Paul & Virginie - Jacques-Henri Bernardin Saint de Pierre - E-Book

Beschreibung

"Auf diese Art brachte sie mehrere Jahre zu, bald Atheistin, bald abergläubische Frömmlerin, und fürchtete den Tod eben so sehr, wie das Leben. Was aber das Ende dieses beklagenswerten Daseyns herbeiführte, war derselbe Grund, dem sie die Gefühle der Natur geopfert hatte. Sie hatte den Verdruß, sehen zu müssen, daß ihr Vermögen nach ihrem Tode Verwandten anheim fallen sollte, welche sie haßte."

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Jacques-Henri Bernardin de Saint Pierre

Paul & Virginie

e-artnow, 2018

INHALTSVERZEICHNIS

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

VORWORT

Inhaltsverzeichnis

Ich habe mir bei diesem kleinen Werke große Dinge vorgesetzt. Ich versuchte einen Boden und eine Vegetation zu schildern, die von der Europa's himmelweit verschieden ist. Lange genug haben unsre Dichter ihre Liebenden an Bachesufern, auf Wiesen und unter dem Laubwerk der Buchen ausruhen lassen. Die meinigen mußten sich auf dem Gestade des Meeres, am Fuße der Felsen, im Schatten der Cocospalmen, der Bananen und blühenden Citronenbäume niedersetzen. Es fehlt der andern Hälfte der Welt nur an Theokriten und Virgilen: sonst hätten wir schon längst mindestens eben so interessante Gemälde von ihr, als von unserm eigenen Lande. Ich weiß, daß geschmackvolle Reisende uns begeisterte Schilderungen von mehreren Inseln der Südsee entworfen haben; aber die Sitten ihrer Einwohner, und noch mehr die der Europäer, die dort landen, verderben oft die Landschaften. Ich wünschte, mit der Schönheit der Tropennatur die moralische Schönheit einer kleinen Gesellschaft zu verbinden. Dabei beabsichtigte ich den Beweis von mehreren großen Wahrheiten herzustellen, z. B. von der, daß unser Glück einzig und allein auf einem natur- und tugendgemäßen Wandel beruht. Ich brauchte nicht erst einen Roman zu ersinnen, um glückliche Familien zu schildern. Ich kann versichern, daß Diejenigen, von denen ich sprechen will, wirklich gelebt haben, und daß ihre Geschichte in den Hauptbegebenheiten wahr ist. Mehrere Bewohner von Isle-de-France, mit denen ich in genauer Bekanntschaft stand, haben mir dieß verbürgt. Ich selbst habe bloß einige unbedeutende Umstände hinzugefügt, die aber für mich persönlich sind und dadurch auch Anspruch auf Realität haben. Als ich vor einigen Jahren eine höchst unvollkommene Skizze von dieser Art Idylle entworfen hatte, bat ich eine schöne Dame, die sich viel in der großen Welt umhertrieb, und einige ernste Männer, die fern von ihrem Geräusche lebten, um Erlaubniß, sie ihnen vorzulesen, um ihren Eindruck auf Leser von so verschiedenen Gemüthsarten zum Voraus einigermaßen berechnen zu können: und es wurde mir die Befriedigung zu Theil, sie Alle in Thränen zu sehen. Dieß war mir Urtheils genug und ich verlangte nicht mehr zu wissen. Aber wie oft große Fehler mit kleinen Talenten Hand in Hand gehen, so brachte mich dieser Erfolg auf den eiteln Gedanken, meinem Werke den Titel: ein Naturgemälde zu geben. Glücklicher Weise fiel mir noch ein, wie sehr mir die Natur selbst des Klima's, wo ich geboren bin, fremd war; wie sie in den Ländern, wo ich ihre Erzeugnisse nur als Reisender gesehen habe, so reich, so mannigfaltig, so liebenswürdig, so prachtvoll und so geheimnißvoll ist, und wie es mir so gänzlich an Scharfblick, Geschmack und Ausdrücken fehlt, um sie vollkommen zu erkennen und zu malen. Ich besann mich also eines Bessern, reihte diesen schwachen Versuch als Anhang meinen Studien der Natur an, die das Publicum so wohlwollend aufgenommen hat, und da ich in diesem Titel die Unzulänglichkeit meiner Kräfte selbst zugestehe, so hoffe ich auch ferner auf seine Nachsicht rechnen zu dürfen.

