ansonsten finsteres Gemüt zu erringen, wobei ich nie verstanden hatte, woher diese Finsternis kam und warum sie sich seiner ermächtigen konnte. Der Höhepunkt der Heiterkeit jedenfalls war ungefähr immer der Montagnachmittag, da bekam mein Vater nämlich Besuch von Rosa, mit der er sich dann ins Hinterzimmer zurückzog. Nachdem Rosa dann weg war, schwand die gute Laune wie Schnee im Sonnenschein und für den restlichen Tag und die restliche Woche gab es nur noch Häme und Sticheleien. Mir kam das Bild einer fetten, mit Warzen übersäten Kröte in den Sinn, die überall ihren Schleim hinterließ, über den meistens meine Mutter und ich ausrutschten, selten aber andere Leute; da gab sich mein Vater stets rücksichtsvoll und hilfsbereit. Was sie wohl anders machten, hatte ich mich oft gefragt, ohne dem Geheimnis jemals auf die Spur gekommen zu sein.

Während der Besuche von Rosa musste ich das Geschäft immer verlassen. Im Sommer wartete ich draußen und saß die Zeit nasebohrend auf einer Bank gegenüber ab, alleine mit meinen Gedanken. Die anderen Kinder spielten nicht mit mir. Lieber hänselten sie mich und schimpften mich einen Kraut. Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass sie nicht das Gemüse meinten. Sie machten sich über den Akzent meines Vaters lustig, ebenso wie über meine Lulatschfüße, wenn ich mit meinen viel zu großen Schuhen umständlich wie eine Ente watschelnd zu ihnen stoßen wollte. Eine Schmach, die ich meinem Vater zu verdanken hatte. Schon als Säugling waren meine Füße riesig. Bei meiner Geburt hatte die Hebamme von den größten Füßen gesprochen, die sie jemals gesehen hätte. Sie wuchsen so schnell als nährten sie sich von der Milch der Titanenmutter Gaia, sagte sie, was die Begeisterung meines Vaters über seinen neuen Sohn schneller sinken ließ als das Thermometer im New Yorker Winter. Er sah nicht ein, mir jedes Jahr ein Paar neue Schuhe zu kaufen, also bekam ich im Voraus welche, die mir drei oder vier Finger zu groß waren. Er zahle doch kein Vermögen für meine Treter, hatte mein Vater wie von Tollwut besessen gezetert und noch den Ratschlag zum Besten gegeben, dass meine Mutter dicke Socken in die Lücken stopfen solle. Wenn es um Geld ging konnte er unverdaulich werden. Geld war oft zu Gast bei uns am Abendtisch. Meine Eltern redeten und stritten ständig darüber, öfter sogar als sie über mich redeten, geschweige denn mit mir.

Bei allem Geiz meines Vaters war mir allerdings nicht entgangen, dass er bei Rosa sehr generös war. Einige Male hatte ich gesehen, wie er ihr zum Abschied Geld in die Hand drückte, obwohl sie noch nie länger als eine halbe Stunde da gewesen war. Ich hingegen bekam keinen müden Penny, obwohl ich den ganzen Tag, ja die ganze Woche mit ihm ausharren musste.

Auf diesen Montag hatte ich mich besonders gefreut, es war der dritte nach meinem 13. Geburtstag und mein Vater hatte mir versprochen das Pfeifen beizubringen. Ich war so aufgeregt, dass ich in der Nacht kaum geschlafen hatte, und direkt nach der Schule in die Stube geeilt war. Mit meinem neuen Können wollte ich jemand ganz Besonderes beeindrucken, das schönste Mädchen des Planeten, das erst kürzlich in unsere Gegend gezogen war. Sie hatte noch nicht viele Freunde, das wusste ich, da sie die Pausen meistens alleine auf dem Schulhof verbrachte. Ich traute mich nicht sie anzusprechen, also hoffte ich mit meinem Pfeifen ihre Aufmerksamkeit zu erregen; es galt ein einsames Herz zu erobern!

Meinem Vater war die Bedeutung nicht im Entferntesten klar, und ausgerechnet an diesem Montag war der Alte schlecht gelaunt, die montägliche Heiterkeit wollte sich einfach nicht einstellen. Schon seit dem Morgen war er so genießbar wie versalzene Suppe. Wir saßen wie immer in seiner Barbierstube und schwiegen uns an. Die Stunden stolperten vor sich hin, ohne dass sich etwas tat. Das Geschäft lief schon seit Jahren schlecht. Ich konnte mich noch an Zeiten erinnern, da beschäftigte mein Vater noch einen ausgelernten Barbier und zwei Lehrlinge. Doch mittlerweile war die einstige Betriebsamkeit gähnendem Stillstand gewichen. Mein Vater schimpfte immer über einen Juden namens Jilett, der seiner Ansicht nach mit dem jüdischen Großkapital konspirierte und schuld an dem Ruin der Barbierszunft war. Erst später erfuhr ich aus einem Zeitungsartikel, dass ein gewisser Gillette, nicht Jilette, ein amerikanischer Protestant, kein Jude, einen Rasierhobel erfunden hatte, der es Männern erlaubte sich zu Hause zu rasieren. Das war zwar schon einige Jahre her, aber so richtig in Mode war der Hobel erst nach dem Krieg gekommen, als sich die Männer auf den Schlachtfeldern Europas ohnehin selbst rasieren mussten. Kein Wunder, dass keiner mehr zu uns ins Geschäft kam. Und seitdem landauf, landab Dentisten ihre Dienste feilboten, ließen sich die Leute auch nur noch selten die Zähne bei uns ziehen.

Wegen des Niedergangs unseres Geschäftes drohte mein Vater mich von der Schule zu nehmen. Kein Mensch könne es sich mehr leisten seine Kinder zur Schule zu schicken, hatte mein Vater doziert. Außerdem, ergänzte er, müsse der Junge etwas Handwerkliches lernen, Belesenheit fülle schließlich keine Mägen! Nur meiner Mutter hatte ich es zu verdanken, dass ich weiter in die Schule gehen durfte, auch wenn ich es damals nicht zu schätzen wusste, da ich nur ungern zur Schule ging, was sich allerdings änderte, als besagtes schönstes Mädchen des Planeten neu an unsere Schule kam. Meinem Vater entkam ich dennoch nicht, denn ich musste jeden Tag nach der Schule im Geschäft aushelfen, in den Ferien sogar den ganzen Tag.

Mittlerweile zählte die Uhr den Mittag an. Der Alte hatte mein Anliegen um die versprochene Lehrstunde zum Pfeifen bereits zweimal seit dem Morgen abgeschmettert. Ständig hatte er an irgendwelchen Ausreden gestrickt; ich solle erst dies erledigen, dann jenes. Im blinden Glauben eines Jüngers, getragen von der Vorfreude auf die Messe, hatte ich alles tadellos erledigt was er mir aufgetragen hatte, doch die Pforte ins Paradies blieb mir verschlossen. Er habe furchtbare Kopfschmerzen, behauptete er schließlich, was ich ihm nicht glaubte. Zumindest in diesem Punkt tat ich ihm an diesem Tag Unrecht.

