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Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen. In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 durchleben sie eine besonders schwere Zeit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, Milliarden Menschen wurden an einen unbekannten Ort umgesiedelt. Der Schlüssel zu den Ereignissen scheint in der Nachbargalaxis Andromeda zu liegen. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an. Die Menschen treffen auf phantastische Geschöpfe – und stoßen auf ein schreckliches Geheimnis der Meister der Insel. Dies bringt den Mausbiber Gucky in einen fürchterlichen Konflikt – und endet in einem REQUIEM ...
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Band 157
Requiem
Kai Hirdt
Cover
Vorspann
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Impressum
Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.
In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 durchleben sie eine besonders schwere Zeit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, Milliarden Menschen wurden an einen unbekannten Ort umgesiedelt.
Der Schlüssel zu den Ereignissen scheint in der Nachbargalaxis Andromeda zu liegen. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an.
Die Menschen treffen auf phantastische Geschöpfe – und stoßen auf ein schreckliches Geheimnis der Meister der Insel. Dies bringt den Mausbiber Gucky in einen fürchterlichen Konflikt – und endet in einem REQUIEM ...
Die MAGELLAN fiel in den Normalraum zurück.
Niemand wusste, was im Groomaksystem auf das Raumschiff wartete, also hatte Perry Rhodan Alarmbereitschaft angeordnet. Sämtliche Arbeitsstationen waren doppelt besetzt. In diesen ersten Zehntelsekunden kam es insbesondere auf die Ortung an. Gab es Energiesignaturen? Schiffsverkehr? Anzeichen für Waffeneinsatz?
Die Positronik meldete nichts, auch die menschliche Besatzung der Ortungsstation sah keine akute Gefahr. Der Energieschirm der MAGELLAN blieb desaktiviert. Lediglich ein schwacher Prallschirm schützte das riesige Schiff vor Asteroiden und anderem Weltraumschrott. Hochenergetischere Abwehrverfahren, die den Neuankömmling jedem im System sofort verraten hätten, waren unnötig.
Nach rund zehn Sekunden ließ die Anspannung etwas nach. Perry Rhodan, der Expeditionsleiter, und Conrad Deringhouse, der Kommandant der MAGELLAN, lockerten ihre Haltung. Zu oft in letzter Zeit waren sie bei Sprüngen in fremde Systeme mitten in einem Wespennest herausgekommen. Dieses Mal schien ihnen das erspart zu bleiben.
»Was wissen wir?«, fragte Rhodan.
Ortungschef Mischa Petuchow legte die Anzeigen seiner Instrumente in den Holodom. »Sieht ziemlich trostlos aus.«
Dem konnte Rhodan nicht widersprechen. Blickfang des Systems war zweifelsohne das Zentralgestirn. Die Sonne Groomak gehörte zur seltenen Klasse der Gelben Riesen. Der Stern hatte sich ausgedehnt und dabei große Teile des Systems zerstört. Rhodan warf einen kurzen Blick auf die Daten, mit denen die Wissenschaftliche Abteilung das Holo ergänzte. Groomak hatte nur die achtfache Masse der irdischen Sonne, strahlte aber etwa fünfzehntausendmal heller und hatte das Siebzigfache an Durchmesser. Der Gelbe Riese brannte gegenwärtig aus wie ein gewaltiges Strohfeuer – allerdings mit genug Stroh, um den Brand noch einige Millionen Jahre in Gang zu halten.
»Haben Sie unsere Vorhut schon entdeckt?«, erkundigte sich Rhodan.
Allzu schwierig sollte es nicht sein, die Space-Disk zu finden, die sich in den roten Transmitterring Richtung Groomak gestürzt hatte. Die MAGELLAN hatte dieselbe Strecke mit ihrem normalen Überlichtantrieb zurückgelegt. Zwar wusste man nicht, wo genau die Disk mit den drei Freiwilligen wieder erschienen war, und die Funkstille wollte Rhodan noch nicht brechen – insbesondere weil er nur einen auffälligen Rundruf ins komplette System hätte ausstrahlen können. Aber es gab ringsum wenig, was bei der Suche stören konnte. Groomaks Feuer beschien ein totes System.