KAPITEL 1

Inhaltsverzeichnis

Seitwärts gegen Osten von dem Berge, welcher sich hinter Port-Louis auf Isle-de-France erhebt, sieht man in einem vormals angebauten Landstrich die Ruinen zweier kleinen Hütten. Sie liegen beinahe in der Mitte eines von großen Felsen gebildeten Beckens, das nur eine einzige Oeffnung gegen Norden hat. Zur Linken gewahrt man den Berg, welcher der Hügel der Entdeckung heißt, und von wo aus die Schiffe signalisirt werden, die an der Insel landen, und am Fuße dieses Berges die Stadt Namens Port-Louis; zur Rechten sieht man den Weg, welcher von Port-Louis in das Quartier der Pompelmusen führt; dann die Kirche dieses Namens, welche sich mit ihren Bambuszugängen mitten in einer großen Ebene erhebt, und weiter hin einen Wald, der sich bis an die äußersten Enden der Insel ausdehnt. Vor sich hat man an den Küsten des Meeres die Bucht des Grabes, ein wenig rechts davon das unglückliche Vorgebirge und darüber hinaus die offene See, über deren Wasserspiegel einige unbewohnte Inselchen zum Vorschein kommen, unter andern der sogenannte Richtkeil, welcher einer Bastei mitten in den Fluten gleicht.

Am Eingange dieses Beckens, von wo aus man so viele Gegenstände entdeckt, wiederholen die Echo des Berges ohne Unterlaß das Geräusch der Winde, welche die nahen Wälder durchsausen, und das Getöse der Wogen, welche fern an den Felsenriffen sich brechen; aber am Fuß der Hütten selbst hört man durchaus kein Geräusch mehr und sieht rings um sich nichts als große, steil wie Mauern sich erhebende Felsen. Baumgruppen wachsen an ihrem Fuße, in ihren Spalten und bis zu den Gipfeln hinauf, an welchen die Wolken anstehen. Die Regengüsse, welche von ihren Spitzen herbeigezogen werden, malen oft die Farben des Regenbogens auf ihre grünen und braunen Seiten und speisen an ihrem Fuße die Quellen, aus denen das Latanflüßchen entsteht. Tiefe Stille herrscht in ihrem Umkreis, wo Alles friedlich ist, die Luft, die Gewässer und das Licht. Kaum gibt das Echo daselbst das Gesäusel der Palmen zurück, die auf ihren Anhöhen wachsen, und deren lange Schäfte man beständig durch die Winde hin und her bewegt sieht. Ein mildes Licht erhellt den Grund dieses Beckens, in welchem die Sonne nur am Mittag scheint; aber von der Morgenröthe an treffen ihre Strahlen seinen Kranz, dessen über die Schatten des Berges sich erhebende Spitzen wie vergoldet und bepurpurt auf dem Blau des Himmels erscheinen.

That ich etwas gerne, so war es, daß ich diesen Ort besuchte, wo man zugleich einer unermeßlichen Aussicht und einer tiefen Einsamkeit genießt. Eines Tages, als ich mich unterhalb dieser Hütten niedergesetzt hatte und die Trümmer derselben betrachtete, ging ein schon bejahrter Mann in meiner Nähe durch die Gegend. Er trug nach der Gewohnheit der früheren Bewohner eine kurze Jacke und lange Beinkleider. Er ging barfuß und stützte sich auf einen Stab von Ebenholz. Seine Haare waren ganz weiß, und seine Gesichtszüge edel und einfach. Ich grüßte ihn achtungsvoll. Er erwiderte meinen Gruß; und, nachdem er mich einen Augenblick betrachtet hatte, näherte er sich mir und schickte sich an, auf der Rasenerhöhung auszuruhen, auf welcher ich saß. Ermuntert durch dieses Zeichen von Zutrauen, richtete ich das Wort an ihn. »Mein Vater,« sagte ich zu ihm, »könnet Ihr mir vielleicht sagen, wem diese beiden Hütten gehört haben?« Er antwortete mir: »Mein Sohn, dieses Gemäuer und dieser wüstliegende Boden waren vor etwa zwanzig Jahren von zwei Familien bewohnt, welche daselbst ihr Glück gefunden hatten. Ihre Geschichte ist rührend; aber welcher Europäer kann in dieser auf dem Wege nach Indien gelegenen Insel an dem Schicksal einiger dunkeln Privatleute Antheil nehmen? Wer möchte gar hier glücklich, aber arm und unbekannt leben? Die Menschen wollen nur die Geschichte der Großen und der Könige kennen lernen, welche Niemanden etwas nützt.« – »Mein Vater!« erwiderte ich, »aus Euerm Aeußern und Euren Reden läßt sich leicht abnehmen, daß Ihr Euch große Erfahrung erworben habt. Gebricht es Euch nicht an Zeit, so erzählet mir, ich bitte Euch, was Ihr von den frühern Bewohnern dieser Einöde wisset, und glaubet, daß selbst der durch die Vorurtheile der Welt entartetste Mensch gern von dem Glücke reden hört, welches Natur und Tugend gewähren.« Nachdem hierauf der Greis, wie Einer, welcher sich verschiedene Umstände in's Gedächtniß zurückzurufen sucht, seine Hände eine Weile auf die Stirne gestützt hatte, erzählte er mir Folgendes:

