Perry Rhodan 122: Gefangene der SOL (Silberband) - Marianne Sydow - E-Book

Perry Rhodan 122: Gefangene der SOL (Silberband) E-Book

Marianne Sydow

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Beschreibung

Die Betschiden kannten bis vor kurzem nur den Überlebenskampf auf einer Dschungelwelt. Sie wissen jedoch, dass ihre Vorfahren Raumfahrer waren, Bewohner des legendären Raumschiffes SOL. Aber von der Vergangenheit kennen sie nur die Legenden. Seit einiger Zeit müssen sich drei Betschiden in der Raumflotte des Herzogtums von Krandhor behaupten. Die drei Menschen suchen dabei die Spur ihrer Vorfahren. Was sie finden, lässt Freunde zu Gegnern werden ...

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Nr. 122

Gefangene der SOL

Die Betschiden sind Menschen – aber sie leben weit entfernt von der Erde, in einer fremden Sterneninsel. Bis vor kurzem kannten sie nur den Überlebenskampf auf einer Dschungelwelt. Sie wissen immerhin, dass ihre Vorfahren Raumfahrer waren, Bewohner des legendären Raumschiffs SOL. Aber von der Vergangenheit kennen sie nur die Legenden.

Seit einiger Zeit müssen sich drei Betschiden in der Raumflotte des Herzogtums von Krandhor behaupten. Sie suchen die Spur ihrer Vorfahren. Ihr Ziel ist Kran, die Hauptwelt des Herzogtums, doch der Weg dorthin verändert die drei Gefährten.

1.

»Nichts Neues von Lokvorth?«

Reginald Bull warf einen schnellen Blick in Perry Rhodans Arbeitszimmer. Rhodan saß in einem bequemen Sessel, vor ihm schwebte ein Hologramm in der Luft. Es zeigte die Milchstraße, einige Sektoren waren bunt hervorgehoben.

Rhodan winkte nur ab. »Nichts Neues«, sagte er.

Bull gab sich mit einer so spärlichen Antwort nicht zufrieden. »Ich muss wissen, was dort los ist«, knurrte er. »Wenn ich schon so viel Geld in irgendwelche kosmischen Experimente stecke, möchte ich durchaus wissen, was ...« Er unterbrach sich, weil er erst in diesem Augenblick bemerkte, dass Jen Salik in einem der Besuchersessel saß. »Bitte entschuldige«, sagte er zu dem unscheinbaren Mann, dem niemand angesehen hätte, dass er einer der geheimnisvollen Ritter der Tiefe war.

»Du störst, Dicker. Aber jetzt kannst du auch reinkommen.« Rhodan deutete mit einem Kopfnicken auf einen Holoschirm, der seitlich von ihm in der Luft hing; Bull hatte den Monitor zuvor nicht wahrgenommen. Das herbe, aber durchaus ansprechende Gesicht einer jungen Frau war in der Projektion zu sehen.

Reginald Bull kannte die Frau, er hatte schon mehrfach mit ihr gesprochen. Sie hieß Sandra Bougeaklis und war die Stellvertretende Kommandantin der BASIS. »Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte er.

Rhodan rieb sich den Nasenrücken. »Die BASIS ist immer noch auf Testflug, die neuen Antriebe müssen auf Herz und Nieren geprüft werden, und ...«

»Das weiß ich alles, Perry«, unterbrach Bull. Ihm war bekannt, dass die BASIS vor einem Flug über 28.000 Lichtjahre stand, das Ziel war der Geheimstützpunkt Quinto-Center. Dort sollte zudem Leo Dürk, der neue Waffenmeister der BASIS, abgeholt werden. »Sag mir wichtigere Dinge.« Er lachte trocken. »Wenn ich schon nichts über diesen Quiupu, seine bescheuerten Viren-Experimente und das verbuddelte Geld auf Lokvorth erfahre.«

»Schon gut, beruhige dich. Bei der BASIS ist irgendwas schiefgegangen, sie fiel frühzeitig in den Normalraum zurück. Zurzeit suchen alle den Fehler.«

»Ich kann nur hoffen, dass sie die Ursache schnell finden, Perry.« Sorgenfalten hatten sich auf Jen Saliks Stirn eingegraben. »Du hast schon sehr viel Zeit verloren, und nach dem Flugplan wird die Reise annähernd dreieinhalb Monate dauern.«

»Alter Drängler«, brummte Bull. Er ließ die beiden wieder allein. Über Lokvorth brauchte er mit den zwei Männern nicht zu reden, sie hatten momentan anderes im Sinn.

Nachdem Bull gegangen war, atmete Rhodan tief durch. »Ich kann ihn ja verstehen«, sagte er leise. »Ungewissheit kann jeden stressen.«

»Zeitdruck ebenfalls«, erinnerte ihn Jen Salik. »Wir müssen nach Norgan-Tur, das ist wichtig.«

»Das weiß ich selbst.« Rhodan seufzte. »86 Millionen Lichtjahre sind kein Katzensprung, auch nicht mit der neuen Technik. Natürlich könnte die BASIS diese Strecke in kürzerer Zeit schaffen. Ich bin aber nicht gewillt, ein unnötiges Risiko einzugehen. Der neue Antrieb muss behutsam an die Belastungsgrenze geführt werden, und die Gravitraf-Speicher sind keine Wundertüten. Es wird ja nicht der letzte Ferneinsatz sein – für solche Flüge steht uns ohnehin nur die BASIS zur Verfügung.«

»Ich denke, du lässt alle neuen Kugelraumschiffe mit dem Metagrav-Triebwerk ausrüsten und sogar alte Schiffe umbauen?« Salik war die Unzufriedenheit anzusehen.

»Das stimmt zwar, aber die Entfernung ist dennoch zu groß. In Norgan-Tur nützen mir einige kleine Raumschiffe nichts, dort brauche ich die BASIS, wenn ich mit Laires Auge folgen will.«

»Du verlierst unnötig Zeit«, nörgelte Jen Salik weiter. »Ohne den Status eines Ritters der Tiefe bist du nur die Hälfte wert.«

»Das ist Unsinn«, widersprach Rhodan. »Mir fehlt lediglich die letzte Weihe, die du auf dem Planeten Khrat erhalten hast. Die Bedeutung dieses Akts ist mir noch unklar. Was mich weit mehr reizt, ist das uralte Gewölbe unter dem Dom Kesdschan. Vielleicht finde ich dort Hinweise, die uns das Problem der drei Ultimaten Fragen verdeutlichen. Wer weiß, ob wir je ein ominöses Viren-Imperium erleben werden, das diese Fragen klärt? So sehe ich die Situation.«

Jen Salik konnte nicht sofort antworten, denn die BASIS meldete sich wieder. Die Hyperfunkverbindung war klar und deutlich, alle Relaisstationen schienen exakt zu funktionieren.

»Wir haben Quinto-Center erreicht«, berichtete Bougeaklis. »Der Zwischenfall hat sich als kleines Problem herausgestellt. Mit der Vektorierung hat etwas nicht gestimmt, das müssen die Techniker genau überprüfen. Wir nehmen Leo Dürk an Bord und starten in etwa einer Stunde zum Rückflug.«

»In Ordnung«, bestätigte Rhodan. »Ich habe den Aufbruch der BASIS für morgen vorgesehen. Hoffentlich findet ihr den Fehler.«

»Die Chancen stehen gut. Mitzel zerlegt bereits die Positronik der Antriebssektion.«

Damit war das Gespräch beendet.

»Ich freue mich, dass du nicht länger warten willst«, sagte der Ritter der Tiefe.

Rhodan nickte. »Hinreichende Vorbereitungen müssen sein. Den kleinen Fehler im Antrieb werden die Fachleute schnell finden. Natürlich darf es keine neuen Zwischenfälle geben.«

»Denkst du an etwas Bestimmtes?«

»Nein, aber man hat schon ...«

»... Pferde kotzen sehen«, fiel der Ritter der Tiefe Rhodan ins Wort.

Als Perry wieder allein war, überlegte er, wen von der Spitze der Liga Freier Terraner er zum Start der BASIS einladen sollte. Obwohl das Fernraumschiff schon vor Jahren in die Kosmische Hanse eingegliedert worden war, verlangte das gute und innige Verhältnis zur LFT deren Teilnahme an wichtigen Operationen.

Das Summen des Interkoms holte ihn aus seinen Überlegungen zurück. Ein Symbol tanzte als winziges Hologramm in der Luft, er kannte es seit vielen Jahren. Michael war der Anrufer. Aber wer kannte seinen Sohn noch als Michael Rhodan? Als Roi Danton hatte jeder schon von ihm gehört.

Rhodan spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit seiner Lebenspartnerin Demeter lebte Roi zurückgezogen; er forschte an historischen Unterlagen oder unternahm gelegentlich geheimnisvolle Reisen in nahe gelegene Sonnensysteme. An der Kosmischen Hanse oder der Politik der Liga Freier Terraner hatte er kaum Interesse gezeigt. Auch in der Öffentlichkeit war er nur mehr selten in Erscheinung getreten.

Danton murmelte einen Gruß. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass die BASIS in Kürze aufbrechen wird«, eröffnete er übergangslos. »Norgan-Tur soll das Ziel sein ...«

»Du bist immer noch gut informiert.«

»Danke. Tu mir bitte einen Gefallen: Lass uns mitfliegen.«

»Uns?« Perry Rhodan hob die Augenbrauen.

»Demeter und mich. Es ist sehr wichtig.«

»Du verwunderst mich, Mike. Jahrelang höre ich kaum ein Wort von dir, und nun überfällst du mich mit dieser Bitte. Da steckt doch einiges dahinter.«

»Das tut es. Leider kann ich dir den Grund nicht nennen, weil ich ihn selbst nicht kenne. Noch nicht, sollte ich wohl besser sagen.«

Für Perry Rhodan gab es nicht viel zu überlegen. Einerseits wunderte er sich über das plötzliche Anliegen seines Sohnes, andererseits freute er sich, dass Michael wieder aktiv wurde. Gewisse Regeln waren jedoch einzuhalten.

»So einfach ist das nicht«, sagte er nüchtern. »Ich muss dir und Demeter eine Rolle an Bord der BASIS zuweisen, eine wichtige Aufgabe oder dergleichen.«

»Dir wird schon etwas einfallen«, scherzte Danton, aber es klang lahm.

