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Justus Möser war ein deutscher Jurist, Staatsmann, Literat und Historiker. Als "ständischer Dichter" ist er vor allem durch seine "Patriotischen Phantasien" in Erinnerung.
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Seitenzahl: 551
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Patriotische Phantasien
Justus Möser
Inhalt:
Justus Möser – Biografie und Bibliografie
Ausgewählte Schriften aus den Patriotischen Phantasien
Vorrede der Herausgeberin
Erinnerung des Verfassers
Schreiben an meinen Herrn Schwiegervater.
Reicher Leute Kinder sollten ein Handwerk lernen
Die Spinnstube, eine osnabrückische Geschichte
Etwas zur Verbesserung der Armenanstalten
Von dem moralischen Gesichtspunkte
Antwort auf verschiedene Vorschläge wegen einer Kleiderordnung
Schreiben einer Hofdame an ihre Freundin auf dem Lande
Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Städten
Die Politik der Freundschaft
Schreiben einer Dame an ihren Kapellan über den Gebrauch ihrer Zeit
Vorschlag zu einer Korn-Handlungskompagnie auf der Weser
Der hohe Stil der Kunst unter den Deutschen
Ein Projekt, das nicht ausgeführet werden wird
Schreiben eines Frauenzimmers vom Lande an die Frau ... in der Hauptstadt
Schreiben eines angehenden Hagestolzen
Die Abmeierung, eine Erzählung
Beantwortung der Frage: Was muß die erste Sorge zur Bereicherung eines Landes sein? Die Verbesserung der Landwirtschaft? oder die Bevölkerung des Landes? oder die Ausbreitung der Handlung? Womit muß der Anfang gemachet werden?
Vorschlag zu einer Praktika für das Landvolk
Der notwendige Unterscheid zwischen dem Kaufmann und Krämer
Vorschlag zu einer Sammlung einheimischer Rechtsfälle
Es ist allezeit sicherer, Original als Kopei zu sein
Der Rat einer guten Tante an ihre junge Nièce
Ein bewährtes Mittel wider die böse Laune, von einer Dame auf dem Lande
Der Staat mit einer Pyramide verglichen
Johann, seid doch so gut!
Vorschlag zum bessern Unterhalt des Reichskammergerichts
Vorschlag zu einer Zettelbank
Der alte Rat
Der junge Rat
Für die Empfindsamen
Also sollte jeder Gelehrter ein Handwerk lernen
Der Bauerhof als eine Aktie betrachtet
Wie man zu einem guten Vortrage seiner Empfindungen gelange
Etwas zur Polizei der Freuden für die Landleute
Schreiben einer alten Ehefrau an eine junge Empfindsame
Nachschrift
Vorschlag zu einem neuen Plan der deutschen Reichsgeschichte
Was ist bei Verwandelung der bisherigen Erbesbesetzung mit Leibeignen in eine freie Erbpacht zu beachten?
Vorreden, Rezensionen, Schriften zur Geschichte, Literatur, Ästhetik und Religion
Die Geschichte in der Gestalt einer Epopöe
Von dem deutschen Nationalgeiste
Vorrede zum zweiten Teil der »Osnabrückischen Geschichte«
Über das Recht der Menschheit als den Grund der neuen französischen Konstitution
Wann und wie mag eine Nation ihre Konstitution verändern?
Harlekin oder Verteidigung des Groteske-Komischen
Über die deutsche Sprache und Literatur
Über die allgemeine Toleranz
Die Kunst unter den alten Deutschen
Über die Ruinen der deutschen Kunst
An einen jungen Staatsminister
Also sind die Regeln nicht zu verachten
Freiheit und Eigentum die ursprünglichen Rechte der Menschen
Patriotische Phantasien, J. Möser
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849631987
www.jazzybee-verlag.de
Deutscher Publizist, geb. 14. Dez. 1720 in Osnabrück, gest. 8. Jan. 1794, studierte 1740–42 in Jena und Göttingen die Rechte, wurde 1742 in seiner Vaterstadt Sekretär der Landstände und zwei Jahre später Rechtsanwalt. Wegen seines redlichen Freimuts und seines energischen Auftretens gegen die Willkürlichkeiten des damaligen Statthalters von Osnabrück zum Advocatus patriae, d.h. zum Anwalt des Staates in Rechtsstreitigkeiten, ernannt, vertrat er seit 1755 zugleich als Syndikus die Rechte der Ritterschaft und milderte die Schädigung des Landes durch den Siebenjährigen Krieg in ihren Folgen. 1763 nach London geschickt, um die Zahlung der englischen Subsidiengelder für die Alliierten zu betreiben, bewährte M. auch hier sein hohes staatsmännisches Geschick und eignete sich damals eine gründliche Kenntnis der englischen Institutionen und des britischen Volkscharakters an. Als der König Georg III. seinen minderjährigen Sohn Friedrich zum Bischof des ihm 1611 zugefallenen Stifts Osnabrück ernannte, wurde M., seit 1768 Geheimer Referendar, bis 1783 die Seele der gesamten Landesverwaltung, hatte aber mit ungemeinen, in den eigentümlichen Verhältnissen von Osnabrück begründeten Schwierigkeiten zu kämpfen. In dem kleinen Ländchen, wo sich viel Altertümliches in Verfassung und Volkssitte erhalten hatte, fand sich ein seltsames Gemisch von Freiheiten und Einschränkungen des öffentlichen Wesens, und die Würdigung dieser Zustände ließ Mosers politische Einsicht zu einer Höhe gelangen, auf der er alle seine deutschen Zeitgenossen überragte. Als Schriftsteller nimmt M. im Fach der Publizistik und Geschichtschreibung eine hervorragende Stellung ein. Er begründete 1766 die »Wöchentlichen Osnabrückischen Intelligenzblätter«, die er bis Mitte 1782 leitete. Aus den für diese Zeitschrift verfassten Abhandlungen stellte er 1774 eine Auswahl unter dem Gesamttitel: »Patriotische Phantasien« (4. Aufl., hrsg. von seiner Tochter J. v. Voigt, Berl. 1820, 4 Bde.; neue Ausgabe mit Einleitung und Anmerkungen von R. Zöllner, Leipz. 1871, 2 Bde.) zusammen. Diese Aufsätze sind in ihrer Mehrheit unvergleichliche Muster populärer Behandlung der verschiedenartigsten Gegenstände, kleine Meisterwerke voll klarer Gedankenfülle, humoristischer Laune, psychologischen Tiefblicks, politischer und volkswirtschaftlicher Weisheit, gründlichen Wissens und sittlichen Ernstes. Zugleich bekunden die kleinen Abhandlungen ein entschieden künstlerisches Talent ihres Verfassers, wie denn M. auch durch seine gegen Gottsched gerichtete Abhandlung »Harlekin, oder Verteidigung des Grotesk-Komischen« in dem Aufsatz »Über die deutsche Sprache und Literatur« eine sehr klare ästhetische Einsicht an den Tag legt. Am bewundernswürdigsten erscheint er jedoch in der Klarheit und dem divinatorischen Tief- und Scharfblick seiner volkswirtschaftlichen und politischen Überzeugungen. Mitten in den Stürmen des Siebenjährigen Krieges und seinen mühseligen Geschäften entwarf er seine ausgezeichnete »Osnabrückische Geschichte« (Osnabr. 1768, 2 Bde.; 2. umgearb. Aufl., Berl. 1780; 3. Aufl. 1819), auf der die bis in die neueste Zeit verbreitete, neuerdings aber als nicht haltbar erwiesene Vorstellung von der gesellschaftlichen Gliederung der alten Deutschen beruht. Auch als Dichter hat sich M. versucht, doch ist sein Trauerspiel »Arminius« (Hannov. 1749) von Gottschedscher Ästhetik beherrscht. Am 12. Sept. 1836 wurde ein Denkmal Mösers (von Drake) in seiner Vaterstadt aufgestellt. Die sämtlichen Werke Mösers gab Abeken in 10 Bänden (Berl. 1842–44, neue Ausg. 1858) heraus. Vgl. Nicolai, Leben Justus Mösers (Berl. 1797, neue Ausg. als 10. Bd. von Mösers Werken); Kreyssig, Justus M. (das. 1857); Rupprecht, J. Mösers soziale und volkswirtschaftliche Anschauungen (Stuttg. 1892).
