Paul Temple und der Fall Max Lorraine - Francis Durbridge - E-Book + Hörbuch

Paul Temple und der Fall Max Lorraine Hörbuch

Francis Durbridge

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  • Herausgeber: Pidax
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Die Midlands im Jahr 1938: Eine unheimliche Serie von Juwelenrauben hält die Region in Atem. Die skrupellose Bande schreckt auch vor Mord nicht zurück. Die Polizei tappt im Dunkeln und die Presse fordert, endlich den bekannten Schriftsteller und Detektiv Paul Temple einzuschalten. Sir Graham Forbes von Scotland Yard will aber nichts davon hören. Doch dann wird der Chefermittler Superintendent Gerald Harvey in einem alten Gasthof erschossen. Seine Schwester Louise, die unter dem Reporternamen Steve Trent arbeitet, bittet Paul Temple daraufhin um Hilfe. Temple schaltet sich in den Fall ein und findet heraus, dass er es mit einer gefährlichen Verbrecherorganisation zu tun hat, deren Kopf ein Mann namens Max Lorraine zu sein scheint und der überall nur als „Der Diamantenfürst“ bekannt ist. Wer von den zahlreichen Verdächtigen ist der große Unbekannte? Gefährliche Ermittlungen für Paul Temple, bei denen er mehr als einmal nur mit Glück dem Tode ein Schnippchen schlagen kann ... Mehr als 83 Jahre nach seiner Veröffentlichung im Juni 1938 erscheint hiermit erstmals eine deutsche Fassung des allerersten Romans von Francis Durbridge. Der durch zahlreiche Hörspiele, Romane, Kurzgeschichten, Comics, Filme, TV-Serienfolgen und ein Theaterstück bekannte schreibende Detektiv Paul Temple löst hier seinen ersten Fall und begegnet auch seiner späteren Frau Steve auf schicksalhafte Art und Weise. Die Geschichte ist geprägt von Durbridges Leidenschaft für Edgar Wallace, dessen Einfluss hier wie in keinem späteren Werk zu spüren ist. Unterirdische Geheimgänge, Falltüren, Wandverkleidungen, Verbrecherorganisationen mit großen Unbekannten und Südafrikabezüge sind hier nämlich en masse vorhanden. Das Buch beinhaltet ein interessantes Vorwort von Nicholas Durbridge mit vielen neuen unbekannten Details aus dem Leben und Werk seines Vaters sowie umfassende Vor- und Nachbemerkungen des Übersetzers und Durbridge-Experten Dr. Georg Pagitz, die u. a. auch auf die Wallacebezüge und die zahlreichen multimedialen Auswertungen eingehen.

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Zeit:8 Std. 6 min

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Impressum

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe:

© PIDAX 2021

Pidax Film- und Hörspielverlag GmbH

Alleestr. 57, 66292 Riegelsberg/Deutschland

www.pidax-film.de

Originaltitel: Send for Paul Temple © by Francis Durbridge (1938)

© dieser Ausgabe Serial Productions

© der deutschen Übersetzung by Dr. Georg Pagitz (2021)

© des Vorworts by Nicholas Durbridge (2021)

© der Einleitung und der Nachbemerkungen by Dr. Georg Pagitz (2021)

Erste Auflage 2021

ISBN 978-3-95988-215-6

Über das Buch

Die Midlands im Jahr 1938: Eine unheimliche Serie von Juwelenrauben hält die Region in Atem. Die skrupellose Bande schreckt auch vor Mord nicht zurück. Die Polizei tappt im Dunkeln und die Presse fordert, endlich den bekannten Schriftsteller und Detektiv Paul Temple einzuschalten. Sir Graham Forbes von Scotland Yard will aber nichts davon hören. Doch dann wird der Chefermittler Superintendent Gerald Harvey in einem alten Gasthof erschossen. Seine Schwester Louise, die unter dem Reporternamen Steve Trent arbeitet, bittet Paul Temple daraufhin um Hilfe. Temple schaltet sich in den Fall ein und findet heraus, dass er es mit einer gefährlichen Verbrecherorganisation zu tun hat, deren Kopf ein Mann namens Max Lorraine zu sein scheint und der überall nur als „Der Diamantenfürst“ bekannt ist. Wer von den zahlreichen Verdächtigen ist der große Unbekannte? Gefährliche Ermittlungen für Paul Temple, bei denen er mehr als einmal nur mit Glück dem Tode ein Schnippchen schlagen kann ...

Mehr als 83 Jahre nach seiner Veröffentlichung im Juni 1938 erscheint hiermit erstmals eine deutsche Fassung des allerersten Romans von Francis Durbridge. Der durch zahlreiche Hörspiele, Romane, Kurzgeschichten, Comics, Filme, TV-Serienfolgen und ein Theaterstück bekannte schreibende Detektiv Paul Temple löst hier seinen ersten Fall und begegnet auch seiner späteren Frau Steve auf schicksalhafte Art und Weise. Die Geschichte ist geprägt von Durbridges Leidenschaft für Edgar Wallace, dessen Einfluss hier wie in keinem späteren Werk zu spüren ist. Unterirdische Geheimgänge, Falltüren, Wandverkleidungen, Verbrecherorganisationen mit großen Unbekannten und Südafrikabezüge sind hier nämlich en masse vorhanden.

Über den Autor

Francis Henry Durbridge (25.11.1912–11.04.1998) gilt als einer der erfolgreichsten Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Der Durchbruch gelang dem glühenden Bewunderer von Edgar Wallace im Alter von nur 25 Jahren mit einem mehrteiligen Hörspiel, das den Amateurdetektiv Paul Temple zum Protagonisten hatte. Durch seine geschickten Wendungen und Cliffhanger am Ende jeder Episode bannte Durbridge die Zuhörerinnen und Zuhörer jede Woche neu vor die Radiogeräte. 1968 ging die letzte mehrteilige Paul-Temple-Reihe auf Sendung. Die Hörspiele wurden erfolgreich übersetzt und in viele Dutzend Länder verkauft. In Deutschland gelangten sie mit der Stimme von René Deltgen zum Kult.

Nach Etablierung des Fernsehens in Großbritannien war Durbridge ab 1952 derjenige Autor, der das Potenzial von serieller Erzählweise erkannte. In Deutschland, wo er mit Reißern wie Das Halstuch, Melissa, Tim Frazer oder Das Messer besonders populär war, wurde durch und für ihn der Begriff ‚Straßenfeger‘ geprägt. Er erreichte Einschaltquoten von bis zu 93 Prozent.

Francis Durbridge

Paul Temple und der Fall Max Lorraine

Aus dem Englischen übersetzt von Dr. Georg Pagitz

Vorwort von Nicholas Durbridge

Mein Vater wollte immer schon Autor werden. Als ihn einmal ein Lehrer fragte, was er denn nach der Schule machen wolle, antwortete einer seiner Freunde für ihn, ehe er es selbst konnte: »Er wird der nächste Edgar Wallace sein, Sir!« In der Tat sollte es sich später herausstellen, dass er damit ziemlich recht hatte. Edgar Wallace war zu jener Zeit extrem beliebt und einer der Lieblingskriminalschriftsteller meines Vaters.

Nach dem Schulabschluss schrieb er sich an der Universität von Birmingham ein und fing damit an, in Universitätsrevuen als Autor und Darsteller mitzuwirken. Anfang 1932 begann er außerdem, ein Tagebuch zu schreiben, das er den größten Teil seines Lebens führen sollte. Obwohl es hauptsächlich Aufzeichnungen darüber enthält, was er jeden Tag tat und wohin er ging (und manchmal extrem spärliche Details darüber, woran er arbeitete), zeichnet es das Bild eines jungen Autors nach, der nur jeden erdenklichen Weg beschreitet, um veröffentlicht zu werden, und der von Zeitungen, Verlegern, Agenten und der BBC Absage auf Absage erhält. Er war bereit, sich an allem zu versuchen und korres­pondierte häufig mit der BBC. Eine Miss Bancroft, die für die BBC-Kinderabteilung arbeitete, beauftragte ihn schließlich mit seinem ersten Hörspiel für die Kinderstunde, The Three-Cornered Hat (wörtlich ›Der dreieckige Hut‹). Es wurde im Juli 1933 ausgestrahlt, und er erhielt dafür die fürstliche Summe von eineinhalb Guineas (umgerechnet etwa 1,80 Euro). Er ließ nichts unversucht, und als BBC-Radio Belfast eine seiner Kindergeschichten ablehnte, weil sie nur Material mit lokalem Bezug akzeptierten, benannte er seine Kindergeschichte The Greedy Pillar Box (wörtlich ›Der gefräßige Briefkasten‹) umgehend in Patrick, the Greedy Pillar Box um [Anmerkung: der heilige Patrick ist der irische Nationalheilige].

