Perry Rhodan 2618: Flucht von der Brückenwelt - Verena Themsen - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2618: Flucht von der Brückenwelt E-Book und Hörbuch

Verena Themsen

0,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Unter Glückswaisen und Plaudermeistern - die Allgegenwärtige Nachhut schlägt zurück In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) - das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Für die Menschen auf der Erde hat sich schlagartig das Leben verändert: Das Solsystem wurde von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Miniaturuniversum verbannt. Seltsame Außerirdische, die sogenannten Auguren, beeinflussen die Kinder und Jugendlichen, um die Menschheit "neu zu formatieren". Tausende werden unter den Augen von Regierung und Öffentlichkeit von den Sayporanern spurlos entführt. Gleichzeitig wird offensichtlich die Sonne manipuliert: Nagelraumschiffe der geheimnisvollen Spenta sind in das Solsystem eingedrungen. Sie selbst bezeichnen sich als "Sonnenhäusler" und betrachten Sol als ungeheuren Frevel. Sie stört der Umstand, dass in die Sonnenmaterie der Leichnam einer Superintelligenz eingebettet liegt. Um diesen Körper von der Sonne zu trennen, löschen sie den Stern. Zur gleichen Zeit erkundet ein Stoßtrupp der Menschheit ein überaus seltsames Sonnensystem in der Nähe, das zwei durch eine Brücke verbundene Planeten aufweist. Groß ist die Überraschung, als die Menschen feststellen, dass es sich dabei um das Grab einer Superintelligenz handelt, deren Leiche allerdings verschwunden ist. Nun bleibt ihnen nur noch die FLUCHT VON DER BRÜCKENWELT ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:3 Std. 26 min

Sprecher:Andreas Laurenz Maier

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nr. 2618

Flucht von der Brückenwelt

Unter Glückswaisen und Plaudermeistern – die Allgegenwärtige Nachhut schlägt zurück

Verena Themsen

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Für die Menschen auf der Erde hat sich schlagartig das Leben verändert: Das Solsystem wurde von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Miniaturuniversum verbannt.

Seltsame Außerirdische, die sogenannten Auguren, beeinflussen die Kinder und Jugendlichen, um die Menschheit »neu zu formatieren«. Tausende werden unter den Augen von Regierung und Öffentlichkeit von den Sayporanern spurlos entführt.

Gleichzeitig wird offensichtlich die Sonne manipuliert: Nagelraumschiffe der geheimnisvollen Spenta sind in das Solsystem eingedrungen. Sie selbst bezeichnen sich als »Sonnenhäusler« und betrachten Sol als ungeheuren Frevel. Sie stört der Umstand, dass in die Sonnenmaterie der Leichnam einer Superintelligenz eingebettet liegt. Um diesen Körper von der Sonne zu trennen, löschen sie den Stern.

Die Hauptpersonen des Romans

Jenke Schousboe – Die Expeditionsleiterin gerät in Gefahr.

Facao – Der Oberste Marschgeber nimmt die Dinge selbst in die fünf Hände.

Shipa Gajoship – Der Alte Ship lenkt seine Glückswaisen auf den Pfad der Befreiung.

Pia Aftanasia »Pifa« Clonfert

1.

Vergangenheit und Gegenwart, gefangen in einem Augenblick ...

Noch immer kämpften Jenke Schousboes Sinne und Hirn mit dem Anblick, der sich ihr bot. Das Gespinst hauchfeiner Fäden, das für den Körper einer toten Superintelligenz stand, war nicht mehr als ein Schattenwurf aus der Vergangenheit. In der Gegenwart existierte dieser Körper nicht mehr.

Was ist geschehen?

Wie ein Echo ihrer eigenen inneren Stimme wisperte Pia Aftanasia Clonfert: »Wo ist er hin?« Die Halbertruserin strich über ihr azurblaues Stoppelhaar, während ihr Blick suchend durch die Gruft wanderte. »Wo ist ALLDARS Körper hin?«

Jenke schüttelte den Kopf.

Vergangenheit und Gegenwart ... erst die Bilder unserer eigenen Vergangenheit in den Spiegelflächen im Nebelflur und jetzt die Vergangenheit eines Leichnams, aufgeprägt auf die Gegenwart, in der er nicht mehr da ist.