(zum zweiten Band der »Patriotischen Phantasien«)
Ich liefere hiemit den andern Band der »Patriotische Phantasien«, abermals nicht ohne Furcht, in der Auswahl derselben auch solche Stücke mitgenommen zu haben, welche sich zu genau auf das Land beziehen, für welches sie eigentlich allein geschrieben worden: Die Absicht meines Vaters war – doch ich kann diese nicht besser als mit den Worten ausdrücken, womit er sich in den Beiträgen zu den Osnabrückischen Intelligenzblättern selbst erkläret hat –: »Gleich anfangs, wie ich die Feder einigemal in diesen Beiträgen ansetzte, ging meine Absicht dahin, durch den Kanal derselben die Landtagshandlungen und andre öffentlichen Staatssachen dem Publikum mitzuteilen und meinen Landesleuten aus dem Ton, womit der Herr zu seinen Ständen spricht und diese ihm antworten, aus den Gründen, warum jenes bewilliget und dieses verworfen wird; aus der Sorgfalt, womit auch die kleinsten Sachen im Staate behandelt werden; aus der Art und Weise, wie man mit den gemeinen Auflagen verfährt, und überhaupt aus jeder Wendung der Landesregierung und Verfassung die vollständigste Kenntnis und aus dieser eine wahre Liebe für ihren Herrn und diejenigen, so ihm raten und dienen; ein sicheres Vertrauen auf ihre Geschicklichkeit und Redlichkeit und einen edlen Mut beizubringen. Jeder Landmann sollte sich hierin fühlen, sich heben und mit dem Gefühl seiner eignen Würde auch einen hohen Grad von Patriotismus bekommen; jeder Hofgesessener sollte glauben, die öffentlichen Anstalten würden auch seinem Urteil vorgelegt; der Staat gäbe auch ihm Rechenschaft von seinen Unternehmungen; und zu den Aufopferungen, die er von ihm fordere, würde auch seine Überzeugung erfordert; die Gesetze und ihr Geist sollten lebhaft in seine Seele dringen; er sollte die Grenzlinie, wo sich sein Eigentum von dem Obereigentum des Staats scheidet, mit dem Finger nachweisen können; er sollte sein Auge auch bis zum Throne erheben und mit einem fertigen Blick die Blendungen durchschauen können, welche ein despotischer Ratgeber zum Nachteil seiner und der Deutschen Freiheit oft nur mit mäßigen Kräften wagt; ihre Kinder sollten mit den Zehn Geboten auch die Gebote ihres Landes lernen und in allen Fällen, wo sie einst als Männer gestrafet werden könnten, auch ein Urteil weisen können; es schien mir nicht genug, daß ein Land mit Macht und Ordnung beherrschet wird, sondern es sollte dieser große Zweck auch mit der möglichsten Zufriedenheit aller derjenigen, um derentwillen Macht und Ordnung eingeführt sind, erreichet werden; der wichtigste und furchtbarste Staat, der sich auf Kosten der allgemeinen Zufriedenheit erhalten müßte, war mir dasjenige nicht, was er nach der göttlichen und natürlichen Ordnung sein sollte ...«
Und diese Absicht, wenn er sie gleich nicht völlig erfüllen mögen, hat ihn doch immer zu sehr zu Lokalverbesserungen, die für das Allgemeine minder erheblich sind, hingerissen, mich aber in die Notwendigkeit gesetzt, einige davon mitzunehmen, nachdem ich einmal eine zweite Sammlung versprochen hatte und dieses Versprechen aus vielen für mich nicht unwichtigen Ursachen gern erfüllen wollte.
Indessen schmeichle ich mir doch, daß immer noch einige Leser sein werden, die dergleichen besondere Naturalien mit in ihre Sammlung zu haben wünschen. Zum Vergnügen derjenigen, welche eine gefällige Kleinigkeit einer ernsthaften Betrachtung vorziehen, habe ich gleichwohl auch verschiedenes mit eingemischt, was ich nach meinem Geschmack ihres Beifalls wertgeschätzet habe. Ist einiges darunter, was weiter nichts als das Verdienst eines neuen Liedgens hat, was man des Abends, wenn man aus der Operette kommt, noch einmal singt: so hat doch auch dieses seinen Wert vor das Vergnügen dieses Abends, und meine Leser sind nicht verbunden, sich mehr als einmal daran zu ergötzen.
(Vorrede zum dritten Band der »Patriotischen Phantasien«)
Die Leser dieser Phantasien müssen sich allezeit daran erinnern, daß sie aus wöchentlichen Blättern erwachsen sind, welche in einem kleinen Lande, worin man den Verfasser derselben leicht erriete, zu Beförderung verschiedener politischer Verbesserungen bekanntgemacht wurden. Hier erforderte manches, was man nicht bloß vorschlagen, sondern auch ausführen wollte, eine besondere Schonung der Personen und eine eigne Behandlung der Sachen. Oft nahm ich denjenigen, die sich in ihre eigne Gründe verliebt hatten und sich bloß diesen zu Gefallen einer neuen Einrichtung widersetzten, die Worte aus dem Munde und trug ihre Meinung noch besser vor, als sie solche selbst vorgetragen haben würden; diese beruhigten sich dann entweder mit der ihnen erzeigten Aufmerksamkeit oder verloren etwas von der Liebe zu ihren Meinungen, deren Eigentum ihnen auf diese Weise zweifelhaft gemacht wurde. Oft durfte ich auch die Gründe für eine Sache nicht geradezu heraussagen, um nicht da als Advokat zu erscheinen, wo ich als Richter mit mehrerm Vorteil sprechen konnte, und bisweilen mußte ich mich stellen, als wenn ich das Gegenteil von demjenigen glaubte, was ich würklich für wahr hielt, um gewisse dreiste Gründe, die in einer andern Stellung mir und meiner guten Absicht höchst nachteilig gewesen sein würden, nur erst als Zweifel ins Publikum zu bringen. Mir war mit der Ehre, die Wahrheit frei gesaget zu haben, wenig gedienet, wenn ich nichts damit gewonnen hatte; und da mir die Liebe und das Vertrauen meiner Mitbürger ebenso wichtig waren als das Recht und die Wahrheit: so habe ich, um jene nicht zu verlieren und dieser nichts zu vergeben, manche Wendung nehmen müssen, die mir, wenn ich für ein großes Publikum geschrieben hätte, vielleicht zu klein geschienen haben würde. Der wahre Kenner wird sich durch diese Blendungen nicht irremachen lassen; und diejenigen, welche die Originale kennen, die hie und da in den Phantasien gespielet sind, werden z.E. die Klagen eines Edelmanns im Stifte Osnabrück, welche man auswärts als ernstlich gemeinet aufgenommen hat, für nichts weiter als eine Ironie halten.
Das Sonderbarste aber ist, daß man mich daheim als den größten Feind des Leibeigentums und auswärts als den eifrigsten Verteidiger desselben angesehen hat. Sosehr diese Verschiedenheit der Urteile von meiner Behutsamkeit zeuget: so gern würde ich derselben zuvorgekommen sein, wenn es die Ökonomie jener Einschränkungen erlaubt hätte. Die entfernten Leser einer Predigt urteilen ganz anders als die Zuhörer derselben. Wo diese lauter bekannte Personen zu sehen glauben, finden jene nur allgemeine Menschen; und in dem Reiche der Gelehrsamkeit kann der Pfarrer weit freier reden als in seinem kleinen Sprengel. Ich erinnere dieses, sowohl um das Urteil zu berichtigen, das auswärts von diesen Phantasien gefället ist, als auch um andre geschickten Männer, welche nach dem jetzigen allgemeinen, Wunsche das politische Detail im kleinen Staate behandeln sollen, zu warnen, sich durch die Forderungen des großen Publikums nicht verleiten zu lassen, es mit ihrem kleinen zu verderben. Dies ist immer meine erste Sorge und die glückliche Frucht davon mein angenehmster Lohn gewesen.
Osnabrück, den 30. Februar 1778.
