Perry Rhodan Neo 192: Der letzte Blick auf Sol - Kai Hirdt - E-Book

Perry Rhodan Neo 192: Der letzte Blick auf Sol E-Book

Kai Hirdt

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Beschreibung

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – ein Abenteuer, das der Menschheit kosmische Wunder offenbart, sie aber auch häufig in höchste Gefahr bringt. 2058 sind die Menschen nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt, wobei sie immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammenfinden. Nur vereint können sie den Bedrohungen aus den Tiefen des Alls trotzen. Nachdem Rhodan einen Angriff der sogenannten Bestien abgewehrt hat, haben diese sich zurückgezogen. Aber noch haben die Gegner und vor allem ihr Befehlshaber ANDROS ihre Pläne nicht aufgegeben. Da taucht eine Raumflotte der Posbis auf und bietet den Menschen Unterstützung an. Perry Rhodan und seine Mitstreiter suchen nach einer Möglichkeit, die Widersacher endgültig zurückzuschlagen. Ein Scheitern könnte den Untergang bedeuten – für viele Menschen wäre es DER LETZTE BLICK AUF SOL ...

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Band 192

Der letzte Blick auf Sol

Kai Hirdt

Cover

Vorspann

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Impressum

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit öffnet er den Weg zu den Sternen – ein Abenteuer, das der Menschheit kosmische Wunder offenbart, sie aber auch häufig in höchste Gefahr bringt.

2058 sind die Menschen nach schwerer Zeit mit dem Wiederaufbau ihrer Heimat beschäftigt, wobei sie immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammenfinden. Nur vereint können sie den Bedrohungen aus den Tiefen des Alls trotzen.

Nachdem Rhodan einen Angriff der sogenannten Bestien abgewehrt hat, haben diese sich zurückgezogen. Aber noch haben die Gegner und vor allem ihr Befehlshaber ANDROS ihre Pläne nicht aufgegeben. Da taucht eine Raumflotte der Posbis auf und bietet den Menschen Unterstützung an.

Perry Rhodan und seine Mitstreiter suchen nach einer Möglichkeit, die Widersacher endgültig zurückzuschlagen. Ein Scheitern könnte den Untergang bedeuten – für viele Menschen wäre es DER LETZTE BLICK AUF SOL ...

1.

Reginald Bull führte Perry Rhodan durch das Totenschiff.

Die TORTUGA driftete nicht mehr durchs All, sondern stand fest verankert in einem Quarantänehangar der MAGELLAN. Niemand außer ausgewählten Wissenschaftlern und Ärzten hatte Zutritt, und sie konnten den abgesperrten Bereich erst nach intensiver Dekontamination wieder verlassen. Keiner wollte riskieren, dass versehentlich Kristallpartikel aus dem havarierten Walzenboot in die MAGELLAN eingeschleppt wurden. Zu wenig war über dieses Material bekannt, das sich im Umfeld des Geisteswesens ANDROS niederschlug und feste Materie mit einem dünnen, schimmernden Belag überzog.

Im Umfeld, dachte Bull, ist eine Untertreibung.

Inzwischen hatte man herausgefunden, wo sich die TORTUGA aufgehalten hatte, als ihre Mannschaft den Kristallen zum Opfer gefallen war. Über eine halbe Lichtminute war das Raumfahrzeug noch von Sedna entfernt gewesen – dem Himmelskörper jenseits des Kuipergürtels, rund zwölf Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt und seit einigen Monaten ein Brennpunkt der kosmischen Auseinandersetzung im Heimatsystem der Menschheit. Vor einem halben Jahr hatten die Menschen ANDROS besiegt geglaubt. Nun materialisierte das Geisteswesen von Neuem. Die Besatzungsmitglieder der TORTUGA waren seine ersten Opfer geworden. Bull befürchtete, dass es dabei nicht bleiben würde.

»Ist das alles noch so, wie ihr es vorgefunden habt?«, erklang Rhodans Stimme in Bulls Helm.