Drei gewaltige Asteroidengürtel umkreisten die Sonne – die Reste von Planeten, die vor der Ausdehnung des Sterns ihre Bahnen darum gezogen hatten. Sie waren im Zuge der Katastrophe zerbrochen und bildeten nun Trümmerringe. Viele Bruchstücke waren erstaunlich groß, mit dreihundert bis fünfhundert Kilometern Durchmesser. So groß die Sonne gewesen war, so riesig mussten auch ihre Begleitwelten ursprünglich gewesen sein. Ein vierter Planet war ebenfalls in zahlreiche Teile zerbrochen. Diese allerdings waren weit genug vom Zentrum des Untergangs entfernt, dass ihre Eigenschwerkraft sie grob in Kugelform beieinandergehalten hatte.
Alles in allem: viel Gestein, wenig Metall. Nichts, was auffällige Energiesignaturen hätte abstrahlen können.
Dennoch wusste Petuchow nichts zu melden. Es gab keinerlei Signal von der Space-Disk, die dem Containerzug aus dem Kur'shsystem gefolgt war.
»Alarmbereitschaft beibehalten!«, befahl Rhodan.
Deringhouse sah ihn fragend an.
»Wir sind nicht gerade mit Donnerschall ins System eingezogen«, erläuterte Rhodan die Anordnung. »Aber Captain da Silva und seine Leute wissen, wonach sie Ausschau halten müssen. Sie könnten uns also über Richtfunk kontaktieren. Wieso melden sie sich nicht?«
Deringhouse knetete seine Unterlippe, wie so oft, wenn er über Dinge nachdachte, die ihm nicht gefielen. »Möglichkeit eins: Der Transmitter hat sie gar nicht nach Groomak gebracht, sondern irgendwo anders hin. Dann haben sie jetzt ein Problem.«
»Möglichkeit zwei«, übernahm Rhodan. »Sie sind hier und können sich aus irgendeinem Grund nicht melden. Dann haben sie ebenfalls ein Problem.« Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Seit sie in Andromeda angelangt waren, waren die Menschen nicht gerade vom Glück verfolgt gewesen. Aber ein Transmitterdurchgang hinter einem leeren Containerzug her, mit dem Segen oder zumindest dem Wissen der örtlichen Machthaber? Was sollte dabei schiefgehen? »Versuchen Sie es noch einmal«, forderte er den Ortungschef auf.
»Wir bekommen gleich neu aufbereitetes Datenmaterial«, informierte Petuchow. »Die Positronik ist dabei, die Hintergrundstrahlung herauszurechnen. Dann sollten wir ... Ah!«
Die Darstellung im Holo veränderte sich. Zahlreiche Punkte verschwanden, andere leuchteten heller als bisher.
»Es gibt doch Flugverkehr im System!« Petuchow zeigte auf die hervorgehobenen Punkte. Sie befanden sich meist in direkter Nähe zu den Großasteroiden, die Rhodan schon zuvor aufgefallen waren.
»Das sind Hunderte Raumschiffe!« Rhodan machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung. »Wieso sehen wir das erst jetzt?«
Petuchow hob entschuldigend die Hände. »Das sind alles geringenergetische Antriebe! Die meisten sind nicht mal mit Schallgeschwindigkeit unterwegs.«
»Unterschall-Raumfahrt?«, fragte Deringhouse skeptisch.
»Zum Teil deutlich«, bestätigte Petuchow. »Mein Dodge auf der Erde ist schneller unterwegs als die meisten dieser Flugkörper.«
»Welchen Sinn könnte das haben?« Rhodan verschränkte die Arme und starrte angestrengt ins Holo. »Lassen sich die Vektoren berechnen?«
»Eigentlich nicht«, schränkte Petuchow ein. »Wir sind erst seit Kurzem hier, haben also erst zwei oder drei Minuten Analysematerial. Und bei der großen Distanz zu den beobachteten Objekten und ihren niedrigen Geschwindigkeiten ... Da entstehen viele Ungenauigkeiten.«
»Versuchen Sie es trotzdem«, bat Rhodan.
Petuchow zuckte mit den Schultern und ließ die Finger durch die Holofelder seiner Arbeitsstation fliegen. Um fast alle der auffälligen Großasteroiden entstanden krickelige Gitterlinien, mit Ausnahme von knapp dreißig Exemplaren, die aus ihrer Umlaufbahn gefallen waren, schon nahe der Sonne standen und in den nächsten Wochen oder Monaten in den Stern hineinstürzen würden.
»Interessant«, murmelte Rhodan. »Sehen wir uns einen dieser Brocken genauer an.«
Pflichtschuldig vergrößerte Petuchow einen Ausschnitt. Einer der Gigantasteroiden mit rund fünfhundert Kilometern Durchmesser rückte ins Blickfeld.
