Perry Rhodan 2916: Gestohlenes Leben - Kai Hirdt - E-Book

Perry Rhodan 2916: Gestohlenes Leben E-Book

Kai Hirdt

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden. Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als "nichtmenschlich" bezeichnet hätte. Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man schließt sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien. Gegenwärtig befindet sich Rhodan selbst im Goldenen Reich der Thoogondu, die ebenfalls eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen wollen. In der Milchstraße hingegen werden die Gemeni aktiv. Sie geben sich selbst als Gesandte einer Superintelligenz aus und wollen die verwaiste Mächtigkeitsballung von ES beschützen. Die Gemeni bieten den Völkern der Milchstraße Geschenke an, die wahrhaft atemberaubend sind: Jugend und Unsterblichkeit. Doch sind es wirklich Geschenke oder doch nur GESTOHLENES LEBEN ...

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Nr. 2916

Gestohlenes Leben

Ein arkonidischer Baron vertraut dem Jungbrunnen – er zahlt einen hohen Preis

Kai Hirdt

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. KYLLDIN

2. KATOR GIRMOMAR

3. KYLLDIN

4. KATOR GIRMOMAR

5. KYLLDIN

6. KATOR GIRMOMAR

7. KYLLDIN

8. KATOR GIRMOMAR

9. KYLLDIN

10. GOS'TUSSAN II

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man schließt sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien. Gegenwärtig befindet sich Rhodan selbst im Goldenen Reich der Thoogondu, die ebenfalls eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen wollen.

In der Milchstraße hingegen werden die Gemeni aktiv. Sie geben sich selbst als Gesandte einer Superintelligenz aus und wollen die verwaiste Mächtigkeitsballung von ES beschützen. Die Gemeni bieten den Völkern der Milchstraße Geschenke an, die wahrhaft atemberaubend sind: Jugend und Unsterblichkeit. Doch sind es wirklich Geschenke oder doch nur GESTOHLENES LEBEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Yergeo da Gnotor – Der Khasurnbaron von Girmomar unterzieht sich einer Verjüngung und lernt sich neu kennen.

Segos Isirea – Der Wahlbaron erlebt Überraschendes.

Bhal Kharnaim – Der Gemen löst sein Versprechen ein.

Quendressa und Kylldin – Zwei weibliche Mehandor betreten einen Spross.

Zaroia da Bargk

Ich sehe über die Masse hinweg, lasse den Blick schweifen über die Pracht der Kristallbaronie. Eine Brücke führt zu den Sternen. Ich selbst habe sie vor wenigen Tagen eröffnet. Habe ich das?

Vielleicht.

Wie keine andere Baronie steht Girmomar für die arkonidische Gabe, Widrigkeiten zu bestehen, Leid zu überwinden, gestärkt aus jedem Sturm hervorzugehen. Diese Beständigkeit, diese Unbeirrbarkeit, dieser unbändige Wille sind seit dem Zerfall des Imperiums untrennbar mit meinem Namen verbunden.

Vielleicht.

Ich sehe alles, was die Arkoniden der Kristallbaronie erreicht haben. Ich war dabei. Ich war nicht dabei. Beides stimmt. Nur eines davon ist wahr.

Aus Asche erhebt sich neues Leben. So war es immer, so wird es sein, so wird es bleiben. Mein Geist ist verbrannt und neu erstanden wie der Feuervogel. Weites, jungfräuliches Land bietet Platz, auf dass Ideen und Pläne keimen mögen, kühne Pläne. Doch wer ist der Landmann? Wer bestellt die Krume von Gedächtnis und Gedanken? Bin ich mein eigener Herr? Oder bin ich Staub und Asche, nichts als ein Acker, zerfurcht, durchpflügt, Keimboden fremder Saat?

Ich weiß es nicht.

