Perry Rhodan Neo Paket 17 - Perry Rhodan - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 17 E-Book

Perry Rhodan

0,0
24,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Frühjahr 2055, in den Randgebieten der Galaxis Andromeda: Mit dem Fernraumschiff MAGELLAN sucht Perry Rhodan nach Hinweisen auf die verschwundene Menschheit. Er stößt auf die Meister der Insel und ihre Herrschaft über die Sternenvölker in Andromeda. Bisher weiß man: Die Meister stehen in einer geheimnisvollen Verbindung zur Erde. Ihre Anführerin ist Mirona Thetin, die sich auch Faktor I nennt; sie wurde vor über 50.000 Jahren geboren. Sie führt ein Leben voller Macht und voller Tragik – als unsterbliche Herrscherin über Billionen von Lebewesen …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Im Frühjahr 2055 wissen Perry Rhodan und seine Begleiter mehr über die ferne Galaxis Andromeda. Mit dem Raumschiff MAGELLAN und seiner wagemutigen Mannschaft operiert der Terraner in der fremden Sterneninsel. Er sucht immer noch nach Hinweisen auf die verschwundene Menschheit.

In Andromeda treffen die Menschen auf eine Vielzahl von exotischen Völkern – und ebenso auf die geheimnisvollen Meister der Insel. Sie sind die Beherrscher von Andromeda, und sie halten den Schlüssel zur Zukunft der Menschheit in ihren Händen. Ihre Anführerin nennt sich Mirona Thetin, sie wird als Faktor I angesprochen.

Was verbindet Mirona Thetin mit der Erde, welche Beziehungen gibt es zwischen Andromeda und der Milchstraße? Und welches schreckliche Geheimnis versuchen die Meister mit ihren riesigen Armeen zu verbergen?

