Perry Rhodan 2981: Im Bann der Erkenntnis - Verena Themsen - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2981: Im Bann der Erkenntnis E-Book und Hörbuch

Verena Themsen

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Beschreibung

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben. Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen. Eine dieser Machtgruppen ist der sogenannte Techno-Mahdi, der das Solsystem unter seine Kontrolle gebracht hat. Sein wichtigster Repräsentant nennt sich Adam von Aures, und er scheint nach der völligen Unabhängigkeit von allen Hohen Mächten zu streben. Bei seinen Bemühungen hat er aber etwas ausgelöst, das den Untergang der Milchstraße nach sich ziehen kann: den Weltenbrand. Atlan begibt sich indessen auf die Suche nach der geheimnisvollen Proto-Eiris, die einst von ES in der Kleingalaxis Cetus eingelagert wurde. Sie soll vielerlei Fähigkeiten aufweisen, die im Kampf gegen den Weltenbrand nützlich sein könnten. Auf dem Weg dorthin ist jedoch so mancher IM BANN DER ERKENNTNIS ...

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Zeit:3 Std. 42 min

Sprecher:Tom Jacobs

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Nr. 2981

Im Bann der Erkenntnis

Sie wollen ihre Welt verstehen – und ernten Begreifen oder Tod

Verena Themsen

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Keynote

1. Ansatz

2. Summen und Differenzen

3. Asymptoten

4. Topologische Betrachtung

5. Rigorosum

6. Disputation

7. Hypothesen und Theoreme

8. Der Nutzen von Matrizen

Leserkontaktseite

Clubnachrichten

Impressum

Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen ist der sogenannte Techno-Mahdi, der das Solsystem unter seine Kontrolle gebracht hat. Sein wichtigster Repräsentant nennt sich Adam von Aures, und er scheint nach der völligen Unabhängigkeit von allen Hohen Mächten zu streben. Bei seinen Bemühungen hat er aber etwas ausgelöst, das den Untergang der Milchstraße nach sich ziehen kann: den Weltenbrand.

Atlan begibt sich indessen auf die Suche nach der geheimnisvollen Proto-Eiris, die einst von ES in der Kleingalaxis Cetus eingelagert wurde. Sie soll vielerlei Fähigkeiten aufweisen, die im Kampf gegen den Weltenbrand nützlich sein könnten. Auf dem Weg dorthin ist jedoch so mancher IM BANN DER ERKENNTNIS ...

Die Hauptpersonen des Romans

Sichu Dorksteiger – Die Ator sucht nach Erkenntnis und wundert sich.

Ashag und Tooseg – Zwei Shug suchen nach Anerkennung und vertreten entgegengesetzte Sichtweisen.

Atlan – Der Arkonide sucht einen Silo von ES und will das Geheimnis des Sickers ergründen.

Florence Hornigold

Keynote

Man sagte mir, auf Terra habe es einmal ein Sprichwort gegeben, nach dem der Krieg der Vater aller Dinge wäre. Aus ganz persönlicher Erfahrung kann ich euch sagen: Einen größeren Blödsinn habe ich noch nie gehört.

Ihr alle wisst, dass ich für den Krieg und im Krieg ausgebildet wurde. Ich habe trotzdem niemals etwas anderes als Tod und Zerstörung darin sehen können, und das Einzige, das dabei vorankam, war die Gier der Verursacher. Gier nach Macht, politisch, wirtschaftlich, sozial ... es gibt viele Arten der Gier. Was in solchen Zeiten an schmalspurigem Fortschritt durchgepeitscht wird, steht weit hinter dem zurück, was durch die allgegenwärtige Zerstörung und die Verluste verhindert wird. Ich weiß es aus Erfahrung, denn auch damals war ich schon als Forscherin tätig. Meine Entscheidung für ein friedliches Umfeld ist also gut fundiert.