Ich erinnere mich nicht, dass sie mich hintergangen hätten. Ich erinnere mich an keine Manipulation. Ich habe überhaupt keine Erinnerungen, außer jenen, die sie mir gegeben haben.

Wiedergegeben haben?

Ein schönes Leben, ein reiches Leben liegt hinter mir. Vielleicht.

Ich kann zufrieden sein. Vielleicht.

Wer wäre ich denn, zu sagen, was ich wirklich getan habe in dem Jahrhundert, das sie mir gestohlen haben?

1.

KYLLDIN

Der Gleiter des Khasurnbarons flog durch die Öffnung. In jedem anderen Raumschiff hätte Yergeo da Gnotor wohl eher den Ausdruck Schott benutzt. Doch in Bezug auf seine gegenwärtige Umgebung hätte sich das falsch angefühlt. Er begab sich in das Innere einer Pflanze, die an einer Stelle ihre Außenhaut für ihn geöffnet hatte.

Aber was für eine Pflanze das war!

Der Spross KYLLDIN, jenes gigantische Fremdraumschiff, in das da Gnotor und seine Begleiter gerade einflogen, war binnen weniger Wochen aus einem winzigen Samenkorn gewachsen. Vor knapp einem Monat war das ganze Gebilde kleiner gewesen als ein Fingernagel. Nun maß es mehr als fünf Kilometer in der Länge und mehr als dreieinhalb Kilometer in der Breite und Höhe. Damit überragte es sogar die Kristallbrücke um mehr als das Doppelte, das ansonsten höchste Bauwerk auf Girmomar.

Größe ist Ausdruck von Macht. Nach sechzig Jahren im Amt des Khasurnbarons kam da Gnotor nicht umhin, in diesen Begriffen zu denken. Binnen weniger Tage haben die Gemeni nicht nur unsere Amtssitze, sondern auch unser Prestigeprojekt in den Schatten gestellt – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Spross konnte problemlos fast ganz Shernoss in Dunkel tauchen, wenn er sich zwischen die Sonne und die Hauptstadt der Kristallbaronie platzierte.

Bislang verharrte das Schiff der Gemeni über dem Meer. Die Fremden hatten keine Feindseligkeit gezeigt. Ganz im Gegenteil: Sie hatten den Bewohnern der Baronie Geschenke versprochen, unglaubliche Geschenke.

Wie ernst es ihnen damit war ...? Unter anderem um das herauszufinden, hatte da Gnotor sich ihnen nun quasi ausgeliefert.

Die Öffnung im Rumpf des Sprosses schloss sich hinter ihm, seiner robotischen Leibwächterin und den beiden Mehandor. Nichts deutete darauf hin, dass die Wand hinter ihnen teilbar war. Das Licht der Sonne Girom durchdrang sie, ließ sie hellblau schimmern und ein Muster aus dunkleren Adern erahnen, das die ganze geschlossene Fläche bruchlos durchzog. Die Andeutung von Sonnenlicht war das Einzige, das diese Wand von den anderen Begrenzungen des Raumes unterschied. Auch die anderen Wände leuchteten bläulich, jedoch aus sich heraus. Ihr Ton war weniger intensiv.

Der Hangar – das Wort fühlte sich im Grund genauso falsch an wie Schott, aber da Gnotor kam auf keinen besseren Ausdruck – war gewaltig, groß wie ein Tempel der höchsten Götter. Eine ganze Flotte Korvetten hätte dort Platz gefunden, doch derzeit war er verwaist. Kein einziges Lebewesen war zu sehen, mit Ausnahme des Sprosses KYLLDIN selbst.

Da Gnotor ließ den Gleiter sanft aufsetzen und wandte sich zu seinen Begleitern um.

Kylldin sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Dem geistig zurückgebliebenen Mehandormädchen hatte die Baronie die ganze Aufregung letztlich zu verdanken: Hätte Kylldin nicht das Samenkorn gefunden, hätte sie nicht das Wachstum des Sprosses ausgelöst ...