Rhodan sah zur Wissenschaftsstation hinüber. Eric Leyden, der Chefwissenschaftler der MAGELLAN, hatte sich in die Zentrale bequemt – das war alles andere als selbstverständlich. Aber die gelangweilte Miene des Hyperphysikers ließ Rhodan schon ahnen, dass aus dieser Richtung keine spektakulären oder zielführenden Äußerungen zu erwarten waren. »Mister Leyden?«
Der Physiker schürzte die Lippen. »Dreckklumpen, interessant eigentlich nur wegen ihres Volumens. Jeder Einzelne davon ist immerhin größer als die meisten Jupitermonde. Recht ungewöhnlich, so viele davon in einem System versammelt zu sehen. Andererseits wissen wir ziemlich wenig über Gelbe Riesen. Vielleicht also die normalste Sache der Welt, und wir haben bloß keine Ahnung davon.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Rhodan verkniff sich den Hinweis, dass diese Astronomie-für-Anfänger-Lektion nichts enthielt, was er nicht ohnehin gewusst hatte. »Mich interessiert, ob Sie eine These haben, was es mit diesen eigenartigen Flugmustern auf sich hat.« Er zeigte auf das Holo.
Petuchow hatte die Ortungsergebnisse ein wenig verfeinern können. Noch immer wiesen viele Linien erratisch nach Irgendwo, aber inzwischen zeichnete sich ein Grundmuster ab. Die Energiequellen steuerten von verschiedenen Orten überall auf dem Asteroiden einen gemeinsamen Zielpunkt an oder bewegten sich wieder fort davon.
Leyden betrachtete das Holo, legte den Kopf schief, kniff ein Auge zu und kratzte sich die unrasierte Wange. Schließlich schüttelte er den Kopf. Der Chefwissenschaftler schwankte zwischen manisch-brillanten Phasen, wenn man ihn mit unlösbaren Rätseln konfrontierte, und einer enervierend-lethargischen Attitüde, wenn er sich mit Alltäglichkeiten auseinandersetzen sollte. Dies war offensichtlich einer seiner eher trägen Tage. Rhodan öffnete schon den Mund, um etwas mehr Enthusiasmus einzufordern.
Da deutete Leyden quer durch den Raum. »Fragen Sie doch ihn.« Ungeniert wies er mit dem Zeigefinger auf Vint Rasmussen, den obersten Versorgungsoffizier an Bord der MAGELLAN.
Der Däne zuckte zusammen. In Alarmsituationen befand er sich zwar stets mit in der Zentrale, wurde aber selten gebraucht. »Was? Ich?«
Rhodan begriff Leydens Gedankengang. Er schalt sich einen Narren, weil er den Wissenschaftler wieder einmal unterschätzt hatte. »Mister Rasmussen, aus Ihrer Sicht als Logistikexperte – welchen Zweck könnten diese Flugbewegungen haben?«
Bedächtig strich sich der Angesprochene durchs Gesichtshaar – im Gegensatz zu Leyden, der schlicht unrasiert zum Dienst erschienen war, trug Rasmussen einen stattlichen und gepflegten Vollbart. »Warentransporte?«, vermutete er.
»Mehr Details, bitte!«, forderte Rhodan.
Rasmussen duckte sich ein wenig. Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, war ihm sichtlich unangenehm. »Ich denke, im Mittelpunkt dieses Sternmusters steht irgendein Sammelschiff, das entweder be- oder entladen wird. Und sobald es voll oder leer ist, wird es von dort wegfliegen.«
»Wohin?«, fragte Rhodan weiter.
»Lotrecht vom Zentrum des Asteroiden weg?«, riet der Logistiker. »Sonst würde es keinen Sinn geben, ausgerechnet dort zu verladen.«
Rhodan nickte. »Mister Petuchow ...«
»Bin schon dabei.« Der Ortungsoffizier arbeitete konzentriert.
Aus dem Schnittpunkt der vielen Kurse entsprang eine neue Linie, die senkrecht von dem Asteroiden weg ins All führte. Dann veränderte Petuchow den Maßstab, sodass einige Nachbarasteroiden ins Blickfeld gerieten, und er wiederholte die Operation. Die Strahlen, die er neu eingezeichnet hatte, wiesen alle grob in dieselbe Richtung, liefen aber leicht aufeinander zu.
Rhodan öffnete erneut den Mund, Petuchow war jedoch abermals schneller. Er zoomte so weit hinaus, dass ein weiteres Mal das ganze System sichtbar wurde.