Während er an Kindergeschichten arbeitete, sendete er Kabarettnummern, unterhaltsame oder musikalische Sketche, Theaterstücke, literarische Texte und Artikel an alle, die daran interessiert sein könnten. Die meisten wurden abgelehnt, aber ein Produzent, Mr. Charles Brewer von der BBC-Radioabteilung der Midlands, erkannte ein gewisses Potential. Er beauftragte ihn mit seinem ersten Erwachsenenstück The Word Woman (wörtlich etwa ›Die zu ihrem Wort stehende Frau‹; der ursprüngliche Titel war Men Are Like That (wörtlich ›So sind die Männer‹)), das im Oktober 1933 produziert wurde.

Die frühe Laufbahn vieler Schriftsteller ist häufig voller Rückschläge. Sein Tagebuch erwähnt, dass er oft mit seinem Vater über das »übliche Thema« sprach. Er war 20 Jahre alt, wohnte noch zu Hause und erhielt viele Absagen. Ich vermute, das »übliche Thema« war, dass er einer Arbeit nachgehen sollte. So ist es keine Überraschung, dass in dem Tagebuch ab Anfang 1934 Aufzeichnungen darüber zu finden sind, dass er in einem Büro tätig war.

Nichts hielt ihn jedoch vom Schreiben ab, und so kam es im Oktober desselben Jahres dazu, dass er bei der Kritik seinen ersten ernsthaften Erfolg mit einem Hörspiel namens Promotion (wörtlich ›Reklame‹) hatte, das in einem Warenhaus angesiedelt war. Mein Vater bezog sich darin auf tatsächliche Ereignisse, die ihm zu Ohren gekommen waren. Sein Vater war nämlich eine hochrangige Führungskraft bei der bekannten Warenhauskette F. W. Woolworth. Das Stück war so erfolgreich, dass man es 1934 und 1937 erneut produzierte und er mit einer Fortsetzung namens Dolmans beauftragt wurde, die im Februar 1935 hergestellt wurde [Anmerkung: ein Dolman ist eine bestimmte Männerjacke]. Promotion wurde von Martyn C. Webster produziert und inszeniert, einem BBC-Radioproduzenten, der meinen Vater in seinen Universitätsrevuen gesehen hatte. Er hatte festgestellt, dass er nicht schauspielern konnte, aber dass die einzelnen Nummern, die er als Autor verfasst hatte, ziemlich gut waren. Er sollte später den Großteil der Radioarbeit meines Vaters produzieren.

Mein Vater fuhr fort, eine bunte Mischung aus Musikrevuen, Lustspielen und Kindergeschichten zu schreiben. Im November 1934 allerdings wurde sein erstes Kriminalstück für das Radio produziert, Murder in the Midlands (wörtlich ›Mord in den Midlands‹), mit Hugh Morton in der Hauptrolle, der später Paul Temple spielen sollte. Darauf folgte ein weiterer Krimi, Murder at the Embassy (wörtlich ›Mord in der Botschaft‹), der im August 1937 produziert wurde und die früheste Radioarbeit meines Vaters ist, die überlebt hat. Vor einigen Jahren fand ich eine alte Aufnahme davon auf alten 78-Inch-Schallplatten, als ich einen Schrank ausräumte.

Einige Monate später kam dann sein Durchbruch, als er die Radioserie Send for Paul Temple (wörtlich ›Schickt nach Paul Temple‹) schrieb, die von Martyn C. Webster produziert und inszeniert und zwischen dem 8. April und dem 27. Mai 1938 ausgestrahlt wurde.

Es war ein riesiger Erfolg, unterstützt durch eine Aktion, die man heute wohl als einfachen Marketingtrick bezeichnen würde: keiner der Darsteller, inklusive des Sprechers von Paul Temple, wurde vor Ausstrahlung der letzten Folge bekannt gegeben. In Zeitungsartikeln wurde darüber spekuliert, wer Paul Temple wohl sprechen würde, dazu erschien ein Foto, das meinen Vater und Martyn C. Webster zeigt, die mit einem Mann – Paul Temple – sprechen, von dem man nur den Umriss sieht. Außerdem gab es zusätzliche Kontroversen, die den Bekanntheitsgrad nur noch weiter steigerten. War die Serie immer live am Freitagabend um 21.00 Uhr ausgestrahlt wurden, so änderte die BBC für Episode 7 die Anfangszeit auf 19.35 Uhr. Dies entfachte glühende Proteste von Hörern, vor allem von Mitarbeitern in Geschäften, die es bis zu dieser Zeit nicht nach Hause schafften, um die Sendung zu verfolgen. Jeder wollte schließlich wissen, wer der Bösewicht – der »Diamantenfürst« – war. Nicht einmal die Schauspieler wussten es bis zur Probe und Ausstrahlung der letzten Episode. Das Endergebnis war ein überragender Erfolg und hatte einen Postsack mit über 7000 Fanbriefen an die BBC innerhalb nur einer Woche zur Folge. Es waren die meisten Zuschriften, die bis dato jemals eine Sendung hervorgerufen hatte.

Damit hatte die Karriere meines Vaters begonnen und wenige Monate später, im November 1938, folgte Paul Temple and the Front Page Man (wörtlich ›Paul Temple und die Schlagzeilenmänner‹). Von da ab war Paul Temple Held in 20 Radiomehrteilern, mehreren Einzelhörspielen, Büchern, einer lange laufenden Zeitungscomicserie und schließlich 1969 in einer Fernsehserie, die die BBC in Koproduktion mit Taurus Film GmbH München produzierte.

Den Roman Send for Paul Temple gab es bis dato niemals auf Deutsch, und er erscheint nun in dieser neuen Übersetzung von Dr. Georg Pagitz. Ich hoffe, dass Sie die Einführung in die Paul-Temple-Welt genießen und herausfinden, wer der Diamantenfürst ist!

Nicholas Durbridge

Mai 2021

Einleitung von Dr. Georg Pagitz

Mehr als 83 Jahre nach seiner Veröffentlichung im Juni 1938 im John-Long-Verlag erscheint hiermit erstmals eine deutsche Fassung des allerersten Romans von Francis Durbridge. Der durch zahlreiche Hörspiele, Romane, Kurzgeschichten, Comics, Filme, TV-Serienfolgen und ein Theaterstück bekannte schreibende Detektiv Paul Temple löst hier seinen ersten Fall und begegnet auch seiner späteren Frau Steve auf schicksalhafte Art und Weise.

Bei Timothy! – Übersetzungsprobleme

Die Lücke des fehlenden ersten Falls klaffte über viele Jahrzehnte hinweg und ich hegte den Wunsch, diese zu schließen, schon über viele Jahre. Davon abgehalten hatte mich stets ein Detail, das mir selbst während der Übersetzung noch großes Kopfzerbrechen bereitete. Francis Durbridge nennt den großen Unbekannten, der sich hinter dem Namen Max Lorraine verbirgt, im englischen Original ›Knave of Diamonds‹. Wie ich hier noch ausführen werde, ist das nur eine von vielen Anspielungen auf sein großes Vorbild Edgar Wallace.