»Such dir etwas aus. Jetzt gleich!«

»Wir sind beide erfahrene Kosmopsychologen, Exobiologen und Kosmohistoriker. Ich bin sicher, dass du für fähige Leute dieser Güteklasse einen Platz in der BASIS finden wirst.«

Rhodan grinste. »Das Selbstbewusstsein hast du nicht verloren. Von mir aus könnt ihr mitfliegen. Ich lasse über die Personalstabsstelle alles Weitere einleiten, dann habt ihr euren Platz. Man wird euch darüber in Kürze exakt informieren – aber der Start ist für morgen vorgesehen. Ich erwarte euch noch heute im HQ Hanse.«

»Danke, Dad. Das schaffen wir auf jeden Fall.« Roi Danton unterbrach die Verbindung ohne weiteren Kommentar.

Rückblick:

Terrania Scientific Gazette – 14. Mai des Jahres 2 NGZ

»Technischer Fortschritt durch den Aufbau der Kosmischen Hanse«

Mit Beginn des Jahres 1 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung wurden von Perry Rhodan Veränderungen angekündigt, die den Aufbau der Kosmischen Hanse als galaxisweite Handelsorganisation zum Ziel haben. Positive Auswirkungen dieses Vorhabens sind bereits vielerorts deutlich. Wann der Umbau der ehemaligen Sporenschiffe und der Orbiterflotten abgeschlossen sein wird, lässt sich gegenwärtig allerdings nicht erkennen. Auch die BASIS, das mächtigste Schiff der Menschheit, wird Änderungen unterzogen.

In einem Langzeitprogramm, entwickelt vom Terranischen Rat für Wissenschaften, dem genialen Payne Hamiller, sollen neue Antriebssysteme erforscht werden. Zunutze machen wollen sich die Wissenschaftler dabei die technischen Erfahrungen der Laren und Wynger. Ziel ist es, in absehbarer Zukunft auf das Mitführen gewaltiger Treibstoffmengen verzichten zu können, denn selbst ultrahoch verdichtetes Nug-Plasma benötigt Lagerkapazität. Künftig sollen die Energiepotenziale des Hyperraums den Energiebedarf sichern.

Eine Neuerung hat die BASIS schon jetzt erfahren. Bereits vor einem Jahr kündigte Hamiller an, die positronischen Steuereinrichtungen entscheidend zu verbessern. Auf Terra wurde eine neue Bordpositronik für das Fernraumschiff konzipiert. Payne Hamiller befindet sich seit Wochen auf der BASIS, um den Einbau der nach ihm benannten Hamiller-Tube zu koordinieren und zu überwachen.

Wie aus gut informierten Kreisen verlautet, soll die Leistungsfähigkeit der neuartigen Bordpositronik weit über der von SENECA liegen. Die Hyperinpotronik des verschollenen Hantelraumschiffs SOL galt bislang als das komplexeste positronische System nach NATHAN. Im Vergleich zu SENECA wird sich die Hamiller-Tube indes räumlich recht bescheiden ausnehmen: Die Positronik misst lediglich vier mal acht mal drei Meter, hat also nur die Größe einer Standardkabine ...

Rückblick:

Das Neueste für 10 Soli – 15. Mai 3589 (Jahr 2 der verpönten neuen Zeitrechnung)

»Geheimnisvolle Verschleierungen beim Umbau der BASIS. Was hat Hamiller vor?«

Ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Team des genialen Wissenschaftlers will wissen, dass dieser in das neue Supergehirn der BASIS absonderliche Elemente eingeschleust hat, die eine Bedrohung des gesamten Schiffes darstellen. Von offizieller Seite wurden diese Berichte in üblicher Weise dementiert: Es gäbe keinen Grund, die Hamiller-Tube nicht in Betrieb zu nehmen. Der Wissenschaftliche Rat lässt jedoch den Zeitpunkt weiter offen, wann dies der Fall sein könnte.

Der Verdacht, dass Millionenbeträge sinnlos verschleudert wurden, erhärtet sich damit. Bei der Hamiller-Tube handelt es sich nach unseren Beobachtungen während der Einweihungsfeier um ein Fehlprodukt ohne Nutzen. Perry Rhodan und die Zuständigen der Liga werden mehr als genug damit zu tun haben, diese skandalösen Vorkommnisse zu vertuschen. Wie tief Payne Hamiller selbst darin verstrickt ist, wird sich in den kommenden Monaten zeigen.

»Danke, Roi«, murmelte Demeter. Sie lehnte auf dem breiten Diwan im Wohnraum ihres Bungalows. Sichtlich lustlos blätterte sie durch eine Holodokumentation über die altgriechische Götter- und Mythenwelt.

»Es ist mir nicht leichtgefallen, den Wunsch so kurzfristig und ohne überzeugende Argumente zu äußern«, gestand Danton. »Was soll Perry von uns denken? Wie aus heiterem Himmel rufe ich ihn an und sage, dass wir uns der Expedition der BASIS anschließen wollen. Hätte es nicht ebenso gut ein anderes Schiff sein können?«

»Nein.« Demeters Blick pendelte zwischen der Dokumentation und Roi Danton, als könne sie sich nicht entscheiden, wem sie die größere Aufmerksamkeit schenken sollte. »Glaube mir, das ist der einzige Weg, den ich gehen kann«, sagte sie leise – und blätterte im Holo weiter. »Nicht umsonst habe ich dich so eindringlich beschworen.«

Bildaufnahmen der Insel Kreta, erkannte Roi. Auf Kreta hatte Demeter lange Zeit im Zustand energetischer Tiefschlaf-Konservierung verbracht. Erst vor einigen Jahrhunderten war sie erwacht.

Demeter, hatte Roi Danton den Eindruck, flüchtete sich in die Vergangenheit. Er wäre ein schlechter Beobachter gewesen, hätte er nicht erkannt, dass sie die Gegenwart fürchtete.

Danton ging zu dem großen Verandafenster und schaute hinaus auf den kleinen See unweit des Hauses.

»Mir will nicht in den Kopf, dass ich etwas tun soll, dessen Sinn ich nicht erkennen kann«, sagte er. »Wenn es dir auf der Erde nicht mehr gefällt, können wir jederzeit einen anderen Planeten aufsuchen, die Milchstraße ist voll davon. Aber du verlangst, mit der BASIS zu fliegen. Dabei kennst du nicht einmal ihr Ziel. Der Name Norgan-Tur besagt herzlich wenig. Keiner von uns weiß mehr über diese Galaxis, Jen Salik ausgenommen. Willst du mit ihm reden, bevor wir aufbrechen?«

Demeter schaute auf. In ihren Augen schimmerte ein Hauch von Feuchtigkeit. »Ich weiß, was mir hier bevorsteht. Ich war inzwischen in meiner Heimat Algstogermaht. Ich war mit deinem Vater und der BASIS auf der Suche nach den Burgen der sieben Mächtigen und der Materiequelle. Diese Regionen haben mich nicht altern lassen, obwohl ich das für kurze Zeit befürchten musste. Wenn ich aber jetzt hier in der Milchstraße bleibe, werde ich im nächsten Jahr eine Greisin sein. Willst du das?«

Roi Danton schüttelte den Kopf. »Woher willst du wissen, dass du plötzlich alterst? Es gibt nicht das geringste Anzeichen dafür.«

»Ich weiß es einfach. Trotzdem kann ich dir nicht erklären, weshalb das so ist.«

»Übertriebene Nervosität, Demeter, das ist alles. Ich frage mich auch nicht alle paar Tage, ob mein Zellaktivator noch zufriedenstellend arbeitet. Du steigerst dich da in etwas hinein.« Danton seufzte. »Vor zwei Monaten war das schon einmal so, nur nicht so intensiv. Ich habe nachgeforscht, was die Ursache für deine Unruhe sein könnte.«

Sie strich sich eine Strähne ihres silberfarbenen Haares aus dem Gesicht. »Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?« Die Frage klang geradezu ironisch.

»Perry hat da einen Typ im Weltraum aufgelesen: Quiupu. Er nennt ihn das kosmische Findelkind. Quiupu muss in der Geschichte drinhängen, die mit der Auseinandersetzung der Superintelligenzen ES und Seth-Apophis zu tun hat.«

»Ich höre den Namen Quiupu zum ersten Mal.«

»Warum zweifle ich nur an, dass deine Behauptung der Wahrheit entspricht?«

»Ich dachte, du liebst mich.« Demeter schmollte. »Trotzdem darfst du mir mehr über diesen Quiupu erzählen.«

Danton bedachte seine Lebensgefährtin mit einem durchdringenden Blick.

»Also gut«, sagte er nach einigen Sekunden. »Quiupu hat vor rund zwei Monaten ein Experiment mit Viren durchgeführt. Der Versuch schlug fehl. Dabei wurde eine Art Monster erzeugt, das nur mit Mühe überwunden werden konnte.«

Demeter nickte stumm.

»Wir beide waren zu der Zeit in der Serengeti, als du von einer Stunde zur nächsten plötzlich abreisen wolltest. Du wirst zugeben, dass du keine Ahnung hattest, warum.«

»Ich wollte nach Hause«, behauptete Demeter. »Daran ist nichts Ungewöhnliches.«

»Nachdem du dich wochenlang auf Südafrika gefreut hattest?«

»Das siehst du falsch, Roi. Jeder kann seine Meinung einmal ändern.«

»Natürlich. Aber nur, wenn es einen offensichtlichen Grund dafür gibt. Den hattest du nicht. Vielmehr hast du dich von irgendeinem inneren Trieb leiten lassen. Das ist gefährlich, Demeter. Und noch etwas: Deine Unruhe war wie weggewischt, als Quiupus Experiment sich als Fehlschlag herausstellte und das Monster nicht mehr existierte.«

»Purer Zufall«, sagte Demeter.

Mit beiden Händen fuhr Danton sich in den Nacken und musterte seine Frau durchdringend. »Anfangs habe ich das sogar geglaubt. Als du jedoch vor vier Tagen angefangen hast, von nichts anderem als deinen neuen Reiseplänen zu reden, kam mir diese Geschichte wieder in den Sinn. Ich habe mit den Leuten vom HQ Hanse gesprochen und dabei etwas sehr Merkwürdiges erfahren.«

»Ich bin gespannt, welches Phantasieprodukt ich nun zu hören bekomme«, sagte Demeter spitz.