»Nicht schlecht, Mister Rasmussen«, konstatierte Conrad Deringhouse.
Wie sich zeigte, trafen die von der Positronik nun für alle Riesenasteroiden extrapolierten Linien je nach der Systemhemisphäre, in der die Himmelskörper lagen, in einem von zwei Schnittpunkten zusammen. Die Strecke zwischen diesen beiden Punkten wurde exakt von der Sonne halbiert.
»Es gibt zwei Sammelpunkte«, stellte Rhodan fest, »quasi rechts und links von der Sonne. Und da aus diesem System Rohstoffe abtransportiert werden, würde ich tippen, dass dort die Situationstransmitter entstehen. In den Asteroiden wird geschürft, die Container mit den Erzen oder was auch immer werden ins All hinausgeschossen – und wenn genug beisammen ist, bildet sich einer dieser roten Feuerringe und bringt alles an den Einsatzort.«
»Und das heißt ...«, begann Deringhouse.
Das Bergungskommando näherte sich der antriebslos driftenden Space-Disk. Ein Fähnrich am Ortungspult versuchte, mit dem Suchscheinwerfer in die Zentralekuppel zu leuchten, schaffte es jedoch nicht, mit dem Lichtkegel die Eigenbewegungen der beiden Raumfahrzeuge auszugleichen. Nach einigen Momenten überließ er die Aufgabe der Bordpositronik, die das Ganze wesentlich erfolgreicher handhabte.
Allein: Schlauer wurden sie dadurch nicht. Für einige Sekunden konnte Perry Rhodan ungehindert in die Zentrale des diskusförmigen Raumboots blicken. Die Sitze der Besatzung waren verwaist.
»Beginne Annäherungsmanöver«, meldete Leutnant Vale.
Entgegen seiner Gewohnheit steuerte Rhodan das Bergungsboot nicht selbst. Als er diese Absicht leise angedeutet hatte, hatte er sich einige längere und wenig schmeichelhafte Vorträge eingehandelt. Sowohl Conrad Deringhouse als auch Reginald Bull hatten sein Gedächtnis dahingehend aufgefrischt, was das vorige Mal passiert war, als Rhodan zu einer kurzen und vermeintlich völlig ungefährlichen Erkundung aufgebrochen war: Beinahekollision, Antriebsschaden, Absturz seiner Space-Disk mit dem schönen Namen QUEEQUEG, Dschungelkampf, Todesurteil und die Infektion von zweien seiner Begleiter mit einem aggressivitätsfördernden Virus, das weder die Heilkunst von Bordarzt Julian Tifflor noch Behandlungsversuche mit Rhodans oder Tuire Sitarehs Zellaktivator vollständig aus ihrem Kreislauf hatten beseitigen können.
So kam es, dass Rhodan zwischen Gucky und Tifflor in der Zentrale einer anderen Space-Disk stand und mit verschränkten Armen dem lehrbuchmäßigen, aber unnötig umständlichen Annäherungsmanöver eines Leutnants der Raumlandetruppen zusah. Die angesteuerte Disk eierte alle paar Sekunden durch das Sichtfeld der Beobachtungskuppel. Das Zielobjekt trudelte über alle drei Achsen. Entsprechend war es nicht ganz einfach, so heranzukommen, dass man die Boote an beiden Polschleusen verbinden konnte.
Nach zwei Minuten war die Kursangleichung so weit gelungen, dass ihr Pilot das Andockmanöver einleitete. Ein metallisches Klonk dröhnte vom Boden der Space-Disk bis in die Zentrale zwei Decks höher.
Tifflor übernahm das Kommando. »Außenschleuse öffnen!«, ordnete er an. »Atemluftanalyse im anderen Schiff.«
Die vorab bereitgestellten Sonden flogen los und maßen an mehreren Stellen die Gaszusammensetzung. »Nichts«, meldete Tifflor, nachdem er die Ergebnisse betrachtet hatte. »Ganz normale Atemluftzusammensetzung. Keine Gasrückstände, keine unbekannten Mikroben. Wenn sie noch an Bord sind und nur Stromausfall haben, müssten sie noch leben.«
Rhodan hielt sich an dieser Hoffnung fest, hatte jedoch ein schlechtes Gefühl. Etwas Unerwartetes musste geschehen sein. Ein gleichzeitiger Ausfall sämtlicher Reaktoren war bei einer so robusten Technik eigentlich unmöglich.
