Perry Rhodan 2928: Welt des Todes - Michelle Stern - E-Book

Perry Rhodan 2928: Welt des Todes E-Book

Michelle Stern

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Beschreibung

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben. Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet meist zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als "nichtmenschlich" bezeichnet hätte. Besucher aus anderen Galaxien erreichen derzeit die Milchstraße – sie suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Gegenwärtig hält sich Rhodan zudem im Goldenen Reich der Thoogondu auf. Von ihrer Galaxis Sevcooris aus wollen diese eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen. In der Milchstraße sind mittlerweile die Gemeni aktiv geworden. Ihre Raumschiffe werden als "Spross" bezeichnet, sowohl die Schiffe als auch ihre Besatzung scheinen auf pflanzlicher Basis zu leben. Angeblich wollen sie die Galaxis im Auftrag einer Superintelligenz gegen feindselige Kräfte sichern. Aber ist das tatsächlich so? Nicht nur die Menschen sind misstrauisch. Der tefrodische Multimutant Assan-Assoul schafft es, den Spross KYLLDIN zum Absturz zu bringen. Die[…]

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Nr. 2928

Welt des Todes

Absturz auf Sumurdh – der Spross KYLLDIN in Not

Michelle Stern

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Hinaus

1. Danach

2. Hinunter

3. Im Innern

4. Hindurch

5. Nach oben

6. Davor

7. Dahinter

8. Draußen

9. Nirgends

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet meist zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Besucher aus anderen Galaxien erreichen derzeit die Milchstraße – sie suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Gegenwärtig hält sich Rhodan zudem im Goldenen Reich der Thoogondu auf. Von ihrer Galaxis Sevcooris aus wollen diese eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen.

In der Milchstraße sind mittlerweile die Gemeni aktiv geworden. Ihre Raumschiffe werden als »Spross« bezeichnet, sowohl die Schiffe als auch ihre Besatzung scheinen auf pflanzlicher Basis zu leben. Angeblich wollen sie die Galaxis im Auftrag einer Superintelligenz gegen feindselige Kräfte sichern. Aber ist das tatsächlich so?

Nicht nur die Menschen sind misstrauisch. Der tefrodische Multimutant Assan-Assoul schafft es, den Spross KYLLDIN zum Absturz zu bringen. Die an Bord Befindlichen – darunter auch Reginald Bull – landen auf einer WELT DES TODES ...

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Der Liga-Kommissar kann nicht nur diplomatisch sein.

Toio Zindher – Die Vitaltelepathin sieht mehr als andere.

Kylldin – Die Obhüterin der KYLLDIN kämpft ums Überleben.

Assan-Assoul

Prolog

Hinaus

Es donnert und kracht. Etwas Gewaltiges schlägt auf, bohrt sich in die Tiefe, reißt einen Krater. Mooshügel zerfetzen, Pflanzen, Erde, Staub und Sporen wirbeln über Hunderte Kilometer weit auf. Felsen und brennende Büsche schleudern durch den Nebel wie Geschosse. Eine Erschütterung geht durch die Welt, setzt sich in Wellen fort, die kleiner und kleiner werden.

Der Boden Sumurdhs erbebt. Die Schlafenden in den Vernui-Sträuchern erwachen. Sie schrecken auf, kriechen unter fleischigen Blättern hervor, kämpfen sich aus modrigen Kuhlen. Sie recken die langen Hälse, atmen giftgelbe Luft, plustern das Gefieder, schlagen die Krallen in den Boden – fühlen.

Aufgeregtes Geschnatter wird laut. Sie reißen die Hornschnäbel auf, zischen den Nachhall des großen Krachs an, als wäre er ein Gegner, der sie provoziert hätte. Die Erschütterung setzt sich in ihren Köpfen fort, wirbelt Gedanken durcheinander, schüttet Hormone aus, die jeden Muskel anspannen.

Was war das? Was ist geschehen?

Viele Tage haben sie geruht, Kraft gesammelt für die nächste Jagd. Ist es nun so weit?