Möser
Endlich ist es mir, Gott Lob! gelungen; meine Frau hat ihre Puppen fortgeschickt; und diese Veränderung macht ihrer Erziehung noch die meiste Ehre. Das Kammermädgen hat die Gelegenheit dazu gegeben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags spazieren oder, wie sie es nennen, philosophieren gewesen; und erstere war bei ihrer Wiederkunft mit einem Absatze ein klein wenig in die Mistpfütze geraten. Ich stand eben vor der Tür, aber ohne bemerket zu werden; und da ging es nun an ein Erzählen, an ein Lachen und ein Leben, das fast eine Stunde währete, alles über die kleine Geschichte von dem Fuße und der Mistgrube. Meine Frau ergötzte sich mit; und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel gefangen hätten. Ich trat endlich hervor und sagte: »Es tut mir leid! aber Luise, die Kuh bölkt so sehr; will Sie nicht einmal zusehen, was ihr fehlt?« Das wäre eine artige Kommission, sagte das schnäppische Mädgen und fragte mich, ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer Saloppe im Kuhstalle gesehen hätte? Ich schwieg und dachte: Es ist noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermädgen eine eigene Tafel verlangte und die kleine Magd, welche ihr zur Aufwartung ist, nicht mit der Viehmagd essen wollte: so nahm ich endlich Gelegenheit, mit meiner jungen Frau darüber im Ernst zu philosophieren. »Die heutige Erziehung der Töchter«, bemerkte ich, »ist zwar würklich sehr gut: man gibet ihnen feinere Sitten, Geschmack und Verstand; allein, es ist auch eine notwendige Folge davon, daß die Haut auf der Zunge feiner, die Hände weicher und alle Sinnen schwächer werden, als sich jene Fähigkeiten vermehren. Es ist eine sehr wahrscheinliche Folge, daß der Verstand, welcher die Wissenschaften kennet und liebet, sich ungern mit Erfahrungen in der Küche abgeben werde; und endlich muß diejenige Tochter schon einen sehr großen Grad von Vernunft besitzen, welche bei einem feinen Geschmack und einer vorzüglichen Einsicht ihre edlere und zärtlichere Glieder nicht in alle die krausen, gehackten, gezierten, frisierten und namenlosen Hüllen kleiden soll, wodurch jetzt so viele zu einer ordentlichen Hausarbeit ungeschickt werden. Wenn eine Person von vornehmem Stande sich dergleichen erlaubt, so denkt man endlich, sie sei zum Müßiggange privilegiert; und die vornehmen Haushaltungen würden schon so lange mit Unordnung geführet, daß man es geschehen lassen müsse. Bei Menschen Gedenken hat man wenigstens kein Exempel, daß in einer adlichen Haushaltung etwas Beträchtliches erübriget worden. Allein, wenn der zweite Rang dem ersten, der dritte dem zweiten und der vierte dem dritten in dieser komischen Rolle folgt, so muß die davon abhängende Haushaltung zuletzt jene Wendung auch nehmen, und wir werden in einem frisierten Hemde unsere Pacht verlaufen müssen. Jetzt, mein liebes Weib, kannst du noch die Ehre haben, ein Original zu werden; du kannst dich freiwillig herablassen und alle die Entoilage, alle diese Grosse-Beauté und diesen verdammten Marly, welcher dem gemeinen Besten jetzt hunderttausend Hände stiehlt, mit einer schicklichern Kleidung vertauschen, ohne darüber rot werden zu dürfen. Gott hat uns Mittel gegeben; daher können wir es mit Anstand tun. Wir können keinen glücklichern Gebrauch von unserm Vermögen machen, als wenn wir die schwachen Töchter, welchen nichts als ein großes Exempel fehlet, vor der Versuchung bewahren, in gleiche Ausschweifung zu fallen. Die Mütter werden dich preisen und die Väter mit Vergnügen auf ihre Kinder sehen, wenn sie solche nicht mehr als kostbare Zierpuppen betrachten dürfen; und wie zärtlich, wie aufrichtig wird dir das minder beglückte, aber auch ehrgeizige Mädgen danken, welches sich jetzt, da es ihm an dem Vermögen zu so vielen überflüssigen Notwendigkeiten fehlet, entweder versteckt oder für eine neue Frisur ihre Unschuld aufopfert. Alle unsere jetzigen Moden haben bloß das Verdienst des Wunderbaren, des Ausschweifenden und des Kostbaren. Sie tragen nichts zur Erhöhung deiner Reizungen bei. Diese werden vielmehr nur versteckt, beladen und auf eine recht gotische Art verziert. Neuigkeit und Einbildung haben zwar ihre Rechte; und ich verlange nicht, daß du diese verleugnen mögest. Allein, hebe dich einmal aus dem Schwarm so vieler verdienstlosen Affen. Erweitere deine Einbildung und erwäge, ob nicht eine heroische Verachtung aller Modesklaven etwas ebenso Neues und ebenso Reizendes vor deine Einbildung sein werde als alles, was dein Kammermädgen mit einem diebischen Blicke der Hofdame entwenden kann? Es ist jetzt die Mode, à la grecque zu sein; und diese sollte in der edelsten Ausbildung des menschlichen Körpers bestehen ...«
Ich weiß nicht, wie mir dieses alles in einem Odem vom Herzen fiel und woher meine kleine Frau die Gedult nahm, diesen lehrenden Ton zu ertragen. Inzwischen muß ich ihr zum Ruhm bekennen, daß sie mir in allem Beifall gab; und kaum waren acht Tage verflossen, so kam sie auf einmal mit den Worten in die Stube getreten: »Nun sieh mich à la grecque.« Nie hatte ich sie so reizend gesehen. Eine allerliebste Baurenmütze bedeckte ihr schönes Haar, das ohne Kunst aufgemacht war und sich nur so weit sehen ließ, als man es gerne siehet. Durch ein Kamisol mit kurzen Schößen drückte sich der schönste Wuchs und noch etwas mehrers aus. Die Ärmel an demselben gingen nicht weiter als bis an den Ellenbogen und waren frei von dem dreifachen Geschleppe, wodurch sie vordem immer gehindert wurde, einem hungerigen Manne einen guten Bissen mit eigener Hand vorzulegen. Ein netter und hübscher Rock schien mit einigem Unwillen den feinsten Fuß zu verraten, den ein weißer Strumpf und ein schwarzer Schuh weit gelenker zeigte als vorhin, da er mit Stoff und Band beschweret und von einem großen Geschleppe gefesselt war. Kaum hatte sie meinen Beifall aus meinen entzückten Blicken gelesen, so führte sie mich in die Küche, wo die frische Butter bereitstund, welche sie jetzt mit eigener Hand wusch, währender Zeit ihr junger schlanker Körper in jeder Bewegung eine neue Reizung zeigte. Ihr ganzes Gesichte schien sich verändert zu haben. Denn anstatt daß sie vorhin zu ihrer Dormeuse à la Tsching-Tschang-fy eine Haut wie Eselsmilch und ein Paar unreifer Augen gebrauchte: so war sie jetzt nichts denn Feuer und Leben; und wie wir auf den Acker gingen, konnte sie Beine und Hände gebrauchen, da vorher jede Furche vor ihr ein fürchterlicher Grabe und jeder Steig ein Riesengebürge war.
Seitdem haben wir nun unsern neuen Plan noch mit mehrer Überlegung ausgearbeitet. Das Kammer-Negligé, welches sonst von acht Uhr bis um zehn des Morgens währete, ist völlig abgeschafft; und so wie sie aufsteht, ist sie in ihrer kurzen Kleidung geputzt. Das große Negligé, womit sie sonst bei Tische erschiene, wird im Hause gar nicht mehr getragen und also auch des Nachmittages nicht zum drittenmal verändert, wie sonst geschähe, wenn etwan ein Besuch vermutet wurde. Des Abends aber fällt der Nachttisch von selbst weg, indem keine tausend Nadeln auszuziehen und keine hundert kostbare Kleinigkeiten wegzukramen sind. Durch diese Anstalten gewinnet sie täglich ein Plus von acht Stunden in ihrem würklichen Leben, welche, da sie nun zum Besten unser Haushaltung angewandt werden, mich nicht allein vor Schaden bewahren, sondern auch durch Gottes Segen in den Stand setzen werden, ein ehrlicher Mann zu bleiben. Das Kammermädgen haben wir in ihrem größten Staat, in unser besten Gutsche, nach der Stadt zurückgeschickt; und meine Frau und ich haben die Dame zu Pferde begleitet. Denn sie reitet nun auch, und dies ist ein nützliches Vergnügen, das den Körper stärkt und den Mut des Geistes unterhält, welchen eine Landhaushaltung erfordert.
Wenn wir einen Besuch erhalten: so empfängt ihn meine Frau in ihrer jetzt gewöhnlichen Kleidung, mit einem so heroischen Anstande, daß ein jeder ihre großmütige Verleugnung bewundert. Da ihrem Anzuge an Reinlichkeit und edler Schönheit nichts fehlet: so kann sie sich darin zeigen, ohne den Wohlstand zu verletzen; und unsre Denkungsart ist so bekannt, daß wir keine üble Auslegung befürchten dürfen. Im übrigen aber können Sie versichert sein, daß die Gesellschaft gerne bei uns ist, indem Munterkeit und Gefälligkeit sich über alles verbreiten und das, was wir unsern Freunden vorsetzen, durch die Aufmerksamkeit meiner Frau merklich verschönert wird.
Versuchen Sie es und kommen zu uns. Die Schnurre, welche Sie Wissenschaft heißen und dem schönen Geschlecht ehedem anpriesen, ist bei uns ordentlich zum Gelächter geworden. Die Arbeit, dieser Fluch, womit Gott das menschliche Geschlecht segnete, gibt uns wahres und dauerhaftes Vergnügen; und wir lesen außer der letzten Abendstunde nicht leicht ein Buch; indem wir einmal überzeuget sind, daß der Mensch nicht zum Schreiben und Lesen, sondern zum Säen und Pflanzen geboren sei und daß derjenige, welcher sich beständig damit beschäftiget, entweder keine gesunde Seele oder sehr viele lange Weile haben müsse. Die Quelle alles wahren Vergnügens ist Arbeit. Aus dieser kommt Hunger, Durst und Verlangen nach Ruhe. Und wer diese drei Bedürfnisse recht empfindet, kennet Wollust. Leben Sie wohl und besuchen uns bald.
Der Hauptfehler unser mehrsten deutschen Handwerker ist der Mangel an Gelde. Das Söhngen einer bemittelten Mutter schämet sich, die Hand an eine Zange oder Feile zu legen. Ein Kaufmann muß er werden. Sollte er auch nur mit Schwefelhölzern handeln: so erhält er doch den Rang über den Künstler, der den Lauf einer Flotte nach seiner Uhr regiert; dem Könige Kronen, dem Helden Schwerter und dem edlen Landmann Sensen gibt; über den Künstler, der mit seiner Nähnadel den Mann macht und den Gelehrten durch seine Presse Bewunderung und Ewigkeit verschafft. Es hält schwer, sich aus diesem Zirkel zu heben: Wenn ein Handwerk einmal verachtet wird, so treiben es nur arme und geringe Leute; und was arme und geringe Leute treiben, das will selten Geschmack, Ansehen, Güte und Vortrefflichkeit gewinnen. Schrecklicher Zirkel, der uns an der Wiederaufnahme der mehrsten deutschen Landstädte zweifeln läßt! Indessen verdient die Wichtigkeit der Sache doch, daß man einmal diesen Knoten auflöse und dasjenige Ende ergreife, was Natur und Vernunft am ersten hervorstoßen. Der Klügste muß überall den Anfang machen; das soll vor diesesmal der Reiche sein, weil er es am ersten sein kann. Der Reiche soll also gemeine Vorurteile mit Füßen treten, seinen Kindern ein Handwerk lernen lassen und ihnen seinen mächtigen Beutel geben, damit der böse Zirkel zerstöret werde. Nichts gibt der Stadt London ein prächtiger Ansehen als die Buden ihrer Handwerker. Der Schuster hat ein Magazin von Schuhen, woraus sogleich eine Armee versorgt werden kann. Beim Tischler findet man einen Vorrat von Sachen, welche hinreichen, ein königliches. Schloß zu meublieren. Bei den Goldschmieden ist mehr Silberwerk, als alle Fürsten in Deutschland auf ihren Tafeln haben; und durch den Stadtschmied leben hundert Dorfschmiede, die ihm in die Hand arbeiten und ihm die Menge von Waren liefern, welchen er die letzte Feile und seinen Namen gibt. Solche Handwerker dörfen es wagen, den königlichen Prinzen ihr Gilderecht mitzuteilen. Solche Handwerker sind es, woraus der Lordmaire erwählt wird und Parlamentsglieder genommen werden. Ein solcher war Tailor, der als Generalzahlmeister im letztern Kriege sich als Meister zu dem Silberservice bekannte, woraus er die Generalität bewirtete. Was ist der Krämer dagegen, der mit Kaffee und Zucker hökert oder mit Mäusefallen, Puppen und Schwärmern hausiert!