Meines Wissens war es im Jahr 1726, daß sich ein junger Mann aus der Normandie, Namens Herr von Latour, nachdem er vergebens Dienste in Frankreich und Unterstützung bei seiner Familie gesucht hatte, nach dieser Insel zu kommen entschloß, um daselbst sein Glück zu machen. Er hatte eine junge Frau bei sich, die er sehr liebte, und von der er in gleichem Grade geliebt wurde. Sie stammte aus einem alten und reichen Hause in seiner Provinz; aber er hatte sie heimlich und ohne Mitgabe geheirathet, weil die Verwandten seiner Frau sich ihrer Verbindung mit ihm widersetzt hatten, in Betracht, daß er kein Edelmann war. Er ließ sie in Port-Louis auf dieser Insel zurück und schiffte sich nach Madagascar ein, in der Hoffnung, daselbst einige Schwarze zu kaufen und schnell wieder zu kommen, um hier eine Pflanzung anzulegen. Er landete in Madagascar gegen die schlimme Jahrszeit hin, welche um die Mitte Octobers beginnt; und kurze Zeit nach seiner Ankunft starb er daselbst an den pestartigen Fiebern, welche auf jener Insel sechs Monate des Jahres hindurch herrschen, und welche die europäischen Nationen stets verhindern werden, feste Niederlassungen dort zu gründen. Die Habseligkeiten, welche er mitgebracht hatte, wurden nach seinem Tode zerstreut, wie es gewöhnlich bei Denjenigen der Fall ist, welche außerhalb ihres Vaterlandes sterben. Seine Frau, die auf Isle-de-France zurückgeblieben war, sah sich als Wittwe, in gesegneten Leibesumständen und ohne irgend einen andern Besitz außer einer Negerin, in einem Lande, wo sie weder Credit noch Empfehlung hatte. Indem sie bei keinem Menschen nach dem Tode Desjenigen, den sie allein geliebt hatte, um etwas bitten wollte, schöpfte sie Muth aus ihrem Unglücke. Sie beschloß, mit ihrer Sklavin einen kleinen Fleck Landes anzubauen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verschaffen.

Auf einer beinahe öden Insel, deren Boden keinen Herrn hatte, wählte sie weder die fruchtbarsten noch die für den Handel günstigsten Gegenden; sondern, da sie irgend eine Gebirgsschlucht, irgend ein verborgenes Asyl suchte, wo sie allein und unbekannt leben könnte, so begab sie sich aus der Stadt auf den Weg gegen diese Felsen, um sich hieher, wie in ein Nest, zurück zu ziehen. Es ist ein allen gefühlvollen und leidenden Wesen gemeinsamer Instinct, an den wildesten und ödesten Oertern eine Zufluchtsstätte zu suchen, als ob Felsen Wälle gegen das Mißgeschick wären, und als ob die Ruhe der Natur die unglücklichen Stürme der Seele beschwichtigen könnte. Allein die Vorsehung, die uns zu Hülfe kommt, wenn wir nur die notwendigen Güter begehren, hatte für die Frau von Latour eines aufbehalten, das weder Reichthum noch Größe gibt, nämlich eine Freundin.