Wach-Wach-Wach!

Sie schütteln sich, suchen nach ihr, der einen, die ihnen zeigt, was zu tun ist.

Horch-Horch-Horch!

Die Eine steht da, mitten auf der Lichtung, den langen Hals zur Seite gelegt, und lauscht. Sie steht ganz still. Nebelschwaden ziehen über Moosfelder und Büsche. Noch immer ist da ein Nachhall, ein feiner Klang von dem Etwas, das lauter als jeder Sturm über Sumurdh hereinbrach und die Ruhe zertrümmerte. Es klingt nach Aufregung, nach Verheißung, nach Nahrung – und nach Gefahr. Würde der große Hunger nicht in ihr brennen, würde sie vor dem Grollen fliehen. In seinem Klang vibrieren Vernichtung und Tod, doch sie hat keine Wahl.

Lauf-Lauf-Lauf!

Die Eine stößt einen markerschütternden Schrei aus, als wollte sie im Nachhinein auf das Donnern und Krachen antworten, dem Lärm etwas entgegensetzen. Ihre bunten Federn stehen gespreizt vom Körper, die Krallen schlagen in das Moos, hacken Stücke heraus, scharren es hinter sich. In ihrem Magen rumoren Verdauungssäfte. Sie macht sich bereit.

Die Horde tut es ihr nach. Sie rücken näher, reißen den Bodenbewuchs auseinander, schreien, schütteln die Hälse.

Jag-Jag-Jag!

Es gibt wieder Futter. Viel Futter. Irgendwo in der Ferne. Großes Futter. Mehr als je zuvor. Leckeres Futter.

Sie müssen hingehen und es holen, egal, was es kostet.

Die Eine senkt den Kopf, rennt los. Die Horde folgt. Ihr Kreischen animiert weitere Laufvögel, setzt sich fort wie eine zweite Welle, die um den Planeten spült.

1.

Danach

Kylldin erwachte in absoluter Dunkelheit. Sie blinzelte, verunsichert, ob sie die Augen geöffnet hatte. Ja. Die Augen waren offen. Aber es gab nichts zu sehen. Nicht das winzigste Fitzelchen Helligkeit.

»Hallo? Dora?« Ihre Hände tasteten um sich. Sie kamen nicht weit.

Kylldin bewegte den Körper. Da war ein Widerstand, der wie eine Haut um sie lag, sie komplett einschloss. Er schmiegte sich an Arme und Beine, hüllte sie vom Kopf bis zu den Zehen ein. Die Enge machte ihr Angst.

»Dora!« Wie lange hatte sie das Kosewort für ihre Großmutter nicht benutzt? Kylldin wusste es nicht. Vielleicht hatte sie es nie zuvor getan, weil sie bis vor Kurzem dumm gewesen war. Erst das Physiotron, das Kristallgerät der Gemeni, hatte sie schlau gemacht. Es hatte sie geheilt.

Du warst nie dumm, hörte sie die Stimme ihrer Großmutter liebevoll in den Gedanken.

Sie schüttelte den Kopf. Die Alten nannten es nicht so. Besonders nicht die Uralten. Für sie war Kylldin krank gewesen. Behindert. Sie hatten manchmal Probleme, Sachen so zu sagen, wie sie eben waren. Kylldin war blöd gewesen, sehr blöd sogar. Sie hatte keinen ganzen Satz herausbekommen – und nun war sie schlau. Dafür war sie blind und in eine Haut eingesperrt, die sie gefangen hielt. Da half ihr die neue Schlauheit nichts.

»Dora! Hilfe!« Sie drückte gegen die Wand. Ihre Finger versanken darin, die Hülle gab ein wenig nach. »Hol mich raus!«

Da war ein Etwas. Ein namenloses Etwas, das bei ihr war, sie streichelte. Das ihr zeigen wollte, dass sie keine Gefangene war, sondern beschützt wurde – von ihm.

