Paulas Sorgenbuch - Ulrike Kuckero - E-Book

Paulas Sorgenbuch E-Book

Ulrike Kuckero

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Beschreibung

Paula hat große Sorgen: In der Schule wird sie plötzlich immer häufiger geärgert und ausgegrenzt. Und ausgerechnet jetzt liegt ihre beste Freundin Judith mit einem Beinbruch im Krankenhaus, und Maxie reist mit ihrer Mutter für ein Jahr in die USA. Paula fühlt sich ganz allein – selbst ihrem Freund Elias wagt sie sich nicht anzuvertrauen. Ein schlimmer Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Hänseleien beginnt. Wie gut, dass Jenny und Nevin im Augenblick höchster Not für sie da sind!

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Seitenzahl: 202

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Ulrike Kuckero

Paulas Sorgenbuch

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Über dieses Buch

Paula hat große Sorgen: In der Schule wird sie plötzlich immer häufiger geärgert und ausgegrenzt. Und ausgerechnet jetzt liegt ihre beste Freundin Judith mit einem Beinbruch im Krankenhaus, und Maxie reist mit ihrer Mutter für ein Jahr in die USA. Paula fühlt sich ganz allein – selbst ihrem Freund Elias wagt sie sich nicht anzuvertrauen. Ein schlimmer Teufelskreis aus Selbstzweifeln und Hänseleien beginnt. Wie gut, dass Jenny und Nevin im Augenblick höchster Not für sie da sind!

Über Ulrike Kuckero

Ulrike Kuckero wurde in Bremen geboren, studierte nach dem Abitur Literaturwissenschaften, Anglistik und Pädagogik in Kiel, New York und Hamburg und lebt inzwischen wieder in Bremen.

Inhaltsübersicht

Einberufung der ArcheEine gute und eine schlechte NachrichtEin Unglück kommt selten alleinEin Date der etwas anderen ArtNur blöde Sprüche?Nett sein lohnt sich nichtSchonkost oder Pizzaservice?GrasfleckenLetztes Mädchen-Arche-EssenAbschiedDer DenkzettelWarum gerade ich?Falsche VerdächtigungenWenn keiner was sagtPost von maxie.in.der.wüste.Was heißt schon Sorgen?Big Mamas ErmahnungenKüsse im BootEin gemeinsames ZielEine aussterbende RasseBlauer DienstagBücher gegen SorgenHarmonie und ProblemeSorgenpüppchenFoulspielSchwarze LöcherZwei gegen drei?Wahrheit oder Lüge?BeschützerWie geht es weiter?Wichtige TelefonateIhr müsst darüber sprechenSteht mir bei

Einberufung der Arche

«Die Mathearbeit verhau ich!», sagte Judith, als sie das Fahrrad in den Ständer schob. Ungeduldig zerrte sie am Schloss. «Und der Schlüssel geht auch nicht wieder raus. Heute ist mein Pechtag!»

Paula hob den Kopf und schüttelte das Haar aus dem Gesicht. Kurz schaute sie in das Blau des Himmels. Wie gemalt zogen ein paar weiße Wolken am Horizont vorüber. Dann fiel ihr Blick auf das Schulgebäude, das im hellen Licht der Morgensonne verheißungsvoll glänzte. Wäre die Mathearbeit nicht, könnte heute mein Glückstag sein, dachte sie und sog tief die frische Luft ein. Dann trat sie zu ihrer Freundin.

«Gib mal her», murmelte sie und horchte zugleich auf die Geräusche am Eingang der Schule. War da ein Pfiff zu hören? Ein leiser Ruf? Paula ergriff das Fahrradschloss und drehte am Schlüssel. «Siehst du, schon draußen», grinste sie. «Und in Mathe würd ich dir ja gerne helfen, aber ich fürchte …»

Da vorn sah sie eine Jacke. Elias! Ein kurzer Stich zog ihr durchs Herz, dann sauste ein Aufzug quer durch ihre Eingeweide. Sie musste noch mehr grinsen.