»Ich weiß es nicht, Pifa«, sagte sie. »Vielleicht ist er tatsächlich wieder auferstanden. Aber es kommt mir unwahrscheinlich vor.«

Alban Dodds machte eine Handbewegung, die seine silberfarbenen Fingernägel in Jenkes Blick aufblitzen ließ. »Wenn es so wäre, hätte die Allgegenwärtige Nachhut es längst bekannt gegeben und würde nicht mit diesem Brimborium um einen angeblichen Avatar aufwarten.«

Wie unbeeindruckt er wirkt ... vielleicht weil in seiner Heimat Kamash Mystik an der Tagesordnung ist. Oder auch einfach, weil er mehr Jahre auf dem Buckel hat als wir anderen Terraner zusammen. In 175 Jahren kann man eine ganze Menge erleben.

»Und wie geht es weiter?«

Jenke sah zu Dodds herunter und hob die Schultern an. »Wir sind hergekommen, um für die Glückswaisen herauszufinden, was mit ALLDAR geschehen ist. Aber es scheint, als könnten wir ihnen nicht ganz die Antwort geben, die sie erhofft haben.«

Die Glückswaisen bildeten einen Zusammenschluss Gleichgesinnter aus nahezu allen auf Shath vertretenen Völkern, die sich den Bemühungen der Allgegenwärtigen Nachhut widersetzten, die verstorbene Superintelligenz ALLDAR zurückzuholen. Aber wo steckten die Überreste von ALLDAR?

»Trotzdem sollten wir festhalten, was wir hier gefunden haben«, kam aus dem Hintergrund die Stimme von Brutus Lanczkowski.

Jenke stellte das laternenartige halbmetergroße Gebilde ab, in dessen Innerem an einem haarfeinen Faden der kleine Kristall hing, der sie hereingebracht hatte – das Intrantum. Aus einer Tasche ihres SERUNS kramte sie Zachary Aidens multifunktionelles Aufnahmegerät hervor. Der kleine Kasten analysierte neben dem für menschliche Sinne Sichtbaren und Hörbaren viele weitere Dinge und schrieb sie mit. Der Anblick des Gerätes ließ unvermittelt die Erinnerung an den Tod seines Besitzers wieder aufblitzen. Zachary, mit dem sie am Strand gesessen und für kurze Zeit das Gefühl der Vertrautheit geteilt hatte. Zachary, dessen Gehirn sie auf Faland nach den Bräuchen der Favadarei in das Totenhirn eingebettet hatten.

»Ich mache das«, sagte Pifa und griff nach dem Gerät, als Jenke es gerade dem Major reichen wollte. »Ich weiß in etwa, wie das Ding funktioniert.«

Jenke überließ Pifa den Rekorder. Die Ingenieurin würde noch die besten Chancen haben, alles aus dem Gerät herauszuholen.

Während sie wartete, glitt Jenkes Blick an Major Lanczkowski vorbei zu Captain Abraham Pettazzoni. Ebenso wie sein Vorgesetzter behielt er die Umgebung mit wachem Blick und der Hand auf der Waffe im Auge. Wie oft mochten seine Gedanken wohl in letzter Zeit zu seiner Familie in Terrania gereist sein? Er hatte kaum Gelegenheit gehabt, die Zwillinge kennenzulernen, die seine Frau wenige Tage vor dem Start zur Welt gebracht hatte. Stattdessen waren sie alle auf einer Welt zurückgeblieben, auf der die Dinge zusehends aus dem Lot gerieten.

Jenke wollte sich nicht vorstellen, was für Gefühle ihn plagten, wenn er ihre Holos betrachtete.

Hinter den beiden Soldaten ragten die fadendürren Gestalten der beiden Favadarei Shimco Patoshin und Kulslin Finukuls auf, die gemeinsam mit dem auf der VAHANA gebliebenen Clanältesten Blaspa Antublas ihre Heimat Faland verlassen hatten, um sie zur Brücke zwischen ihrem Planeten und der toten Welt Shathfauth zu begleiten.

Jenke bezweifelte, dass sie jemals erwartet hatten, bei der Reise auf das bei ihnen sagenumwobene Shath, wie sie die Planetenbrücke nannten, einen solchen Anblick zu erleben.

»Ich bin so weit«, verkündete Pifa und riss Jenke damit aus ihren Überlegungen.

Sie wandte sich Pifa zu, die den Aufzeichnungswürfel hob. Auf ein Nicken hin begannen sie.

