Percy Jackson 3: Der Fluch des Titanen - Rick Riordan - E-Book
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Percy Jackson 3: Der Fluch des Titanen E-Book

Rick Riordan

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Beschreibung

Action, Witz und ein finsterer Pakt  Es sieht nicht gut aus. Die Titanen haben sich verbündet und rüsten zum Krieg gegen die Götter des Olymp! Percy muss bis zur Wintersonnenwende die Göttin Artemis befreien, die in die Klauen der finsteren Mächte geraten ist. Nur dann kann der Fluch gebrochen und die Göttin gerettet werden. Dabei treten Percy, Annabeth und Grover gegen die gefährlichsten Monster der griechischen Mythologie an - und geraten selbst in tödliche Gefahr. Wie gut, dass die Titanen nicht wissen, dass Percy mit allen Wassern gewaschen ist. Die Jugendbuch-Bestsellerserie mit nachtragenden Ungeheuern und schrulligen Göttern    Als Percy Jackson erfährt, dass er ein Halbgott ist und es die Kreaturen aus der griechischen Mythologie wirklich gibt, verändert das alles. Von nun an stehen ihm und seinen Freunden allerlei Monster, göttliche Streitigkeiten und epische Quests bevor.    Gespickt mit Heldentum, Chaos und Freundschaft ist die sechsteilige Fantasy-Reihe rund um den Halbgott Percy Jackson inzwischen millionenfach verkauft. Der Mix aus Spannung, Witz und Mythologie begeistert Jung und Alt aus mehr als 40 Ländern und ist die bekannteste Serie von Rick Riordan.        ***Griechische Götter in der Gegenwart: chaotisch-wilde Fantasy für junge Leser*innen ab 12 Jahren und für alle Fans der griechischen Mythologie*** 

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Rick Riordan:

Percy Jackson – Der Fluch des Titanen

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

 

Percy versteht die Welt nicht mehr. Jedes Jahr fliegt er von einer anderen Schule. Ständig passieren ihm seltsame Unfälle. Und jetzt soll er auch noch an dem Tornado schuld sein! Langsam wird ihm klar: Irgendjemand hat es auf ihn abgesehen. Als Percy sich mit Hilfe seines Freundes Grover vor einem Minotaurus ins Camp Half-Blood rettet, erfährt er die Wahrheit: Sein Vater ist der Meeresgott Poseidon, Percy also ein Halbgott. Und er hat einen mächtigen Feind: Kronos, den Titanen. Die Götter stehen Kopf – und Percy und seine Freunde vor einem unglaublichen Abenteuer …

Alle Bände der »Percy Jackson«-Serie: Percy Jackson – Diebe im Olymp (Band 1) Percy Jackson – Im Bann des Zyklopen (Band 2) Percy Jackson – Der Fluch des Titanen (Band 3) Percy Jackson – Die Schlacht um das Labyrinth (Band 4) Percy Jackson – Die letzte Göttin (Band 5) Percy Jackson – Auf Monsterjagd mit den Geschwistern Kane (Sonderband)

Percy Jackson erzählt: Griechische Göttersagen Percy Jackson erzählt: Griechische Heldensagen

Und dann geht es weiter mit den »Helden des Olymp«!

Wohin soll es gehen?

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Meine Rettungsoperation schlägt gewaltig fehl

Am Freitag vor den Winterferien packte meine Mom mir eine Reisetasche und ein paar tödliche Waffen zusammen und fuhr mich zu einem neuen Internat. Auf dem Weg dahin holten wir meine Freundinnen Annabeth und Thalia ab.

Die Fahrt von New York nach Bar Harbor in Maine dauerte acht Stunden. Schneeregen prasselte auf die Autobahn. Annabeth, Thalia und ich hatten uns seit Monaten nicht gesehen, aber wegen des Blizzards und allem, was vor uns lag, waren wir zu nervös, um viel zu reden. Abgesehen von meiner Mom. Sie redet immer mehr, wenn sie nervös ist. Als wir endlich in Westover Hall ankamen, wurde es schon dunkel, und sie hatte Annabeth und Thalia jede peinliche Geschichte über mich als Baby erzählt, die es überhaupt gab.

Thalia wischte über das beschlagene Autofenster und linste hinaus. »Na, Mensch. Das wird ja lustig.«

Westover Hall sah aus wie eine Ritterburg, in der es spukte. Es war ganz aus schwarzem Stein gebaut und hatte Türmchen und Schießscharten und eine große doppelflügelige Holztür. Das Haus stand auf einem verschneiten Felsen und schaute auf der einen Seite auf einen riesigen vereisten Wald und auf der anderen auf den grauen tosenden Ozean.

»Seid ihr sicher, dass ich nicht warten soll?«, fragte meine Mutter.

»Nein, danke, Mom«, sagte ich. »Wir wissen doch gar nicht, wie lange das dauert. Wir schaffen das schon.«

»Aber wie wollt ihr zurückkommen? Ich mache mir Sorgen, Percy.«

Ich hoffte, dass ich nicht rot wurde. Es war schlimm genug, dass meine Mom mich zu meinen Schlachten fahren musste.

»Schon gut, Ms Jackson.« Annabeth lächelte beruhigend. Sie hatte ihre blonden Haare unter eine Skimütze gesteckt und ihre grauen Augen hatten die Farbe des Ozeans. »Wir werden schon dafür sorgen, dass er keinen Ärger kriegt.«

Meine Mom schien sich ein wenig zu beruhigen. Sie hält Annabeth für die vernünftigste Halbgottheit, die es jemals bis zur neunten Klasse geschafft hat. Sie ist davon überzeugt, dass Annabeth mir ziemlich regelmäßig das Leben rettet. Sie hat recht, aber das heißt noch lange nicht, dass mir das gefällt.

»Okay, ihr Lieben«, sagte meine Mom. »Habt ihr alles, was ihr braucht?«

»Ja, Ms Jackson«, sagte Thalia. »Danke fürs Bringen.«

»Reservepullover? Ihr habt meine Handynummer?«

»Mom …«

»Deine Ambrosia und deinen Nektar, Percy? Und eine goldene Drachme, falls ihr Kontakt zum Camp aufnehmen müsst?«

»Mom, also echt! Wir schaffen das schon. Los, Leute.«

Sie sah ein wenig verletzt aus und das tat mir leid, aber ich wollte jetzt dieses Auto verlassen. Wenn meine Mom noch eine einzige Geschichte darüber erzählte, wie niedlich ich mit drei Jahren in der Badewanne ausgesehen hatte, dann würde ich mich in den Schnee stürzen und dort erfrieren.

Annabeth und Thalia stiegen mit mir aus. Der Wind bohrte sich wie Eisdolche durch meinen Mantel.

Als der Wagen meiner Mutter nicht mehr zu sehen war, sagte Thalia: »Deine Mom ist einfach klasse, Percy.«

»Die ist schon in Ordnung«, gab ich zu. »Was ist mit dir? Hast du je Kontakt zu deiner Mom?«

Kaum hatte ich das gesagt, da hätte ich mir die Zunge abbeißen mögen. Thalia war groß im Böse-Blicke-Werfen und dazu kamen ihre übliche Punkkleidung – die zerfetzte Armeejacke, die schwarze Lederhose und die Ketten, die sie immer trug –, die schwarze Wimperntusche und die stechenden blauen Augen. Aber der Blick, den ich jetzt abkriegte, war die perfekte Drohgebärde. »Als ob dich das irgendwas anginge, Percy …«

»Wir sollten reingehen«, fiel Annabeth ihr ins Wort. »Grover wartet sicher schon.«

Thalia sah die Burg an und zitterte. »Du hast recht. Ich wüsste ja gern, was ihn dazu gebracht hat, uns den Hilferuf zu schicken.«

Ich starrte auf die düsteren Türme von Westover Hall. »Nichts Gutes«, nahm ich an.