Zur Zeit des Hanseatischen Bundes hatte das deutsche Handwerk eben die Ehre, die es noch in England hat. Noch in dem vorigen Jahrhundert ließen es sich die Vornehmsten einer Stadt gefallen, das Gilderecht anzunehmen; und Gelehrte machten sich sowohl eine Ehre als eine Pflicht daraus, Gildebrüder zu werden. Die fürstlichen Räte waren Zunftgenossen; und man hielt es vor keinen Widerspruch wie jetzt, zugleich ein guter Bürger und ein guter Kanzler zu sein. Es ist ein falscher Grundsatz gewesen, der hier eine Trennung gemacht hat. Sehr viele Streitigkeiten und unnötige Befreiungen würden ein Ende haben, wenn sie nie erfolgt wäre. Jedes Amt, das ein Bürger übernimmt, würdiget ihn in seiner Maße und erteilt ihm einige demselben angemessene persönliche Freiheiten. Es hindert ihn aber nicht, in allen übrigen der bürgerlichen Lasten und Vorteile teilhaftig zu bleiben.
Der Verfall der deutschen Handlung zog den Verfall des Handwerks nach sich. Der berühmte Reichsabschied, welcher die Handwerksmißbräuche heben sollte, in der Tat aber den Gilden einen Teil ihrer bis dahin gehabten Ehre raubte, kam hierzu. Und der Kaiser, der die Vereinigungen der Domkapitel und Ritterschaften wegen der Ahnenprobe bestätigte, fand es ungerecht, daß die Gilden nicht alle Söhne von Mutterleibe geboren in ihre Zunft aufnehmen wollten; gerade als ob es nicht die erste und feinste Regel der Staatsklugheit wäre, unterschiedene Klassen von Menschen zu haben, um jeden in seiner Art mit einem notdürftigen Anteil von Ehre aufmuntern zu können. In despotischen Staaten ist der Herr alles und der Rest Pöbel. Die glücklichste Verfassung geht vom Throne in sanften Stufen herunter, und jede Stufe hat einen Grad von Ehre, der ihr eigen bleibt, und die siebte hat sowohl ein Recht zu ihrer Erhaltung als die zweite. Diese Grundsätze hatte man bei dem Reichsabschiede ziemlich aus den Augen gesetzt; und die Wissenschaften, welche sich damals immer mehr und mehr ausbreiteten, erhoben den Mann, der von den Schuhen der Griechen und Römer schreiben konnte, über den Mann, der mit eigner Hand weit bessere machte.
Den letzten Stoß empfingen die Handwerke von den Fabriken. Die Franzosen, welche ihr Vaterland verlassen mußten, adelten diesen Namen. Fürsten und Grafen durften die Aufsicht über ihre Fabrikleute, welche vor ihre Rechnung arbeiteten, haben; aber wer ihnen deswegen den Titel eines Amtsmeisters hätte geben wollen, würde ihrer Ungnade nicht entgangen sein. Der Minister eines gewissen Herrn war ein Lederfabrikant, aber kein Lohgerber. Nach dem Plan der Neuen ist es besser, daß alle Bürger Gesellen und die Kammerräte Meister sein. Und die weitere Verachtung des Handwerks führet gerades Weges zu dieser türkischen Einrichtung.
Diesem Übel kann nicht vorgebogen werden, oder reiche Leute müssen Handwerker werden. Da der Gold- und Silberfabrikant, der Hut- und Strumpffabriqueur an vielen Orten in Palästen wohnet und alle der Vorzüge genießet, welche Erfahrung, Klugheit, Aufführung und Reichtum gewähren kann: warum sollte ein Meister Hutmacher und ein Meister Strumpfwirker, wenn er es so hoch als jene bringt, nicht eben das Ansehen erlangen können? Die Meisterschaft ist gewiß keine Unehre. Der Zar Peter der Große diente als Junge und Geselle und ward Schiffs-Zimmermeister. Der Krieg ward ehedem zunftmäßig erlernt. Einer mußte als Junge und Knape gedient haben, ehe er Ritter oder Meister werden konnte. Die zunftgerechte Krieger haben sich zuerst von dem gemeinen Landkrieger unterschieden, und das ist der erste Ursprung des Dienstadels gewesen. Noch jetzt ist im Militärstande ein Schatten dieser Verfassung übrig. Einer muß erst als Gemeiner gedienet haben, ehe er von Rechts wegen zum Grade eines Offiziers gelangen kann. Unter den Gemeinen finden sich oft sehr schlechte Leute, und man ist in neuern Zeiten, wo jeder gesunder Kerl willkommen ist, minder aufmerksam auf die Ehre der Rekruten. Allein, es ist darum kein Schimpf, als Gemeiner gedienet zu haben, ob man gleich wegen des letztern Umstandes schon anfängt, den Rekruten aus fürstlichem Geblüte höher andienen zu lassen, und überhaupt einen bedenklichen Eingang macht, jenes große Gesetz, dem sich nur Peter der Große unterwarf, allmählich in Vergessenheit zu bringen und damit die Ehre der Gemeinen, wovon doch der Geist des Regiments abhängt, zu vermindern.
Wenn es also an sich eine Ehre ist, zunftgerecht sein, und wenn sich sogleich ein Handwerk hebt, sobald es nur Leute treiben, die demselben den äußerlichen Glanz geben können: was hindert es denn, daß reiche Leute ihren Kindern ein Handwerk lernen lassen? Man denke nicht, die Ehre sei bloß eine notwendige Triebfeder des Militärstandes. Der geringste Bediente, der geringste Handwerker ohne Ehrgeiz ist insgemein ein schlechter Mensch.
Um aber dem Handwerke seine Ehre wiederzugeben, sollte man jede Zunft zum wenigsten doppelt einteilen. In England wie in Frankreich steht der handelnde Handwerker mit dem tagwerkenden (journeyman) nicht in einer Gilde, und überall werden Kaufleute von Krämern unterschieden.
Die Kaufleute machen billig die erste Klasse der Bürgerschaft aus. Niemand aber sollte zu dieser Klasse gehören, der nicht am Schluß des Jahrs bescheinigen könnte, daß er eine nach den Umständen jedes Orts abgemessene Quantität einheimischer Produkten und im Lande verfertigter Waren auswärts verkaufet habe. Nächst diesen könnten diejenigen, welche mit fremden Waren ins Große handeln, ihren Rang behalten.
Auf die Kaufleute aber sollten alle Handwerker in ihrer Ordnung folgen, welche ein bestimmtes Lager von ihrer Arbeit halten. Diesen mögten die Handwerker, welche auf Bestellung arbeiten oder Tagwerk machen und gar keinen Verlag haben, folgen. Die Kräamerei aber sollte die unterste Klasse von allen sein oder jedem Bürger offenstehen und folglich gar kein Gilderecht haben.