Die Schwierigkeit bestand darin, für ›Knave of Diamonds‹ im Deutschen eine adäquate Übersetzung zu finden, denn im Englischen ist dieser Ausdruck doppeldeutig. Den Ausdruck 1:1 ohne Verlust zu übertragen war daher nicht möglich. So bezeichnet ›Knave of Diamonds‹ im Englischen einerseits eine Spielkarte, nämlich den Karobuben, andererseits hat ›Knave‹ im älteren Englisch aber auch die Bedeutung ›Schuft‹, ›Halunke‹ oder ›Schurke‹. In Verbindung mit dem Wort ›Diamonds‹ (also ›Diamanten‹) bedeutet der Ausdruck daher auch in etwa ›Diamantenschuft‹. Angesichts der Tatsache, dass der große Unbekannte in dem Roman große Diamantenraubzüge organisiert und ein Krimineller ist, ist diese Bezeichnung natürlich ein wunderbares Wortspiel, zumal im Roman auch einmal eine Spielkarte eine Rolle spielt, die ausgerechnet ein Karobube ist. Für die deutsche Übersetzung war es also notwendig, ein ähnliches Bild zu finden. Nun klingt ›Diamantenschuft‹ oder ›Diamantenhalunke‹ kaum furchteinflößend, dabei ist Max Lorraine doch ein besonders gefährlicher Verbrecher. ›Diamantenhalunke‹ hätte sich wohl eher wie der Bösewicht aus einem Kasperletheater angehört. Ich habe daher lange über einen adäquaten Ausdruck für ›Knave‹ nachgedacht und ihn in ›Fürst‹ schließlich gefunden. Meine Wahl fiel aus mehreren Gründen darauf: einerseits spiegelt sich darin die (adelige) Hierarchie wieder, die durch den Buben im Kartenspiel suggeriert wird (der Bube steht unter dem König), andererseits ist der Begriff ›Fürst‹ im Deutschen nicht ausschließlich positiv besetzt. In der Geschichte gab es zahllose Herren dieses Ranges, die prunksüchtig und verschwenderisch und sogar kriminell waren. Von daher schien mir dieser Ausdruck am besten geeignet, auch weil Durbridge im Original oft nur von ›The Knave‹ spricht, und in der deutschen Übersetzung dann auch einfach der Ausdruck ›der Fürst‹ zu verwenden war. Nicht nur diesbezüglich hatte ich stets die italienische Redewendung traduttore traditore (etwa »Der Übersetzer ist ein Verräter«) im Hinterkopf, denn häufig ist es einfach nicht möglich, Wörter und Wendungen von einer Sprache in eine andere zu übertragen, ohne dabei etwas zu verlieren. Da die wörtliche Übersetzung aber oft auch die schlechteste ist, musste ich manchmal zugunsten des Wohlklangs im Deutschen einen Kompromiss eingehen.

Abschließend hierzu möchte ich noch bemerken, dass der Roman im Jahr 1938 geschrieben, die Übersetzung aber im Jahr 2021 angefertigt wurde. Ich habe mich deshalb explizit darum bemüht, die Sprache dem Entstehungsjahr anzugleichen und manchmal bewusst altmodischere Ausdrücke und Wendungen gebraucht. Natürlich würde man heutzutage den leitenden Beamten von Scotland Yard, den Chiefcommissioner, nicht mehr übersetzen. Im Jahre 1938 hätte man daraus aber sicherlich, so wie ich hier, den Chefkommissar gemacht. Ebenfalls hätte man den C. I. D. einfach C. I. D. seien lassen und daraus nicht die Kriminalpolizei gemacht. Bei manchen zu altmodischen Ausdrücken habe ich mich nach langem Abwiegen dennoch für die englische Variante entschieden (etwa bei ›Constable‹ statt ›Konstabler‹). Andererseits sind Wendungen mit Dativ-e wie in ›im Werte‹ (statt ›im Wert‹), der Genitivus Partitivus wie in ›ein Glas guten Brandys‹ (statt ›ein Glas mit gutem Brandy‹) oder Ausdrücke wie ›ob dieser Frage‹ ganz bewusst gewählt, um die Sprache wie aus dem Jahr 1938 erscheinen zu lassen. Auch Längenangaben und Maßeinheiten wurden von mir konsequent angepasst, so etwa Inch auf Meter umgerechnet und vor allem heute so unverständliche Ausdrücke wie Acren durch die entsprechenden Quadratmeter ersetzt.

Schließlich noch eine Bemerkung zur Übersetzung eines Ausdrucks, die eingefleischte deutschsprachige Temple-Hörspielfans vielleicht etwas verwundern wird. Es handelt sich dabei um Temples Ausruf ›Bei Timothy!‹ (im Original ›By Timothy!‹). In sämtlichen deutschen Hörspielproduktionen wurde daraus »Bei Morpheus!‹. Es kann wohl nur so sein, dass man damals aus Timothy Morpheus machte, weil dieser leichter zu sprechen war. Immerhin enthält Timothy den englischen th-Laut, der damals von den meisten Sprechern wohl nicht korrekt ausgesprochen worden wäre. Timothy hätte in den 1950ern und 1960ern auf Deutsch wohl so ähnlich wie ›Timosy‹ geklungen. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, diese Änderung nicht weiter zu kopieren, sondern wie bereits in meiner 2018 bei Pidax erschienenen Übersetzung der Temple-Kurzgeschichten den Originalnamen Timothy zu verwenden. Dies auch deshalb, weil – und dies ist wohl ein bisher unbekanntes Detail – am Ende des fünften Paul-Temple-Falls Steve schwanger ist. Im sechsten Fall erfahren wir, dass die Temples einen Sohn haben und im Fall Curzon (allerdings nur im Manuskript zur englischen Fassung, in der deutschen wurde diese Passage eliminiert) wird dem Publikum auch der Name des Sprösslings nähergebracht: wenig überraschend heißt Paul und Steves Sohn Timothy Temple! Er tritt danach nie wieder in Erscheinung, wohl aus offensichtlichen Gründen: die Temples sind nie zu Hause und keine Eltern der Welt würden ihr Kind ständig allein lassen und sich permanent den wildesten Gefahren aussetzen.

Der Co-Autor

Francis Durbridge war 25 Jahre alt, als er mit dem Hörspiel Send for Paul Temple einen riesigen Erfolg landete. Bereits wenige Tage nach der letzten Folge, die am 27. Mai 1938 ausgestrahlt wurde, erschien der vorliegende Roman. Durbridges Stärke waren die Konstruktion komplexer Handlungen, das Erfinden von packenden Cliffhangern und Wendungen und ein außerordentliches Gespür für Dialog. Er war jedoch kein beschreibender Erzähler. Deshalb (und wohl auch, weil das Buch knapp nach Ausstrahlung des Hörspiels erscheinen sollte) half ihm John Thewes dabei, das Hörspielmanuskript in einen Roman zu verwandeln. Wer das Skript neben den Roman legt, wird sehen, dass die dialogischen Teile beinahe 1:1 identisch sind. Der Roman enthält zusätzlich zahlreiche, seitenlange Beschreibungen, in denen der Leserschaft viele andere Details über Paul Temple nähergebracht werden oder die einfach Szenen und Geschehnisse näher illustrieren. Diese wurden von John Thewes auf Basis von Durbridges Ideen verfasst. Der Unterschied zwischen den von Thewes auf sehr hohem sprachlichen Niveau verfassten beschreibenden Teile und den von Durbridge stammenden dialogischen Parts sind im Original frappant. Ansonsten folgt der Roman dem Hörspiel Szene für Szene und auch die Cliffhanger sind wie im Original. In den Nachbemerkungen wird erklärt, welche Kapitel welchen Folgen des Hörspiels entsprechen.

In der im Juni 1938 erschienen Erstauflage des Romans, in dem auch die Besetzung der Hörspielrollen aufgeführt ist, dankt Francis Durbridge John Thewes explizit für dessen Unterstützung bei der Umwandlung des Radioskripts in einen Roman.

Edgar Wallace lässt grüßen

Wie bereits von Nicholas Durbridge in seinem Vorwort erwähnt, war der englische Kriminalschriftsteller Edgar Wallace, der hierzulande vor allem durch die langlebige Kinofilmserie zu Ruhm gelangt ist, ein großes Vorbild von Francis Durbridge.