Kylldin erinnerte sich plötzlich. An die Schreie. Daran, wie alle auseinandergesprungen waren. Einige waren sogar geflogen – ja! Sie war ebenfalls geflogen, mitten durch die Luft! Ihr Kopf hatte die Decke berührt. Sie war unter der Wölbung dahingeglitten wie ein Vogel. Da war keine Schwerkraft gewesen. Jedenfalls für eine kurze Weile. Der Spross ... Ihr Schatz ...

»Vatervater! Nein!« Das Entsetzen schnürte Kylldin den Hals zu. Etwas war mit ihrem Spross geschehen. Er war abgestürzt. Jemand hatte gebrüllt, sie würden angegriffen. Kylldin hatte zu Quendressa gewollt, doch ein Gemen in einem ockerfarbenen Gewand hatte sie gepackt und von ihrer Dora weggetragen. Und dann ...

... hatte sich die Wand aufgetan und Kylldin aufgenommen. Der Gemen hatte sie hineingeschoben wie in eine schützende Höhle.

Kylldin beruhigte sich ein wenig. Sie lauschte auf ihren Herzschlag, der langsamer wurde. Sie war nicht gefangen. Vatervater umschloss sie. Die Wand schützte sie, hatte geholfen, dass sie den Aufprall besser überstand. Das Schiff wollte ihr nichts tun. Es wollte helfen. Trotzdem war es unangenehm, eingesperrt zu sein.

»Vatervater«, flüsterte Kylldin. »Lass mich raus. Bitte!«

Die Haut wich zurück, als hätte sie die Worte verstanden. Eine Öffnung entstand, die rasch größer wurde. Licht stach in Kylldins Augen. Es fühlte sich an, als hätte sie seit Jahren keins gesehen. Obwohl es düsterblau war, tat es weh wie beim Blick in eine Sonne.

Kylldin krabbelte aus der Öffnung. Sie wollte auf den Boden springen, doch die Beine gaben unter ihr nach. Sie fiel der Länge nach auf den weichen Gang, sackte ein Stück ein, um dann emporgehoben zu werden. Mühsam kämpfte sie sich auf die Knie und schaute sich um. Einige Meter vor ihr lag eine Arkonidin mit langen, weißen Haaren auf dem Rücken.

»Hallo?« Kylldin kam auf die Beine, ging zu der Frau.

Die regte sich nicht. Ihre roten Augen standen offen. Der Blick ging starr an die Decke. Zahlreiche Runzeln und Falten durchzogen ledrige Haut. Es war ein kompliziertes Muster, das Kylldin auf rätselhafte Weise schön fand. Sie streckte die Finger danach aus.

»Sag was!«, befahl sie der Arkonidin. Das war frech, das wusste sie. Kinder sagten Erwachsenen nicht, was diese zu tun hatten. Schon gar keine Mehandorkinder einer Arkonidin wie der.

Die Frau trug kostbare Kleider, hatte sich schick gemacht. Schmuck bedeckte den Hals. Zahlreiche weiße Steine funkelten in mehreren Lagen um die Wette. Sicher gehörte sie einem reichen Khasurn an.

Aber die Alte beschwerte sich nicht. Kylldin kniete sich neben sie, berührte das Gesicht mit der Hand. Es war kalt. Aus dem Mund kam kein Hauch.

»Vatervater«, flüsterte sie. Ein Teil von ihr wollte die Alte schütteln, sie zwingen, ihr zu antworten. Aber da war auch ein anderer Teil. Einer, der auf seine ganz eigene Art und Weise verstand, dass die fremde Arkonidin nichts sagen konnte – und dass sie nie wieder etwas sagen würde.

Kylldin ließ die kalte Haut los, kroch zurück. Das Funkeln der Steine fing ihren Blick ein. So etwas Schönes hatte sie nie besessen – außer vielleicht den Spross, als er ganz klein gewesen war, doch Vatervater gehörte eigentlich nicht ihr. Sollte sie die Kette mitnehmen?

