Paulas New-York-Buch - Ulrike Kuckero - E-Book

Paulas New-York-Buch E-Book

Ulrike Kuckero

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Beschreibung

New York, ich komme! Paula kann ihr Glück kaum fassen: Sie darf ihren Vater zum Marathon in die berühmteste Stadt der Welt begleiten. Doch damit nicht genug – ihre Freundin Maxie, die seit Monaten mit ihrer Mutter in einem kleinen Kaff in Arizona hockt, soll auch kommen! Die Freude über ihr Wiedersehen aber ist von kurzer Dauer. Irgendetwas stimmt nicht mit Maxie. Sie ist total abgemagert und benimmt sich richtig merkwürdig. Als die beiden Paulas Vater beim Marathon zujubeln, bricht Maxie plötzlich zusammen – und Paula weiß, dass ihre Freundin dringend Hilfe braucht.

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Seitenzahl: 201

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Ulrike Kuckero

Paulas New-York-Buch

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

New York, ich komme! Paula kann ihr Glück kaum fassen: Sie darf ihren Vater zum Marathon in die berühmteste Stadt der Welt begleiten. Doch damit nicht genug – ihre Freundin Maxie, die seit Monaten mit ihrer Mutter in einem kleinen Kaff in Arizona hockt, soll auch kommen! Die Freude über ihr Wiedersehen aber ist von kurzer Dauer. Irgendetwas stimmt nicht mit Maxie. Sie ist total abgemagert und benimmt sich richtig merkwürdig. Als die beiden Paulas Vater beim Marathon zujubeln, bricht Maxie plötzlich zusammen – und Paula weiß, dass ihre Freundin dringend Hilfe braucht.

Über Ulrike Kuckero

Ulrike Kuckero wurde in Bremen geboren, studierte nach dem Abitur Literaturwissenschaften, Anglistik und Pädagogik in Kiel, New York und Hamburg und lebt inzwischen wieder in Bremen.

Inhaltsübersicht

Für Lilith in ...Das Leben ist ungerechtEin Anruf, der alles ändertPaula allein in New York?Mütter und ihre SorgenNoch ein Anruf, der alles verändertNoch mehr AnrufeSchlaflos in DeutschlandAbschiedseisAbschiedsküsseNew York City, wir kommen!Wiedersehen in den USAWelcome!Ernste ProblemeLetzter Helt vor BrooklynSchönheit am Times SquareHäuser und HüftenSchwarzbrot und BefürchtungenSorgen um Töchter und VäterHeimweh im Central ParkEmpire State Building und eine ÜberraschungShoppen in SoHo und ein schwieriges GesprächDie Freiheitsstatue und any problems?Ground Zero und Fortune CookiesWichtige EntdeckungenVerliebt in New YorkKüsse, Läufer und eine Fata MorganaZusammenbruch an der Canal StreetPaulas gute IdeeNoch ein Anruf, der alles ändertEin verlorenes Herz zum Essen

Für Lilith in Erinnerung an unsere Woche in New York

Das Leben ist ungerecht

Paula saß in ihrem Zimmer auf dem Fensterbrett und starrte hinaus in den Herbstabend. Das gelbe Laub an der Birke fiel wie goldener Regen auf den nassen Rasen. Der Himmel färbte sich erst grün, dann hellblau, schließlich webte die untergehende Sonne noch ein paar rote Fäden in die Wolken am Horizont und ließ ihr Licht kurz aufleuchten, dann versank alles in Dunkelheit.

Paula seufzte tief. Eigentlich könnte alles so schön sein. Immerhin begannen am Ende der nächsten Woche die Herbstferien. Doch wenn sie es recht bedachte, war es alles andere als schön. Denn alle hatten etwas vor, nur sie nicht.

Ihre Freundin Judith fuhr mit ihrer Familie nach Mallorca, und darauf freute sie sich besonders, weil der Sommerurlaub wegen ihres gebrochenen Fußes ins Wasser gefallen war. «Endlich mal wieder weg!», hatte sie neulich noch gesagt und genüsslich die Arme gereckt.

Und Maxie, ebenfalls Mitglied in der Mädchen-Arche – so nannten sich die fünf Freundinnen seit der letzten Klassenfahrt zum Silbersee –, Maxie war seit vier Monaten mit ihrer Mutter in Amerika und musste dort zur Schule gehen oder mit dem staubigen Pick-up zu irgendwelchen Indianern fahren, die ihre Mutter zu Forschungszwecken besuchte. Wenigstens erlebte die etwas und musste sich nicht zu Hause langweilen, dachte Paula sehnsüchtig.