Für den dritten Anlauf nahm ich noch einmal meinen Mut zusammen und erinnerte ihn an sein Versprechen. Ich starrte auf die schmalen, von unregelmäßigen Stoppeln umrandeten Lippen des Alten, gebannt die Antwort erwartend. Seit geraumer Zeit schlackerte sein Kopf immerzu vor sich hin, als würde er auf einer Waagschale liegen die nicht zur Ruhe kommen wollte. Vielleicht waren mit dem Alter seine Nackenmuskeln erschlafft, spekulierte ich.

"Ein andermal", ließ er mich vollkommen frei von jeglicher Last wissen und verwies wieder auf seine Kopfschmerzen, während er wie ein gelangweilter Pascha auf dem Wartesessel in der Ecke unseres kleinen Geschäftes thronte. Ich appellierte an sein Gewissen, dass er es mir versprochen habe. Daran könne er sich nicht erinnern, erwiderte mein Vater, was dreist gelogen war. Er sah mich dabei nicht einmal an; diese unerschöpfliche Gleichgültigkeit machte mich so wütend, dass mir die Beherrschung entglitt und ich tatsächlich mit dem Fuß auf den Boden stampfte, was ich noch nie zuvor in meinem Leben getan hatte und es auch nie wieder tun sollte. Raubtierartig sauste sein Blick durch den Raum und schnappte mich noch am Tatort. Mit erhobenem Zeigefinger gebot er mir es nicht noch einmal zu wagen in seiner Gegenwart mit den Füßen zu toben. Ich ließ mich von der Drohung zunächst nicht beeindrucken. Im Gegenteil, diese Selbstverständlichkeit mit der mein Vater mich schon wieder belog und sein Versprechen brach, ließ den Zorn in mir dermaßen hochkochen, dass mir die Ohren glühten. Ich konnte die unansehnlich abstehenden Lappen zwar nicht sehen, aber umso mehr spüren, sie dampften und waren sicherlich rot angelaufen.

Mit erhobener Stimme, einer Lautstärke die meine schmächtige Brust vibrieren ließ, warf ich ihm Wortbruch vor. Ich hatte den Satz nicht zu Ende gesprochen, da fiel mir mein Vater ins Wort und holte zu einer Belehrung aus, die jene von Moses als er vom Berg stieg in den Schatten stellte. Eine Lektion solle es mir sein, man dürfe eben nicht so leichtsinnig Leuten irgendwelche Versprechen abkaufen, es erspare die anschließende Enttäuschung.

Mein Vater redete und redete unbekümmert, während ich innerlich um Gnade flehte, jedes einzelne Wort aus seinem Mund trotzte mir zu viel der Geduld ab. Seit einiger Zeit hatte sich mir die Angewohnheit aufgedrängt, die mir erst einige Jahre später als merkwürdig erschien, doch bis dahin hielt ich sie für selbstverständlich und ich ging davon aus, dass es jedem so erging, der die Worte eines anderen einfach nicht mehr ertragen konnte. Immer wenn mein Vater selbstherrlich und ausschweifend davon erzählte, wie außergewöhnlich er als Kind doch war und was er schon alles besser konnte als er noch halb so alt gewesen war wie ich, stellte ich mir ihn in einem Kartoffelsack vor, auf den ich kräftig mit einem Knüppel eindrosch. Ich zählte die Schläge in Gedanken mit, dazwischen immer ein schmerzerfüllter Aufschrei meines Vaters; Eins, Aua, Zwei, Aua, Drei…, und je länger der Alte redete, desto mehr Prügel kassierte er. Wenn sein Geschwafel die Grenze des Erträglichen überschritt, wie in diesem Moment, blühte meine Phantasie regelrecht auf und ich stellte mir vor, die Spitze des Knüppels wäre mit Nägeln bestückt und mit jedem Schlag würde der Sack roter und roter werden, bis er einer riesigen Tomate glich.

Das Wortgewitter fand kein Ende und ich fragte mich, was eigentlich der Grund für die schlechte Laune am heutigen Montag war. Hatte ich etwas gemacht, das ihm missfiel? Ihm passte immer so vieles nicht, sodass ich mich oft schwer damit tat ihn nicht zu verärgern. Ich grübelte mir die Nerven wund, aber mein Verfehlen erschloss sich mir nicht. Auch an ein ungünstiges Wort, das mir über die Lippen gerutscht wäre, konnte ich mich nicht erinnern. Da ich im Gegensatz zu seinem Vater nur wenig redete, wie alle um mich herum nicht müde wurden mir vorzuhalten, konnte ich mich an das Wenige, das ich dann von mir gab, gut erinnern. Einmal hatte ich mich ebenfalls an hohler Redseligkeit versucht, und auch wenn es die meisten Menschen nahezu perfekt zu beherrschen scheinen, bewies ich leider kein glückliches Händchen dabei und verwarf das Vorhaben wieder. Es festigte meine Ansicht, dass die meisten Menschen zu viel redeten und die Hälfte dessen, was sie sagten, sowieso gelogen war. Vielleicht erlag ich aber auch nur der Hybris eines Erleuchteten, denn ich hatte bereits in jungen Jahren etwas entdeckt, das den meisten Menschen ihr Leben lang verborgen bleibt: Die Schönheit der Stille. Zu ihr kehrte ich nach meinem missglückten Versuch auch wieder zurück.

In Gedanken versunken hatte ich nicht bemerkt, dass mein Vater mittlerweile zum Schweigen gekommen war. Er saß immer noch untätig auf dem Sessel und stierte durch das Fenster nach draußen, in den grauen Tag hinaus, sehnsüchtig Rosa erwartend. Ich fühlte mich an diesem Tag mutiger als gesund für mich war und fragte ihn nach ihr aus, wer sie denn überhaupt sei und warum sie ständig herkäme.

"Dinge besprechen", sagte er ruppig und für seine Verhältnisse knapp.

"Welche denn", fasste ich mit kindlicher Neugier nach.

"Dinge eben! Frag gefälligst nicht so viel, mach dich lieber an die Arbeit, die Stube fegt sich nicht von selbst!"

Eigentlich hatte ich nichts gegen die Besuche von Rosa. Sie war immer nett zu mir und brachte mir manchmal sogar Bonbons mit. Sie reiste viel und erzählte von Orten in Übersee, von Orten die nach großer weiter Welt klangen; Paris, London, Barcelona, Konstantinopel, Rom, Athen. Ich beneidete sie um ihre Freiheit, der Klang der fremden Namen ließ mich träumen, in meinen Gedanken wiederholte ich sie wie ein Gedicht.