Andererseits: Was wussten sie schon, was beim Durchgang durch einen Situationstransmitter geschah?
Tifflor scrollte weiter durch die Werte. »Junge, Junge. Wir müssen uns beeilen! Die Temperatur an Bord liegt schon bei zwanzig Grad unter null! Da ist wirklich alles ausgefallen, inklusive der Lebenserhaltung!«
»Ich teleportiere rein und hole sie«, schlug Gucky vor. »Kommt ihr mit?« Der Ilt streckte Rhodan und Tifflor je eine Hand entgegen und zeigte den überdimensionierten Nagezahn in seinem großen Mäusegesicht. Sein Biberschwanz klopfte unternehmungslustig auf den Boden.
»Vergiss es!« Rhodan schüttelte den Kopf. »Solange wir nicht wissen, was da drüben los war, bleiben wir vorsichtig. Erst die Sonden, dann die Spezialisten, dann wir.«
»Hast du Julian nicht gehört? Unsere Leute erfrieren da drüben!«
Rhodan lächelte. »Guter Versuch, aber du musst deine Abenteuerlust etwas bezähmen. Fünf Minuten werden sie noch durchhalten. Dafür haben sie Raumanzüge mit Thermoschicht an Bord. Julian, was sagen die Sonden?«
Tifflor senkte enttäuscht sein Pad. »Ende der Fahnenstange, sagen sie. Die Schleuse drüben haben wir von hier aus öffnen können, aber die Tür vor dem Aufgang zum Mitteldeck ist energetisch tot. Da müssen wir mit dem Desintegrator durch.«
»Teleportieren geht schneller«, erinnerte Gucky mit gespielter Unschuld.
»Vergiss es!«, wiederholte Rhodan. »Aber du könntest mal telepathisch deine Fühler ausstrecken. Empfängst du irgendwelche Gedanken von drüben?«
Gucky schloss die Augen. Der Nagezahn verschwand hinter der vorgeschobenen Unterlippe. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Nichts. Niemand an Bord. Oder sie sind bewusstlos.«
Rhodan und Tifflor tauschten Blicke. Sie fürchteten die dritte Möglichkeit. Die, die Gucky nicht ausgesprochen hatte.
Trotz der sauberen Luft betraten sie die Space-Disk mit geschlossenen Raumanzügen. Die künstliche Schwerkraft war ausgefallen, sodass sie auf die Magnetsohlen ihrer Stiefel angewiesen waren, um sich einigermaßen sicher durch das Raumboot bewegen zu können.
Perry Rhodan, Gucky und Julian Tifflor folgten vier Raumsoldaten, die mit Waffen und Scheinwerfern vorangingen. Das Innere der Disk war völlig dunkel. Licht fiel nur aus der Schleuse hinter ihnen herein. Die Handlampen zogen deutlich sichtbare Bahnen durch die kalte Luft.
Bringen wir Licht ins Dunkel, dachte Rhodan sarkastisch. Wenn es so einfach gewesen wäre. Im Wortsinn taten sie das zwar, aber die Lichtkegel zeigten nur eine ganz normale Space-Disk. Keine Besatzungsmitglieder. Kein Hinweis, warum niemand an Bord zu sein schien.
Rhodan hatte immer weniger Hoffnung, die Besatzung lebend anzutreffen. Tifflors Messdaten sprachen dagegen. Wie so vieles im Universum war es am Ende simple Mathematik. Man konnte berechnen, wie schnell eine Space-Disk mit abgeschalteten Systemen auskühlte. Aus der aktuellen Temperatur ließ sich ableiten, dass das Kleinraumschiff vom Augenblick des Transmitterdurchgangs an ohne Strom gewesen war.
Man konnte ebenfalls berechnen, wie hoch der Sauerstoffgehalt in einer Space-Disk hätte sein müssen, deren Besatzungsmitglieder stundenlang bei ausgefallener Luftaufbereitung hatten ausharren müssen. Und in dieser Disk lag der Anteil zu hoch. Hier hatte seit dem Transmitterdurchgang niemand geatmet.
Zwar konnten Captain da Silva, Leutnant Kim und Leutnant Cherneski irgendwo an Bord bewusstlos in geschlossenen Raumanzügen liegen. Aber Rhodan hatte auf die harte Tour lernen müssen, sich nicht auf den bestmöglichen Ausgang zu verlassen.
