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Daniel Kupper

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Beschreibung

Paul Klee hat in seinem Werk eine vollkommen neue Bild- und Formensprache entwickelt, die nicht mehr direkt aus der sichtbaren Welt abgeleitet ist, sondern bei den Urformen wie Punkt, Linie und Fläche beginnt und in eine autonome künstlerische Wirklichkeit führt. Damit gelang ihm ein Durchbruch zur Moderne, dessen Wirkung bis heute anhält. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Daniel Kupper

Paul Klee

Über dieses Buch

Paul Klee (1879–1940) hat in seinem Werk eine vollkommen neue Bild- und Formensprache entwickelt, die nicht mehr direkt aus der sichtbaren Welt abgeleitet ist, sondern bei den Urformen wie Punkt, Linie und Fläche beginnt und in eine autonome künstlerische Wirklichkeit führt. Damit gelang ihm ein Durchbruch zur Moderne, dessen Wirkung bis heute anhält.

 

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Daniel Kupper, 1956–2011, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Medienwissenschaften; Promotion 1988. Autor der Monographien über Anselm Feuerbach (1993, rm 50499), Michelangelo (2004, rm 50657), Leonardo da Vinci (2007, rm 50689) und Paul Klee (2011, rm 50690). Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts.

Für Anna und Kristina

Paul Klee:Tradition und Internationalität

«Did you Klee?»,

«Oh, not yet. I am just with Matisse.»

(Karl Hofer)

Paul Klee gehört nicht nur zu den bedeutendsten deutschen Malern und Zeichnern des frühen 20. Jahrhunderts, er zählt auch zu den wichtigsten und einflussreichsten europäischen Künstlern der Moderne. Schon ein kurzer Blick auf die Ausstellungen, in denen er allein oder in thematischer Gemeinschaft mit anderen Künstlern bereits zu seinen Lebzeiten vertreten war, belegt seinen Rang. Besonders aufschlussreich sind die Ausstellungsorte als Zeichen internationaler Rezeption seiner Werke. Schon im Jahr 1924 war er mit 26 Arbeiten in der New Yorker Société Anonyme vertreten. Nach Ausstellungen in Paris, Prag, Brüssel und Berlin dürfte die Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art 1930 den großen Durchbruch bedeuten. Hier war er mit 63 Werken und einem eigenen Katalog vertreten; Rezensionen in der amerikanischen Fachpresse sorgten für Aufmerksamkeit.

Dass Paul Klee überhaupt internationale Beachtung erfuhr, hat zum einen seinen Grund darin, dass sich insbesondere die amerikanische Kunst nach 1900 aus ihrer Provinzialität zu lösen begann und europäische Kunsthändler – Alfred Flechtheim, vor allem aber Israel Ber Neumann, Karl Nierendorf und Curt Valentin –, auch Künstler wie Marcel Duchamp den sich rasch zu einem Zentrum entwickelnden New Yorker Kunstmarkt für Europa erobern wollten. Andererseits stieg dort das Interesse an der europäischen Avantgarde sprunghaft an. Ein erstes wichtiges Ereignis war die gigantische New Yorker «Armory Show» vom 17. Februar bis 15. März 1913, bei der die gesamte europäische Avantgarde bis hin zu Georges Braque, Pablo Picasso, Marcel Duchamp, Piet Mondrian, Kasimir Malewitsch und Wassily Kandinsky vertreten war. Die europäische Kunst hat Amerika nicht erst durch die Emigration vieler bedeutender Künstler während der Herrschaft der Nazis beeinflusst, sondern bereits wesentlich früher. So charakterisiert das Frühwerk Mark Rothkos eine permanente Auseinandersetzung mit der europäischen Kunstgeschichte, und der Durchbruch des Abstrakten Expressionismus in den 1950er Jahren resultiert aus der Überwindung des durch die Kubisten entfalteten künstlerischen Paradigmas, das am Ende einer langen Tradition seit der Kunst der Renaissance stand.