Ebenso wenig sind die zivilen Kleinkriege hilfreich, die gelegentlich zwischen Fakultäten und Instituten auftreten, zwischen der Forschung und der Anwendung oder der freien Wissenschaft und der zweckgebundenen Entwicklung. Konflikte sind nie geeignet, etwas voranzutreiben; sie sind lediglich Hemmschuhe, da sie Synergien unterdrücken und im schlimmsten Fall dazu führen, dass aus persönlichem Ehrgeiz bestimmte Ergebnisse überhöht und andere unterdrückt werden.

Wenn aber Konflikte nicht die Wurzel von Forschung und Erkenntnis sind, was dann?

Meiner Meinung nach liegt die Wurzel in keinerlei äußeren Faktoren, sondern tief verankert im Inneren jedes intelligenten Wesens.

Was war das da hinten? Kannst du das noch mal wiederholen? – Faulheit? Ah! Faulheit als Motor des Fortschritts. Ich weiß, das ist eine beliebte These bei Studenten, die sich aus nicht gemachten Seminararbeiten rausreden wollen. Ich muss euch aber enttäuschen; das ist zwar nicht völlig falsch, aber auch nur ein Teil der Wahrheit. Und bei mir muss trotzdem jeder seine Arbeiten pünktlich abgeben.

Aber im Ernst: Das ist in meinen Augen zumindest richtiger als dieser Unsinn über den Krieg, denn Faulheit ist zumindest nicht per se destruktiv. Allerdings kann sie durchaus zu Stagnation führen. Hat die erreichte Bequemlichkeit den Leidensdruck erst weit genug gesenkt, wird es immer schwerer, jene universelle Einflussgröße zu überwinden, die den Jülziish als Fahlblaue Kreatur der Trägheit, den Unithern als Rüssellose Stasis und den Terranern als Innerer Schweinehund bekannt ist.

Was also bleibt? Was sorgt dafür, dass selbst in den dekadentesten und selbstzufriedensten Zivilisationen Fortschritte erzielt werden können? Was steckt so tief in uns?

Es ist die Neu-Gier. Der Hunger nach Erkenntnis, der uns von Geburt an begleitet und begleiten muss, denn sonst würden wir weder laufen noch sprechen lernen. Ein Kind will nicht stehen, um die Eltern glücklich zu machen. Es will endlich herausfinden, was das für ein spannendes Ding ist, das die Erwachsenen immer ganz weit oben im Regal platzieren. Und es will nicht sprechen können, um zu beichten, dass es den Hund gebissen hat, sondern um zu fragen, warum er so haarig ist!

Die Neugier eines Kindes ist es, die wir uns als Wissenschaftler bewahren müssen. Eine unvoreingenommene, wertungsfreie Neugier, die nichts erwartet, aber alles verstehen will. Eine Neugier, für die auch ein negatives Ergebnis ein Erfolg ist, weil es uns durch Ausschluss dem Verstehen einen Schritt näher bringt. Nur wer zu dieser Neugier fähig ist und alles andere einschließlich persönlicher Befindlichkeiten dahinter zurückstellt, der ist aus dem Stoff, der uns alle gemeinsam voranbringt.

In dieser Neugier liegt allerdings auch Gefahr. Wenn ich sage, sie müsse frei von Wertungen sein, heißt das nicht frei von Werten. Nichts entbindet uns von der Pflicht, zu hinterfragen, was wir eigentlich gerade tun und für wen, und daraus gegebenenfalls unsere Konsequenzen zu ziehen. Das ist unsere Verantwortung, an jedem Tag, an dem wir uns ins Labor oder an unsere Schreibtische begeben.

Ich sehe, da hat jemand eine Frage?

Wer dieser »man« war, der mir von diesem unsinnigen Spruch aus der Antike erzählt hat? Ihr seid kluge Köpfe, daher wisst ihr das sicher längst. Schließlich sind die Erinnerungen an die finsteren Zeiten einer gespaltenen Erde längst verblasst. Es war ein besonderer Mann; einer, der nicht glaubt, dass es irgendwelche Werte hinter Konflikten gibt, und der sich stets für deren positive Auflösung und ihre Überführung in Zusammenarbeit einsetzt. Einer, der den Erfolg der Kooperation vorlebt wie kaum ein anderer und dadurch auch für Wissenschaftler wie mich Vorbild und Inspiration sein kann.