Es wohnte an diesem Ort seit einem Jahr eine lebhafte, gute und gefühlvolle Frau, Namens Margarethe. Sie war in Bretagne geboren und stammte aus einer schlichten Bauernfamilie, von der sie zärtlich geliebt war, und welche sie glücklich gemacht hätte, wäre sie nicht so schwach gewesen, den Liebesversicherungen eines Edelmannes aus ihrer Nachbarschaft Glauben zu schenken, der ihr die Ehe versprochen hatte; dieser aber, nachdem er seine Leidenschaft befriedigt, entfernte sich von ihr und weigerte sich sogar, ihr den Unterhalt für ein Kind zuzusichern, welches sie unter dem Herzen trug, als er sie verließ. Sie hatte sich damals entschlossen, für immer von dem Dorfe, wo sie geboren war, Abschied zu nehmen und ihren Fehltritt in den Colonien zu verbergen, fern von ihrer Heimath, wo sie die einzige Mitgabe eines armen und ehrlichen Mädchens, ihren guten Ruf, verloren hatte. Ein alter Schwarzer, den sie um einiges geliehenes Geld angekauft hatte, bebaute mit ihr einen kleinen Winkel dieser Gegend.

Margarethen nun traf Frau von Latour, begleitet von ihrer Negerin, an diesem Orte an, wie sie gerade ihr Kind stillte. Sie war sehr erfreut, eine Frau in einer Lage zu treffen, welche sie der ihrigen für ähnlich hielt. Sie eröffnete ihr in wenigen Worten ihre früheren Umstände und ihre gegenwärtigen Bedürfnisse. Margarethe wurde bei der Erzählung der Frau von Latour von Mitleid ergriffen; und, in der Absicht, mehr ihr Vertrauen als ihre Achtung zu verdienen, bekannte sie ihr, ohne etwas zu verhehlen, die Unvorsichtigkeit, welcher sie sich schuldig gemacht hatte. »Ich,« sagte sie, »ich habe mein Los verdient; aber Sie, Madame… .. Sie, weise und unglücklich!« Und sie bot ihr unter Thränen ihre Hütte und ihre Freundschaft an. Frau vonLatour, voll Rührung über einen so zarten Empfang, sagte zu ihr, indem sie sie in ihre Arme schloß: »Ha! Gott will mein Leiden enden, da er Ihnen gegen mich, die ich Ihnen fremd bin, mehr Güte einflößt, als ich je bei meinen Verwandten gefunden habe.«