»Exakt an dem Tag, an dem dich wieder diese unerklärliche Unruhe erfasste, hat Quiupu ein neues Viren-Experiment gestartet.«

»Wie lustig.« Demeter feixte völlig unpassend. »Vielleicht bin ich eine heimliche Verehrerin Quiupus und seiner Winzlinge?«

»Werde nicht albern. Dafür ist die Situation zu ernst.«

»Musst du immer recht haben?« Die Wyngerin warf ihren Kopf in den Nacken und blickte Roi herausfordernd an.

»Ich bin mir sicher, dass du von diesen Dingen weißt«, beharrte Perry Rhodans Sohn. »Hast du den Namen Lokvorth schon gehört?«

»Lokvorth? Ein Verehrer?« Sie zuckte mit den Schultern.

Roi ging nicht auf die Bemerkung ein. Er spürte, dass sich die Unterhaltung gegen seinen Willen zuspitzte. Trotzdem bohrte er weiter.

»Lokvorth ist ein Planet in der Milchstraße. Dort führt Quiupu sein neues Experiment durch.«

Demeter lachte ironisch.

»Da siehst du, was du dir zusammenreimst. Die BASIS fliegt nach Norgan-Tur.«

»Würdest du mir die volle Wahrheit sagen, könnte ich wahrscheinlich den Zusammenhang zwischen Lokvorth und der Expedition der BASIS erkennen.«

Demeter lächelte anzüglich. »Du bist von einer fixen Idee besessen, Roi. Warum willst du die wahre Gefahr, die mich bedroht, nicht akzeptieren? Du kannst von mir nicht verlangen, dass ich wegen deines Eigensinns und deiner Engstirnigkeit zur Greisin werde.«

»Fixe Idee?« Danton winkte ab. »Lass endlich die Wahrheit hören ...«

»Wie du willst«, erwiderte Demeter kühl. »Ich packe ein paar Sachen, und wir fliegen in zwei Stunden. Dein Vater hat seine Zusage gegeben.«

Sie erhob sich, lächelte Roi zu und ging aus dem Zimmer. Krachend schlug die schwere Eichentür hinter ihr ins Schloss.

Roi Danton starrte eine Zeit lang auf die Tür. Dann tastete er sich am Getränkeautomaten einen doppelten Whiskey.

Rückblick:

Old Terranian Post – 3. Juni des Jahres 2 NGZ

»Payne Hamiller tödlich verunglückt«

Die Menschheit betrauert den Tod eines ihrer größten Wissenschaftler. Vor vier Jahren, als die Erde ins Solsystem zurückkehrte und der SOL-Geborene Hamiller erstmals von sich reden machte, nannte man ihn einen neuen Einstein. Sein Wirken hatte entscheidenden Anteil an der Stabilisierung unserer Heimatwelt auf ihrer angestammten Umlaufbahn um die Sonne.

In den Folgejahren, bis Hamiller mit der BASIS in die Milchstraße zurückkehrte, unterstützte er vor allem Perry Rhodan bei der Erforschung der geheimnisvollen Materiequellen. Seit dem Jahr 1 NGZ stürzte sich das Genie auf aktuelle wissenschaftliche Probleme, um den Aufbau der Kosmischen Hanse zu unterstützen. Neben seiner Mitwirkung an der theoretischen Grundlagenforschung für einen neuen Raumantrieb entwickelte er mit seinem Team die Hamiller-Tube, die neue Bordpositronik der BASIS. Bis zu seinem Todestag wurde diese Positronik jedoch nicht in Betrieb genommen.

Sein Vermächtnis hat Payne Hamiller wie folgt formuliert:

»Terraner! Die BASIS hat durch die Hamiller-Tube eine wesentliche Verstärkung erfahren. Viele von euch werden das vorerst nicht verstehen, denn der Zeitpunkt, zu dem sie aktiv werden wird, liegt in der Zukunft. Dann wird sich ihre Genialität offenbaren. Die Positronik wird den richtigen Zeitpunkt selbst erkennen und ihre Aktivierung eigenständig einleiten.«

Payne Hamiller starb, erst 36 Jahre alt, als er gestern Abend vom Mond zurückkehrte, in der Transmitterstation im Wissenschaftszentrum Terrania-Nord. Aus bislang ungeklärter Ursache explodierte unmittelbar nach seiner Ankunft das Steuerzentrum einer materielosen Energieleitung neben der Empfangshalle. Hamiller wurde von der Gewalt der entfesselten Energie buchstäblich atomisiert. Der Unglücksfall konnte in seinem Ablauf weitgehend rekonstruiert werden, ein Fremdverschulden ist demnach auszuschließen.

Hamiller hinterlässt keine Verwandten. Für seine Freunde und Mitstreiter wird er unvergessen bleiben.

Die Beisetzung findet im engsten Kreis der Führungsspitze der Liga Freier Terraner am 5. Juni 2 in den Katakomben des im Umbau befindlichen Imperium-Alpha statt.

Rückblick:

Das Neueste für 10 Soli – 3. Juni 3589 (Jahr 2 der unakzeptablen neuen Zeitrechnung)

»Hamiller tot! Selbstmord oder Attentat?«

Unter mysteriösen und bislang völlig ungeklärten Umständen schied Payne Hamiller aus dem Leben. Bei seiner gestrigen Ankunft im Transmitterbereich explodierte das halbe Wissenschaftszentrum Terrania-Nord.

Nach offizieller Darstellung soll es sich um einen Unglücksfall handeln, weil eine Energiestation überlastet wurde. Viele Anzeichen weisen indes darauf hin, dass entweder ein Anschlag auf das Zentrum verübt wurde oder dass die Detonation Hamiller selbst galt.

Aus vertrauenswürdigen Kreisen verlautet sogar, Payne Hamiller habe den Freitod gesucht, weil er mit seinem letzten Projekt (wir berichteten ausführlich über die Hamiller-Tube) einen enormen technischen und finanziellen Fehlschlag erlitt. Zudem hält sich seit Wochen hartnäckig das Gerücht aus der Spitze der Liga, dass dem Terranischen Rat für Wissenschaften sein Rücktritt nahegelegt wurde.

Ein wenige Zentimeter breites Metallband umspannte den kahlen Schädel des Mannes. Kaum sichtbare Datenleiter ragten daraus hervor. Beide Handgelenke waren mit High-End-Manschetten umwickelt. In den Stoff des Pilotensessels eingewebte Sensoren registrierten jede Bewegung. Das Stirnband und die Sensoren an den Handgelenken übertrugen Befehle an die Maschinen und Steuereinrichtungen der BASIS.

Das Auffälligste an dem massig wirkenden Mann waren seine Hände. Sie waren fast zur Gänze durchsichtig und von einem ständigen bläulichen Schimmer eingehüllt.

Diese Aura hatte Waylon Javier seit einem Unfall vor dreißig Jahren. Er sprach nicht einmal mit seinem Sohn Oliver über den Vorfall, aufgrund dessen er ein überaus feinfühliger und sensibler Mensch geworden war. Sensibel galt jedoch nicht für Javiers Gemütsverfassung, nur für den Umgang mit Maschinen.

Der Kommandant der BASIS war ein eher fröhlicher und humorvoller Mensch. Von Drill und militärischen Kommandos hielt er nichts.

Sandra Bougeaklis, seine Stellvertreterin, war hingegen kühl und entschlossen, in puncto Disziplin das genaue Gegenstück zu Javier. Für sie zählte, was ordentlich und streng nach Plan verlief. Unvorstellbar, dass sie einmal nicht in einer sauber gebügelten Kombination in der Hauptzentrale der BASIS erschienen wäre.

»Noch fünf Minuten bis zur Metagrav-Etappe«, gab Javier bekannt.

Er war nicht nur Kommandant der BASIS, sondern auch Pilot. Wegen seines Einfühlungsvermögens für das riesige Raumschiff konnten seine Leistungen mit denen eines Emotionauten verglichen werden, obwohl er nicht einmal im Ansatz über Parafähigkeiten verfügte. Die siganesischen Meisterwerke in Stirnband und Manschetten erlaubten ihm, praktisch jeden Vorgang in der BASIS wortlos zu steuern.

»Verstanden, Kommandant!«, antwortete Sandra Bougeaklis steif.

»Schon gut«, brummte Javier. »Achte auf die Berechnungen.«

Von Quinto-Center war vor wenigen Minuten Waffenmeister Dürk übernommen worden. Flugziel war nun wieder das Solsystem.

Javiers Kirlianhände fuhren über Kontrollinstrumente der Triebwerkspositronik. Was bei Menschen vorzüglich funktionierte, versagte bei der Positronik. So war es mehr eine unbewusste Geste, zu der sich der Kommandant hinreißen ließ.

Seine sanft leuchtenden Hände konnten schon mit einer leichten Berührung jeden aufgeregten Menschen beruhigen.

»Hamiller-Punkt ist fixiert«, meldete Bougeaklis. »Beschleunigung normal.«

»Achtung! Metagrav-Vortex«, sagte Waylon Javier kurz darauf.

Eine Markierung in den Holos zeigte deutlich, wo der Schwerkraftpunkt stand. Die Farbe der Markierung war Maßstab für den Grad der Aufladung.

Javiers Steuerkommandos ließen den fiktiven Punkt schnell dunkler werden. Nur wenige Lichtsekunden vor der BASIS entstand ein exakt bemessenes Pseudo-Black-Hole. Im Schiff selbst war von der Veränderung des umgebenden Kontinuums nichts zu bemerken. Auf den Schirmen tauchte lediglich für einen Sekundenbruchteil eine wabernde Masse auf, die sofort dem gleichmäßigen Schein der Grigoroff-Schicht Platz machte.

»Schirmfeld steht!« Oliver Javier klatschte begeistert in die Hände. »Wie lange bleiben wir diesmal im Hyperraum?«

Mit dem Gesicht eines Unschuldsengels saß Oliver schräg hinter seinem Vater. Der Sechsjährige lebte, solange er sich erinnern konnte, auf der BASIS. Er fragte nie nach seiner Mutter, denn Waylon sprach nicht von ihr.

Waylon Javier warf seinem Sohn einen nachdenklichen Blick zu. »Die Entfernung beträgt 28.444 Lichtjahre. Dafür brauchen wir knapp zehn Minuten.«

In dieser Flugphase lief alles automatisch ab. Sandra Bougeaklis überwachte die Kontrollen.