«… aber ich fürchte, ich bin keine große Hilfe. Hab da in letzter Zeit irgendwie massive Konzentrationsstörungen, keine Ahnung, warum …», fuhr sie fort und endete abrupt.

Judith drehte sich um und schaute Richtung Eingang.

«Ahhh ja», sagte sie. «Ich denke, der Grund deiner Konzentrationsstörungen hat gerade das Schulgebäude betreten.»

Schwungvoll griff sie nach der Schultasche, versetzte Paula einen freundschaftlichen Knuff und murmelte: «Und? Alles im grünen Bereich?»

«Grün?», fragte Paula gedehnt und knuffte zurück. «Wieso grün?»

Doch sie wusste genau, was Judith meinte. Ob noch alles gut lief zwischen Elias und ihr. Ob sie noch zusammen waren nach so langer Zeit. Na ja, das musste Paula zugeben, so lange war es noch gar nicht. Die Klassenreise lag ja erst drei Wochen zurück. Doch auch drei Wochen konnten verdammt lang sein. Da konnte viel passieren, wenn man an all die lauen Sommerabende dachte, die man auf einer lauschigen Bank sitzen konnte und –

«He, ihr zwei!», unterbrach eine Stimme Paulas angenehmste Erinnerungen. «Habt ihr genug Mathe geübt?»

Nevin schob ihr Fahrrad in den Ständer.

«Kann man Mathe je genug üben?», knurrte Judith missmutig. «Das wird die schlimmste Arbeit meines Lebens.»

«Ach, eigentlich ist es doch nicht schwer», sagte Nevin gut gelaunt. «Ich hab gebüffelt wie blöd, und meine Brüder hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, aber dann endlich hab ich es gerafft. Jetzt kann ich’s! Toll, oder?»

«Ganz toll», stellte Paula knapp fest. «Ich geh mal kurz vor, okay?»

Schon hatte sie die beiden hinter sich gelassen und schritt zügig auf den Eingang zu. Immer mehr Schüler strömten durch die geöffneten Flügeltüren. Drinnen hallten die Stimmen in den niedrigen Fluren und schwollen an zu einem Fluss, der Paula mit sich zu reißen schien, geradeaus, immer geradeaus, seiner Strömung folgend, seiner Stimme hinterher, immer geradeaus. Doch am Ende des Ganges hielt Paula an.

Elias war nirgends zu sehen. Er musste bereits den ersten Treppenaufgang hochgegangen sein. Schade.

Kurz überlegte Paula, ob es sich lohnen würde, oben bei der 7a vorbeizuschauen, doch dann entschied sie sich dagegen. Die anderen würden doch nur glotzen und blöde Sprüche klopfen. Fanbesuch? Nummer ziehen! Oder: Muss Liebe schöööön sein! Nein danke. In der Pause war bestimmt noch Gelegenheit, mit ihm das locker verabredete Date am Nachmittag festzumachen.

Langsam ging Paula nach oben, Judith folgte ihr auf den Fersen. Vielleicht war noch Zeit, die blöden Formeln anzugucken. Als die beiden jedoch den Klassenraum betraten, war der Mathelehrer Herr Botteblom schon da. Er kramte in seiner Tasche und hatte eine Zeitung auf das Lehrerpult gelegt.

Paula murmelte eine Begrüßung und ging zu ihrem Platz.

«Mensch, ich dachte, ich kann noch schnell die Formeln abschreiben», zischte Judith ihr zu, «und nun ist Botteblom schon da! Was ist denn mit dem heute los?»

Paula zuckte mit den Schultern. Aus der Tasche holte sie das Mathebuch, schlug es auf und flüsterte: «… a plus b in Klammern zum Quadrat? Sag schon! Und a minus b in Klammern zum Quadrat? Na? Das weiß ja sogar ich!»