Da ich in inniger Kenntnis dieser Besuche aufgewachsen war, gehörten sie gewissermaßen zum montäglichen Alltag und hatten eigentlich nichts Außergewöhnliches an sich. Dennoch drängte sich mir hin und wieder die Frage auf, wieso ich meiner Mutter nichts von den Besuchen erzählen durfte. Einmal war mir die Frage über die Lippen gerutscht, da ließ mein Vater einen Sturm über mich hereinbrechen, dass ich mir schwor, es nie wieder anzusprechen. Die Geheimnistuerei vor meiner Mutter zermürbte mich allerdings; ich fühlte mich als würde ich sie hintergehen. Mir fiel es unheimlich schwer alleine mit ihr in einem Raum zu sein und Stillschweigen darüber zu bewahren. Es erschien mir nicht richtig und die Rufe meines Gewissens hallten immer lauter, doch die Furcht vor dem Zorn meines Vaters war größer. Irgendwann gelang es mir dann mein Gewissen mundtot zu machen. Da es mir komfortabel erschien, tat ich es immer öfter, zum Beispiel, wenn ich im Laden um die Ecke Lutscher einsteckte ohne zu bezahlen. Oder wenn ich von den wenigen Dollar, die sich ab und an in die Kasse unserer Barbierstube verirrten, einige für mich einsteckte. Oder wenn ich meine Mutter belog und statt in die Schule zu gehen lieber durch die Straßen schlenderte, um mit streunenden Hunden zu spielen, Tauben zu jagen, oder einfach nur die Menschen zu beobachten. Gelegentlich folgte mir noch die mahnende Stimme meines Gewissens, mit der Zeit allerdings verstummte sie vollends und mir gelang es nicht mehr sie wiederzubeleben.

In einzig diesem Punkt hatte ich wohl Gemeinsamkeit mit meinem Vater, der es mit dem kategorischen Imperativ auch nicht so genau nahm. Regeln, pflegte er stets zu belehren, habe man nur zu achten, solange man erwischt werden könne. Schaue keiner hin, könne es auch keiner merken. Würde es keiner merken, dann bräuchte man die Regeln auch nicht zu beachten. Vertane Müh’ sei das. Natürlich galt das nicht für Regeln, die er aufgestellt hatte, wie zum Beispiel jene, dass ich die Stube verlassen musste, wenn Rosa kam.

"Gehst du nun endlich die Stube fegen Junge", herrschte er mich an und schnipste dabei mit den Fingern. Noch mehr als meines Vaters Hang zum Schwadronieren hasste ich es, wenn er mit den Fingern schnipste, als wäre ich ein Zirkusäffchen. Ich sollte nur wenige Momente im Leben haben, in denen mein Mut ein Quäntchen größer war als meine Angst. Einem dieser seltenen Naturereignisse wurde ich in diesem Moment Zeuge: Ich beschloss mich nicht zu rühren. Stattdessen hatte ich meinen Blick auf ihn fixiert, zur Kraftprobe antretend. Doch mein Vater fackelte nicht lange und sprang wie angestochen vom Sessel, die flache Rückhand drohend im Anschlag, "wirst du wohl!"

Ich schreckte zusammen und die Kraftprobe war beendet noch bevor sie richtig begonnen hatte; ein ernüchterndes Spektakel. Kaum war ich in die Abstellkammer gebogen, hörte ich ein heiteres Trillern; der Alte saß auf dem Sessel, mit feist aufgeblasenen Backen und pfiff fröhlich vor sich hin. Er könne so herrlich pfeifen, besang er sich und grinste mich schadenfreudig an, während ich mich fragte, wer hier eigentlich das Kind war. Für meinen Vater war alles nur ein Spiel; ich, sein eigener Sohn, war für ihn nur ein Spiel. Es brach mir das Herz und ich konnte mir die Tränen nicht verkneifen. Doch es würde das letzte Mal sein, schwor ich mir, dass ich Tränen für ihn vergoss.

3

Heinrich

Hitze

Berlin, August 1914

Meine Saat war gestreut. Jedoch mussten noch einige Jahre vergehen, bis ich die Ernte einfahren konnte. Bald aber war es soweit.

Es war einer der heißesten Sommer seit Jahrzehnten. Jemand musste die Pforte zu einem gigantischen Hochofen geöffnet haben, aus dem dichte Hitze hinausströmte und wie eine unsichtbare Wand von allen Seiten drückte. Die Luft war heiß und schwer, das Atmen mühselig und kostete mehr Kraft als es einbrachte. Ohne Unterlass brannte die Sonne den ganzen Tag über, bis tief in die Nacht schwelte ihre Glut und brachte die Menschen um den Schlaf. Ermattet von der Hitze lechzten sie nach Abkühlung, nach einem Schauer, der die Hitze zähmen konnte. Doch was sie bekommen sollten war ein Ungewitter, stärker und zerstörerischer als in ihren gewagtesten Träumen. Die Flut biblischen Ausmaßes sollte nicht nur die Glut hinfort waschen, sondern auch ganze Schwärme von Menschen. Sie sollten es noch bereuen, dass sie ihrem Wettergott blind zujubelten, als er ihnen einen Platz an der Sonne versprochen hatte.

Dabei hatte alles mit einem harmlosen und bescheidenen Wunsch angefangen: Die Heerscharen des Proletariats, ausgebeutet von Adel und Bürgertum, wünschten sich ebenfalls jemanden, auf den sie herabblicken konnten. Um diese Massen ruhig zu stellen, versprach ihnen die Obrigkeit Knechte, die sie fernab ihrer Heimat fanden und als Menschen niederen Ranges brandmarkten. Die Kolonialisierung der Welt nahm ihren Lauf und wurde zum Ventil, mit dem die Herrschenden versuchten den aufgestauten Druck am Bodensatz der Gesellschaft abzulassen. Der soziale Frieden einer Gesellschaft lässt sich nur erhalten, wenn die auf der untersten Sprosse jemanden zum Ausbeuten haben, der nicht Teil der Gesellschaft ist. Es kam zusammen was unvermeidlich war und die ersten Samen des Gedankens, dass der Staat sozial sein müsse, aber nur für das eigene Volk, waren gesät. Die Ernte sollte noch früh genug eingefahren werden, denn andere Nationen hatten denselben Drang und scheinbar gab es nicht ausreichend Untermenschen zum Ausbeuten, sodass die Welt auf einen Zwist zuwankte, dem mehr zum Opfer fallen sollten als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Es war eine millionenschwere Marke, die ich hoffte irgendwann überbieten zu können.

Im Aufruhr dieser Tage starb Heinrichs Kindheit, und zwar am 14. August 1914, und mit ihr seine Unschuld. Wie jeder seiner Zeitgenossen der alt genug war, sollte auch er sich bis an sein Lebensende daran erinnern, mit was er in dem Moment beschäftigt gewesen war als ihn die Nachricht erreichte. Sie sollte ihr aller Leben verändern, auch wenn sich Heinrich die Bedeutsamkeit erst rückblickend erschloss. Angesichts der lebensgroßen Veränderungen, die sich aus der Nachricht ergeben sollten, wirkte seine Erinnerung umso belangloser. Heinrich war im muffigen Geschäft seines Vaters, zusammen mit dem alten Cornelis, dem er unentgeltlich, im reinen Austausch gegen Geschichten aus seiner Zeit als Seefahrer, den Bart stutzte und den einen oder anderen faulen Zahn zog, natürlich in völliger Unkenntnis des Vaters, der sich freigenommen hatte, da ihn seit Tagen Kopfschmerzen plagten. Sie verhießen nichts Gutes und hätten beinahe meine Pläne durchkreuzt, Heinrich in die Ferne zu locken.