Ich kannte Margarethen; und, obwohl ich anderthalb Meilen von hier im Walde hinter dem langen Berge wohne, betrachtete ich mich doch als ihren Nachbar. In den europäischen Städten verhindert eine Straße, eine einfache Mauer die Glieder einer und derselben Familie ganze Jahre hindurch, zusammen zu kommen; aber in den neuen Colonien sieht man Diejenigen als seine Nachbarn an, von welchen man nur durch Wälder und Berge getrennt ist. In jener Zeit besonders, wo diese Insel noch wenig Handel nach Indien trieb, war schon die bloße Nachbarschaft ein Anspruch auf Freundschaft, und die Ausübung der Gastfreiheit gegen Fremde eine Pflicht und ein Vergnügen. Als ich erfuhr, daß meine Nachbarin eine Gesellschafterin habe, besuchte ich sie, um zu sehen, ob ich nicht der Einen oder der Andern nützlich werden könnte. Ich fand in Frau von Latoureine Person von anziehender Gesichtsbildung voll Adel und Schwermuth. Sie war damals ihrer Entbindung nahe. Ich machte die beiden Frauen darauf aufmerksam, daß es ihrer Kinder wegen und besonders, um die Niederlassung irgend eines andern Bewohners zu hintertreiben, räthlich wäre, den Grund dieses Beckens, der ungefähr zwanzig Morgen begreift, unter ihnen zu theilen. Sie überließen mir diese Theilung. Ich machte zwei beinahe gleiche Portionen daraus.: die eine bestand aus dem obern Theil dieses eingeschlossenen Bezirks, von jener mit Wolken bedeckten Felsenspitze an, aus welcher die Quelle des Latanflusses hervorbricht, bis zu der steilen Oeffnung, die Sie oben auf dem Berge sehen, und die man die Schießscharte nennt, weil sie wirklich einer Geschützöffnung in einer Mauer gleicht. Der Grund dieses Bodens ist so felsig und klüftig, daß man kaum darauf gehen kann; übrigens bringt er große Bäume hervor und ist voll Quellen und kleiner Bäche. Unter der andern Portion begriff ich den ganzen untern Theil, welcher sich längs des Latanflusses bis zu der Thalmündung ausdehnt, wo wir uns befinden, und von wo dieser Fluß zwischen zwei Hügeln bis zum Meere hinzulaufen beginnt. Sie sehen hier einige Wiesenstreifen und einen ziemlich ebenen Boden, der aber nicht besser ist, als der andere. denn in der Regenzeit ist er sumpfig und in der trockenen Jahreszeit hart wie Blei: wenn man alsdann einen Graben hier ziehen will, so ist man genöthigt, ihn mit der Axt auszuhauen. Nachdem ich diese zwei Theile gemacht hatte, forderte ich die beiden Frauen auf, sie unter einander zu verlosen. Der obere Theil fiel der Frau von Latour, und der untere Margarethen zu. Beide waren zufrieden mit ihrem Los, baten mich jedoch, ihre Wohnung nicht zu trennen, »damit wir,« sagten sie zu mir, »uns immer sehen und sprechen und einander helfen können.« Indessen mußte doch jede derselben einen besondern Zufluchtsort haben. Die Hütte Margarethens befand sich mitten in dem Becken, gerade auf den Grenzen ihres Grundeigentums. Ich erbaute ganz nahe dabei, auf demjenigen der Frau von Latour, eine zweite Hütte, so daß die beiden Freundinnen zugleich in der Nähe von einander und doch jede auf dem Besitzthum ihrer Familie war. Ich selbst habe Pfähle dazu auf dem Berge gehauen; ich habe Latanblätter von den Ufern des Meeres herbeigetragen, um diese beiden Hütten aufzurichten, an denen Sie jetzt weder Thüre noch Dachbedeckung mehr sehen. Ach, es ist nur noch zu viel davon für meine Erinnerung übrig! Die Zeit, welche die Denkmale der Königreiche so schnell zerstört, scheint in diesen Einöden die der Freundschaft zu schonen, um meinen Kummer bis an mein Lebensende zu verlängern.

Als kaum die zweite dieser Hütten vollendet war, wurde Frau von Latour von einer Tochter entbunden. Ich war der Pathe vonMargarethens Kind gewesen, welches Paul hieß. Frau von Latour bat mich, auch ihre Tochter in Gemeinschaft mit ihrer Freundin aus der Taufe zu heben. Die Letztere gab ihr den Namen Virginie. »Sie wird tugendhaft seyn,« sagte sie, »und sie wird glücklich seyn. Ich habe das Unglück erst kennen gelernt, als ich mich von der Tugend entfernte.«

Als Frau von Latour wieder aus den Wochen war, fingen die beiden kleinen Pflanzungen an in einigen Ertrag zu kommen vermöge der Sorgfalt, welche ich von Zeit zu Zeit darauf verwendete, hauptsächlich aber durch die emsigen Arbeiten ihrer Sklaven. Der Schwarze Margarethens, mit Namen Domingo, war ein Jolof-Neger und noch wohl bei Kräften, wenn schon bejahrt. Er hatte Erfahrung und einen gesunden natürlichen Verstand. Er baute ohne Unterschied auf beiden Besitzungen die Bodenstrecken an, welche ihm die fruchtbarsten schienen, und zog in denselben Dasjenige, was am besten darin fortkam. Er säte Hirse und Wälschkorn an die mittelmäßigen Plätze, ein wenig Weizen in den guten Boden, Reiß in die sumpfigen Gründe und an dem Fuß der Felsen eßbaren Eibisch, Calebassen und Gurken, welche sich gerne daran herumranken. An den trockenen Stellen pflanzte er Pataten, welche daselbst sehr süß werden, Baumwolle auf den Höhen, Zuckerrohr im starken Boden, Kaffee auf den Hügeln, wo die Narbe nicht tief, aber vortrefflich ist; längs des Flusses und um die Hütten her Pisangbäume, welche das ganze Jahr hindurch lange Fruchtzweige mit schönem Schatten geben, und endlich einige Tabakspflanzen, um sich und seinen guten Gebieterinnen die Sorgen zu versüßen. Er fällte Brennholz auf dem Berge und sprengte Felsen da und dort in den Pflanzungen, um die Wege darin zu ebnen. Alle diese Arbeiten verrichtete er mit Einsicht und Thätigkeit, weil er sie mit Eifer verrichtete. Er war sehr anhänglich an Margarethen, und nicht minder war er es an Frau von Latour, deren Negerin er bei Virginiens Geburt geheirathet hatte. Er liebte seine Frau, welche Marie hieß, leidenschaftlich. Sie war auf Madagascar geboren, von wo sie einigen Kunstfleiß mitgebracht hatte, besonders in Verfertigung von Körben und sogenannten Negerschürzen aus Gräsern, welche in den Wäldern wachsen. Sie war geschickt, reinlich und sehr treu. Sie besorgte die Zubereitung des Essens und die Zucht einiger Hühner und ging von Zeit zu Zeit nach Port-Louis, um den Ueberfluß von dem Ertrage der beiden Pflanzungen zu verkaufen, der freilich höchst unbedeutend war. Nehmen Sie dazu zwei neben den Kindern aufwachsende Ziegen und einen großen Hund, welcher des Nachts draußen Wache hielt, so können Sie sich eine Vorstellung von dem ganzen Einkommen und Hauswesen dieser beiden kleinen Maiereien machen.