Ein weiterer Höhepunkt war die Eröffnung des bereits erwähnten Museum of Modern Art im Jahr 1929, das nur ein Jahr später Klees fünfzigsten Geburtstag feierte. Allerdings konnte er keine direkten Verkäufe verbuchen, auf die er mehr Wert legte als auf schöne Worte in einer Rezension: Aus New-York sind in der Ausstellung keine Verkäufe gemeldet; […] Alfred [Flechtheim] wird im Stillen weinen (zu Ostern!). Was bin ich nun lieber: Internationaler ohne, oder ein Stadtmaler mit Geld? […] Monsieur Clée danct four cheune Worté in ‹Journal de Genève›.[1]

Spätestens von diesem Zeitpunkt an gehörte Klee zu den Großen in der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das «Phänomen Paul Klee» war zu einem internationalen der westlichen Hemisphäre geworden. Einen Kulminationspunkt bildete Will Grohmanns 1954 veröffentlichte Monographie, deren Entstehung bis in die frühen 1930er Jahre zurückreicht und die in vielen Teilen mit Klee abgesprochen war. Darin bestätigte der mit Klee befreundete Grohmann die vom verehrten Künstler selbst formulierte und aus der älteren Kunstgeschichte entlehnte Analogie von Schöpfungsgeschichte und Kunstschöpfung.[2] Klee wurde zu einem «Gott» und sein Werk zu einem «Universum» (ein Vergleich, den die Kuratoren der großen Klee-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie Berlin 2008/09 im Titel zitierten; «L’univers de Klee» lautete auch schon der Titel der Klee-Ausstellung der Galerie Berggruen in Paris 1955).

Bis in die späten 1970er Jahre dauerte diese Überhöhung Klees in der Rezeption. Sie beruhte nicht auf einer Analyse des Werks und des umfangreichen Quellenmaterials, sondern zum einen auf der unkritischen Übernahme der Selbststilisierungen des Künstlers und zum anderen auf seiner Geltung als einer der wichtigsten avantgardistischen Künstler des deutschsprachigen Raums, der die Vormacht des Kubismus überwand, seine Wurzeln aber in der Malereitraditon des 19. Jahrhunderts hatte. Er gehörte neben Franz Marc, August Macke und Kandinsky zu den wichtigsten Wegbereitern der deutschen Moderne. Als nach der Tragödie des «Dritten Reichs», in dem Klees Kunst verfemt war und er in die Schweiz emigrierte, die zweite Welle der Abstraktion in Deutschland einsetzte (angestoßen durch den amerikanischen Abstrakten Expressionismus), konnte Klee als einer der Vertreter des «Geistigen in der Kunst» zu einem der bedeutendsten Ahnherrn dieser Moderne gemacht werden, weil er mit seiner Gratwanderung zwischen den in dieser Zeit extrem polarisierten Darstellungsformen und Begriffen wie «Figuration – Abstraktion» dem Zeitgeist entsprach. Zu Recht beklagte ein Künstler wie Karl Hofer, der in der Tradition der Deutsch-Römer wurzelte, dass die Internationalisierung der deutschen Kunst zur absoluten Vorherrschaft der Abstraktion geführt habe und jede weitere Gestaltung des Menschenbilds durch den Missbrauch der Nazis diskreditiert worden sei. «Denn die abstrakte Kunst ist die demokratische Kunst.»[3] Diese Polarisierung war 1950 Thema im «Darmstädter Gespräch – Das Menschenbild unserer Zeit», bei dem die eine Seite den «Verlust der Mitte» (Hans Sedlmayr) beklagte und die andere die «Kunst der Gegenwart» (Willi Baumeister) verteidigte. Diese Polarisierung von gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst wirkte bis in die Werke so bedeutender Nachkriegskünstler wie Markus Lüpertz und Georg Baselitz hinein; gleichzeitig entwickelte sich ein provokanter Umgang mit deutscher Tradition, der dann in den Streit zwischen Anselm Kiefer und dem amerikanischen Minimalisten Donald Judd in den 1980er Jahren mündete.