Denn was ist doch in aller Welt mancher Krämer? Ein Mann, der Tag und Nacht darauf denkt, neue Moden, neue Kleidungsarten und neue Reizungen vor den Geschmack einzuführen; ein Mann, der in der ganzen Welt herumlauscht, ob nicht irgendwo eine ärmere Nation sei, welche ein Stück Arbeit um etliche Pfennige wohlfeiler macht, und dann seinen Mitbürger, der unter mehrern Lasten und bei teurem Arbeitspreisen die seinige nicht gleich ebenso wohlfeil geben kann, ums Brod bringt; ein Mann, der jedem Handwerke mit klugem Fleiße nachstellet und, sobald es einigen Fortgang hat, sofort auf Mittel und Wege denkt, etwas Ähnliches oder etwas anders einzuführen, wodurch die einheimische Arbeit entbehret, gestürzet und der Vorteil in seine Hände gebracht werden kann. – Der allezeit fertige Einwurf, dessen sich Käufer und Verkäufer bedienen: Es wird auswärts wohlfeiler gemacht, sollte nicht leicht von einem jeden nach seinem Vorurteil gebraucht, sondern vom Polizeiamte beurteilet werden. Die holländischen Fabrikstoffen sind alle wohlfeiler als die französischen und diese oft glänzender und verführerischer als die englischen. Allein, Frankreich hält davor, und jeder kluger Mensch wird es dafürhalten, daß der Staat weniger leide, wenn fünf Taler an einen Einheimischen als drei an einen Fremden bezahlet werden. Die Ausflucht, daß die holländischen Stoffen wohlfeiler sein, bemächtiget den französischen Untertanen nicht, diese aus Holland kommen zu lassen; und der Engländer muß seine Butter mit 8, 12 bis 18 Mgr. das Pfund bezahlen, wenn er sie gleich aus Irland unter der Hälfte frei in sein Haus geliefert erhalten könnte. Was würde auch sonst aus einem verschuldeten Staate werden, wenn die Auflagen in demselben dies teurer und es dem Einheimischen unmöglich machten, gegen den Fremden zu gleichem Preise zu arbeiten? Unserm ehmaligen zärtlichen Landesvater Ernst August dem Andern kam jedes Lot Silber, das auf dem Hüggel hieselbst gegraben wurde, auf vier Gulden zu stehen; und er gewann seiner Großmut nach mehr dabei, als wenn er es vor einen Gulden hätte aus Amsterdam kommen lassen. Denn was konnte er mehr gewinnen als den Vorteil, armen Untertanen Brod zu geben?
Die Alten hatten zwei Wege, dem Eigensinn und der Überteurung der Handwerker zu wehren. Dieses war ein jährlicher freier Markt und die Freimeisterei. Das Große, das Überlegte, das Feine und das Nützliche, was in diesem ihren Plan steckt, verdient die Bewunderung aller Kenner und beschämt alle Wendungen der Neuern. Durch tausend Freimeister, welche in Hamburg auf einer ihnen angewiesenen Freiheit wohnen, entgeht dem Staate kein Pfennig; und die zunftmäßigen Handwerker werden durch sie in der Billigkeit erhalten. Allein, hundert Krämer, welche mit Ehren und Vorzügen dafür belohnet werden, daß sie fremde Fabriken zum Schaden der einheimischen Handwerker emporbringen, alles Geld aus dem Lande schicken und Kinder und Toren täglich in neue Versuchungen führen, hätten unsre Vorfahren nie geduldet. Ein Jahrmarkt dünkte ihnen genug zu sein, den Fremden auch etwas zuzuwenden und sowohl die zünftige als freie Meisterschaft in Schranken zu halten.
Und was soll man von der geringen Art Krämer sagen? Sollte es wohl der Mühe wert sein, ihnen Zunftrecht zu vergönnen? Sie müssen, sagen sie, sechs Jahre diese Handlung mühsam lernen und sich lange quälen, ehe sie zu der nötigen Wissenschaft gelangen. Allein diese Lehrjahre sind eigentlich bei der Kaufmannschaft und nicht bei der Krämerei ursprünglich hergebracht. Und was ist es nötig, dem jungen Burschen dasjenige mühsam lernen zu lassen, was jede Krämerin, wenn sie einen Monat in der Buden gewesen, insgemein besser als der ausgelernte Eheherr weiß? Ich sage wohlbedächtlich insgemein, denn es gibt auch große Krämer, welche ebensoviel Einsicht, Erfahrung und Handlungswissenschaft als der große Kaufmann gebrauchen. Dergleichen privilegierte Seelen rechne ich nie mit, wenn ich von dem großen Haufen spreche. Von diesem sage ich nur, daß er die öffentliche Aufmunterung nicht verdiene und daß die mit der Krämerei bis dahin verknüpft gewesene falsche Ehre die Anzahl der Krämer in vielen Städten unendlich vermehret, verschiedene Handwerker völlig verdrungen, andre bloß zum Pfuschen und alle übrigen um zwei Drittel heruntergebracht habe. Der schlechte Krämer sorgt nicht dafür, auch nur einen einheimischen Bürstenbinder emporzubringen, und läßt sogar die weiße Stärke, welche jede Hausmagd zu machen imstande ist und worauf gerade hundert von hundert zu gewinnen sind, aus Bremen kommen; so groß ist seine Wissenschaft und sein Patriotismus. Wie glücklich werden unsre Nachbaren, die Preußen, sein, wenn die mit einer weisen Hinsicht auf die Verdienste solcher Krämer gemachte Einrichtungen die Würkung haben, daß alle Handwerker sich wieder zu ihrem alten Flor erheben und alle solche Krämer zu Grabe begleiten.
Der handelnde Handwerker in England besitzt ganz andre Eigenschaften. Er lernt erst das Handwerk und dann den Handel. Die Gesellen eines handelnden Tischlers müssen fast ebenso vollkommene Buchhalter als manche Kaufleute sein. Der Meister greift keinen Hobel mehr an. Er sieht seine vierzig Gesellen den Tag über arbeiten, beurteilet dasjenige, was sie machen, verbessert ihre Fehler, zeigt ihnen Vorteile und Handgriffe, erfindet neue Werkzeuge, beachtet den Gang der Moden, besucht Leute von Geschmack oder geht zu Künstlern, deren Einsicht ihm dienen kann, und kömmt in seine Werkstatt zurück, wenn er im Parlament das Wohl von Ost- und Westindien mit entschieden oder auf der Börse seine Geschäfte verrichtet hat.
Wie unterschieden ist dieses Gemälde von unsern mehrsten deutschen Fabriken. Da nimmt ein großer Herr Leute an, welche sich ihm darbieten und ein hübsches Projekt ausgedacht haben. Der vornehme Stümper, der durch einen glücklichen Zufall ein gutes und patriotisches Herz empfangen hat, siehet es mit beiden Augen an, verliebt sich in die Hoffnung, sein Vaterland aufzuhelfen, überläßt sich dem schlauen Projektmacher, der nur nach seinem Beutel trachtet, und findet die erste Probe unverbesserlich. Sein Auge entdeckt ihm nichts an dem Stoffe, das ihm vorgelegt wird. Er weiß nicht, ob zu viel oder zu wenig Wolle, Zeit und Arbeit daran verwendet ist; er kennt keine Arbeit; hat kein Maß der Zeit; keine Hand zum Gefühl und keinen einzigen durch Erfahrung und Einsicht gestärkten Sinn, um eine Sache richtig und schnell zu beurteilen; und doch will er eine Fabrik regieren. Allein, was kommt am Ende heraus? Er freuet sich noch und ist längst betrogen – zur Strafe, daß er das Handwerk nicht ordentlich gelernet hat. Doch ich habe mich aus meinem Wege entfernt. Die Einteilung der Handwerker in handelnde und Tagwerker und die Erhebung der erstem zu dem Range wahrer Kaufleute sollte dienen, dem Reichen, der seinem Sohn ein Handwerk lernen lassen will, einen Prospekt zu geben, daß er sich keinesweges erniedrige, wann er diesen Schritt tut. Sein Sohn kann als handelnder Handwerker mit Recht zu eben der Ehre gelangen, wozu es der vornehmste Bankier (das Wort klingt), wenn er glücklich ist, bringen kann. Es ist nicht nötig, daß er ein Tagwerker bleibe; und verwünscht sei der faule Junge, wenn er reich und dumm ist und höchstens auf dem Faulbette aller Müßiggänger, der betretenen Mittelstraße, liegenbleibt.
Die Ehre, wozu es reicher Leute Kinder im Handwerke bringen können, ist gezeigt. Sollte es nötig sein, auch den Vorteil zu beweisen? Ich denke, er müsse einem jeden selbst einleuchten. Doch ein Exempel wird allemal noch gern angehört. Nicht leicht ist ein Ort zur Lohgerberei besser gelegen als die hiesige Stadt; und wenn wir wollen, so müssen alle Häute aus Ostfriesland sich zu uns ziehen. Das hiesige Lohgerberamt hat Proben seiner Erfahrung und Geschicklichkeit gegeben. Es ist stark und reich gewesen und noch jetzt in ziemlichem Ansehen, wiewohl es nach und nach immer mehr abnimmt, weil unsre Krämer sich ein Geschäfte daraus machen, allerlei fremdes Leder einzuführen, Worin steckt aber die Wahre Ursache des Verfalls? Darin, daß jeder Lohgerber nicht einige tausend Taler im Vermögen hat.
Von dem englischen Leder sagt man, daß sechs Jahre darüber hingehen, ehe eine rohe Haut gar und zeitig werde. Vielleicht ist hier etwas übertrieben. Aber wahrscheinlich ist es, daß alle Häute, wenn sie drei Jahre zu ihrer Gare und Reife haben, unendlich schöner, dauerhafter und edler werden, als sie im ersten und andern Jahre sind. Wenn nun unsre Lohgerber ein solches Kapital hätten, um alle Häute, welche jährlich in Ostfriesland und hiesigen Gegenden fallen, anzukaufen und solche die gehörige Zeit von Jahren Über reifen lassen zu können, würde sodenn nicht die hiesige Zubereitung der englischen und brabändischen gleich und der Vorteil soviel größer sein? Ein Lohgerber, der seine Felle unter zwölf Monaten losschlagen muß, gewinnet vielleicht kaum 4 p. C, und wer sie drei Jahre liegenlassen kann, nicht unter 30. Von denen, die ihm den größten Vorteil geben, wird er gesegnet, von dem Taglöhner hingegen, dem seine Schuh von halbgarem Leder im ersten Regen zerfließen, ohne Vorteil verdammet.