Was die beiden Freundinnen betrifft, so spannen sie vom Morgen bis zum Abend Baumwolle. Diese Arbeit reichte hin zu ihrem und ihrer Familie Unterhalt; sonst aber waren sie so entblößt von fremdartigen Bequemlichkeiten, daß sie in ihrer Pflanzung barfuß gingen und nur Schuhe trugen, um Sonntags früh die Messe in der Kirche der Pompelmusen zu besuchen, die Sie dort unten sehen. Es ist indessen viel weiter dahin, als nach Port-Louis; sie begaben sich jedoch selten in die Stadt, aus Scheu, selbst über die Achsel angesehen zu werden, weil sie, wie Sklavinnen, in grobe blaue bengalische Leinwand gekleidet waren. Alles wohl bedacht, wiegt das öffentliche Ansehen das häusliche Glück auf? Wenn diese Frauen draußen ein wenig zu leiden hatten, so gingen sie um so lieber wieder heim. Kaum gewahrten Marie und Domingo sie von dieser Anhöhe auf dem Wege der Pompelmusen, so liefen sie ihnen bis an den Fuß des Berges entgegen, um ihnen denselben heraufsteigen zu helfen. Sie lasen in den Augen ihrer Sklaven die Freude darüber, sie wieder zu sehen. Zu Hause trafen sie Reinlichkeit, Freiheit – Güter, welche sie nur ihren eigenen Arbeiten verdankten – und Dienstboten voll Eifer und Anhänglichkeit. Sie selbst, durch die gleichen Bedürfnisse vereinigt, durch eine ähnliche Leidensschule gegangen, durch die süßen Namen Freundin, Gefährtin und Schwester an einander gekettet, hatten nur einen Willen, einen Vortheil, einen Tisch. Alles war gemeinschaftlich unter ihnen. Nur, wenn eine frühere Glut, lebendiger als die der Freundschaft, in ihrer Seele wieder erwachte, richtete eine reine Religion, unterstützt von keuschen Sitten, ihren Geist auf ein anderes Leben, wie die Flamme, welche zum Himmel entschwebt, wenn sie auf der Erde keine Nahrung mehr hat.