Nein. Etwas daran war falsch. Sobald die Frau aufwachte, wäre sie sicher böse. Ja, überhaupt – vielleicht würde die Frau wach werden, und dann brauchte sie Hilfe.

Was hatte ihr Onkel Dallyon immer zu den anderen gesagt? »Seid beim Spielen zu dritt. Wenn einer verletzt wird, bleibt einer da, und einer holt Hilfe.«

Mit Kylldin waren sie immer zu viert gewesen. Kylldin hatte nicht gezählt, weil sie dumm gewesen war. Nun zählte sie. Sie konnte nicht dableiben und Hilfe holen. Sie musste sich für eins von beiden entscheiden.

Sie stand auf. »Ist da jemand? Vatervater? Dora?«

Keine Antwort. Der Spross kam ihr wie taub vor. Als schliefe er. Kylldin ließ die alte Frau liegen und ging weiter. Vor ihr verzweigte sich der graublaue Gang. Es gab keine Kanten und scharfen Ecken. Weiche Rundungen überall. Über ihr wölbte sich die Decke leicht nach innen.

Ohne nachzudenken, wählte Kylldin den linken Weg. Sie wusste nicht mehr, woher sie gekommen war. Der Gemen hatte sie getragen. Ihr Herz schlug schneller, als sie etwas Ockerbraunes vor sich sah. Vielleicht war er das ja – der Gemen, der sie getragen hatte. »Hey!«

War das überhaupt ein Gemen? Oder nur seine Kleidung? Nein. Es war ein Gemen. Aber warum lag er auf dem Rücken? Etwas an dem Bild war falsch.

Kylldin rannte zu ihm. »Genug geschlafen! Aufwachen! Du musst helfen!«

Sie schluckte. Der Gemen war gar nicht ganz da. Er lag mit der oberen Hälfte des Körpers auf dem Boden. Die untere Hälfte dagegen versank im Gang. Es war, als hätte sich das Wesen verflüssigt. Kylldin wurde übel. Sie zitterte.

»Vatervaterkind«, flüsterte sie. Sie beugte sich zum Kopf des Wesens.

Der Aufsatz mit den beiden Hörnern ragte noch heraus. Sie sah den Spalt in der Gesichtsmitte, die vier Augen, die genauso leblos waren wie die der alten Arkonidin.

Quendressa hatte ihr damals gesagt, dass ihre Eltern tot waren. Sah er so aus? Der Tod? Kylldin erinnerte sich nicht, ob sie Mutter und Vater tot gesehen hatte. Hatten beide sich aufgelöst? Wahrscheinlich nicht. Sie mussten still dagelegen haben, wie die Arkonidin. Das mit dem Gemen war anders. Vatervater holte ihn zu sich.

Der Gedanke hatte etwas Tröstliches, selbst wenn das Bild vor ihr verstörend war.

Furcht kroch durch Kylldin und füllte sie allmählich aus. Was, wenn sie ganz allein war? Wenn alle Erwachsenen schliefen oder tot waren?

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Es klang wie ein dumpfer Schlag. »Hilfe! So helft mir doch!«

Kylldin öffnete den Mund. Da war jemand!

Ein Stück vor ihr öffnete sich der Gang zu einer Halle. Daher kam der Ruf. Sie ließ den Gemen liegen, hastete in die Richtung der Stimme. Dabei musste Kylldin sich an der Wand abstützen, um nicht wieder hinzufallen. Ihre Beine waren weich, als hätte jemand die Knochen herausgesaugt.

Verwirrt bemerkte sie, dass manche Stellen auf dem Weg sich schwarz verfärbt hatten, als hätte der Spross Wunden.

Von der Decke tropfte übel riechende Flüssigkeit.

Verunsichert blieb Kylldin stehen.

»Hilfe!«, schrie die Stimme erneut. Sie war hell, hoch. Die Stimme eines Jungen. Da war noch ein Kind an Bord!

Kylldin erinnerte sich: Zwei weitere Kinder waren da gewesen. Ein Mehandormädchen wie sie und ein arkonidischer Junge. Beide hatten schwere, bösartige Krankheiten gehabt, und der Spross war ihre letzte Hoffnung gewesen.

