Perry Rhodan 1250: Die Raum-Zeit-Ingenieure - Thomas Ziegler - E-Book

Perry Rhodan 1250: Die Raum-Zeit-Ingenieure E-Book

Thomas Ziegler

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Beschreibung

Begegnung am Rande der Welt - es geht um die Zukunft der Tiefe Während sich zur Jahreswende 428/29 NGZ die Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Ordnung und den Mächten des Chaos in Richtung Erde verlagert, die als Chronofossil aktiviert werden soll, scheint sich gleichzeitig im Tiefenland eine endgültige Entscheidung anzubahnen. Das gigantische Tiefenland, vor Äonen von den Raum-Zeit-Ingenieuren und ihren Hilfsvölkern erschaffen, ist seit längerem der Schauplatz der Aktivitäten von Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan, den Rittern der Tiefe. Nach einer gefahrvollen Odyssee haben sie zusammen mit ihren Orbitern und den Tiefenpolizisten, den so genannten Exterminatoren, das Kyberland erreicht und einen Angriff der Grauen Lords zurückgeschlagen. Doch dieser Sieg besagt nicht viel, denn es wird immer deutlicher erkennbar, dass die Graugebiete weiterhin im Wachsen begriffen sind und dass die Heerscharen der Grauen Lords sogar zum Vagenda, der Quelle der Vitalenergie, vordringen können. Bei dem folgenden Desaster bleibt den Rittern der Tiefe nur die Flucht auf einer Route, die sich mit herkömmlichen Mitteln nicht bewältigen lässt. Hilfe ist vonnöten, wenn Atlan und seine Gefährten den Auftrag der Kosmokraten erfüllen wollen, der die Reise zum Rand der Welt erforderlich macht - denn dort befinden sich DIE RAUM-ZEIT-INGENIEURE ...

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Nr. 1250

Die Raum-Zeit-Ingenieure

Begegnung am Rand der Welt – es geht um die Zukunft der Tiefe

von Thomas Ziegler

Während sich zur Jahreswende 428/29 NGZ die Auseinandersetzung zwischen den Kräften der Ordnung und den Mächten des Chaos in Richtung Erde verlagert, die als Chronofossil aktiviert werden soll, scheint sich gleichzeitig im Tiefenland eine endgültige Entscheidung anzubahnen.

Das gigantische Tiefenland, vor Äonen von den Raum-Zeit-Ingenieuren und ihren Hilfsvölkern erschaffen, ist seit längerem der Schauplatz der Aktivitäten von Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan, den Rittern der Tiefe. Nach einer gefahrvollen Odyssee haben sie zusammen mit ihren Orbitern und den Tiefenpolizisten, den so genannten Exterminatoren, das Kyberland erreicht und einen Angriff der Grauen Lords zurückgeschlagen.

Doch dieser Sieg besagt nicht viel, denn es wird immer deutlicher erkennbar, dass die Graugebiete weiterhin im Wachsen begriffen sind und dass die Heerscharen der Grauen Lords sogar zum Vagenda, der Quelle der Vitalenergie, vordringen können.

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan, Jen Salik und Lethos-Terakdschan – Die Ritter der Tiefe auf der Lichtebene.

Das Tabernakel von Holt – Die »Schachtel« gibt ihr Geheimnis preis.

Myzelhinn – Einer der letzten Raum-Zeit-Ingenieure.

Krart

Wir dagegen haben uns gefunden

In des Äthers sterndurchglänztem Eis,

Kennen keine Tage, keine Stunden,

Sind nicht Mann noch Weib, nicht jung noch Greis.

Still zu eurem zuckenden Leben nickend,

Still in die sich drehenden Sterne blickend

Atmen wir des Weltraums Winter ein,

Sind befreundet mit dem Himmelsdrachen,

Kühl und wandellos ist unser ewiges Sein,

Kühl und sternhell unser ewiges Lachen.

– Hermann Hesse, »Die Unsterblichen«

1.

Hier am Rand der Welt war der Strom der Zeit ein stehendes Gewässer: Dunkel und glatt wie ein erblindeter Spiegel, bleiern erstarrt zur ewigen Gegenwart. Hier am Rand der Welt war die Zeit besiegt.

Aber vielleicht, dachte Myzelhinn, vielleicht war der Sieg über die Zeit in Wirklichkeit unsere größte Niederlage. Vielleicht ist die Unsterblichkeit der eigentliche Feind des Lebens, eine Krankheit, die nicht einmal durch den Tod geheilt werden kann.