Wie kein späteres Werk ist die Geschichte von Paul Temple und der Fall Max Lorraine ganz besonders stark vom wallace’schen Geist geprägt. Viele der Zutaten, die auch der 1932 verstorbene Erfinder des Hexers verwendet hatte, finden sich in diesem allerersten Durbridge-Krimi wieder.

Obwohl in den kommenden Zeilen natürlich keine Täter oder sonstigen handlungsentscheidenden Dinge verraten werden, möchte ich sicherheitshalber all diejenigen, die unvoreingenommen in den Roman gehen wollen, darauf hinweisen, nicht weiterzulesen.

Die typischen Wallace-Zutaten in Paul Temple und der Fall Max Lorraine sind (in Klammer stets beispielhaft entsprechende Romane von Edgar Wallace, in denen dies auch vorkommt):

– ein unterirdischer Geheim- bzw. Verbindungsgang (vgl. etwa Der grüne Bogenschütze (The Green Archer), John Flack (Terror Keep), Der schwarze Abt (The Black Abbot))

– der Einsatz von Brieftauben (Der grüne Brand (The Green Ribbon))

– eine Wandverkleidung, hinter der sich ein geheimer Raum/ein Versteck befindet (Der Banknotenfälscher (The Forger), Die Tür mit den sieben Schlössern (The Door with Seven Locks), Der leuchtende Schlüssel (The Clue of the Silver Key))

– eine Falltür (Der Rächer (The Avenger), Das Gasthaus an der Themse (The India-Rubber-Man), Die toten Augen von London (The Dark Eyes of London), Der grüne Bogenschütze (The Green Archer), Der sechste Sinn des Mr. Reeder (The Mind of J. G. Reeder))

– ein altes Gasthaus als Treffpunkt für Ganoven (Das Gasthaus an der Themse (The India-Rubber-Man))

– Südafrika-Vergangenheit (Das Steckenpferd des alten Derrick (The Double), hier hat der Täter so wie Max Lorraine auch bereits in Südafrika Verbrechen verübt, Der Zinker (The Squeaker), Der Teufel von Tidal Basin (White Face), John Flack (Terror Keep), Das Gesicht im Dunkel (The Face in the Night))

– eine große Verbrecherorganisation mit unbekanntem Kopf (Der Frosch mit der Maske (The Fellowship of the Frog), Der rote Kreis (The Crimson Circle), Der Unheimliche (The Sinister Man), Die Bande des Schreckens (The Terrible People), Im Banne des Unheimlichen (The Hand of Power), Der Banknotenfälscher (The Forger))

Schließlich sind auch einige Bezeichnungen Anspielungen auf Edgar-Wallace-Romantitel, so etwa ›Der grüne Finger‹ (es gab einen Wallace-Roman namens Die blaue Hand (Blue Hand)), der Karobube (vgl. Wallace-Roman Treffbube ist Trumpf (Jack O’Judgment)) oder das in dem Fall Max Lorraine eine wichtige Rolle spielende Zimmer 7 (vgl. Wallace-Titel Zimmer 13 (Room 13)). Auch der Name des Arztes in Durbridges erstem Roman, Milton, ist mit Sicherheit nicht zufällig gewählt: Milton hieß auch der geheimnisvolle Hexer in Edgar Wallace gleichnamigen Roman (The Ringer). Steves Mädchenname, Trent, ist schließlich der Figurenname einer der weiblichen Hauptfiguren aus Der Zinker (The Squeaker).

In seinem späteren Werk formte Durbridge immer mehr seinen eigenen Stil und griff kaum noch auf Wallace-Elemente zurück. Aber auch, als er schon außerordentlich bekannt und berühmt sowie über Jahrzehnte erfolgreich war, ließ er es sich nicht nehmen, immer wieder Anspielungen auf sein Vorbild zu machen. So ist zum Beispiel die Wahl des Titels The Desperate People für einen TV-Sechsteiler der BBC (dt. Version als WDR-Dreiteiler: Die Schlüssel) wohl eine Anspielung auf Wallace’ The Terrible People (dt. Die Bande des Schreckens). Den Höhepunkt dieser liebevollen Spielerei erreicht Durbridge in meinen Augen, als er 1965 in der TV-Serie A Man Called Harry Brent dem Inspektor den Namen Milton gibt und ihn damit genau so nennt, wie Edgar Wallace seinen Hexer. Als das Drehbuch für die 1967 gedrehte deutsche Version Ein Mann namens Harry Brent übersetzt wird und Durbridge aus Geheimhaltungsgründen die Namen sämtlicher Figuren ändert, benennt er den Inspektor von Milton ausgerechnet in Wallace um und nennt ihn jetzt damit so, wie den geistigen Vater der Hauptfigur aus Der Hexer. Dies ist – wie so oft bei Francis Durbridge – mit Sicherheit kein Zufall.

Die Wichtigkeit der Namen

Namen und Titel waren für Francis Durbridge besonders wichtig. Viele seiner Aufzeichnungen belegen, wie sehr er daran feilte. Er führte zum Beispiel auch immer ein kleines Notizbuch mit, in dem er sich Namen und Titel notierte, die ihm gefielen. Quer durch seine gesamte Schaffensperiode ist zu beobachten, wie oft er die Namen der handelnden Figuren veränderte und überdachte. Innerhalb der Familie lotete er oft aus, was sie vom Klang eines Namens hielten. Natürlich war das auch bei seinem allerersten großen mehrteiligen Hörspiel der Fall. Der schreibende Detektiv, der Kriminalfälle löst, sollte ursprünglich Mark Conway heißen. Durbridge ließ diesen Namen dann zugunsten von Paul Temple fallen, verwendete ihn aber später in anderen Radioproduktionen 1940 und 1941, die keinen Bezug zu Temple hatten. Den Vornamen Mark gebrauchte er später noch oft, so auch für den Protagonisten seines ersten Fernsehmehrteilers The Broken Horseshoe (1952, wörtlich ›Das zerbrochene Hufeisen‹). Die Qual der Wahl für den Namen der Hauptfigur zeichnet sich im Nachhinein übrigens auch für seinen zweiten sehr bekannten Ermittler ab, nämlich für Tim Frazer. Dieser sollte ursprünglich David Marquand heißen (und auch hier ist wieder der Name Mark zumindest lautlich enthalten!).

Eine Geschichte – viele Auswertungen

Die mit Send for Paul Temple geschaffene Figur erlebte nicht nur zahlreiche weitere Abenteuer in anderen Folgen, auch die allererste Geschichte selbst erfuhr eine mannigfaltige multimediale Auswertung (Film und Theater) und sogar ein (bzw. zwei) Romanremakes mit – wie sollte es bei Durbridge anders sein – völlig anderen Figurennamen. Um in diesem Vorwort diesbezüglich vor allem handlungstechnisch nicht zu viel zu verraten, lade ich Sie herzlich ein, sich im Anschluss an die Lektüre des Romans noch ein wenig mit den weiteren Auswertungen der Geschichte zu befassen und das Nachwort zu lesen.

Paul trifft Steve

Paul Temples erster Fall hat insofern auch besondere Bedeutung, weil er erzählt, wie sich Paul und Steve kennenlernen. Durbridge gelingt es hier, die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen den beiden ganz sanft und behutsam zu schildern und diese langsam zu entwickeln. Wenn Durbridge Steve beschreibt, dann hatte er dabei wohl immer ganz klar seine eigene Frau Norah vor Augen. Er gab dies zwar niemals zu, stritt es vor der Familie allerdings auch nie ab. Sowohl das Äußere (vor allem ihre funkelnden blauen Augen), als auch ihre Charakterzüge entsprechen nach Aussagen der Familie ganz eindeutig Frau Durbridge.

Nun aber spannende Unterhaltung mit Paul Temple und der Fall Max Lorraine!