Es war mein Mann: Perry Rhodan.

Sichu Dorksteiger,

1.

Ansatz

Ashag atmete tief ein. Sie spürte es herannahen und wollte sich entziehen.

Schatten und Licht. Trenne Schatten und Licht ...

Die Zeichen vor ihren Augen verschwammen, sie tanzten und nahmen neue Formen an.

Ashag blinzelte, wollte sich wieder auf das konzentrieren, woran sie gerade arbeitete. Es gelang ihr nicht ... oder gelang ihr zu gut.

Einen Schritt nach dem anderen. Sprünge bringen uns nicht weiter ...

Und doch sprangen ihre Gedanken immer weiter und unkontrollierter. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ihr Geist sog den Strom auf, der sie umspülte, füllte sie an mit dem berauschenden Gefühl des Wissens. Vertraute Zahlen und Zusammenhänge umschmeichelten sie, erhoben sie und ließen sie in Ekstase taumeln. Ihr Blick wurde wieder klarer, fokussierte und erfasste gleichzeitig mehr. Sie sah durch den Riss, durch das Tor, sie sah ...

Nein!

Panisch wandte sie sich ab, als der Blitz der Erkenntnis sie traf.

*

Ich betrat die Zentrale und wurde von einer angenehm kühlen Brise begrüßt. Mit einem Blick versicherte ich mich, dass im Haupt-Hologlobus nach wie vor die sphäroidale Sternenanhäufung der Cetus-Kleingalaxis zu sehen war. Keiner der unzähligen Roten Riesen war hervorgehoben, und keine Dateneinblendungen lieferten weitere Informationen zu einer bestimmten Region.

Die Stationen rings um den Globus waren zwar besetzt, aber die Besatzungen wirkten gelangweilt. Von der Wissenschaftsstation nickte mir Eris Tschan zu. Die Kosmophysikerin hielt sich für den Fall bereit, dass einer der Erkundungsflüge neue Erkenntnisse über die Verhältnisse in Cetus brachte. Ich erwiderte ihren Gruß, während ich die Stufen zum COMMAND-Podest hochstieg.

Cascard Holonder ging im Holo seines Kommandantensessels mit ANANSI einige Daten durch. Die rechte Hand kritzelte dabei mit einem Lichtstift auf einer Folie herum, als hätte sie ein Eigenleben. Manchmal fragte ich mich, ob seine Eigenart, während Besprechungen abstrakte Muster oder beißende Karikaturen zu zeichnen, Ausdruck einer Art gewollter Persönlichkeitsspaltung war. Vielleicht war es ihm nur durch dieses Ventil möglich, seine Arbeit mit der für ihn typischen lang anhaltenden Konzentration zu tun.

In einem der Besuchersessel an der Wand hinter Holonder räkelte sich Tamareil. Wie meistens trug sie Rot über ihrem vorrangig weißen Roboterkörper; enge Shorts und darüber ein ebenso eng anliegendes bauchfreies T-Shirt. Dadurch entblößte sie einmal mehr die blanken Schläuche und Kabel, die dort vor der künstlichen Wirbelsäule hingen.

Das konnte aber bald schon wieder anders sein. Es gehörte zu einer der vielen Launen der in diesem Kunstkörper gestrandeten Olkonorin. Mehr Einsichten gestattete sie allerdings nie, obwohl ich zu gerne gewusst hätte, wie es den Paslaimonen gelungen war, den PEW-Brocken, in dem ihr Bewusstsein residierte, mit ihrem robotischen »Schmuckkörper« zu verknüpfen.

Vorne auf dem COMMAND-Podest saß der Dritte Pilot Andris Kantweinen und wartete darauf, dass es zu einem Einsatz kam. Er überwachte einige Routinediagnosen, während die SERT-Haube in Ruhestellung war. Neben ihm stand Atlan und betrachtete konzentriert den Haupt-Hologlobus. Der Arkonide, der während des aktuellen Ausflugs der RAS TSCHUBAI als Expeditionsleiter fungierte, wandte sich mir zu, als ich näherkam.