«Ha, du guckst ja auch ins Buch», grunzte Judith und versuchte dann doch noch, die richtigen Antworten hinzukriegen. Doch kaum hatte sie gefragt, wie es bei Klammer mal Klammer ging, da klingelte es, und Botteblom zog die Klassenraumtür zu.

«So, meine Herrschaften, guten Morgen und toi, toi, toi. Die Aufgaben für Gruppe A verteilt Jenny bitte, die Aufgaben für Gruppe B bitte Paula!»

Genervt stolperte Paula nach vorn zum Lehrerpult und wartete neben Jenny, während Botteblom wieder in den Untiefen seiner Tasche versank. «Wo hab ich sie denn, verdammt?», fluchte er kaum vernehmbar.

Jenny grinste zu Paula rüber.

«Also, wir können auch ohne Ihre Zettel», flötete sie und zwinkerte Paula zu. «Sollen wir uns ein paar kreative Aufgaben ausdenken, Herr Botteblom? Ich hätte da so eine Idee …»

Paula kicherte. Sie musste daran denken, wie sie auf der Klassenfahrt spätabends zusammen mit Jenny verbotenerweise eine Flasche Wein auftreiben sollte und sie dabei ausgerechnet Botteblom trafen.

«Wir könnten ja ausrechnen, wie viele Schüler wie oft laufen müssen, um vierhundertachtundsechzig Kisten Bier zu transportieren, wenn jeder Schüler –», sinnierte Jenny gerade laut.

Da tauchte Botteblom wieder auf, in der Hand zwei Stapel Zettel. «Danke», lächelte er und gab jeder einen, «aber nicht nötig. Hier sind wunderbare Aufgaben, ganz alkoholfrei.»

«Wie unkreativ!», murrte Jenny. Sie drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte an den jeweils rechten Tischpartnern entlang, um ihnen einen Aufgabenzettel auf den Tisch flattern zu lassen.

Wenn ich sie nicht besser kennen gelernt hätte, würde ich sie immer noch für eine Zicke halten, dachte Paula, während sie selbst die linken Tischhälften mit Zetteln versorgte.

«Psst, Paula», zischte da jemand hinter ihr.

Maxie beugte sich über den Tisch und zupfte Paula am Ärmel.

«Wir müssen uns unbedingt heute treffen!»

«Heute geht es nicht», flüsterte Paula zurück und warf einen schnellen Blick zu Botteblom. Der blätterte gelassen in seiner Zeitung. «Hab schon ein Date. Hoffentlich», fügte Paula hinzu und grinste Maxie vielsagend an.

Doch Maxie schien nicht zu verstehen. Sie verzog das Gesicht.

«Mädchen-Arche. Dringend. Megawichtig!», sagte sie beschwörend, aber ein bisschen zu laut. Julia und Melike am Tisch nebenan fingen an zu tuscheln.

«Arche? Haben wir jetzt Religion, oder was?», sagte Melike spöttisch und stieß Julia an. Beide lachten.

Paula entschied, die beiden zu ignorieren. Sie wandte sich Maxie zu. «Megawichtig? Gute oder schlechte Nachricht?»

«Wie man’s nimmt», erwiderte Maxie gequält, und Paula war, als würden Maxies Augen verdächtig feucht glänzen.

«Okay, große Pause», zischte sie nur und setzte ihre Verteilerrunde fort.

Megawichtig. Was konnte das sein?, dachte Paula und zog besorgt die Stirn in Falten.

Seit sie von der Klassenfahrt zurück waren, hatte die Mädchen-Arche (so hatten sie ihr Häuschen auf der Klassenfahrt genannt) sich einmal getroffen. Alle waren gekommen: Judith und Nevin, Maxie und sogar Jenny. Und sie selbst natürlich. Alle hatten zusammen auf Judiths Bett oder Schreibtisch gehockt und gefeiert, weil sie auf der Klassenfahrt so eine tolle Gruppe gewesen waren. Von nun an sollte sich die Mädchen-Arche einmal im Monat treffen, das nächste Mal wäre in der kommenden Woche bei Paula zu Hause. Aber heute? Und was war mit Elias?