Noch Jahre später war es ihm unbegreiflich, wie er sich an die vielen Details erinnern konnte. Die Szene war in aller Schärfe vor ihm, als würde er sie durch ein Fernglas beobachten, kein Staub, keine Blässe trübte das Bild. Sein Unterbewusstsein hatte einem Fotoapparat gleich alles aufgezeichnet, als hätte es gespürt, dass die Nachricht eine dieser wenigen Wegkreuzungen war, die den gesamten weiteren Verlauf des Lebens bestimmten.

Der junge Barbier schäumte Cornelis die Wange und den Hals mit aufgeschlagener Rasierseife ein. Er setzte mit genau drei Fingern der linken Hand unterhalb des Adamsapfels an, um die erschlaffte Haut am Hals zu straffen. Routiniert setzte er die Klinge an und machte einen sauberen Zug vom unteren Hals bis zu den Wangenknochen hoch, dabei einem lang gezogenen S folgend und die Klinge am Kinn vorbei manövrierend. Und dann geschah es, wie ein Donnerschlag brach die Nachricht herein.

"Extrablatt, Extrablatt", brüllte eine Stimme von draußen. Heinrich zuckte, die Klinge rutschte und Cornelis schlürfte schmerzhaft auf. Die Kronen der weißen Schaumflocken unterhalb des Schnitts liefen augenblicklich rot an und erinnerten an die Farbe eines dunklen Kirschmostes. Dieser Anblick brannte sich in sein Gedächtnis ein, es wurde ein Teil von ihm und war auf ewig verknüpft mit der Ankunft der Nachricht.

"Kaiser befiehlt Mobilmachung, Deutschland über alles", rief die Stimme, die zum schmächtigen Zeitungsjungen gehörte, der ein Exemplar durch die Luft wedelte, als würde er nach Fliegen schlagen. Heinrich konnte ihn durch das Schaufenster sehen. Augenblicklich ließ er den Rasierhobel in die blecherne Schale mit der Rasierseife fallen und drückte mit einem Handtuch auf die blutende Wunde, "kräftig drücken", trug er Cornelis auf und hastete zum Schaufenster, sich aus der Verantwortung stehlend die Wunde weiter versorgen zu müssen.

Schlagartig wie Unwetter braute sich eine Menschenmenge um den Zeitungsjungen zusammen. Mit ausgestreckten Armen versuchten die Leute nach einem Exemplar zu greifen, Augen und Verstand gierten nach Neuigkeiten. Seit Wochen und Monaten wurde von nichts anderem mehr geredet als vom Krieg. Jetzt war er endlich da, aber Heinrich fühlte sich nicht anders als vorher. Er wusste allerdings auch nicht, ob er sich anders fühlen sollte. Woher auch, er hatte ja bisher noch keinen Krieg erlebt. Cornelis hingegen, den die Neugier ebenfalls ans Fenster lockte, hatte im Krieg zur Reichsgründung gegen die Franzosen gedient.

"Sind wir jetzt im Krieg?", fragte er den alten Mann.

Cornelis nickte, "so viel Mumm habe ich dem Krüppelkaiser gar nicht zugetraut!"

"Auf Majestätsbeleidigung droht der Strick!"

"Hab nichts mehr zu verlieren", sagte Cornelis und wischte Heinrichs Einwand mit einer schnellen Handbewegung weg. Die Flocken des Rasierschaums an Cornelis Wangen schlossen zu seinem silbernen Lockenkopf auf und gaben ihm den Hauch eines griechischen Großdenkers. Oder des Herrgotts, den sich Heinrich als Kind exakt so vorgestellt hatte, wie er aus dem wolkenverhangenen Himmel auf ihn hinunterschaute. Zumindest hatte seine Mutter das immer behauptet, um den Jungen von Unsinn abzuhalten. Aufmüpfig wie er als Kind noch war, murmelte Heinrich einmal vernehmbar laut, warum Gott ausgerechnet ihn im Auge habe, ob er denn nichts Besseres zu tun habe. Was hatte die darauffolgende Schelle gesessen, ihm glühte noch heute die Wange, wenn er daran dachte. Für mich indes war es eine Genugtuung, dass der Bengel für seine Gotteslästerung eine Strafe erfuhr, schließlich war auch ich ein Geschöpf Gottes, auch wenn ich in seiner Gunst weit unter dem Menschen stand.

"Die sind ja wie Ausgehungerte, die sich nach einem Laib Brot verzehren", stellte Heinrich mit Blick auf den Menschenmob fest, der den Knirps verschluckte und die Zeitungen aus den Händen riss.

"Von schlechten Nachrichten werden Menschen gelockt wie Ratten vom Speck", grummelte Cornelis, seine Wunde abtupfend.

"Wieso schlechte Nachrichten? Seit Wochen freuen sich doch die Leute auf den Krieg. Selbst Fremde auf der Straße begegnen einem mit einem Lächeln. Es ist ständig was los, das ganze Land ist in Aufruhr, vor Freude scheint niemand mehr Schlaf zu finden!" 

"Sie freuen sich nicht auf den Krieg, sondern auf die Möglichkeiten, die sich durch ihn bieten."

"Und welche wären das", wollte Heinrich wissen, "etwa Hunger und Tod?"

"Das ist nur eine Seite des Krieges."

"Und die andere?"

Cornelis reagierte nicht. Stattdessen nahm er das Handtuch von der Wunde und studierte die blassroten Flecken, als würde er die Antwort aus ihnen herauslesen können. Heinrich wiederholte seine Frage und erntete ein Referat über die Ungeduld, die Cornelis als Geißel der neuen Zeit schimpfte. Alles müsse schneller gehen; Automobile statt Kutschen, Dampfmaschinen statt Segel, und dann diese sonderbaren Fernsprechgeräte statt ehrlicher Briefe, oder noch besser dem persönlichen Wort. Wo das noch alles hinführen solle, lamentierte er. Schweigend lauschte Heinrich der Zornesrede. Warum ein Brief unbedingt ehrlicher sei als die Fernsprechgeräte, leuchtete ihm nicht ein. Im Gegenteil, bei einem Brief hätte man doch mehr Zeit sich eine Lüge zu überlegen, oder?

"Rosige Knöchel", antwortete Cornelis nach einer Weile.

"Rosige Knöchel", wiederholte Heinrich und konnte sein Grinsen kaum verbergen.

"Ja, rosige Knöchel", bestätigte Cornelis, "sie waren makellos!"

Er war leicht angesäuert angesichts Heinrichs fehlendem Ernst in dieser Angelegenheit.

"Ist das die Antwort, die du aus deinen Blutflecken herausgelesen hast, oder kommt dir dein Verstand allmählich abhanden?"

"Wenn der Körper rostet, rafft es den Geist irgendwann ebenso hin. Aber noch ist es nicht soweit, also hör erstmal zu! Das erste Mal, dass mir das Herz in die Hose rutschte war bei dem Anblick von Annelies, wie sie aus ihrer Kutsche stieg, den Rock an zwei Zipfeln in die Höhe gezupft, um nicht mit dem Saum am Trittbrett hängen zu bleiben. Als ich ihre rosigen Knöchel sah, war es um mich geschehen! Das ist meine erste Erinnerung an den Krieg."

