Perfect Chemistry - Vi Keeland - E-Book

Perfect Chemistry E-Book

Vi Keeland

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Beschreibung

Romantisch, witzig, sexy. Der neue prickelnde Liebesroman von Bestsellerautorin Vi Keeland.

Stella Bardot ist eine der talentiertesten Parfüm-Designerinnen in New York. Nachdem sie aber ihren Ex-Verlobten ausbezahlen musste, steht ihr kleines Geschäft kurz vor der Pleite. Als auch noch ihre Mitbewohnerin über Nacht verschwindet, braucht Stella dringend Ablenkung. Ihr bester Freund überredet sie kurzerhand, sich auf die High-Society-Hochzeit der Saison zu schmuggeln. Schon bei der Zeremonie fällt Stella der attraktive Bruder der Braut auf. Doch als Hudson Rothchild klar wird, dass Stella nicht auf die Feier gehört, endet der Abend in einer peinlichen Katastrophe. Zu dumm, dass Hudson ausgerechnet Boss der Investmentfirma ist, die Stellas letzte Hoffnung für ihr Parfümgeschäft ist ...

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Buch

Stella Bardot ist eine der talentiertesten Parfüm-Designerinnen in New York. Nachdem sie allerdings ihren fremdgehenden Ex-Verlobten ausbezahlen musste, steht ihr neues kleines Geschäft kurz vor der Pleite. Als dann auch noch ihre Mitbewohnerin über Nacht verschwindet, ohne die Miete zu zahlen, ist Stella endgültig verzweifelt. Ihr bester Freund und Nachbar überredet sie kurzerhand, sich auf die High-Society-Hochzeit der Saison in der New York Library zu schmuggeln, um sich abzulenken. Die Einladung ging eigentlich an Stellas Mitbewohnerin, aber wem soll das auf so einem riesigen Event schon auffallen? Schon bei der Zeremonie fällt ihnen der unverschämt gut aussehende Trauzeuge auf – und auch er ist fasziniert von Stella, nachdem sie an der Bar jede Ginsorte am Geruch erkennt. Doch als Hudson Rothschild klar wird, dass die junge Frau nicht die ist, die sie vorgibt zu sein, endet der Abend in einer peinlichen Katastrophe. Zu dumm, dass Hudson ausgerechnet der Vorstandsvorsitzende einer großen Investmentfirma ist, die die letzte Hoffnung für Stellas Parfümgeschäft ist …

Weitere Informationen zu Vi Keeland

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Vi Keeland

Perfect Chemistry

Roman

Übersetzt von

Babette Schröder

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »The Invitation«.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung August 2022

Copyright © der Originalausgabe by Vi Keeland

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022 by Goldmann Verlag,

ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © Getty Images/Lorado

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: ik

Satz: KCFG–Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-28850-1V001

www.goldmann-verlag.de

1. Kapitel

Stella

»Ich kann das nicht …« Auf halber Höhe der Marmortreppe blieb ich stehen.

Fisher stoppte ein paar Stufen über mir und kam wieder zu mir herunter. »Natürlich kannst du das. Erinnerst du dich, als wir in der sechsten Klasse waren und du diese Präsentation über deinen Lieblingspräsidenten halten musstest? Du warst ein einziges Nervenbündel. Du dachtest, du würdest alles vergessen, was du auswendig gelernt hattest, und alle würden dich anstarren.«

»Ja, und?«

»Nun, das ist auch nichts anderes. Und das hast du doch überstanden, oder?«

Fisher hatte den Verstand verloren. »An dem Tag sind all meine Ängste wahr geworden. Ich stand vor der Tafel und habe geschwitzt. Ich konnte mich an kein einziges Wort erinnern, das ich geschrieben hatte. Alle in der Klasse haben mich angestarrt, und dann hast du dazwischengerufen.«

Fisher nickte. »Genau. Deine schlimmsten Ängste wurden wahr, und trotzdem hast du es überlebt. Vielmehr hat sich herausgestellt, dass es der beste Tag deines Lebens war.«

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie das?«

»Es war das erste Mal, dass wir in derselben Klasse waren. Ich dachte, du wärst genauso nervig wie die anderen Mädchen. Aber nach der Schule hast du mich angemacht, weil ich dich während deiner Präsentation geärgert hatte. Da wurde mir klar, dass du nicht wie die anderen Mädchen bist. Und an dem Tag habe ich beschlossen, dass wir beste Freunde werden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe für den Rest des Schuljahres nicht mehr mit dir gesprochen.«

Fisher zuckte mit den Schultern. »Ja, aber im nächsten Jahr habe ich dich für mich gewonnen. Und im Moment fühlst du dich ein bisschen ruhiger als noch vor zwei Minuten, oder?«

Ich seufzte. »Ich glaube, schon.«

Er bot mir seinen Arm an, der in einer Smokingjacke steckte. »Wollen wir reingehen?«

Ich schluckte. Sosehr mich unser Vorhaben ängstigte, ich konnte es kaum erwarten, die Bibliothek zu sehen, wenn sie für eine Hochzeit herausgeputzt war. Ich hatte unzählige Stunden auf diesen Stufen gesessen und über die Leute nachgedacht, die an mir vorbeigekommen waren.

Fisher wartete geduldig mit ausgestrecktem Ellbogen, während ich noch eine Minute mit mir rang. Schließlich hakte ich mich mit einem weiteren lauten Seufzer bei ihm ein. »Wenn wir im Gefängnis landen, musst du für uns beide das Geld für die Kaution aufbringen. Ich bin viel zu pleite.«

Er ließ sein Filmstar-Lächeln aufblitzen. »Abgemacht.«

Während wir die restlichen Stufen zu den Türen der New York Public Library hinaufstiegen, ging ich alle Details durch, die wir auf dem Weg hierher im Uber besprochen hatten. Unsere Namen für den Abend waren Evelyn Whitley und Maximilian Reynard. Max war in der Immobilienbranche tätig – seiner Familie gehörte Reynard Properties –, und ich hatte meinen Master in Betriebswirtschaft in Wharton gemacht und war vor Kurzem zurück in die Stadt gezogen. Wir wohnten beide an der Upper East Side – zumindest dieser Teil entsprach der Wahrheit.

Zwei uniformierte Kellner mit weißen Handschuhen standen an den hoch aufragenden Eingangstüren. Einer hielt ein Tablett mit Champagnerflöten, der andere ein Klemmbrett. Obwohl meine Beine irgendwie weiterliefen, fühlte sich mein Herz an, als wollte es aus meiner Brust springen und in die entgegengesetzte Richtung fliehen.

»Guten Abend.« Der Kellner mit dem Klemmbrett nickte. »Darf ich um Ihre Namen bitten?«

Fisher zuckte nicht mit der Wimper, als er die erste von vielen Lügen verbreitete, die an diesem Abend noch folgen würden.

Der Mann, der, wie ich bemerkte, einen Hörer im Ohr hatte, überflog die Liste und nickte. Er bedeutete uns einzutreten, und sein Kollege reichte uns jeweils ein Glas Champagner. »Willkommen. Die Trauung findet in der Rotunde statt. Die Sitzplätze für die Gäste der Braut befinden sich zu ihrer Linken.«

»Danke«, sagte Fisher. Sobald wir außer Hörweite waren, beugte er sich nah zu mir. »Siehst du? Kinderleicht.« Er nippte an seinem Champagner. »Oooh, der ist gut.«

Ich hatte keine Ahnung, wie er so ruhig bleiben konnte. Andererseits hatte ich auch keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, mich zu diesem Wahnsinn zu überreden. Vor zwei Monaten war ich von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte Fisher, der auch mein Nachbar war, dabei erwischt, wie er meinen Kühlschrank nach Essensresten durchforstete – ein alltägliches Phänomen. Während er zwei Tage altes Huhn Milanese aß, saß ich am Küchentisch, sortierte meine Post und trank ein Glas Wein. Wir unterhielten uns, und ich hatte einen übergroßen Umschlag aufgeschlitzt, ohne erst die Adresse auf der Vorderseite zu überprüfen. Darin befand sich eine überaus edle Hochzeitseinladung – schwarz und weiß mit erhabenem Blattgold. Ein vergoldetes Kunstwerk. Und die Hochzeit fand ausgerechnet in der New York Public Library statt, ganz in der Nähe von meinem alten Büro. Ich hatte oft auf der berühmten Treppe gesessen und zu Mittag gegessen, war jedoch seit mindestens einem Jahr nicht mehr dort gewesen, also freute ich mich riesig, dort auf eine Hochzeit zu gehen.