Verwirrt beendete Paula ihre Runde durch die Klasse und setzte sich wieder hin. Was konnte so wichtig sein, dass sie ein Date mit Elias absagte?

«He, was ist denn los?», flüsterte Judith.

«Maxie will die Arche heute einberufen», gab Paula leise zurück. «Keine Ahnung, warum. Aber megawichtig ist es, sagt sie.»

Judith schob Paula den Aufgabenzettel hin. «Los, fang jetzt an», sagte sie beruhigend, «das mit Maxie klären wir nachher.»

Eine gute und eine schlechte Nachricht

Zwei Stunden später standen Paula, Nevin und Judith bei den Bänken im hinteren Teil des Schulhofes.

«Puh», stöhnte Judith. «Die letzten zwei Aufgaben hab ich nicht mehr geschafft.»

Paula zuckte mit den Schultern. «Wenn der Rest stimmt …», sagte sie vage und ließ den Satz in der Luft hängen. Unruhig wippte sie von einem Bein aufs andere.

«Ich hab fast alle Aufgaben hingekriegt, und ich hoffe, dass wenigstens die Hälfte davon richtig ist», sagte Nevin stolz.

«Da werden deine Brüder sich ja freuen», bemerkte Paula und ließ, abgelenkt, ihren Blick über den Schulhof schweifen. «Wie viele hast du eigentlich?»

«Brüder oder Aufgaben?»

«Brüder, Mensch», grinste Paula.

«Vier», sagte Nevin und lächelte. «Aber einer davon ist noch ganz klein.»

«Oha», machte Judith anerkennend.

Dann schwiegen sie wieder und schauten weiter über den sich füllenden Schulhof.

«Wo bleibt sie denn nur?», fragte Judith schließlich ungeduldig und reckte den Hals.

Auch Paula sah sich um. Jedoch nicht, um nach Maxie Ausschau zu halten, die mit ihrer Ankündigung alle in Unruhe versetzt hatte, sondern um eine gewisse Jacke nebst Inhalt auszumachen. Doch diese Jacke tauchte nicht auf.

Dafür erschien Jenny auf der Bildfläche. Sie löste sich aus einer Gruppe Mädchen, während Julia und Melike ihr noch etwas nachriefen, dann schlenderte sie gemächlich näher und warf dabei die lange blonde Mähne aufreizend über die Schulter.

«Und? Darf man erfahren, was los ist?», fragte sie spitz und winkte kurz den anderen Mädchen zu.

«Wir wissen auch nichts», erwiderte Judith. «Wir warten nur noch auf Maxie.»

Genervt sah Jenny auf die Uhr. «Die Pause ist zu kostbar, um hier mit euch rumzuwarten», entschied sie dann und schlenderte wieder zu den anderen Mädchen hinüber. Nach ein paar Schritten rief sie zurück: «Ihr könnt mir ja nachher Bescheid sagen.»

«Was die nur an denen findet», murmelte Judith ärgerlich.

Auch Paula sah ihr gereizt nach. Doch wenn sie ehrlich war, hätte sie es Jenny am liebsten nachgemacht, wäre scheinbar ziellos über den Schulhof geschlendert und hätte Elias gesucht, und dann hätte sie so beiläufig wie möglich zu ihm gesagt: Wie sieht’s aus? Heute Nachmittag im Park, unsere Bank? Aber sie traute sich nicht.

«Sorry», sagte da Maxie direkt hinter ihnen. «Bin aufgehalten worden. Wartet ihr schon lange?»

«Na endlich. Sag schon, was ist los?», drängelte Judith.

«Nicht hier», sagte Maxie leise und senkte den Kopf. «Ich fände es toll, wenn wir uns ausnahmsweise heute schon treffen könnten, meinetwegen bei mir. Ich muss euch unbedingt was Wichtiges mitteilen.»

Wieder kam es Paula vor, als würden Maxies Augen verdächtig schimmern. Aber vielleicht war es nur die Morgensonne, die nun voll in ihre Gesichter schien und eine wohlige Wärme verbreitete.