"Ich wusste gar nicht, dass Knöchel dermaßen aphrodisierend sein können. Hast du um sie geworben?"

"Natürlich habe ich das! Aber sie war die Tochter eines holsteinischen Landgrafen, dessen Ambitionen so hoch in den Himmel ragten, dass sie heute am Bauch der Luftschiffe von diesem Zeppelin kratzen könnten. Der Landgraf wollte durch geschickte Vermählung der Tochter sein Geschlecht in einen höheren Stand heben. Dennoch, ich konnte nicht anders, ich musste einfach um ihre Aufmerksamkeit buhlen, auch wenn meine Mutter mich davor warnte."

"Hat sie dein Werben erwidert?", fragte Heinrich ungeduldig und überlegte, was das alles denn mit dem Krieg zu tun habe.

"Von wegen, sie wollte nichts von mir wissen! Sie war eine Hochwohlgeborene und ich der Bastard eines Seemanns. Aber als der Krieg ausbrach, schöpfte ich neuen Mut. Überall hörte man die Leute nur noch von den Gemeinsamkeiten der Deutschen reden. So laut waren die Rufe, dass ich die mahnenden Worte meines Gewissens nicht mehr hören wollte, dabei beschwor es lauthals die Unterschiede. Ich wusste, jetzt oder nie, und beschloss einen Tag vor unserer Abreise an die französische Grenze um ihre Hand anzuhalten."

"Hat sie denn Ja gesagt", fiel Heinrich ihm aufgeregt ins Wort.

"Natürlich nicht, das gibt es nur in Märchen! Sie sah mir nicht mal in die Augen als sie mich auslachte. Ich habe mich in meinem ganzen Leben nicht so geschämt wie an diesem Tag. Ihr Vater ließ mich verdreschen und in die Gosse schmeißen."

"Und dann?"

"Nach dem Krieg kehrte ich mit den anderen Männern unseres Dorfes zurück. Wir waren Sieger und wurden wie Helden empfangen! Die Fräuleins verteilten Blumen an uns, da sah ich Annelies wieder. Als sich unsere Blicke kreuzten wendete ich mich beschämt ab, ihr Gelächter hallte immer noch in meinen Ohren. Aber sie kam zu mir und gab mir eine Blume; es war eine weiße, halboffene Pfingstrose, ich kann mich noch daran erinnern als wäre es gestern gewesen. Und dann passierte etwas, das ohne den Krieg nicht vorzustellen gewesen wäre: Sie beugte sich vor zu mir, und noch bevor ich zurückweichen konnte, drückte sie mir einen Kuss auf die Wange! Sie bedankte sich für meinen Mut und verschwand dann wieder in der Menge."

"Nur einen Kuss?"

"Nur? Wie viele hast du denn bisher bekommen", empörte sich Cornelis, "du hast ja keine Ahnung!"

Mit der Einschätzung lag Cornelis vollkommen richtig, denn Heinrichs Erfahrung mit Frauen begann da, wo sie auch gleich wieder endete.

"Ich meine, ob es denn nur bei dem einen Kuss geblieben ist, oder sich mehr angebahnt hat?"

"Es hat sich gar nichts angebahnt, doch darum geht es auch nicht. Hoffnung auf ihre Liebe machte ich mir schon lange nicht mehr. Nein, es war die Genugtuung, die mir ihr Blick bescherte. Wie sie mich ansah! Ich war nicht mehr der Bastard eines Seemanns, sondern ein Mann, der siegreiche Soldat des Kaisers! Der Krieg hatte die Schranken fortgerissen, die vorher selbst das Atmen im selben Raum unmöglich gemacht hätten. Der Krieg gab mir die Würde als Mann wieder, das ist der Krieg!"

"Also ist der Krieg gut?"

"Weder gut, noch schlecht, der Krieg geschieht einfach, wie eine Naturgewalt. Ein Wirbelsturm der über uns hereinbricht und alles Dagewesene zerstört, ob nun gut oder schlecht. Wenn man allerdings überlebt, kann man sich von dem Ballast, der einem in die Wiege gelegt wurde, befreien und ein neuer Mensch werden."

Cornelis legte die Hand auf seine Schulter, "der Krieg wird euch jungen Kerlen jedenfalls guttun, fad und blass seid ihr, wisst nicht einmal zu schätzen was ihr habt!"

"Was haben wir denn schon", moserte Heinrich.

"Den Frieden habt ihr! Und das ohne jemals Schweiß und Blut dafür vergossen zu haben! Ein jeder Mann sollte mindestens einmal im Leben sein Vaterland unter Einsatz von Leib und Seele verteidigt haben, sich den Frieden verdient haben!"

"Und was hat der Mann vom Frieden, wenn er vom Krieg nicht mehr heimkehrt?"

"Sei nicht so selbstsüchtig! Was meinst du wie viele ihr Leben dafür gelassen haben, dass du in Frieden leben kannst!"

"Bis auf die Knute meines Vaters hat mir der Frieden bisher nicht viel gebracht."

Es wurde ungemütlich, Cornelis drohte aus der Haut zu fahren, "glaubst du das Joch deines Vaters wiegt schwerer als das der Franzosen? Oder das der Russen?"

"Ich weiß weder was von Franzosen noch Russen, ich weiß nur, dass ich dazu gezwungen bin hier zu verstauben, während die Welt sich jeden Tag weiterdreht!"

"Mach nicht nieder, was dein Vater und sein Vater aufgebaut haben, Beständigkeit erfordert manchmal mehr Kraft und Mut als der Aufbruch."

"Du hast gut reden, du bist ja auch nicht derjenige, der zum Stillstand gezwungen wird."

"Mich muss auch niemand mehr zwingen, sieh mich an, ich bin der fleischgewordene Stillstand", ächzte Cornelis und schleppte sich mit gebeugtem Kreuz zurück an seinen Platz.

Heinrich beobachtete den Rummel vor dem Laden. Die Traube um den Zeitungsjungen hatte sich mittlerweile über die gesamte Straßenbreite ausgedehnt. Nach und nach setzten sich Cornelis Worte, und Heinrich spürte plötzlich eine noch nie dagewesene Kraft in sich. Ein Gefühl, dass nach Hoffnung schmeckte. Und es wurde stärker, je länger er darüber nachdachte. Das Gefühl schaufelte eine unter Zentnern von Zweifeln vergrabene Erleichterung frei, die ihm ein Lächeln ins Gesicht schnitzte. Das Problem mit Gefühlen? Sie sind oftmals schneller als der Verstand.

"Pass bloß auf, dass du dir keine Zerrung am Kiefer holst", warnte Cornelis.

"Lache ich etwa so selten?"

"Zu selten, Junge."