Myzelhinn stand hoch über den endlosen Weiten der Lichtebene auf dem einzigen Turm der Letzten Bastion, die in majestätischer Pracht Ebene und Abgrund trennte, und zu seinen Füßen rauschte die Brandung eines purpurroten Ozeans.

Königsblau leuchteten die Mauern der Bastion, purpurn glühte der Ozean, und darüber lag – wie ein durchscheinendes Tuch, aus dem Licht der Sterne gesponnen – ein Schleier aus goldener Helligkeit.

Hier auf dem Turm, auf halber Höhe zwischen Meer und Wolkendecke, war es still. Irgendwo landeinwärts wühlte ein Atmosphärewirbel die Luft auf und blies Wind über die Ebene. Die frische Brise kühlte Myzelhinns Gesicht, aber nicht seine brennenden Augen.

Wie schon so oft wandte er die Blicke in jene Richtung, in der er den Grenzwall wusste. Das Tiefenland war flach wie ein Brett, und keine Erdkrümmung schuf die Illusion der Endlichkeit in Form eines Horizonts; die Luft war klar und durchsichtig wie poliertes Glas, und kein Dunst trübte die Sicht; dennoch blieben die Berge seinen Blicken verborgen.

Über eine Milliarde Kilometer lagen zwischen der letzten Bastion und den Bergen; selbst das rasende Licht brauchte eine volle Stunde für diesen weiten Weg. Und noch ein Jahr dazu, wenn es Starsen erreichen wollte. In der Ferne versank alles in Dunst, in dem das Goldlicht des Schöpfungsbergs verschlungene Muster zeichnete.

Aber Myzelhinns Augen waren keine gewöhnlichen Augen.

Ihr Blick brannte den Nebel und die tanzenden Muster fort. Ihr Blick befahl der Luft, durchlässig und klar wie Vakuum zu werden, und ihr Blick befahl dem Raum, zu schrumpfen und den langen Weg der Photonen abzukürzen, und die Luft und der Raum gehorchten.

Nach und nach, in visionärer Deutlichkeit, schälte sich das zerklüftete Massiv des Grenzwalls aus dem golddurchglühten Nebel. Wie ein grimmiges, metallenes Ungeheuer, das unter seiner eigenen Last zusammengebrochen war, erstreckte sich der Grenzwall von einem Rand des Tiefenlands zum anderen: Eine titanische Mauer zwischen der Lichtebene und der grauen Wildnis von Ni, eine Barriere von so unvorstellbaren Ausmaßen wie das Tiefenland selbst. Die zerklüfteten Hänge und die gezackten Kämme des Walls reichten bis hinauf zur Tiefenkonstante und vereinten sich dort mit der lückenlosen Wolkendecke; Wolken, die vom Berg der Schöpfung bis zur verlorenen Stadt am anderen Ende der Welt den Himmel verhüllten.

Goldlicht brach sich myriadenfach an Klippen aus Silber und Chrom, an eisernen Graten und kupfernen Steilwänden, an Simsen aus Stahl und Bronzemoränen. Flöze aus Uran teilten mit dunklen Strichen Hänge aus blitzendem Zinn; Gletscher aus schillernder Formenergie kalbten lautlos an Wismutbergen; und weit im Osten stürzte ein strudelnder Quecksilberfluss in eine Schlucht aus purem Zirkonium.

Und dort der Pass.

Der Platinpass, der einzige Pass über den Grenzwall.

Myzelhinns Vision verblasste. Das gigantische Gebirge versank wieder im goldenen Nebel der Lichtebene.

Myzelhinn hatte gesehen, was er sehen wollte: die drei Kundschafter – und das Holt ...

Sie kommen, dachte Myzelhinn. Sie haben vollbracht, was noch keinem vor ihnen geglückt ist: Sie haben die wahnsinnigen Wächter der Grube passiert und sind mit dem Tiefenfahrstuhl hinunter nach Starsen gelangt; sie haben die Mauer um Starsen überwunden und sind durch die kosmischen Weiten des Tiefenlands gewandert; sie haben das Vagenda erreicht und sind als Gefangene der Grauen Lords nach Ni gereist; sie haben den Verlockungen der Macht und dem Gift des Graueinflusses widerstanden und sind aus den Kerkern der Lordrichter geflohen; und nun haben sie den Platinpass überquert und sind auf dem Weg zum Rand der Welt, zur Letzten Bastion, zum Berg der Schöpfung ... und Zorn ist in ihren Herzen.