»Sichu. Die Korvette schleust ein, wir sollten jeden Moment die Daten haben.«

»Hat Fitzgerald eine klare Peilung bekommen?«

»Klarer als hier jedenfalls«, antwortete der Arkonide mit einem sprechenden Blick in Richtung der Hangarmulde, in der die bereits geborgene Proto-Eiris lagerte. »Ob es dieses Mal ausreicht, werden wir sehen.«

»Es wundert mich, dass du ihn nicht auf seinen Ausflügen begleitest.«

»Mir ist die Gefahr zu groß, dass plötzlich ein Spross bei der RAS TSCHUBAI auftaucht. Ich glaube nicht, dass wir die PARTAMASPA bei Splandheim zum letzten Mal gesehen haben.«

Ich machte eine Handbewegung zum Haupt-Hologlobus hin. »Die Cetus-Zwerggalaxis mag nicht die Größe der Milchstraße haben, aber sie ist immer noch groß genug, dass selbst ein Raumschiff von den Dimensionen der RAS TSCHUBAI nicht ohne Weiteres darin aufgespürt wird. Bestenfalls könnten die Gemeni uns an einem unserer Ziele auflauern – aber nur, wenn sie wider Erwarten eigene Mittel hätten, um die Silos aufzuspüren. Dann aber hätten sie das längst getan, und unsere Mission wäre hinfällig.«

»Sie kennen sich hier aber deutlich besser aus als wir, und sie haben nicht nur die Lee als Helfer, wie wir gerade erst erfahren mussten. Womöglich gibt es indirekte Hinweise, aus denen sie längst wissen, an welchen Orten man Silos vermuten könnte. Immerhin haben sie auch Hinweise auf den unfertigen Silo im Himmelsreifen von Tson gehabt.«

Ich hob die Augenbrauen. »Seit wann bist du so ein Pessimist?«

Atlan lächelte schief. »Auch wenn es manchmal nicht so wirkt, bin ich schon immer ein Freund der Vorsicht gewesen. Klem soll lediglich in ausreichender Entfernung zur Proto-Eiris mit seinem Amulett Peilungen zum Aufspüren des nächsten Silos vornehmen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ich dabei nützlich bin. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier etwas passiert, ist deutlich höher.«

Ich hatte eine Erwiderung auf den Lippen, bemerkte aber aus dem Augenwinkel, dass Holonders Haltung sich änderte. Ich wandte mich dem Kommandanten zu. »Ergebnisse?«

»Ja.« Er tippte sich mit dem hinteren Ende des Lichtstiftes an die Lippen, als denke er über ein neues Motiv für seine Skizzen nach. »Wir haben eine Position, die vielversprechend wirkt. Laut Hornigolds Datenbank befindet sich dort ein weiteres Habitat.«

»Irgendwelche genaueren Informationen?«, hakte Atlan nach.

Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nichts. Die Datenbank enthält nicht einmal einen Namen. Ich fürchte, wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir die Kapitänin selbst fragen.«

»Dann tun wir das«, sagte Atlan. »Setz inzwischen Kurs auf das neue Ziel – mit aller gebotenen Vorsicht. Wir halten wieder Sicherheitsabstand, um von den Bewohnern nicht geortet zu werden.«

»Verstanden.« Holonder straffte sich und erteilte umgehend die entsprechenden Befehle. Unvermittelt kam wieder Leben in die Zentrale.

*

»Plunak«, sagte Kapitänin Florence Hornigold und deutete auf das Holoabbild des Roten Riesen, der im Kreuzungspunkt von Klems Peilungen der letzten vier Tage lag. Dann wanderte ihr Finger weiter zu der grünen Linie, die den Orbit des einzigen Objektes zeigte, das den Stern umkreiste »Und das ist das Habitat Shudragad, die Welt der irren Wissenschaftler. Gibt da nicht viel zu holen.«

Die dunkelhäutige Terranerin, die in Cetus geboren und aufgewachsen war, saß mit uns im Konferenzraum hinter der Zentrale. Atlan hatte sie bei seinem letzten Aufenthalt in der Nachbargalaxis der Milchstraße kennengelernt und sich bei unserer Ankunft als Erstes ihrer Mithilfe versichert.