Als sich Ende der 1960er Jahre der Zeitgeist änderte, mancher von einer «Diktatur der Abstraktion» zu sprechen begann und die abstrakte Malerei nur noch die Wände der Hochhäuser des Kapitalismus zu zieren schien, mehrten sich die Stimmen, die eine Revision des bis dahin gültigen Wertekanons forderten. An der Klee-Rezeption kritisierte man, dass die Umrisse seiner Persönlichkeit und ihr historisches Umfeld viel zu unscharf geblieben seien und der unkritische Geniekult sowie der undistanzierte Umgang mit seinem Werk dies eher unzugänglich gemacht hätten: «Eine grundlegende Neubewertung Klees aus wissenschaftlicher Perspektive setzte 1979 anlässlich seines hundertsten Geburtstags ein. Das Jubiläum wurde weniger als ein weiterer Schritt zur Heiligsprechung Klees genutzt, sondern als Auftakt zur Revision seiner bisherigen Wirkungsgeschichte und der kunsthistorischen Aufarbeitung seiner Person und seines Werkes. Die historische Person Paul Klee war in der zweckgerichteten Rezeption der 1950er und 1960er Jahre und der liebevollen Umarmung durch das Publikum bis dahin […] eine ‹undeutliche Figur› geblieben.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Klees komplexem Werk nahm in der Folge außergewöhnliche Ausmaße an, und es gibt vielleicht keinen Künstler der Moderne, der in einem solchen Umfang erschlossen wurde und bis heute wird. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war, dass sich in Klees Heimatstadt Bern auf der Grundlage der Nachlassstiftung ein wissenschaftliches Forschungsinstitut gebildet hatte, das seit Anfang der 1970er Jahre zu einem hochdifferenzierten Spezialarchiv ausgebaut wurde. Dort wurde Klees Werkverzeichnis erarbeitet, das alle seine nahezu 9500 Werke erfasst, und eine Dokumentation angelegt, die Forschern, Publizisten, Künstlern und Ausstellungsmachern zur Verfügung steht.»[4]

Zu dem gigantischen künstlerischen Werk kommt noch der Tausende Seiten umfassende schriftliche Nachlass aus Briefen, Tagebuchnotizen und insbesondere aus den in der zehnjährigen Bauhaus-Zeit entstandenen theoretischen und pädagogischen Schriften. Auswertung, Analyse und wissenschaftliche Aufbereitung des Gesamtwerks Paul Klees – im Zentrum der Forschung steht hier das erwähnte Institut in Bern – sind längst noch nicht abgeschlossen, und es sind immer wieder neue Entdeckungen zu erwarten.

 

Diese Monographie hat sich die Aufgabe gestellt, Leben und Werk vor dem Hintergrund der Klee-Revision und des aktuellen Forschungsstands neu darzustellen. Der beschränkte Rahmen hat zu einer sehr straffen Auswahl der besprochenen Werke geführt. Das ist bei Klees Kunst besonders problematisch: Innerhalb seines Œuvres ist die Themenvielfalt so groß, dass man Hunderte von Werken besprechen und analysieren könnte, ohne entscheiden zu können, welche denn nun die Hauptwerke seien. Besonderes Augenmerk wurde deshalb darauf gerichtet, eine möglichst ausgewogene Mischung zwischen einer neuen Sicht auf allgemein bekannte Werke und neuen thematischen Aspekten zu erreichen. Das gehört generell zum historischen Wandel in der Kunstwissenschaft. Bei Klee kommt aber eine Besonderheit ins Spiel: Die Mehrdeutigkeit ist ein wichtiger und von ihm bewusst eingesetzter Bestandteil seiner Kunst. Verschiedene Interpreten können deshalb zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, ohne dass sich diese widersprechen oder widerlegen lassen müssen.