Weil sie unwissend sind ...

Eine Bewegung am Fuß der königsblauen Trutzmauern erregte Myzelhinns Aufmerksamkeit. Er beugte sich über die niedrige Brüstung des Turmes und spähte in die Tiefe. Ein drei Meter langer Wurm mit milchweißer Haut, von einem faustgroßen, pulsierenden Organ golden durchschimmert, glitt durch die Fluten aus flüssiger Formenergie. Ein Lla Ssann. Er schien nach einem Weg in die Letzte Bastion zu suchen.

Myzelhinn erkannte ihn sofort.

Suu Oon Hoo, der letzte Tiefenschwimmer, der mit den Vitalenergieströmen des Vagendas zur Lichtebene gelangt war. Nur Suu Oon Hoo konnte so närrisch sein und hoffen, dass sich die Tore der Bastion für ihn öffneten.

Plötzlich entdeckte ihn der Lla Ssann.

Ich verachte dich, wisperte Hoos telepathische Stimme in Myzelhinns Bewusstsein. Ich verachte dich für deinen Verrat, für dieses Verbrechen, das beispiellos in der Geschichte der Tiefe und des Hochlands ist. Ich verfluche dich und deinesgleichen für das, was ihr den Völkern der Tiefe angetan habt. Ihr seid schlimmer als die Grauen Lords, schlimmer als der Tod. Es gibt keine Worte, um das wahre Ausmaß eures Verbrechens zu beschreiben. All die Äonen haben die Völker der Tiefe euch treu gedient, und zum Lohn für ihre Dienste habt ihr sie dem Graueinfluss geopfert. Ich wünschte, ich könnte euch alle töten ...!

Aber nichts und niemand kann uns töten, dachte Myzelhinn. Wir haben den Tod besiegt.

Und er wandte sich ab, drehte dem zornerfüllten Gewisper des Lla Ssann den Rücken zu, und war mit zwei Schritten bei dem Schacht, der tausend Meter in die Tiefe reichte. Der Schacht glühte im königsblauen Licht der Psi-Energie, die unter dem Willen Myzelhinns die Festigkeit von molekulargehärtetem Stahl angenommen hatte, und mit einem weiteren Schritt stürzte er sich in die Tiefe.

Kein Kraftfeld bremste seinen Sturz; kein Sicherheitsmechanismus griff ein, um ihn vor dem tausend Meter tiefen Fall und dem Tod am Grund des Schachtes zu bewahren. Nackte, glatte Wände, die senkrecht nach unten führten – das war alles.

Trotzdem stürzte er nicht, sondern sank sacht.

Denn die Schwerkraft weigerte sich, ihren eigenen Gesetzen zu gehorchen, und die Luft wurde dichter und dichter, bildete aus eigenem Antrieb ein schützendes Polster unter Myzelhinns Körper, und der Boden wurde weich und federnd, um seinen Gast so zu empfangen, wie er es verdient hatte.

Dienstbeflissene Elemente ...

Ein Lächeln, bitter und melancholisch zugleich, spielte um Myzelhinns Lippen.

Verstehst du nun, Suu Oon Hoo?, dachte er. Begreifst du nun, wie unerfüllbar dein Wunsch ist? Wie willst du jemand töten, der Raum und Zeit, Materie und Energie zu seinen Verbündeten hat? Wie willst du jemand töten, wenn die Waffe, die du auf ihn abfeuerst, versagt? Wenn das Gift, das du ihm einflößt, zu Wasser wird? Wenn die Bombe, die ihn verbrennen soll, statt Feuer Blumen gebiert? Wenn sich deine eigene Mordlust in Liebe verwandelt, sobald du deinem Opfer gegenüberstehst?

Myzelhinn neigte den Kopf und lauschte.

Stille erfüllte die Bastion. Schon vor langer Zeit war die Stille in den Gewölben der Psi-Festung eingezogen. All die vielen Stimmen, die einst die königsblauen Säle mit Leben erfüllt hatten, waren verklungen. Und bald würde die Stille der einzige Bewohner der Bastion sein.

Aber noch war es nicht soweit.

Noch war das Werk nicht vollendet.