«Okay», nickte Nevin.

Auch Judith war einverstanden.

«Und du und dein Date?», fragte Maxie vorsichtig und sah Paula an.

«Schon in Ordnung», murmelte Paula und überlegte, ob sie jetzt gleich losgehen und Elias suchen sollte. Doch dann redeten sie über den Mathetest und danach über einen neuen Kinofilm, und als Paula schließlich losgehen wollte, klingelte es zur dritten Stunde.

Schnell lief sie los, erreichte den ersten Treppenaufgang und trat in eine Nische, um Elias abzupassen. Nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, tauchte endlich Elias’ Gesicht auf. Als er sie sah, lächelte er, ging auf sie zu, fasste nach ihrer Hand und zog sie mit sich den Gang hinunter.

«Hey», sagte er leise, «hab dich schon gesucht. Wo warst du denn?»

Am liebsten hätte Paula die Arme um seinen Hals gelegt. Doch vor all den anderen traute sie sich nicht. Es wusste doch kaum jemand von ihnen.

«Es gibt was Wichtiges mit Maxie. Deshalb kann ich heute Nachmittag nicht. Schade, oder?»

«Hmm», nickte Elias und schwieg.

Nach ein paar Schritten blieb er stehen. Er sah sie an, strich ihr das Haar aus der Stirn und lächelte. «Dann eben morgen», sagte er. «Meinst du, ich kann mal zu dir kommen? Gegen fünf?»

Blitzschnell überlegte Paula, was um fünf war. Birte, ihre ältere Schwester, war sicher nicht zu Hause, das war gut. Ihre Mutter vielleicht. Egal. Was war schon dabei, einen Jungen mit aufs eigene Zimmer zu nehmen? Sonst hatten sie sich immer im Park getroffen, waren ein bisschen herumgebummelt und landeten dann irgendwann wieder auf «ihrer» Bank.

Kurz dachte Paula an den letzten Kuss dort im Park; dann nickte sie, legte eine Hand an seine Wange, ließ sie den Hals hinuntergleiten und hätte am liebsten … Doch dann riss sie sich los, rief ein heiseres «Bis dann!» und lief zurück zur Treppe. Der Strom der Schüler war abgeebbt, sie sprang die Stufen hinunter, den Gang nach links, den zweiten Treppenaufgang wieder hoch und betrat gerade noch vor ihrer Klassenlehrerin Frau Essigbaum den Klassenraum.

 

Als Paula mit Judith am Nachmittag in Maxies Zimmer kam, war Nevin schon da. Sie saß auf Maxies Bett und sah sich einen Fotoband über Indianer an.

«Navajos?», fragte Paula fachmännisch. Maxie war bekannt dafür, dass sie alles über Navajos wusste, denn ihre Mutter forschte über diesen Stamm.

Maxie war es auch, die auf den Namen Mädchen-Arche gekommen war. Die Navajos besaßen nämlich besondere Hütten für junge Mädchen, die zum ersten Mal ihre Tage bekamen. Und da Paula während der Klassenfahrt in ebendiese

Lage geraten war, hatten alle fünf beschlossen, dass ihre Hütte ebenfalls eine so genannte Menarche-Hütte sein sollte, und daraus wurde dann die «Mädchen-Arche».

Nevin nickte und wies auf ein Foto mit grandioser Landschaft.

«Da möchte ich auch mal hin», ächzte sie.

«Tja, das hab ich auch mal gewollt», bemerkte Maxie.

Alle sahen sie an. Der merkwürdige Unterton war niemandem entgangen.

«Wie? Willst du es nicht mehr?», fragte Nevin ungläubig.

«Na ja, äh, ist ja toll da, aber …», stotterte Maxie auf einmal und fing an, die Sachen auf dem Schreibtisch hin und her zu schieben.

«Moment», sagte Paula energisch. «Was soll das heißen?»