»Ich komme!«, schrie Kylldin. »Ich helfe dir!« Sie wich den Tropfen aus, stolperte in die von Säulen und Zwischenwänden durchsetzte Halle. Das Licht darin war heller, schmerzte in den Augen. »Wo bist du?«

»Hier!«, rief die Stimme. »Beeil dich!« Das klang barsch, wie ein Befehl.

Kylldin lief im Zickzack um zwei Säulen. Im unwirklichen Blau sah alles gleich aus. Vor ihr erhoben sich mehrere Gebilde, die sich stark von der Umgebung absetzten. Ihre Winkel waren gerade, es gab Ecken und Kanten. Sie stachen wie die Glieder einer Vierfingerhand in die Höhe, jedes davon groß genug, einen erwachsenen Mehandor aufzunehmen.

Kylldin kannte die künstlichen Geräte: Es waren die Physiotrone. Sie selbst war nackt in eines dieser Kristalldinger gestiegen.

Das Klopfen und das Pochen halfen ihr, den Weg zu finden. Der Junge musste in einem der Geräte stecken. Vielleicht hatte der Absturz genau zu dem Zeitpunkt stattgefunden, als er zu seiner Heilung darin gewesen war.

»Ich bin da!«, rief Kylldin. Sie trat auf den metallenen Sockel, auf dem vier korbartigen Kristallgebilde standen. »Komm raus!«

Das Pochen wurde lauter und schneller. »Das will ich ja, du dummes Balg! Eben das geht nicht! Kannst du das Physiotron von außen öffnen?«

Einer der Kristallkörbe pulsierte heftiger als die anderen. Stahlblaues Licht fiel in rhythmischen Abständen auf Kylldins Körper. Sie berührte das leuchtende Gebilde. Da war eine Vertiefung, in die die Greiflappen eines Gemens passten. Kylldin legte ihre Hand hinein, drückte sie in das kühle Material.

Sie schauderte, als sie an den Blitz zurückdachte, dem sie im Gerät ausgesetzt gewesen war. Er war entsetzlich grell gewesen, aber er hatte sie heil gemacht.

Die Reuse glitt auf, und ein braunhäutiger, weißhaariger Arkonidenjunge stürmte heraus. Kylldin hatte ihn nie zuvor gesehen. Er war keiner der beiden Kranken. »Wer bist du?«

Der Junge fuhr zu ihr herum. »Was soll das heißen, wer ich bin? Das ist ja wohl bekannt! Ich bin Hesster da Arbtor, Einsonnenträger und Verteidiger der Kristallbaronien! Nun, nachdem ich verjüngt bin, werde ich diesem Ekelpaket Bostich, seiner selbst ernannten Impertinenz, das Rot aus den Augen saugen, bis er zur Vernunft kommt!«

Kylldin stand der Mund offen. Das Kind vor ihr war höchstens sechs Jahre alt. Sie kannte alte Bilder von Imperator Bostich und hatte gehört, er sollte seit Neuestem Superkräfte haben. Irgendwie hatte es einen Unfall gegeben, und nun war der ehemalige Imperator ein bisschen wie ein Haluter. Wie sollte der Zwerg vor ihr, dem selbst sie haushoch überlegen war, einen Gaumarol da Bostich zur Vernunft bringen? Sie lachte.

Da Arbtors Augen verengten sich. Er hatte nun etwas Fieses an sich. »Du lachst? Warum bei allen She'Huhan lachst du? Bist du blöd?«

Kylldin straffte die Schultern. »Blöd bin ich nicht mehr. Aber stärker als du. Du solltest nicht so frech sein, sonst haue ich dir auf die Nase.«

Der Arkonidenjunge legte den Kopf schief. Er wollte etwas sagen, verstummte dann aber. Entsetzt blickte er auf seine Hände.