Die grün schimmernden Desintegratorstrahlen trugen die geschlossene Zwischentür aus Praecellostahl Schicht für Schicht ab. Es dauerte einige Minuten, bis von dem zentimeterdicken Metall nur noch eine dünne Folie übrig war. Die Soldaten verständigten sich, dann riss einer die Folie durch. Ein anderer sicherte mit dem Thermostrahler durch die neu entstandene Öffnung. Der dritte sprang in einer fließenden Bewegung hindurch und sicherte im schwerelosen Flug in alle Richtungen.
Nach wenigen Sekunden meldete er keine Gefahr.
Rhodan trat durch die Öffnung, Tifflor folgte.
Gucky hatte es sich nicht nehmen lassen, zu teleportieren. Er wartete bereits auf der anderen Seite.
Sie durchsuchten das Mitteldeck – erfolglos.
Es war Rhodan, der die Leichen schließlich fand, verkeilt in der Wendeltreppe hinauf zur Zentrale.
Er schloss die Augen. Er hatte gelernt, sich nicht auf den bestmöglichen Ausgang zu verlassen. Aber musste es denn immer das Schlimmste sein?
»Julian?«, fragte Rhodan mit belegter Stimme.
Der Mediziner drängte sich neben ihn und machte erst einmal einen Schritt rückwärts.
Der Captain und die beiden Leutnants waren nicht einfach nur gestorben. Sie waren mumifiziert. Die Haut spannte sich über die Schädel wie Pergament. Die Lippen waren weit zurückgezogen und verliehen den Gebissen der Toten etwas Raubtierhaftes. Die Finger waren zu Klauen verkrümmt.
Am schlimmsten kamen ihm die Augen vor. Die weißen Bälle hatten mehr als die Hälfte ihres Volumens verloren und drifteten lose in ihren Höhlen. Rhodan war dankbar, dass kein Augapfel herausgetreten war und außerhalb des Schädels schwebte. Auch ohne diesen Effekt sah ihr Fund aus wie eine Szene aus einem Horrorfilm.
Tifflor hatte sich wieder gefangen. Er schien ähnlich zu denken wie Rhodan. Er zog die Leichen nacheinander zu sich heran und schloss ihre Lider.
»Was ist hier passiert?«, fragte Rhodan.
Tifflor sah ihn an, seinerseits mit weit aufgerissenen Augen. »Sie könnten ...« Er brach ab und schüttelte den Kopf. »Ich muss sie untersuchen. Ansonsten ist das alles Spekulation.«
Ihr Geleitschutz war herangeschwebt, verankerte sich mit den Magnetsohlen am Boden und bugsierte die drei Toten in Leichensäcke, die sie aus ihren Einsatzanzügen hervorzauberten. Die Männer gingen geschickt vor, als täten sie so etwas nicht zum ersten Mal. Rhodan fragte sich, ob dies ein Teil der terranischen Flottenausbildung war, über den er bislang nicht Bescheid wusste.
»Ich habe mein letztes Raumboot falsch benannt«, sagte Rhodan.
»Was?«, fragte Gucky.
»Die Disk, mit der ich auf Greenyard abgestürzt bin. Ich habe sie QUEEQUEG genannt, nach dem Matrosen aus ›Moby Dick‹, der sich während der Reise einen Sarg schnitzen lässt. Das Boot hat mich an einen Sarg erinnert, nur dass es im Weltraum unterwegs war statt auf dem Meer.« Rhodan biss sich auf die Unterlippe. »Zu dieser Space-Disk hier hätte der Name besser gepasst.«
»Wenigstens ist es schnell gegangen«, sagte Tifflor nach einigen stillen Sekunden. »Was auch immer das Wasser aus ihren Körpern gedampft hat: Sie haben wahrscheinlich überhaupt nichts davon mitbekommen. Ich glaube, ich würde lieber so sterben als im Alter lange dahinzusiechen.«
»Auf keinen Fall!« Guckys Stimme zitterte vor Zorn. »Mit Cherneski habe ich mich ein paar Mal unterhalten. Er hatte ...« Der Ilt brach ab. »Egal. Wir finden, wer immer hierfür verantwortlich ist, und treten ihm in den Arsch. Richtig?«
Poohik betrachtete die Auswahl kathuunischer Pasteten voller Vorfreude. Sein rechter Rüssel verharrte über einem thermogefrosteten Blauaderkuchen, wanderte weiter. Schließlich fand Poohik, was er suchte. Das beste Stück. Ein überbackenes Karzkügelchen, gefüllt mit bestem Beluu und mit Lokushstreuseln verziert.