Dann hätte jemand anders das getan, schalt sich da Gnotor. Es ist müßig, jemandem die Schuld geben zu wollen. Insbesondere einem Kind, das mit sieben Jahren noch immer keine ganzen Sätze bilden kann.

Früher hätte da Gnotors Extrasinn diesen Einwand erhoben – und wahrscheinlich in deutlich schärferer Formulierung. Doch der separate Logiksektor in da Gnotors Gehirn war bereits vor Jahren verstummt. Eine seltene Krankheit hatte den Schläfenlappen verkümmern lassen, der die Geschehnisse um den Baron einst als unabhängige Kontrollinstanz bewertet und ihn mit Ratschlägen unterstützt hatte.

Da Gnotor vermisste ihn nicht. Mit hundertsechzig Jahren hatte er Lebenserfahrung genug, um seine Entscheidungen ohne Sicherheitsnetz zu fällen. Tatsächlich neigte er inzwischen dazu, das Verstummen des Extrasinns als Vorteil zu betrachten. Sein Regierungsstil war weniger kalt, weniger berechnend als der in vielen anderen Baronien, was ihm großen Rückhalt in der Bevölkerung einbrachte – und zugleich war er auf diplomatischem Parkett nicht so leicht auszurechnen wie viele seiner Gleichgestellten.

Zu den Gelegenheiten, da kalt und berechnend tatsächlich gefragte Eigenschaften waren, konnte der Khasurnbaron auf die Unterstützung seiner Leibwächterin zählen.

»Prüf nach, ob es sicher ist!«, befahl er Ovasa.

Der große, sechsarmige Kampfroboter verließ den Gleiter. Da Gnotor gab sich keinen Illusionen hin: Im Inneren des Sprosses war Ovasas Kampfwert massiv eingeschränkt. Sämtliche Technik, die auf Hyperenergie basierte, versagte den Dienst. Damit waren vier der sechs Arme im Grunde nutzlos. Impuls-, Thermo- und Paralysestrahler sowie der Desintegrator: Nichts davon würde die geringste Wirkung zeigen.

Allerdings verfügte Ovasa immer noch über immense Kräfte, einen klaren Verstand dank ihrer leistungsstarken Biopositronik – und nicht zuletzt zwei versteckte Nadler in den Mittelfingern des dritten Armpaars, das in scheinbar normalen, fünffingrigen Händen auslief. Diese Waffen würden auch im Inneren der KYLLDIN zünden. Falls die Gemeni also tatsächlich Übles im Sinn hatten, waren da Gnotor und seine Begleiter nicht völlig wehrlos.

Bisher sah es aber nicht so aus, als würden sie angegriffen. Im Gegenteil: Man ignorierte sie.

»Viel Aufwand betrieben sie unseretwegen nicht.« Quendressa klang beinahe gelangweilt.

Nicht zum ersten Mal fragte da Gnotor sich, wie alt Kylldins Großmutter sein mochte. Deutlich älter als er selbst jedenfalls. Mehr als zweihundert Jahre? Gut möglich. Ihr Gesicht war ein einziges Meer von Falten. Freude wie Gram hatten dort ihre Spuren hinterlassen; die Landkarte eines ganzen Lebens. Schon lange hatte ihr Haar das typische Rot der Mehandor verloren.

Viele Springerinnen hätten versucht, das mit künstlichen Mittelchen zu kaschieren. Nicht so Quendressa. Sie trug das Grau mit Würde. Überhaupt strahlte sie eine Souveränität aus, die da Gnotor beeindruckend fand. Diese Frau, eine Alte ohne Rang in einer weitgehend erfolglosen Händlersippe, zeigte ein Selbstvertrauen und eine Erfahrung, die da Gnotor vielen ranghohen Beamten seiner Administration nur wünschen konnte.