Die Eichentüren öffneten sich mit einem Stöhnen und wir betraten in einem Schneegestöber die Eingangshalle.

Ich konnte nur sagen: »Boah!«

Die Halle war einfach riesig. Die Wände waren behangen mit Kriegsflaggen und Waffen, uralten Gewehren, Kampfäxten und allerlei anderem Kram. Ich meine, wir hatten ja gewusst, dass es eine Militärschule war, aber dieser ganze Kram an der Wand kam mir dann doch übertrieben vor. Der pure Overkill eben.

Meine Hand fuhr zu meiner Tasche, wo ich meinen tödlichen Kugelschreiber aufbewahrte, Springflut. Ich spürte schon jetzt, dass hier etwas nicht stimmte. Irgendeine Gefahr drohte. Thalia rieb ihr Silberarmband, ihren bevorzugten magischen Gegenstand. Ich wusste, dass wir dasselbe dachten. Uns stand ein Kampf bevor.

Annabeth konnte gerade noch sagen: »Ich frage mich, wo …«

Dann knallten hinter uns die Türen ins Schloss.

»Oo-kay«, murmelte ich. »Dann werden wir wohl eine Weile hier bleiben.«

Ich konnte vom anderen Ende der Halle her Musik hören. Es klang wie Tanzmusik.

Wir legten unsere Reisetaschen hinter einer Säule ab und liefen los. Wir waren noch nicht sehr weit gekommen, als ich Schritte auf dem Steinboden hörte, und ein Mann und eine Frau kamen aus dem Schatten herausmarschiert, um uns anzuhalten.

Sie hatten beide kurze graue Haare und trugen schwarze militärisch wirkende Uniformen mit roten Aufnähern. Die Frau hatte einen dünnen Schnurrbart und der Mann war glatt rasiert, was mir irgendwie falsch verteilt vorkam. Beide gingen so steif, als ob sie sich Besenstiele ans Rückgrat geklebt hätten.

»Na?«, fragte die Frau. »Was macht ihr denn hier?«

»Äh …« Mir wurde klar, dass ich mir das überhaupt noch nicht überlegt hatte. Ich war so darauf konzentriert gewesen, zu Grover zu gelangen und herauszufinden, was er für Probleme hatte, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, dass es irgendwem seltsam vorkommen könnte, wenn drei junge Leute versuchten, sich nachts in die Schule zu schleichen. Und unterwegs hatten wir einfach nicht darüber gesprochen, wie wir ins Haus gelangen würden. Ich sagte: »Ma’am, wir wollten nur …«

»Ha!«, fauchte der Mann und ich fuhr zurück. »Beim Tanz sind keine Besucher erlaubt. Ihr werdet weggejaaaagt werden!«

Er hatte einen Akzent, vielleicht einen französischen. Er sprach das j wie in Jacques aus. Er war groß und hatte ein Gesicht wie ein Habicht; seine Nasenlöcher blähten sich beim Sprechen, was es schwer machte, ihm nicht in die Nase zu starren, und seine Augen waren von unterschiedlicher Farbe, eins war braun, eins war blau, wie bei einem Hinterhofkater.

Ich dachte schon, er wollte uns in den Schnee hinauswerfen, aber dann trat Thalia vor und tat etwas sehr Seltsames.

Sie schnippte mit den Fingern. Das machte ein hartes, lautes Geräusch. Vielleicht war das ja nur Einbildung, aber mir kam es vor, als ob aus ihrer Hand ein Windstoß durch den Raum fuhr. Er jagte über uns alle hinweg und ließ die Fahnen an den Wänden rascheln.

»Aber wir sind doch gar keine Besucher, Sir«, sagte Thalia. »Wir gehen hier zur Schule. Wissen Sie das nicht mehr? Ich bin Thalia. Und das hier sind Annabeth und Percy. Wir gehen in die achte Klasse.«

Der Lehrer kniff seine zweifarbigen Augen zusammen. Ich wusste nicht, was Thalia sich dabei dachte. Jetzt würden wir vermutlich für diese Lüge bestraft und dann in den Schnee hinausgeworfen werden. Aber der Mann schien zu zögern.

Er sah seine Kollegin an. »Ms Gottschalk, kennen Sie diese Schüler?«

Trotz der Gefahr, in der wir schwebten, musste ich mir auf die Zunge beißen, um nicht loszuprusten. Noch mehr Götter? Der Mann machte doch bestimmt Witze!

Die Frau blinzelte, als sei sie eben erst aus einer Trance erwacht. »Ich … ja, ich glaube schon, Sir.« Sie musterte uns stirnrunzelnd. »Annabeth. Thalia. Percy. Wieso seid ihr nicht in der Turnhalle?«

Ehe wir antworten konnten, hörten wir wieder Schritte und Grover kam atemlos angerannt. »Ihr habt es geschafft! Ihr …«

Er fuhr zurück, als er die Lehrer sah. »O, Ms Gottschalk, Dr. Thorn. Ich, äh …«

»Ja, bitte, Mr Underwood?«, fragte der Mann. Sein Tonfall verriet deutlich, dass er Grover nicht ausstehen konnte. »Was soll das heißen, sie haben es geschafft? Diese Schüler wohnen hier.«

Grover schluckte. »Ja, Sir. Natürlich, Dr. Thorn. Ich meine nur, ich freue mich so, dass sie es geschafft haben, den … die Bowle für den Ball anzurühren. Die ist wirklich köstlich. Und sie haben es geschafft, die zu brauen!«

Dr. Thorn starrte uns wütend an. Ich war sicher, dass eins seiner Augen falsch war. Das braune? Das blaue? Er sah aus, als hätte er uns am liebsten vom höchsten Burgturm gestürzt, aber nun sagte Ms Gottschalk mit verträumter Stimme: »Ja, die Bowle ist hervorragend. Aber jetzt fort mit euch, allesamt. Ihr dürft die Turnhalle nicht wieder verlassen.«

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Wir liefen mit reichlich »Yes, Ma’am« und »Yes, Sir« los und salutierten einige Male, einfach, weil uns das hier angebracht erschien.

Grover führte uns durch die Halle in Richtung Musik und trieb uns dabei zur Eile an.

Ich spürte die Blicke der Lehrer im Rücken, hielt mich aber dicht an Thalia und fragte mit leiser Stimme: »Wie hast du diese Fingerschnippsache gemacht?«

»Du meinst den Nebel? Hat Chiron dir das noch nicht beigebracht?«

Ein unbehaglicher Kloß bildete sich in meinem Hals. Chiron war der Unterrichtskoordinator in unserem Camp, aber so etwas hatte er mir noch nie gezeigt. Warum brachte er Thalia solche Tricks bei und mir nicht?