Cover

Vorspann

Band 161 – Faktor I

Vorspann

Prolog

1. Abschiedsgeschenk

2. Trümmerwelt

3. Straße nach Karadon

4. ANDROS

5. Hof der Fragen

6. Ein neues Leben

7. Die erste Sichtung

8. Das Spiel beginnt

9. Gorata

10. Ein Weg aus Blut

11. Ein kleiner Tod

12. Die zweite Sichtung

13. Fremde Saat

14. Feuer der Sonne

15. Arkons Thron

16. Flucht nach vorn

17. Entscheidungen

Epilog

Band 162 – Allein zwischen den Sternen

Vorspann

1. FAUGON, 25. März 2055

2. MAGELLAN, 25. März 2055

3. Arendoil, 25. März 2055

4. MAGELLAN, 25. März 2055

5. Arendoil, 28. März 2055

6. MAGELLAN, 28. März 2055

7. Ein Lichtmonat vor Multidon, 28. März 2055

8. MAGELLAN, 28. März 2055

9. Arendoil, 28. März 2055

10. PE-hilfreich, 28. März 2055

11. MAGELLAN, 28. März 2055

12. FAUGON, 28. März 2055

13. PE-hilfreich, 30. März 2055

14. MAGELLAN, 30. März 2055

15. Archi-Tritrans-System, 30. März 2055

16. Edonaai, 30. März 2055

Band 163 – Der Geist von Nachtschatten

Vorspann

1. Der Faktor und sein Jagdhund

2. Hinein und hindurch

3. MAGELLAN: Sucahtsystem

4. PE-hilfreich: Tani Hanafe

5. PE-hilfreich: John Marshall

6. MAGELLAN: Alarm!

7. John Marshall: Rückkehr

8. Wieder auf Expedition

9. MAGELLAN: Ein Gespräch unter Freunden

10. Der finstere Wald

11. Noch ein Gespräch

12. Die Wesen von Nachtschatten

13. Zwei Faktoren

14. Mollusken und Chili

15. PE-hilfreich: Gut vorbereitet

16. Der Schrei der Banshees

17. Das Schiff

18. Das Geschenk

19. Ein Trojaner oder nicht

20. Erste Auswirkung

21. Der Kristall spricht

22. Die Fährte

23. Angriff

Band 164 – Der Etrin-Report

Vorspann

1. Prolog

2. Leibnitz

3. Miras Etrin

4. Leibnitz

5. Proht Meyhet

6. Leibnitz

7. Proht Meyhet

8. Leibnitz

9. Proht Meyhet

10. Leibnitz

11. Miras Etrin

12. Leibnitz

13. Miras Etrin

14. Miras Etrin/Dr. Brömmers

15. Leibnitz

16. Miras Etrin

17. Miras Etrin/Dr. Brömmers

18. Leibnitz

19. Miras Etrin

20. Miras Etrin/Dr. Brömmers

21. Leibnitz

22. Miras Etrin

23. Miras Etrin/Dr. Brömmers

24. Leibnitz

25. Proht Meyhet

26. Dr. Brömmers

27. Epilog

Band 165 – Tolotos

Vorspann

1. Perry Rhodan

2. Perry Rhodan

3. Perry Rhodan

4. Perry Rhodan

5. Perry Rhodan

6. Perry Rhodan

7. Gucky

8. Reginald Bull

9. Gucky

10. Cel Rainbow

11. Perry Rhodan

12. Icho Tolot

13. Perry Rhodan

14. Gucky

15. Perry Rhodan

16. Icho Tolot / Eric Leyden

17. Perry Rhodan

18. Perry Rhodan

19. Perry Rhodan

Band 166 – Beute und Jäger

Vorspann

1. FERNAO

2. FAUGON

3. MAGELLAN / PE-hilfreich

4. FERNAO

5. Niunomasystem

6. MAGELLAN / PE-hilfreich

7. Ukkomen-Al

8. FERNAO

9. Hak Gekkoor auf der Jagd

10. Hallafsystem

11. Feuerlohen

12. FERNAO

13. Heimkehr

Band 167 – Die Grenzwächter

Vorspann

1. Durch den Limbus

2. Strafe der Gerechten

3. Aus der Dunkelheit ins Licht

4. Gesandte der Sterne

5. Ein Mond namens Leyden

6. Ein kleiner Schritt für die Menschheit

7. Der Splitter im Auge deines Bruders

8. Eine zweite Chance

9. Über den Nadeln der Welt

10. Der Reiz des Verbotenen

11. Im Sinne der Gemeinschaft

12. Der Feind an der Schwelle

13. Erkenntnisse aus dem Orbit

14. Schlimmer als der Tod

Band 168 – Die MAGELLAN-Morde

Vorspann

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Epilog

Band 169 – Dunkle Welt Modul

Vorspann

1. Perry Rhodan

2. Cel Rainbow

3. Perry Rhodan

4. Perry Rhodan

5. Baar Lun

6. Perry Rhodan

7. Rufus Darnell

8. Agor Phuurk

9. Perry Rhodan

10. Perry Rhodan

11. Agor Phuurk

12. Perry Rhodan

13. Eric Leyden

14. Perry Rhodan

15. Eric Leyden

16. Perry Rhodan

17. Perry Rhodan

18. Baar Lun

19. Perry Rhodan

20. John Marshall

21. Perry Rhodan

Band 170 – Abschied von Andromeda

Vorspann

Prolog: Mirona Thetin

1. John Marshall

2. Perry Rhodan

3. John Marshall

4. Perry Rhodan

5. Mirona Thetin

6. Perry Rhodan

7. Perry Rhodan

8. John Marshall

9. Atila Ardal

10. Perry Rhodan

11. John Marshall

12. Atila Ardal

13. Mirona Thetin

14. John Marshall

15. Atila Ardal

16. Mirona Thetin

17. Perry Rhodan

18. Perry Rhodan

19. Perry Rhodan

20. Nachwehen

Epilog: Mirona Thetin

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 161

Faktor I

Michelle Stern / Madeleine Puljic

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen an einen unbekannten Ort umgesiedelt werden.

Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an. Dort erfahren die Menschen schnell mehr über die Situation. Insbesondere die mysteriösen Meister der Insel spielen eine zentrale Rolle.

Der Arkonide Atlan schafft es, Rhodan eine Datei zuzuspielen. Diese enthält wertvolle Informationen und vor allem Enthüllungen – es ist die Lebensgeschichte von FAKTOR I ...

Prolog

»Das Ziel ist in Reichweite, Meister«, sagte Hespra Katheen. Die Thetiserin, die Trinar Molat als Erste Offizierin eingesetzt hatte, wandte sich zu ihm um.

Sie war vorhersehbar und dumm, wie alle Sterblichen. Vielleicht suchte sie seine Bestätigung oder Anerkennung. Trinar Molat wusste, was sie stattdessen fand: das undurchdringliche, schwarze Spiegelfeld in seiner Kapuze, in dem langsam die Spiralgalaxis von Andrumida kreiste.

Er schenkte ihr keine der gewünschten Reaktionen, sondern trat mit einem einzigen, kalkulierten Schritt an die Hauptkonsole der Zentrale. »Zeig sie mir!«

Sie schauderte leicht, wie immer, wenn sie seine Stimme hörte. Die Stimme, die die Bewohner der ihm zugeteilten Planeten seit der Stunde ihrer Geburt kannten und verehrten. Für sie war er ein Gott.

Für ihn war sie nichts als ein atmendes, entbehrliches Stück Fleisch. Gut genug, um die Arbeit zu erledigen, die getan werden musste. Nicht mehr, nicht weniger.

Katheens Finger bewegten sich rasch über die Steuerfelder. Das Zentralholo flammte auf und zeigte das Bild des fremden Kugelraumschiffs. Die MAGELLAN. Düster und krude wirkte sie, verglichen mit den Schiffen der Meister. Aber Molat ließ sich von Äußerlichkeiten nicht täuschen. Er unterschätzte niemals einen Gegner, und diesen erst recht nicht.

»Ich wünsche eine Funkverbindung«, verlangte er. »Ich will mit Rhodan reden. Mit niemandem sonst.«

Die Offizierin – die Einzige an Bord, der Molat gestattete, mit ihm zu sprechen – gab den Befehl an den Funker weiter. Trinar Molat wartete schweigend, bis die Verbindung aufgebaut war. Er rührte keinen Muskel. Er hatte es nicht nötig, die Schultern zu straffen. Er war Faktor II.

»Verbindung steht!«, meldete der Funker.

Molat ließ zu, dass Katheen die Freigabe erteilte, das Gespräch auf das Holo legen zu lassen. Gleich darauf blickte er in das Gesicht des Menschen.

Rhodan wirkte müde, seine Haut war blass und teigig. Unter seinen Augen prangten dunkle Ringe, Bartstoppel verunzierten die Wangen. Ein Bild, das Molat mit leiser Genugtuung sah.

»Perry Rhodan«, grüßte Molat. »Sie erinnern sich an mich?«

»Ich würde ja behaupten, dass mir Ihr Gesicht bekannt vorkommt«, erwiderte der Terraner. »Aber das Problem kennen Sie ja bestimmt.«

Molat ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Er hatte das kurze Zucken um Rhodans Mundwinkel gesehen, als dieser Molats Stimme gehört hatte. Demnach hatte der Mensch ihn durchaus erkannt. Es war schließlich nicht ihre erste Begegnung. »Amüsieren Sie sich, solange Sie noch können«, warnte Molat. »Ihr Hochmut wird vergehen, sobald Sie Ihre Strafe ereilt.«

Die Gesichtszüge des Menschen wurden hart. »Wollen Sie mir drohen?«

Molat lachte. »Ihnen drohen? Nein. Eine Drohung würde bedeuten, dass es noch eine Alternative gäbe. Ich bereite Sie lediglich auf das Unvermeidbare vor.«

»Und das wäre?«, fragte Rhodan.