Obwohl ich keine Ahnung hatte, um wessen Hochzeit es sich handelte – vielleicht ein entfernter Verwandter, den ich vergessen hatte? Die Namen sagten mir rein gar nichts. Als ich den Umschlag umdrehte, wurde mir schnell klar, warum. Ich hatte die Post meiner Ex-Mitbewohnerin geöffnet. Bah. Das war ja klar. Mich lud keiner zu einer Märchenhochzeit ein, die an meinem absoluten Lieblingsort stattfand.

Aber nach ein paar Gläsern Wein hatte Fisher mich davon überzeugt, dass ich hingehen sollte, nicht Evelyn. Das sei das Mindeste, was meine miese Ex-Mitbewohnerin für mich tun könne, hatte er gesagt. Immerhin hatte sie sich mitten in der Nacht davongeschlichen, ein Paar meiner Lieblingsschuhe mitgenommen, und der Scheck, den sie für die zwei Monate Mietrückstand zurückgelassen hatte, war geplatzt. Da sollte zumindest ich zu einer noblen Hochzeit eingeladen werden, die pro Gast vermutlich tausend Dollar kostete, und nicht sie. Gott wusste, dass keiner meiner Freunde jemals an so einem Ort heiraten würde. Als wir die zweite Flasche Merlot ausgetrunken hatten, beschloss Fisher, dass wir beide gemeinsam an Evelyns Stelle hingehen würden – wir würden uns auf die Hochzeit schleichen und uns einen lustigen Abend machen, mit Empfehlung meiner nichtsnutzigen ehemaligen Mitbewohnerin. Fisher hatte sogar die Antwortkarte ausgefüllt, uns mit zwei Personen angemeldet und sie in seine Hosentasche gesteckt, um sie am nächsten Tag abzuschicken.

Ich hatte ehrlich gesagt ganz vergessen, was wir mit betrunkenem Kopf für Pläne geschmiedet hatten, bis Fisher vor zwei Wochen mit einem Smoking nach Hause kam, den er sich für die bevorstehende Hochzeit von einem Freund geliehen hatte. Ich hatte mich gesträubt und ihm gesagt, dass ich mich nicht auf eine teure Hochzeitsparty von irgendwelchen Menschen schleichen würde, die ich nicht kannte. Und er hatte getan, was er immer tat: mich davon überzeugt, dass seine schlechte Idee eigentlich gar nicht so schlecht war.

Bis jetzt. Ich stand mitten in der weitläufigen Lobby einer wahrscheinlich zweihunderttausend Dollar teuren Hochzeit und hatte das Gefühl, mir buchstäblich in die Hose zu machen.

»Trink deinen Champagner«, sagte Fisher. »Das hilft dir, dich ein bisschen zu entspannen, und bringt wieder etwas Farbe in dein Gesicht. Du siehst aus, als wolltest du gleich der Klasse erklären, warum du John Quincy Adams so magst.«

Ich blinzelte Fisher an, doch er lächelte unbeirrt zurück. Ich war mir sicher, dass mir nichts helfen würde, lockerer zu werden. Trotzdem kippte ich den Inhalt meines Glases hinunter.

Fisher steckte lässig eine Hand in die Hosentasche und schaute sich mit hoch erhobenem Kopf um, als könnte ihn nichts auf der Welt erschüttern. »Ich habe meine alte Freundin, die Partymaus Stella, schon lange nicht mehr gesehen«, sagte er. »Ob sie heute Abend wohl mal wieder herauskommt?«

Ich reichte ihm meine leere Champagnerflöte. »Halt die Klappe und besorg mir ein neues Glas, bevor ich abhaue.«

Er lachte auf. »Kein Problem, Evelyn. Du bleibst einfach sitzen und versuchst, unsere Tarnung nicht auffliegen zu lassen, bevor wir die hübsche Braut überhaupt zu Gesicht bekommen haben.«

»Hübsch? Du weißt doch gar nicht, wie sie aussieht.«

»Alle Bräute sehen wunderschön aus. Das ist der Grund, warum sie einen Schleier tragen – damit man die hässlichen nicht sieht und alles an ihrem besonderen Tag magisch ist.«

»Wie romantisch.«

Fisher zwinkerte mir zu. »Nicht jeder kann so hübsch sein wie ich.«

Drei Gläser Champagner beruhigten mich immerhin so weit, dass ich die Trauung durchstand. Und die Braut brauchte definitiv keinen Schleier. Olivia Rothschild – oder Olivia Royce, wie sie ab jetzt heißen würde – war umwerfend. Mir brannten Tränen in den Augen, als ich hörte, wie der Bräutigam sein Gelübde sprach. Es war eine Schande, dass das glückliche Paar nicht tatsächlich zu meinen Freunden zählte, denn einer ihrer Trauzeugen war rasend attraktiv. Dann hätte ich vielleicht davon träumen können, dass Liv – so nannte ich sie im Geiste – mich mit dem Kumpel ihres neuen Mannes verkuppeln würde. Aber leider hatten wir uns heute Abend hier hereingeschummelt, und dies war schließlich keine Aschenputtel-Geschichte.

Der Cocktailempfang fand in einem wunderschönen Raum statt, in dem ich noch nie gewesen war. Während ich an der Bar auf meinen Drink wartete, studierte ich die Kunstwerke an der Decke. Fisher hatte gesagt, er müsse auf die Toilette, aber ich hegte den Verdacht, dass er in Wirklichkeit mit dem gut aussehenden Kellner reden wollte, der ihn schon seit unserer Ankunft beäugt hatte.

»Bitte sehr, Miss.« Der Barkeeper schob einen Drink über den Tresen zu mir.

»Danke.« Ich sah mich kurz um, ob mich jemand beobachtete, dann steckte ich meine Nase in das Glas und atmete tief ein. Definitiv nicht das, was ich bestellt hatte.

»Bitte, entschuldigen Sie. Kann es sein, dass Sie den mit Beefeater Gin gemacht haben und nicht mit Hendricks?«

Der Barkeeper runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht.«

Ich roch ein zweites Mal an dem Drink und war mir jetzt sicher, dass er sich vertan hatte.

Plötzlich sprach mich von links eine Männerstimme an. »Du hast nicht einmal probiert und glaubst trotzdem, dass er den falschen Gin genommen hat?«

Ich lächelte höflich. »Beefeater wird aus Wacholder, Orangenschalen, Bittermandel und Teemischungen hergestellt, was einen Lakritzgeschmack erzeugt. Hendricks wird aus Wacholder, Rose und Gurke gemacht. Sie haben einen unterschiedlichen Geruch.«

»Trinkst du ihn pur oder mit Eis?«

»Weder noch. Es ist ein Gin-Martini, also mit Wermut.«

»Und trotzdem denkst du, du könntest riechen, dass er den falschen Gin genommen hat, ohne ihn überhaupt zu probieren?« Der Tonfall des Typen, der mich hier so vertraulich duzte, machte deutlich, dass er mir das nicht zutraute.

»Ich habe einen sehr feinen Geruchssinn.«

Der Mann sah über meine Schulter. »Hey, Hudson, ich wette hundert Dollar, dass sie den Unterschied zwischen den beiden Gins nicht erkennen kann, wenn wir sie in eine Reihe stellen.«

Eine zweite Männerstimme meldete sich von rechts, sie befand sich nur knapp hinter meiner Schulter. Der Klang war tief, samtig und weich – so wie der Gin, den der Barkeeper für meinen Drink eigentlich hätteverwenden sollen.

»Erhöhe auf zweihundert.«

Als ich mich umdrehte, um einen Blick auf den Mann zu werfen, der bereit war, auf meine Fähigkeiten zu wetten, machte ich große Augen.

Oh. Wow. Der umwerfende Kerl von der Trauung. Ich hatte ihn fast die ganze Zeremonie über angestarrt. Aus der Ferne sah er gut aus, aber aus der Nähe war er auf eine Weise atemberaubend, die Schmetterlinge in meinem Bauch aufflattern ließ – dunkles Haar, gebräunte Haut, ein markantes Kinn und sinnliche volle Lippen. Die Art und Weise, wie sein Haar gestylt war – zurückgekämmt und zur Seite gescheitelt –, erinnerte mich an einen Filmstar aus alten Zeiten. Was ich während der Trauungszeremonie von der letzten Reihe aus nicht hatte sehen können, war die Leuchtkraft seiner ozeanblauen Augen. Mit diesen las er gerade in meinem Gesicht, als wäre ich ein Buch.