*

Ein Dröhnen in der Ferne ließ Jenke stocken. Sie hatte gerade in ihrer Funktion als Expeditionsleiterin einige Erläuterungen zu ihrem Hiersein und ihren Absichten abgeschlossen und wollte nun das Vorgefundene schildern. Erschrocken hielt sie inne und sah zum Major. Dieser hatte bereits mit einem Wink zu Captain Pettazzoni reagiert. Mit gezogenem Nadler eilte dieser durch den Gang zurück, unbeeindruckt von den hüpfenden, schleichenden, kriechenden und taumelnden Spiegelungen seiner selbst, die ihn begleiteten.

Eilig setzte Jenke ihre Erläuterungen fort, damit alles erfasst war, bevor sie womöglich überstürzt fliehen mussten. Ihr Blick blieb dabei an der Stelle haften, an der der Soldat im Dunkel verschwunden war. Eine Weile später tauchte er wieder auf und erstattete Major Lanczkowski leise Bericht.

Jenke schloss ihre Zusammenfassung ab und bedeutete Pifa, die Aufzeichnung zu beenden.

»Lanz?«

»Wir sollten schnellstmöglich hier weg«, sagte Major Lanczkowski. Jenke bewunderte ihn für die unerschütterliche Ruhe, die er trotz der Dringlichkeit in seiner Stimme ausstrahlte. »Jemand versucht anscheinend, gewaltsam in das Innere vorzudringen. Hier sitzen wir in einer Sackgasse.«

Pifa gab Jenke das Aufzeichnungsgerät zurück. »Warum nehmen sie nicht einfach den Durchgang wie wir?«

»Wahrscheinlich gibt es nur ein Intrantum«, antwortete Jenke. »Zu unserem Glück.«

Erneut hallte der Ton durch die Gruft. Die Expeditionsleiterin nahm den Schlüsselkristall in seinem Gehäuse wieder auf und nickte Lanczkowski zu. Sie mussten hier weg.

Sie folgten dem nur als eine Lücke im Nebel definierten Gang zurück zum Tor und traten wieder in das weit ausgedehnte Gespinst, das den gesamten Raum um die Gruft erfüllte. Unzählige Fäden aus unbekanntem Material verwoben Knotenpunkte verschiedenster Größen und Formen miteinander.

Nach den Worten des Alten Ship ruhten dort Erinnerungen und Wissen einer Superintelligenz und ihrer Hilfsvölker. Jenke wünschte sich, sie hätten vorher einen Weg gefunden, eine Verbindung zu diesem Archiv herzustellen. Nun lief ihnen die Zeit davon.

Deutlich hörten sie die Schläge, deren Nachvibrieren in der Luft zwischen den schimmernden Fäden an den Hall eines Gongs erinnerte. Dazu kamen Geräusche, als würde jemand unter ihren Füßen schleifen und bohren. Man versuchte tatsächlich, von der Oberfläche der Planetenbrücke zu ihnen durchzudringen.

»Sie müssen wissen, dass wir durch das Siegel hier hereingekommen sind«, sagte Lanczkowski. »Was wiederum heißt, dass sie uns da draußen unter dem Stahlschirm erwarten dürften, da es für uns keinen anderen Weg zurück gibt.«

»Wir könnten abwarten, bis sie mit ihrem Durchbruch fertig sind, und versuchen, sie dort zu überraschen«, schlug Jenke vor.

Der Major wiegte den Kopf. Sein schlohweißes Haupthaar hatte nichts mit seinem Alter zu tun, auch wenn man manchmal kaum glauben konnte, dass ein 40-Jähriger eine solche Gelassenheit an den Tag legen konnte wie er. »Wir wissen nicht, wie der Durchgang beschaffen sein wird. Außerdem werden sie dort sicher mit Angriffen rechnen. Drittens verlieren wir wertvolle Zeit, während wir warten.«

»Wir könnten in der Zeit versuchen, das Archiv anzuzapfen«, warf Pifa ein.

Jenke schüttelte den Kopf. Die Erinnerung an ihren ersten Versuch, etwas über das Archiv herauszufinden, saß ihr noch unangenehm in den Knochen. »Ihr habt gesagt, dass ich zehn Minuten reglos war, als ich einen der Knotenpunkte berührt hatte. Wir können so etwas nicht riskieren, wenn jederzeit jemand hier hereinkommen kann.«

»Also zum Siegel!«, ordnete Lanz an.