In den Jahren, seit Girmomars jeweiliger Wahlbaron gleichberechtigt neben ihn als Khasurnbaron getreten war, hatte da Gnotor begriffen, dass man niemanden einer einfachen Herkunft wegen gering achten sollte. Die Wahlbarone hatten sich als ebenso engagierte und fähige Politiker erwiesen wie er selbst, der seinen Titel als Geburtsrecht empfangen hatte.

So hatte er sich lange abgewöhnt, andere gering zu schätzen, nur weil ihr gesellschaftlicher Rang nicht dem seinen entsprach. Das galt für Mehandor genauso wie für Arkoniden. Die alte Händlerin, die ihre Enkeltochter in das fremde Riesenschiff begleitete, bewies Mut.

Oder sie giert, genau wie ich auch, nach der Behandlung im Physiotron.

Da Gnotor hatte sich selbst längst und seinem gewählten Amtskollegen nur wenige Tage später eingestanden, dass die Aussicht auf eine Verjüngung ihn reizte – in einem Ausmaß, das seine Urteilskraft trüben mochte. Er hatte deshalb die Amtsgeschäfte in die Hände des Wahlbarons gelegt und war der Einladung in den Spross gefolgt. Nominell, um die Absichten der Gemeni zu erforschen. Tatsächlich aber, um als jüngerer Mann zurückzukehren, der Last des Alters ledig.

Hatte Quendressa ähnlich eigennützige Motive? Da Gnotor mochte nicht recht daran glauben. Sie hatte nie versucht, zum Spross vorzustoßen. Erst als der Kommandant des fremden Schiffes sie ausdrücklich einlud, hatte sie sich überhaupt mit dem Gedanken daran beschäftigt.

Quendressa bemerkte da Gnotors Blick. Sie wandte sich ihm zu. »Genug gestarrt?«

Da Gnotor lächelte. »Verzeih. Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich habe nur nachgedacht.«

»Ernsthaft?«, fragte sie. »Habe ich bei einem Politiker noch nie erlebt. Das soll ich dir glauben?«

Da Gnotor riss überrascht die Augen auf, dann grinste er. Im Kristallturm hätte niemand eine solche Frechheit über die Lippen gebracht.

»Die Lage ist ungewöhnlich genug, dass sogar jemand wie ich sein Gehirn anwerfen muss«, gab er zurück. »Tatsächlich hätte ich damit gerechnet, dass wir in irgendeiner Form empfangen oder abgeholt werden.«

Quendressa schüttelte stumm den Kopf.

»Was?«, fragte da Gnotor.

Die alte Frau lächelte. Die Landkarte ihres Gesichts zeigte tektonische Verschiebungen. »Einen Moment hatte ich dir das mit dem Nachdenken abgekauft. Aber jetzt bin ich beruhigt.«

Da Gnotors Stimmung verfinsterte sich. So sehr es ihm gefiel, dass die Mehandor sich nicht von ihm einschüchtern ließ: dass sie sich über ihn lustig machte, musste er nicht hinnehmen.

»Wenn du etwas weißt, sag es!«, forderte er sie auf.

Sie sah ihn an, ein wacher Blick in diesem uralten Gesicht. »Du misstraust den Gemeni. Schön und gut. Aber umgekehrt gilt: Warum sollten sie dir trauen? Immerhin habt ihr versucht, ihr Raumschiff zu sprengen. Ohne dass sie euch je etwas getan hätten. Trotz dieser Aggression laden sie euch ein. Du schickst zum Dank ein schwer bewaffnetes Militärkommando, das sie unversehrt wieder aus dem Schiff hinauskomplimentieren.

Nun kommst du tatsächlich selbst an Bord – und als erste Handlung schickst du einen besonders schlagkräftigen Kampfroboter aus dem Gleiter.« Sie sah ihn an, wie nur eine Großmutter blicken konnte – milde, nachsichtig, aber auch enttäuscht. »Muss ich es dir wirklich erklären?«

Da Gnotor zog den Mund schief. Nein, das musste sie wirklich nicht. Sein diplomatisches Talent, zu dem er sich gerade noch selbst gratuliert hatte, war offensichtlich irgendwann während der letzten Tage sanft entschlummert.