Grover lief zu einer Tür, in deren Fensterscheibe »Turnhalle« stand. Sogar ich als Legastheniker konnte das entziffern.

»Das wäre um ein Haar schiefgegangen«, sagte Grover. »Den Gottheiten sei Dank, dass ihr es geschafft habt.«

Annabeth und Thalia umarmten Grover. Ich bot ihm meine Hand zum Einschlagen.

Es war so schön, ihn nach all den Monaten wiederzusehen. Er war ein wenig größer geworden und hatte sich ein paar Schnurrhaare mehr zugelegt, aber ansonsten sah er aus wie immer, wenn er sich als Mensch ausgab – eine rote Mütze auf seinen braunen Locken, um seine Ziegenhörner zu verbergen, ausgebeulte Jeans und Turnschuhe mit Fußattrappen für seine pelzigen Beine und die Hufe. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einer Aufschrift, die ich erst nach einigen Sekunden lesen konnte. Dort stand WESTOVER HALL: GRUNZ. Ich war nicht sicher, ob das Grovers Rang hier beschrieb oder das Schulmotto war.

»Also, warum der Notruf?«, fragte ich.

Grover holte tief Luft. »Ich habe zwei gefunden.«

»Zwei Halbblute?«, fragte Thalia überrascht. »Hier?«

Grover nickte.

Es kam selten genug vor, dass ein Halbblut entdeckt wurde. In diesem Jahr hatte Chiron die Satyrn unter Ausnahmezustand gestellt und sie durch das ganze Land geschickt, um Schulen aller Art nach möglichen Rekruten zu durchkämmen. Die Zustände waren schrecklich, wir verloren Camper und brauchten alle neuen Kämpfer, die wir finden konnten. Das Problem war, dass da draußen einfach nicht gerade massenweise Halbgottheiten herumliefen.

»Bruder und Schwester«, sagte Grover. »Sie sind zehn und zwölf. Ich weiß nicht, wer ihre Eltern sind, aber sie sind stark. Und wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich brauche Hilfe.«

»Monster?«

»Eins.« Grover machte ein nervöses Gesicht. »Er ist sich wohl noch nicht sicher. Zumindest glaube ich nicht, dass er sich schon sicher ist, aber heute ist der letzte Tag vor den Ferien. Ich denke nicht, dass er sie hier weglassen wird, ohne es genau zu wissen. Das hier ist vielleicht unsere letzte Chance. Wann immer ich versuche, mit ihnen zu reden, steht er da und versperrt mir den Weg. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Grover sah verzweifelt Thalia an. Ich versuchte, mir nichts daraus zu machen. Früher hatte Grover mich angeschaut, wenn er Hilfe brauchte, aber jetzt ging Thalia vor. Und nicht nur, weil Zeus ihr Dad war. Thalia hatte mehr Erfahrung damit als wir anderen alle zusammen, mit den Monstern in der wirklichen Welt fertigzuwerden.

»Alles klar«, sagte sie. »Und diese Halbblute sind auf dem Schulball?«

Grover nickte.

»Na, dann wollen wir mal das Tanzbein schwingen«, sagte Thalia. »Wer ist dieses Monster?«

»Oh«, sagte Grover und schaute sich ängstlich um. »Ihr habt es eben kennengelernt. Es ist der stellvertretende Schuldirektor. Dr. Thorn.«

Das Komische an Militärschulen ist, dass die Leute immer total durchdrehen, wenn sie zu besonderen Anlässen ihre Uniformen abwerfen können. Ich nehme an, das liegt daran, dass sonst immer so strenge Regeln herrschen, und dann wollen sie eben wie wild alles ausgleichen oder so.

Überall auf dem Boden der Turnhalle lagen schwarze und weiße Ballons herum und die Jungs traten sie sich gegenseitig ins Gesicht oder versuchten, einander mit den an der Wand befestigten Luftschlangen zu erwürgen. Die Mädchen liefen in Gruppen herum wie sie das immer machen, sie hatten jede Menge Make-up aufgelegt und trugen Spaghettiträger und knallbunte Hosen und Schuhe, die aussahen wie Foltergeräte. In regelmäßigen Abständen umzingelten sie einen armen Wicht wie ein Schwarm Piranhas, kreischten und kicherten, und wenn sie dann endlich weiterzogen, hatte der Typ Schleifen im Haar und sein Gesicht war total verschmiert mit Lippenstift-Graffiti. Ein paar von den älteren Typen sahen eher aus wie ich – sie fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut, lungerten an der Wand der Turnhalle herum und versuchten sich zu verstecken, als ob sie jeden Moment damit rechneten, um ihr Leben kämpfen zu müssen. Was in meinem Fall ja auch stimmte …

»Da sind sie.« Grover zeigte auf zwei kleinere Kids, die zwischen den Turnmatten in eine Diskussion vertieft waren. »Bianca und Nico di Angelo.«

Das Mädchen trug eine weite grüne Mütze, als ob sie ihr Gesicht verstecken wollte. Der Junge war einwandfrei ihr kleiner Bruder. Sie hatten beide dunkle seidige Haare und olivbraune Haut und sie redeten mit den Händen. Der Junge mischte irgendwelche Karten. Seine Schwester schien ihn auszuschimpfen. Immer wieder blickte sie sich um, als ob sie spürte, dass etwas nicht stimmte.

Annabeth fragte: »Wissen sie … ich meine, hast du es ihnen gesagt?«

Grover schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, wie das ist. Das könnte sie in noch größere Gefahr bringen. Wenn sie erst wissen, wer sie sind, dann wird ihr Geruch stärker.«

Er sah mich an und ich nickte. Ich hatte nie so ganz verstanden, wie es kommt, dass Halbblute für Monster und Satyrn »riechen«, aber ich weiß, dass es tödlich sein kann, wenn sie deine Witterung aufnehmen. Und je mächtiger du als Halbgott wirst, umso mehr riechst du wie ein feines Monsteressen.

»Also schnappen wir sie uns und dann weg hier«, sagte ich.

Ich wollte loslaufen, aber Thalia legte mir die Hand auf die Schulter. Der stellvertretende Direktor, Dr. Thorn, war hinter den Matten durch eine Tür gekommen und stand jetzt in der Nähe der Di-Angelo-Zwillinge. Er nickte kalt zu uns herüber. Sein blaues Auge glühte.

Sein Gesichtsausdruck verriet uns, dass Thalias Nebeltrick Thorn kein bisschen getäuscht hatte. Er hatte einen Verdacht, wer wir waren. Er wartete nur ab, um herauszufinden, was wir hier wollten.

»Seht nicht zu den Kids rüber«, befahl Thalia. »Wir müssen auf eine Möglichkeit warten, sie zu holen. Wir müssen so tun, als ob wir uns überhaupt nicht für sie interessieren. Ihn von der Fährte abbringen.«

»Wie das?«

»Wir sind drei mächtige Halbblute. Unsere Anwesenheit hier müsste ihn verwirren. Mischt euch unters Volk. Verhaltet euch ganz natürlich. Tanzt ein bisschen. Aber behaltet diese Kinder im Auge.«

»Wir sollen tanzen?«, fragte Annabeth.