Die Finger an seinen beiden Rüsseln zuckten erwartungsvoll, als er nach dem Leckerbissen griff und ihn sich genüsslich in den Mund schob. Das würzige Beluufleisch schmolz geradezu auf seiner Zunge. Poohiks Augenfalte kräuselte sich und er schmatzte. Es war viel zu selten, dass die Versorgungsschiffe ihren Kluum erreichten, und als die unfähigen Blaurüssel ihn auch noch vom Kurs abweichen ließen, hatte Poohik bereits befürchtet, dass die Lieferung sie überhaupt nicht erreichen würde.
Er ließ seine Rüssel wieder über die Kiste wandern. Diesmal nahm er den Kuchen. Doch gerade als er in die knusprige Hülle beißen wollte, glitt die Tür mit einem leichten Quietschen auf, und Tuuhnek, sein Zweitrüssel, trat ein.
»Erstrüssel.« Der noch junge, aber schon erfahrene Rotrüssel führte seine beiden Steuerarme vor der Brust zum förmlichen Gruß zusammen.
Poohik winkte ihn mit seinem freien Rüssel herein und schob sich mit dem anderen ungeniert den Blauaderkuchen in den Mund. Dabei folgte Tuuhneks gieriger Blick jeder Bewegung seines Vorgesetzten.
»Warum störst du mich?«, fragte Poohik, als der Geschmack von Blauadern abgeklungen war und er sich nach dem nächsten Bissen umsah.
»Der Bericht, den Sie angefordert haben«, antwortete der Zweitrüssel. Er bemühte sich deutlich, die Pasteten zu ignorieren. Und ebenso deutlich versagte er dabei.
Poohik grinste. Auch die anderen Rotrüssel hatten ihren Anteil an den Leckereien bekommen. Aber er wusste, dass das je nach Verdienst ein oder zwei Stück der kulinarischen Kostbarkeiten waren. Nur ihm als Erstrüssel stand mehr zu, und er würde keinen Krümel davon abgeben.
Er rollte auffordernd seine Rüssel ein. »Berichte!«
Tuuhnek rollte seine Rüssel ebenfalls ein. »Wie Sie befürchtet haben«, sagte er. »Die Fördermenge ist erneut zurückgegangen.«
Poohik schnaubte nachdenklich. »Das ist bereits das dritte Mal in Folge.«
»Es werden immer noch mehr Metalle abgebaut als von den Thetisern verlangt«, wandte Tuuhnek ein.
»Aber weniger als bisher.« Poohik war egal, was die Quotenvorgabe der Thetiser besagte. Er musste sie übertreffen, wenn er seine Annehmlichkeiten behalten wollte.
Der Zweitrüssel widersprach nicht.
»Wie viel weniger?«, hakte Poohik nach.
»Etwa zehn Prozent der bisherigen Überproduktion.«
Untragbar! Das bedeutete, dass sie bereits ein Drittel der Mehrleistung verloren hatten. »Erklär mir das!«, forderte er barsch.
Tuuhnek ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. »Es gibt mehrere Gründe. Zum einen ist der Kluum alt. Den Aufzeichnungen zufolge fast dreiundsiebzig.«
Poohik tat das mit einer unwirschen Rüsselbewegung ab. Es stimmte, die Produktionsmenge nahm mit dem Alter des Kluums ab, aber dafür stieg die Qualität. Je älter die Riesen wurden, desto seltener und edler die Metalle, die sie ausschieden. Im Kluum 91-4 waren sie inzwischen sogar einige Male auf Gold gestoßen – nur einer von tausend Kluums schaffte es, dieses Element zu synthetisieren, und das meist erst in den letzten Jahrzehnten seines Lebens. Der Wert glich jeden Mangel an Basisrohstoffen aus. Diese Entschuldigung ließ Poohik also nicht gelten. »Der Kluum produziert genug.«
»Durchaus«, stimmte Tuuhnek eilfertig zu. »Aber sein Gewebe ist schlecht. Die Minen nahe der Hauptkorridore sind verödet, die Wände instabil oder vernarbt. Die Weißrüssel müssen tiefere Schächte schneiden als früher, um an die Ablagerungen heranzukommen.«
»Dann sollen sie das tun. Wo ist das Problem?«
»Der Aufwand«, erklärte der Zweitrüssel. »Tiefere Schächte erfordern mehr Zeit. Die Weißrüssel arbeiten jetzt schon mehr, als sie sollten. Wenn Sie in einem alten Kluum dieselbe Fördergeschwindigkeit wie bei einem jungen aufrechterhalten wollen, brauchen wir mehr Arbeitskräfte. Wenn Sie allerdings neue Weißrüssel anfordern würden ...«
»Vergiss das!«, unterbrach Poohik unwirsch. »Für einen alternden Kluum senden die Thetiser doch keine Verstärkung, das lohnt sich nicht mehr. In ein paar Jahren können wir Einundneunzig-Vier in die Sonne lenken. Wenn wir die Quoten nicht erfüllen, sogar schon früher. Abgesehen davon«, er wischte über sein Facettenauge und ließ es dadurch bedrohlich glänzen, »sehe ich das Problem nicht. Die Weißrüssel sollen eben länger arbeiten. Dafür sind sie da. Das Einzige, was ich anfordern würde, wären mehr Blaurüssel, damit sie den faulen Weißrüsseln Beine machen.«
Tuuhnek machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Du stimmst mir nicht zu?«, fragte Poohik.