Bull sah sich um und nickte. Der Hangar simulierte die Bedingungen im Weltraum so weit wie möglich. Sie agierten nicht in völliger Schwerelosigkeit, aber die Bordgravitation der MAGELLAN war deutlich reduziert. Die Temperatur war höher als im freien Raum, aber mit minus zweihundert Grad Celsius nah genug an den Verhältnissen draußen, dass man in einem verlassenen, energetisch toten Schiff nicht mit unerwarteten Reaktionen rechnen musste. Bull hatte das Raumboot mit intaktem Rumpf und Sauerstoffatmosphäre gefunden, also war auch der Hangar damit geflutet. Aufgrund der extremen Kälte konnte man sich dennoch nur im Raumanzug bewegen. Von Vorteil hierbei war, dass es die Dekontamination beim Verlassen der Quarantänezone erleichterte.

»Bislang wurde nichts verändert«, bestätigte Bull. »Die Mediziner wollen die Leichen bergen und auftauen. Ich habe sie aber gebeten, bis nach unserer Inspektion zu warten.«

Wie aufs Stichwort erreichten sie die ersten Toten: zwei Frauen. Die eine hatte der anderen eine Feueraxt in den Hals geschlagen und den Kopf halb abgetrennt. Sie selbst war ebenfalls verletzt, wenn auch nicht schwer: Sie hatte klaffende Kratzer im Gesicht und an den Händen erlitten. Gestorben war sie wahrscheinlich, als sich die Luft an Bord der TORTUGA nach dem Ausfall der Lebenserhaltung der Außentemperatur im Weltraum angeglichen hatte. Das tiefgefrorene Blut beider Opfer glitzerte in einer roten Lache am Boden.

»Sie haben sich also wirklich gegenseitig umgebracht«, sagte Rhodan nachdenklich.

»So sieht's aus.« Bull fragte sich nicht zum ersten Mal, was sein Freund sich von diesem Rundgang versprach. Alle Fakten standen in einem Kurzbericht, und Rhodan verschwendete normalerweise keine Zeit damit, etwas persönlich nachzuprüfen, wenn es keinen konkreten Anlass dazu gab. »Drei Kabinen weiter wird's noch gruseliger.«

Bull führte Rhodan an den Ort, an dem ihm bei seinem ersten Besuch klar geworden war, dass das Raumboot nicht einfach nur einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen war. An die Wand der Unterkunft hatte jemand mit Blut in großen Lettern das Wort »UNREIN« geschmiert. »Das ist die Kabine des Ingenieurs, von dem wir annehmen, dass er die Rettungskapseln abgesprengt und später den Antrieb zerstört hat. Alle an Bord sind durchgedreht, aber ihn hat es wohl am heftigsten erwischt.«

Rhodan nickte. »Im Ernstfall muss man die Betroffenen wohl fixieren, bis sie das Wirkungsgebiet der mentalen Störstrahlung wieder verlassen haben.«

Bull blieb abrupt stehen. Plötzlich ahnte er, was sein Freund vorhatte. »Sag mir bitte, dass du nicht ...«

Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Ein junger Mann im Raumanzug stürzte in die Kabine. Seine helle Haut stand in scharfem Kontrast zu seinem lackschwarzen Haar. »Protektor, ein Funkruf für Sie! Von NATHAN!«

»Ich komme sofort.« Rhodan setzte sich so zügig in Bewegung, wie die beengten Verhältnisse und die geringe Schwerkraft es zuließen. »Das mit der funkdämmenden Wirkung stimmt also auch.«

»Natürlich«, sagte Bull. »Kein Signal geht rein und keins raus, sobald sich der Kristallfilm geschlossen hat. Sag mal, willst du alles noch einmal überprüfen, was ich in den Bericht geschrieben habe?«

Rhodan ignorierte die Frage. Auf dem Weg aus dem Wrack passierten sie ein Ärzteteam, das ihnen mit leeren Schwebetragen entgegenkam.

Sobald sie im Hangar standen, meldeten sich Dutzende Statusanzeigen des Anzugs zurück. Das Totenschiff hatte tatsächlich sämtliche energetischen Einflüsse von außen abgehalten, die nun wieder anmessbar wurden. Dazu gehörte auch ein eingehender Funkruf vom Mond.

»Ich höre«, eröffnete Rhodan das Gespräch, dem er Bull als zusätzlichen Empfänger hinzugefügt hatte.

Es meldete sich jedoch nicht die Mondintelligenz selbst. Stattdessen erklang die Stimme von Leibnitz, dem mysteriösen Mann, der als NATHANS Sprecher fungierte. »Endlich! NATHAN hat eine dringende Bitte an Sie.«

»Wie können wir helfen?«

»Es ist allerdings riskant«, warnte Leibnitz.