Das gilt auch hier: Einige Werke, darunter so bedeutende wie ad marginem (1930) und Insula dulcamara (1940) werden neu und anders als bisher interpretiert. Vor allem aber sollte Klee selbst aus den umfangreichen Briefen, Tagebüchern und theoretischen Schriften zu Wort kommen. Wo Klee allzu stilisierend sein Leben und Werk betrachtet – das ist besonders in den Tagebüchern der Fall –, wurde Distanz hergestellt. Genauso wichtig ist es, den Meister nicht nur in den künstlerischen Zusammenhängen, sondern auch in den historischen zu betrachten. Denn nach Goethes Diktum kann der Zeitpunkt der Geburt von geradezu schicksalhafter Bedeutung sein – im guten wie im schlechten Sinne. Dass die Biographie eines Künstlers stark von politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst wird, lässt sich am Fall Klee beispielhaft darstellen, dem die Nazis, wie vielen anderen deutschen Künstlern auch, von heute auf morgen die gesellschaftliche Stellung aberkannten und die künstlerische Heimat entzogen. Klee zeigte sich nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler vollkommen illusionslos.[5]

Neben diesem für Klee zweifellos einschneidenden Erlebnis muss erwähnt werden, dass eine ausgewogene Darstellung von Leben und Werk in seinem Fall besonders schwierig ist. Denn im Gegensatz zu anderen großen Künstlern (man denke nur an das bewegte Leben Michelangelo Buonarrotis oder das Drama der Biographie Vincent van Goghs) bietet die Biographie Klees nichts, was die Phantasie eines Romanautors anregen könnte. Von einigen Ausnahmen abgesehen (erotische Erlebnisse in der frühen Zeit, die Tragödie seiner Erkrankung), verlief sein Leben ohne Sensationen und besondere Ereignisse, mit deren Schilderung diese Monographie kurzweiliger ausgefallen wäre.

Obwohl die Person Klee und sein Werk in der heutigen Zeit der Revisionen nicht mehr verklärt werden und man ohne die «liebevolle Umarmung» zu einer sachlicheren Deutung von Leben und Werk gelangt ist, wird das Ziel der vorliegenden Darstellung sein, das hervorzuheben, was die einzigartige Bedeutung Klees für die Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausmacht.

Kindheit, Jugend und Ausbildung

Paul Klee wurde am 18. Dezember 1879 in Münchenbuchsee bei Bern geboren. Er war das zweite Kind des aus Thüringen stammenden Musiklehrers Hans Klee (1849–1940) und der Sängerin Ida Frick (1855–1921). Seine Schwester Mathilde (1876–1953) war drei Jahre älter. Da seine Mutter Schweizerin, der Vater jedoch Deutscher war, erhielt Paul Klee auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Er war ein Jahr alt, als die Familie nach Bern zog und dort mehrmals die Wohnung wechselte. Im Jahr 1897 erfolgte der Umzug in ein eigenes kleines Haus mit Garten im Obstbergweg 6 am Stadtrand von Bern.

Klees Mutter wurde im französischen Besançon geboren und wuchs dort auf. Sie sollte in Stuttgart zur Sängerin ausgebildet werden, dort lernte sie ihren Mann Hans kennen.[6] Es wird vermutet, dass ihre verwandtschaftlichen Beziehungen über Südfrankreich hinaus bis nach Nordafrika reichten. Einige Interpreten leiteten daraus die äußere Erscheinung und die Affinität Klees zum Orient ab.[7]