Dr. Georg Pagitz

Mai 2021

Paul Temple und der Fall Max Lorraine Die handelnden Personen

Paul Temple, Kriminalschriftsteller

Steve Trent, Journalistin

Sir Graham Forbes, Chefkommissar von Scotland Yard

Dr. Milton, pensionierter Arzt

Diana Thornley, Dr. Miltons junge, attraktive Nichte

Amelia Victoria Parchment, pensionierte Lehrerin

Superintendent Gerald Harvey, leitender Kriminalbeamter in London

Chefinspektor Dale, Kriminalbeamter in London

Inspektor Charles Merritt, Kriminalbeamter in Evesham

Pryce, Paul Temples Diener

Alec Rice, Juwelier in Nottingham

Skid Tyler, Lastwagenfahrer

Horace Daley, Gastwirt, Besitzer des »Little General«

Snow Williams, Dr. Miltons Butler

Mrs. Neddy, Steve Trents Haushälterin

Dixie, Ganove

Kapitel 1 Besprechung in Scotland Yard

»Superintendent Harvey und Inspektor Dale, Sir!«

»In Ordnung, Sergeant, Sie können gehen! Lassen Sie mir die Landkarte irgendwann vor Mittag vorbeibringen!«

Sir Graham Forbes, der Chef der Stadtpolizei, stand auf, um die eben Hereingekommenen zu begrüßen. Er war ein großer Mann dünner Gestalt und hatte eisengraues Haar. Nicht einmal der schwarze Mantel und die gestreifte Hose, die ihm die Erscheinung eines Londoner Börsenmaklers verliehen, konnten seine frühere Karriere bei der Armee verschleiern. Er unterschied sich in ganz sonderbarer Weise von den beiden Männern, die nun sein Büro bei Scotland Yard betraten.

Dale war ein Mann mittlerer Größe und Statur, der ohne seine Melone und seinen Regenschirm immer unglücklich und hilflos schien. Niemand konnte sich daran erinnern, diesen jemals aufgespannt gesehen zu haben.

Der Superintendent war einen ganzen Kopf größer. Er war ein Mann mächtigen Körperbaus mit einem gebräunten Gesicht, den ein zufällig Vorbeigekommener eher für einen erfolgreichen Landwirt gehalten hätte. Er besaß jedoch große Weisheit und einen sanften mit Scharfsinn verbundenen Humor, zwei Eigenschaften, die immer wieder in seinen kultivierten Äußerungen zum Ausdruck kamen und die nur wenige Landwirte besaßen.

Superintendent Harvey und Chefinspektor Dale waren mit den Ermittlungen in den geheimnisvollen Raubzügen betraut, deren Ausmaß und Reichweite das ganze Land entsetzt hatte. Nun war es ihre unangenehme Aufgabe, dem Chefkommissar über einen weiteren unerfreulichen Raub Bericht zu erstatten, der sich nur wenige Stunden zuvor in Birmingham ereignet hatte.

»Es ist dieselbe Bande, Sir«, sagte Chefinspektor Dale.

Er sprach ruhig, wobei durch eine sanfte, klare Note in seiner Stimme seine Tüchtigkeit zum Ausdruck kam. »Keine Frage. Diamanten im Wert von 8.000 Pfund.«

Der Chefkommissar schaute besorgt. Mit dem Monokel in der Hand ging er im komplett mit Teppich ausgelegten Raum auf und ab.

»Der Nachtwächter ist tot, Sir!«, fügte Superintendent Harvey hinzu.

»Tot?«

Sir Grahams Überraschung war in seiner Stimme kaum zu überhören.

»Ja.«

»Der arme Teufel wurde chloroformiert«, erklärte Dale. »Ich glaube nicht, dass sie ihn töten wollten. Dem Doktor zufolge war er während des Krieges einem Gasangriff ausgesetzt gewesen, und seine Lungen waren daher ganz schön schwach.«

Diese Neuigkeiten hatten Sir Graham nicht in die beste Laune versetzt.

»Das ist schlimm, Dale!«, sagte er gereizt. »Schlimm!«, wiederholte er mit Nachdruck.

»Er war neu«, sagte Harvey. »Er arbeitete erst seit ungefähr einem Monat bei Stirling.«

»Haben Sie ihn überprüft?«

»Ja. Sein Name war Rogers. Lefty Rogers. Bei Stirling arbeitete er unter dem Namen Dixon.«

Die Art und Weise, wie der Superintendent seine Worte betonte, und die Veränderung seiner Stimmlage waren dem Chefkommissar nicht entgangen.

»War er bei uns bekannt?«

»Er war sogar sehr gut bei uns bekannt! Alles vom einfachen Diebstahl bis hin zur Erpressung!«, informierte ihn Chefinspektor Dale.

Der Chefkommissar schnaufte.

»Inspektor Merritt hatte die Ermittlungen schon aufgenommen, als wir ankamen, Sir«, sagte Harvey.

»Inspektor Merritt? Oh, natürlich.«

Der Chefkommissar machte eine Pause.

»Wer hat den Raub eigentlich entdeckt?«

»Einer der Constables aus der Nachtschicht«, antwortete Inspektor Dale. »Ein Mann namens Finley. Er hat bemerkt, dass die Seitentür mit Gewalt aufgebrochen worden war. Zumindest hat er es uns so erzählt«, fügte er mit zweifelndem Unterton in der Stimme hinzu.

»Glauben Sie ihm denn nicht?«

»Nein«, antwortete Dale entschieden. »Ich glaube, dass er die Angewohnheit besaß, mit Rogers, oder Dixon – wie immer Sie ihn nennen möchten –, zu plaudern. Eigentlich hat er das schon zugegeben. Der Nachtwächter machte gerne Kaffee, und ich glaube, dass Constable Finley eine – hm – Leidenschaft für Kaffee hat.«

Der Chefkommissar schien über die Bedeutung dessen, was Dale ihm gesagt hatte, nachzudenken. »Denken Sie denn, er wusste, dass Dixon vorbestraft war?«, fragte er schließlich.

Dale zögerte den Bruchteil einer Sekunde, ehe er antwortete. »Nein, das glaube ich nicht.«

»Das ist der vierte Raub in zwei Monaten, Dale!«, sagte der Chefkommissar ungeduldig und nahm eine Zigarette aus dem kleinen elfenbeinernen Kästchen auf seinem Schreibtisch.

»Auf dem Tresor gab es keine Spuren«, sagte Inspektor Dale ruhig. »Wenn es die anderen Raube nicht gegeben hätte, würde ich schwören, dass es von jemandem durchgeführt wurde, der sich auskannte.«

»Was sagt denn Merritt dazu?«, fragte Forbes.

Dale schien amüsiert. »Er ist komplett durch den Wind, der arme Teufel. Er hatte eine seltsame Theorie über eine große kriminelle Organisation. Ich glaube, dass Inspektor Merritt eine eher bühnenreife Vorstellungskraft hat!«, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das eine leichte Nuance Verachtung in sich trug.

»Sie glauben also nicht, dass wir es mit einer kriminellen Organisation zu tun haben?«, fragte der Chefkommissar.

»Um Gottes Willen, nein! Kriminelle Organisationen gibt es doch nur in Romanen, Sir, im echten Leben existieren sie einfach nicht!«

Sir Graham schnaufte. »Ist das auch Ihre Meinung, Harvey?«, fragte er und wandte sich in die Richtung, in der Harvey saß, zur anderen Seite seines Schreibtisches.

»Um ganz ehrlich zu sein, Sir Graham, ich tendiere dazu, Merritt recht zu geben.«

Dale sah ihn mit offensichtlicher Überraschung an, aber Harvey fuhr fort: »Zuerst dachte ich, dass wir hinter einer gewöhnlichen Bande her wären, die einen unglaublich glücklichen Lauf hat«, sagte er, »aber inzwischen neige ich dazu, anders zu denken. Wissen Sie, es gibt da gewisse Aspekte in diesem Fall, die meiner Meinung nach auf die Existenz eines wirklich genialen Kopfes hinweisen. Auf einen Mann mit einem unglaublichen Gespür für das organisierte Verbrechen. Ich weiß, das klingt alles unwahrscheinlich, Sir, und ich will es nur widerwillig glauben, aber wir müssen uns den Tatsachen stellen – und die Tatsachen sind ganz schön hart.«

Er machte eine Pause, aber Sir Graham nickte als Zeichen, dass er fortfahren sollte.