»Ist es immer«, gab Rhodan lakonisch zurück. »Also?«

»Wie Sie wissen, entwickelt NATHAN eine Waffe, um ANDROS an der Manifestation im Sonnensystem zu hindern.«

»Ähm«, schaltete sich Bull in das Gespräch ein. »Wir operieren in unmittelbarer Nähe zu ANDROS. Sollten wir wirklich per Funk über unsere geplante Abwehr diskutieren?«

Leibnitz lachte. »Guten Tag, Mister Bull! Gehen Sie ruhig davon aus, dass ANDROS ohnehin über alle Vorgänge im System Bescheid weiß. Wir müssen nur handeln, bevor er so weit ist, dass er dieses Wissen gegen uns benutzen kann.«

»Tolle Aussichten«, murmelte Reginald Bull.

»Zurück zum Thema!«, forderte Rhodan.

»NATHAN benötigt noch Daten«, sagte Leibnitz. »Nach unserem aktuellen Kenntnisstand muss die Waffe in unmittelbarer Nähe der Position gezündet werden, an der das Geisteswesen erscheint. Das geht allerdings nicht mit einem unbemannten Schiff, weil alle Zeit- oder Distanzzünder oder auch jede Fernsteuerung wegen der Kristallbildung jederzeit ausfallen können.«

»Also muss ein vernunftbegabtes Wesen die Waffe von Hand aktivieren«, folgerte Rhodan. »Die Wahnsinnsstrahlung könnte ANDROS' Methode sein, genau das zu verhindern. Und Sie wollen jetzt wissen, wie nah man herankommen kann, ohne den Verstand zu verlieren?«

»Ganz genau«, sagte Leibnitz verblüfft. »Woher ...?«

»Nur so ein Gefühl«, antwortete Perry Rhodan. »Sagen Sie NATHAN, wir kümmern uns darum.«

»Das werde ich.« Damit beendete Leibnitz das Gespräch.

Sie kehrten auf die TORTUGA zurück. »Alle raus!«, befahl Reginald Bull den Medizinern, die gerade die beiden toten Frauen auf ihre Bahren gehoben und mit Energiefeldern fixiert hatten. »Und sorgen Sie dafür, dass uns zehn Minuten lang niemand stört.«

Alle Besatzungsmitglieder der MAGELLAN bis auf Bull und Rhodan verließen das Raumfahrzeug.

»Warum?«, wollte Bull wissen.

Perry Rhodan zog die Brauen hoch. »Was?«

»Der Wahnsinn, den du da vorhast.«

»Hast du deshalb alle rausgeschickt?«, fragte Rhodan.

»Ja«, sagte Bull verärgert. »Diese verdammten Kristalle haben zumindest eine gute Eigenschaft: In diesem Boot kann uns niemand abhören außer ANDROS, und der weiß offensichtlich ohnehin alles, was bei uns passiert. Also kannst du mir nun offen und ehrlich sagen, warum du auf diese Selbstmordmission gehen willst.«

»Wie kommst du darauf, dass ich ...?«

»Ich kenne dich schon zu lange, mein Freund. Leibnitz' Bitte hat dich nicht überrascht. Du hattest schon lange vorher die Absicht, jemanden da rauszuschicken. Deshalb hast du dir das alles selbst noch mal angeguckt. Um diesen Einsatz zu planen. Und ich sehe dir einfach an, dass dieser Jemand du selbst bist. Oder liege ich falsch?«

Rhodan seufzte. »Leider nein. Obwohl meine Lust auf einen solchen Einsatz sehr begrenzt ist. Aber Leibnitz hat recht. Im Moment passiert wenig, alle Parteien in diesem Konflikt bringen sich noch in Position. Wenn es richtig losgeht, kann jeder Informationsvorsprung über Leben und Tod entscheiden. Deshalb müssen wir herausfinden, wer welches Interesse verfolgt.«

»In Ordnung.« Bull hob die Hand und streckte den Daumen in die Höhe. »Erstens: ANDROS. Verantwortlich für das hier.« Er zeigte auf die beiden Leichen, die beim hastigen Abzug der Ärzte zurückgeblieben waren. »Dass ANDROS uns an den Kragen will, ist sicher, oder?«