Klees Tagebücher und seine Erinnerungen an die Kindheit lassen vermuten, dass er in einem friedlichen, relativ ausgeglichenen und musisch geprägten Familienleben aufwuchs. Das «Vaterhaus atmete direkt E.T.A. Hoffmannsche Atmosphäre», die in ihm einen Humor anlegte, der «einzigartig, ungeheuer herzlich und zugleich skurril und ein bisschen schadenfroh» war.[8] Klee lernte als Siebenjähriger das Geigenspiel; anscheinend war der Vater die treibende Kraft, die den Jungen in die musische Richtung zu lenken und ihm bereits im Knabenalter durch den Besuch von Konzerten und Theatervorstellungen schon einen Lebensweg in der Musik schmackhaft zu machen versuchte. Allerdings gab es da noch die Großmutter Frick, die ihn lehrte, früh mit farbigen Stiften zu zeichnen[9]. Klee hat später seine Kinderzeichnungen so hoch geschätzt, dass er eine Auswahl von 18 Zeichnungen[10] in sein Werkverzeichnis aufnahm. Ein eindringliches Beispiel für seine frühe Gestaltungskraft ist etwa die Zeichnung Nr. 16: Uhr mit römischen Zahlen, in der der Fünfjährige den zwölfstündigen Lauf der Zeit auf dem Zifferblatt als nicht wiederholbar erscheinen lässt.[11] Außer von der Großmutter – die auch seine Linkshändigkeit verteidigte – wurde das zeichnerische Interesse in der Familie nicht übermäßig ernst genommen und deshalb auch nicht gefördert.[12] Für bürgerliche Kreise hatte ein professionell ausgebildeter Musiker einen angesehenen Beruf mit sehr wahrscheinlich gesichertem Einkommen, der des Künstlers hingegen war häufig negativ mit dem Bild des Hungerleiders, Bohemiens und Langschläfers verbunden.[13]

Klees Sohn Felix berichtet hingegen, dass die Mutter Ida die zeichnerische Begabung ihres Sohnes früh erkannte und sämtliche Schulhefte, Schulzeugnisse, Bücher und Briefe aufbewahrte. Die Zeichnungen selbst wurden von Klees Schwester Mathilde gesammelt und gehütet. Vorstellbar ist, dass der egozentrische, «leicht diktatorische» Vater das zeichnerische Talent beargwöhnte und angeblich nur auf Drängen seiner Frau in die spätere Berufswahl einwilligte, obwohl die Schwester Mathilde sich anders erinnert.[14]

Einiges hatte Klee denn auch an seinen Eltern auszusetzen: Für seine ersten sexuellen Regungen, wie sie sich nach einem Ballettbesuch des ungefähr Elfjährigen in Form «pornographischer» Zeichnungen äußerten, hatte die Mutter – die die Zeichnungen zufällig entdeckte – kein Verständnis. Das Schicksal dürfte Klee aber mit vielen pubertierenden Kindern teilen. Bei der besagten Aufführung hatte sich eine etwas üppige Elfe nach einer Erdbeere gebückt, und man sah ins tiefe Tal zwischen schwellenden Hügeln. Das inspirierte ihn zu einer Frau mit einem Bauch voll Kinder, eine andere mit maßlosem Brustausschnitt. Meine Mutter beging das Unrecht, das moralisch zu nehmen.[15] Besonders kränkend und verletzend wirkte auf Klee der Sarkasmus seines Vaters, der auch nicht vor dem Sohn haltmachte.[16]

Ein wahres Unikum muss sein Großonkel Ernst Frick, der dickste Mann der Schweiz[17] und Restaurantbesitzer, gewesen sein. In dessen Restauration gab es Tische mit geschliffenen Marmorplatten. Aus der Marmorierung der Platten las Klee menschliche Grotesken heraus und hielt sie mit dem Bleistift fest: Darauf war ich versessen, mein «Hang zum Bizarren» dokumentierte sich.[18] Diese bizarre Phantasie äußerte sich schon bei dem erst Vierjährigen, als er böse Geister zeichnete und diese dann plötzlich wirkliche Gestalt annahmen.[19]

Es fällt auf, dass Klee in dem verhältnismäßig kurzen Abschnitt seiner Tagebücher über Kindheitserinnerungen ausführlich von seinen zeichnerischen Anfängen berichtet, aber nichts über seine musikalische Ausbildung sagt. Konzert- und Theaterbesuche werden erwähnt, aber keine Ereignisse aus dem Geigenunterricht. Da Klee seine Tagebücher später ganz bewusst im Hinblick auf seine Rezeption redigierte – er wollte, dass die Nachwelt ihn so sieht, wie er sich selbst sah –, liegt die Vermutung nahe, dass er absichtlich seine musikalische Begabung zugunsten eines unbedingt und stringent erscheinenden Weges zum bildenden Künstler ausgeblendet hat.