Ihr Schiff, die WOODES ROGERS, war 1331 NGZ als einziger Raumer in Cetus leidlich auf die Verhältnisse nach der Hyperimpedanz-Erhöhung vorbereitet gewesen. Die folgenden Generationen hatten diese Tatsache genutzt, um gemeinsam mit den in Cetus verstreut lebenden terranischen Siedlern ein gewinnträchtiges Handelsnetz aufzubauen. Daher wusste Hornigold bestens über die Verhältnisse in der Kleingalaxis Bescheid.

»Irre Wissenschaftler?«, hakte ich nach.

Interessiert zog ich den kleinen Punkt heran, der die Position des Habitats andeutete. Er wurde zu einem verwaschenen Fleck, dann zu einer Scheibe. Sie stand quer zur Bahnebene und rotierte auf der Kante. Dadurch kehrte sie ihrer Sonne abwechselnd Ober- und Unterseite zu. Es gab also einen Tag-Nacht-Zyklus im Habitat.

Eine Seite der Scheibe war offensichtlich bewohnbar. Kräftiges Grün in allerlei Schattierungen füllte einen Großteil der Scheibe aus. Eine flache Blase schimmerte darüber – vermutlich ein Kraftfeld, das eine künstliche Atmosphäre festhielt.

Dort, wo auf der Kante der Münze die Pole der Rotation lagen, erkannte ich das charakteristische Leuchten von Hypertron-Zapfstrahlen, die zu dem Roten Riesen zeigten. Zweifelsohne wurde auf diese Weise die notwendige Energie gewonnen, um die leistungsstarken Aggregate zur Erhaltung des Habitats in Funktion zu halten. Zudem erhoben sich entlang des Scheibenrands in regelmäßigen Abständen massive, kilometerhohe Zylinder wie Wachtürme über die bewohnte Seite. In ihnen vermutete ich die Projektoren für den Schutzschirm, die Klimakontrolltechnik sowie die Raumabwehr, falls es eine gab.

Hornigold hatte meinen Blick amüsiert verfolgt und zuckte nun auf meine Frage die Achseln. »Nicht vollkommen irre, aber sehr auf ihre Arbeit fokussiert. In den letzten Jahren haben die Shug einige spektakuläre Durchbrüche erzielt, die ihnen in Cetus einen ziemlich legendären Ruf eingebracht haben. Zum Beispiel haben die Lee auf Basis der Theorien der Shug den Wirkungsgrad ihrer Sonnenzapfer fast verdoppeln können.«

Atlan horchte auf. »In den letzten Jahren? Also hat sich hier etwas verändert? Gibt es einen bekannten Grund dafür?«

Hornigold fuhr sich mit ratlosem Blick über das millimeterkurze schwarze Haar. »Da fragst du mich zu viel. Mich hat immer nur interessiert, was sie gerade an Waren brauchten. Sie sind ziemlich gute Abnehmer von Kaffee, K'amana und Hamhd aus unseren Hydroponik-Plantagen im Sternenring Terzed.«

Ich schmunzelte. Die Vorliebe meiner terranischen Kollegen, ihren Geist mittels koffeinhaltiger Substanzen wach und rege zu halten, war mir sehr gegenwärtig. Viele andere lemuroide Völker teilten diese Vorliebe. »Sind die Bewohner von Shudragad Terraner?«

»Nein. Die Shug sind zwar vom grundsätzlichen Körperbau her humanoid, aber sie sind ein ganz eigenes Volk, das vor sehr langer Zeit hier in Cetus entstanden sein dürfte. Die anregende Wirkung von Koffein ist eine der wenigen physiologischen Gemeinsamkeiten.«

Ich horchte auf. »Wenn sie ein so altes Volk und zudem an Wissenschaft interessiert sind, haben sie demzufolge einen hohen technologischen Standard?«