Waylon stand auf und ließ sich vor Oliver in die Hocke sinken. »Du passt gut auf«, lobte er den Jungen. »Später kannst du Kommandant der BASIS werden – oder eines noch imposanteren Raumschiffs.«

»Das hat Zeit, Dad.« Oliver winkte ab. »Ich weiß, wie sehr du das Schiff magst. Du kannst ruhig Kommandant bleiben. Außerdem müsste ich ja die Besatzung auswechseln.«

»Warum das?« Waylon Javier war ehrlich erstaunt.

»Du sagst doch immer, alles hier sei ein Trümmerhaufen.«

»Rücksturz in den Normalraum!«, meldete Bougeaklis.

Übergangslos wurden die Sterne sichtbar. Der Kommandant und Pilot war da schon wieder an seinem Platz.

»Berechnete Position nicht erreicht«, meldete die Triebwerkspositronik.

Abweichung?, dachte Javier.

»Abweichung 371 Lichtjahre.«

»Also der gleiche Fehler wie beim Hinflug.« Javier setzte sich mit Mitzel in Verbindung, der im Heck der BASIS die Peripherieanlagen des Triebwerks prüfte.

»Ich finde keinen Fehler«, berichtete der Bordingenieur. »Wir wissen nur, dass es ein Bug in der Software sein muss. Mir ist das ein Rätsel. Sobald wir wieder im Orbit um Terra sind, werde ich alles genauestens prüfen.«

»Zeitbedarf?«, fragte Bougeaklis.

Javier überhörte die Frage geflissentlich. »Wie viel Zeit planst du ein, Mitzel?«, fragte er gelassen.

»Eine Stunde ausschließlich mit Bordmitteln«, antwortete der Arkonide. »Lediglich die Hälfte, falls wir einen direkten Kontakt zu NATHAN schalten.«

»Wir machen es selbst«, entschied Javier.

»Aber Perry Rhodan drängt«, beschwerte sich Bougeaklis. »Wenn wir weiterhin unnötig Zeit verlieren, droht Ärger.«

»Bereite lieber die Restetappe zum Solsystem vor!«, verlangte Javier. »Für den Ärger bin ich verantwortlich.«

Eigenartigerweise trat die Entfernungsabweichung während des Flugs über die restlichen 371 Lichtjahre nicht auf. Ohne weitere Vorkommnisse kehrte die BASIS ins Solsystem zurück. Javier schwenkte in einen Orbit um Terra ein.

Aus dem Interkom erklang ein hallender Gongschlag.

»Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren«, sagte eine etwas gestelzte, aber wohlklingende Stimme. »Hier spricht Payne Hamiller! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, mich bei Ihnen zu melden. Meine Begrüßung verbinde ich mit der Hoffnung auf eine gute, wirkungsvolle und vor allem lange Zusammenarbeit.«

Die Menschen in der Hauptzentrale sprangen auf. Die Verwirrung war allen anzusehen.

Javier schaute zu seinem Sohn, aber Oliver schüttelte nur den Kopf.

Les Zeron, der Multiwissenschaftler der BASIS, stürmte in die Zentrale. »Leute!«, rief er mit sich überschlagender Stimme. »Die Hamiller-Tube hat sich eingeschaltet. Das Ding steht unter voller Beleuchtung.«

Zum ersten Mal seit Jahren zitterten Waylon Javiers Hände.

Rückblick:

Das Neueste für 15 Soli – 11. August 3 (Gemäß Gerichtsbeschluss auf Betreiben des Terranischen Rats für Recht wurde uns der Abdruck der alten Zeitrechnung untersagt)

»Payne Hamillers Vermächtnis kurz vor der Aufklärung?«

Der vor über einem Jahr verstorbene Wissenschaftler hat der BASIS ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Das jedenfalls behauptete der Technische Assistent Henry C. bis kurz vor seinem Tod. Nach seiner Überzeugung hat der frühere Rat der LFT vor seinem so überraschenden Ableben dafür gesorgt, dass sein Gehirn konserviert wurde. C. will gewusst haben, dass eine Automatik das Gehirn in eine spezielle Kammer der Hamiller-Tube an Bord der BASIS eingepflanzt hat. Bekanntlich hat sich nach Hamillers Unfalltod herausgestellt, dass die von »15 Soli« geäußerte Vermutung richtig war. Die angebliche Positronik ist totes und vergeudetes Material.

Bis heute wurden die Umstände von Hamillers Unfalltod nicht restlos geklärt. Offizielle Stellen schweigen über den tatsächlichen Hergang. Eine von dritter Seite vorgenommene ortungstechnische Untersuchung der Grabkammer in den Katakomben des neuen HQ Hanse hat jedoch gezeigt, dass Hamillers Körper nicht völlig verbrannt sein kann, wie es ursprünglich gemeldet wurde.

Die nächste Überraschung erlebte Roi Danton knapp eine Stunde, nachdem er in aller Ruhe den doppelten Whiskey genossen hatte. Demeter war verschwunden. Er stellte fest, dass sie auf ihr Vorhaben, einige Sachen einzupacken, verzichtet hatte. Sowohl ihre Kleidungsstücke als auch die Kosmetika waren unberührt.

Von den drei im Nebengebäude stehenden Gleitern fehlte einer. Verärgert ging Danton ins Haus zurück. Das positronische Notizbuch in der Eingangshalle, in dem sowohl Demeter als auch er selbst jeweils wichtige Nachrichten notierten, enthielt keinen neuen Eintrag.

Das Verhalten seiner Lebensgefährtin war Roi ein Rätsel. Erst diese seltsame Unruhe und ihr Drängen, an Bord der BASIS zu gehen, nun ihr sang- und klangloses Weggehen. Oder sollte er besser Flucht dazu sagen?

Roi Danton meldete sich bei seinem Vater.

»Du schon wieder?«, staunte Perry Rhodan. »Habt ihr es euch anders überlegt?«

»Das nicht.« Danton konnte seine Verwirrung schlecht verbergen. »Demeter ist verschwunden.«

»Was heißt ›verschwunden‹?«

»Ich weiß es selbst nicht. Demeter benimmt sich eigenartig. Sie glaubt, sie müsste die Erde mit der BASIS verlassen, weil sie andernfalls altern würde. Für Gegenargumente ist sie nicht zugänglich.«

»Ihr habt euch gestritten?«, fragte Rhodan vorsichtig.

»Man könnte es so nennen. Es gab eine Diskussion über den Sinn ihres Vorhabens.«

»Vielleicht hat sie sich allein auf den Weg hierher gemacht?«

»Das vermute ich auch. Immerhin fehlt ein Gleiter. Ich komme ins HQ. Wenn Demeter auftaucht, halt sie bitte fest.«

»Und wenn sie nicht hierherkommt?«

Danton zuckte mit den Schultern. »Sie hat etwas vor, was sie mir verschwiegen hat. Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber ich weiß, dass ich sie schnell finden muss.«

»Gucky ist hier«, sagte Rhodan. »Wenn du Hilfe brauchst, steht dir der Kleine bestimmt zur Verfügung.«

»In Ordnung.« Danton war sich klar darüber, dass sein Lächeln missglückte. »Wann startet die BASIS?«

»Jen Salik drängt mich. Zurzeit gibt es zwar eine kleine technische Schwierigkeit, aber ich rechne mit keiner nennenswerten Verzögerung. Morgen. Zumindest gibt es bislang keinen anderen Termin.«

»Und wenn ich dich bitte zu warten, bis ich Demeter gefunden habe?« Danton fuhr sich nervös durchs Haar.

»Heute ist der 17. Dezember«, sagte Rhodan nachdenklich. »Wenn der Flug für Demeter wirklich so wichtig ist, bin ich bereit, ein paar Tage zu warten. Jen Salik wird zwar toben, aber fünf Tage erscheinen mir vertretbar. Dann startet die BASIS, ob Demeter an Bord ist oder nicht.«

»Danke.«

Was Danton verunsicherte, war die Tatsache, dass Demeter keinen Hinweis hinterlassen hatte.

Während des Fluges nach Terrania nahm er Kontakt mit dem Raumhafen auf. Dort war Demeter bislang nicht erschienen. Deshalb flog Roi auf direktem Kurs zum Hauptquartier der Hanse.

Eine unerklärliche Hast trieb ihn voran. Als er durch die Korridore des ehemaligen Imperium-Alpha eilte, blickten ihm viele erstaunt nach. »Noch einer im Hamillerwahn«, hörte er jemanden sagen. Hamiller, überlegte er kurz. Der Wissenschaftler hätte liebend gern Demeter für sich gewonnen.

In Rhodans Arbeitszimmer herrschte Hektik. Danton merkte sofort, dass er wenig willkommen war. Mindestens ein Dutzend Menschen hatten sich versammelt. Reginald Bull und Julian Tifflor gehörten dazu. Perry Rhodan führte ein angeregtes Gespräch über Interkom.

Danton packte Tifflor am Arm und zog ihn zur Seite. »Was, zum Teufel, ist hier los?«, erkundigte er sich.

»Die Sensation des Jahres.« Der Erste Terraner grinste vielsagend. »Erst war ich der Konservative, weil ich mich weigerte, dem Abbau der Hamiller-Tube zuzustimmen. Nun hat sie sich aktiviert, und die BASIS wird zum Tollhaus. Die Leute dort drehen regelrecht durch.«

Gab es einen Zusammenhang mit Demeters Verschwinden? Danton wollte sich erst über die Vorkommnisse informieren. Die Geschichte der ominösen Hamiller-Tube kannte er längst.

Das unruhige Murmeln verstummte, als Kommandant Javier in einem Übertragungsholo sichtbar wurde.

»Waylon, wir haben uns eine Ewigkeit nicht um die von Hamiller installierte Positronik gekümmert«, sagte Perry Rhodan. »Im Nachhinein gesehen ein unverständliches Versäumnis. Wenn das Ding sich plötzlich einschaltet, muss das einen besonderen Grund haben. Den will ich wissen. Unternehmt alles, um Licht in diese Sache zu bringen, aber zerstört die Hamiller-Tube nicht. Ich vermute einen viel tiefer greifenden Zusammenhang.«

»In Ordnung.« Javier wirkte leicht fahrig. Dass ausgerechnet auf seinem Schiff so etwas geschehen konnte, nahm ihn sichtlich mit. »Dass sich der Blechkasten aktiviert hat, ist nicht das einzige Problem. Viel schlimmer ist, dass er sich nicht als Positronik bezeichnet. Er behauptet allen Ernstes, er sei Hamiller selbst.«

»Dabei kann es sich nur um einen makabren Scherz handeln«, folgerte Rhodan.