Jenke führte die kleine Expedition zurück zu dem kreisrunden Stück Metallplastik, durch das sie gekommen waren. Wie ein Stück Himmel, das zu Boden gezogen worden war, schimmerte es in hellem Blau. Erneut hob sie das Intrantum, Schlüssel und Kompass zugleich, und deutete in Richtung der Ausschläge des Kristalls. »Dort drüben müssen wir hin.«

»Jeder kennt noch seine Route zum Treffpunkt?«, fragte Lanz, während sie dicht beisammen auf die Plattform traten.

Sogar die Favadarei, für die dies eine fremde Bewegung war, nickten.

»Gut.« Mit knappen Worten legte der Major fest, wie sie aus dem Stahlschirm fliehen würden.

Die asymmetrischen Ausschläge des Kristallpendels wurden schließlich bei jedem Schritt rasch kürzer. Jenke blieb stehen. »Wir sind gleich da.«

»Waffen bereit und Deflektoren an.«

Jenke zog ebenso wie die anderen ihren Paralysator.

Auch die Favaradei hielten je eine der Waffen in der Hand. Unter ihren Überwürfen wusste Jenke Gurte mit Aggregaten, die Pia Clonfert aus SERUN-Ersatzteilen zusammengestellt hatte. Sie gewährten nicht den gleichen Schutz wie ein kompletter Anzug, doch sie hatten nichts für Shimcos und Kulslins Größe Passendes an Bord der VAHANA gehabt. Immerhin war es besser als nichts. Dennoch machte sich Jenke um sie noch die meisten Sorgen. Sie hatten keinerlei militärische Ausbildung genossen. Aber es war zu spät, etwas dagegen zu unternehmen, also blieben nur Vertrauen in die Technik und Hoffnung auf Glück.

Einer nach dem anderen aktivierte sein Deflektorfeld. Die Funktion der Aggregate war unter dem Einfluss des Enklaven-Feldes eingeschränkt und ließ die Mitglieder ihres Teams lediglich zu grauen Schatten verschwimmen. Bei der Flucht durch das Halbdunkel unter dem Stahlschirm mochten sie trotzdem helfen.

»Bereit?«

Jenke wartete die Bestätigung aller ab, ehe sie den letzten Schritt tat.

Schlagartig hing das Pendel ruhig und wies mit der Spitze senkrecht nach unten. Der Raum um Jenke Schousboe klappte um. Noch während der Boden seiner neuen Ruheposition auf der anderen Seite der Brückenwandung entgegenschwang, ließ sie sich fallen und schleuderte das Intrantum in hohem Bogen in den Raum.

Fünf Strahlen trafen das fliegende Gehäuse und brachten die transparenten Scheiben zum Bersten. Splitter und verbogenes Metall regneten durch den Raum, gefolgt von aufgeregten Schreien, als die Schützen erkannten, worauf sie gerade geschossen hatten.

Als Schatten, nicht unsichtbar, aber auch nicht ganz sichtbar, flogen, huschten, sprangen und rannten sie in verschiedene Richtungen von der Fläche. Noch vom Ergebnis ihres Beschusses gelähmte Soldaten wurden gegeneinandergestoßen, während sie versuchten, auf die umherirrenden Schatten zu schießen, ohne ihre eigenen Kameraden zu treffen. Hier und da sank einer unter dem Beschuss eines Paralysators zusammen. Schließlich begann ein Gewitter an Schüssen aus allen Sinneswaffen der Fagesy.

Doch ihre Ziele hatten den Raum bereits verlassen.

*

Laut klang das Pochen ihres Herzens Jenke in den Ohren, während sie sich in die kleine Nische zwischen zwei Gebäuden drückte.

Das Rauschen eines Rüstgeleits drang von der Querstraße herüber. Mit angehaltenem Atem wartete sie, bis es vollständig verklungen war. Erst dann ließ sie die Luft aus den Lungen strömen.

Die Gasse, in die sie geflüchtet war, wurde von hohen Gebäuden begrenzt, die wie planlos hingeworfene Bauklötze wirkten. Winkel, Bögen, Ecken und Schächte wechselten sich ohne erkennbaren Sinn in allen Dimensionen ab und schufen ein Gesamtbild, das einem psychotischen Traum entsprungen zu sein schien.

Offensichtlich legte niemand Wert auf ein einheitliches Stadtbild oder ähnliche Bauvorschriften. Jeder fügte sich so ein, wie ihm Schnauze oder Schnabel gewachsen waren, notfalls einer über dem anderen, wo eben Platz war.