Ich räusperte mich. »Du willst zweihundert Dollar darauf setzen, dass ich den Gin erkennen kann?«

Der umwerfende Mann trat vor, und mein Geruchssinn meldete sich. Er riecht besser als jeder Gin. Ich war mir nicht sicher, ob es sein Eau de Cologne oder ein Duschgel war, aber was auch immer es war, ich musste mich schwer beherrschen, um mich nicht zu ihm zu beugen und einen tiefen Zug zu nehmen. Der sündhaft attraktive Mann roch so gut, wie er aussah. Diese Paarung war mein Kryptonit.

Es lag ein Hauch von Belustigung in seiner Stimme. »Willst du sagen, dass das eine schlechte Wette ist?«

Ich schüttelte den Kopf und drehte mich wieder zu seinem Freund um. »Ich mache bei der kleinen Wette mit, aber ich bin ebenfalls mit zweihundert dabei.«

Als mein Blick wieder zu dem gut aussehenden Mann zu meiner Rechten zurückkehrte, zuckte sein Mundwinkel kaum merklich. »Schön.« Er hob das Kinn und sprach mit seinem Freund: »Sag dem Barkeeper, er soll einen Schuss Beefeater und einen Schuss Hendricks einschenken. Er soll sie vor ihr hinstellen und uns nicht sagen, was wo drin ist.«

Eine Minute später hob ich das erste Schnapsglas an und roch daran. Ehrlich gesagt war es gar nicht nötig, dass ich an dem anderen roch, aber ich tat es trotzdem, nur um sicherzugehen. Verdammt … Ich hätte mehr setzen sollen. Das war zu einfach, ein Kinderspiel. Ich schob ein Schnapsglas vor und sagte zu dem wartenden Barkeeper. »Das hier ist der Hendricks.«

Der Barkeeper schien beeindruckt. »Sie hat recht.«

»Verdammt«, schnaufte der Typ, der das Spiel begonnen hatte. Er kramte in seiner Hosentasche, holte eine beeindruckende Brieftasche hervor und zog vier Hundertdollarscheine heraus. Er warf sie auf die Theke und schüttelte den Kopf. »Das hole ich mir Montag zurück.«

Der umwerfende Kerl lächelte mich an, als er sein Geld einsammelte. Sobald ich meins genommen hatte, senkte er den Kopf und flüsterte mir ins Ohr.

»Gut gemacht.«

Oje. Sein heißer Atem jagte mir einen Schauer über den Rücken. Es war viel zu lange her, dass ich Kontakt zu einem Mann gehabt hatte. Leider fühlten sich meine Knie etwas schwach an, doch ich zwang mich, das zu ignorieren. »Danke.«

Er griff um mich herum und nahm einen der Shots, hielt ihn an seine Nase und roch, dann setzte er ihn wieder ab und roch an dem anderen.

»Ich rieche keinen Unterschied.«

»Das bedeutet nur, dass du einen normalen Geruchssinn hast.«

»Ah, verstehe. Und deiner ist … außergewöhnlich?«

Ich lächelte. »Ja, durchaus.«

Amüsiert reichte er mir einen der Shots und hielt den anderen zum Anstoßen hoch. »Auf Außergewöhnliches«, sagte er.

Ich war normalerweise keine Shottrinkerin, aber was soll’s? Ich stieß mit ihm an und kippte den Drink hinunter. Vielleicht half der Alkohol, die Nerven zu beruhigen, die dieser Mann aufgerüttelt zu haben schien.

Ich stellte mein leeres Glas auf die Bar neben seins. »Ihr zwei macht so etwas wohl regelmäßig, wenn dein Freund sich das Geld am Montag zurückholen will?«

»Jacks Familie und meine sind befreundet, seit wir Kinder waren. Aber mit dem Wetten haben wir angefangen, als wir auf dasselbe College gingen. Ich bin Notre-Dame-Fan und er USC-Fan. Damals waren wir pleite, also haben wir um einen Schuss mit dem Elektroschocker gewettet.«

»Mit dem Elektroschocker?«

»Sein Vater war Polizist. Er hat ihm einen Elektroschocker gegeben, den er nur für alle Fälle unter dem Autositz aufbewahren sollte. Aber ich glaube kaum, dass er damit gerechnet hat, dass sein Sohn fünfzigtausend Volt abbekommt, wenn sein Team in letzter Minute verliert.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das ist ein bisschen verrückt.«

»Eindeutig nicht unsere klügste Entscheidung. Zumindest habe ich deutlich häufiger gewonnen als er. Ein kleiner Hirnschaden könnte einige seiner Entscheidungen im College erklären.«

Ich lachte. »Dann war der heutige Tag also nur eine Fortsetzung dieser Tradition?«

»Ganz genau.« Er lächelte und streckte mir seine Hand hin. »Ich bin übrigens Hudson.«

»Freut mich. Ich bin St…« Ich fing mich gerade noch rechtzeitig. »Ich bin Evelyn.«

»Du bist also Gin-Liebhaberin, Evelyn? Habe ich deshalb keinen Unterschied zwischen den beiden gerochen?«

Ich lächelte. »Ich würde mich nicht als Gin-Liebhaberin bezeichnen, nein. Um ehrlich zu sein, trinke ich meistens Wein. Aber habe ich meinen Beruf erwähnt? Ich bin Parfüm-Chemikerin – Parfümeurin.«

»Du stellst Parfüm her?«

Ich nickte. »Unter anderem. Ich habe sechs Jahre lang Düfte für eine Kosmetik- und Parfümfirma entwickelt. Manchmal ein neues Parfüm, manchmal den Duft für ein Reinigungstuch, das Make-up entfernt, oder für einen Kosmetikartikel, der einen angenehmeren Geruch brauchte.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch nie einer Parfümeurin begegnet bin.«

Ich lächelte. »Ist es so aufregend, wie du gehofft hast?«

Er lachte. »Wie sieht die Ausbildung für einen solchen Job aus?«

»Nun, ich habe einen Abschluss in Chemie. Aber man kann noch so viele Ausbildungen haben, wenn man nicht auch Hyperosmie hat, kann man den Job trotzdem nicht machen.«

»Und das ist …«

»Eine verstärkte Fähigkeit, Gerüche wahrzunehmen, eine erhöhte olfaktorische Schärfe.«

»Also kannst du gut Scheiße erkennen?«

Ich lachte. »Genau.«

Viele Leute denken, sie hätten einen guten Geruchssinn, aber sie verstehen nicht wirklich, wie empfindlich der Geruchssinn von jemandem mit Hyperosmie ist. Eine kleine Demonstration funktionierte immer am besten. Außerdem wollte ich unbedingt wissen, welches Eau de Cologne er trug. Also lehnte ich mich vor und nahm einen tiefen Atemzug Hudson.

Als ich ausatmete sagte ich: »Dove-Seife.«

Er schien nicht ganz überzeugt. »Ja, aber das ist eine ziemlich übliche Seifenwahl.«

Ich lächelte. »Du hast mich nicht ausreden lassen. Dove Cool Moisture. Da sind Gurken und grüner Tee drin – übrigens auch ein häufiger Bestandteil von Gins. Und du benutzt L’Oréal Elvive Shampoo, genau wie ich. Ich rieche Gardenia tahitensis Blütenextrakt, Rosa canina Blütenextrakt und einen Hauch Kokosnussöl. Oh, und du nimmst Irish Spring Deodorant. Ich glaube nicht, dass du ein Parfüm trägst.«

Hudsons zog die Augenbrauen hoch. »Nun, das ist beeindruckend. Die Hochzeitsgesellschaft hat letzte Nacht in einem Hotel übernachtet, und ich habe vergessen, mein Cologne einzupacken.«

»Welches benutzt du normalerweise?«

»Ach … das kann ich dir nicht sagen. Womit vertreiben wir uns bei unserem zweiten Date die Zeit, wenn wir nicht den Schnuppertest spielen?«

»Bei unserem zweiten Date? Mir war nicht klar, dass wir ein erstes haben.«

Hudson lächelte und streckte seine Hand aus. »Die Nacht ist noch jung, Evelyn. Tanzt du mit mir?«

Mein Magen verkrampfte sich und warnte mich, dass das eine schlechte Idee war. Fisher und ich sollten zusammenbleiben und möglichst wenig mit anderen Gästen sprechen, um das Risiko, erwischt zu werden, auf ein Minimum zu reduzieren. Doch als ich mich umsah, war mein Begleiter nirgendwo in Sicht. Außerdem war dieser Mann äußerst anziehend. Noch bevor mein Gehirn das Für und Wider durchdacht hatte, ergriff ich seine Hand. Er führte mich auf die Tanzfläche und legte einen Arm um meine Taille. Natürlich wusste er, wie man tanzt.