»Das meine ich auch. Andererseits habe ich eine Menge Leute an Bord, die behaupten, dass Hamillers Gehirn in der Positronik stecke. Es hat früher schon solche Gerüchte gegeben, und sie sind offenbar nicht totzukriegen. Ich glaube diesen Unsinn natürlich nicht. Aber einer meiner Leute ist im Besitz eines Zeitungsartikels aus dem Jahr 2. Der Bericht spricht von Hamillers Gehirn in der Positronik.«

»Ammenmärchen helfen uns nicht weiter, Waylon. Du bist Hyperphysiker und hast genügend Fachleute an Bord. Geht die Sache wissenschaftlich an, ich erwarte klare Informationen. Bis dahin wird der Start der BASIS auf unbestimmte Zeit verschoben.«

Roi Danton entdeckte Jen Salik, der sich zu Rhodan durchdrängelte.

»Der Start darf nicht weiter hinausgezögert werden!«, verlangte der Ritter der Tiefe. »Diese alte Positronik hat nichts mit unseren Plänen zu tun. Jeder Tag mehr vergrößert die Gefahr.«

Perry Rhodan seufzte. Während er sich erhob, erblickte er Danton und winkte ihn zu sich heran. »Hast du Demeter gefunden? Falls nicht: Ich habe schon mit Gucky gesprochen. Der Ilt wird dich unterstützen. Soll ich ihn rufen?«

»Nicht mehr nötig, Freunde!«, rief Gucky. Der Mausbiber war unmittelbar neben Danton materialisiert, ergriff ihn bei der Hand und teleportierte.

Sie materialisierten im Wohnraum von Guckys Bungalow am Goshunsee.

»Du hast ein Problem, Mike, altes Haus?«, fragte der Ilt. »Perry hat mir nur verraten, dass Demeter verschwunden ist.«

»So ist es, Gucky. Sie plant etwas, von dem ich nichts weiß. Ich kann nur vermuten, dass es mit dem Start der BASIS zu tun hat.«

Danton berichtete, was er von seiner Lebensgefährtin erfahren hatte.

»Es wird nicht einfach sein, sie zu finden«, stellte Gucky fest. »Demeter hat zwar eine besondere Ausstrahlung, aber sie kann sich sehr gut abschirmen. Ich glaube nicht, dass sie schon auf der BASIS ist.«

Rückblick:

27. Januar 295 NGZ

Terra-Info – Der terranische Trivid-Informations- und -Beratungsdienst. Gegen die geringe monatliche Gebühr von 22 Galax ist der Empfang überall im Solsystem über das Hyperfunknetz garantiert.

»Die folgende Sendung befasst sich mit der Entwicklung des von dem legendären Wissenschaftler Payne Hamiller aufgestellten Programms zur Verbesserung der Raumantriebe.«

Diese Sendung ist unter der Kodenummer 295-W33-513 jederzeit abrufbar. Die positronische Stichwortsuche wird am 1. Juli 296 in Betrieb genommen.

Die Tatsache, dass Energien aus dem Hyperraum durch Anzapfung nutzbar gemacht werden können, ist seit der Zeit des Konzils der Sieben bekannt. Liga Freier Terraner und Kosmische Hanse arbeiten mittlerweile über 200 Jahre an der Vervollkommnung dieses Prinzips der Nutzung unerschöpflicher Energiequellen. Bahnbrechend waren die Studienarbeiten Payne Hamillers. Die ersten Prototypen, speziell ausgelegt für Raumschiffsantriebe, wurden nun getestet. Diversen Rückschlägen zum Trotz kann von einem begeisternden Erfolg gesprochen werden. Es ist damit zu rechnen, dass ab dem Beginn des 5. Jahrhunderts alle Raumschiffe mit dem Hypertrop ausgerüstet werden.

Ein Hypertrop ist die technische Vorrichtung für die Anzapfung des Hyperraums. Die gewonnene Energie wird in neu entwickelten Speichern (Gravitraf-Speicher) aufbewahrt. Damit entfällt das Mitführen riesiger Treibstoffmengen in dicht gepackter Form, das gilt ebenso für die hochenergetischen Käfige der verdichteten Kernmaterie. Da nur von Zeit zu Zeit eine Anzapfung des Hyperraums erfolgen muss, wird die diesen Vorgang begleitende trichterförmige Leuchterscheinung nicht zu oft sichtbar und anmessbar sein.

Das getestete Triebwerk trägt die Bezeichnung Metagrav. Seine Funktionsweise unterscheidet sich grundsätzlich von allen bekannten Prinzipien. Beim unterlichtschnellen Flug, in der sogenannten Einstein-Phase, wird in Flugrichtung ein einseitig gepoltes Schwerkraftzentrum projiziert: der virtuelle G-Punkt oder auch Hamiller-Punkt. Das Raumschiff wird in Richtung auf diesen Punkt beschleunigt. Da sich der Hamiller-Punkt unabhängig vom Ort seines Entstehens, dem Metagrav-Triebwerk, ständig von diesem zu entfernen versucht und da diese Energieform ebenfalls von der Gravowirkung unabhängig ist, wird das dem virtuellen G-Punkt folgende Raumschiff somit kontinuierlich beschleunigt.

Um auf Überlichtgeschwindigkeit zu gelangen, muss der Hamiller-Punkt energetisch verstärkt werden, bis der Metagrav-Vortex entsteht. Dessen energetische Zustandsform entspricht weitgehend der eines Schwarzen Lochs – unsere Wissenschaftler sprechen von einem Pseudo-Black-Hole. In dieses stürzt das Raumschiff, wobei durch geeignete Vektorierung und Berechnung des Energiegehalts des überladenen Hamiller-Punkts Flugweite und Geschwindigkeit festgelegt werden. Die beim Übergang entstehende schwache Gravitationsschockwelle ist nur über geringe Entfernung anmessbar.

Für die Dauer des Aufenthalts im Hyperraum sind besondere Schutzmaßnahmen erforderlich. Durch die Grigoroff-Projektoren wird ein Schirmfeld erzeugt, die sogenannte Grigoroff-Schicht. Sie umhüllt das Fahrzeug so, als besäße es einen eigenen mikrokosmischen Raum. Im Innern dieser Hüllschicht gelten jedoch die bekannten physikalischen Gesetze ohne Einschränkung weiter. Die Gravitraf-Speicher sind in ihrer Kapazität so ausgelegt, dass alle Energieverbraucher für einen Flug zwischen mehrere 100 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxien versorgt werden können.

Mit dem Metagrav-Triebwerk bewegt sich ein Raumschiff permanent im freien Fall. Statische Forderungen an die Rumpf- und Hüllstrukturen werden dadurch bedeutungslos.

2.

Auf dem Panoramaschirm in der Zentrale erschien ein kunstvoll verschnörkeltes H. »Am besten ist es, wenn Sie über diesen Anschluss mit mir sprechen«, ließ sich die Hamiller-Tube vernehmen.

»Ich möchte zunächst eins feststellen«, entgegnete Waylon Javier laut. »Du bist eine Positronik, und wir siezen uns schon lange nicht mehr. In den letzten 422 Jahren hat sich einiges weiterentwickelt.«

»Es steht in Ihrem Ermessen, wie Sie mich ansprechen. Und in meinem, wie ich zu Ihnen rede.«

»Meinetwegen.« Javier winkte ab. »Ich verlange einige Erklärungen. Punkt eins: Aus welchem Grund hast du dich ausgerechnet heute eingeschaltet?«

»Vor langer Zeit lebte ein Ehepaar, Mister Javier, das wünschte sich sehnlich ein Kind«, sagte die Hamiller-Tube steif und förmlich. »Als sie tatsächlich einen Sohn bekamen, hegten und pflegten sie ihn. Das Kind hieß Payne – und genau nach dieser uralten Erzählung habe ich meinen Namen Payne bekommen. Jener Junge wuchs heran, aber er sagte kein Wort. Als er drei Jahre alt war, suchten seine Eltern die besten Ärzte auf, die es zu jener Zeit gab. Sie erhielten überall die gleiche Antwort: Payne sei gesund, allerdings stumm. Einen organischen Fehler konnte niemand feststellen. Die Eltern fanden sich schließlich mit ihrem Schicksal ab und liebten ihr Kind seiner Behinderung wegen mehr als zuvor. Der Junge wuchs heran. Als er siebzehn Jahre alt war, saß die Familie eines Abends gemeinsam beim Essen. Plötzlich sagte Payne: ›Das Salz fehlt.‹ Die Eltern sprangen vor Freude auf, die Mutter weinte. ›Mein Gott‹, stammelte sie. ›Junge, du kannst ja sprechen. Warum hast du nie ein Wort gesagt?‹ Payne antwortete: ›Bis heute war immer alles da.‹ – Nun wissen Sie, Mister Javier, warum ich so lange geschwiegen habe.«

»Ich weiß nicht, ob ich über diesen Unsinn lachen oder weinen soll.«

»Das ist selbstverständlich in Ihr Ermessen gestellt. Haben Sie weitere Fragen?«

»Natürlich, Du bist eine Positronik. Gerüchte kursieren, die behaupten, dass in dir das Gehirn des verstorbenen Payne Hamiller integriert sei. Ich verlange eine hinreichende Erklärung.«

»Diese Erklärung ist einfach zu geben, obwohl sie unwichtig ist. Ich hatte eher erwartet, dass Sie Fragen zu den aktuellen Problemen stellen.«

»Beantworte meine Frage, Positronik!«, verlangte Javier. »Es gibt immer noch die Möglichkeit, dich aus meinem Raumschiff zu entfernen.«

»Theoretisch ja.« Die Hamiller-Tube schien keineswegs beunruhigt. »Aber Sie werden nicht so unklug sein, sich Ihres wichtigsten Helfers zu entledigen. Im Übrigen ist die BASIS nicht Ihr Raumschiff. Sie ist unser Raumschiff.«

»Du sollst die Frage nach dem Gerücht um Hamillers Gehirn beantworten.«

»Bitte sehr, Mister Javier: Ich bin Hamiller.«

»Was ist mit dem Gerücht?«

»Jedes Gerücht besteht aus etwas Wahrheit und ebenso viel Erfundenem. So ist es auch hier. Ihnen dürfte bekannt sein, dass ich der Erbauer Ihres wichtigsten Helfers bin. Mehr kann ich vorerst dazu nicht sagen.«

Waylon Javier schüttelte den Kopf. Wie sollte er mit dieser kokettierenden Positronik zusammenarbeiten? Er hatte sich bereits entschieden, dass der eigenartige Kasten verschwinden musste.