»Eindeutig«, bejahte Rhodan. »Aber was ist mit NATHAN und den Posbis? Sehen wir da inzwischen klarer?«

»Hmm«, machte Bull. »Nein. NATHAN sagt, er will die Menschheit retten, aber wenn ich ehrlich sein darf: Jedes Mal, wenn er das tut, traue ich ihm danach noch weniger über den Weg. Wie er deine Söhne manipuliert hat ...«

»... um mit ihrer Hilfe ANDROS und die Bestien zu verjagen«, komplettierte Rhodan den Satz. »Natürlich passt mir das nicht. Aber wo wären wir, wenn er das nicht getan hätte?«

»Wahrscheinlich tot«, gab Bull zu. »Trotzdem.«

»Und was denkst du von den Posbis?«

»Unsere freundlichen Roboterkumpel, die NATHAN nur mal kurz Hallo sagen wollen – und dafür mit so vielen hochgerüsteten Schiffen vorbeikommen, dass sie damit unser komplettes Sonnensystem in die Luft jagen könnten. Auch nicht schön.« »Perry, das sind alles altbekannte Fakten«, stellte Bull fest. »Sag mir lieber etwas, was ich nicht weiß. Was hast du genau vor?«

»Die Zufälle sind mir zu groß«, antwortete Rhodan nach kurzem Grübeln. »Wir wissen, warum ANDROS hier ist: weil es in unserem System drei Raum-Zeit-Risse gibt, die einen Durchgang ins Creaversum ermöglichen. Die will er – wofür auch immer – unter Kontrolle bekommen. Das ist bisher der einzige Teil, der halbwegs Sinn ergibt. Aber dass einige Jahre vorher zufällig die noch nie da gewesene Maschinenintelligenz NATHAN entstanden ist, als auf dem Mond ein Posbiraumer in den dortigen Transfernexus gestürzt ist und sich mit einer fremden Substanz aus dieser anderen Dimension vereinigt hat? Dass genau der eine Posbi, der als Retter und Erlöser ihrer ganzen Zivilisation gilt, sich zufällig ausgerechnet auf dem Mond bei NATHAN rumdrückt und eine Wallfahrt in unser Sonnensystem auslöst? Lauter unerklärliche Fügungen, die uns drei völlig unterschiedliche, weit überlegene Mächte ins System gelockt haben. Alle zur gleichen Zeit.«

»Und du glaubst nicht an Zufälle«, stellte Bull fest.

»Du etwa?«, fragte Rhodan.

Bull lachte gallig. »Keine Sekunde. Das ist alles ein großer Plan. Aber mit welchem Ziel, und wer steckt dahinter? NATHAN? Er war immerhin als Erster hier.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Möglich, aber meinem Gefühl nach zu einfach. Ich glaube eher, es gibt noch einen Strippenzieher im Hintergrund. Jemand, der sich vornehm raushält, während wir zuschauen müssen, wie auf unserer Türschwelle verfeindete Mächte aufmarschieren.«

»Du denkst an ES?«, vermutete Bull.

»Wäre doch naheliegend, oder? ES und ANDROS – zwei einander ebenbürtige Geisteswesen, die sich seit Jahrzehntausenden bekämpfen und gegeneinander intrigieren. Und ausgerechnet jetzt, wo alles nach einer großen Schlacht riecht, hat eines von den beiden etwas Besseres zu tun und lässt sich nicht blicken? Ich zumindest finde das merkwürdig.«

»Hmm«, machte Bull erneut. »Dann wären NATHAN, die Posbis, die Menschheit, die Bestien ... Was? Alles nur Schachfiguren?«

»Ganz genau«, sagte Rhodan. »Und wenn es ganz schlimm kommt, sind wir als Bauernopfer eingeplant.«

Bull knurrte verdrossen. »Du hast mir noch immer nicht verraten, warum du in ANDROS' Einflusssphäre fliegen willst. Wenn es nur darum ginge, den Wirkungsradius der Wahnsinnsstrahlung festzustellen, könnte das jeder andere Freiwillige genauso gut machen.«

»Ich will die Wahrheit herausfinden«, erläuterte Rhodan. »Beweise für meine Theorie suchen. Endlich mal ein paar Züge vorausberechnen. Und wenn's sein muss, kräftig auf das Schachbrett hauen.«

»Schöne Worte«, gab Bull unumwunden zu. »Du gibst dich zu viel mit Politikern ab, du klingst bald selbst wie einer. Was hast du konkret vor?«

»Nur ein kleiner Risikoeinsatz.« Perry Rhodan grinste unternehmungslustig. »ANDROS nimmt Einfluss auf den menschlichen Geist. Was, wenn er in diesem Moment etwas von sich selbst preisgibt? Vielleicht geht der Kontakt in beide Richtungen. Vielleicht bekomme ich nicht nur die Daten, die NATHAN braucht, sondern kann sogar selbst etwas von ANDROS' Plänen erhaschen. Informationen, die wir im Kampf gegen ihn nutzen können.«

2.