Er dachte wieder an Suu Oon Hoo, und er seufzte. Dieser Hass ...! Es schmerzte, so von Hass verfolgt zu werden; Hass, der den Tiefenschwimmer dazu trieb, die Gefahren des Purpurmeers auf sich zu nehmen, um jene zu töten, die er für Verräter hielt ... Was wussten die Lla Ssann schon von Verrat? Sie sahen nur die Oberfläche: Das Vagenda versiegt, das Tiefenland grau ... weil Verrat im Spiel war. Sie sahen sich auf ungeheuerliche Weise hintergangen, und sie reagierten auf die einzige Weise, die ihnen möglich war: mit verzweifeltem Hass.

Und die Lla Ssann, die Hüter des Vagendas, die wie die Tiziden, die Jaschemen, die Chylinen und die Archivare von Schatzen zu den ältesten und zuverlässigsten Getreuen gehörten, versuchten in ihrem Zorn das Unmögliche – jene zu töten, für die der Tod nur ein leeres Wort war.

Myzelhinn lachte, und sein Gelächter hallte kühl von den glühenden Wänden, der pulsierenden Decke, wanderte auf verborgenen Wegen durch den gewaltigen Komplex der Bastion.

Nicht einmal die Jaschemen, die so klug und mächtig waren, dass sie ungezählte Tiefenjahre lang aus eigener Kraft dem Graueinfluss und den Angriffen der Lords widerstanden hatten ... nicht einmal sie hatten herausgefunden, warum Myzelhinn und die anderen seiner Art gegen jede Gefahr gefeit waren.

Mit schnellen Schritten durchmaß Myzelhinn den Bogengang, der den Turm an der Südmauer der Bastion mit dem Saal der Zeit-Porträts verband. Niemand begegnete ihm auf seinem Weg. Die Bastion war groß und der Weg zum Bildersaal war weit, doch Myzelhinn verzichtete darauf, den Raum oder die Zeit seinen Wünschen gefügig zu machen, so dass aus Metern Millimeter und aus Minuten Sekunden wurden.

Er verzichtete aus gutem Grund.

Selbst ein Wesen, dem die Zeit nichts bedeutete, hatte zuweilen Anlass, sich ihren Gesetzen zu unterwerfen.

Myzelhinn war verwirrt von seinem plötzlichen Bedürfnis nach Ruhe, nach einer Atempause vor der entscheidenden Begegnung mit den Kundschaftern der Hohen Mächte, den drei Rittern der Tiefe, die den Platinpass im Grenzwall überquert hatten und nun in die Lichtebene eindrangen. Ganze Generationen waren im Tiefenland geboren worden und wieder gestorben, ohne dass sich in der Letzten Bastion irgend etwas verändert hatte. Und jetzt, da die größte Umwälzung seit dem Scheitern der Rekonstruktion bevorstand, versucht er Zeit zu gewinnen ...

Es ist die Furcht vor dem Versagen, dachte Myzelhinn. Die Furcht vor einem erneuten Fehlschlag unserer Pläne. Zweimal sind wir schon gescheitert – mit katastrophalen Folgen. Versagen wir auch diesmal, werden die Konsequenzen noch schrecklicher sein: Dann wird das Tiefenland untergehen, dann werden all unsere Schutzbefohlenen sterben ...

Myzelhinn blieb stehen. Er atmete schwer. Er war diese langen Fußmärsche nicht gewohnt.

Schnurgerade bohrte sich der Bogengang durch die Bastion, erhellt von der königsblauen Glut der psinergetischen Wände, die sich in kilometerweiter Ferne zu verengen schienen, bis Wände, Boden und Decke zu einem vagen blauen Fleck verschmolzen. Im Zentrum des blauen Flecks blitzte ein roter Punkt – das Tor zum Saal der Zeit-Porträts.

Des Laufens müde, befahl Myzelhinn dem Raum, sich stärker zu krümmen, damit die Entfernung zum Bildersaal schrumpfte, und binnen eines Augenblicks wuchs der rote Punkt vor ihm zum Halbrund eines riesigen offenen Tors. Ein Schritt, und er befand sich im Bildersaal.

Der Bildersaal war nicht das größte Gewölbe in der Letzten Bastion, doch es war das einzige, das Myzelhinn so etwas wie Ehrfurcht einflößte. Die Decke wölbte sich in schwindelerregende Höhe, die Rückwand war so weit entfernt, dass die perspektivische Verzerrung sie in ein handtellergroßes Rechteck verwandelte, und jeder Laut erzeugte ein langanhaltendes, vielfach reflektiertes Echo.