»Wir werden dich zerlegen, um dein Geheimnis zu ergründen!«

»Einem solchen Vorhaben kann ich nicht zustimmen«, sagte die Positronik. »Sie und ich sollten uns vielmehr bemühen, uns an eine wirkungsvolle Zusammenarbeit zu gewöhnen. Sie brauchen mich, ich brauche Sie. Die Zeit ist reif, Ihnen dies mitzuteilen. Den Beweis für die Notwendigkeit werden Sie selbst bald erkennen.«

»Ich verstehe kein Wort.«

»Das ist nicht tragisch. Ich schlage vor, wir kümmern uns zunächst um die anstehenden Probleme. Der Start nach Norgan-Tur kann ohnehin noch nicht erfolgen, da wir nicht komplett sind. Ich werde die Zeit nutzen, um meine Systeme und die der BASIS zu testen. Machen Sie sich auf kleinere Überraschungen gefasst.«

»An Bord geschieht nichts ohne meinen Befehl«, erinnerte Javier, der Unheil heraufziehen sah.

»Das ist richtig, Mister Javier«, bestätigte die Hamiller-Tube. »Ich handle nur in Ihrem Sinn und Auftrag, wenn ich die BASIS vor dem Start einigen Prüfungen unterziehe.«

Roi Danton und Mausbiber Gucky waren mit einem Spezialgleiter aus dem HQ Hanse abgeflogen. Ihre ersten offiziellen Nachforschungen nach Demeter blieben ohne Ergebnis.

Auf der BASIS galt es als ausgeschlossen, dass Demeter an Bord gekommen sei. Alle Transmitter standen unter ständiger Überwachung. Roi gewann während seiner Nachfragen den Eindruck, dass auf dem Fernraumschiff ziemliche Hektik herrschte. Alles konzentrierte sich dort auf die Erforschung der Hamiller-Tube, und eigentlich interessierte das Perry Rhodans Sohn nur am Rand. Schließlich spekulierte er mit dem Gedanken, dass die plötzliche Aktivierung der Positronik etwas mit Demeters eigenartigem Verhalten zu tun haben könnte.

Roi Danton konzentrierte die Suche auf Demeters Gleiter und schaltete die Verkehrskontrolle von Terrania ein. Gucky hingegen suchte telepathisch eine Spur der Wyngerin.

Danton flog die riesigen Parkräume am Raumhafen ab, als von der Verkehrskontrolle ein Hinweis kam. Demeters Gleiter war in Terrania registriert worden, die Spur verlor sich aber rasch.

In Terrania lebten 75 Millionen Menschen. Eine einzelne Person konnte sich hier unbegrenzt lange verborgen halten.

Roi verließ sich trotz seiner Zweifel auf Demeters Aussage, dass sie zur BASIS wollte. Nach über einer Stunde meldete sich die Verkehrskontrolle wieder.

»Hallo, Roi Danton.« Eine junge Frau lachte ihn vom Monitor entgegen. »Wir sind auf das gesuchte Fahrzeug gestoßen. Deine Frau hat Terrania vor rund einer Dreiviertelstunde in südlicher Richtung verlassen. Als Flugziel käme der Raum um Kalkutta infrage.«

Roi dankte und änderte den Kurs. Er meldete sich aus dem Leitnetz ab und zog den Gleiter höher, nutzte den Bereich für freie Flüge mit hoher Geschwindigkeit.

»Stopp!«, rief Gucky eine halbe Stunde später. »Irgendwo da unten hat sich ein Mann eben über das seltsame Verhalten einer Frau gewundert. Das kann nur Demeter gewesen sein.«

Danton blickte auf die einsame Landschaft hinab. Kalkutta war noch über 150 Kilometer entfernt. »Was mag sie in dieser gottverlassenen Gegend suchen?«

Der Gleiter sank tiefer, flog in ein von dichten Wäldern gesäumtes Tal ein.

»Weiter!«, drängte der Mausbiber. »Es muss irgendwo dort vorn sein.«

Ein altes Gehöft wurde sichtbar.

»Ich habe das Gefühl, dass Demeter und ich vor sehr vielen Jahren schon einmal hier waren«,überlegte Danton. »Es muss kurz nach der Unterzeichnung unseres Ehevertrags gewesen sein.«

»Sonst fällt dir nichts dazu ein?«, fragte Gucky.

»In der Nähe gab es ein Spezialitätenrestaurant in sehr romantischer Lage.«

Sie landeten vor dem Haupthaus. Drei kleinere Hütten standen ein wenig abseits an einem kleinen See.

Ein älterer Mann kam auf den Gleiter zu und grüßte freundlich. Seine Hand fuhr an die Stirn, als er sah, wer da gekommen war. »Gucky ...«, brachte er gerade noch hervor.

»Das ist er!«, sagte der Ilt mit Bestimmtheit.

Roi Danton trat auf den Mann zu und stellte sich vor. Sein Gegenüber schluckte mehrmals kräftig und räusperte sich.

»Ich erkenne dich, natürlich. Mein Name ist Lun Chang. Wenn ich mich nicht täusche, suchst du deine Frau ...«

»Sie war hier?«

»Bis vor einer halben Stunde. Leider habe ich Demeter nicht sofort erkannt, obwohl man ja sonst alle berühmten Leute aus der Terra-Info ...«

»Wo ist sie hin? Was wollte sie hier?« Danton sprudelte die Fragen heraus.

»Demeter flog nach Norden, soweit ich das beurteilen kann. Und was sie hier wollte? Das ist eine merkwürdige Sache. Sie hat mir ein Dutzend Bretter und etliche Beschläge abgekauft. Es sah so aus, als wolle sie eine Kiste zimmern. Ich habe ihr angeboten, ihr eine fertige Kiste zu verkaufen. Immerhin verfüge ich über ein reichhaltiges Lager und liefere weit in die Umgebung. Sie hat das strikt abgelehnt und mir auch nicht verraten, was sie vorhat. Stimmt etwas nicht?«

»Nein, nein«, wehrte Danton ab. »Danke für die Auskunft.«

»Lun Chang hat alles gesagt, was er wusste«, stellte Gucky fest, als der Gleiter wieder an Höhe gewann. »Andernfalls hätte ich schon nachgeholfen. Aber mir geht etwas anderes durch den Kopf. Wenn Demeter wieder nach Norden geflogen ist, kann ihr Ziel nur erneut Terrania sein. In dem Fall hätten wir uns unterwegs nahe kommen müssen. Ich konnte sie trotzdem nicht espern.«

»Was mag sie mit den Brettern wollen?«

»Keine Ahnung«, sagte Gucky.

Danton schaltete erneut eine Verbindung zur BASIS, erhielt aber keine Antwort.

»Es ist zum Verrücktwerden, Perry.« Waylon Javier führte das dritte persönliche Gespräch mit Rhodan innerhalb einer Stunde. »Wir kommen an die Hamiller-Tube ohne Gewaltanwendung nicht heran. Die ersten tief greifenden Analysen haben erkennen lassen, dass es im Innern des Kastens mehrere blinde Flecken gibt. Am liebsten würde ich die ganze Positronik auseinandernehmen und von Bord schaffen.«

»Nein!«, sagte Rhodan hart. »Hamiller war ein genialer Wissenschaftler. Er hat nichts Sinnloses hinterlassen. Wenn sich seine Positronik gerade jetzt meldet, hat das einen tieferen Grund.«

»Die Hamiller-Tube hat Tests angekündigt, sie will sich selbst und die BASIS überprüfen. Mir schwant Unheil.«

»Du lehnst die Positronik gefühlsmäßig ab, Waylon«, vermutete Rhodan. »Das ist der falsche Weg.«

»Die Tube gibt uns Rätsel auf. Ihre Antworten sind teils von zwingender Logik, teils albern und an den Haaren herbeigezogen. Du solltest dich selbst davon überzeugen, bevor wir mit dieser Höllenmaschine nach Norgan-Tur aufbrechen.«

Der Erste Sprecher der Hanse überlegte kurz. »Sobald ich hier entbehrlich bin, werde ich zu einem Besuch an Bord kommen.«

Sandra Bougeaklis erschien im Aufnahmebereich. Ihr war die Erregung ebenfalls anzusehen. »Du musst dir das genau überlegen, Perry. Die Hamiller-Tube hat unter anderem behauptet, wir könnten vorerst nicht starten, da wir nicht komplett sind. Wir verstehen das so, dass jemand an Bord fehlt. Die Mannschaft ist aber vollzählig. Der Verdacht lässt sich nicht von der Hand weisen, dass du gemeint bist. Fragen beantwortet die Positronik ausweichend.«

»Das ist erstaunlich.« Rhodan dachte an seinen Sohn und an Demeter, die eine Mitflugerlaubnis erbeten hatten. Bestand ein Zusammenhang? Das Wort »unmöglich« hatte sich in der Geschichte der Menschheit oft als sehr brüchig erwiesen.

»Ich rede selbst mit der Positronik«, entschied Rhodan. »Der Start wird sich ohnehin verzögern. Was ist mit dem Fehler im ...?« Der Monitor zeigte nur noch ein unruhiges Flimmern.

Nicht einmal die Funkzentrale des HQ Hanse hatte eine Erklärung für die plötzliche Unterbrechung. »Es tut mir leid, aber alle Kanäle zur BASIS auf Hyper- und Normalfunk sind von dort aus unterbrochen worden«, sagte der diensthabende Schichtführer, »Anrufe werden ignoriert.«

Rhodan gab vorsorglich Alarm.

Minuten später meldete sich Reginald Bull. »Ich bin in der Ortungsstation, Perry. Die BASIS hat sich soeben in ihr Grigoroff-Schirmfeld gehüllt. Damit ist das Schiff quasi aus unserem Universum verschwunden. Wir können nur abwarten.«

»Meine Damen und Herren, ich habe die Vorbereitungen abgeschlossen«, tönte die Positronik. Von einer Sekunde zur nächsten wurden die Sender der BASIS abgeschaltet.