 

Im Jahr 1886 wurde Klee eingeschult. 1898 bestand er das kantonale Maturitätsexamen (Abitur). Die Schule scheint er aber nicht mit Glanz und Gloria abgeschlossen zu haben. Die anschließende Berufswahl ging, wie Klee selbst schrieb, äußerlich glatt von statten. Obwohl mir durch das Maturitätszeugnis alles offen stand, wollte ich es wagen, mich in der Malerei auszubilden und die Kunstmalerei als Lebensaufgabe zu wählen.[20]

Als Ort für seine künstlerische Ausbildung entschieden sich die Eltern für München, sicher auch deshalb, weil es dort über eine Fricksche Beziehung[21] Anschluss an Menschen für den Sohn gab. Die Münchner Kunstakademie war neben der Düsseldorfer Akademie ein bedeutendes Zentrum der deutschen Malerei. Im späten 18. Jahrhundert gegründet, war seit den Zeiten von Peter von Cornelius ihre Bedeutung stetig gewachsen; unter den Direktoren Wilhelm von Kaulbach und dessen Nachfolger Karl Theodor von Piloty erlebte sie ihre Blütezeit. Im Jahr 1886 – dem Todesjahr Pilotys – war die Akademie in den prachtvollen gründerzeitlichen Neubau des Architekten Gottfried von Neureuther in der Akademie-/Leopoldstraße gezogen.

Im Oktober 1898 begab Klee sich zum Direktor der Kunstakademie, Ludwig Löfftz, der ihn allerdings nicht aufnahm, sondern ihm empfahl, in der Privatschule Heinrich Knirrs die noch fehlenden zeichnerischen Fähigkeiten zu erwerben. Offensichtlich war Klees zeichnerisches Talent im akademischen Sinne mangels Förderung unterentwickelt geblieben. Sechs Jahre vor Klees Versuch, an der Münchner Akademie aufgenommen zu werden, hatte sich in Opposition zum übermächtigen Franz von Lenbach, der den Ausstellungsbetrieb in der bayerischen Metropole maßgeblich prägte und beherrschte, die Münchner Sezession gebildet, die trotz erheblicher Widerstände 1893 ihre erste Ausstellung mit großem Erfolg durchführte und indirekt den Anstoß zur nur fünf Jahre später gegründeten, weit bedeutenderen Berliner Sezession gab.[22] Zu den Gründungsmitgliedern in München gehörte auch Franz von Stuck, der, von der Malerei Arnold Böcklins kommend, eine teils mythologische, teils symbolistische Malerei des Fin de Siècle entwickelt hatte. Seine Ausstrahlung reichte um die Jahrhundertwende weit über die Grenzen Münchens hinaus. Im Oktober 1900 trat Klee in dessen Malklasse ein, wo gleichzeitig Kandinsky studierte, ohne dass sich die beiden dort schon kennengelernt hätten. Klee bewunderte den Meister zunächst und schrieb an seine Eltern: In der Malschule gefiel es mir außerordentlich gut. Die Korrektur ist scharf, aber geistreich und wohlmeinend. Stuck’s Bilder in der Secession sind auch gar nicht so schlimm, bloß das Große, was eine Geschäftssache ist. Kleine Portraits sind entzückende Leistungen, über die München froh sein muß.[23] Allerdings hielt die Begeisterung nicht lange an, und er haderte mit sich und seinem Lehrer, sowohl, weil er in der Farbe schwer vom Fleck kam, als auch, weil Stuck ihm das Wesen der Malerei nicht auseinanderzusetzen verstand.[24] Im März 1901 verabschiedete sich Klee aus Stucks Malschule und versuchte, in die Klasse des Bildhauers Felix Saedt aufgenommen zu werden. Die obligatorische Aufnahmeprüfung schreckte den jungen Künstler jedoch ab, und so verließ er im Juni München, um kurz darauf mit seinem Freund Hermann Haller eine Bildungsreise nach Italien zu unternehmen.