Ich betrachte die Sache jetzt nicht von ihrer edelsten Seite: sondern nur von derjenigen, welche auch dem gemeinsten Auge aufstößt. Sonst hat Rousseau bereits die Gründe gezeigt, warum ein jeder Mensch ein Handwerk lernen solle, damit er nicht nötig habe, fremdes Brod zu essen, wenn er eignes haben könnte. Man sähe diese wichtige Wahrheit ehedem nicht deutlicher ein als in der Türkei, wo der gefangene ungarische Magnat, weil er nichts gelernet hatte, vor dem Karren ging und der Handwerker seine Sklaverei so leidlich als möglich hatte. Wieviel Bedienungen und Stände sind nicht in der Welt, welche zwar einen Mann, aber nicht den sechsten Teil seines Tages erfordern. Was macht er mit den übrigen fünf Sechsteln? Er schläft und ißt und trinkt und spielt und gähnt und weiß nicht, was er mit seiner Zeit anfangen soll. Wie mancher Gelehrter wünschte sich, etwas arbeiten zu können, wobei er seinen Kopf und seine Augen minder anstrengen und ein Stück Brod im Schweiße seines Angesichts essen könnte, wofür jetzt seiner verstopften Galle oder seinem versäuerten Magen ekelt? In einem Lande, worin sich hunderttausend Menschen befinden, haben zehntausend gewiß, um nur wenig zu sagen, den halben Tag nichts zu tun. Man setze diesen halben Tag zu sechs Stunden: so werden alle Jahr an die zweiundzwanzig Millionen Stunden, und wenn man jede nur auf 1 Pfennig anschlägt, an die hunderttausend Taler verloren. Würde aber, wenn ein jeder ein Handwerk könnte, ihn seine Geschicklichkeit und der dem Menschen gegebene natürliche Trieb zur Arbeit nicht reizen, etwas mit seinen Händen zu schaffen? Jedoch diese Betrachtungen gehören eigentlich nicht zur Sache.
Eine sehr wichtige aber ist es, daß Ihro Königliche Hoheit, unser gnädigster Herr, dermaleinst aus einem Lande zu uns kommen werden, wo alle Handwerker zur größten Vollkommenheit gediehen sind. Es ist kein Zweifel,oder Höchstdieselbe werden wünschen, alles bei dero geliebten Untertanen zu finden und nichts in der Fremde suchen zu müssen. Die ersten Eindrücke, welche Höchstdieselbe von ihren zärtlichen und rechtschaffenen Eltern (der Glanz des Thrones darf niemanden hindern, diese Privattugenden an des Königs und der Königin Maj. Maj. zu bewundern) erhalten, sind die geheiligten Pflichten, welche ein Landesherr gegen sein Volk zu beobachten hat; und unter diese rechnet man nunmehr auch, daß ein Landesherr als Vater seinen Kindern das Brod nicht entziehe und es den Fremden gebe. Seine Königl. Hoheit werden diese geheiligte Wahrheit gewiß früh hören und gern ausüben. Wie aber, wenn unsre Handwerker alsdann nichts liefern können, was einen Herrn, der von seiner ersten Jugend an alles besser und vollkommener gesehen hat, mit Billigkeit befriedigen kann? Wenn der Schlosser ein Grobschmied, der Bildhauer ein Holzschuhmacher und der Maler ein Michelangelo della scopa ist? Wenn wir bei den dankbarsten Herzen uns mit unsern dummen Fingern hinter die Ohren kratzen müssen? oder dastehen wie der Junge des Hogarths, welchem die Pastete in den Fäusten bricht und die Brühe durch die Hosen fließt? Werden wir denn nicht mit Wahrscheinlichkeit sehen und mit Recht erleiden müssen, daß der Herr dasjenige, was er gebraucht, daher kommen lasse, wo die Eltern ihren Kindern das Handwerk besser lernen lassen? Wird nicht der ganze Hof dem Exempel des Herrn folgen? Und wird nicht das Exempel des Hofes alle Affen du bon ton mit Recht dahin reißen? Dann werden wir klagen und wie alle diejenigen, die ihre Schuld fühlen, ungerecht genug sein, über diejenige zu murren, die uns mit Recht verachten. Wir werden den besten Herrn nicht so lieben, wie er es verdient, und aus Scham zuletzt undankbar werden. Ihro Königliche Hoheit Ernst August der Andre hatten die Gnade, einige Handwerker reisen zu lassen. Man weiß, wie der Erfolg davon gewesen und wie weit der Schlösser, welcher sich diese Gnade recht zunutze machte, alles übertraf, was wir in der Art jemals gesehen hatten. Seine Geschicklichkeit hat andere gebildet, die ihn zwar nicht erreicht, sich aber merklich gebessert haben. Ihro Königliche Majestät von Großbritannien fordern die hiesigen Gilden auf und bieten den jungen Leuten, welche ein Handwerk gelernet haben und Genie zeigen, die Reisekosten und alle mögliche Beförderung an. Was können wir in der Welt mehr erwarten, und ist es nicht eine außerordentliche Vorsorge auf die künftigen Zeiten; daß diejenigen Knaben, welche sich jetzt zum Handwerke geben, gerade zu der Zeit, wann die Minderjährigkeit urtsers hoffnungsvollen Landesherrn ein Ende nimmt und unsre getreuesten Wünsche ihn zu uns führen worden, nicht bloß ausgelernte, sondern auch große Meister sein können? Machen wir uns nicht vorsätzlich alles des Unwillens, des Murrens und der Undankbarkeit schuldig, welche uns dereinst, wann wir als zunftmäßige Stümper den Fremden nachgesetzt werden, gewiß dahin reißen wird, im Fall wir uns nicht mit dankbarem Eifer bestreben, diese Gelegenheit mit beiden Händen zu ergreifen?
Was können also vernünftige und bemittelte Eltern besser tun, als ihren Kindern ein Handwerk lernen zu lassen? Mit der Krämerei wird es in zwanzig Jahren sehr betrübt aussehn, da sich alles in Krämer verwandelt und zuletzt einer den andern zugrunde richten muß. Es ist zuviel gefordert, daß einer bloß von der Kramerei leben will. Die Modenkrämer in der ganzen Welt wissen ihre Coeffüren, ihre Broderien und alle Arten Galanterien selbst zu machen. Die Tiroler arbeiten auf der Reise und machen in jeder müßigen Stunde die Ohrringe, die Halsgeschmeide, die Zitternadeln, die Bouquets, die Allongen und unzählige andere Dinge selbst, die sie verkaufen. Die Italiener machen überall Mausefallen, Barometer und Diaboli Cartesiani. Die Franzosen reiben wenigstens Tabak, um bei einem kleinen Handel die übrigen Stunden nützlich anzuwenden. Das geschieht, weil sie eine Kunst oder ein Handwerk zum Grunde ihrer Handlung gelegt haben. Bei uns hingegen ... O Scarron! Scarron! wo bleibt deine Perücke und was darunter saß?
Zur Urkunde der Wahrheit dessen, was oben angeführt, setzen wir folgendes Reskript hieher:
Wir Georg der Dritte von Gottes Gnaden König und Churfürst. Uns ist aus Eurem Berichte vom 11ten Febr. untertänigst vorgetragen worden, was maßen in der Stadt Osnabrück eben wie in andern Städten des Hochstifts die zur Aufnahme derselben vorzüglich dienenden Handwerke nach und nach in Abnahme und Verfall geraten sind.
Da Wir nun aus besondrer Gnade für die dortige Bürgerschaft Uns gnädigst entschlossen haben, die nötigsten und dienlichsten derselben bestens wiederherzustellen, insbesondere aber einige junge Leute, welche denenselben sich zu widmen gedenken und dazu eine vorzügliche Fähigkeit zeigen, nachdem sie sattsam vorbereitet und tüchtig befunden sein werden, auf ihren Reisen zu unterstützen und bei ihrer Wiederkunft auf alle tunliche Weise zu befördern:
So habet ihr dem dortigen Magistrat von dieser Unserer Absicht Eröffnung zu tun und von demselben weitere Vorschläge einzuziehen, auf was Art hierunter das vorgesetzte Ziel am besten erreichet werden könne. Wir etc.
St. James den 22. März 1766.
Selinde, wir wollen sie nur so nennen, ihr Taufname war sonst Gertrud, war die älteste Tochter redlicher Eltern und von Jugend auf dazu gewehnt worden, das Nötige und Nützliche allein schön und angenehm zu finden. Man erlaubte ihr jedoch, soviel möglich, alles Notwendige in seiner größten Vollkommenheit zu haben. Ihr Vater, ein Mann von vieler Erfahrung, hatte sie in Ansehung der Bücher auf ähnliche Grundsätze eingeschränkt. Die Wissenschaften, sagte er oft, gehören zum Üppigen der Seele; und in Haushaltungen oder Staaten, wo man noch mit dem Notwendigen genug zu tun hat, muß man die Kräfte der Seelen besser nützen. Selinde selbst schien von der Natur nach gleichen Regeln gebauet zu sein und alles Notwendige in der größten Vollkommenheit zu besitzen.