»Wir steigen aus«, ordnete er an.

»Guter Gedanke«, hörte er Quendressa murmeln, als er aus dem Gleiter sprang.

Der Boden, von der gleichen blauen Farbe wie die Wände, federte ein wenig. Der Arkonide sank nicht so tief ein, dass das Gehen schwierig wurde. Im Gegenteil gab der Untergrund jedem Schritt ein wenig zusätzlichen Schwung mit, sodass da Gnotor die Bewegungen schon ganz ohne verjüngende Zelldusche leichterfielen.

Der Effekt wurde allerdings rasch durch die unerwartete Kälte zunichtegemacht. Sie kroch durch die Kleidung, sodass seine Muskeln sich unangenehm versteiften.

Quendressa kam offenbar schlechter als er mit dem weichen Boden und der unangenehmen Temperatur zurecht. Sie musste sich auf Kylldins Schulter stützen.

Das Kind sah sich mit riesigen Augen in der großen Halle um. Sein Mund stand leicht offen. »Im Vatervater«, sagte sie andächtig. »Sind im Vatervater.«

»Ja.« Quendressa strich ihr über die Haare. »Wir sind in dem Raumschiff. In deinem Raumschiff, das du großgezogen hast.«

Kylldin schlang die Arme um ihre Großmutter und presste sich an sie. »Sticht«, sagte sie. »Vatervater sticht.«

»Keine Sorge.« Quendressa lächelte. »Ich passe auf dich auf.«

Da Gnotor verstand zunächst nicht, wovon das Kind redete. Dann fiel ihm ein, dass das Samenkorn Kylldin in den Finger gestochen hatte, bevor sein Wachstum begonnen hatte. Hatte das Kind deshalb Angst vor dem Schiff? War das Schiff das, was sie Vatervater nannte?

Ovasa zog weiter ihre Runden und scannte den Hangar mit den wenigen Mitteln, den der Ausfall der Hypertechnik ihr belassen hatte. Da Gnotor stellte sich neben Quendressa und Kylldin, dann beorderte er die Leibwächterin zurück. Ovasa bezog hinter ihrer Gruppe Stellung.

»Alle Waffen desaktivieren!«, ordnete da Gnotor an.

Ovasa ließ die sechs Arme hängen.

In der Hangarwand bildete sich eine Öffnung.

Bhal Kharnaim trat ein.

*

Der Kommandant des Sprosses näherte sich lautlos und langsam.

Da Gnotor nutzte die Zeit, um den Gemen eingehend zu betrachten. Kharnaim war größer, als es bei ihrem Hologespräch den Anschein gehabt hatte. Die blauviolette Haut, das Kleid in der gleichen Farbe – all das passte perfekt zum Blau des Sprosses, ließ den Bhal wie einen kleinen, unabhängig beweglichen Teil der Pflanze wirken.

Was stimmen kann, erinnerte sich da Gnotor. Die Terraner haben Hinweise darauf gefunden, dass die Gemeni Pflanzenwesen sind, die aus Knospen im Spross geboren werden.

Kharnaim kam nun nahe genug heran, dass da Gnotor jede Einzelheit des fremdartigen Wesens erkennen konnte. Ein Gesicht im Sinne eines Arkonoiden hatte der Gemen nicht. Sein Kopf sah vielmehr so aus, als wäre das eigentliche Antlitz hinter zwei Halbschalen verbogen. Eine tiefe Furche von der Stirn hinab zum Kinn trennte die beiden Hälften. Lediglich die vier völlig schwarzen, rechts und links der Nut sitzenden Augen ließen ahnen, dass es sich dabei nicht um einen eigenwillig geformten Helm handelte.