Die dichten, silbernen Brauen des alten Mannes lagen schläfrig über den runden Augen. Viel war es nicht mehr, das sie noch sehen würden. Aber es gab keinen Grund Cornelis zu bedauern, denn der Tod, ob nun ich ihn brachte oder er in einer anderen Gestalt daherkam, stand schließlich ihnen allen bevor; das Altern hingegen war nur den Glücklichen vorbehalten. Und immerhin hatte Cornelis die Welt gesehen, im Gegensatz zu Heinrich, der nur den Staub des muffigen Lädchens gefressen hatte.

"Wo werden sie uns hinschicken", überlegte Heinrich laut.

"Überall dorthin, wo der deutsche Frieden verteidigt werden muss."

"Liegt der deutsche Frieden denn nicht hier, in Deutschland?"

Cornelis verneinte mit einer gemächlichen, nachdenklichen Kopfbewegung, "der Frieden ist eine Mauer, man muss sie möglichst weit auf feindlichem Boden errichten."

Genährt von der Hoffnung, angestachelt von Cornelis Worten drehte sich Heinrich zur Tür und wollte hinausstürmen, doch er erstarrte, als hatte er nicht sein Ebenbild im Spiegel neben der Tür entdeckt, sondern das Haupt der Medusa, dessen grimmige Schlangenköpfe nach ihm schnappten. Es war der ergraute Kittel, der ihn stocken ließ. Heinrich nannte ihn den Totengräber seiner Träume. Er trug ihn seit dem Tag, an dem der Vater ihn von der Schule genommen und in die Lehre gesteckt hatte. Er kam ihm noch enger vor als sonst, als hatte der Kittel gespürt, dass sein Träger ihn loswerden wollte und versucht sich noch fester an ihn zu klammern. Aber auch Heinrich tat sich schwer; er hatte sich mittlerweile an ihn gewöhnt, als wäre er eine zweite Haut. Er hasste den Kittel, aber wenigstens war er ihm vertraut. Im Gegensatz zu dem, was ihn da draußen erwartete.

"Reiß ihn endlich vom Leib!», sagte Cornelis Gedanken lesend.

"Aber was wird aus meinen Eltern werden? Und aus der Stube hier? Ich kann sie doch nicht alleine lassen."

"Du bist nicht verantwortlich für das Glück Anderer. Nimm endlich diesen Kittel ab und geh hinaus in die Welt. Nimm das Leben wie es kommt, dann gibt es nichts zu fürchten. Das Leben ist jetzt, nicht morgen, nicht irgendwann, sondern jetzt! Außerdem werden sie dich früher oder später ohnehin einziehen, dann doch lieber mit Würde und erhobenem Haupt dem Heer beitreten!"

Zögerlich öffnete Heinrich Knopf für Knopf, "vielleicht bringt es Unglück ihn abzulegen?"

"Was für ein Aberglaube", schimpfte Cornelis, "unseren Gedanken wohnt ja kein dunkler Zauber inne. Als würde jemand lauschen und das Unglück herbei orchestrieren! Wenn schlechte Gedanken sich bewahrheiten, dann nur, weil wir es zulassen, dass sie unsere Zunge und dann unsere Hände kontrollieren. Man darf sie ruhig haben; Ängste, Neid, Missgunst, schließlich ist niemand frei von ihnen. Aber einem jeden steht es frei sie zu kontrollieren und einzudämmen. Es ist die Furcht vor der Zukunft, die Ungewissheit, die dich zweifeln lässt, das ist nicht schlimm. Manche Menschen werden mit Mut geboren, andere in Angesicht von Gefahr von ihm erfasst. Und dann wiederum gibt es solche, in denen der Mut erst über Tage, Monate, oder sogar Jahre hinweg reifen muss. Es ist keine Schande, zu den Letzteren zu gehören."

Bei dem letzten Knopf angelangt, riss Heinrich den Kittel von sich und schleuderte ihn übermütig in Cornelis Arme.

"Und was ist damit", der Greis zeigte auf die noch unrasierte Wange. Der Seifenschaum war mittlerweile in sich zusammengefallen und getrocknet, graue Schlieren hinterlassend, die der Maserung von Felsen ähnelten.

"Das schaffst du auch alleine", ermutigte ihn Heinrich und öffnete die Tür, "das ist die neue Zeit, viele Männer rasieren sich mittlerweile selbst."

"Ich bin zu alt für Veränderungen", hörte Heinrich ihn noch rufen, als er im Unterhemd aus der Tür eilte.

Die Traube war weiter angeschwollen. Heinrich drängte sich zögerlich in die Menge, schubste und wurde geschubst, drängelte und wurde gedrängelt, langsam aber der Quelle näher kommend. Als es nicht mehr weiterging, wuselte er seinen nackten Arm an den verschwitzten Körperteilen vorbei und ertastete sich blind ein Exemplar. Er packte seine Beute und erlegte sie schließlich mit einem beherzten letzten Ruck. Die Zeitung unter den Achseln geklemmt kämpfte er sich nach draußen, immer mehr Menschen strömten ihm entgegen, jede noch so kleine Lücke schließend.

Sein blasses Gesicht glänzte nach dem Bad im fremden Schweiß, die Druckerschwärze schmierte und hinterließ graue Wölkchen an den Händen. Heinrich suchte sich eine schattige Stelle auf dem Bordstein und machte sich an die Lektüre des Extrablattes. Auf der Titelseite waren die Konterfeis von Bismarck auf der linken und von Kaiser Wilhelm auf der rechten Seite abgedruckt und bedeckten fast die gesamte Seite. Beide hatten ihre Gardeuniformen an, Bismarck sogar mit Pickelhaube. In großen Lettern stand über ihren Köpfen 'Deutschland über alles!’

'Ein Friede’, war im Artikel unter den Bildern zu lesen, ‘der der Gefährdung ausgesetzt ist jederzeit gestört zu werden, hat nicht den Wert eines Friedens. Ein Krieg ist oft weniger schädlich für das allgemeine Wohl, als ein solch unsicherer Frieden.’

Heinrich nickte wohlwollend, auch wenn er nicht genau verstand was der Kaiser damit hatte sagen wollen. Er überflog noch einige andere Artikel auf der Titelseite und machte sich dann an das Innere, hastig die Seiten durchblätternd. Das Extrablatt war ausschließlich dem Krieg gewidmet. Es wurde aus allen Teilen des Reiches berichtet, von den Stahlwerken im Westen, die ihre Hochöfen anheizten und Sonderschichten fuhren; von Landwirten aus dem Osten, die auf eine besonders gesegnete Ernte hofften, um die Soldaten versorgen zu können; von Burschenschaften aus dem Süden, die ihre Brüder zur Waffe riefen; von der Admiralität, die stolz von der kaiserlichen Hochseeflotte und den norddeutschen Werften schwärmte.