Der künstlerische Sezessionismus tritt besonders ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Paris auf, wo eine junge Künstlergeneration – Edouard Manet, Claude Monet, Gustave Courbet u.a. – heranwuchs, die sich gegen die akademische Malerei und die ungerechte Beurteilung einer intriganten Jury über die Zulassung zum alljährlichen Salon auflehnte. Künstlerischer, gesellschaftlicher und finanzieller Erfolg hing von der Annahme durch die Jury und einer guten Hängung in der Ausstellung ab. Als diese Jury im Jahr 1863 besonders viele Werke abgelehnt hatte (3000), gab es nach der Intervention Napoleons III. durch ein kaiserliches Dekret einen «Salon des Refusés» («Salon der Abgelehnten»), der erneut 1873 stattfand. Rund zehn Jahre später – der Salon war zwar liberaler geworden, hatte aber wieder versucht, nicht genehme Künstler abzulehnen – schlossen sich im Frühjahr 1884 Hunderte abgelehnter Maler zur «Société des Indépendants» zusammen. Sie wurde zum Vorbild für die sich ab 1890 rasch in den europäischen Kunstzentren verbreitenden Sezessionen. 1892 bildete sich die Münchner, 1897 die Wiener und 1893 die Berliner Sezession.

Noch vor seiner Abreise aus München verlobte er sich heimlich mit der Pianistin Lily Stumpf, die er im Dezember 1899 bei einem Musikabend kennengelernt hatte. Klee bezeichnete die Beziehung zu Lily nicht ganz ohne Ironie als edlere Liebe[25]. Fast zur gleichen Zeit begann Klee ein Verhältnis mit der Verkäuferin Tini, aus dem ein Kind hervorging, das jedoch kurz nach der Geburt im November 1900 starb, sowie mit dem sechzehnjährigen Aktmodell Cenzi, und zwar genau an Heiligabend 1900 (eine weitere Dame, die rote Berta, war mit von der Partie), obwohl ihn die Eltern Lilys eingeladen hatten. Die Affäre hatte ganz seinem Geschmack entsprochen, denn Cenzi verlangte keine Liebesschwüre.[26]

Die Italienreise dürfte deshalb auch in persönlicher Hinsicht ein wenig der Klärung der Verhältnisse gedient haben. In sieben Monaten absolvierte Klee das klassische, konventionelle Bildungsprogramm der Italienreisenden: Leonardo, Michelangelo, Raffael, Laokoon, Mailand, Rom, Pompeji (dessen Malerei ihn fesselte), Neapel. Dort berührten ihn besonders die Fresken Hans von Marées’ in der Stazione Zoologica; viel mehr aber faszinierte ihn das Aquarium der Stazione. Es soll größere Aquarien geben, aber das hiesige habe an Schönheit und Seltenheit der Tiere nicht seinesgleichen. Ich sah Kreaturen dieser Art zum ersten Mal in meinem Leben und war sehr erbaut davon. Zur Genugtuung gereichte mir auch, daß ich sie mir ungefähr so vorgestellt hatte und nun zur Gewißheit gelangt bin, auch für dieses Gebiet Talent zu haben. Denn wenn das Gefühl richtig leitet, so ist das nichts anderes. Dasselbe ist angeboren und dem Individuum an sich wertvoll. Philosophisch ist es ein ungerechtes Geschenk, das der Bevorzugte durch die Moral sich (als Wille und Selbstkritik) erst verantworten muß. Kleine Abschweifung. Besonders fand ich ihre Bewegungsarten sehr schön. Freilich ist sie bei vielen unwichtig, wie bei den Polypen, Muscheln und Seesternen, die ansässig sind. Neu waren mir ferner schlangenartige Ungeheuer mit boshaftem Blick, Riesenmaul und taschenartigem Kropf. Andere saßen bis über die ‹Ohren› im Sand, wie die Menschen im Vorurteil. Die gemeinen Polypen sehen aus wie Kunsthändler und blicken verdächtig verständnisvoll um sich. Fatal scheint mir auch, dass ein Tier auf dem Maul sitzt und den Leib als Kopf trägt. Ein gallertartiges feines Tierchen schwamm auf dem Rücken herum, dadurch, dass es ein liebliches Fähnchen in einem fort hin und zurück drehte. Es sah aus wie ein seliges Wesen, ganz vom Licht durchtränkt und so rein, wie ich mir einen Menschen nicht einmal im Paradies vorstellen kann. Schließlich ward ich religiös und bewunderte die Verschwendung an göttlicher Phantasie, während ich mich fragte, wozu diese Formen und Farben, wenn kein Mensch hinkommt? Das war Überhebung. Das Eingehen auf den göttlichen Humor aber war Verständnis. Ich mußte schließlich fast bei jedem Tier lachen.[27]