»Ich ... Die Einstellung! Das Physiotron! Die Juvenilform ist falsch ...« Er stieß einen Laut aus, der Kylldin erschreckte. Es war eine Mischung aus Schrei und Knurren. »Sie haben mich einen Zyklus zu lang zurückgesetzt! Dafür werden diese Gemeni bezahlen! Ich werde sie verklagen! Ich werde ...!«

Kylldin schlug ihm mit der flachen Hand auf die Nase.

»Au! Du dreckiges Mehandorgör!« Da Arbtor verstummte. Er rieb sich das Gesicht. »Was soll das?«

»Hilf mir!« Kylldin stemmte die Arme in die Seiten. »Du bist groß im Kopf, oder? Also tu was! Ich weiß nicht, wo Dora ist!«

»Deine Großmutter?«

Sie nickte.

Da Arbtor seufzte schwer. »Also schön. Lass mich einen Moment nachdenken, Kleine. Man ist nicht alle Tage wieder sechs.« Er schaute hinunter in seine Körpermitte, als würde er etwas vermissen. »In Ordnung. Wir sind abgestürzt. Gab es Notfallprotokolle?«

Kylldin starrte ihn an. »Was sind ... Notfallprotokolle?«

Da Arbtor machte ein paar wackelige, unsichere Schritte. Fassungslos hielt er die Arme hoch, bewegte die Finger und beobachtete sie, als würden sie nicht zu ihm gehören. »Unwichtig. Wo geht es zur Zentrale?«

»Ich glaube, der Spross hat so was nicht.«

»Richtig.« Langsam schien sich da Arbtor zu erinnern. »Allerdings gab es Bereiche, in die wir nicht durften, um den Schiffsbetrieb nicht zu stören. Wir müssen einen Gemen finden. Sie müssen diese Behandlung rückgängig machen und uns hier rausbringen. Weißt du, wo wir abgestürzt sind?«

»Sumurdh«, erinnerte sich Kylldin. »Meine Dora nannte es Sumurdh. Die Gemeni haben es ihr gesagt.«

»Deine Großmutter. Natürlich!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Kylldin! Wie das Schiff. Du bist das Mädchen, das den Spross gefunden hat.«

Sie nickte. Immerhin hatte das Physiotron ihn nicht dumm gemacht.

»Na dann. Suchen wir einen dieser Hörnerschädel.«

»Sie heißen Gemeni.«

Da Arbtor winkte ab. »Geschenkt. Abmarsch! Lage sondieren.« Er ging voran.

Kylldin folgte ihm, froh darüber, dass sie nicht mehr allein war. Sie dachte an ihre Dora. Ob Quendressa auch irgendwo im Gang herumlag und schlief wie die alte Arkonidin? Sie hob die Schultern, schüttelte sich.

»Ist dir kalt?«, fragte da Arbtor.

Darüber hatte Kylldin bisher nicht nachgedacht. Überrascht bemerkte sie, dass ihr wirklich kalt war – eiskalt sogar. Sie nickte.

Da Arbtor führte sie in ein Quartier in der Nähe. Er schlang sich ein Gespinst um den Körper und reichte ihr ein zweites. »Wickle dich da rein. Ich frage mich, wo der Rest der Besucher steckt.«

Er stapfte wieder voraus. Seine Schritte waren weit und kräftig – er wirkte wie ein Teff-Affe. Das energische Auftreten passte nicht zu dem schmächtigen Kinderkörper. Kylldin kicherte.

Der Arkonide ignorierte sie. Er schaute nicht zurück. Kylldin bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten. Es war anstrengend.

Einige Minuten hielt sie durch, dann brannten Kylldins Waden. Sie atmete tief ein – und blieb stehen. Da war ein Duft im Gang – eine süße Schwere, ganz anders als der ekelerregende Gestank, der von den Spross-Wunden ausging. Er erinnerte sie an die Blumen am Ende von Quendressas Kräutergarten. Quendressa liebte Pflanzen. Ob ihre Dora bei den Blumen war?