Thalia nickte. Sie hielt eine Hand hinters Ohr, lauschte auf die Musik und verzog das Gesicht. »Uäh. Wer hat bloß Jesse McCartney ausgesucht?«

Grover sah verletzt aus. »Ich.«

»Meine Güte, Grover, das ist doch lahm. Kannst du nicht irgendwas anderes spielen, wie Green Day oder so?«

»Green was?«

»Egal. Tanzen wir.«

»Aber ich kann nicht tanzen.«

»Du kannst, wenn ich führe«, sagte Thalia. »Na los, Ziegenknabe.«

Grover fiepte, als Thalia seine Hand packte und ihn auf die Tanzfläche zog.

Annabeth lächelte.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Nichts. Es ist nur einfach super, dass Thalia wieder da ist.«

Annabeth war seit dem letzten Sommer größer als ich, was mich irgendwie störte. Sie trug sonst nie Schmuck, außer ihrem Camp-Half-Blood-Halsband, aber jetzt hatte sie kleine silberne Ohrringe angelegt, die aussahen wie Eulen – das Symbol ihrer Mutter Athene. Sie zog sich die Skimütze vom Kopf und ihre langen blonden Haare fielen ihr über die Schultern. Dadurch wirkte sie aus irgendeinem Grund älter.

»Also …« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Verhaltet euch ganz natürlich«, hatte Thalia gesagt. Aber was zum Henker ist natürliches Verhalten für ein Halbblut in einem gefährlichen Einsatz? »Äh, hast du in letzter Zeit ein tolles Gebäude entworfen?«

Annabeths Augen leuchteten auf, das war immer so, wenn die Rede auf Architektur kam. »Es ist Wahnsinn, Percy. An meiner neuen Schule habe ich 3-D-Design als Wahlfach und wir haben so ein Schul-Computerprogramm …«

Sie erklärte ausführlich, wie sie ein riesiges Denkmal für Ground Zero in Manhattan entworfen hatte. Sie redete über Stützträger und Fassaden und solchen Kram und ich versuchte zuzuhören. Ich wusste, sie wollte später eine Superarchitektin werden – sie liebt Mathe und historische Gebäude und so was –, aber ich verstand kaum ein Wort von dem, was sie redete.

Tatsache war, es enttäuschte mich irgendwie, dass ihre neue Schule ihr so gut gefiel. Sie besuchte zum ersten Mal eine Schule in New York und ich hatte gehofft, sie häufiger sehen zu können. Es war ein Internat in Brooklyn, wo auch Thalia war, und so dicht bei Camp Half-Blood gelegen, dass Chiron zu Hilfe kommen könnte, wenn sie Ärger hätten. Weil es eine reine Mädchenschule war und ich die MS-54 in Manhattan besuchte, traf ich die beiden fast nie.

»Ja, äh, spitze«, sagte ich. »Du wirst also für den Rest des Jahres dort bleiben?«

Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Na ja, vielleicht, wenn nicht …«

»He!«, rief Thalia uns zu. Sie tanzte langsam mit Grover, der über seine eigenen Füße fiel und Thalia gegen das Schienbein trat; er sah aus, als wäre er am liebsten gestorben. Zumindest waren seine Füße eine Attrappe – im Gegensatz zu mir hatte er also eine Entschuldigung für seine Ungeschicklichkeit.

»Jetzt tanzt doch endlich, Leute«, befahl Thalia. »Es sieht blöd aus, wenn ihr hier nur rumsteht.«

Ich sah nervös zuerst Annabeth an, dann die Gruppen von Mädchen, die durch die Turnhalle streiften.

»Na?«, fragte Annabeth.

»Öh, wen soll ich denn auffordern?«

Sie versetzte mir einen Rippenstoß. »Mich, Algenhirn.«

»Ach ja. Klar.«

Also gingen wir auf die Tanzfläche und ich versuchte, mich von Thalia und Grover inspirieren zu lassen. Ich legte Annabeth eine Hand auf die Hüfte und sie packte die andere Hand, als ob sie mich mit einem Judogriff auf die Matte legen wollte.

»Ich beiß doch nicht«, sagte sie. »Also echt, Percy. Wird an deiner Schule denn nie getanzt?«

Ich gab keine Antwort. Die Wahrheit war, doch, es wurde schon getanzt. Nur hatte ich kein einziges Mal mitgemacht. Ich war immer einer der Jungs, die in der Ecke Basketball spielten.

Wir schlurften ein paar Minuten durch die Gegend. Ich versuchte, mich auf Kleinigkeiten zu konzentrieren, wie die Luftschlangen und das Gefäß mit der Bowle – auf alles, nur nicht auf die Tatsache, dass Annabeth größer war als ich und dass meine Hände schweißnass und vermutlich ungeschickt waren und dass ich ihr immer wieder auf die Zehen trat.

»Was hast du vorhin gesagt?«, fragte ich. »Rechnest du mit Ärger an deiner Schule oder so was?«

Sie spitzte die Lippen. »Das nicht. Es ist mein Dad.«

»Oha.« Ich wusste, dass Annabeth eine reichlich steinige Beziehung zu ihrem Vater hatte. »Ich dachte, die Sache mit euch hätte sich gebessert. Liegt es wieder an deiner Stiefmutter?«

Annabeth seufzte. »Er will umziehen. Kaum hab ich mich in New York eingelebt, da nimmt er so einen blöden Job an, um für sein Buch über den Ersten Weltkrieg zu recherchieren. In San Francisco.«

Sie sagte das so, wie sie Felder der Verdammnis oder Hades’ Turnhose gesagt hätte.

»Und jetzt will er, dass du mit ihm umziehst?«, fragte ich.

»Ans andere Ende des Landes«, sagte sie verzweifelt. »Und Halbblute können in San Francisco nicht leben. Das müsste er doch wissen.«

»Was? Wieso nicht?«

Annabeth verdrehte die Augen. Vielleicht meinte sie, ich machte Witze. »Du weißt doch. Genau da ist es doch.«

»Ach«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete, aber ich wollte nicht wie ein Trottel rüberkommen. »Also … wirst du dann wieder im Camp wohnen, oder was?«

»Es ist noch schlimmer, Percy. Ich … ich sollte dir vielleicht etwas erzählen.«

Plötzlich erstarrte sie. »Sie sind weg.«

»Was?«

Ich folgte ihrem Blick. Die Matten. Die beiden Halbblut-Kids, Bianca und Nico, waren nicht mehr da. Die Tür neben dem Mattenraum stand weit offen. Dr. Thorn war nirgendwo zu sehen.

»Wir müssen Thalia und Grover Bescheid sagen!« Annabeth hielt fieberhaft Ausschau. »Wo sind sie bloß hingetanzt? Na los, komm schon!«

Sie rannte durch die Menge. Ich wollte ihr gerade folgen, als eine Meute von Mädels mir den Weg versperrte. Ich kämpfte mich um sie herum, um mir die Schleifen-und-Lippenstift-Behandlung zu ersparen, und als ich mich von ihnen befreit hatte, war Annabeth verschwunden. Ich lief eine Runde durch die Turnhalle und hielt Ausschau nach ihr oder Thalia und Grover. Aber stattdessen sah ich etwas, das mein Blut gefrieren ließ.

Etwa fünfzehn Meter von mir entfernt, auf dem Boden der Turnhalle, lag eine weite grüne Mütze, wie Bianca di Angelo eine getragen hatte. Daneben lagen einige Sammelkarten. Und dann sah ich für einen Moment Dr. Thorn. Er stürzte auf der anderen Seite der Turnhalle aus einer Tür und hielt die beiden di Angelos am Nacken gepackt, wie Katzenjunge.