»Also, Evelyn mit dem außergewöhnlichen Geruchssinn, ich habe dich noch nie gesehen. Bist du ein Gast oder eine Begleitung?« Er sah sich im Raum um. »Wirft mir gerade ein Typ hinter meinem Rücken einen bösen Blick zu? Werde ich Jacks Elektroschocker aus dem Auto holen müssen, um einen eifersüchtigen Freund abzuwehren?«

Ich lachte. »Ich bin mit jemandem hier, aber er ist nur ein Freund.«

»Der arme Kerl …«

Ich lächelte. Hudsons Flirten war übertrieben, dennoch sog ich es auf. »Fisher ist mehr an dem Typen interessiert, der den Champagner verteilt hat, als an mir.«

Hudson drückte mich ein wenig fester an sich. »Dein Begleiter gefällt mir viel besser als noch vor dreißig Sekunden.«

Eine Gänsehaut kribbelte auf meinen Armen, als er den Kopf senkte und kurz mit der Nase über meinen Hals strich.

»Du riechst unglaublich. Trägst du eines der Parfüms, die du herstellst?«

»Ja. Aber das kann man nicht bestellen. Mir gefällt die Vorstellung, einen ganz eigenen Duft zu haben, durch den mich jemand in Erinnerung behält.«

»Ich glaube nicht, dass du das Parfüm brauchst, damit man sich an dich erinnert.«

Er führte mich mit solcher Anmut über die Tanzfläche, dass ich mich fragte, ob er Unterricht genommen hatte. Die meisten Männer in seinem Alter dachten, langsames Tanzen bedeute, hin und her zu schaukeln und ihre Erektion an einem zu reiben.

»Du tanzt gut«, stellte ich fest.

Hudson antwortete, indem er uns herumwirbelte. »Meine Mutter war professionelle Turniertänzerin. Lernen war keine Option; es war eine Voraussetzung, wenn ich satt werden wollte.«

Ich lachte. »Wie cool. Hast du jemals überlegt, in ihre Fußstapfen zu treten?«

»Nein, nie. Ich habe miterlebt, wie sie unter Schleimbeutelentzündungen in der Hüfte, Stressfrakturen und Bänderrissen gelitten hat – es ist definitiv nicht der glamouröse Beruf, als der er in den Fernsehshows dargestellt wird. Um einen solchen Job auszuüben, muss man lieben, was man tut.«

»Ich denke, das muss man bei jedem Job.«

»Das ist ein sehr guter Punkt.«

Das Stück ging zu Ende, und der Conférencier bat alle, ihre Plätze einnehmen.

»Wo sitzt ihr?«, fragte Hudson.

Ich zeigte auf die Seite des Raumes, auf der Fisher und ich gesessen hatten. »Irgendwo da drüben. Tisch sechzehn.«

Er nickte. »Ich begleite dich.«

Wir näherten uns dem Tisch im selben Moment wie Fisher, der aus der anderen Richtung kam. Sein Blick glitt zwischen Hudson und mir hin und her, und ihm stand die Frage ins Gesicht geschrieben, die er sich nicht auszusprechen traute.

»Ähm … das ist mein Freund Fisher. Fisher, das ist Hudson.«

Hudson reichte ihm die Hand. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

Nachdem er einem stummen Fisher, der das Sprechen verlernt zu haben schien, die Hände geschüttelt hatte, wandte er sich wieder mir zu und nahm noch einmal meine Hand. »Ich sollte zurück an meinen Tisch zum Rest der Hochzeitsgesellschaft gehen.«

»Okay.«

»Reservierst du mir einen Tanz für später?«

»Sehr gern«, antwortete ich lächelnd.

Hudson wandte sich zum Gehen und drehte dann noch einmal um. Während er rückwärts weiterging, rief er: »Falls du auf Aschenputtel machst und verschwindest, wie ist dein Nachname, Evelyn?«

Zum Glück erinnerte er mich durch die Verwendung meines falschen Namens daran, ihm nicht meinen echten zu nennen, wie es mir beim ersten Mal fast passiert wäre. »Whitley.«

»Whitley?«

Oh Gott. Kannte er Evelyn?

Sein Blick glitt über mein Gesicht. »Schöner Name. Bis später.«

»Äh … okay, klar.«

Kaum war Hudson außer Hörweite, beugte sich Fisher dicht zu mir herüber. »Ich sollte Maximilian heißen, Schätzchen.«

»Oh mein Gott, Fisher. Wir müssen gehen.«

»Nein.« Er zuckte mit den Schultern. »Ist doch keine große Sache. Wir haben Maximilian doch sowieso erfunden. Ich bin deine Begleitung. Keiner kennt den Namen der Person, die Evelyn mitgebracht hat. Obwohl ich immer noch einen Immobilienmagnaten spielen will.«

»Nein, nicht deshalb.«

»Weshalb dann?«

»Wir müssen gehen, weil er weiß …«

2. Kapitel

Stella

Fisher trank einen Schluck von seinem Bier. »Du bist einfach paranoid. Der Kerl hat keine Ahnung. Ich habe sein Gesicht beobachtet, als du Evelyns Nachnamen gesagt hast. Das Einzige, was er bemerkt hat, war, wie schön du bist.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er hat ein komisches Gesicht gemacht. Das habe ich genau gesehen.«

»Wie lange hast du mit dem Kerl geredet?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht eine Viertelstunde? Ich habe ihn an der Bar kennengelernt, und dann hat er mich zum Tanzen aufgefordert.«

»Schien er schüchtern zu sein und sich nicht zu trauen, eine Frage zu stellen, wenn ihn etwas beschäftigt?«

Ich dachte darüber nach. Eigentlich nicht. Hudson schien eher frech als schüchtern zu sein. »Nein, aber …«

Fisher legte mir die Hände auf die Schultern. »Tief durchatmen.«

»Fisher, wir sollten wirklich gehen.«

Der Conférencier trat wieder auf und forderte alle auf, ihre Plätze einzunehmen, da das Abendessen serviert werden sollte.

Fisher zog meinen Stuhl heraus. »Lass uns wenigstens essen. Wenn du anschließend immer noch abhauen willst, gehen wir. Aber ich sage dir, du bist einfach nur paranoid. Der Kerl hat keinen blassen Schimmer.«

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich jetzt gehen sollte, doch als ich mich im Raum umsah, bemerkte ich, dass wir mit ein paar anderen Nachzüglern die Letzten waren, die noch standen, und dass man uns beobachtete.

Ich seufzte. »Gut. Abendessen, dann verschwinden wir.«

Fisher lächelte.

Ich sprach leise und war mir der anderen Gäste an unserem Tisch bewusst, die wir unhöflicherweise ignoriert hatten.

»Wo bist du übrigens gewesen?«

»Ich hab mich mit Noah unterhalten.«

»Wer ist Noah?«

»Ein süßer Kellner. Er wird Schauspieler.«

Ich rollte mit den Augen. »Klar. Wir wollten doch zusam-menbleiben, schon vergessen?«

»Es sah nicht so aus, als wärst du sonderlich einsam gewesen. Wer war dieser Adonis eigentlich? Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn in deinem Leben Männer auftauchen, die besser aussehen als ich.«

Ich seufzte. »Er war umwerfend, oder?«

Fisher trank sein Bier. »Ich würde ihn nicht von der Bettkante stoßen.«

Wir lachten. »Bist du sicher, dass er nichts bemerkt hat? Du sagst das doch nicht nur, weil du bleiben willst, oder?«

»Nein, es ist alles in Ordnung.«

Irgendwie entspannte ich mich beim Essen ein wenig. Wobei das vielleicht mehr mit dem Kellner zu tun hatte, der mir immer wieder ungefragt nachschenkte, als damit, dass ich Fisher glaubte. Ich glaubte zwar immer noch, dass Hudson uns als Betrüger erkannt hatte, aber der Rausch der Gin-Martinis führte dazu, dass es mir egal war.

Nachdem man unsere Teller abgeräumt hatte, forderte Fisher mich zum Tanzen auf, und ich dachte, warum nicht? Es gab Schlimmeres für ein Mädchen, als an einem Abend mit zwei gut aussehenden Männern zu tanzen. Also gingen wir zu einem eingängigen Popsong auf die Tanzfläche, und als die Musik langsamer wurde, schloss Fisher mich in die Arme.

Wir lachten in unserer eigenen kleinen Blase, als ein Mann Fisher auf die Schulter tippte.

»Was dagegen, wenn ich dich ablöse?«

Hudson.

Mein Herz begann heftig zu schlagen. Ob es die Aussicht war, wieder in den Armen dieses großartigen Mannes zu landen, oder die Angst aufzufliegen, wusste ich nicht.