Jener Helm oder Hut – oder wie immer man es nennen wollte – wirkte pilzkappenähnlich, eine weit ausladende Kopfbedeckung, jedoch mit mehreren hornartigen Ausbeulungen. Yergeo da Gnotor wusste nicht zu sagen, ob es sich um ein Kleidungsstück oder einen Teil des Körpers handelte. Für Letzteres sprach, dass der Helm exakt dieselbe Farbe hatte wie das Gesicht und die dreifingrigen Hände des Bhals. Allerdings gehörten auch Metallteile zum Helm. Mindestens diese waren also wohl künstlich hinzugefügt worden.

Wobei man sich nicht einmal dessen wirklich sicher sein konnte. Die Informationslage war mehr als dürftig. Die Arkoniden trafen, zumindest soweit da Gnotor wusste, in dieser Sekunde zum allerersten Mal auf einen Gemen.

Die Terraner hatten schon vor einigen Wochen Kontakt zu diesem Volk gehabt und, neugierig wie sie waren, auf viele Arten versucht, Informationen zu sammeln. Nur war der Spross aus dem terranischen Heimatsystem mit zweihunderttausend entführten Galaktikern aufgebrochen, bevor irgendwelche gesicherten Erkenntnisse vorlagen.

Zwei Schritte vor da Gnotor blieb der Bhal stehen. »Willkommen im Spross KYLLDIN.«

Die Stimme klang wie ein Rascheln.

Da Gnotor hatte nicht den Eindruck, dass das Geräusch vom Kopf des Gemen ausging. Vielmehr wirkte es, als flüsterte ein Unsichtbarer direkt in sein Ohr. Er widerstand dem Impuls, erschreckt den Kopf zu drehen.

»Danke, dass du uns empfängst«, entgegnete da Gnotor.

»Danke, dass ihr unserer Einladung folgt«, sagte der Bhal.

Kylldin riss sich von Quendressa los und lief zu dem Gemen. Quendressa wollte ihr folgen, blieb aber auf da Gnotors Geste hin zurück.

Vor der fremdartigen Gestalt legte das Mädchen den Kopf in den Nacken und sah an ihr hoch. »Vatervaterkind!«

»Willkommen, Kylldin«, sagte der Bhal. »Es ist mir eine Ehre, dich an Bord zu begrüßen. Du bist der Ursprung. Dies alles gibt es nur, weil es dich gibt.«

»Großes Häuschen.« Kylldin machte eine ausladende Armbewegung, wie um die ganze Hangarhalle mit der Geste einzuschließen.

»Ja.« Bhal Kharnaim stand unbeweglich. »Du hast Großes geschaffen.«

Kylldin lief zurück zu Quendressa und umarmte ihre Großmutter. »Schönes Häuschen. Mag Häuschen.«

Da Gnotor musste lächeln. Für das Kind mit seinem begrenzten Verstand war alles einfach. Das Schlimmste, was es erlebt hatte, war ein Stich in den Finger gewesen. Alles andere war ein großes Abenteuer für Kylldin: Sie erkundete den Vatervater mit seinen vielen Häuschen.

Kein Gedanke an die gewaltige Bedrohung, die ein fünf Kilometer langes, anscheinend unzerstörbares Schiff für die Hauptwelt der Baronie bedeutete. Kein Gedanke an das Chaos, das folgen würde, wenn das Versprechen der Verjüngung durch die Zellduschen sich als wahr erweisen sollte.

Selbstverständlich beneidete er das Mädchen nicht um seine geistige Behinderung. Aber selbst das war bei Licht betrachtet kein Problem für Kylldin, sondern nur für ihre Verwandten, die sie umsorgten. Als der Baron das Kind vor dem Gemen sah, wurde ihm mit einem Mal klar, dass es wahrscheinlich auf ganz Girmomar kein ehrlicheres und glücklicheres Wesen gab.