»Nicht höher als die anderen Völker in Cetus; auf jeden Fall geringer als die Lee. Alle Völker in Cetus sind alt, schließlich ist Cetus selbst alt. Aber Cetus ist auch arm an Ressourcen.«

»Natürlich.« Es gab in der Zwerggalaxis keine Sternentstehungsgebiete, und sämtliche Sonnen hatten die Zeit des Wasserstoffbrennens hinter sich. Die am Ende dieser Phase entstandenen Novae oder Supernovae hatten die meisten bewohnbaren Planeten zerstört und kaum neue geschaffen. Von den indigenen Völkern hatten zweifellos nur die überlebt, die bereits die Raumfahrt entwickelt hatten und sich immer wieder neuen Lebensraum hatten erschließen können – zuletzt vor allem auf künstlichen Habitaten wie dem vor uns. Dann hatte der Überlebenskampf begonnen.

*

»Die Shug waren schon immer wissbegierig und haben auf einen hohen Ausbildungsstand geachtet«, fuhr Hornigold in ihren Erläuterungen fort. »Der Anteil an Philosophen und Grundlagenforschern war immer so hoch, wie sie es sich leisten konnten. Am Basteln hatten sie aber kein Interesse. Hauptsächlich haben sie früher als Bauern und Fischer gelebt und exotische Lebensmittel exportiert, um Metalle und Hyperkristalle zu erhalten. Aber seit etwa dreißig Jahren verkaufen sie anstelle von Lebensmitteln immer mehr Ideen, was uns als Zwischenhändler ausgebootet hat.«

Atlan runzelte die Stirn. »Und das Habitat? Sie müssen über gehöriges technisches Wissen verfügen, um das alles funktionsfähig zu halten. Allein um die künstliche Gravitation über einer solchen Fläche aufrechtzuerhalten, müssen unzählige Aggregate in der Scheibe verbogen liegen.«

Ich betrachtete die Daten, die inzwischen im Holo aufgetaucht waren. Die Scheibe hatte einen Durchmesser von fast zweitausend Kilometern, und das Kraftfeld war zwanzig Kilometer hoch – ausreichend für die Ausbildung eines abwechslungsreichen Kleinklimas innerhalb der Atmosphäre.

Dazu kam ein Netz aus breiten künstlichen Wasserläufen. Das Wasser lieferten in erster Linie vier kräftige Flussläufe, die im Zentralmassiv des mittelhohen Gebirges im Scheibenzentrum entsprangen. Von dort verzweigte es sich in der nach außen hin unregelmäßig abfallenden Landschaft in ein Gitternetz mit einer Periode von etwa hundert Kilometern.

Kleinere Kanäle führten ins Innere der Sektorquadrate. Teilweise mochte es sich um weitere Zuläufe handeln, teilweise um Bewässerungskanäle. Dass es beides geben musste, war dadurch klar, dass die breiten Kanäle trotz Abzweigungen und Verdunstung durchgehend etwa die gleiche Wassermenge führten.

Jeder Sektor hatte einen charakteristischen Bewuchs, was auf in sich geschlossene Biosphären hindeutete. Waldsektoren dominierten, doch dazwischen eingebettet gab es Sektoren mit weiten Wiesen und gelegentlich typischen Rastermustern landwirtschaftlicher Flächen. Nach außen hin floss das Wasser, immer dem abfallenden Gelände folgend, zu einem Sammelkanal ab, der als Quadrat von etwa tausendvierhundert Kilometern Seitenlänge die Kulturlandschaft umgab.

Außerhalb des Landschaftsquadrates beherrschten künstlich geschaffene Strukturen aus Metall und Kunststoffen das Bild – neben den alles überragenden Türmen gab es dort wohl vor allem Fabriken und andere technische Einrichtungen. Ich glaubte auch, Landefelder und angeschlossene Werftgebäude zu erkennen.