Berauscht von der Lektüre saß er noch eine Weile auf dem Bordstein. Die Sonnenstrahlen waren mittlerweile über die Dachkante des gegenüberliegenden Hauses geklettert und blendeten ihn. Er legte die Zeitung beiseite, zog die Knie an seine Brust heran und legte den müden Kopf auf den Armen ab. Mit zugekniffenen Augen beobachtete er die Menschentraube, die sich wie nach einem Aderlass auflöste, nachdem alle Zeitungen vergriffen waren. Er dachte dabei an den bescheidenen Laden seines Vaters, es war der Fels an dem seine Jugendträume zerbrochen waren. Tag ein, Tag aus, immerzu dasselbe trostlose Mühsal, das im Sommer gerade noch genug abwarf, um den Sparstrumpf zu füllen, der im Winter darauf sogleich geplündert werden musste. Das war nicht das Leben, das ihm vorschwebte. Die Eintrittskarte in ein neues allerdings lag neben ihm; in der Zeitung warb man um die Reservisten und Freiwilligen, die sich beim Polizeihauptamt melden sollten. Heinrich machte sich auf, seine Eintrittskarte einzulösen.

Er lief in die Arme einer Gruppe junger Männer, nicht viel älter als er selbst, die fröhlich pfeifend und das Deutschlandlied grölend durch die Straßen zog. Endlich nähmen sie ihren Platz an der Sonne ein, brüstete sich ein laufender Anderthalbmeter mit Berliner Zungenschlag. Der Übermut wuchs dem dicklichen Preußen bis über die abstehenden Ohren, die vor Stolz zerberstende Brust gab ihm einen kräftigen Zug nach vorne. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht wie ein steifer Zinnsoldat nach vorne kippte.

"Jeder Schuss ein Russ‘", sangen sie inbrünstig, "jeder Stoß ein Franzos! Und Serbien muss Sterbien!"

Der dicke Preuße forderte Heinrich auf sich ihnen anzuschließen, "mehr Schwarz-Weiß würde dir allerdings gut zu Gesicht stehen", riet er ihm. Er klopfte sich auf seine Schulter, über die er eine Kaiserflagge wie einen Umhang übergestreift hatte.

"Wo soll ich denn eine herbekommen", ersuchte Heinrich sie um Ratschlag und bekam zu hören, dass ein guter Deutscher stets eine in Greifnähe haben müsse. Dennoch sahen sie es ihm nach und man hielt gemeinsam Ausschau nach einer Flagge.

Über einem Weingeschäft zwei Ecken weiter entdeckten sie eine. Sie hing aus dem Fenster der ersten Etage hinab, vollkommen schlaff, zu still war der Wind an diesem heißen Hochsommertag. Die Tür des Geschäftes stand offen, allerdings war niemand zu sehen. Gemeinsam rückten sie ein neben dem Eingang stehendes altes Weinfass unter die Flagge. Das Körpergewicht auf die Handflächen verlagert drückte Heinrich mit beiden Händen auf den Deckel, die Tragfähigkeit prüfend. Es knatschte an den Rändern, der Deckel war morsch und splitterte.

"Keine Sorge", beruhigte ihn der dicke Preuße mit rotem Kopf, "wir halten dich Kamerad!"

Kamerad, wiederholte Heinrich in Gedanken, so hatte ihn noch nie jemand genannt. Stolz willigte er ein. Sie stellten sich im Halbkreis um das Fass, dass es auch ja nicht umkippen konnte. Zwei machten eine Räuberleiter und halfen Heinrich auf die Oberseite zu steigen. Er stütze sich an der Wand ab und machte seinen Rücken und den Arm lang, doch es gelang ihm nicht das Preußenbanner zu greifen. Von unten hörte er ermutigende Worte, er solle sich ruhig auf die Zehenspitzen erheben, sie würden ihn schon festhalten. Er spürte Hände an seinen Waden.

Langsam, die Reaktion des Fasses beobachtend, erhob sich Heinrich auf die Fußzehen und konnte mit seinen Fingerspitzen eine Ecke der Flagge greifen. Scheinbar hatte man sie mit einem schweren Gegenstand auf der Fensterbank fixiert. Angefeuert durch seine neuen Freunde, oder besser gesagt die ersten, die er überhaupt hatte, zog er zweimal kräftig, bis die Flagge sich endlich löste. Das Geräusch einer zersplitternden Vase oder eines Tellers aus Porzellan, vielleicht auch eines schweres Glases, ließ Heinrich zusammenzucken. Auf das Poltern folgte der Aufschrei einer Frau. Der Flaggendieb rollte seine Beute zu einem handlichen Ballen zusammen und sprang vom Fass, in die Arme seiner Kameraden. Aufgescheucht vom Lärm stürmte der Weinhändler aus dem Geschäft heraus. Er war mit einem Besen bewaffnet, mit dessen Stielende er drohte nach einen von ihnen zu schlagen.

Sie umzingelten ihn, verpassten ihm Faustschläge von allen Seiten, bis der Mann ins Stolpern geriet und mit dem Gesicht voraus auf das Kopfsteinpflaster aufschlug. Er blieb regungslos liegen, ein Blutspiegel breitete sich unter seinem Kopf aus. Heinrich stand abseits und sah regungslos dabei zu, wie seine neuen Kameraden weiter auf den Mann einschlugen. Ihm war es zu brutal und es hatte auch nichts mehr mit dem anfänglichen Streich eines Flaggendiebstahls gemein. Er musste sogar den Blick abwenden, als sie ihm ins ohnehin schon blutende Gesicht traten. Aber er traute sich nicht etwas zu sagen. Sie hatten sich doch gerade erst gefunden, und sie schienen ihn zu mögen, beschwichtigte er sich selbst. Sollte er sich nun als Spielverderber entlarven? Der Feigling schwieg lieber. Zu zweit fühlt sich der Mensch nur halb so falsch, zu dritt noch weniger. Und zusammen, mit einer ausreichend großen Menge ist das Gefühl im Unrecht zu sein so verschwindend gering, dass man es nicht mehr spürt, und das was mal Falsch war, wird zum Richtigen, während das Richtige zum Falschen wird.

Nachdem es selbst den Kameraden zu viel wurde, oder sie einfach nur Angst bekamen, da mehr und mehr Nachbarn in den Fenstern hingen und zaghaft zu protestierten begannen, traten sie die Flucht an und zerrten Heinrich am Arm gepackt mit. Er sah noch einmal hinauf zum Fenster, auch die Bestohlene riskierte nun einen Blick nach draußen. Noch bevor sie in eine Seitengasse abbogen, gelobte Heinrich der Frau ihr die Flagge wieder zu bringen, sie sei nur geborgt.

Auf ihrer Flucht drehten sie sich noch mehrmals um, vergewissernd, dass ihnen auch niemand folgte. Heinrich spürte einen wohligen Nervenkitzel, der seinen Puls in ungeahnte Höhen trieb und ihm endlich einen Ausbruch aus diesem Siechtum gewährte, das sein Vater Leben nannte. Und bis auf die Sache mit dem Weinhändler, beruhigte sich Heinrich, war es doch nun wirklich kein schweres Verbrechen gewesen. Schließlich würde er der alten Dame die Flagge wiederbringen. Wobei auch das mit dem Weinhändler nicht so schlimm zu sein schien, da einer der Kameraden davon berichtete, dass seine Familie schon öfters bei ihm eingekauft habe und der Mann – ein Jude – sie über den Tisch gezogen habe. Er sei ein unheimlicher Wucherer, der schon längst mal eine Abreibung verdient habe. Und da nun die Mobilmachung anstünde, sagte der Kamerad, müssten die Deutschen schließlich zusammenhalten.