Bewahr dir deine Unschuld, dachte er resigniert.

»Wie geht es weiter?«, fragte er. Die Direktheit der Frage mochte allen diplomatischen Gepflogenheiten widersprechen. Aber das übliche Geplänkel, das vorsichtige Abklopfen der Intentionen hatten der Bhal und er bereits am Vortag hinter sich gebracht.

Der Gemen hatte etwas versprochen. Es war an der Zeit, die Aufrichtigkeit seiner Worte zu beweisen.

»Ich zeige euch eure Quartiere.« Bhal Kharnaim wandte den Kopf zu Kylldin. »Eure Häuschen. Richtet euch ein. Sobald ihr bereit seid, können wir die Prozedur einleiten.«

Da Gnotor schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht vor, lange an Bord zu bleiben. Wir werden kein Quartier benötigen.«

Der Bhal sah ihn wortlos an. Erst nach einer ganzen Weile erklang wieder die raschelnde Stimme: »Euer Verhalten wirkt fremd auf uns. Gemeni verhalten sich anders, wenn sie ein Geschenk empfangen. Doch wir sind hier, um zu helfen und eure Bedürfnisse zu verstehen. Verzeiht, wenn wir mitunter etwas Zeit brauchen, um eure Sitten und Gebräuche zu erlernen.«

Da Gnotor presste die Lippen aufeinander. Den Bhal zu beleidigen, war nicht seine Absicht gewesen. Der Vorwurf, der in den Worten mitklang, war sicherlich berechtigt.

»Verzeih.« Er deutete eine Verbeugung an. »Wir wollen uns nicht undankbar zeigen. Ich bitte um Verständnis, dass wir eure Gastfreundschaft nicht über Gebühr beanspruchen dürfen. Regierungsgeschäfte warten auf mich, und ihre Dringlichkeit steigt. Viele Arkoniden werden eurer Einladung Folge leisten und eine Verjüngung akzeptieren wollen. Die Regierung muss sich um ihr Wohlergehen kümmern.«

Das war bestenfalls eine Halbwahrheit. Prinzipiell hatte da Gnotor zwar die Absicht und tatsächlich auch die Pflicht, so schnell wie möglich in seinen Amtssitz als Khasurnbaron zurückzukehren. Vor seinem Aufbruch hatte er aber sämtliche Regierungsgeschäfte in die Hände von Wahlbaron Isirea gelegt, bis er erstens aus dem Spross zurückgekehrt war und zweitens feststand, dass die Gemeni ihn nicht in ihrem Sinne manipuliert hatten. Ein Machtvakuum würde es nicht geben, und Isirea war mehr als fähig, die Geschicke der Baronie einige Tage allein zu steuern.

Woher also stammte das Gefühl, so schnell wie möglich fortzumüssen?

Du hast Angst, erkannte er. Angst davor, dass die Prozedur scheitern könnte, dass dein Traum der zweiten Jugend platzt. Und noch mehr Angst davor, was geschieht, falls er wahr wird.

Er musste eine Entscheidung treffen, bevor diese Angst ihn endgültig lähmte. Hoffentlich bestand der Bhal nicht darauf, den Gang ins Physiotron weiter hinauszuzögern!

»Wie du dir denken kannst«, erklang das raschelnde Wispern, »ist die Verjüngung deines Körpers ein komplexer Vorgang. Eine Zeit der Beobachtung nach der Prozedur ist medizinisch notwendig.«

Da Gnotor spürte, wie die Härchen in seinem Nacken sich aufstellten. »Wieso? Was kann dabei passieren?«

»Nichts«, sagte der Bhal entschieden. »Nichts Unerwartetes. Dennoch: In manchen Fällen bedarf der Prozess mehrerer Stufen. Wenn du die dafür nötige Zeit jetzt nicht entbehren kannst, sollten wir uns an einem geeigneteren Tag wiedertreffen.«

Nein!,