»Bist du verrückt geworden?«, schrie Sandra Bougeaklis. »Gib sofort die Funkanlage wieder frei!«

»Es tut mir aufrichtig leid, aber die notwendigen Tests haben Vorrang vor allen anderen Maßnahmen. Bitte begeben Sie sich in Ihre Aufgabenbereiche. Kontakte zur Außenwelt sind bis auf Weiteres nicht möglich. Sie würden die Testergebnisse unzulässig verfälschen.«

»Er hat den Grigoroff-Schirm eingeschaltet«, rief die Stellvertretende Kommandantin. »So ein Wahnsinn.«

Immer mehr Elemente schienen ihre Funktion einzustellen. Die Schirme der Außenbeobachtung waren plötzlich leer. Waylon Javier forderte die Hauptpositronik auf, die vorgenommenen Schaltungen rückgängig zu machen.

»Ich habe keine Möglichkeit dazu, Kommandant«, antwortete das System, mit dem Javier jahrelang zusammengearbeitet hatte. »Die neu aktivierte Einheit Hamiller hat sich so integriert, dass sämtliche Systeme der BASIS nur auf Anweisung Hamillers arbeiten können.«

Javier blickte sich hilflos um.

»Holt Mitzel her!«, fauchte er. »Und Dürk soll einen Kampftrupp zusammenstellen. Notfalls gehen wir mit Gewalt gegen diese verrückte Positronik vor.«

»Sie haben völlige Handlungsfreiheit, Mister Javier«, erklang wieder die Stimme der Hamiller-Tube. »Es bleibt Ihnen unbenommen, sinnlose Versuche gegen mich zu starten. Natürlich dürfte Ihnen und Ihrer Mannschaft bewusst sein, dass Sie keinen Erfolg haben werden. Notfalls führe ich sämtliche Tests allein durch.«

»Halt den Mund!«, schnaubte Javier.

»Achtung! Wir nehmen Fahrt auf und verlassen den Orbit um Terra«, sagte die Positronik. »Bitte bereiten Sie eine Überlichtetappe vor.«

Bougeaklis trat an Javiers Seite. »So kommen wir nicht weiter«, raunte sie. »Das müssen wir anders angehen.«

Javier zog die Brauen hoch. »Und wie?«

»Das Metagrav-Triebwerk kann derzeit nicht eingeschaltet werden«, sagte Bougeaklis laut. »Die Vektorierung weist Fehlfunktionen auf. Während der letzten beiden Flüge ist die BASIS stets in einer zu kurzen Distanz in den Normalraum zurückgekehrt.«

Die geheimnisvolle Positronik schwieg einen Augenblick. »Tatsächlich«, erklang es nach zwei oder drei Sekunden. »28.444 Lichtjahre Soll. Nur 28.073 Lichtjahre Ist. Ich habe mir die Daten geholt. Warten Sie bitte einen Moment.«

Javier und seine Stellvertreterin sahen einander vielsagend an. Sandra Bougeaklis deutete auf die Anzeigen. »Wir verlassen das System mit eingeschaltetem Grigoroff.«

Der Kommandant nickte nur. Er fühlte sich hilflos. Das Leuchten seiner Kirlianhände schien um eine Nuance dunkler geworden zu sein.

»Der Fehler ist lokalisiert«, meldete die Hamiller-Tube. »In der Programmierung der Triebwerkspositronik wurde anstelle des richtigen Programms das Fragment eines Testprogramms belassen. In diesem wird nur mit Näherungswerten gearbeitet. Pi-Quadrat ist in einer Position durch den Wert zehn ersetzt. Eine ziemliche Schlamperei, die künftig nicht mehr vorkommen wird, da Hamillers Geist über Sie wacht. Ich habe die notwendige Korrektur veranlasst.«

»Wohin geht die Reise?«, fragte Javier.

»In die Eastside«, antwortete die Tube bereitwillig. »Die Jelebs, ein aufständisches Bluesvolk, haben eine neue Waffe entwickelt. Damit bedrohen sie einige Völker der GAVÖK. Sie, das Schiff und ich können uns dort bewähren.«

»Ich habe nie von einem Bluesvolk dieses Namens gehört!«, rief Javier aufgebracht.

»Das ist nicht meine Schuld.« In der Stimme der Positronik schwang echtes Bedauern mit. »Wir gehen gleich in die Überlichtphase. Dieser Teil gehört zu den Tests, die ich mit der BASIS durchführe. Wenn es zur eigentlichen Auseinandersetzung kommt, werden Sie auf sich selbst gestellt sein. Dann wird die Besatzung auf ihre Eignung überprüft. Konzentrieren Sie sich also auf Ihre Aufgaben.«

»Ich spiele da nicht mit, Blechkasten«, sagte Javier eisig. »Ohne Auftrag der Hanse oder der Liga unternehme ich nichts. Ich will sofort mit Perry Rhodan sprechen.«

»Die Anrede Blechkasten entspricht nicht meinem Stil«, kam die beleidigt klingende Antwort. »Mit Rhodan können Sie sprechen, sobald der jetzige Auftrag erledigt ist. Ich leite die Überlichtphase ein.«

Javier ließ sich schwer in den Kommandosessel fallen. Sein Sohn kam zu ihm und legte ihm tröstend eine Hand auf den Unterarm. »So schlimm wird es nicht sein«, meinte der Junge. »Dieser Hamiller ist bestimmt nicht bös.«

»Ich wünschte, du könntest verstehen, was hier vorgeht«, antwortete Waylon niedergeschlagen. »Ich komme mir vor wie in einem schlechten Trividfilm.«

Wenigstens übermittelten die Anzeigen ein Bild von dem, was mit dem Riesenschiff vorging. Die Hamiller-Tube hatte eine Etappe von knapp 68.000 Lichtjahren vorgesehen. Die BASIS stürzte in das Pseudo-Black-Hole.

»Terra ade«, murmelte Waylon Javier sarkastisch.

Inzwischen waren der Bordingenieur und der Waffenmeister in der Hauptzentrale erschienen.

»Ich habe alles über die durchgedrehte Positronik erfahren«, knurrte der grauhaarige Waffenspezialist. »Eine Sprengung ist vorbereitet. Du brauchst nur noch das Kommando zu geben.«

»Warte damit!«, entschied Javier.

Er wandte sich dem Arkoniden zu. »Du hast lange genug an der Hamiller-Tube herumgebastelt. Erklär mir, was mit der Positronik vorgeht!«

Mitzel schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, die Kiste zu aktivieren. Jahrelang habe ich davor gesessen, aber sie hat keinen Pieps von sich gegeben. Was jetzt geschieht, ist mir ein Rätsel. Ich kann dir nur sagen, dass es sich um eine etwas eigenwillige, aber sehr leistungsfähige Positronik handelt. Sie hat den Überlichtflug schneller und präziser geschaltet, als wir es bislang mit unseren Positroniken konnten. Auch hat sie den Fehler, den wir seit Stunden suchen, in Sekundenschnelle gefunden und behoben. Mich fasziniert das Ding immer mehr.«

»Bedeutet die Tube eine Gefahr?«

»Ich weiß es nicht. Mir fehlen etliche Werte, die für eine endgültige Schlussfolgerung unerlässlich sind. Verrückt machen mich die blinden Bereiche der Hamiller-Tube. Fast könnte man meinen, dass Teile der Positronik ständig außerhalb des Einstein-Kontinuums sind.«

»Das Zielgebiet ist erreicht«, meldete die Hamiller-Tube. »Ich habe einen Defekt im Gravitraf-Speicher C festgestellt. Die Absicherung der hypermagnetischen Verriegelung weist um 12,8 Prozent zu niedrige Werte auf. Ich habe diesen Speicher durch Umladung vorläufig entleert. Bitte veranlassen Sie die Reparatur. Eine Zeichnung mit genauer Fehlerlokalisierung wird zurzeit in Mister Mitzels Technischer Station bereitgestellt. Danke.«

»Bitte«, knurrte Javier. »Mitzel, sieh nach, was an der Sache dran ist.«

»Herr Kommandant«, sagte die Hamiller-Tube vorwurfsvoll. »Sie sollten Vertrauen zu mir haben. Ich meine es nur gut.«

Javier winkte ab.

»Es geht weiter, meine Damen und Herren.« Die Hamiller-Tube gönnte der Mannschaft keine Sekunde Pause. »Zunächst muss ich Sie ersuchen, die bordinternen Transmitter frei zu machen. Alle Anlagen werden abgeschaltet. Dann bereiten Sie bitte den Hypertrop vor. Der Flug hat Energie verbraucht, die aufgefüllt werden muss. Diese Teilaufgabe überlasse ich Ihnen.«

Sandra Bougeaklis nickte Javier zu und deutete auf die Anzeigen. »Der Blechkasten sagt die Wahrheit.«

»He, Hamiller-Tube!«, rief der Kommandant. »Ich denke, wir befinden uns im Zielgebiet? Das Auftanken mit dem Hypertrop kann unsere Anwesenheit verraten.«

»Sie müssen nicht schreien, Mister Javier. Ihr Einwand ist richtig und spricht für Ihre Umsicht. Noch ist der Feind aber weit entfernt. Und abgesehen davon – er hat die BASIS längst geortet.«

Auf den Schirmen prangte der Sternenhimmel der Milchstraße. Die Eastside.

»Wir sollten auftanken, Waylon«, sagte Bougeaklis.

»Leite du alle Schritte ein!«

Waylon Javier versank in ein dumpfes Grübeln. Die BASIS war nicht nur sein Kommando, seine Aufgabe, sie war zugleich sein Leben und sein Hobby. Die verrückte Blechkiste, wie er die Hamiller-Tube nannte, brachte alles durcheinander. Er fragte sich, wie Rhodan reagieren würde, der das Schiff zu einer Mission in die weit entfernte Galaxis Norgan-Tur schicken wollte, aber nicht einmal in der Hinsicht fand er eine Antwort.

Dass Oliver die Zentrale verlassen hatte, war unbemerkt geblieben.

Der Sohn des Kommandanten kannte die BASIS gut genug. Mehrmals schon hatte er mit Mitzel vor der großen Schalttafel der Hamiller-Tube gestanden, wenn der Arkonide versucht hatte, dem Kasten irgendeine Reaktion zu entlocken.

Momentan standen vor der silbern schimmernden Wand noch die Messgeräte des Bordingenieurs, mit denen er versucht hatte, der Positronik wenigstens das eine oder andere Geheimnis zu entreißen. Der Junge zwängte sich so weit wie möglich zwischen den Apparaturen hindurch.