Ich konnte Annabeth noch immer nicht sehen, wusste aber, dass sie in die andere Richtung gerannt war, um Thalia und Grover zu suchen.

Ich wäre ihr fast gefolgt, aber dann dachte ich, Moment mal.

Mir fiel ein, was Thalia in der Eingangshalle zu mir gesagt hatte – sie hatte mich total verwirrt angesehen, als ich sie nach dem Fingerschnipptrick gefragt hatte. »Hat Chiron dir das denn noch nicht beigebracht?« Ich dachte daran, wie Grover sie angesehen hatte, in der Hoffnung, dass sie die Situation retten würde.

Nicht, dass ich sauer auf Thalia gewesen wäre. Sie war schon cool. Es war nicht ihre Schuld, dass Zeus ihr Dad war und dass sie alle Aufmerksamkeit auf sich zog … Aber ich brauchte deshalb noch lange nicht hinter ihr herzulaufen, wenn ich ein Problem hatte. Die di Angelos waren in Gefahr. Bis ich meine Freunde gefunden hatte, konnten die beiden längst verschwunden sein. Ich kannte mich mit Monstern aus. Ich würde allein damit fertigwerden.

Ich zog Springflut aus der Tasche und rannte hinter Dr. Thorn her.

Die Tür führte auf einen dunklen Gang. Vor mir hörte ich eilige Schritte und dann ein schmerzerfülltes Stöhnen. Ich drehte die Kappe von Springflut.

Der Kugelschreiber wuchs in meiner Hand, bis ich ein fast einen Meter langes griechisches Bronzeschwert mit lederumwickeltem Griff in der Hand hielt. Die Schneide glühte schwach und warf ein goldenes Licht auf die Reihen von Schließfächern.

Ich lief durch den Gang, aber als ich das andere Ende erreicht hatte, war dort niemand. Ich öffnete eine Tür und stand wieder in der Eingangshalle. Ich war total verwirrt. Dr. Thorn konnte ich nirgendwo entdecken, aber auf der anderen Seite der Halle standen die di Angelos. Sie waren wie gelähmt vor Angst und starrten mich an.

Ich ging langsam auf sie zu und senkte meine Schwertspitze. »Keine Angst. Ich tu euch nichts.«

Sie gaben keine Antwort. Ihre Augen waren voller Schrecken. Was war los mit ihnen? Und wo steckte Dr. Thorn? Vielleicht hatte er Springflut gerochen und sich verpisst. Monster hassen himmlische Bronzewaffen.

»Ich heiße Percy«, sagte ich und versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ich werde euch hier wegbringen, an einen sicheren Ort.«

Bianca machte große Augen. Sie ballte die Fäuste. Ich begriff zu spät, was ihr Blick bedeutete. Sie fürchtete sich nicht vor mir. Sie versuchte, mich zu warnen.

Ich fuhr herum und etwas machte WUSCH! Ein Schmerz explodierte in meiner Schulter. Eine gewaltige Kraft riss mich zurück und schleuderte mich gegen die Wand.

Ich schlug mit meinem Schwert zu, aber es gab nichts, was ich hätte treffen können.

Ein kaltes Lachen hallte in der Halle wider.

»Ja, Perseus Jackson«, sagte Dr. Thorn. Durch seinen Akzent klang das J in meinem Nachnamen falsch. »Ich weiß, wer du bist.«

Ich versuchte, meine Schulter zu befreien. Meine Jacke und mein Hemd waren mit einer Art Stachel an die Wand genagelt – einem schwarzen dolchähnlichen Geschoss von ungefähr dreißig Zentimetern Länge. Es hatte meine Schulter gestreift und die Wunde brannte. Ich hatte so etwas schon einmal gespürt. Gift.

Ich zwang mich, mich zu konzentrieren. Ich würde nicht ohnmächtig werden.

Jetzt kam eine dunkle Silhouette auf mich zu. Dr. Thorn trat in das trübe Licht. Er sah noch immer aus wie ein Mensch, sein Gesicht aber wirkte gespenstisch. Er hatte perfekte weiße Zähne und seine braunblauen Augen reflektierten den Glanz meines Schwertes.

»Danke dafür, dass du aus der Turnhalle gekommen bist«, sagte er. »Ich hasse Schulbälle.«

Ich versuchte, mein Schwert zu schwingen, aber er war gerade so eben außer Reichweite.

WUSCH! Irgendwo hinter Dr. Thorn wurde ein zweites Geschoss abgefeuert. Er hatte sich nicht gerührt. Jemand Unsichtbares schien hinter ihm zu stehen und mit Dolchen zu werfen.

Neben mir schrie Bianca leise auf. Der zweite Dolch bohrte sich kaum zwei Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt in die Wand.

»Ihr kommt jetzt alle drei mit mir«, sagte Dr. Thorn. »Leise. Gehorsam. Wenn ihr auch nur ein einziges Geräusch macht, wenn ihr um Hilfe ruft oder euch zu wehren versucht, dann werde ich euch zeigen, wie gut ich wirklich zielen kann.«

Der stellvertretende Direktor bekommt eine Abschussrampe

Ich wusste nicht, was für eine Art Ungeheuer Dr. Thorn war, aber rennen konnte er.

Vielleicht hätte ich mich verteidigen können, wenn ich meinen Schild aktiviert hätte. Dazu hätte ich nur meine Armbanduhr zu berühren brauchen. Aber die Geschwister di Angelo zu verteidigen war etwas ganz anderes. Ich brauchte Hilfe und mir fiel nur eine Möglichkeit ein, wie ich die besorgen könnte.

Ich schloss die Augen.

»Was soll das denn, Jackson?«, fauchte Dr. Thorn. »Weitergehen!«

Ich öffnete die Augen und stolperte weiter voran. »Das ist meine Schulter«, log ich. »Die brennt.«

»Bah! Mein Gift tut eben weh. Aber es wird dich nicht umbringen. Weiter!«

Thorn trieb uns aus dem Haus und ich versuchte, mich zu konzentrieren. Ich sah Grovers Gesicht vor mir. Ich konzentrierte mich auf meine Gefühle von Gefahr und Angst. Im vergangenen Sommer hatte Grover zwischen uns einen Empathielink geknüpft. Er hatte mir in meinen Träumen Visionen geschickt, um mir zu sagen, dass er in Gefahr war. Soweit ich wusste, waren wir noch immer miteinander verbunden, aber ich hatte nie versucht, Kontakt zu Grover aufzunehmen. Ich wusste nicht einmal, ob das überhaupt ging, solange Grover wach war.

He, Grover, dachte ich. Wir werden von Thorn entführt. Er ist ein verrückter messerwerfender Giftmischer! Hilfe!

Thorn führte uns in den Wald. Wir folgten einem verschneiten, von altmodischen Laternen notdürftig beleuchteten Fußweg. Der Wind, der durch meine zerlumpte Jacke wehte, war so kalt, dass ich mir wie ein Eiszapfen vorkam.