Fisher lächelte und trat einen Schritt zurück. »Pass gut auf mein Mädchen auf.«

»Oh, das habe ich vor.«

Irgendetwas an der Art, wie er das sagte, beunruhigte mich. Doch Hudson nahm mich in die Arme und begann, uns wie vorhin zur Musik zu führen.

»Amüsierst du dich?«, fragte er.

»Ähm … Ja. Das ist ein sehr schöner Ort für eine Hochzeit. Ich war noch nie hier.«

»Was hast du gesagt, von wem bist du eingeladen worden? Von der Braut oder vom Bräutigam?«

Das habe ich bisher nicht gesagt. »Der Braut.«

»Und woher kennt ihr euch?«

Shit. Ich sah hoch. Hudson verzog den Mund zu einem Lächeln, aber es war kein fröhliches Lächeln, sondern wirkte eher zynisch.

»Ich, äh, wir haben früher zusammen gearbeitet.«

»Oh? Bei Rothschild Investments?«

Ich wollte weglaufen. Vielleicht spürte Hudson das, denn wenn ich es mir nicht einbildete, wurde sein Griff um mich fester. Ich schluckte. »Ja, genau. Bei Rothschild Investments.«

Ich wusste über Evelyns kurze Beschäftigung dort nur, dass sie als Empfangsdame gearbeitet hatte und ihren Chef nicht ausstehen konnte. Sie bezeichnete ihn immer als GQ Arsch.

»In welcher Funktion?«

Langsam kam ich mir vor wie bei einem Verhör. »Als Empfangsdame.«

»Als Empfangsdame? Aber ich dachte, du wärst Parfümeurin?«

Verdammt. Richtig. Ich hatte nicht nachgedacht, als ich ihm vorhin ehrlich von meinem Beruf erzählt hatte. »Ich, äh, ich gründe mein eigenes Unternehmen, und die Dinge haben sich verzögert, also musste ich Geld verdienen.«

»Und was für eine Art von Unternehmen gründest du?«

Wenigstens war dieser Teil keine Lüge. »Es heißt Signature Scent. Ein Versandhandel für individuelle Parfüms.«

»Wie funktioniert das?«

»Wir schicken zwanzig kleine Duftproben raus, die die Kunden von eins bis zehn bewerten müssen, und dazu einen detaillierten Fragebogen. Basierend auf den Geruchstypen, die ihnen gefallen, und den Antworten auf unsere Umfrage, kreieren wir einen individuellen Duft für sie. Ich habe einen Algorithmus entwickelt, der die Formel auf der Grundlage der gesammelten Daten erstellt.«

Hudson musterte mein Gesicht. Es sah aus, als versuchte er, eine Art Puzzle zu lösen. Als er wieder sprach, war sein Ton weicher. »Das ist eigentlich eine gute Idee.«

Vielleicht war der Alkohol schuld daran, aber plötzlich war ich beleidigt, dass er überrascht schien. »Dachtest du, weil ich blond bin, hätte ich keine guten Ideen?«

Hudson ließ etwas aufblitzen, das ein echtes Lächeln gewesen sein könnte, doch es verblasste schnell, dann setzte er wieder seine stoische Miene auf. Er sah lange zu mir herunter, während ich den Atem anhielt und darauf wartete, dass er mich als Betrügerin überführte.

Schließlich sagte er: »Kommst du einen Moment mit?«

»Wohin?«

»Ich muss eine Rede halten, und ich habe gehofft, du könntest in der Nähe stehen. Dein schönes Gesicht wird mir genau die Ermutigung geben, die ich brauche.«

»Ähm … klar.«

Hudson lächelte, aber irgendetwas daran fühlte sich wieder merkwürdig an. Seine Bitte schien mir jedoch harmlos zu sein. Als er meine Hand nahm und mich in den vorderen Bereich des Raumes führte, versuchte ich, mir einzureden, dass mein merkwürdiges Gefühl nur von meinem schlechten Gewissen herrührte.

Hudson sprach mit dem Conférencier, dann traten wir an den Rand der Tanzfläche und warteten. Wir standen nebeneinander, als das Lied endete und der Conférencier die Gäste aufforderte, wieder ihre Plätze einzunehmen.

»Meine Damen und Herren, ich möchte den Frischvermählten eine sehr wichtige Person vorstellen. Er ist der Bruder unserer schönen Braut und ein guter Freund unseres schneidigen Bräutigams. Ich bitte um einen großen Applaus für unseren Trauzeugen Hudson!«

Oh Scheiße. Er ist der Bruder der Braut!

Der GQ-Arsch!

Hudson beugte sich zu mir herunter. »Bleib genau hier, wo ich dein wunderschönes Gesicht sehen kann, Evelyn.«

Ich nickte und lächelte, obwohl ich das Gefühl hatte, mich übergeben zu müssen.

In den nächsten zehn Minuten hielt Hudson eine eloquente Rede. Er sprach darüber, was für eine Nervensäge seine kleine Schwester gewesen war, und wie stolz er auf die Frau sei, die sie heute war. Als er erklärte, dass sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter verstorben waren, war ich ein wenig gerührt. Seine Bewunderung für seine Schwester war offensichtlich, und seine Rede war zu gleichen Teilen ernst und lustig. Während er sprach, stieß ich einen schweren Seufzer der Erleichterung aus, dass er nichts Ungewöhnliches in der Hinterhand gehabt hatte. Es war zu schade, dass ich ihn unter den gegebenen Umständen kennengelernt und ihm mich mit einem falschen Namen vorgestellt hatte, denn Hudson schien ein guter Fang zu sein.

Am Ende seiner Rede hob er sein Glas. »Auf Mason und Olivia. Möge euch Liebe, Gesundheit und Reichtum beschert sein, aber vor allem ein langes gemeinsames Leben, damit ihr all das auch genießen könnt.«

Ein gemurmeltes Cheers! ging durch den Raum, bevor alle tranken, und ich dachte, nun sei die Rede zu Ende. Doch das war sie nicht. Anstatt dem Conférencier das Mikrofon zurückzureichen, drehte sich Hudson um und sah zu mir. Das verruchte Lächeln, das über sein Gesicht glitt, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken, und das nicht auf eine gute Art.

»Als Nächstes«, sagte er, »habe ich ein besonderes Vergnügen für Sie. Die liebe Freundin meiner Schwester, Evelyn, würde gerne ein paar Worte sagen.«

Meine Augen weiteten sich.

»Sie hat so eine tolle Geschichte darüber zu erzählen«, fuhr er fort, »wie sich die beiden kennengelernt haben. Sie ist sehr unterhaltsam, und sie kann es kaum erwarten, sie heute Abend mit Ihnen zu teilen.«

Hudson kam mit dem Mikrofon in der Hand auf mich zu. Seine Augen funkelten amüsiert, aber ich fürchtete, dass ich mich gleich auf seine glänzenden Schuhe übergeben müsste.

Ich winkte ab und schüttelte den Kopf, aber das stachelte ihn nur noch mehr an.

Während er meine Hand nahm, sprach er weiter ins Mikrofon. »Evelyn scheint Lampenfieber zu haben. Sie ist ein bisschen schüchtern.« Er zog mich an der Hand mit sich. Widerwillig machte ich zwei Schritte in die Mitte des Raumes, dann bohrte ich meine Absätze in den Boden und weigerte mich, auch nur noch einen Schritt weiterzugehen.

Hudson lachte und hob erneut das Mikrofon an seine Lippen. »Sieht aus, als bräuchte sie eine kleine Aufmunterung. Was sagen Sie dazu, meine Damen und Herren? Können wir eine Runde Applaus bekommen, um Evelyn zuermuntern, nach oben zu kommen und ein paar Worte zu sagen?«

Die Menge begann zu klatschen. Ich wollte, dass sich der Boden öffnete und mein steifer Körper in einer tiefen Grube versank. Aber es wurde von Sekunde zu Sekunde klarer, wie der einzige Ausweg aussah: Augen zu und durch. Alle Blicke waren auf mich gerichtet, hier kam ich nicht mehr unbeschadet raus. Ich überlegte, ob ich weglaufen sollte, entschied aber, dass es besser war, wenn nur ein paar Leute hinter mir herjagten und nicht der ganze Laden.

Also atmete ich tief durch, ging zum erstbesten Tisch und fragte irgendeinen älteren Herrn, ob sein Getränk Alkohol enthielte. Als er sagte, es sei Wodka auf Eis, bediente ich mich und leerte das gesamte Glas. Dann glättete ich mein Kleid, straffte die Schultern und marschierte erhobenen Haupts zu Hudson hinüber, um mit zittriger Hand das Mikrofon zu ergreifen.