Jenke nutzte einen Moment, in dem ein Schweber mit aufdringlichem Summen an der Mündung der Gasse vorbeiflog, um zum nächsten Schatten zu huschen. Sie folgte dem verwinkelten Weg, bis die Schlucht sich zur nächsten Straße öffnete. In der Deckung eines Containers, der wirkte, als wäre er dort abgestellt und vergessen worden, betrachtete sie auf dem Multifunktionsarmband die Karte. Es wurde Zeit, sich in die ungefähre Richtung ihres Ziels zu orientieren.

Die Flucht aus dem Siegel kam ihr fast wie ein irrwitziger Traum vor. Ausnahmsweise hatten ihre Waffen den gewünschten Effekt erzielt. Das Glück war auf ihrer Seite gewesen, und schließlich war jeder für sich in das Gewirr der umgebenden Gassen eingetaucht.

Am Ende des Durchgangs angekommen, musterte die Irmdomerin das Treiben auf der Straße. Das Licht der Sonne Fa erhellte offene Fronten, hinter deren schillernden Schutzfeldern holografische Warendemonstrationen Kunden anlocken sollten.

Passanten gingen, trippelten und robbten daran vorbei, während in der Mitte der Straße bodennahe Schweber langsam voranglitten. Dort waren keine Schatten, mit denen man verschmelzen konnte.

Jenke entschied sich, ihre Tarnung aufzugeben und stattdessen auf den Schutz der Menge zu hoffen.

Eine ganze Weile ließ sie sich mit dem Strom treiben, immer darauf bedacht, jeden Punkt zu vermeiden, der auf eine Überwachung hindeutete. Nach außen hin schlenderte sie entspannt, neigte mal den Kopf und drehte ihn dann wieder zur Seite, um eine Auslage anzusehen. Im Inneren dagegen wuchs die Spannung nahezu ins Unerträgliche. Ständig hatte sie das Gefühl bohrender Blicke im Rücken und musste gegen den Drang ankämpfen, sich umzudrehen und zu schauen, wer sie beobachtete.

Nicht einmal hundert Meter, dann kam die nächste Seitenstraße, in der sie verschwinden konnte. Nur ein bisschen weiter ...

Ein Schatten fiel über Jenke, eine scharf gezogene Linie auf dem Boden, die weiterwanderte. Unwillkürlich richtete sie ebenso wie viele andere den Blick nach oben.

Vor die Sonne hatte sich eine Scheibe geschoben und blockierte den Blick zum Himmel. Noch während Jenke versuchte, Genaueres zu erkennen, lösten sich kleinere Punkte davon und glitten schnell auseinander und abwärts. Erneut erfüllte das typische Rauschen der Rüstgeleite die Luft.

Passanten deuteten und riefen. Die Aufregung breitete sich wie eine Welle die Straße entlang aus, während die Punkte schnell größer wurden, teilweise in Seitenstraßen und Gassen verschwanden, teils auf Dächern landeten. Zwei steuerten einen Punkt nahe an der Straßenmündung an, auf die Jenke zusteuerte.

Sie haben mich gesehen. Sie kesseln mich ein ...

Wie in Zeitlupe sah sie die Rüstgeleite sinken, während sie jedes Detail der Straße aufnahm und darauf prüfte, ob es ihr nützlich sein konnte. Ihr Blick blieb an einem wie ein lang gezogener Tropfen geformten Pflanztopf hängen, der über der Straße schwebte. Ein langer Teppich aus Pflanzenranken mit leuchtend blauen Blüten hing daran herab. Sie suchte und fand die Projektoren, die das Gefäß in seiner Position hielten. Ohne zu zögern, zog sie den Desintegrator und schoss auf den nächsten.

Die Umstehenden waren zu sehr auf die einfliegenden Fagesy konzentriert gewesen, als dass sie Jenkes Tun wahrgenommen hätten. Nun wurden sie dazu von dem Alarmsignal abgelenkt, das vor dem Versagen des Projektors warnte. Alle Blicke wanderten von den Fagesy zu dem schwankenden Pflanztopf, der jederzeit zu kippen und auf die Fahrbahn zu stürzen drohte.

Schweber stoppten oder machten Ausweichschleifen, die sie in die Bahn der landenden Wächter der Nachhut geraten ließen.

Jenke löste den zweiten Schuss aus.