Zu den Defiziten einer Space-Disk-Standardausstattung, das musste Abha Prajapati feststellen, gehörte ein eklatanter Mangel an Jo-Jos. Diese Spielzeuge mochten seit siebzig Jahren aus der Mode sein, aber er war Traditionalist. Während seines Biologiestudiums hatte er endlose Stunden damit zugebracht, Versuchsaufbauten in Laboratorien zu überwachen, und die Zeit zum Üben genutzt. Schon nach wenigen Tagen waren Petrischalen und Kolben sicher vor Querschlägern gewesen, und bei seinem Abschluss war er nicht nur zum Jahrgangsbesten im Bereich Exobiologie gekürt worden, sondern beherrschte auch jede Menge Tricks wie den Braintwister, die Achterbahn oder das UFO. Nichts funktionierte für ihn besser, um die Zeit totzuschlagen, als immer wieder dieselben Figuren zu üben.

Mittlerweile flogen er, Eric Leyden und Luan Perparim seit einem knappen Tag im Kuipergürtel herum, und Abha vermisste sein Jo-Jo von Stunde zu Stunde mehr. Zu dritt scannten sie Transneptunische Objekte mit düster-klangvollen Namen wie Mors, der Tod, Eris, der Streit, Somnus, der Schlaf, oder Chaos, was keiner Übersetzung bedurfte.

Auf ihrer Suche nach der Klause des rätselhaften Eremiten klapperten sie zusammen mit Icho Tolot und seiner DOLAN zunächst die größten Himmelskörper ab. Wenn sie ihn dort nicht entdeckten, hatten sie ein Problem. Sie konnten unmöglich die mehr als hunderttausend Objekte absuchen, die rein theoretisch als Versteck infrage kamen. Dass sie nicht die geringste Ahnung hatten, wer der Eremit war und wie seine Klause beschaffen war, machte die Aufgabe nicht einfacher.

»Mir reicht's!« Erics Frust brach sich Bahn. »Es muss noch irgendeinen weiteren Hinweis geben. Die Botschaft in der Kryokiste des Eremiten ist eindeutig. Er will, dass wir ihn finden. Also muss er uns auch einen genaueren Ort verraten als Wir begegnen uns im Kuipergürtel.«

Luan gähnte. »Willst du die Box noch einmal untersuchen?«, fragte sie. »Zum wievielten Mal?«

Eric antwortete nicht, sondern aktivierte die Funkverbindung zur DOLAN. »Taravat, ich will Tolot sprechen.«

»Er ist beschäftigt«, teilte die Schiffsintelligenz mit.

»Glaube ich nicht.« Geistesabwesend kraulte Eric seinen Kater Hermes. »Das hat er uns ein paar Mal zu oft erzählt, wenn er einem Gespräch ausweichen wollte. Schaltest du die Verbindung, oder soll ich durch die Schleuse zu euch runterklettern?«

»Ein solcher Vorstoß wird keinen Erfolg bringen, solange ich ...« Taravat verstummte mitten im Satz.

Stattdessen erklang der Bass des halutischen Wissenschaftlers, an dessen Kugelschiff die Space-Disk mit der sperrigen Kennung ES WAR EINMAL IN SANKT PETERSBURG angedockt war. »Leydenos. Womit kann ich Ihnen helfen?«

»Informationen«, verlangte der Physiker genervt. »Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie jeden größeren Himmelskörper im Kuipergürtel anfliegen wollen! Wir brauchen Jahre dafür!«

»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen ...«

»Oder wollen Sie den Eremiten gar nicht finden?«, unterbrach Eric. »Wir wissen, dass Sie keine Lust auf die Begegnung mit einer Bestie haben. Zögern Sie das absichtlich hinaus?«

»Ich wüsste nicht, was ich Ihnen vorenthalten hätte.« Tolot ignorierte Erics Unterstellung scheinbar, doch seine Stimme klang grollender als zuvor. »Sie haben den Inhalt der Botschaft und das Transportmedium untersucht. Ich habe nichts, was Sie nicht auch haben.« Grußlos beendete er das Gespräch.