Wer den Künstler Paul Klee verstehen will, wird diesen Brief aus Neapel an Lily vom 28. März 1902 (einem Karfreitag!), immer und immer wieder lesen, und er wird die sich schnell entwickelnde natürliche Wahrnehmungsfähigkeit und Beobachtungsgabe Klees erkennen. Dies ist die Konstante seines gesamten Lebens, von der Kindheit bis zum Tod, von den frühen kindlichen Phantasien in Onkel Fricks Restaurant über die staunende Beobachtung bei den Spaziergängen im Wörlitzer Park bei Dessau in der Bauhaus-Zeit bis hin zu seinen letzten Berner Jahren. Im Rückblick betrachtet wird klar, warum Klees «künstlerische Entwicklung so langsam voranschritt»[28]. Er hatte um 1900 noch keine Kunstrichtung entdeckt, in der er mit dieser Natur- und Weltwahrnehmung einen leichten, entwicklungsfähigen Anfang hätte nehmen können. Deshalb durchlebte er zunächst eine Phase der Orientierungslosigkeit – oder großen Ratlosigkeit[29] –, des Abwartens, bevor er begann, eine Reihe zeitgenössischer «Orientierungskünstler»[30] wahrzunehmen und deren Werk zu durchdringen und wieder zu verlassen.

Als er aus Italien gereift nach Bern zurückgekehrt war[31], setzte er seine Ausbildung autodidaktisch fort, indem er an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern Anatomiestudien und im Berner Kunstgewerbehaus Aktstudien betrieb. Der erste große «Orientierungskünstler» wurde dann Ferdinand Hodler.[32] Im Mai 1902 sah er Hodlers «Die Nacht», «Der Tag», die «Enttäuschten» und die «Eurythmie», die das Berner Kunstmuseum angekauft hatte, und Klee hielt sie für die bedeutendsten Produktionen der Gegenwart[33]. Hodlers Einfluss spiegelt sich deutlich in zwei von insgesamt elf Radierungen wider, mit denen sich Klee als Graphiker etablieren wollte und die er Inventionen nannte. In der zweiten Fassung von Invention 1: Weib u. Tier klingt das Thema der Geschlechterproblematik an, wie es in der Graphik von Félicien Rops und Max Klinger offen zutage getreten war und sich – allerdings noch mythologisch und symbolisch verhüllt – zuvor in Anselm Feuerbachs «Nanna»-Bildnissen und im «Symposion» angekündigt hatte. Das Tier ist das Tier im Menschen (im Manne), kommentierte Klee selbst, es belästigt ein Weib vorläufig durch unanständiges Beriechen. Moral für Schwachbegabte: Das Weib, das edel sein soll, aber in effektvolle Beziehung zum Tier gebracht ist, stellt etwas ebenso durchaus Verkehrtes als durchaus Wahres vor. Zweck: Läuterung zum Menschlichen. Bravo.[34]