Die ganze Haushaltung bestand ebenso. Wo die Mutter von einer bessern Art Kühe oder Hühner hörte, da ruhete sie nicht eher, als bis sie daran kam. Man fand das schönste Gartengewächse nur bei Selinden. Ihre Rüben gingen den märkischen weit vor; und der Bischof hatte keine andre Butter auf seiner Tafel, als die von ihrer Hand gemacht war. Was man von ihrer Kleidung sehen konnte, war klares oder dichtes Linnen, ungestickt und unbesetzt, jedoch so nett von ihr gesäumt, daß man in jedem Stiche eine Grazie versteckt zu sein glaubte. Das einzige, was man an ihr Überflüssiges bemerkte, war ein Heideblümgen in den lichtbraunen Locken. Sie pflegte aber diesen Staat damit zu entschuldigen, daß es der einzige wäre, welchen sie jemals zu machen gedächte; und man konnte denselben um so viel eher gelten lassen, weil sie die Kunst verstand, diese Blumen so zu trocknen, daß sie im Winter nichts von ihrer Schönheit verloren.
In ihrem Hause war eingangs zur rechten Hand ein Saal oder eine Stube, welches man so genau nicht unterscheiden konnte. Vermutlich war es ehedem ein Saal gewesen. Jetzt ward es zur Spinnstube gebraucht, nachdem Selinde ein helles, geräumiges und reinliches Zimmer mit zu den ersten Bedürfnissen ihres Lebens rechnete. Aus derselben ging ein Fenster auf den Hühnerplatz, ein anders auf den Platz vor der Tür und ein drittes in die Küche, der Kellertür gerade gegenüber. Hier hatte Selinde manchen Tag ihres Lebens arbeitsam und vergnügt zugebracht, indem sie auf einem dreibeinichten Stuhle (denn einen solchen zog sie dem vierbeinichten vor, weil sie sich auf demselben ohne aufzustehen und ohne alles Geräusch auf das geschwindeste herumdrehen konnte) mit dem einen Fuße das Spinnrad und mit dem andern die Wiege in Bewegung erhalten, mit einer Hand den Faden und mit der andern ihr Buch regiert und die Augen bald in der Küche und vor der Kellertür, bald aber auf dem Hühnerplatze oder vor der Haustür gehabt hatte. Oft hatte sie auch zugleich auf ihre Mutter im Kindbette achtgehabt und die spielenden Geschwister mit einem freudigen Liede ermuntert. Denn das Kindbette ward dero Zeit noch in einem Durtich (dortoir) gehalten, wovon die Staatsseite in die Spinnstube ging und mit schönem Holzwerk, welches Pannel hieß, nun aber minder glücklich boiserie genannt wird, gezieret war. Desgleichen hatten die Eltern ihre Kinder noch mit sich in der Wohnstube, um selbst ein wachsames Auge auf sie zu haben. Über dem Durtich war der Hauptschrank, worin die Briefschaften, die Becher und andre Erbschaftsstücke verwahret waren; und auch diesen hatte Selinde zugleich vor Dieben bewahrt. Wann die langen Winterabende herankamen, ließ sie die Hausmägde, welche sich daher ebenfalls, überaus reinlich halten mußten, mit ihren Rädern in die Spinnstube kommen. Man sprach sodann von allem, was den Tag über im Hause geschehen war, wie es im Stalle und im Felde stünde und was des andern Tages vorzunehmen sein würde. Die Mutter erzählte ihnen auch wohl eine lehrreiche und lustige Geschichte, wenn sie haspelte. Die kleinen Kinder liefen von einem Schoße zum andern, und der Vater genoß des Vergnügens, welches Ordnung und Arbeit gewähren, mittlerweile er seine Hände bei einem Fisch- oder Vogelgarn beschäftigte und seine Kinder durch Fragen und Rätsel unterrichtete. Bisweilen ward auch gesungen, und die Räder vertraten die Stelle des Basses. Um alles mit wenigem zu sagen: so waren alle notwendige Verrichtungen in dieser Haushaltung so verknüpft, daß sie mit dem mindesten Zeitverlust, mit der möglichsten Ersparung überflüssiger Hände und mit der größten Ordnung geschehen konnten; und die Spinnstube war in ihrer Anlage so vollkommen, daß man durch dieselbe auf einmal so viele Absichten erreichte, als möglicher Weise erreichet werden könnten. Nicht weit von dieser glücklichen Familie lebte Arist, der einzige Sohn seiner Eltern und der frühe Erbe eines ziemlichen Vermögens. Als ein Knabe und hübscher Junge war er oft zu Selinden in die Spinnstube gekommen und hatte manche schöne Birn darin gegessen, welche sie ihm geschälet hatte. Nach seiner Eltern Tode aber war er auf Reisen gegangen und hatte die große Welt in ihrer ganzen Pracht betrachtet. Er verstand die Baukunst, hatte Geschmack und einen natürlichen Hang zum Überflüssigen, welchen er in seiner ersten Jugend nicht verbergen konnte, da er schon nicht anders als mit einem Federhute nach der Kirchen gehen wollte. Man wird daher leicht schließen, daß er bei seiner Wiederkunft, jene eingeschränkte Wirtschaft nicht von ihrer besten Seite betrachtet und die Spinnstube seiner Mutter in einen Vorsaal verändert habe. Jedoch war er nichts weniger als verderbt. Er war ein billiger und vernünftiger Mann geworden, und sein einziger Fehler schien zu sein, daß er die edle Einfalt als etwas Niedriges betrachtete und sich eines braunen Tuchs schämte, wenn andre in goldgesticktem Scharlach über ihn triumphierten.
Seine Eltern hatten seine frühe Neigung zu Selinden gern gesehen, und die ihrigen wünschten ebenfalls eine Verbindung, welche allen Teilen eine Vollkommene Zufriedenheit versprach. Seinen Wünschen setzte sich also nichts entgegen; und so viele Schönheiten als er auch auswärts gesehen hatte, so war ihm doch nichts vorgekommen, welches ihre Reizungen übertroffen hätte. Er widerstand daher nicht lange ihrem mächtigen Eindruck, und der Tag zur Hochzeit ward von den Eltern mit derjenigen Zufriedenheit angesetzt, welche eine ausgesuchte Ehe unter wohlgeratenen Kindern insgemein zu machen pfleget. Allein, sooft Arist seine Braut besuchte, fand er sie in der Spinnstube, und er mußte manchen Abend die Freude, seine Geliebte zu sehen, mit dem Verdruß, zwischen Rädern und Kindern zu sitzen, erkaufen.
Er konnte sich endlich nicht enthalten, einige satirische Züge gegen diese altväterische Gewohnheit auszulassen. »Ist es möglich«, sagte er einsmal gegen den Vater, »daß Sie unter diesem Gesumse, unter dem Geplauder der Mägde und unter dem Lärm der Kinder so manchen schönen Abend hinbringen können? In der ganzen übrigen Welt ist man von der alten deutschen Gewohnheit, mit seinem Gesinde in einem Rauche zu leben, zurückgekommen, und die Kinder können unmöglich edle Gesinnungen bekommen, wenn sie sich mit den Mägden herumzerren. Ihre Denkungsart muß notwendig schlecht und ihre Aufführung nicht besser geraten. Überall, wo ich in der Welt gewesen, haben, die Bediente ihre eigne Stube; die Mägde haben die ihrige besonders; die Kammerjungfer sitzt allein; die Töchter sind bei der Französin, die Knaben bei dem Hofmeister; der Herr vom Haus wohnt in einem und die Frau im andern Flügel. Bloß der Eßsaal nebst einigen Vorzimmern dienen zu gewissen Zeiten des Tages, um sich darin zu sehen und zu versammlen. Und wenn ich meine Haushaltung anfange, so soll die Spinnstube gewiß nicht im Corps de logis wieder angelegt werden.«
»Mein lieber Arist«, war des Vaters Antwort, »ich habe auch die Welt gesehen und nach einer langen Erfahrung gefunden, daß Langeweile unser größter Feind und eine nützliche Arbeit unsre dauerhafteste Freundin sei. Da ich auf das Land zurückkam, überlegte ich lange, wie ich mit meiner Familie meine Zeit vor mich ruhig und vergnügt hinbringen wollte. Die Sommertage machten mich nicht verlegen. Allein die Winterabende fielen mir desto länger. Ich fing an zu lesen, und meine Frau nähete. Im Anfang ging alles gut. Bald aber wollten unsre Augen diese Anstrengung nicht aushalten, und wir kamen oft zu dem Schlusse, daß das Spinnen die einzige Arbeit sei, welche ein Mensch bis ins höchste Alter ohne Nachteil seiner Gesundheit aushalten könnte. Meine Frau entschloß sich also dazu; und nach und nach kamen wir zu dem Plan, welcher Ihnen so sehr mißfällt. Dies ist die natürliche Geschichte unsers Verfahrens. Nun lassen sie uns auch Ihre Einwürfe als Philosophen betrachten.
In meiner Jugend diente ich unter dem General Montecuculi. Wie oft habe ich diesen Helden in regnichten Nächten auf den Vorposten sich an ein schlechtes Wachfeuer niedersetzen, aus einer versauerten Flasche mit den Soldaten trinken und ein Stück Kommißbrod essen sehen? Wie gern unterredete er sich mit jedem Gemeinen? Wie aufmerksam hörte er oft von ihnen Wahrheiten, welche ihm von keinen Adjutanten hinterbracht wurden? Und wie groß dünkte er sich nicht, wenn er in der Brust eines jeden Gemeinen Mut, Gedult und Vertrauen erwecket hatte? Was dort der Feldherr tat, das tue ich in meiner Haushaltung. Im Kriege sind einige Augenblicke groß; in der Haushaltung alle, und es muß keiner verloren werden. Sollte nun aber wohl dasjenige, was den Helden größer macht, den Landbauer beschimpfen können? Ist der Ackerbau minder edel als das Kriegeshandwerk? Und sollte es vornehmer sein, sein Leben zu vermieten, als sein eigner Herr zu sein und dem Staate ohne Sold zu dienen? Warum sollte ich also nicht mit meinem Gesinde wie Montecuculi mit seinen Soldaten umgehen?