Nevin, die dritte Freundin, bekam Besuch von der Oma aus der Türkei und musste zu Hause mithelfen. Und Jenny, okay, Jenny war auch zu Hause, mit der konnte sie sich bestimmt mal verabreden. Wenn die Zeit hatte.

Sogar Paulas ältere Schwester Birte fuhr weg. Sie durfte ihre Freundin Trixie begleiten, deren Eltern ein Ferienhaus auf Norderney gemietet hatten.

Noch einmal seufzte Paula tief. Wenn doch nur Elias da wäre! Elias aus der Parallelklasse, mit dem sie seit der Klassenfahrt ging, auch wenn das kaum jemand wusste. Dann könnten sie wieder rudern oder ins Kino gehen, oder Paula würde ihn endlich mal zu Hause besuchen und in seinem Zimmer rumhängen und Musik hören oder so. Auf ihrer Bank im Park wurde es nämlich allmählich kalt und ungemütlich. Aber nein, auch Elias fuhr weg, und zwar zu seiner Tante nach England, wo er sein mieses Englisch aufbessern sollte.

Könnte ich auch gut brauchen, dachte Paula, mein Englisch ist mindestens genauso mies. Dann könnte ich mit Elias gemeinsam auf dem Schiff fahren und ihn immer in London treffen. Warum hatte Mama keine Schwester in England? Oder wenigstens Paps.

Bei dem Gedanken an ihren Vater, der seit fast zwei Jahren woanders wohnte, wurde Paulas Herz noch schwerer. Noch nie war Paps allein verreist, doch nun fuhr er weg, und auch noch richtig weit! Als er neulich davon sprach, konnte Paula es gar nicht fassen.

«Was machst du? Du läufst Marathon?», hatte sie ungläubig gefragt. Sie wusste zwar, dass ihr Vater joggte, doch dass er derart ehrgeizig war und sich diese lange Strecke zutraute, das befremdete sie.

«Hm», nickte Paps fröhlich, «ich bin richtig gut. Ich brauche nur dreieinhalb Stunden, na ja, manchmal auch dreidreiviertel.» Hier schüttelte er entschuldigend den Kopf.

«Und deswegen mach ich da mit», fügte er dann wie nebenbei hinzu.

«Du machst wo mit?», hatte Paula abwesend gefragt, denn sie war in Gedanken bereits auf der Joggingbahn im Park, wo sie neben Elias herlief und ihm Mut zusprach.

«Na, beim Marathonlauf in New York», erwiderte Paulas Vater und grinste verlegen.

«Wo?!», rief Paula und war sicher, sich verhört zu haben.

«Beim Marathonlauf in New York», wiederholte ihr Vater, «noch nichts davon gehört? Wenigstens einmal im Leben muss man da gelaufen sein.»

Sprachlos hatte sie ihren Vater angestarrt.

«Äh, das ist ja toll», murmelte sie nach einer Weile. «Echt nach New York?»

Er nickte nur und erzählte, wie seine Laufgruppe die Reise gebucht und kein Hotel mehr gefunden hatte, und nun wohnten sie etwas einfacher, nämlich Bed and Breakfast, das sei so eine Privatunterkunft mit Frühstück.

Doch Paula hatte nicht mehr genau zugehört, sondern an die großen Städte der Welt gedacht und wann sie selbst wohl endlich einmal aus diesem Kaff wegkäme.

Nun seufzte Paula zum dritten Mal, erhob sich vom Fensterbrett und machte die Lampe an. Das Leben war voll ungerecht, so viel stand fest. Ihr blieb nichts anderes übrig, als selbst etwas zu unternehmen. Aber was?

Hier stockten ihre Gedanken, denn es klopfte an der Tür, und sogleich steckte Birte den Kopf herein.

«Abendbrot», knurrte sie, «Mama wartet auf dich.»

So war das zu Hause. Wollte man gerade wichtige Entscheidungen treffen, wurde man auch schon gestört mit so alltäglichen Dingen wie Abendbrot oder Einkaufen! Verärgert gab Paula dem Schulrucksack einen Tritt und trottete in die Küche, wo sie den Salat waschen und das Brot schneiden sollte.

«Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?», fragte ihre Mutter nach einem langen Schweigen.

«Nö», gab Paula kurz zurück und bekam noch schlechtere Laune. Noch nicht einmal ungestört wütend durfte man sein. Sofort wurde man zur Rede gestellt! Schrecklich!

Später machte sie sich über die Hausaufgaben her und stellte fest, dass sie keine Ahnung hatte, wie die Aufgaben in Mathe zu rechnen waren. Sollte sie jemanden anrufen? Oder es einfach lassen? Der Mathelehrer Herr Botteblom würde es bestimmt merken, wenn sie die Aufgaben nicht gemacht hatte. Aber sie konnte sie ja morgen früh bei Judith abschreiben.

Paula starrte in die Dunkelheit hinaus und dachte an Elias, den sie das ganze Wochenende wieder nicht sehen konnte, weil er irgendwelche Fußballspiele hatte. Schon jetzt sehnte sie sich nach ihm, obwohl sie erst gestern mit ihm zusammen in der Stadt gewesen war und ihn auf dem Rückweg hinten im schaukelnden Bus geküsst hatte.

Schließlich klappte sie das Mathebuch zu und warf es in den Rucksack. Sie konnte sich nicht konzentrieren, da konnte man nichts machen. Außerdem, was hatte Mathe eigentlich mit ihrem Leben zu tun? Half es ihr bei dem Problem der Feriengestaltung? Half es ihr dabei, ihre Gefühle zu verstehen, wenn sie Elias küsste? Und half es ihr etwa dabei, ihre Eltern zu begreifen, die sich einfach so getrennt hatten, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen?

Die Antwort war nein, und Paula stopfte das Mathebuch in die Untiefen ihres Rucksacks. Eigentlich sollte man alle Fächer streichen, die nichts mit dem Leben der Schüler zu tun haben, dachte Paula, und das konnte ebenso gut für Englisch gelten. Völlig überflüssige Quälerei: forget, forgot, forgotten, so ein Blödsinn. Und diese dumme Lektion How to find my way in the city! Angeekelt rümpfte Paula die Nase und beschloss, Englisch gleich nach Mathe als zweitunsinnigstes Fach zu behandeln.

Ein Anruf, der alles ändert

Auch beim Sonntagsessen verflog Paulas Stimmung nicht. Im Gegenteil. Als Birte gut gelaunt darüber sprach, was sie wohl alles mitnehmen müsste auf die Insel und ob ihre Freundin wohl einen Föhn hätte, platzte Paula der Kragen.

«Warum verreisen wir eigentlich nie?», murrte sie und goss versehentlich Soße auf die Tischdecke.

«Pass doch auf!», rief ihre Mutter und holte einen Wischlappen. Als der Fleck einigermaßen beseitigt war, wiederholte Paula ihre Frage. Da schaute die Mutter herüber, und ihr Blick sagte: Das weißt du doch. Aber Paula wollte nichts wissen.

«Andere Leute haben auch wenig Geld und verreisen trotzdem!», sagte sie trotzig.

«Andere Leute haben sich vielleicht rechtzeitig darum gekümmert», warf Birte ein.

Das hätte sie lieber nicht sagen sollen. Schließlich konnte Paula nichts dafür, dass ihre Freundinnen alle was anderes vorhatten. Wütend warf Paula Messer und Gabel auf den Teller und stürmte in ihr Zimmer, warf sich verzweifelt auf ihr Bett und zog sich das Kopfkissen über die Ohren. Die konnten ihr alle gestohlen bleiben! Am besten wurde sie krank oder brach sich ein Bein oder so was. Dann tat es ihnen aber leid.

Doch nach einigen Minuten fand Paula sich selbst lächerlich. Sie setzte sich auf und ordnete die Haare. Sei vernünftig, sagte sie sich, Birte kann doch nichts dafür. Aber Mama, dachte sie grimmig und fand, dass seit der Trennung ihrer Eltern fast gar kein Geld mehr für irgendwas da war. Nicht für einen Computer mit Internet-Anschluss, nicht für gute Klamotten, nicht für Urlaube. Wann waren sie zuletzt irgendwo gemeinsam hingefahren? Das war hundert Jahre her!

Die Tür ging auf.

«Tut mir leid, meine Kleine. Ich weiß ja, was du meinst. Aber ich kann es auch nicht ändern», sagte Paulas Mutter. Ihre Stimme klang traurig.