Er grinste und beugte sich vor, um mir ins Ohr zu flüstern: »Viel Glück, Evelyn.«

Im Saal wurde es still, auf meiner Stirn und Oberlippe bildeten sich Schweißperlen, in meinem Hals steckte ein Kloß von der Größe eines Golfballs, und meine Finger und Zehen kribbelten. Alle sahen mich an, und ich zermarterte mir das Hirn, um mir eine Geschichte auszudenken – irgendeine Geschichte. Schließlich fiel mir eine ein, wobei ich etwas improvisieren musste. Aber das war heute Abend ja normal.

Ich räusperte mich. »Hallo …«

Ich hielt das Mikrofon in der rechten Hand, und als ich merkte, dass es zitterte, legte ich die linke über die rechte, um es zu stabilisieren. Dann nahm ich einen tiefen Atemzug. »Hi. Ich bin Evelyn. Olivia und ich kennen uns aus dem Kindergarten.«

Ich beging den Fehler, zu dem Tisch hinüberzuschauen, an dem das frisch vermählte Paar saß. Die Braut starrte mich mit verwirrter Miene an und tuschelte mit ihrem Mann.

Ich sollte mich besser beeilen … »Wie Hudson schon erwähnte, wollte ich erzählen, wie Livi und ich uns kennengelernt haben. Ich war gerade in die Stadt gezogen, mitten im Schuljahr, und hatte nicht viele Freunde. Damals war ich sehr schüchtern. Meine blasse Haut färbte sich knallrot, wenn ich zu viel Aufmerksamkeit erhielt, also vermied ich es um jeden Preis, im Unterricht zu sprechen. Eines Tages trank ich in der Pause eine ganze Flasche Wasser aus. Als wir wieder in die Klasse kamen, musste ich dringend auf die Toilette, aber unser Lehrer Mr Neu hatte schon mit dem Unterricht begonnen, und ich wollte ihn nicht stören. Er war ungefähr zwei Meter groß und furchteinflößend, und der Gedanke, dass sich alle Kinder umdrehen und mich anstarren würden, wenn ich die Hand hebe und er meinen Namen aufruft, machte mir große Angst. Also verkniff ich es mir während der gesamten Stunde, und meine Güte, der Mann konnte reden.«

Ich schaute zu der Braut hinüber. »Erinnerst du dich, wie Mr Neu drauflosgeredet hat, diese schlechten abgedroschenen Witze erzählt hat und dann als Einziger über sie gelacht hat?«

Die Braut sah mich an, als ob ich total verrückt wäre. Und damit lag sie ziemlich sicher richtig.

Die nächsten fünf Minuten plapperte ich weiter drauflos. Ich stand vor einem Saal voller Leute und erzählte, wie ich auf die Toilette gerannt war, als der Lehrer endlich zu reden aufhörte. Doch alle Kabinen waren besetzt, und ich konnte es einfach nicht mehr zurückhalten. Ich erzählte ausführlich, wie ich mit einer nassen Hose ins Klassenzimmer zurückgekommen war und versucht hatte, es zu verbergen, aber ein Junge sah es und rief: »Seht nur! Das Mädchen hat sich in die Hose gepinkelt.« Ich war absolut beschämt und hatte Tränen in den Augen, bis meine Freundin mir zu Hilfe kam. In einer mutigen Aktion, die uns für immer zusammenschweißen sollte, machte Olivia sich ebenfalls in die Hose, stand dann auf und sagte allen, dass das Gras draußen in der Pause nass gewesen sei und wir zusammen dort gesessen hätten.

Ich beendete meine Geschichte, indem ich einem Saal voll lächelnder Gesichter sagte, ich wünschte dem glücklichen Paar, dass es ebenso viel Liebe und Spaß haben möge, wie ich sie so viele Jahre mit der Braut erlebt hatte. Ich hob eine Hand und hielt ein imaginäres Glas hoch. »Ein Toast auf die Braut und den Bräutigam.«

Die Leute begannen zu applaudieren, und ich wusste, dass ich die Zeit nutzen musste, um von dort zu verschwinden. Hudson stand immer noch an der Seite, und wenn ich mich nicht täuschte, war er vielleicht sogar ein wenig stolz auf mich, weil ich nicht zusammengebrochen war. Seine Augen leuchteten, und er musterte mich aufmerksam, als ich zu ihm ging und das Mikrofon an seine Brust drückte.

Lächelnd bedeckte er die Oberseite des Mikrofons mit der Hand. »Unterhaltsam.«

Ich lächelte übertrieben und lockte ihn mit dem Finger, näher zu kommen.

Als er es tat, flüsterte ich ihm ins Ohr: »Du bist ein Arschloch.«

Hudson stieß ein tiefes Lachen aus, und ich stürmte davon, ohne mich noch einmal umzudrehen, um zu sehen, ob er mir folgte. Zum Glück kam Fisher schon auf mich zu, sodass ich nicht nach ihm suchen musste, bevor wir uns aus dem Staub machten.

Seine Augen waren groß wie Frisbees. »Bist du besoffen? Was zum Teufel ist da oben gerade passiert?«

Ich packte seinen Arm und lief weiter. »Wir müssen hier verschwinden. Schnell! Hast du meine Handtasche?«

»Nein.«

Mist. Ich überlegte, sie einfach stehen zu lassen, aber lauter wichtige Sachen, unter anderem mein Führerschein und meine Kreditkarte, waren darin. Also bog ich nach links ab und lief schnurstracks zu unserem Tisch. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Hudson und der Bräutigam mit dem Oberkellner sprachen und in unsere Richtung deuteten.

»Verflucht! Wir müssen uns beeilen.« Ich eilte den Rest des Weges zu unserem Tisch, schnappte mir meine Handtasche und drehte um. Nach zwei Schritten machte ich noch einmal kehrt.

»Was tust du da?«, sagte Fisher.

Ich schnappte mir eine ungeöffnete Flasche Dom Pérignon von unserem Tisch. »Die nehme ich mit.«

Fisher folgte mir lachend und kopfschüttelnd zur Tür. Unterwegs klauten wir von jedem Tisch, an dem wir vorbeikamen, noch eine Flasche Champagner. Die verwirrten Gäste hatten keine Ahnung, was sie von dem Schauspiel halten sollten, und wir waren zu schnell, als dass sie etwas sagen konnten. Als wir den Ausgang erreichten, waren unsere Arme voll, und wir hatten mindestens einen Tausender in Form von Champagner dabei.

Draußen hatten wir das Glück, dass ein paar gelbe Taxis an der Ampel warteten. Wir sprangen in den erstbesten leeren Wagen, Fisher schlug die Tür zu, und wir richteten uns beide auf die Knie auf, um aus dem Rückfenster zu schauen. Der Oberkellner und die beiden Security-Leute, die vorhin die Ausweise kontrolliert hatten, waren auf halbem Weg die Marmortreppe hinunter. Hudson lehnte lässig mit einem Glas Champagner in der Hand oben an einer Marmorsäule, während er unseren verrückten Aufbruch beobachtete. Das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich zwischen der Ampel und den Männern, die sich uns näherten, hin und her sah. Gerade als sie den Bordstein erreichten, schaltete die Ampel von Rot auf Grün.

»Los! Fahren Sie!«, rief ich dem Taxifahrer zu.

Er trat aufs Gas, und Fisher und ich blieben auf den Knien und beobachteten aus dem Rückfenster, wie die Männer sich immer weiter entfernten. Als wir an der Ecke rechts abbogen, drehte ich mich um und ließ mich in den Sitz sinken. Ich bekam keine Luft mehr.

»Was zum Teufel ist passiert, Stella? Gerade habe ich dich noch mit einem umwerfenden Mann tanzen sehen, der total in dich verliebt zu sein schien, und in der nächsten erzählst du einem Saal voller Leute irgendeine verrückte Geschichte. Bist du betrunken?«

»Selbst wenn, wäre ich jetzt vor lauter Angst schlagartig nüchtern.«

»Was ist in dich gefahren?«

»Es ist nichts in mich gefahren, sondern jemand.«

»Ich kann dir nicht folgen.«

»Du kennst ja den tollen Mann, mit dem ich gesprochen habe?«

»Ja?«

»Nun, es hat sich herausgestellt, dass er alles wusste …« Panik überkam mich, als ich merkte, dass ich nicht wusste, wo mein Handy war. Aufgeregt öffnete ich meine Handtasche und packte sie aus. Offensichtlich war es nicht dort, aber es musste einfach da sein. Ich wollte es einfach nicht akzeptieren, drehte die Tasche kurzerhand um und leerte den Inhalt auf meinen Schoß.