»Hörst du mich, Hamiller?«, fragte er leise.

»Natürlich«, kam die Antwort. »Ich freue mich, dass du mich besuchen kommst.«

»Wenigstens zu mir sagst du nicht Sie. Dad benimmt sich schon ganz komisch wegen dem Gesieze. Ich habe Angst, Hamiller.«

»Ich finde es nett von dir, Olli – so darf ich doch sagen? –, dass du mich bei meinem richtigen Namen nennst. Warum hast du Angst?«

»Du stürzt uns ins Unglück. Ich spüre das. Ich will nicht, dass mein Vater mit der BASIS gegen wild gewordene Blues kämpft.«

»Du meinst es ehrlich«, antwortete die Positronik. »Wie kann ich dir deine Angst nehmen?«

»Steckt wirklich das Gehirn von Hamiller in dir?«

»Wenn du groß bist, wirst du alles verstehen.«

»Stimmt es, dass du Dad das Kommando über die BASIS wegnehmen willst?«

Die Hamiller-Tube lachte leise. »Davon kann nicht die Rede sein. Das mag so aussehen, aber diese Prüfungen sind wichtig. Glaub mir bitte. Wenn alles vorbei ist, werde ich für deinen Vater und für die BASIS eine unersetzliche Hilfe sein.«

»Das hört sich gut an.« Oliver gewann allmählich seine Kessheit zurück. »Wirst du mir auch einmal helfen, wenn ich Sandra einen Streich spielen will? Sie streitet sich so oft mit Dad, weil sie so pedantisch ist.«

»Darüber lässt sich reden. Aber du musst mir versprechen, mich nicht zu verraten.«

»Ich schwöre«, beteuerte der Kleine treuherzig.

»Sehr gut, Olli. Wenn du wirklich schweigen kannst, werde ich dir etwas zeigen.«

»Über meine Lippen kommt kein Sterbenswörtchen, Hamiller. Das verspreche ich dir. Auch Dad wird nichts erfahren. Zeigst du mir dein Gehirn?«

»Nein, das nicht. Ich verrate dir etwas anderes, damit du keine Angst haben musst. Tritt bitte vor den aktivierten Holoschirm.«

Der Junge machte einen Schritt zur Seite und blickte schweigend auf die Bilder, die ihm die Positronik zeigte. Je mehr er sah, desto mehr schwand seine Anspannung. Es waren einfache Bilder, der erfahrene Junge verstand sie schnell.

»Hast du noch Angst, Olli?«, fragte die Hamiller-Tube.

Grinsend schüttelte der Junge den blonden Lockenkopf.

Kurz bevor Roi Danton und Gucky Terrania erreichten, meldete sich die Verkehrskontrolle erneut. »Der gesuchte Gleiter wurde vor wenigen Minuten westlich des Deighton-Parks gesehen. Ein Passant konnte Demeter zweifelsfrei identifizieren.«

Roi Danton blickte Gucky fragend an.

»Na klar«, sagte der Mausbiber. »Runter mit der Maschine, wir nehmen jetzt einen kürzeren Weg.«

Danton landete und reichte Gucky die Hand. Sie materialisierten auf einer weitläufigen Wiese.

»Ich kann den Passanten espern – warte hier.« Der Ilt verschwand und kehrte schon Sekunden später zurück. »Wir sind nah dran, Roi. Ich habe ihn nur telepathisch ausgehorcht. Das geht schneller. Komm!«

Er fasste wieder nach Danton und teleportierte erneut. Sie erreichten eine künstlich angelegte Hügellandschaft mit zahlreichen Felsen und Grotten.

»Keine Spur von Demeter«, sagte Gucky. »Hier war der Gleiter vor etwa zehn Minuten.«

Roi Danton blickte sich um. Von dem Golfplatz unterhalb einer Felskette klang fröhliches Gejohle herüber.

»Sie ist immer noch in der Nähe«, stellte Gucky fest.

»Dort!« Danton deutete auf ein fernes Waldstück. Es hatte den Anschein, als schwebe ein Gleiter über den Bäumen.

»Wenn sie das ist, dann schirmt sie ihre Gedanken ab.«

Gucky griff erneut nach Roi Dantons Hand. Sie materialisierten etwa 50 Meter über dem Gleiter. Gucky sah das Ziel vor sich und hatte kein Problem, in das schnell fliegende Fahrzeug zu teleportieren.

Sie fanden sich auf den Rücksitzen wieder, aber der Gleiter war leer.

»Sie hat die Automatik eingeschaltet«, erkannte Danton. Die Kontrollen verrieten ihm, dass der Gleiter zum Bungalow zurückfliegen würde. Mehr konnte er nicht feststellen. Schon gar nicht, wo Demeter ausgestiegen war.

Roi Danton meldete sich im HQ Hanse, ließ sich mit einem Positronikspezialisten verbinden. In Absprache schaltete er eine Zugriffsmöglichkeit auf den gesamten Speicherinhalt der Automatik und der Einheit für die Kurskorrekturen. Eine Minute später waren die Daten im HQ Hanse. Für die Auswertung vergingen keine drei Sekunden.

»Ich überspiele die Werte zurück in die Automatik«, schlug der Positroniker vor. »Ohne dein Zutun erreichst du dann den Ausgangspunkt der letzten Route.«

Der Gleiter wendete, flog über den Golfplatz zurück und senkte sich in der angrenzenden Felskette zu Boden. Er landete auf einem bewachsenen Hang. Weit und breit war niemand zu sehen.

»Spürst du ihre Gedanken?«, fragte Danton.

»Mir war eben so.« Gucky schaute zu einer Anhöhe in der Nähe.

Sie teleportierten zum Rand einer Geröllhalde. Spuren gab es hier nicht. Gucky sprang mehrmals allein hin und her, dann holte er Roi Danton.

Sie materialisierten in einer kleinen Höhle. Der Boden war sandig, aber ringsum gab es nur kahlen Fels. In knapp zwei Metern Höhe gähnte eine große Öffnung, durch die Sonnenlicht einfiel.

»Da!«, sagte der Mausbiber.

Nur ein paar Schritt vor ihnen stand ein seltsames Gebilde aus schlecht zusammengefügten Brettern. Auf einer Bodenplatte von etwa zwei mal drei Metern war ein Kasten befestigt, der einem Schrein oder einem Sarg ähnelte. Die Deckplatte lag halb schräg über dem Kasten.

»Das ist doch nicht möglich«, stöhnte Danton. Er hob den grob gezimmerten Deckel hoch und lehnte ihn an die Felswand.

In dem Schrein lag Demeter. Ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht seltsam bleich.

»Sie ist tot.« Danton griff nach der Hand seiner Gefährtin. Erst nach einer Weile blickte er auf.

»Da war eben ein einzelner schwacher Pulsschlag«, sagte er. »Spürst du ihre Gedanken nicht, Gucky?«

Der Mausbiber schüttelte den Kopf. »Sie denkt nicht, sie träumt nicht. Trotzdem kann ich dir sagen, dass sie nicht tot ist. Ich spüre ihr Leben, aber sie liegt in einem tiefen Koma.«

»Wie damals auf Kreta. Da hat sie Jahrtausende so gelegen. Nur gab es dort eine Maschinerie, die alles gesteuert hat. Sie kann sich keinesfalls allein in diesen Zustand versetzt haben.«

Minutenlang stand Roi Danton vor der Holzkiste und blickte in das Gesicht seiner Frau.

»Du musst eine Entscheidung treffen«, mahnte ihn Gucky.

»Vielleicht hat alles einen tieferen Sinn«, murmelte Danton betroffen. »Ich habe Demeter zu wenig Glauben geschenkt. Jetzt nicht mehr. Wir fliegen zum HQ. Dort werden sich Spezialisten um sie kümmern. Und wenn nichts dabei herauskommt, bringe ich sie dorthin, wo sie hinwollte: auf die BASIS.«

Der bläuliche Trichter des Hypertron-Zapfstrahls erlosch. Alle Gravitraf-Speicher waren aufgefüllt. Von Mitzel kam die Meldung, dass er den von der Hamiller-Tube bezeichneten Fehler gefunden und beseitigt hatte.

»So ganz unsympathisch ist mir der Kasten nicht mehr«, meinte die Stellvertretende Kommandantin. Waylon Javier verzog nur sein breites Gesicht mit der etwas zu schmalen Nase.

»Dieser Teil des Testprogramms wurde sehr ordentlich erledigt«, meldete sich die Hamiller-Tube. »Die Speicher sind voll, die BASIS ist für die bevorstehenden Aufgaben gerüstet. Bitte bleiben Sie wachsam. Wir nehmen wieder Fahrt auf.«

Ohne Zutun der Besatzung beschleunigte das Schiff. Javier konnte nichts weiter tun als Messwerte ablesen. Ein direktes Eingreifen war ihm nicht möglich.

Für eine kurze Distanz ging das Schiff in den Hyperraum. Es beendete die Überlichtetappe im Bereich zweier blauer Riesensonnen von fast gleicher Größe. Die Ortung zeigte sehr schnell zwanzig Planeten.

»Ich übergebe Ihnen jetzt die volle Befehlsgewalt über die BASIS, Mister Javier«, tönte die Hamiller-Tube.

Der Kommandant streifte sich das Stirnband über. Er hob den Daumen der rechten Hand und signalisierte Bougeaklis, dass er wieder Kontakt zu allen Steuerelementen hatte.

»Du bist dir darüber im Klaren, Hamiller-Tube, was ich nun tun werde?«

»Sie werden die Position dieses Sonnensystems feststellen, um dann auf dem schnellsten Weg ins Solsystem zurückzufliegen.«

»Richtig«, bestätigte Javier. »Zuvor werde ich Funkkontakt mit dem HQ Hanse aufnehmen.«

Die Hamiller-Tube lachte verhalten. »Die Hyperfunkanlage ist blockiert und wird das bleiben, bis Sie den Auftrag erledigt haben.«

Javier stieß eine Verwünschung aus.

Bevor die Koordinaten des Zwillingssystems hinreichend genau festgestellt waren, kam eine Warnmeldung aus der Ortungszentrale.

»Wir haben eine Flotte ausgemacht, die sich im Orbit des siebzehnten Planeten sammelt. Eine zweite, kleinere Flotte befindet sich zwischen den Umlaufbahnen der beiden inneren Welten. Die quaderförmigen Schiffstypen sind uns unbekannt.«