Abha fühlte sich unbehaglich. Schon seit Beginn ihrer Suche verhielt sich Tolot ungewöhnlich und launenhaft. Wenn der Haluter irgendwann völlig die Beherrschung verlieren sollte, wollte Abha lieber irgendwo anders sein – am besten gleich ein paar Astronomische Einheiten entfernt.

»Er hat recht, Eric«, sagte Luan matt. Sie deutete auf die Kryokiste, deren Intarsien sich als Datenspeicher entpuppt hatten und die Tolot den Menschen inzwischen zurückgegeben hatte. »Wir haben jedes Molekül dieses Dings untersucht und die Botschaft durch sämtliche Dekodierungsverfahren des kompletten Cryptonomicons gejagt. Sowohl das verschlüsselte Original als auch den Klartext. Darin verbirgt sich keine versteckte Botschaft. Sie heißt einfach nur ...«

Abha fiel mit ein und sprach mit Luan im Chor: »... wir begegnen uns im Kuipergürtel.« Stunden über Stunden hatten die Exolinguistin und er nach einer versteckten Botschaft darin gesucht, während Eric auf jede erdenkliche Weise probiert hatte, zusätzliche Informationen aus dem Behältnis selbst herauszukitzeln.

Erics Kopf ruckte hoch. Er starrte Luan an. »Noch mal, bitte.«

»Wir begegnen uns im Kuipergürtel? Sag nicht, du hast darin plötzlich ...«

»Nein, das mit dem Cryptonomicon.«

»Äh ...« Luan sah Abha Hilfe suchend an. »Keine Ahnung, was ich da genau ...«

Eric klatschte in die Hände wie ein kleiner Junge. »Neue Informationen!«, flötete er. »Tolot hat doch etwas, was wir nicht haben. Noch nicht. An die Arbeit! Losloslosloslos!«

Luan warf Abha einen verschwörerischen Blick an. »Du oder ich?«

»Ich«, entschied Abha. »Eric, hast du deine Medikamente nicht genommen? Wovon redest du?«

»Wir haben die Botschaft durch alle Dekodierungsverfahren gejagt, sowohl das verschlüsselte Original als auch den Klartext«, antwortete Eric. »Und was braucht man, um eine Nachricht zu entschlüsseln?«

»Einen ... Schlüssel?«, vermutete Abha vorsichtig.

»Bingo!«, rief Eric.

Luan nickte. »Ich ahne, worauf du hinauswillst.«

»Ich nicht.«

Eric sprach in atemberaubender Geschwindigkeit, wie meist, wenn er von seinen eigenen Ideen begeistert war. »Tolot hat die Nachricht dekodiert. Er muss also einen Schlüssel gehabt haben. Woher? Und wie sieht der aus?«

»Fragen wir ihn«, schlug Abha schulterzuckend vor.

»Oh nein.« Eric hatte sich bereits auf das nächste Positronikpult gestürzt. »So geheimniskrämerisch, wie er sich heute gibt, wäre das zwecklos. Das finden wir schön selbst heraus.« Seine langen Finger flogen durch die Bedienholos. Dann ließ er sich in seinen Sessel fallen. »So. Das dauert ein paar Minuten, dann ist der Schlüssel errechnet, mit dem das Original in die Klartextbotschaft übertragen wird.«

»Und du meinst ...«

Eric grätschte verbal in den Satz. »... dass wir dadurch eine neue Komponente dieses ganzen Kommunikationsvorgangs gewinnen, die ihrerseits weitere Informationen enthalten kann. Und die müssen wir entdecken.«

Abha seufzte. Solange er kein Jo-Jo hatte, konnte er seine Zeit auch auf diese Weise rumbringen.

»Ungewöhnlich«, stellte Luan sofort fest, als der Schlüssel fertig berechnet war.

»Ha!«, rief Eric. »Ungewöhnlich ist gut!«

»Weiht ihr mich ein?«, bat Abha.