Paula hasste es, «meine Kleine» genannt zu werden. Doch sie schluckte den Ärger hinunter. Mama sollte nicht traurig sein, das war fast noch schlimmer.

«Ich weiß», murmelte sie also, «schon gut.»

«Komm doch und iss weiter», bat ihre Mutter. «Außerdem ist da ein Anruf für dich.»

Wie elektrisiert sprang Paula auf. Das konnte nur Elias sein. War vielleicht ein Spiel abgesagt worden?

«Danke», rief sie und lief ins Wohnzimmer zum Telefon, das noch immer so ein altmodisches mit Schnur war. Nie konnte man sich mal ins eigene Zimmer zurückziehen und dort ungestört klönen! Paula drückte den Hörer ans Ohr und rief erwartungsvoll: «Ja?»

«Hallo, meine Kleine», sagte da eine vertraute Stimme.

Paula schluckte. Es war nur Paps.

«Oh, hallo», murmelte sie enttäuscht.

«Nanu, schlecht geschlafen?», fragte er und lachte.

Lach nur, dachte Paula bitter, du fährst schließlich in die spannendste Stadt der Welt. Lach nur über mich, die schlecht geschlafen hat und schlechte Laune hat und für die überhaupt alles schlecht ist.

«Rufst du an, um mir das zu sagen?», fragte sie und hörte selbst den missmutigen Ton in ihrer Stimme.

«Oha», machte ihr Vater.

«Nö», sagte er dann, «eigentlich hab ich eine Frage an dich. Aber ich kann auch später wieder anrufen, wenn du jetzt keine Lust hast.»

Herrje, sind denn alle gegen mich!, ächzte Paula innerlich. Dann beeilte sie sich zu sagen, dass mit ihr eigentlich alles okay sei.

Ihr Vater holte tief Luft und pustete dann in den Hörer. Das hatte er früher immer gemacht, doch jetzt war das irgendwie fehl am Platze, fand Paula. Doch sie pustete zurück, um ihn nicht zu enttäuschen.

«He», sagte er dann leise, «ich hab da ein Superangebot an dich.»

«An mich?», fragte Paula überrascht.

Was für ein Angebot konnte das schon sein, dachte sie. Lustlos wickelte sie die Telefonschnur um die freie Hand und wartete.

«Mm», machte ihr Vater. Dann schwieg er wieder.

Er machte es ja mächtig geheimnisvoll, fand Paula. Allmählich wurde sie ungeduldig.

«Bist du noch da?», fragte er nun.

«Na klar», knurrte sie. «Sag schon!»

«Und sitzt du gut?», fragte er weiter.

Paula schüttelte unwillig den Kopf. Was machte er denn heute für einen Zirkus? Sie war doch kein Kleinkind mehr!

«Nun sag schon, Paps, langsam wird’s nervig!», rief sie.

«Also gut», sagte er. «Ich habe da nämlich ein Superangebot für die Ferien. Ein Supersonderangebot nur für dich.» Seine Stimme klang so glücklich, dass Paulas Herz plötzlich anfing zu rasen. Was meinte er denn? Was für ein Angebot für die Ferien konnte das sein?

Endlich begann er zu erzählen. Sein Laufkollege Hermann habe gerade angerufen. Er hatte sich gestern beim Training den Fuß unglücklich umgeknickt. In der Klinik stellten sie einen Bänderanriss fest. Das hieß, er durfte mehrere Wochen nicht laufen.

Paula sog scharf die Luft ein. Paps’ Stimme klang sehr nah, fast als säße er neben ihr auf dem Sofa. Trotzdem presste sie den Hörer ans Ohr, dass es schmerzte.

«Hermann kann also nicht mitfahren», fuhr ihr Vater fort. «Sein Ticket und sein Zimmer – Bed and Breakfast, du erinnerst dich? – sind bereits bezahlt. Keine Chance auf Geld zurück. Da sagt er doch zu mir: Paul, nimm deine Tochter mit, die freut sich bestimmt, dann hat wenigstens jemand was von diesem Scheißbänderanriss. Na? Wie findste das?»

Paula schluckte. Mit einem Mal dröhnten ihr die Ohren, und sie musste kurz die Hand wechseln.

«Äh», stotterte sie, «das hat er gesagt? Deine Tochter soll mitfahren? Deine Tochter Paula?»