Sie erinnerte sich noch genau daran, dass Maxie beim letzten Treffen erklärt hatte, dass sie unbedingt mal in die Vereinigten Staaten reisen wollte.

Maxie wischte über die Schreibtischplatte und setzte sich dann drauf. Sie sah aus dem Fenster. Dann fuhr sie sich über die Augen.

Sofort stand Nevin auf und legte den Arm um Maxies Schulter. «Du weinst ja!», rief sie erschrocken.

Bestürzt traten Paula und Judith näher heran. Tatsächlich. Jetzt begann Maxie sogar zu schluchzen.

Was sie dann erzählte, war für alle eine Überraschung.

Maxies Mutter hatte ein Forschungsstipendium beantragt, schon vor vielen Monaten. Ihrer Tochter hatte sie davon nichts erzählt, weil sie sie nicht beunruhigen wollte und sowieso glaubte, dieses begehrte Stipendium nicht zu bekommen. Doch nun hatte sie Nachricht erhalten, dass sie alle anderen Bewerber überflügelt hatte und in den Westen der USA reisen durfte. Mit ihrer Tochter.

«Aber – das ist doch toll!», rief Paula überwältigt.

«Eigentlich schon», murmelte Maxie und schniefte. «Das ist ja auch die gute Nachricht.»

Judith schnappte hörbar nach Luft. «Und was ist die schlechte?», fragte sie dann fast tonlos.

Maxie schnäuzte sich umständlich und setzte sich dann aufrecht. Bedrückt sah sie ihre Freundinnen an.

«Es ist für ein Jahr», sagte sie mit zitternder Stimme, «und in zwei Wochen geht es los.»

Betroffen schwiegen die Mädchen. Nevin setzte sich wieder aufs Bett und legte leise den Fotoband zur Seite. Paula hockte sich auf den Boden und starrte auf Maxies Rucksack, der an der Wand lehnte. Judith drehte sich auf dem Schreibtischstuhl immer hin und her.

Schließlich brach Nevin das Schweigen. «Ein Jahr ist gar nicht so lang», sagte sie leise vor sich hin.

«Danke, aber das sind zwölf Monate oder circa fünfzig Wochen oder …»

«Na ja», unterbrach Judith Maxies ungenaue Rechnung, «trotzdem geht es eigentlich schnell vorbei.»

«Und? Was soll ich da machen?», brach es plötzlich aus Maxie heraus. «Soll ich vielleicht Teppiche und Schmuck am Straßenrand verkaufen? Mit wem soll ich denn da reden, hm? Ich bin ja so klasse in Englisch, hab nur ’ne Vier. Nein danke, ein paar Wochen Ferien sind ja prima, aber ein Jahr …» Sie brach ab und starrte düster aus dem Fenster.

Paula schüttelte den Kopf. «Du gehst da doch zur Schule, oder?», sagte sie. «Wenn du wiederkommst, hast du in Englisch bestimmt eine Eins. Außerdem ist das doch ein riesiges Abenteuer! Wer kriegt denn schon solch eine tolle Gelegenheit, nach Amerika zu reisen und da eine Weile zu wohnen!»

Maxie schluckte. «Das sagt meine Mutter auch», sagte sie leise. «Kann ja auch alles sein. Aber ich hab trotzdem schreckliche Angst, so ohne euch mitten in der Pampa zu hocken.»

Jetzt erhob Judith sich. «Hauptsache, du hast dort einen PC. Ich wollte schon immer mal eine E-Mail-Freundin im Ausland haben. Das ist fast besser als telefonieren, weißt du?»

Sie legte Maxie die Hand auf die Schulter und rüttelte sie sanft. «Und jetzt hol uns was zu trinken. Nach dem Schreck verdurste ich fast.»

Als jede von ihnen ein Glas mit Limo in der Hand hielt, fragte Paula: «Wer hat eigentlich Jenny von unserem Treffen informiert?»

Es stellte sich heraus, dass niemand Jenny von diesem Termin erzählt hatte. Keine hatte mehr daran gedacht.