Mit einem letzten Taumeln kippte der Topf zur Seite und stürzte herunter. Chaos brach aus. Schreiend versuchte jeder, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Punkt des Aufpralls zu bringen. Aus dem Augenwinkel sah die Irmdomerin noch, dass eines der Rüstgeleite zu spät auswich und der Rand sich im Pflanzenteppich verfing. Dann gab es ein ohrenbetäubendes Krachen, und Erde, Scherben und Pflanzenteile wirbelten durch die Luft.

Die Waffe längst wieder sicher im Holster geborgen, ließ Jenke sich mit der Menge in die nächste Seitenstraße treiben. Gerade als sie einen weiteren Fagesy mit kampfbereit umgeformtem Rüstgeleit ein Stück weiter die Straße herunter die Menge mustern sah, drängte sie etwas zur Seite. Ein schmaler Schweber schob sich ohne Rücksicht durch die Menge. Manchmal heulte der Antrieb auf, als wolle der Pilot Hindernisse ignorieren, falls sie nicht auswichen. Das Heck zierte eine dekorative Finne, die nach hinten wie eine windgepeitschte Flamme auslief.

Mit einem kurzen Sprint brachte Jenke sich an den Schweber und umfasste die Finne, um sich hochzuziehen. Sie war sicher, dass der Fahrer die Gewichtsverlagerung bemerken würde. Doch entweder scherte es ihn nicht, dass er einen blinden Passagier bekommen hatte, oder er war zu abgelenkt von den Geschehnissen auf der Straße. Im Sichtschatten der Finne ließ Jenke sich bis dicht an den Standplatz des Fagesy bringen, um dann wieder herunterzugleiten.

Während der Fagesy im Rüstgeleit sich dem Schweber in den Weg stellte, um dessen rücksichtsloses Vordrängen zu stoppen, nutzte Jenke den Augenblick, um entlang der nächsten Wand gemeinsam mit einigen anderen Passanten die Stelle zu passieren.

Einen kurzen Blick warf sie noch zu den Dächern hinauf, um zu sehen, ob von dort jemand ihr Manöver beobachtet hatte. Doch die Dachkanten waren leer.

Mit einem erleichterten Aufatmen tauchte Jenke Schousboe in die nächste Gasse ein. Erneut im Schutz des Deflektorfeldes, legte sie mit einem langen Spurt so viel Abstand zwischen sich und die Fagesy-Patrouille, wie nur möglich war.

*

Der Lärm unzähliger Spielautomaten, laute Musik und ein Gewirr von knatternden, säuselnden und pfeifenden Stimmen schlugen der Expeditionsleiterin entgegen, als die breite rotgoldene Tür vom »Haus der Entsühnten« sich vor ihr öffnete. Einen Moment lang zögerte sie, dann trat sie in das rauchgeschwängerte Halbdunkel, das gelegentlich von Flackern und grellen Blitzen durchbrochen wurde. Als der Zustrom frischer Luft mit dem Zugleiten der Tür versiegte, kam eine intensive Geruchsmischung nach Essen, Trinken, Räucherwerken jeder Art und zu vielen Wesen auf einem Fleck dazu. Wesen, die nun überall um sie herumdrängten und sie in eine Strömung zogen, deren Richtung nicht auszumachen war.

»Jenke!«

Die Irmdomerin zuckte zurück, als eine Hand sich fest um ihren Arm schloss. Blinzelnd starrte sie die massige Gestalt an, die plötzlich neben ihr aufgetaucht war. Endlich erkannte sie darin Pia Aftanasia, die Halbertruserin und ihres Zeichens Ingenieurin.

Pifa machte eine Kopfbewegung in Richtung des Inneren des Etablissements. Bereitwillig ließ Jenke sich von ihr durch das Gedränge in Richtung eines Rollbandes lotsen, das in ein höheres Stockwerk führte.

Dort wurde das unstete Licht der Vergnügungshölle unter ihnen von einem sanften, gedämpften Goldton abgelöst. In dem Gang, dem sie folgten, schluckten weiche Teppiche und Wandbehänge einen Großteil des von unten heraufdrängenden Lärms. Ein paar offensichtlich in bester Laune befindliche Zweier- und Dreiergruppen begegneten ihnen, schenkten ihnen aber keinerlei Aufmerksamkeit, sondern verschwanden hinter einer der Türen oder hinunter in den unteren Stock.

Ein weiteres Rollband brachte die beiden in ein Stockwerk, in dem die Türen enger beieinanderlagen. An einer blieb Pifa stehen und trat zweimal mit dem Fuß unten dagegen. Ein Moment verging, dann schwenkte die Tür auf, und Captain Pettazzoni winkte sie hinein.