»Der Schlüssel ist sehr lang«, erläuterte Luan. »Aber er besteht nur aus vier unterschiedlichen Zeichen, die in ständig wechselnder Reihenfolge aufeinanderfolgen. Eine größere Varianz in den Zeichen bietet aber erheblich mehr Sicherheit. Warum sollte jemand ...«

»Meine Güte.« Abha stand auf und schlenderte zum Holo. »Lasst das doch mal jemanden machen, der sich damit auskennt. Extrem lange Kette, vier Bausteine, keine erkennbare Wiederholung? An was erinnert euch das? Na, wer hat in der zehnten Klasse in Bio aufgepasst?«

Luan schlug sich vor die Stirn. »Eine Genom-Sequenzierung.«

»Ich bin stolz auf dich.« Abha grinste. »Wir können das durch unsere exobiologische Datenbank laufen lassen und schauen, ob es eine Übereinstimmung mit einem uns bekannten Organismus gibt.« Er sah zu Eric und prustete. »Du solltest dein Gesicht sehen. Deine Idee war gut, und trotzdem kannst du uns gar nicht unter die Nase reiben, wie schlau du bist. Stattdessen brauchst du die Hilfe eines Biologen. Nicht ganz dein Tag, oder?«

Eric Leyden verströmte eine noch finsterere Aura als zuvor der Haluter.

Gut gelaunt ließ nun Abha die Finger durch die Holos fliegen, nicht weniger flink als zuvor der Hyperphysiker. Je länger der Vorgang dauerte, desto düsterer wurde jedoch seine eigene Stimmung. Schließlich schlug er frustriert auf den Rand des Positronikpults. »Okay, ganz so einfach ist es doch nicht. Die Sequenz stimmt mit nichts überein, was wir kennen und schon mal analysiert haben. Keine Mikrobe, die nur auf einem bestimmten Himmelskörper im Kuipergürtel vorkommt oder so etwas. Wäre auch zu schön gewesen.«

»Hast du wirklich gar nichts rausfinden können?«, fragte Luan enttäuscht.

Abha schüttelte den Kopf. »Ein paar Abschnitte wirken vertraut. Sie haben eine ziemliche Ähnlichkeit mit verschiedenen Genen, die für die Entstehung von Krebszellen bedeutsam sind. Anderes ist total fremd. Ich habe das Ganze durch verschiedene Simulationen laufen lassen, aber die Zellen, die dabei herauskommen, sind nicht lebens- oder fortpflanzungsfähig. Vielleicht ...« Hilflos brach er ab.

»Vielleicht warst du einfach auf dem falschen Dampfer.« Eric zeigte wieder ein leichtes Lächeln.

»Hast du eine bessere Idee?«, giftete Abha.

»Leider nein«, gab der Physiker zu. »Wir sind genauso weit wie zuvor.«

»Nicht so schnell aufgeben!«, forderte Luan. »Das war zumindest mal ein neuer Ansatz! Lasst uns mal nachdenken, wo wir noch überall Muster erkennen können. Eric, was ist mit den Kriechströmen in den Kristallen der Kryobox? Die, durch die du überhaupt darauf gekommen bist, dass dort Daten gespeichert sind. Haben die Ströme irgendwelche Regelmäßigkeiten, in denen sich noch etwas verstecken könnte?«

»Nein.« Eric winkte ab. »Alle dreizehn Stunden setzt sich das Muster auf den Ausgangswert zurück, aber während dieser Zeit gibt es keinerlei Regelmäßigkeit. Reine Zufallswerte. Da ist nichts enthalten.« Auf einmal klang er nachdenklich. »Wir könnten allerdings den Schlüssel einmal auf diese vermeintlichen Zufallswerte anwenden ...«

Sie taten es.

Und fanden nichts.

Resigniert sanken sie in ihre Sitze. Es wurde still an Bord. Die ES WAR EINMAL IN SANKT PETERSBURG und die DOLAN näherten sich ihrem nächsten Ziel, dem Transneptunischen Objekt Salacia. Leise leierte die Positronikstimme die astronomischen Daten herunter: »Große Halbachse 41,95 Astronomische Einheiten, Bahnneigung 23,9 Grad, Rotationsperiode 6 Stunden 5 Minuten 24 Sekunden.«

Plötzlich sprang Eric aus seinem Sessel hoch. »Ich bin so ein unfassbarer Idiot!«, brüllte er und wühlte sich durch die astronomische Datenbank wie Abha zuvor durch die biologische.