»Zunächst war da der Fall bei Smithson in Gloucester. Eine Beute im Wert von 17.000 Pfund. Dann war da der Leicester-Fall, 9.000 Pfund Beute. Dann die Affäre in Derby mit 4.000 Pfund. Dabei ließen wir den Laden in Derby überwachen! Wir waren eigentlich auf ein Eingreifen vorbereitet, aber konnten es trotzdem nicht verhindern. Und schließlich ist da, als Krönung von allem, diese Sache in Birmingham, mit einer Beute von Diamanten im Wert von 8.000 Pfund. – Nein, Sir Graham, wenn wir es mit den üblichen Leuten zu tun hätten, Benny Lever, Dopey Crowman oder Spilly Stetson, dann hätten wir sie schon lange hinter Schloss und Riegel gebracht. Ich bin fest davon überzeugt, Sir Graham, dass wir es mit einer der größten kriminellen Organisationen in Europa zu tun haben!«

Harvey ließ sich durch seine steigende Aufregung völlig mitreißen, während er sich an die Details der geheimnisvollen Raubzüge erinnerte. Sir Graham hatte aufmerksam zugehört und sich gelegentlich Notizen auf einem Block auf seinem Schreibtisch gemacht. Das leichte Lächeln auf Dales Gesicht war äußerster Ernsthaftigkeit gewichen, als Harvey seinen dramatischen Bericht fortsetzte.

»Wo war der Nachtwächter, als sein Kumpel, ähm, Finley, ihn fand?«, fragte der Chefkommissar schließlich.

»An seinem üblichen Platz, Sir«, antwortete Dale. »Er hatte ein kleines Büro im hinteren Teil des Ladens.«

»Ich nehme an, Sie haben Finley befragt?«

»Guter Gott, ja, Sir!«, erwiderte Harvey mit Nachdruck. »Ich habe mich mit ihm fast eine Stunde lang unterhalten.«

»Haben Sie mit dem Nachtwächter gesprochen, ehe er starb, Dale?«

»Nein, Sir, ich nicht, aber Harvey.«

»Und, Harvey, was hatten Sie für einen Eindruck?«

»Er war ziemlich mitgenommen, als ich ihn sah«, sagte der Superintendent. »Der Doktor hat mich nicht länger als ein paar Minuten zu ihm gelassen.«

»Hat er irgendetwas gesagt?«

»Ja«, sagte Harvey ruhig, »in der Tat, das hat er.«

Superintendent Harvey sprach seltsam, und sowohl der Chefkommissar als auch Chefinspektor Dale warfen ihm verdutzte Blicke zu.

»Nun, was hat er gesagt?«, fragte der Chefkommissar mit Nachdruck.

»Es war gerade, als ich gehen wollte. … Er drehte sich um und murmelte ein paar Worte. Sie schienen mir zunächst unzusammenhängend zu sein. Genauer gesagt, habe ich erst etwa eine Minute später verstanden, was er gemeint hatte …«

Als er eine Pause machte, wurde der Chefkommissar immer ungeduldiger.

»Nun, was hat er denn gesagt, Harvey?«

»Er sagte: ›Der grüne Finger‹!«, antwortete der Superintendent ruhig

»›Der grüne Finger‹«, wiederholte Dale.

»Ja.«

»Aber – aber das gibt doch keinen Sinn.«

»Nur einen Augenblick, Dale«, sagte der Chefkommissar ganz in Gedanken versunken. »Erinnern Sie sich an den Mann, den wir vor etwa einem Monat aus dem Fluss gezogen haben? Wir dachten, dass er vielleicht etwas mit der Sache in Leicester zu tun gehabt hatte. Sie haben doch seinen Fingerabdruck gefunden auf …«

Dale unterbrach ihn. »Ach ja! Snipey Jackson. Ich war mit Lawrence unterwegs, als wir ihn gefunden haben. Der arme Teufel trieb wie ein leerer Sack den Fluss hinunter.« Er machte eine Pause, dann rief er: »Warten Sie mal … Erinnern Sie sich? Erinnern Sie sich, was er gesagt hat, bevor er starb? Ich glaube, ich weiß es! Mensch …!«

»Er sagte: ›Der grüne Finger‹!« Der Chefkommissar sprach langsam und betonte jede Silbe.

»Ja«, wiederholte Dale, »›Der grüne Finger‹.«

»Dasselbe wie der Nachtwächter«, fügte Harvey hinzu.

»Aber – was ist der grüne Finger? Was soll das bedeuten?«

»Das, mein lieber Superintendent«, erwiderte der Chefkommissar mit trockenem Humor, »ist eine der vielen Dinge, die wir herausfinden müssen.«

»Ich glaube, es gibt keinem Zweifel daran, dass Snipey Jackson in diese Leicester-Affäre verwickelt war«, sagte Dale. »Henderson hat zwei seiner Fingerabdrücke auf einem der Schaukästen gefunden.«

»Ja«, erwiderte Sir Graham. »Ich schätze, das war auch der Grund dafür, dass Sie und Lawrence ihn aus der Themse gefischt haben. Die Leute, mit denen wir es hier zu tun haben, wissen, wie man mit Inkompetenz umgeht. Das kann man wohl mit Fug und Recht von ihnen behaupten.«

»Sir Graham«, fragte Dale langsam, »glauben Sie ebenso wie Harvey und Inspektor Merritt, dass wir es mit einer kriminellen Organisation zu tun haben?«

Sir Graham stand auf und ging zum Kamin. Dort stand er mit dem Rücken zu den glühenden Flammen, während Dale und Harvey sich in ihren Sesseln herumdrehten und ihn ansahen. Eine Zeit lang sagte er nichts. Dann schien es so, als ob er zu einem Entschluss gekommen wäre.

»Ja, das tue ich, Dale«, sagte er ruhig.

»Ich nehme an, dass Sie die Zeitungen gesehen haben, Sir Graham?«

Es war Harvey, der die Frage gestellt hatte.

Die Wangen des Chefkommissars erröteten leicht. Dieses Thema schien ihn zu reizen. »Ja!«, schnappte er ungeduldig. »Ja, ich habe sie gesehen. ›Holt Paul Temple zu Hilfe!‹ – ›Warum holt Scotland Yard nicht Paul Temple zu Hilfe?‹ – Sie haben sogar Plakate damit gedruckt. Die Presse ist ziemlich aufgeregt über diese Affäre. Sehr aufgeregt!«

»Paul Temple«, sagte Dale nachdenklich. »Ist das nicht dieser Schriftsteller, der uns beim Tenworthy-Mord aus der Klemme geholfen hat?«

»Ja.«

»Tja, er hat den alten Tenworthy geschnappt!«, fuhr Dale fort. »Das muss man ihm zugutehalten.« Er wandte sich an den Superintendent.

»Er ist ein Freund von Ihnen, stimmt’s, Harvey?«

»Ich kenne ihn«, antwortete Harvey.

»Temple ist nur ein gewöhnlicher Amateurkriminalist«, sagte Sir Graham Forbes mit jeder Menge Verachtung in der Stimme. »Er hatte ein riesiges Glück im Fall Tenworthy und damit gleichzeitig jede Menge exzellenter Werbung für seine Romane bekommen.«

Superintendent Harvey wagte dies zu bezweifeln. »Ich glaube nicht, dass Paul Temple um Publicity bemüht war, Sir Graham«, sagte er ruhig.