«Außerdem hätte sie ja selbst mal fragen können», meinte Nevin.

«Was hängt sie auch immer mit den Zicken um Melike & Co herum», fügte Judith hinzu.

Doch dann beschlossen sie, Jenny anzurufen. Mädchen aus der Arche ließen niemanden hängen, sagten sie sich. Doch bei Jenny nahm niemand ab. Sie versuchten sie auf dem Handy zu erreichen und sprachen schließlich auf die Mailbox.

«So», sagte Paula zufrieden, «jetzt kann sie selbst entscheiden, was sie will. Vielleicht kommt sie ja noch.»

Doch Jenny kam nicht.

Maxie holte das Fotobuch wieder hervor und zeigte auf einer Landkarte, wo genau das Reservat der Navajos war.

«Sieht wie eine Wüste aus», bemerkte Judith nachdenklich.

«Sieht nicht nur so aus, ist auch eine», sagte Maxie mit Nachdruck. «Meine Mutter war früher schon mal da und hat mir Fotos gezeigt. Voll krass! Eigentlich gemein, dass die Indianer in solch unfruchtbares Land verbannt wurden.»

Da niemand so recht Ahnung hatte, wie Indianer in Amerika lebten, berichtete Maxie von den Reservaten und von Arbeitslosigkeit und Armut unter den Indianern und wie in den letzten Jahrzehnten eine neue Bewegung unter den Jüngeren entstanden war, die den Stolz auf die eigene Geschichte und Herkunft wieder wecken wollten.

«Bin gespannt, in was für eine Art Schule ich da gehen soll», knurrte Maxie. «Am Ende lerne ich noch Mokassins nähen.»

Als Erste begann Judith zu kichern. Nevin folgte. Dann rief Paula ausgelassen: «Bei den Navajos ist das auch immer so!»

Als Maxie diesen Satz hörte, den sie während der Klassenfahrt wohl hundertmal gesagt hatte, musste auch sie lachen. Sie lachte und lachte und konnte kaum noch aufhören. Schließlich verschluckte sie sich, und Paula klopfte ihr auf den Rücken.

«Ist ja gut», flüsterte sie ihr leise zu, «du wirst es da schon packen, hundertpro!»

Ein Unglück kommt selten allein

Als Paula am späten Nachmittag nach Hause kam, klingelte gerade das Telefon. Sofort lief sie ins Wohnzimmer und riss sich den Hörer ans Ohr. Ob Elias sie heute doch noch sehen konnte?

Ein wenig enttäuscht erkannte sie Jennys Stimme.

«Hab ich was verpasst?», fragte Jenny, und Paula hatte sofort das Gefühl, dass sie nicht allein war. Sie klang so aufgekratzt und zugleich provozierend.

«Wie man’s nimmt», antwortete Paula vorsichtig. Sie war sich nicht sicher, ob Jenny sich tatsächlich für das Arche-Treffen interessierte. Vielleicht wollte sie Melike & Co nur vorführen, wie lächerlich die Arche-Mädchen doch waren.

«Was heißt das? Gibt es was Wichtiges? Immerhin habt ihr auf meine Mailbox gesprochen.»

Paula zögerte.

«Ich wollte eigentlich kommen, ehrlich, aber dann kam was dazwischen. Jetzt sag schon. Oder gehör ich nicht mehr dazu?», redete Jenny weiter.

«Also, Maxie hat ein Problem», begann Paula bereitwillig. «Ihre Mutter hat ein Stipendium bekommen, und nun ziehen sie für ein Jahr nach Amerika.»

«Amerika? Das ist ja megakrass! Wo ist denn da das Problem?!», kreischte Jenny, und dann war da ein Lachen zu hören, und verschiedene Stimmen riefen durcheinander.

Also doch!, dachte Paula grimmig.

«Hör mal», rief sie eindringlich, «erzähl das jetzt nicht rum, das ist doch Mädchen-Arche …»

Doch dann ertönte plötzlich das Freisignal. Jenny hatte aufgelegt.