»Das Habitat ist mit vollständig in sich geschlossenen Kreisläufen ausgestattet«, antwortete Hornigold auf Atlans Frage. »Die Technik ist selbstwartend, und Ersatzteile kommen aus vollautomatisierten Fabriken. Alles ist so robust gestaltet, dass selbst die Hyperimpedanz-Erhöhung dem keinen Schaden zufügen konnte.

Die Shug behaupten, Shudragad wäre ihnen von einem Volk von Wohltätern geschenkt worden, die sie die ›Verfernten‹ nennen. Die Umsiedlung rettete sie vor dem Untergang. Was immer man von dieser Geschichte halten mag: Das Habitat ist jedenfalls ein beeindruckendes Stück Technik, von dem die Shug selbst aber keine Ahnung haben.«

»Aber der Export von Lebensmitteln und die Ausrüstung von Raumschiffen ihrer Besucher müssen Verluste erzeugt haben, vor allem beim Wasser«, wandte Atlan ein.

»Klar«, sagte Hornigold. »Darum fangen gelegentlich automatisierte Raumboote Eisbrocken aus der äußeren Kometenwolke ein und verankern sie an der Unterseite des Habitats. Dort werden sie dann nach Bedarf abgebaut. Man kann sie sehen, wenn man von der richtigen Seite aus anfliegt.«

»Und der Rest? Mineralien, Mineralöl für Kunststoffe, Metalle?«

»Einiges kommt ebenfalls aus Asteroidenbrocken. Der Rest wird bei Bedarf über Handel zugekauft. Die Automatiken teilen den Shug immer rechtzeitig mit, wenn etwas wieder aufgefüllt werden muss. Die Shug stellen den Bedarf dann ins cetische Handelsnetz ein, und wer die besten Konditionen bietet, bekommt den Zuschlag. Das Übliche eben.«

Da solche Details mich wenig interessierten, vergrößerte ich die Darstellung des Habitats weiter. Dabei fiel mir etwas auf. »Was sind diese Punkte an den Kreuzungen der Kanäle?«

»Die Akademiesiedlungen. Die Shugs bevorzugen das Leben am oder über dem Wasser.«

»Akademiesiedlungen? Also werden ganze Ortschaften um diese Akademien herum aufgebaut?«

»Es gibt nur solche Ortschaften. Jeder Shug wird in einer Akademie ausgebildet, und jeder hofft, irgendwann ganz dort leben zu können. Alles auf Shudragad dreht sich um die Wissenschaften, von Philosophie über Mathematik bis zu den Naturwissenschaften – je theoretischer und grundlagenorientierter, umso besser; aber auch anwendbare Ideen haben ihren Stellenwert, weil ihr Verkauf zur Erhaltung des Habitats beiträgt.«

»Es würde mich sehr interessieren, diese Leute kennenzulernen.«

Atlan lachte. »Ich bin sicher, wenn wir auf einer Welt voller Wissenschaftler landen, werden wir Verwendung für eine Wissenschaftlerin im Landungsteam haben.«

»Gut. Im Übrigen empfehle ich, Tamareil nicht mitzunehmen. Ich denke, ihre mangelnde Bereitschaft, sich an echte Fakten zu halten, würde ihr dort nicht gerade Freunde machen.«

Atlan hob die Augenbrauen. »Florence sprach auch von Philosophen. Die hätten an Tamareil gewiss ihre Freude.«

»Willst du es darauf ankommen lassen?«

Atlan schüttelte den Kopf. »Nein. Tamareil bleibt hier. In erster Linie fliegen du, ich, Fitz Klem und Florence sowie die Stammbesatzung der LAUR...«

»ANNE BONNY«, unterbrach ihn Florence Hornigold, und setzte mit einem süffisanten Lächeln hinzu: »Das klingt viel besser, nicht wahr?«

Atlan stutzte, und kurz huschte die Andeutung eines Lächelns über sein Gesicht, als verbände er Erinnerungen mit diesem Namen. »Also gut, nennen wir sie ANNE BONNY. Glaub aber nicht, dass dir das irgendwelche Ansprüche auf die LAURIN-Jet sichert!«

2.

Summen und Differenzen