»Lassen Sie sich nicht zum Narren halten, Harvey, natürlich war er darum bemüht! Alle diese Amateure brauchen Reklame!«

»Aber sie müssen zugeben, Sir Graham«, lachte Dale, »dass wir ein wenig erleichtert darüber waren, den trügerischen Mr. Tenworthy nicht wiedersehen zu müssen!«

»Ja!«, rief Sir Graham. »Und in diesem Augenblick wäre ich ebenfalls sehr erleichtert darüber, von Mr. Paul Temple nichts mehr hören zu müssen! Seitdem diese verflixte Sache begonnen hat, bombardieren uns Leute mit ›Holt Paul Temple zu Hilfe!‹-Briefen.« Sein Tonfall, der zunächst ungeduldig und verbittert geklungen hatte, bestand nun aus blanker Wut. Er vermied es jedoch, sich noch weiter hineinzusteigern. Als er den Satz zu Ende gesprochen hatte, öffnete sich die Tür und Sergeant Leopold, sein persönlicher Mitarbeiter, erschien. Der Chefkommissar schaute hinüber, verärgert darüber, dass man ihn störte.

»Was ist los, Sergeant?«, fragte er.

»Die Landkarte, Sir«, erwiderte Sergeant Leopold. »Erinnern Sie sich, Sie baten mich doch …«

»Ach ja«, unterbrach ihn der Chefkommissar.

»Legen Sie sie auf den Schreibtisch, Sergeant.«

Sergeant Leopold machte auf dem stark angeräumten Tisch etwas Platz und verließ den Raum. Statt seine hitzige Diskussion fortzusetzen, öffnete der Chefkommissar die Karte und breitete sie flach auf seinem Schreibtisch aus.

»Nun, Gentlemen«, sagte er, als die beiden Beamten aufgestanden waren und sich darüber gebeugt hatten, »dies ist eine Karte, die das gesamte Gebiet zeigt, auf dem die Verbrecher aktiv gewesen sind.« Er zeigte auf Kreise und andere Markierungen, die säuberlich von der Kartenabteilung in Scotland Yard eingezeichnet worden waren. »Sie sehen die Städte, die bereits betroffen waren. Gloucester, Leicester, Derby und Birmingham.« Er zeigte der Reihe nach auf jeden der vier Orte. »Wie Sie sehen, beginnt die Karte in Nottingham und kommt ganz in den Süden bis Gloucester … sie deckt genauer gesagt die gesamte Midlands-Region ab.«

Der Chefkommissar wich vom Tisch zurück. Er gestikulierte mit all jenem Nachdruck, den er verwendet hätte, wenn er sich an eine große und wichtige Versammlung gerichtet hätte.

»Gentlemen, irgendwo in diesem Gebiet ist das Hauptquartier einer der größten kriminellen Organisationen Europas. Diese Organisation muss zerschlagen werden!«

Kapitel 2 Paul Temple

Die Presse des Landes war der Idee verfallen, dass eine geheimnisvolle Verbrecherbande die Midlands im Griff hielt und machte in ihrem Sinne das Beste daraus. Berichte über den Krieg in Spanien und China waren allmählich langweilig geworden. Außerdem fanden es Nachrichtenredakteure sowohl schwierig als auch mühsam, diesbezüglich stets den neuesten Entwicklungen zu folgen. Nur eine gelegentliche schwere Bombardierung, die Einnahme einer großen Stadt oder das Sinken eines britischen Schiffs schafften es jetzt noch mit Sicherheit auf die Titelseiten.

Das tägliche nackte Sterben von Hunderten Männern war schon lange keine Schlagzeile mehr wert. Zudem hatte es schon seit Monaten keine wirklich gute Mordsgeschichte mehr gegeben, und so griffen die Verleger für ihre sehr großen und schrillen Schlagzeilen auf so unerschütterliche Jahrbücher wie Gretna Green oder die ›Katze‹ zurück.

Dann erschienen plötzlich aus heiterem Himmel die geheimnisvollen Midlands-Raubzüge auf der Bildfläche. Die Auflagenzahlen der Abendzeitungen erreichten schlagartig Höhen, zu denen sie keine nationale oder internationale Krise hätte führen können. Sonderreporter stellten ihre besonderen Nachforschungen an und verfassten lange Zusammenfassungen über das, was sie alles herausgefunden hatten. Es erschienen Artikel von bekannten Psychologen, Richtern, dem Vorsitzenden des Howard-Verbandes für die Strafrechtsreform und von Mr. George Bernard Shaw.

Jede Zeitung brachte andere Theorien und schlug unterschiedliche Methoden zur Ergreifung der Verbrecher vor. Eine veranstaltete sogar einen Wettbewerb, bei dem die Leserschaft Lösungsvorschläge einsenden konnte. Er wurde von Mr. Ronald Garth gewonnen, einem Maurer aus Battersea. Er war in weder grammatikalisch noch orthographisch korrekter Form davon überzeugt, dass die Verbrechen ein abgekartetes Spiel und Teil eines neuen Versuchs seien, das Interesse für den zivilen Luftschutz zu wecken. Er bekam einen Scheck über 10 Schilling und 6 Pence.

In einem Punkt jedoch waren sich alle Zeitungen einig: Der dringlichen Notwendigkeit, Mr. Paul Temple zu Hilfe zu holen. »Holt Paul Temple zu Hilfe!« wurde fast zu so etwas wie einem nationalen Slogan.

Sein Name tauchte auf fast jedem Poster in der Stadt auf. Die öffentlichen Busse waren mit seinem Foto geschmückt.

Scotland Yard verhielt sich ruhig und verfiel gänzlich in eine außerordentliche Agonie. Die »Holt Paul Temple zu Hilfe!«-Kampagne mochte man dort überhaupt nicht. Schon gar nicht die Hunderte von Briefen, die jeden Tag eintrudelten und im öffentlichen Interesse dazu aufforderten, Paul Temple zu Hilfe zu holen.

All diese Publicity war indes nicht ohne Mehrwert, denn Buchhändler berichteten sehr rasch über hohe Verkaufszahlen von Paul Temples Kriminalromanen, und eine der eher reißerischen Sonntagszeitungen beauftragte in der Hoffnung, den anderen damit zuvorzukommen, Mr. Temple mit einem Artikel über die steigende Bedrohung durch Verräter in Großbritannien und bezahlte ihm dafür die Rekordsumme von 1.000 Pfund. Zu deren Unglück veröffentlichte am Erscheinungstag eine andere, ebenso reißerische Zeitung, einen Artikel von Mr. Temple über die steigende Bedrohung durch Spione in Großbritannien, den dieser fünf Jahre zuvor geschrieben hatte und für den er mit 4 Pfund, 14 Schilling und 6 Pence entlohnt worden war, nachdem sein Agent, überglücklich darüber, ein altes Manuskript verkauft zu haben, die üblichen 25 Prozent Beteiligung abgezogen hatte.

Paul Temple hatte sechs Jahre dafür benötigt, aus der finsteren Dunkelheit eines unbekannten Autors ins Rampenlicht eines bekannten Schriftstellers aufzusteigen. Als er aus Oxford in die Hauptstadt gekommen war, bewarb er sich um eine Stelle bei der Zeitung und wurde schließlich Reporter bei einer der großen Londoner Tagesblätter. Nachdem er zwölf Monate alles von der Klatschspalte bis hin zu Sportberichten geschrieben hatte, begann er sich für Kriminalistik zu interessieren und spezialisierte sich schließlich auf Kriminalgeschichten.

Noch während er in der Fleet Street tätig war, versuchte er sich an einem Schauspiel. Sein Theaterstück Tanz, kleine Dame feierte 1929 im Ambassadors-Theater Premiere. Es wurde nur sieben Mal aufgeführt. Aus Ärger über das unerwartete Scheitern seines Stücks begann Paul Temple, seinen ersten Krimi zu schreiben.

Tod im Theater! erschien im darauffolgenden Jahr. Es wurde zu einem phänomenalen Erfolg, und Paul Temple verließ umgehend die Fleet Street.

Nicht genug damit – schon bald erlangte Temple den Ruf eines guten Kriminalisten. Von Zeit zu Zeit wurde er von bekannten Zeitungen darum gebeten, in deren Namen in einigen sensationellen Fällen zu ermitteln. Obwohl es im Allgemeinen nicht bekannt ist, war es doch so, dass Paul Temple in Wirklichkeit für die Verhaftung solch berüchtigter Krimineller wie Toni Silepi, Guy Grinzman und Tessa Jute verantwortlich gewesen war.