»Doch, gewiss«, beeilte sich der Zweitrüssel zu sagen. »Es ist nur ... Wenn wir den Druck zu sehr erhöhen, könnten wir den Produktionsrückgang eher verschlimmern. Die Weißrüssel sind müde und jetzt schon überlastet.«
Poohik horchte auf. »Denkst du, es könnte einen Aufstand geben?«
»Das nicht.« Tuuhnek zögerte. »Aber die Zahl der Unfälle ist in den vergangenen Monaten bereits gestiegen, weil die Weißrüssel härter arbeiten. Sie sterben an Entkräftung. Sie noch härter ranzunehmen, würde zu mehr Ausfällen führen und die Quote weiter senken. Möglicherweise gibt es einfach eine Grenze dessen, was man in einem Kluum dieses Alters nur mit der Stammbesatzung fördern kann. Aber immerhin liegen wir weiterhin über der Vorgabe ...«
Poohik verschloss die Kiste mit Pasteten und schob sie von sich. Der Genuss war ihm vergangen, und wie es aussah, war das vielleicht die letzte Lieferung, die er bekommen würde.
»Magst du dein Quartier, Zweitrüssel?«
Tuuhnek ließ verwirrt die Rüssel sinken. »Natürlich, Erstrüssel.«
»Was denkst du, geschieht mit uns, sobald der Kluum als unrentabel eingestuft wird?«
»Wir werden einem neuen Kluum zugeteilt«, antwortete Tuuhnek zuversichtlich.
Poohik nickte. »Ein neuer Kluum. Neue Einstufung. Denkst du, wir sind die Einzigen, die überproduzieren? Wer nur seine Quote erfüllt, ist nichts wert. Wer sie nicht schafft, wird degradiert.« Musste vielleicht sogar seinen Rüssel umfärben ... Poohik schauderte. Über diesen Umstand sprach man nicht, und er dachte auch lieber nicht daran. Stattdessen fuhr er fort. »Wenn du noch einmal als Zweitrüssel eingesetzt werden willst oder es vielleicht sogar eines fernen Tages zum Erstrüssel schaffen möchtest, wirst du dich niemals mit weniger zufriedengeben als dem Maximum. Hast du verstanden?«
»Gewiss, Erstrüssel.« Tuuhnek wirkte unglücklich. »Ich stelle Ihre Einschätzung nicht infrage.«
»Aber meine Methodik?«
Tuuhnek rang sichtlich mit sich. »Ich hätte eine andere Taktik gewählt«, gab er schließlich zu.
Seine Widerworte ärgerten Poohik. Was dachte der Jungspund, wer er war? Wollte er ihn womöglich übertrumpfen, vielleicht selbst Erstrüssel werden? Oder noch schlimmer: Empfand er etwa Mitleid mit den Weißrüsseln? Poohik musterte seinen Stellvertreter scharf, doch die Körpersprache der beiden Rüsselhände war ruhig, sachlich. Tuuhnek legte keine Emotionen in diese Unterredung. Er war bloß von seinen Argumenten überzeugt.
Poohik stieß Luft durch seine Rüssel. »Deshalb bist du auch nur der Zweitrüssel«, sagte er. »Solange der Kluum fressen kann, holen wir alles aus ihm raus, was geht. Sollen eben noch ein paar Hundert Weißrüssel verrecken. Das ist ihre Aufgabe. Das Einzige, wofür sie gut sind.«
Tuuhnek erwiderte nichts mehr. So war es besser für ihn.