Trug etwas zum Glück ihrer Vereinigung bei, so war es die gemeinsame Ausübung natürlicher Pflichten. Ihre gegenseitige Freundschaft verdoppelte sich bei dem Anblick ihrer Kinder, der Frucht einer gleich unglücklichen Liebe. Sie machten sich ein Vergnügen daraus, sie zusammen in dasselbe Bad zu setzen und in dieselbe Wiege zu legen. Oft nahm die Eine das Kind der Andern an die Brust, um es zu stillen. »Meine Freundin!« sagte Frau von Latour, »jede von uns soll zwei Kinder, und jedes von unsern Kindern zwei Mütter haben.« Wie zwei Knospen, welche an zwei Bäumen von gleicher Gattung übrig bleiben, nachdem der Sturm alle Aeste derselben zerbrochen hat, süßere Früchte treiben, wenn jede von ihnen von dem Mutterstamm weggenommen und auf den Nachbarstamm gepfropft wird. so erfüllte sich das Gemüth dieser beiden aller ihrer sonstigen Verwandten beraubten kleinen Kinder mit zärtlicheren Gefühlen, als denen von Sohn und Tochter, Bruder und Schwester, wenn sie von den beiden Freundinnen, die ihnen das Leben gegeben hatten, wechselsweise an die Brust gelegt wurden. Schon an ihren Wiegen sprachen ihre Mütter von ihrer Heirath; und diese Aussicht auf eheliches Glück, durch welche sie ihre eigenen Leiden versüßten, endigte sehr oft damit, daß sie weinen mußten: die Eine, wenn ihr einfiel, ihr Unglück rühre daher, daß sie das Eheband verscherzt habe, und die Andere, daß sie es eingegangen; die Eine, daß sie sich über ihren Stand erhoben, und die Andere, daß sie sich unter denselben herunterbegeben habe; allein sie trösteten sich mit dem Gedanken, daß eines Tages ihre Kinder, glücklicher als sie, fern von Europas grausamen Vorurtheilen, zugleich die Wonne der Liebe und das Glück der Gleichheit genießen würden.

Wirklich konnte man auch nichts mit der Zuneigung vergleichen, welche sie bereits gegen einander an den Tag legten. Wenn Paul klagte, so zeigte man ihm Virginien; bei ihrem Anblick lächelte er und wurde ruhig. Wenn Virginien etwas fehlte, so wurde man durch Pauls Schreien davon in Kenntniß gesetzt; allein das liebenswürdige Mädchen verhehlte eben so bald ihr Uebel, damit er unter ihrem Schmerz nicht leiden sollte. Ich kam nicht ein Mal hieher, daß ich nicht Beide ganz nackt nach der Gewohnheit des Landes, als sie kaum gehen konnten, Hand in Hand und die Arme ineinander geschlungen gesehen hätte, wie man das Gestirn der Zwillinge abbildet. Sogar die Nacht konnte sie nicht trennen; sie überraschte sie oft, während sie in derselben Wiege lagen, Wange an Wange, Brust an Brust, die Hände gegenseitig um ihren Hals gelegt, und Eines in den Armen des Andern eingeschlafen.

Wie sie sprechen konnten, waren die ersten Namen, die sie sich geben lernten, Bruder und Schwester. Die Kindheit, welche zärtlichere Liebkosungen kennt, findet doch keine süßere Namen. Ihre Erziehung verdoppelte nur ihre Freundschaft dadurch, daß sie dieselbe auf ihre wechselseitigen Bedürfnisse richtete. Bald war Alles, was zur Haushaltung, zur Reinlichkeit, zur Bereitung eines ländlichen Mahles gehört, Virginiens Wirkungskreis, und ihre Arbeiten wurden stets von den Lobsprüchen und Küssen ihres Bruders begleitet. Dieser dagegen, unaufhörlich in Thätigkeit, schorte mit Domingo im Garten; oder begleitete er denselben, eine kleine Axt in der Hand, in den Wald; und wenn er bei diesen Ausflügen eine schöne Blume, eine wohlschmeckende Frucht oder ein Vogelnest ansichtig wurde, wären sie auch auf dem Gipfel eines Baumes gewesen, so kletterte er hinauf, um sie seiner Schwester zu bringen.

Wenn man dem Einen von ihnen begegnete, so war man sicher, daß das Andere nicht weit sey. Als ich eines Tages von dem Gipfel dieses Berges herabstieg, bemerkte ich am äußersten Ende des Gartens Virginien, welche dem Hause zulief, ihr Unterröckchen über dem Kopf, das sie hinten hinaufgeschlagen hatte, um sich gegen einen Regenguß zu schützen. Von Weitem glaubte ich, sie sey allein; als ich aber näher hinzu kam, um ihr vorwärts zu helfen, sah ich, daß sie Paul am Arm hielt, der beinahe ganz in dieselbe Bedeckung eingehüllt war, wobei Beide darüber lachten, daß sie zusammen unter einem Regenschirm von ihrer eigenen Erfindung im Trockenen seyen. Die beiden reizenden Köpfchen, unter dem aufgeblasenen Unterröckchen versteckt, erinnerten mich an die Kinder der Leda, welche in einer und derselben Schale eingeschlossen waren.