Was die aktuellen Verbrechen betraf, so lehnte Paul Temple jede Einbindung darin ab. Für die Reporter, die anriefen, um mit ihm zu sprechen, war er stets außerhalb der Stadt. Leider konnte keine Telefonnummer oder Adresse an sie weitergegeben werden. Es wurde vermutet, dass er sich auf einer Reise durch die Ukraine befände.

Einige energische Reporter gingen jedoch so weit, sich auf Campingstühlen vor dem großen Wohnblock in Golder’s Green zu platzierten, wo er in einer Mietwohnung mit Hotelservice weilte, wenn er in London war. Die einzige freie Wohnung in dem Gebäude war sogar schon für eine Jahresmiete von 460 Pfund warm von dem amerikanische Zeitungssyndikat Queen angemietet worden.

Gleichzeitig belauerten Reporter und Fotografen das Gelände von Bramley Lodge, Paul Temples nicht weit von Evesham gelegenem Landhaus.

Bramley Lodge war ein weitflächiges altelisabethanisches Haus, das Paul Temple zu einem durch seinen dürftigen Zustand bedingten sehr geringen Preis erworben hatte. Er hatte es vollbracht, es großteils wieder herzurichten, ohne die wunderschöne Fassade, die alten Eichenbalken und andere historische Besonderheiten des Gebäudes komplett zu ruinieren. Zudem wurde eine Zentralheizung installiert, es wurden Tennisplätze eingerichtet und ein ziemlich entzückender Steingarten geplant. Keine der Veränderungen hatte dazu beigetragen, Bramley Lodge zu verunstalten – im Gegenteil hatte es Paul Temple bewerkstelligt, aus Bramley Lodge einen sehr angenehmen Ort zu machen – und so wurde Paul Temple häufig von befreundeten Künstlern aber auch von Fremden sowie von Fotografen um Erlaubnis gebeten, das reizvolle alte Herrenhaus porträtieren zu dürfen. Nur Surrealisten erteilte er eine Absage.

Das Haus befand sich in der Mitte eines großen Parks mit einer Auffahrt, die von großen Eichenbäumen umsäumt war und zur Warwicker Hauptstraße hinunterführte. Über die genaue Größe seines Besitzes war sich Temple nicht genau im Klaren. Er hatte sich erst vor einigen Wochen eine einen halben Inch große Generalstabskarte gekauft und durch verschiedenste Berechnungen und ausführliche Verwendung von Kompassen und Stechzirkeln herausgefunden, dass er rund 350.000 Quadratmeter sehr schönen Grundes besaß. Das Vertrauen in seine eigenen mathematischen Kenntnisse war jedoch nicht besonders groß. (»Als ich noch auf der Rugby war, lagen meine Mathematiknoten mit monotoner Regelmäßigkeit bei acht Prozent«, pflegte er seinen Freunden zu erzählen.) Er hatte daran gedacht, das Problem an mathematisch begabtere Freunde weiterzugeben. Solange alle Papiere, die das Anwesen betrafen, »irgendwo weggesperrt« waren, hatte er nur sehr vage Vorstellungen über die Größe seines eigenen Besitzes.

An jenem Montag, zwei Tage nach der Sitzung bei Scotland Yard, hatten es Dr. Milton und dessen Nichte, Diana Thornley, zwei Nachbarn des Schriftstellers, durch das penetrante Spalier aus Zeitungsleuten hindurch geschafft und saßen nun im bequemen Wohnzimmer von Bramley Lodge.

Sie hatten eben erst ein vorzügliches Essen eingenommen, das unter der höchstpersönlichen Aufsicht Temples zubereitet worden war. Völlig zurecht konnte er sich auf seine kulinarischen Kenntnisse etwas einbilden, genauer gesagt pflegte er damit zu prahlen, dass seine Kenntnisse über Restaurants im Westend die allerbesten waren. Selbstverständlich kannte er fast jeden Küchenchef in London gut genug, um viele halbe Stunden wehmütig damit zu verbringen, sie bei den geheimnisvollen Wandlungsprozessen zu beobachten, mit denen sie aus Rohmaterialien jene Gerichte zauberten, die er später genießen sollte.

Die Kenntnisse, die er dadurch erworben hatte, kamen nun seinen Gästen zugute und so hatten an jenem Abend Dr. Milton und Diana Thornley das Mahl, das man ihnen serviert hatte, selbstverständlich sehr genossen.

Nun tranken sie ihren Kaffee vor dem großen Kamin. Die Männer saßen in dunkelbraunen Ledersesseln, Miss Thornley auf einem Stuhl an der Kaminecke. Ein schwerer türkischer Teppich machte den Raum weicher, und die bequemen alten Möbel verliehen ihm eine vertrauliche, gesellige Atmosphäre.

Die temperamentvolle, dunkelhaarige und dunkeläugige junge Frau war siebenundzwanzig Jahre alt und sah aus, als ob spanisches Blut durch ihre Adern flösse. Sie stand in seltsamem Kontrast zu den beiden Männern, die in Bezug auf ihr Temperament einige Gemeinsamkeiten hatten. Sie war impulsiv, alles andere als wortkarg und von harter Natur. Es sah so aus, als ob sie das Leben in vollen Zügen genoss. Sie war nicht verheiratet, was ständiger Anlass für Verwunderung und sogar für Sorge bei den einfachen Landleuten in dieser Gegend war.

Ihr Onkel sah Diana Thornley wenig ähnlich. Dr. Milton erklärte jedoch, dass sie nach ihrer Mutter und nicht nach ihrem Vater käme, der Miltons Bruder war. Er war von drahtiger Gestalt, die vermuten ließ, dass er viel Not durchgemacht habe, aber auch noch viel mehr aushalten könne. Er schien sich selten komplett wohlzufühlen.

Er hatte Temple erzählt, dass er in Sydney umfangreiche praktische Erfahrung hatte sammeln können und einige Forschungsreisen in die großen Wüsten Westaustraliens gemacht habe. Nun war er in sein Heimatland zurückgekehrt, um sich zur Ruhe zu setzen. Er schien kaum über 50 Jahre alt zu sein und war vermutlich jünger – sehr jung dafür, um sich zur Ruhe zu setzen, dachte Temple. Er schien jedoch genug Geld zu besitzen und genug zu tun zu haben, um keine Langweile aufkommen zu lassen.

Temple selbst war eine moderne Verkörperung von Sir Philip Sydney. Höflich in den Manieren, ein Mann dominanten Charakters, der niemals den Eindruck gab, dominierend zu sein.

Er war immer derselbe, egal ob er zu Hause im doppelreihigen Abendanzug, wie er ihn nun trug, der perfekte Gastgeber war, der seine Gäste unterhielt oder ob er in seiner legeren, weiten Tweedjacke Feldwege entlangschlenderte.

Niemand überraschte es zu hören, dass er Rugby Cricket vorzog, obwohl er beides gespielt hatte. Nun, im Alter von vierzig Jahren, hatte er die Heftigkeit des Spiels hinter sich gelassen, versäumte aber selten ein internationales Match. Innerhalb der Gruppe seines Hochschulteams in Oxford hatte er gut gespielt, war aber seltsamerweise niemals vom Auswahlkomitee in die Universitätsmannschaft berufen worden. Den Umstand, niemals die Ehre der Hochschule in einem sportlichen Wettkampf verteidigt zu haben, bedauerte er stets.

Er hatte die Angewohnheit, gemächlich zu gehen und in seiner Stimme fanden sich Spuren von dem, was in jüngeren Tagen eine sehr akzentuierte Oxforder Sprechweise gewesen war. Auf der anderen Seite konnte man spüren, dass vor einem ein Mann stand, dessen Größe kein wirkliches Hindernis war und von dem es besser wäre, ihn während eines Kampfes auf seiner Seite zu wissen.

Das Gespräch war langsam auf das Thema Verbrechen gekommen, wie es oft in diesem Wohnzimmer geschah. Sie diskutierten über den berüchtigten Fall Tenworthy und über Temples persönliche Kontakte mit dem Verbrechen im Unterschied zu seinem abstrakten Interesse daran.