Kylldin folgte dem Geruch. Er ließ sie lächeln. Sie fühlte sich ganz leicht.

»Kylldin?«, rief da Arbtor. »Was machst du denn da? Zurück ins Glied!«

Der brüllende Junge war unwichtig. Sollte er doch allein weiterschreien! Kylldin sog gierig die Luft ein. Es kitzelte in der Nase. Winzige gelbe Punkte tanzten vor ihr im Gang.

»Bleib stehen!«, rief da Arbtor. »Und nimm das Tuch hoch! Vor den Mund damit, verflucht! Da vorne muss irgendwo ein Riss im Rumpf sein, du ...« Er verstummte, keuchte als würde ihn jemand würgen.

Kylldin spürte einen warmen Lufthauch, der ihr entgegenwehte. Er war angenehm, wenn er auch bitter schmeckte. Sie lief schneller, folgte dem gewundenen Gang durch eine Wolke aus gelben Glimmerspitzen. Sie lachte entzückt.

»Quen?«, rief sie. »Dora? Sind das deine Blumen? Sie haben Glimmerpollen ...«

Es wurde neblig. Kylldin stolperte weiter. Der Boden unter den Füßen veränderte sich, federte nicht mehr. Er war hart und unregelmäßig. Ein scharfer Schmerz schnitt in Kylldins Fuß. Etwas war durch die Sohle des Schuhs gedrungen.

Sie blieb stehen. Der Nebel ließ nach, erlaubte ihr, den Gang wieder zu erkennen – doch da war kein Gang mehr. Vor ihr riss der Boden auf.

Kylldin stand am Rand der Abbruchstelle. Sie schaute kilometertief nach unten, in einen wabernden, schwarzen Nebel.

Eine unsichtbare Barriere hielt ihn zurück, doch sie hatte Lücken. An manchen Stellen drang die Schwärze durch. Verschwommen erkannte Kylldin ferne Berge, die wie ein aufgeschobener Ring um die KYLLDIN lagen. Sie waren von einem rauchigen Grün.

Fasziniert beugte sie sich vor. Etwas Buntes schien in der Tiefe zu huschen. Es tauchte kurz im Nebel auf wie eine schillernde Feder, verschwand dann wieder.

»Kylldin!«, brüllte da Arbtor. »Bleib stehen! Das ist ein Befehl!«

Kylldin machte einen Schritt nach vorne und ließ sich fallen.

Dazwischen

Assan-Assoul trieb in sternenloser Nacht. Weiches Wasser umspülte ihn, troff über den Kopf, lief den Körper hinunter, als wäre er nackt und trüge keinen Schutzanzug.

Wo war er? Was war geschehen? Warum fühlte sich das Wasser so anders an, als ob es gar keines wäre?

Da war eine Präsenz, ein Etwas, das ihn zu zerreiben drohte. Eine Frage und Herausforderung, die zu groß war, sich ihr zu stellen. Sie überragte ihn wie ein Berg, wollte ihn in einer Lawine mit sich reißen.

»Wer bist du?«, fragte Assan-Assoul. Irgendwo in einem Winkel seines Gehirns regte sich die Erkenntnis. Er wusste, wer das war. Er wusste sogar, wo er war und was passiert war.

Was er getan hatte – das traf es eher. Denn er hatte etwas getan. Er hatte eingegriffen, seine Gabe spielen lassen, sie reißen, fetzen, zerstören lassen wie selten zuvor. Es war ein wahres Fest gewesen, eine Orgie der Gewalten, die ihm zur Verfügung standen.

Para-Dysfaktor. So nannten es die, die allem einen Namen geben mussten. Assan-Assoul war der Name gleich. Er war seine Gabe, und sie war er.

Das fremdartige Wasser prasselte stärker, wurde härter. Es fühlte sich an, als fielen Kiesel und kleine Steine auf ihn nieder. Es war gar kein Wasser, sondern etwas anderes. Das war der verdammte Spross. KYLLDIN. Er wehrte sich gegen den Untergang, kämpfte gegen sein Ende.