»Kein Widerspruch«, murmelte Abha Prajapati.

»Verrätst du's uns?«, fragte Luan Perparim.

»Hier.« Eric Leyden aktivierte eine Projektion. »Das Muster der Kriechströme setzt sich wie gesagt alle dreizehn Stunden auf den Ausgangswert zurück. Genau genommen alle dreizehn Stunden, elf Minuten und siebzehn Sekunden. Exakt so lange dauert die Rotationsperiode von Orcus, einem der größten Transneptunischen Objekte. Wollen wir wetten, dass wir unseren Eremiten dort finden?«

3.

»Sind Sie bereit?«, fragte Perry Rhodan.

Leutnant Rapallo salutierte eifrig. »Ja, Sir!«

Rhodan beäugte die beiden Freiwilligen, die ihn bei seinem Vorstoß begleiten würden. Offensichtlich war durchgesickert, dass es um eine Mission an der Seite des Protektors ging. Zumindest bei Jottrob Rapallo unterstellte er, dass sich der Soldat Aufstiegschancen von dem gemeinsamen Einsatz versprach. Der junge Leutnant entsprach ganz dem Typ Karriereoffizier: in allen Belangen etwas zu eifrig, etwas zu zackig, etwas zu motiviert. Aus seiner Personalakte wusste Rhodan, dass Rapallo bei jeder Aus- und Fortbildung Bestnoten erzielte, aber noch nie in eine echte Krisensituation geraten war.

Sergeant Emily Harris, die Dritte im Bunde, war von einem anderen Schlag. Sie war seit Gründung bei der Terranischen Flotte, glatte zwanzig Jahre älter als Rapallo, zudem einen Kopf größer und anderthalb mal so schwer. Auch ihre Akte hatte Rhodan zumindest überflogen. Sie trieb Bodybuilding, boxte und hatte in ihrer Laufbahn schon gegen Arkoniden, Maahks und Bestien gekämpft.

Sie grüßte deutlich lässiger. »Immer, Sir«, sagte sie grinsend.

»Na dann.« Rhodan deutete auf die Space-Disk. »Darf ich bitten?«

Zu dritt betraten sie das Kleinraumschiff und kletterten zur Zentralekuppel empor. »Herzlich willkommen bei Operation Sirenensang.«

Rapallos Gesicht blieb starr. Harris zog fragend eine Augenbraue empor.

Rhodan seufzte. »Hat sich irgendjemand in der Logistik ausgedacht. Aber völlig falsch ist der Name nicht. Wir spielen ein Kapitel aus der Odyssee nach. Die Begegnung mit den Sirenen.«

Harris' Grinsen verriet ihm, dass er sich den letzten Satz auch hätte sparen können. Offensichtlich fand sie neben ihren eher physischen Hobbys genug Zeit, die Nase mal in ein Buch zu stecken.

»Sind Sie mit dem Stoff vertraut?«, fragte er daher nur Rapallo.

»Nein, Sir!«, schnarrte der Leutnant.

Rhodan lächelte müde. »Lassen Sie den Kasernenhofton mal weg. Die Sage geht so: Die Sirenen verführten mit ihrem wunderschönen Gesang vorbeisegelnde Seeleute, sodass die Opfer ihre Insel ansteuerten und nie wieder verließen. Auch Odysseus wollte diesen berühmten Gesang hören, aber ohne Opfer des Zaubers zu werden. Deshalb ließ er seinen Gefährten die Ohren mit Wachs verstopfen und sich selbst an den Mast fesseln. Er verfiel dem Zauber und wollte von Bord springen, konnte aber nicht. Und seine Leute ruderten stur weiter, bis sie außer Hörweite waren.«

Er sah seine Begleiter an. Aber noch regte sich kein Schimmer der Erkenntnis in ihren Augen.

»Wir machen etwas Ähnliches«, erläuterte er deshalb. »Wir nähern uns der Position von ANDROS mit einem Hundertstel Lichtgeschwindigkeit. Die MAGELLAN folgt uns mit dreißig Sekunden Abstand, in knapp hunderttausend Kilometern Distanz. Nah genug, um uns mit dem Traktorstrahl zurückzuholen, wenn wir dem Sirenenruf zum Opfer fallen.«

»Welchem ...«, begann Rapallo.