Myzelhinn zögerte.

Die Leere und die Stille bedrückten ihn. Wie lange war er nicht mehr hier gewesen! Wie lange hatte er diesen Teil der Letzten Bastion gemieden! Und nun – kurz vor der entscheidenden Begegnung mit den Rittern der Tiefe – war er zurückgekehrt ins Allerheiligste seines Volkes.

Die Luft, die er atmete, weckte Erinnerungen in ihm, Erinnerungen an die Zeit der Größe, an die Zeit der Hoffnung, an tausend und tausend Gesichter, an Stimmen, die er seit Äonen nicht mehr gehört hatte, an Freunde, die längst den grauen Weg gegangen waren.

Myzelhinn blickte zur Wand auf, und sein Herz krampfte sich zusammen, gepeinigt vom einzigen Schmerz, den ein Wesen wie Myzelhinn fühlen konnte, vom Schmerz, der in der Seele wohnte. In endlosen Reihen, nebeneinander und übereinander, hingen Bilderrahmen aus verstofflichter Vitalenergie an der Wand – Rahmen aus goldenem Licht, jeder vier Meter hoch, zwei Meter breit, einen Meter tief. Ebenso an den anderen Wänden; insgesamt 150.000 Rahmen.

Aber fast alle Rahmen ... waren leer.

Langsam hob Myzelhinn den Kopf und sah hinauf zu jener Stelle, wo ein Farbtupfer zwischen den endlosen Reihen der leeren Rechtecke aufblitzte: ein Zeit-Porträt. Sein Blick glitt weiter, fand das zweite, das dritte, das vierte und schließlich das fünfte Porträt.

Fünf, dachte Myzelhinn bedrückt. Fünf von hundertfünfzigtausend.

Mit eiserner Willenskraft zwang er sich, im Saal der Zeit-Porträts zu bleiben, statt seinem innersten Drang nachzugeben und zu fliehen.

Stumm und von einer Traurigkeit erfüllt, gegen die nicht einmal Wesen wie er gefeit waren, hielt er den Blick auf den fünften Rahmen gerichtet, auf das vertraute Bild in goldener Fassung, auf das Porträt, vor dem er schon so oft gestanden hatte.

Es war das Porträt eines verwachsenen, knapp einen Meter großen Humanoiden mit brauner, faltiger Haut, runzlig und verschrumpelt wie die Schale eines alten Apfels. Der Rumpf war schmächtig, schien kaum kräftig genug, die Last des großen, kahlen Kopfes zu tragen. Das Gesicht wurde von riesigen braunen Augen beherrscht, und diese Augen waren dunkel und tief wie Brunnenschächte. Die Nase und der Mund waren klein, verkümmert. Die schlenkernden Arme reichten bis zu den Knien der kurzen Beine, die unter dem Gewicht von Rumpf und Kopf krumm geworden waren; die Füße zehenlos, von dunklem Horn überzogen und auf clownesk anmutende Weise überdimensioniert.

Seit Hunderttausenden von Tiefenjahren hing das Porträt an der Wand des Bildersaals hier im Herzen der Letzten Bastion, und in diesem unvorstellbaren Zeitraum hatte es sich ebenso wenig verändert wie Myzelhinn.

Das Porträt war dreidimensional, aber es war kein Hologramm; es war stofflich, aber es war keine Materieprojektion.

Es war eine Sekunde aus dem Leben eines Wesens, dessen Dasein schon Milliarden Jahre währte, eine Sekunde der Wirklichkeit, aus dem Zeitstrom herausgeschnitten und in einem Rahmen aus Vitalenergie konserviert.

Porträt und Porträtierter waren identisch. Zwei Ausgaben von ein und derselben Person, vom Abgrund der Zeit getrennt und hier durch eine Technik vereint, die die Naturgesetze zu ihren Werkzeugen gemacht hatte.

Myzelhinn konzentrierte sich auf das Bild, und wie stets erfüllte es seine Bitte um ein Zwiegespräch. Das Porträt erwachte übergangslos aus tausendjährigem Schlaf. Der Schädel drehte sich, die großen, dunklen Augen begannen zu glänzen, und die schmalen Lippen öffneten sich.