Wütend legte Paula den Hörer auf die Station. Was wollte Jenny eigentlich? Sich lustig machen?

 

Am nächsten Morgen erzählte Paula gleich auf dem Schulweg Judith von dem Gespräch. Dann fuhren sie eine Weile schweigend auf ihren Rädern nebeneinanderher. Schließlich meinte Judith, dass sie Jenny wohl einfach fragen müssten, ob sie noch bei der Mädchen-Arche mitmachen wollte. Dann wüssten sie alle Bescheid.

Das fand Paula auch. Sie legte den Kopf zurück und schaute in die Baumkronen. Der Himmel war vom Morgendunst ein wenig verhangen, doch die frühe Sonne gewann spürbar an Kraft. Es würde wieder warm werden heute.

«Hast du Lust, heute Nachmittag eine Radtour zu machen?», fragte Judith unvermittelt.

Abrupt schaute Paula wieder auf den Radweg.

«Heute um fünf kann ich nicht. Aber wenn wir vorher …» Schuldbewusst beendete sie den Satz nicht. Sie spürte, wie Judith nickte. Schnell fügte sie hinzu: «Und wenn wir stattdessen Inliner fahren? So gegen halb vier? Dann wäre noch Zeit genug.»

Judith dachte nach. Sie schwieg und hantierte umständlich an ihrer Gangschaltung herum.

«Okay», sagte sie dann. «Wir laufen die Uferpromenade entlang, ja?»

Erleichtert nickte Paula. Irgendwie war es gar nicht einfach, so viele verschiedene Verpflichtungen zu haben, fand sie. Ihr war klar, dass Judith ein bisschen eifersüchtig war auf Elias, und Paula wollte sich bemühen, ihr dafür keinen Grund zu geben.

Auf dem Weg durch das Schulgebäude zum Klassenraum hielt Paula verstohlen Ausschau. Gleichzeitig versuchte sie die Unterhaltung mit Judith nicht abreißen zu lassen. Wie lange Botteblom wohl dieses Mal den Mathetest behalten würde und ob Jenny die Neuigkeit von Maxie schon überall herumerzählt hatte?

Sie hatte.

Kaum hatten die beiden den Klassenraum betreten, wurden sie auch schon mit Fragen bombardiert. Jenny wollte wissen, wo Maxie denn bliebe. Melike erkundigte sich mit gespieltem Interesse, ob man denn einfach ein Jahr wegbleiben durfte, und Julia und Marie bemerkten, dass ein längerer Aufenthalt im Ausland für jeden bestimmt Vorteile mit sich brächte.

Genervt gingen Paula und Judith an ihren Tisch und antworteten so einsilbig wie möglich.

«Ich find’s blöd, dass du gleich alles rumerzählst», zischte Paula schließlich Jenny zu, als die an ihr vorbeiging·

«Was heißt rumerzählen? Interessiert es nicht jeden von uns, was mit unseren Mitschülern passiert?», gab sie zurück und zog die Augenbrauen hoch. «Ich wünschte, ich könnte mit Maxie tauschen.»

«Du hättest doch wenigstens warten können, bis du selbst mit ihr gesprochen hast», erwiderte Paula. «Schade, dass du gestern nicht da warst. Willst du denn noch weiter mitmachen?»

«Mitmachen? Wobei denn?», fragte Jenny gedehnt. Ein paar Gesichter drehten sich zu ihnen um.

«Bei der Mädchen-Arche!», fauchte Judith. «Ja oder nein?»

«Ist das ein Ultimatum?», antwortete Jenny geziert und warf die langen Haare über die Schultern.

Verwirrt sah Paula in Jennys hübsches, doch irgendwie leeres Gesicht. Die blauen Augen schienen niemanden direkt anzusehen, das Lächeln wirkte abweisend. Sie hatte die Hände in die Hüften gestützt und stand so da, als könnte niemand an ihr vorbeigehen.