Kein Telefon.

Kein verdammtes Telefon!

»Was suchst du?«, fragte Fisher.

»Bitte sag, dass du mein Handy hast.«

Er schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich?«

»Weil ich es sonst auf dem Tisch im Hochzeitssaal habe liegen lassen …«

3. Kapitel

Hudson

»Mr Rothschild, hier ist ein Anruf für Sie.«

Ich schnaubte und drückte auf die Gegensprechanlage. »Wer ist es?«

»Hier ist Evelyn Whitley.«

Ich warf meinen Stift auf den Schreibtisch, nahm den Hörer ab und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. »Evelyn, danke, dass du mich zurückrufst.«

»Natürlich. Wie geht es dir, Hudson?«

Ich bin so frustriert, dass ich die nervige Freundin meiner kleinen Schwester anrufe, der ich keinen Job geben wollte, es aber trotzdem getan habe, nur damit besagte nervige Freundin vor zwei Monaten nicht mehr zur Arbeit erschien und ohne Vorwarnung kündigte.

»Gut. Und dir?«

»Ziemlich gut. Obwohl Louisiana im Vergleich zu New York ziemlich feucht ist.«

War sie dorthin geflohen? Es war mir egal, und Smalltalk mit Evelyn stand nicht auf meinem vollen Tagesplan für heute.

»Also der Grund, warum ich meine Assistentin gebeten habe, dich ausfindig zu machen, ist, dass auf Olivias Hochzeit eine Frau aufgetaucht ist, die sich als dich ausgegeben hat.«

»Wirklich? Wer würde das tun?«

»Ich hatte gehofft, das könntest du mir sagen.«

»Meine Güte, ich habe keine Ahnung. Ich habe nicht mal damit gerechnet, dass Liv mich zu ihrer Hochzeit einladen würde. Ich habe definitiv keine Einladung bekommen.«

»Meine Schwester sagt, sie habe die Einladungen verschickt, nachdem du schon die Stadt verlassen hattest. Sie ist an deine alte Adresse hier gegangen. Wurde deine Post weitergeleitet, oder hat sie jemand für dich abgeholt?«

»Ich bekomme fast meine gesamte Post elektronisch – Telefonrechnungen, Kreditkartenabrechnungen und so weiter. Also habe ich die Post nicht weitergeleitet. Meine alte Mitbewohnerin wohnt noch in der Wohnung, sie könnte sie also bekommen haben.«

»Du hattest eine Mitbewohnerin?«

»Ja, Stella.«

»Könnte es Stella gewesen sein?«

Evelyn lachte. »Das glaube ich nicht. Sie ist bestimmt nicht der Typ, der sich auf eine Hochzeit schleicht.«

»Kannst du mir beschreiben, wie deine alte Mitbewohnerin aussieht?«

»Keine Ahnung. Blond, vielleicht ein Meter siebzig groß, blasse Haut, schöne Kurven … Brille. Schuhgröße siebenunddreißig.«

Die Haarfarbe, die schönen Kurven und die Beschreibung der Haut stimmten überein, und ich nahm an, dass die Frau Kontaktlinsen getragen haben könnte. Aber wer zum Teufel gab die Schuhgröße an, um jemanden zu beschreiben? »Hat deine Mitbewohnerin zufällig die Angewohnheit, an Dingen zu riechen?«

»Ja! Stella ist Parfüm-Entwicklerin für Estée Lauder. Oder zumindest war sie das, bevor sie gekündigt hat. Wir haben nur ungefähr ein Jahr zusammengewohnt, aber sie hat immer an allem gerochen – ein wenig seltsam, wenn du mich fragst. Sie hatte auch die Angewohnheit, lange Geschichten zu erzählen, wenn ich nur eine einfache Frage gestellt habe, und Schokoriegel an Leute zu verteilen. Aber woher wusstest du, dass sie an allem riecht – oh mein Gott. War es Stella, die sich auf der Hochzeit für mich ausgegeben hat?«

»Hört sich so an, ja.«

Evelyn lachte. »Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut.«

Nach der kurzen Zeit, die ich mit Stella verbracht hatte, konnte ich sagen, dass sie einige Leute überraschen konnte. Die meisten wären aus der Tür geflüchtet, wenn ich sie aufgefordert hätte, das Mikrofon zu nehmen. Nicht so Stella. Sie war ein zitterndes Nervenbündel, aber sie hatte sich zusammengerissen und sich meiner Herausforderung gestellt. Ich wusste nicht, was ich aufregender fand – wie sie aussah. Dass sie nicht vor einer Herausforderung zurückschreckte. Oder wie sie mir trotzig gesagt hatte, ich sei ein Arschloch, bevor sie verschwunden war.

Es waren acht Tage seit der Hochzeit meiner Schwester vergangen, und ich konnte diese verdammte Frau immer noch nicht aus dem Kopf bekommen.

»Wie lautet Stellas Nachname?«, fragte ich.

»Bardot. Wie die alte Filmschauspielerin.«

»Hast du zufällig eine Festnetznummer von ihr?«

»Ja. Sie ist in meinem Handy. Ich kann dir ihren Kontakt weiterleiten.«

»Ja, das wäre sehr hilfreich.«

»Okay.«

»Danke, Evelyn.«

»Soll ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie die Kosten für die Teilnahme übernehmen soll oder so?«

»Nein, das ist nicht nötig. Mir wäre es sogar lieber, wenn du dieses Gespräch nicht erwähnst, falls du zufällig mit ihr sprichst.«

»Okay … klar. Wie du willst.«

»Mach’s gut, Evelyn.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, rieb ich mir das Kinn und starrte aus dem Fenster auf die Stadt.

Stella Bardot … was soll ich tun, was soll ich mit dir machen …

Ich öffnete meine Schreibtischschublade und holte das iPhone heraus, das mir die Catering-Firma am Vortag geschickt hatte. Sie sagten, sie hätten es an Tisch sechzehn gefunden. Ich hatte meine Assistentin gebeten, alle am Tisch sitzenden Personen anzurufen, bis auf die geheimnisvolle Frau. Niemand hatte ein Telefon verloren. Also war ich mir ziemlich sicher, wem es gehörte. Die Frage war nur, was ich damit machen sollte.

Helena, meine Assistentin, steckte den Kopf in den Konferenzraum.

»Mr Rothschild, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber hier ist jemand, der Sie sprechen möchte. Es steht kein Termin in Ihrem Kalender, aber sie behauptet, Sie hätten sie eingeladen.«

Ich deutete auf die Leute, die um den Tisch herumsaßen. »Ich bin mitten in einer Besprechung. Ich habe im Moment keine anderen Termine.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das habe ich mir gedacht. Ich sage ihr, dass Sie beschäftigt sind.«

»Wer ist es?«

»Ihr Name ist Stella Bardot.«

Na, sieh mal einer an … War Aschenputtel etwa endlich gekommen, um ihren gläsernen Schuh abzuholen? Es war schon sechs Tage her, dass ich ihr eine Nachricht geschickt hatte, daher hatte ich angenommen, Miss Bardot fehlte der Mut, hier aufzutauchen. Ich hatte Evelyns alte Adresse in unseren Firmenunterlagen gefunden, also hätte ich nett sein und ihr das Telefon einfach zurückschicken können. Aber wo wäre da der Spaß gewesen? Stattdessen schickte ich ihr meine Visitenkarte mit einer Notiz auf der Rückseite.

Wenn du willst, was du zurückgelassen hast, komm und hol es dir.

»Könnten Sie Miss Bardot bitte sagen, dass ich beschäftigt bin, aber wenn sie warten kann, komme ich, sobald ich hier fertig bin?«

»Klar, natürlich. Ich sage ihr Bescheid.« Helena schloss die Tür zum Konferenzraum.

Mein Meeting dauerte weitere vierzig Minuten, aber wahrscheinlich hätte ich es schon nach zwei Minuten beenden sollen, denn nachdem ich wusste, wer in der Lobby auf mich wartete, konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Schließlich kehrte ich mit den Akten aus dem Konferenzraum in mein Büro zurück.

»Soll ich Miss Bardot herbringen?«, fragte Helena, als ich an ihrem Schreibtisch vorbeikam.

»Geben Sie mir fünf Minuten und führen Sie sie dann bitte herein.«

Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, als die kleine Betrügerin hereinkam. Andererseits war ich auch nicht derjenige, der etwas erklären musste. Also beschloss ich, es auf mich zukommen zu lassen und zu sehen, wohin das Gespräch führte.