Ja, nun spürte es Heinrich auch. Ab heute waren sie alle vereint. Zumindest jene, die dazugehörten.

Die Freude nahm und nahm kein Ende, das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter. Er nahm zwei Ecken der Flagge und streckte im Lauf seine Arme in den Himmel. Heinrich wollte den Reichsadler, der mitten auf der Flagge prangerte, in die Höhe gleiten lassen, doch der Auftrieb des kaiserlichen Banners war dürftig. Entweder war die Brise zu lau oder sein Sprint zu träge, Adler jedenfalls flogen höher. Ein Sturzflug drohte.

Einige Blocks weiter verlangsamten sie ihren Schritt, um erst einmal nach Luft zu schnappen. Nach einer Verschnaufpause zogen sie weiter zum Lustgarten, wo eine Rede des Kaisers übertragen werden sollte. Sie waren eine der ersten, doch schon bald wurden sie vom Meer der heranströmenden Schar aus Freiwilligen, Neugierigen und vor allem Patrioten verschluckt. Auf kleinen, unregelmäßig verteilten Podesten standen Marktschreier, die man eigens für die Rede rekrutiert hatte. Sie gaben jedes Wort des Kaisers mit einer Verzögerung von einigen Sekunden wieder. Da sie nicht synchron sprachen, entstand ein Wiederhall, der die Rede noch monumentaler wirken ließ:

"Mein liebes deutsches Volk: Ich danke Ihnen für Ihre Liebe und Treue in diesen schweren Tagen, in denen unsere Nachbarn unsere diplomatischen Mühen unbeantwortet verblühen lassen und uns in das Kriegskorsett zwingen!

Das russische Zarenreich ist meiner ultimativen Aufforderung zur Rücknahme der Generalmobilmachung nicht nachgekommen. So denn fordere ich das deutsche Volk zur Geschlossenheit, Opferbereitschaft und Gefolgschaft auf!

Ich kenne keine Parteien mehr, und auch keine Konfessionen. Mögen jene unter Ihnen, denen gegenüber ich das eine oder andere harte Wort fand, mir vergeben, und ich vergebe Ihnen das Ihrige. Es ist Zeit den Zwist, der uns entzweit, auszuräumen. Deutsche wollen wir von nun an sein, brüderlich vereint, und Deutsche werden wir sein, im Antlitz unseres Feindes!

Nun, wenn wir schon das Kriegskleid anziehen müssen, dann werden wir es freiwillig und voller Stolz tun, nicht geleitetet oder geblendet aus Furcht vor unseren Feinden. Wenn sie uns keinen Frieden gönnen mögen, uns das Schwert aufzwingen, so erheben wir es! Möge Gott es führen und uns siegreich aus dieser schweren Zeit führen!"

Die Menge brach in Jubel aus, wildfremde Menschen fielen sich in die Arme. Heinrich hatte Gänsehaut, als sie alle gemeinsam das Deutschlandlied anstimmten. Er glaubte jetzt verstanden zu haben, was Cornelis ihm sagen wollte.

Die Glut der Hitze sollte noch einige Jahrzehnte schwelen.

4

Nathanael

Tod des Montagsvaters

New York City, November 1969

Am späten Nachmittag desselbigen Montags saß ich zurückgelehnt auf dem Hochstuhl hinter der Theke und beobachtete meinen Vater, während ich gegen den Schlaf ankämpfte. Seit über einer Stunde lief er vor der Fensterfront auf und ab, präzise und steif wie das Pendel einer Schweizer Uhr. Sein rastloser Blick war nach draußen gerichtet, Rosa, die sehnsüchtig erwartete Dame, war längst überfällig. Ich war vollkommen träge im Kopf, meine gesamte Energie erschöpfte sich an der Verdauung der schweren Kartoffelsuppe, die mir untätiger als ein Stein im Magen lag. Ich musste ständig aufstoßen, dabei schob sich mir ein würzig saurer Geschmack die Kehle hoch und kratzte am Gaumen.

"Da ist sie ja", brüllte der Alte plötzlich. Ich riss die Augen auf, vor Schreck drohte ich vom Stuhl zu kippen, konnte mich aber wieder fangen. Nicht mehr einzufangen hingegen war mein Vater, der grinsend und große Schritte schlagend der Tür entgegen hastete. In diesem Moment wusste ich, dass Rosa auf dem Weg war. Sie hatte die Angewohnheit die Tür mit voller Wucht aufzuschlagen, sodass diese scheppernd gegen den Türstopper krachte. Meinen Vater machte es jedes Mal wütend, da er befürchtete die kleinen Glaskacheln in der Tür könnten irgendwann zerspringen. Allerdings hatte er nicht genug Mumm Rosa zu ermahnen; sie war launisch wie Aprilwetter von seiner schlechtesten Seite. Stattdessen hielt er wie ein Schoßhund hechelnd Wache vor der Tür, um sie persönlich hereinzulassen.

"Endlich", rief er und öffnete die Tür. Eisiger Wind strömte herein und mit ihm – meine Vermutung war von prophetischer Genauigkeit - Rosa.

"So ein Sauwetter", schimpfte sie und nahm ihren Hut ab.

Ihre lehmroten Haare schossen in alle Himmelsrichtungen, wie eine ausbrechende Herde wolliger Schafe. Sie war groß, ihr Oberkörper saß auf einer breiten Hüfte, die auch nötig war um das ganze Gewicht vor ihrer Brust zu stemmen. Rosa klopfte die Hacken ihrer schwarzen Halbstiefel auf dem Boden ab, saftige Matschbrösel lösten sich und schmolzen über den Holzdielen dahin, was mich zu dem Gedanken verleitete, dass die blöde Ziege es doch auch vor der Tür hätte machen können, schließlich hatte ich den Laden bereits zweimal gefegt.

Bei dem Hackenschlag stand mein Vater stramm wie zum Appell. Er machte sich nur selten für andere den Rücken krumm, außer natürlich für Rosa. In gebückter Haltung reichte er ihr ein Handtuch, damit sie sich die tauenden Schneeflocken aus ihrem bronzenen Gesicht wischen konnte. Sie hatte eine herrlich schimmernde Hautfarbe, das war sogar mir aufgefallen, und blassgrüne Augen. Sie war eine seltene Melange; ihre Mutter war Irin und der Vater ein Nachkomme westafrikanischer Sklaven. Mein Vater nahm ihr den Hut ab, ebenso wie den Schal, der ihren langen Hals freilegte. Ich fragte mich, wann meine Mutter das letzte Mal in den Genuss solcher Manieren gekommen war.

"Heute kostet es Aufpreis, bei so einem Wetter gehe ich normalerweise nicht vor die Tür", drohte Rosa und warf dem Alten den Mantel in den Arm, als wäre er ein Garderobenständer.

"Für das Wetter kann ich doch nichts", stammelte er.

"Da kann keiner was für, aber einer muss schließlich dafür bezahlen, oder? Ich kann aber auch wieder gehen, mehr als eine halbe Stunde kannst du dir ja ohnehin nicht leisten!"