»Da vorn ist eine Lichtung«, sagte Thorn. »Da werden wir eure Passage rufen.«

»Was für eine Passage?«, fragte Bianca. »Wohin bringen Sie uns?«

»Still, du unerträgliche Göre.«

»Reden Sie nicht so mit meiner Schwester«, sagte Nico. Seine Stimme zitterte, aber es beeindruckte mich, dass er es überhaupt schaffte, etwas zu sagen.

Dr. Thorn stieß ein Knurren aus, das eindeutig nicht menschlich war. Mir sträubten sich die Nackenhaare, aber ich zwang mich, immer weiterzugehen und den braven kleinen Gefangenen zu spielen. Und derweil richtete ich meine Gedanken wie verrückt auf Grover – ich hätte alles getan, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Grover! Äpfel! Konservendosen! Schaff deinen behaarten Hintern her und bring ein paar schwer bewaffnete Freunde mit!

»Halt«, sagte Thorn.

Der Wald öffnete sich. Wir standen jetzt auf einem Felsen am Meer. Zumindest spürte ich, dass das Meer dort unten war. Ich konnte die Wellen rauschen hören und roch den kalten salzigen Schaum. Aber ich sah nur Nebel und Dunkelheit.

Dr. Thorn stieß uns auf die Kante zu. Ich stolperte, aber Bianca fing mich auf.

»Danke«, murmelte ich.

»Was ist das für ein Wesen?«, flüsterte sie. »Wie können wir uns gegen ihn wehren?«

»Ich … ich arbeite daran.«

»Ich hab Angst«, murmelte Nico. Er spielte an etwas herum – einer Art kleinem Metallsoldaten.

»Mund halten!«, sagte Dr. Thorn. »Schaut mich an!«

Wir drehten uns um.

Thorns zweifarbige Augen funkelten hungrig. Er zog etwas unter seinem Mantel hervor. Zuerst hielt ich es für ein Springmesser, aber es war ein Handy. Er drückte auf einen Knopf und sagte: »Das Paket kann zugestellt werden.«

Ich hörte eine unverständliche Antwort und begriff, dass Thorn in eine Art Walkie-Talkie sprach. Das kam mir irgendwie zu modern und unheimlich vor, ein Monster, das ein Funkgerät benutzte.

Ich schaute mich verstohlen um und fragte mich, wie hoch der Felsen wohl sein mochte.

Dr. Thorn lachte. »Ja, von mir aus, Sohn des Poseidon. Spring! Da ist das Meer. Rette dich!«

»Wie hat er dich genannt?«, flüsterte Bianca.

»Das erklär ich dir später«, sagte ich.

»Du hast doch einen Plan, oder?«

Grover, dachte ich verzweifelt. Komm zu mir!

Vielleicht könnte ich beide di Angelos dazu bringen, mit mir in den Ozean zu springen. Wenn wir den Sturz überlebten, könnte ich das Wasser nutzen, um uns zu beschützen. Es wäre nicht das erste Mal. Wenn mein Dad guter Laune war und gerade zuhörte, würde er uns möglicherweise helfen. Vielleicht.

»Ich würde euch umbringen, ehe ihr das Wasser auch nur erreicht hättet«, sagte Dr. Thorn, der meine Gedanken gelesen zu haben schien. »Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?«

Hinter ihm ahnte ich eine Bewegung und ein weiteres Geschoss flog so dicht an mir vorbei, dass es mein Ohr streifte. Etwas war hinter Dr. Thorn hochgefedert, wie ein Katapult, aber flexibler – fast wie ein Schwanz.

»Leider«, sagte Dr. Thorn, »wollen sie euch lebend, wenn möglich. Sonst wärt ihr jetzt schon tot.«

»Wer will uns?«, fragte Bianca. »Denn wenn Sie glauben, Sie können Lösegeld kassieren, dann irren Sie sich. Wir haben keine Familie. Nico und ich …« Ihr Stimme drohte zu brechen. »Wir haben nur einander.«

»Ooooh«, sagte Dr. Thorn. »Macht euch keine Sorgen, ihr dummes Pack. Ihr werdet meinen Auftraggeber schon früh genug treffen. Und dann werdet ihr eine nagelneue Familie haben.«

»Luke«, sagte ich. »Sie arbeiten für Luke.«

Dr. Thorns Mund verzog sich angeekelt, als ich den Namen meines alten Feindes nannte – eines ehemaligen Freundes, der mehrere Male versucht hatte, mich umzubringen. »Du hast keine Ahnung, was hier abläuft, Perseus Jackson. Aber der General wird dich aufklären. Du wirst ihm heute Nacht einen großen Dienst erweisen. Er freut sich darauf, dich kennenzulernen.«

»Der General?«, fragte ich. Dann ging mir auf, dass ich das Wort französisch ausgesprochen hatte. »Ich meine … wer ist der General?«

Thorn schaute zum Horizont. »Ah, da haben wir sie. Eure Passage.«

Ich fuhr herum und sah ein Licht in der Ferne, ein Suchlicht auf dem Meer. Dann hörte ich das Schrappen von Hubschrauberrotoren immer näher kommen.

»Wohin bringen Sie uns?«, fragte Nico.

»Du solltest dich geehrt fühlen, mein Junge. Du wirst die Möglichkeit haben, dich einer großartigen Armee anzuschließen. Genau wie bei diesem törichten Spiel, das du mit Karten und Puppen spielst.«

»Das sind keine Puppen! Das sind Figurinen. Und Sie können sich Ihre großartige Armee sonst wohin …«

»Aber, aber«, warnte Dr. Thorn. »Du wirst deine Meinung sicher noch ändern, mein Junge. Und wenn nicht – es gibt auch andere Verwendungsmöglichkeiten für Halbblute. Wir haben viele Monstermünder, die satt werden müssen. Das Große Beben steht unmittelbar bevor.«

»Das Große was?«, fragte ich. Ich hätte alles getan, um ihn am Reden zu halten, während ich versuchte, mir einen Plan zurechtzulegen.

»Das Beben der Monster.« Dr. Thorn lächelte hinterhältig. »Die Schlimmsten, die Mächtigsten wachen jetzt auf. Monster, die seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen worden sind. Sie werden Tod und Zerstörung mit sich bringen, wie die Sterblichen sie noch nie erlebt haben. Und bald wird das wichtigste Monster von allen zurückkehren – das, das den Sturz des Olymps herbeiführen wird.«

»Klar«, flüsterte Bianca mir zu. »Der ist doch total verrückt.«

»Wir müssen vom Felsen springen«, teilte ich ihr leise mit. »Ins Meer.«

»Ja, Superidee. Du bist auch total verrückt.«

Ich hatte nicht mehr die Möglichkeit, ihr da zu widersprechen, denn eine unsichtbare Macht knallte mit voller Wucht gegen mich.

Im Rückblick finde ich Annabeths Schachzug brillant. Im Schutz ihrer Tarnkappe raste sie gegen die di Angelos und mich und schlug uns zu Boden. Für den Bruchteil einer Sekunde war Dr. Thorn überrascht, weshalb seine erste Salve harmlos über uns hinwegzischte. Das gab Thalia und Grover die Zeit, sich von hinten anzuschleichen – und Thalia schwenkte ihren magischen Schild, Aigis.