Ein gesunder und reinlicher Mensch hat von der Natur ein Recht, ein starkes Recht, uns zu gefallen. Der Ehrgeizige braucht ihn; die Wollust sucht ihn; und der Geiz verspricht sich alles von seinen Kräften. Ich habe allzeit gesundes und reinliches Gesinde; und bei der Ordnung, welche wir in allen Stücken halten, fällt es uns nicht schwer, es wohl zu ernähren und gut zu kleiden. Das Kleid macht nicht bloß den Staatsmann; es macht auch eine gute Hausmagd; und es kann Ihnen, mein lieber Arist, nicht unbemerkt geblieben sein, daß der Zuschnitt ihrer Mützen und Wämser ihnen eine vorzügliche Leichtigkeit, Munterkeit und Achtsamkeit gebe. Ich erniedrige mich nicht zu ihnen; ich erhebe sie' zu mir. Durch die Achtung, welche ich ihnen bezeige, gebe ich ihnen eine Würde, welche sie auch im Verborgnen zur Rechtschaffenheit leitet. Und diese Würde, dieses Gefühl der Ehre dienet mir besser als andern die Furcht vor dem Zuchthause. Wenn sie des Abends zu uns in die Stube gelassen werden, haben sie Gelegenheit, manche gute Lehre im Vertrauen zu hören, welche sich nicht so gut in ihr Herz prägen würde, wenn ich sie ihnen als Herr im Vorübergehen mit einer ernsthaften Miene sagte. Durch unser Betragen gegen sie sind sie versichert, daß wir es wohl mit ihnen meinen, und sie müßten sehr unempfindliche Geschöpfe sein, wenn sie sich nicht darnach besserten. Ich habe zugleich Gelegenheit, ohne von meiner Arbeit aufzustehen und meine Zeit zu verlieren, von ihnen Rechenschaft wegen ihrer Tagesarbeit zu fordern und ihnen Vorschriften auf den künftigen Morgen zu geben. Meine Kinder hören zugleich, wie der Haushalt geführet und jedes Ding in demselben angegriffen werden muß. Sie lernen, gute Herrn und Frauen zu werden. Sie gewöhnen sich zu der notwendigen Achtsamkeit auf Kleinigkeiten; und ihr Herz erweitert sich bei Zeiten zu den christlichen Pflichten im niedrigen Leben, wozu sich andre sonst mehr aus Stolz als aus Religion herablassen. Ordentlicher Weise aber lasse ich meine Kinder mit dem Gesinde nicht allein. Wenn es aber von ungefähr geschieht: so habe ich weniger zu fürchten als andre, deren Kinder mit einem verachteten Gesinde verstohlne Zusammenkünfte halten. Ich muß aber dabei bemerken, daß ich meine Kinder hauptsächlich zur Landwirtschaft und zu derjenigen Vernunft erziehe, welche die Erfahrung mit sich bringt. Von gelehrten Hofemeistern lernen tausend die Kunst, nach einem Modell zu denken und zu handlen. Aufmerksamkeit und Erfahrung aber bringen nützliche Originale oder doch brauchbare Kopien hervor.« Arist schien mit einiger Ungedult das Ende dieser langen Rede zu erwarten, und vielleicht hätte er Selindens Vater in manchen Stellen unterbrochen, wenn der Ernst, womit diese ihrem Vater zuhörte, ihn nicht behutsam gemacht hätte. »Es ist einem jeden nicht gegeben«, fiel er jedoch hier ein, »sich mit seinem Gesinde so gemein zu machen; und ich glaube, man tut allezeit am besten, wenn man sie in gehöriger Ehrfurcht und Entfernung hält. Alle Menschen sind zwar von Natur einander gleich. Allein, unsre Umstände wollen doch einigen Unterschied haben; und es ist nicht übel, solchen durch gewisse äußerliche Zeichen in der Einbildung der Menschen zu unterhalten. Mit eben den Gründen, womit Sie mir die Spinnstube anpreisen, könnte ich Ihnen die Dorf schenke rühmen. Und vielleicht bewiese ich Ihnen aus der Geschichte des vorigen Jahrhunderts, daß verschiedene Kaiser und Könige, wenn ihnen die allezeit in einerlei Gemütsuniforme erscheinende Hofleute Langem weile verursachet, sich oft in einem Baurenhause gelabet und ihren getreuesten Untertanen unerkannter Weise zugetrunken haben.«
»Und Sie wollten dieses verwerfen?« versetzte Selindes Vater mit einem edlen Unmute. »Sie wollten eine Handlung lächerlich machen, welche ich vor die gnädigste des Königs halte? Kommen Sie«, fuhr er fort, »ich habe hier noch ein Buch, welches ich oft lese. Dieses ist Homer. Hier hören Sie (und in dem Augenblick las er die erste Stelle, so ihm in die Hand fiel): ,Der alte Nestor zitterte ein wenig, aber Hektar kehrte sich an nichts,' Welch eine natürliche Schilderung!« rief er aus. »Wie' sanft, wie lieblich, wie fließend ist diese Schattierung in Vergleichung solcher Gemälde, worauf der Held in einem einfarbigen Purpur steht, den Himmel über sich einstürzen sieht und den Kopf an einer poetischen Stange unerschrocken in die Höhe hält? Wodurch war aber Homer ein solcher Maler geworden? Wahrlich nicht dadurch, daß er alles in einen prächtigen, aber einförmigen Modeton gestimmt und sich in eine einzige Art von Nasen verliebt! Nein, er hatte zu seiner Zeit die Natur überall, wo er sie angetroffen, studiert. Er war auch unterweilen in die Dorfschenke gegangen, und der schönste Ton seines ganzen Werks ist dieser, daß er die Mannigfaltigkeit der Natur in ihrer wirklichen und wahren Größe schildert und durch übertriebene Vergrößerungen oder Verschwörungen sich nicht in Gefahr setzt, statt hundert Helden nur einen zu behalten. Er ließ der Helene ihre stumpfe Nase, ohne ihr den schönen Hügel darauf zu setzen; und Penelopen ließ er in der Spinnstube die Aufwartung ihrer Liebhaber empfangen.«
Arist wollte eben von dem Durtich sprechen, welcher beim Homer wie ein Vogelbauer in die Höhe gezogen wird, damit die darin schlafende Prinzen nicht von den Ratzen oder andern giftigen Tieren angegriffen würden. Allein, der Alte ließ ihn nicht zu Worte kommen und sagte nur noch: »Ich weiß wohl, die veredelten, verschönerten, erhabenen und verwehnten Köpfe unser heutigen Welt lachen über dergleichen Gemälde. Allein, mein Trost ist: Homer wird in England, wo man die wahre Natur liebt und ihr in jedem Stande Gerechtigkeit widerfahren läßt, mehr gelesen und bewundert als in dem ganzen übrigen Teile von Europa; und es gereicht uns nicht zur Ehre, wenn wir mit dem niedrigsten Stande nicht umgehen können, ohne unsre Würde zu verlieren. Es gibt Herrn, welche in einer Dorfschenke am Feuer mit vernünftigen Landleuten, die das Ihrige nicht aus der Encyclopädie, sondern aus Erfahrung wissen und aus eignem Verstände wie aus offnem Herzen reden, allezeit größer sein werden als orientalische Prinzen, die, um nicht klein zu scheinen, sich einschließen müssen. Wenn wir dächten, wie wir denken sollten: so müßte uns der Umgang mit ländlichen, unverdorbenen und unverstelleten Originalen ein weit angenehmer Schauspiel geben als die Bühne, worauf einige abgerichtete Personen ein auswendig gelerntes Stück in einem geborgten Affekte daherschwatzen.«
Wie Selinde merkte, daß ihr Vater eine Wahrheit, welche er zu stark fühlte, nicht mehr mit der ihm sonst eignen Gelassenheit ausdrückte, unterbrach sie ihn damit, daß sie sagte: sie würde sichs von Aristen als die erste Gefälligkeit ausbitten, daß er seiner Mutter Spinnstube wieder in den vorigen Stand setzen ließe. Und sie begleitete diese ihre Bitte mit einem so sanften Blicke, daß er auf einmal die Satire vergaß und ihr unter einer einzigen Bedingung den vollkommensten Gehorsam versprach. Selinde wollte zwar anfangs keine Bedingung gelten lassen. Doch sagte sie endlich: »Die Bedingungen eines geliebten Freundes können nichts Widriges haben, und ich weiß zum voraus, daß sie zu unserm gemeinschaftlichen Vergnügen sein werden.« Arist erklärte sich also, und es ward von allen Seiten gutgefunden, daß Selinde ein Jahr nach ihres Mannes Phantasie leben und alsdann dasjenige geschehen sollte, was sie beiderseits wünschen würden. Jeder Teil hoffte, in dieser Zeit den andern auf seine Seite zu ziehen.