Die Antwort ihres Vaters ging irgendwie in einem Glückstaumel unter. Erst nach einigen Sekunden rief sie: «Paps, klar komm ich mit! Warte, ich fahr jetzt schnell zu dir, und du erzählst mir alles noch einmal, ja?»

Kopfschüttelnd sahen Mutter und Schwester, wie Paula singend durch die Wohnung hüpfte und sich Jacke und Tasche schnappte.

«Ich verreise doch!», rief sie den überraschten Gesichtern zu. «Und zwar mit Paps!»

Dann sprang sie die Treppen hinunter und ließ die schwere Haustür extra laut zuknallen.

Paula allein in New York?

Als Paula endlich bei ihrem Vater klingelte, war sie außer Atem. Die ganze Radfahrt über hatte sie sich vorgestellt, wie New York wohl sein könnte: die Hochhäuser, die Parks und Plätze, die Menschen, die Sprache. Ich liebe Englisch!, dachte sie überschwänglich, als sie die Klingel zum zweiten Mal drückte. Please, open the door!

Endlich hörte sie Schritte, die Tür ging auf, und ein strubbeliger Kopf erschien.

«Komm rein, meine Kleine», rief ihr Vater, umarmte sie kurz, nahm ihre vom Nieselregen feuchte Jacke und warf sie über den Küchenstuhl. Auf dem Tisch türmten sich Prospekte, Bücher und Stadtpläne.

«Wow!», machte Paula anerkennend und überhörte großzügig die «Kleine». «Alles über New York?»

Sie griff sich einen Reiseführer und blätterte darin. Fotos vom inzwischen zerstörten World Trade Center, das erkannte sie sofort. Dann Bilder von der großen Eislauffläche mit der riesigen goldenen Statue davor, das kannte sie aus Fernsehfilmen. «Rockefeller Center» stand drunter. Na dann, dachte Paula aufgeregt, das werde ich jetzt alles mit eigenen Augen sehen.

«Setz dich doch», sagte ihr Vater und schob die Stapel ein wenig zur Seite. «Zum Aufräumen hatte ich bislang keine Zeit, und außerdem dachte ich mir, du willst bestimmt einen Blick hineinwerfen in all die Sachen hier!»

«Klar», entgegnete Paula und legte das Buch wieder weg. «Aber jetzt brauch ich ein Glas Wasser. Und dann erzähl alles nochmal ganz von vorne.»

Also holte Paulas Vater ein Glas Wasser, setzte sich ihr gegenüber und berichtete noch einmal ganz von vorne. Wie sein Laufkollege sich verletzt hatte und dass er vorgeschlagen hatte, dass Paula die Reise für ihn antrat.

«Aber laufen kann ich nicht!», stieß Paula glücklich hervor.

«Nicht?», fragte Paps gespielt überrascht. «Was willst du denn die fünf Tage lang machen in dieser langweiligen Stadt?»

«Pah!», machte Paula und sah sich in Gedanken in der U-Bahn fahren und zwischen Hochhäusern marschieren, die Brücke überqueren und die Freiheitsstatue fotografieren. Doch dann machten ihre Gedanken einen Ruck und kamen zum Stillstand.

«Oh», machte sie nur und sah Paps erschrocken an.

«Was ist?»

«Äh, ich …», stotterte Paula. «Ich … ich war noch nie in einer so großen Stadt.»

«Na ja, ich auch nicht», grinste ihr Vater.

«Aber», sagte Paula, «ich, ich bin dann ja ganz allein, oder?»

«Aber hör mal, ich bin doch auch noch da», protestierte Paps.

Doch dann wurde auch er still und gab schließlich zu, dass er von der Zeit bereits drei Tage verplant war: zwei Tage Training und dann der eigentliche Lauf.

«Und was mach ich dann so allein?», fragte Paula beklommen.

«Haha, Paula allein in New York», lachte ihr Vater. «Aber mach dir doch keine Sorgen. Das klappt schon alles. Bei solch einer Reise kann man eben nicht alle Einzelheiten planen. Zu Anfang sind wir beide zusammen unterwegs, dann lernst du alles kennen, und wenn ich beschäftigt bin, hast du vielleicht schon Leute kennen gelernt oder kannst allein die Stadt erkunden! Außerdem hoffe ich ja sehr, dass du mir applaudieren wirst, wenn ich im Ziel einlaufe!»

Paula beeilte sich, ihm zuzustimmen. Doch an seiner Stimme erkannte sie, dass er selbst nicht so recht von dem überzeugt war, was er da sagte.