Wenn ihr nie gesehen habt, wie Thalia sich in eine Schlacht wirft, dann habt ihr niemals richtig Angst gehabt. Sie benutzt einen riesigen Speer, der plötzlich aus dem zusammenklappbaren Behälter in ihrer Hosentasche zum Vorschein kommt, aber nicht das ist das Beängstigende. Ihr Schild ist dem nachempfunden, den ihr Dad Zeus benutzt – und der ebenfalls Aigis heißt –, ein Geschenk der Athena. In den Bronzeschild ist der Kopf der Gorgo Medusa einmodelliert, und auch, wenn der Anblick euch nicht in Stein verwandelt, ist er doch so entsetzlich, dass die meisten Leute beim bloßen Hinsehen schon in Panik geraten und davonstürzen.

Sogar Dr. Thorn fuhr zusammen und knurrte, als er ihn sah.

Thalia näherte sich mit ihrem Speer. »Für Zeus!«

Ich hielt Dr. Thorn schon für verloren. Thalia zielte auf seinen Kopf, aber er fletschte die Zähne und schlug den Speer beiseite. Seine Hand verwandelte sich in eine orangefarbene Pfote mit riesigen Krallen, die über Thalias Schild fuhren. Wenn sie Aigis nicht gehabt hätte, wäre sie zerschnitten worden wie ein Laib Brot. Aber so konnte sie eine Rolle rückwärts machen und kam unversehrt wieder auf die Füße.

Das Dröhnen des Hubschraubers wurde hinter mir immer lauter, aber ich wagte nicht, mich umzuschauen.

Dr. Thorn feuerte wieder eine Salve auf Thalia ab und diesmal konnte ich sehen, wie er das machte. Er hatte einen Schwanz – einen ledrigen, skorpionhaften Schwanz, der an der Spitze mit Stacheln besetzt war. Die Geschosse prallten von Aigis ab, aber ihre Wucht warf Thalia um.

Grover sprang vor. Er hielt seine Rohrflöte an die Lippen und fing an zu spielen – einen hektischen Jig, der so klang, als ob Piraten dazu tanzten. Plötzlich durchbrachen Grashalme den Schnee. In Sekundenschnelle wickelten sich seildicke Gewächse um Dr. Thorns Beine und fesselten ihn.

Dr. Thorn brüllte und verwandelte sich abermals. Er wurde immer größer, bis er seine wahre Gestalt erreicht hatte – sein Gesicht war noch immer menschlich, aber sein Körper war der eines riesigen Löwen. Sein ledriger gezackter Schwanz ließ in alle Richtungen tödliche Dornen wachsen.

»Ein Mantikor!«, sagte Annabeth, die wieder sichtbar war. Beim Zusammenstoß mit uns war ihr die magische New-York-Yankees-Mütze vom Kopf gefallen.

»Wer seid ihr eigentlich?«, fragte Bianca di Angelo. »Und was ist das da?«

»Ein Mantikor?«, keuchte Nico. »Der hat eine Angriffskraft von dreitausend und dazu fünf zum Abfangen!«

Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber ich hatte keine Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Mantikor zerfetzte Grovers magische Ranken und kam dann zähnefletschend auf uns zu.

»Runter!« Annabeth drückte die Geschwister di Angelo platt in den Schnee. Und in letzter Sekunde fiel mir mein eigener Schild ein. Ich drückte auf meine Armbanduhr und das Metall wirbelte auseinander und wurde zu einem dicken Bronzeschild. Keine Sekunde zu früh! Die Stacheln knallten mit solcher Kraft dagegen, dass sie das Metall einkerbten. Der schöne Schild, ein Geschenk meines Bruders, war ziemlich zerdellt. Ich war nicht einmal sicher, ob er einen zweiten Angriff überstehen würde.

Ich hörte ein Twack und ein Meckern und Grover prallte neben mir auf dem Boden auf.

»Ergebt euch!«, brüllte das Monster.

»Niemals!«, rief Thalia. Sie ging auf das Monster los und für eine Sekunde glaubte ich, sie werde es durchbohren. Aber dann ertönte hinter uns ein donnernder Lärm und ein grelles Licht leuchtete auf. Der Hubschrauber kam aus dem Nebel und hing genau über dem Felsen. Es war ein glatter schwarzer Militärhelikopter mit Anbauten auf der einen Seite, die aussahen wie lasergelenkte Raketen. Der Hubschrauber musste von Sterblichen geflogen werden, aber was wollte er hier? Warum sollten Sterbliche mit einem Monster zusammenarbeiten? Die Suchscheinwerfer blendeten Thalia und der Mantikor schlug sie mit seinem Schwanz zu Boden. Thalias Schild fiel in den Schnee. Ihr Speer flog in die andere Richtung.

»Nein!« Ich stürzte los, um ihr zu helfen. Ich wehrte einen Stachel ab, ehe er ihre Brust traf, und hob meinen Schild über uns, aber ich wusste, dass er nicht groß genug sein würde.

Dr. Thorn lachte. »Seht ihr jetzt, dass ihr verloren seid? Ergebt euch, ihr kleinen Heroen!«

Wir waren gefangen zwischen einem Monster und einem schwer bewaffneten Hubschrauber. Wir hatten keine Chance.

Aber dann hörte ich ein klares, durchdringendes Geräusch aus dem Wald: den Ruf eines Jagdhorns.

Der Mantikor erstarrte. Einen Moment lang bewegte sich niemand. Man hörte nur Schneegestöber und Wind und das Schrappen der Rotoren.

»Nein«, sagte Dr. Thorn. »Das kann nicht sein …«

Er wurde durch etwas zum Verstummen gebracht, das wie ein Mondstrahl vorüberschoss. Ein funkelnder Silberpfeil ragte aus Dr. Thorns Schulter.

Er taumelte rückwärts und heulte vor Schmerz.

»Seid verflucht!«, schrie Thorn. Er gab seine Stacheln, Dutzende auf einmal, in den Wald ab, von woher der Pfeil gekommen war, aber ebenso rasch wurden Silberpfeile zurückgeschossen. Es sah fast aus, als fingen die Pfeile die Stacheln im Flug ab und spalteten sie in zwei Teile, aber das war sicher eine optische Täuschung. Niemand, nicht einmal Apollos Kinder im Camp, konnten mit solcher Genauigkeit zielen.

Der Mantikor zog sich den Pfeil aus der Schulter und heulte auf vor Schmerz. Er keuchte. Ich versuchte, ihn mit dem Schwert zu treffen, aber er war nicht so schwer verletzt, wie es aussah. Er wich meinem Angriff aus, rammte mit dem Schwanz meinen Schild und warf mich um.

Aber dann kamen die Bogenschützinnen aus dem Wald, ungefähr ein Dutzend Mädchen. Die jüngste mochte vielleicht zehn sein, die älteste ungefähr vierzehn, so wie ich; sie trugen silbrige Skiparkas und Jeans und jede war mit einem Bogen bewaffnet. Mit entschiedener Miene rückten sie auf den Mantikor zu.

»Die Jägerinnen!«, rief Annabeth.

Neben mir murmelte Thalia: »Ach, wundervoll!«

Ich hatte keine Zeit zu fragen, was sie meinte.

Eine der älteren Schützinnen trat mit gespanntem Bogen vor. Sie war groß und elegant und hatte kupferfarbene Haut. Anders als die anderen Mädchen hatte sie sich in ihre langen dunklen Haare ein Diadem eingeflochten und damit sah sie aus wie eine persische Prinzessin. »Erlaubnis zu töten, Herrin?«

Ich konnte nicht sehen, mit wem sie sprach, denn sie starrte die ganze Zeit den Mantikor an.