Das war auch gut so, denn in dem Moment, als sie in meine Bürotür trat, konnte ich mich kaum noch an meinen eigenen Namen erinnern.

Evelyn – oder vielmehr Stella – war noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Bei der Hochzeit hatte sie ihr Haar hochgesteckt, jetzt umrahmten die blonden Locken ihre Porzellanhaut. Sie trug eine übergroße Brille mit einem dicken Rahmen, die ihr einen sexy Bibliothekarinnen-Look verlieh, und in ihrem marineblauen Sommerkleid und den flachen Schuhen wirkte sie zierlicher als bei der Hochzeit.

Mit möglichst teilnahmsloser Miene stand ich auf und wies mit einer Geste auf die Besucherstühle vor meinem Schreibtisch.

»Bitte, setz dich.«

Sie biss sich auf die Unterlippe, betrat jedoch mein Büro.

»Würden Sie bitte die Tür hinter sich schließen, Helena?«, bat ich meine Assistentin.

Sie nickte. »Natürlich.«

Stella und ich veranstalteten eine Art Wettstarren, bevor sie ihren Hintern auf der anderen Seite meines Schreibtisches platzierte.

»Ich dachte nicht, dass du deinen gläsernen Schuh abholen würdest, Aschenputtel.«

Sie schlug die Beine übereinander und faltete die Hände um ihr Knie. »Glaub mir, wenn ich eine andere Wahl hätte, wäre ich nicht hier.«

Ich hob eine Braue. »Sollte ich beleidigt sein? Ich hatte mich eigentlich auf deinen Besuch gefreut.«

Sie schürzte die Lippen. »Das möchte ich wetten. Mit welcher Art von Demütigung muss ich heute rechnen? Rufst du alle Angestellten, damit sie mich auslachen und auf mich zeigen?«

Meine Lippen zuckten. »Das hatte ich nicht vor. Aber wenn das dein Ding ist …«

Sie seufzte. »Hör zu, was ich getan habe, tut mir leid. Ich habe der Braut bereits einen Entschuldigungsbrief geschrieben und ein kleines Geschenk an die Absenderadresse auf der Einladung geschickt. Ich wollte niemandem schaden. Als die Einladung kam, habe ich sie versehentlich geöffnet, und nach ein paar Gläsern Wein heckten mein Freund Fisher und ich die Idee aus, dass wir uns auf die Party schleichen. Ich war sauer auf meine Mitbewohnerin – die Person, an die die Einladung eigentlich adressiert war. Sie ist mitten in der Nacht bei mir ausgezogen und hat dabei einige Klamotten und Schuhe von mir mitgehen lassen. Und gerade an dem Tag war der Scheck, den sie mir für die zwei Monate Mietrückstand hinterlassen hatte, geplatzt. Zu allem Überfluss war es auch noch mein letzter Arbeitstag gewesen, also brauchte ich ihre Hälfte der Miete wirklich dringend.« Sie hielt einen Moment inne und schien Luft zu holen. »Ich weiß, nichts davon entschuldigt, was ich getan habe. Eine Hochzeit sollte ein heiliges und sehr persönliches Ereignis sein, das man mit Familie und Freunden feiert, aber es war das erste Mal, dass ich so etwas getan habe. Ich möchte, dass du das weißt.« Sie schüttelte den Kopf. »Außerdem hätte ich es vielleicht auch nicht getan, wenn die Hochzeit woanders stattgefunden hätte, aber ich liebe die Bibliothek. Ich habe die letzten sechs Jahre nur einen Block entfernt gearbeitet und unzählige Male auf den Stufen zu Mittag gegessen. Ich wollte unbedingt mal zu einer Veranstaltung dort hingehen.«

Ich kratzte mich am Kinn und betrachtete ihr Gesicht. Sie schien aufrichtig zu sein. »Warum hast du so lange gebraucht, um dein Telefon abzuholen?«

»Die Wahrheit?«

»Nein, mir ist es lieber, du erfindest eine Geschichte wie bei der Hochzeit. Weil das so gut ausgegangen ist …«

Sie verdrehte die Augen und stieß einen schweren Seufzer aus. »Ich hatte überhaupt nicht vor zu kommen. Ich bin sogar losgegangen und habe mir ein neues iPhone gekauft. Aber meine Miete ist in ein paar Tagen fällig, und ich bin pleite, weil ich jeden Cent in meine Geschäftsgründung gesteckt habe, die sich nun verzögert. Ich habe vierzehn Tage, um das überteuerte Telefon zurückzugeben – die sind heute um. Ich kann mir keine tausend Dollar für ein neues Handy leisten, insbesondere jetzt, wo ich keine Mitbewohnerin mehr habe. Ich muss das Handy zurückgeben oder meinen Vater anrufen und ihn bitten, mir Geld zu leihen. Vor die Wahl gestellt, herzukommen und meine Strafe für etwas Dummes zu kassieren, oder meinen Vater anzurufen … Nun, hier bin ich.«

Meine Schwester hatte sich nicht einmal wirklich darüber aufgeregt, was auf der Hochzeit passiert war. Natürlich war sie verwirrt, weil sie nicht wusste, wer die Frau war, die eine Geschichte über ihre Kindheit erzählt hatte. Als ich ihr jedoch erklärte, dass sie sich heimlich auf die Party geschummelt habe, rügte Olivia mich, weil ich die Frau zur Rede gestellt und sie nicht einfach ruhig zur Tür begleitet hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich mich selbst nicht ganz wohl gefühlt, als Stella mit dem Mikrofon in der Hand zu schwitzen anfing und blass wurde. Aber ich war sauer gewesen, dass sie mich angelogen hatte. Tief im Inneren wusste ich, dass es zum Teil daran lag, dass eine Frau, die mir ins Gesicht log, ungute Erinnerungen in mir weckte. Es war auch nicht gerade hilfreich, dass meine kleine Schwester sich entschieden hatte, am selben Ort zu heiraten wie ich sieben Jahre zuvor. Also war meine Wut auf Stella vielleicht etwas übertrieben gewesen.

Ich öffnete meine Schreibtischschublade, nahm das Handy heraus und schob es ihr über den Schreibtisch hinweg zu.

»Danke«, sagte Stella. Sie nahm es in die Hand und wischte über den Bildschirm. Das Telefon leuchtete auf, und ich sah, wie sie die Stirn runzelte. »Es funktioniert noch. Hast du es geladen?«

Ich nickte. »Es war tot, als der Caterer es am Tag nach der Hochzeit vorbeischickte.«

Sie nickte, aber ich sah, dass ich die Frage, die ihr eigentlich auf der Seele lag, nicht beantwortet hatte.

»Hast du … versucht, meinen Code zu erraten?«

Ich schaffte es, eine neutrale Miene zu bewahren, obwohl ich genau das getan hatte. Sie brauchte nicht zu wissen, dass ich eine Stunde damit verbracht hatte, verschiedene Kombinationen auszuprobieren, um das verdammte Ding zu entriegeln. So neugierig war ich auf die Frau, die von der Hochzeit abgehauen war. Also wich ich ihrer Frage aus, dehnte meine Finger und sprach in strengem Ton mit ihr. »Ich musste es einschalten, um zu sehen, ob du überhaupt einen Code hast, oder?«

Stella schüttelte den Kopf und ließ das Telefon in ihre Handtasche gleiten. »Oh. Ja. Ja natürlich. Das ist richtig.«

Wir starrten uns ein paar Sekunden lang an, bis die Stille peinlich wurde.

»Okay, also …« Sie stand auf. »Ich sollte jetzt gehen.«

So beschissen es auch war, ich war noch nicht bereit, sie gehen zu lassen. Ich hatte hundert Fragen, die sie beantworten sollte – zum Beispiel, was ihr Vater getan hatte, dass sie ihn nicht anrufen wollte, oder warum sich ihr Geschäftsstart verzögerte. Doch stattdessen folgte ich ihrem Beispiel und stand auf.

Sie streckte ihre Hand über meinen Schreibtisch. »Danke, dass du mein Telefon aufbewahrt hast, und noch einmal, es tut mir leid, was ich getan habe.«

Ich nahm ihre kleine Hand in meine und hielt sie einen Tick zu lange. Doch wenn sie es bemerkte, sagte sie nichts.

Nachdem ich sie losgelassen hatte, wandte sich Stella zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um. Sie öffnete ihre Handtasche und kramte darin herum, dann zog sie etwas heraus und bot es mir an.

»Magst du Schokolade?«

Ich war total verwirrt, nickte jedoch. »Ja.«