«Schade, dass Arizona so weit weg ist und es nur fünf Tage sind, sonst könnte ich in der Zeit Maxie besuchen», murmelte Paula. Doch wenn sie sich vorstellte, allein in einen anderen Staat zu reisen, wurde ihr schlecht. Nein, das schaffte sie nicht, egal, wie weit das war, egal, ob mit Flugzeug, Bus oder Zug.

Aber halt! Maxie musste auf jeden Fall erfahren, was für eine tolle Reise Paula vorhatte, und dies war eine perfekte Gelegenheit dazu.

«Paps, ich muss mal kurz ins Internet, okay?», sagte Paula hastig. «Die Sachen hier, die zeigst du mir gleich, ja?»

Bereitwillig nickte Paulas Vater und lehnte sich mit einem Stadtplan zurück. Paula verzog sich ins Wohnzimmer. Hoffentlich stürzte dieser blöde Computer nicht wieder ab.

 

Er stürzte nicht ab, sondern tat alles, was Paula wollte. Als sie Maxies E-Mail-Adresse eintippte, klopfte ihr Herz. Maxie.in.der.wüste, bitte melde dich, dachte sie und begann eine Mail zu schreiben:

Liebe Maxie,

du wirst es nicht glauben, aber ich habe die Supergelegenheit, deinen Kontinent zu besuchen, und zwar New York City. Ist das nicht klasse? Leider hat mein Vater dort einiges zu erledigen (er nimmt dort am Marathonlauf teil), aber ich krieg die Zeit ohne ihn auch schon noch irgendwie rum. Vielleicht wohnt in dieser Familie, wo wir zwei Zimmer gemietet haben, ja ein nettes Mädchen, das mir die Stadt zeigt? Auf jeden Fall freu ich mich schon!

«Paps?», rief sie in die Küche rüber. «Wann fliegen wir eigentlich?»

«Am Mittwoch, also in zehn Tagen», rief er zurück, «und zwar ganz frühmorgens, erst nach Amsterdam, dann weiter nach New York.»

«Aha!», rief Paula zurück und fügte die Daten in ihrem Brief ein. Sie bat Maxie, noch in der nächsten Woche eine Mail an Judith zu schicken. Vielleicht konnten sie ja mal telefonieren, wenn Paula in New York war.

Dann kehrte sie in die Küche zurück und ließ sich auf dem Stadtplan zeigen, wo sie wohnen würden.

«Supergegend», schwärmte ihr Vater, «Künstlerviertel und beste Einkaufsmeile für junge Mädchen. Hier, am Broadway, und downtown, im Süden.»

Paula starrte auf den Plan, der wie ein lang gezogenes Rechteck aussah, das am unteren Ende schräg abgeschnitten war.

«Was ist das?»

Sie zeigte auf ein grünes Rechteck mittendrin. Viele kleine Schlangenlinien und ein paar blaue Flecke waren darin eingezeichnet.

«Das ist der große Central Park», erwiderte Paps, «dort –», er tippte in die Mitte der Grünfläche, «dort ist das Ziel das Marathonlaufs. Wir wohnen hier unten.» Damit zeigte er auf das untere Achtel des langen Rechtecks. «SoHo heißt das Viertel, es liegt gleich neben Chinatown und Little Italy.»

Paula kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. Chinatown. Davon hatte sie schon öfter etwas gehört. Dort gab es chinesische Telefonzellen, und überhaupt alles war chinesisch. Sie sah sich durch Straßen gehen, erst an Wolkenkratzern vorbei, dann durch enge Gassen, deren Häuser mit roten und goldenen Schriftzeichen verziert waren, genau so wie das chinesische Restaurant, wo sie manchmal essen gingen.

«Was sagt Mama eigentlich dazu?», wollte Paps schließlich wissen.

Doch Paula musste ihm gestehen, dass sie noch keine Gelegenheit gehabt hatte, mit ihrer Mutter zu reden.

«Bestimmt findet sie das gut», meinte sie und glaubte im Gesicht des Vaters eine unbestimmte Erwartung zu sehen. Hoffte er, dass Mama begeistert war? Wollte er vielleicht, dass Mama ihm dankbar war?