Das Monster heulte: »Das ist nicht fair! Direkte Einmischung! Verstößt gegen die uralten Gesetze!«

»Stimmt nicht«, sagte eine andere Jägerin. Sie war ein wenig jünger als ich, zwölf oder dreizehn. Sie hatte kastanienbraune Haare und seltsame Augen, silbrig gelb wie der Mond. Ihr Gesicht war so schön, dass ich nach Luft schnappen musste, aber ihre Miene war streng und drohend. »Die Jagd aller wilden Tiere fällt in meinen Bereich. Und du, du widerliches Geschöpf, bist ein wildes Tier.« Sie sah das ältere Mädchen mit dem Diadem an. »Zoë, Erlaubnis erteilt.«

Der Mantikor knurrte: »Wenn ich sie nicht lebend haben kann, dann hol ich sie mir als Tote.«

Er setzte zum Angriff auf Thalia und mich an – er wusste ja, dass wir schwach und benommen waren.

»Nein!«, schrie Annabeth und stürzte sich auf das Monster.

»Weg da, Halbblut«, sagte das Mädchen mit dem Diadem. »Geh aus der Schusslinie!«

Aber Annabeth sprang auf den Rücken des Monsters und bohrte ihr Messer in seine Mähne. Der Mantikor heulte auf und drehte sich mit hämmerndem Schwanz um sich selbst, während Annabeth sich an die Mähne klammerte, um ihr Leben zu retten.

»Feuer!«, befahl Zoë.

»Nein!«, brüllte ich.

Aber die Jägerinnen schossen ihre Pfeile ab. Der erste traf den Mantikor im Nacken, der nächste traf seine Brust. Der Mantikor taumelte rückwärts und schrie dabei: »Das ist nicht das Ende, Jägerin! Dafür wirst du bezahlen!«

Und ehe irgendwer reagieren konnte, sprang das Monster, noch immer mit Annabeth auf dem Rücken, über den Klippenrand und verschwand in der Finsternis.

»Annabeth!«, schrie ich.

Ich wollte hinterherrennen, aber unsere Feinde waren noch nicht fertig mit uns. Ich hörte vom Hubschrauber her ein Rak-tak-tak: das Geräusch von Schüssen.

Die meisten Jägerinnen liefen auseinander, als zu ihren Füßen im Schnee winzige Löcher auftauchten, aber das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren schaute ganz gelassen zum Hubschrauber hoch.

»Sterbliche«, verkündete sie, »dürfen nicht zu Zeugen meiner Jagd werden.«

Sie streckte die Hand aus und der Hubschrauber zerfiel zu Staub – nein, nicht zu Staub. Das schwarze Metall löste sich zu einer Vogelschar auf – Raben, die in die Nacht hinausflogen.

Die Jägerinnen kamen auf uns zu.

Die, die Zoë genannt wurde, fuhr bei Thalias Anblick zurück. »Du«, sagte sie angeekelt.

»Zoë Nachtschatten.« Thalias Stimme zitterte vor Zorn. »Perfektes Timing, wie immer.«

Zoë musterte uns andere. »Vier Halbblute und ein Satyr, Herrin.«

»Ja«, sagte das jüngere Mädchen. »Leute aus Chirons Camp, wie ich sehe.«

»Annabeth«, schrie ich. »Wir müssen sie retten!«

Das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren drehte sich zu mir um. »Tut mir leid, Percy Jackson, aber deiner Freundin kann niemand mehr helfen.«

Ich versuchte, auf die Füße zu kommen, aber mehrere Mädchen drückten mich zu Boden.

»Du kannst dich in deinem Zustand jetzt nicht von den Klippen stürzen«, sagte das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren.

»Lasst mich los!«, verlangte ich. »Für wen haltet ihr euch eigentlich?«

Zoë trat vor, als ob sie mich schlagen wollte.

»Nein«, befahl das andere Mädchen. »Das war keine Respektlosigkeit. Er ist einfach verzweifelt. Und er begreift nicht.«

Das junge Mädchen sah mich an, ihre Augen waren kälter und heller als der Wintermond. »Ich bin Artemis«, sagte sie. »Die Göttin der Jagd.«

Bianca di Angelo trifft eine Entscheidung

Nachdem ich gesehen hatte, wie Dr. Thorn sich in ein Monster verwandelt und mit Annabeth von einer Klippe gestürzt hatte, sollte man denken, dass mich nichts mehr schockieren könnte. Aber als sich eine Zwölfjährige als die Göttin Artemis vorstellte, sagte ich etwas richtig Intelligentes wie: »Äh … na dann …«

Das war aber nichts im Vergleich zu Grover. Er schnappte nach Luft, dann fiel er im Schnee auf die Knie und stammelte. »Danke, Edle Artemis! Ihr seid so … Ihr seid so … oh Mann!«

»Steh auf, Ziegenknabe!«, fauchte Thalia. »Wir haben jetzt andere Sorgen. Annabeth ist weg!«

»Meine Güte«, sagte Bianca di Angelo. »Aufhören. Pause!«

Alle fuhren zu ihr herum. Sie zeigte der Reihe nach auf uns alle, als versuche sie, irgendwelche Punkte miteinander zu verbinden. »Wer … wer seid ihr eigentlich?«

Artemis’ Gesicht wurde weicher. »Es wäre vielleicht eine angebrachtere Frage, meine Liebe, wer du bist. Wer sind deine Eltern?«

Bianca warf ihrem Bruder, der Artemis noch immer voller Bewunderung anstarrte, einen raschen Blick zu.

»Unsere Eltern sind tot«, sagte sie dann. »Wir sind Waisen. Es gibt ein Treuhandvermögen, das für unsere Schulgebühren zahlt, aber …«

Sie verstummte. Sie konnte uns wahrscheinlich ansehen, dass wir ihr nicht glaubten.

»Was ist los?«, fragte sie. »Das ist die Wahrheit.«

»Ihr seid Halbblute«, sagt Zoë Nachtschatten. Ich konnte ihren Akzent nicht unterbringen. Sie hörte sich altmodisch an, als läse sie aus einem uralten Buch vor. »Eins eurer Elternteile war von sterblichem Geschlecht. Das andere war olympisch.«

»Olympisch … ein Sportler?«

»Nein«, sagte Zoë. »Eine Gottheit.«

»Klasse!«, sagte Nico.

»Nein!« Biancas Stimme zitterte. »Das ist überhaupt nicht klasse.«

Nico tanzte um mich herum, als ob er dringend aufs Klo müsste. »Hat Zeus wirklich Blitze, die Schaden für sechshundert anrichten? Kriegt er extra Bewegungspunkte für …«

»Nico, halt die Klappe!« Bianca schlug die Hände vor die Augen. »Das ist nicht dein blödes Mythomagic-Spiel, ist das klar? Es gibt keine Gottheiten!«

Sosehr ich mir auch um Annabeth Sorgen machte – ich wollte nichts als auf die Suche nach ihr gehen –, taten mir doch die di Angelos leid. Mir fiel ein, wie mir zumute gewesen war, als ich damals erfahren hatte, dass ich ein Halbgott bin.