Nachdenklich betrachtete Paula ihren Vater und kam mal wieder zu den Schluss, dass Erwachsene unergründlich waren. Wenn ihm Mama wichtig war, warum sagte er das nicht einfach? Und wenn Mama ihm nicht wichtig war? Vielleicht hatte er längst eine Freundin, und niemand wusste davon?

Dieser Gedanke war neu und so unerträglich, dass sie Paps am liebsten sofort danach gefragt hätte. Doch sie schwieg und starrte auf die Prospekte. Schließlich schob sie diese unerfreulichen Gedanken fort. Damit wollte sie nichts zu tun haben, Punkt.

«Ich hab Hunger», sagte sie stattdessen und begann, in den Vorratsschränken nach Essbarem zu suchen.

«Viel hast du ja nicht gerade», sagte sie streng, als sie die Inspektion abgeschlossen hatte. «Tomatensuppe mit Reis oder Spaghetti mit Tomatensoße – was wollen wir kochen?»

«Wenn du mich schon fragst, ich überlass es ganz dir», erwiderte ihr Vater und schlug genüsslich die Sonntagszeitung auf. «Es ist doch schön, wenn eine Frau im Haus ist!»

«Nichts da!», machte Paula und nahm ihm die Zeitung weg. «Töpfe abwaschen und dann Zwiebeln schälen. Wie ist eigentlich dein Englisch?»

«Thank you very much, Englisch lernen ist Quatsch», erwiderte er wie ein frecher Schuljunge und sah sie schelmisch an.

Paula musste grinsen. Paps wurde auch nie alt, dachte sie stolz und beschloss, ab sofort in Englisch supermäßig aufzupassen.

Mütter und ihre Sorgen

«Was? Du willst mit Paul nach New York fahren?»

Die Stimme von Paulas Mutter bebte.

Irritiert sah Paula, dass ihre Mutter entsetzt war. Warum? Sie konnte doch glücklich sein wie sie selbst! Endlich kümmerte sich Paps um sie, das hatte Mama doch immer verlangt. Aber nun war sie entsetzt und sagte nicht wie sonst «dein Vater», sondern «Paul».

«Ich find’s toll», murmelte Paula und beschloss, überhaupt nichts mehr zu erzählen. Nichts konnte man ihr recht machen. Immer fand sie irgendwo einen Haken dran.

Birte schaltete den Fernseher an.

«Kann man endlich mal in Ruhe einen vernünftigen Film gucken?», fragte sie genervt.

Paula war sicher, dass Birte neidisch war. Paps hätte ja auch sie fragen können. Aber Birte fuhr schon nach Norderney, das hätte sie bestimmt nicht abgesagt, dachte Paula und fand, dass sie kein schlechtes Gewissen haben musste.

Paulas Mutter zog die Stirn kraus.

«Nein, kann man nicht», sagte sie und nahm Birte die Fernbedienung weg. «Jetzt müssen wir reden.»

Wütend schob Birte ihren Sessel zurück und stürmte aus dem Zimmer. Die Tür ließ sie laut zuknallen.

«Na toll!», rief Paula aufgebracht. «Worüber willst du denn reden? Ich find’s echt klasse von Paps, dass er mich mitnehmen will. Ich dachte schon, ich versauer hier die Ferien über.»

Paulas Mutter stand auf, schob Birtes Sessel wieder zurecht und ging zum Fenster. Eine Weile sah sie schweigend hinaus, dann drehte sie sich um und sah Paula durchdringend an.

«Ich mach mir nur Sorgen, weiter nichts», sagte sie ruhiger.

«Sorgen?», rief Paula erleichtert. «Weiter nichts? Weshalb denn?»

«New York ist eine riesige Stadt, und Paul ist nicht unbedingt jemand, auf den ich mich verlassen kann.»

«Was soll das denn bitte schön heißen?», sagte Paula und spürte, wie sie wütend wurde. Wenn Mama schlecht über Paps sprach, kochte sie jedes Mal innerlich.

«Das soll heißen», entgegnete ihre Mutter und hielt kurz inne, warf einen Blick auf die Uhr und fuhr fort: «Das soll heißen, dass ich ihn jetzt anrufe. Du bist erst dreizehn Jahre alt. Du kannst doch nicht allein in dieser Stadt rumlaufen! Er hat doch gar keine Zeit für dich. Was hast du dir denn vorgestellt, was du da machst?»

«Ich …» Paulas Stimme stockte. «Man kann nicht alles vorweg planen», sagte sie dann, genau wie Paps es am Mittag gesagt hatte.