»Ihr Tod, Perry Rhodan.«

In der Zentrale der Menschen kam Unruhe auf. Stimmen wurden im Hintergrund des Kommunikationsholos laut. Die Anzeigen, die Katheen zeitgleich im Zentralholo einblendete, verrieten, dass die Terraner Molats Raumschiff scannten. Sollten sie nur. Die FAUGON war der MAGELLAN mehr als gewachsen. Das Schiff war nach Molats Wünschen gebaut worden: schwer bewaffnet und auch ohne große Besatzung zu steuern. Er schätzte seine Unabhängigkeit, und von austauschbaren Sterblichen wollte er sich nicht einschränken lassen.

Nun waren sie seine Tarnung. Rhodan sollte sich gern in Sicherheit wiegen, solange er konnte. Molat würde den Terraner nicht nur töten. Er würde ihn vernichten. Rhodans Schiff, seine Spezies, sein gesamtes Andenken auslöschen. Es musste Vergeltung geben für den Verrat, den Rhodan an Mirona Thetin begangen hatte, und für den Mord an Molats Sohn. Rhodans Widerstand gegen die Meister war nicht tolerierbar. Er durfte nicht leben, sonst würden andere kommen und ihm nacheifern. Sie würden denken, sie könnten sich ungestraft gegen die Meister der Insel erheben. Das musste Trinar Molat verhindern.

Ein Faktor hatte bereits sein Leben verloren. Beinahe hätte diese pelzige Bestie, die Rhodan mit sich führte, auch Mirona getötet, Faktor I. Dem musste Einhalt geboten werden.

1.

Abschiedsgeschenk

23. März 2055

Perry Rhodan starrte an die Stelle, an der das Kommunikationshologramm erloschen war. Er wusste, dass er sich die Meister der Insel zum Feind gemacht hatte. Nicht nur, weil er Mirona Thetins Angebot abgelehnt hatte, die Milchstraße auf die gleiche brutale Weise umzugestalten, wie sie es mit Andromeda getan hatte. Seine Begleiter hatten den Duplikator und das Physiotron zerstört – zwei wesentliche Bestandteile von Thetins Macht. Daraufhin war sie zum Angriff übergegangen, und Gucky war gezwungen gewesen, Gewalt anzuwenden, um Rhodan zu schützen.

Nein, Rhodan konnte wirklich nicht behaupten, dass er nicht mit Konsequenzen gerechnet hätte. Diese Warnung allerdings war ... ungewöhnlich.

Unsicher, wie er das Gespräch einordnen sollte, stieß Rhodan langsam den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte. Er wandte sich zu Conrad Deringhouse um, dem Kommandanten der MAGELLAN. »Du hast alles mitbekommen?«

Deringhouse nickte. »War nicht zu überhören. Was schätzt du, wer der Typ war?«

Wie alle Meister der Insel hatte auch dieser Faktor eine schwarze Robe mit silbernen Mustern getragen und das Gesicht hinter einem Spiegelfeld verborgen. Einer Sternenfratze, wie sie in Andromeda immer wieder genannt wurde. Rhodan hatte jedoch nicht auf das Gesicht geachtet, sondern auf die Stimme. Die hatte er bereits im Kur'shsystem aus unmittelbarer Nähe zu hören bekommen.

»Trinar Molat. Faktor Zwei.« Rhodan kniff die Augen zusammen, versuchte, seinen Eindruck von der ersten Begegnung mit Thetins Stellvertreter zu rekonstruieren. »Ein berechnender Mann. Er wirkte auf Soom nicht grausam, aber auch nicht wie die Güte in Person. Eher so, als interessierte ihn nur das Ergebnis.«

»Wenn man Hunderte oder Tausende Jahre an der Macht verbringt, bleibt offensichtlich nicht viel Empathie übrig«, stellte Deringhouse fest.

Seine Worte trafen Rhodan wie ein Hieb in die Magengrube. Er musste alle Willenskraft aufbringen, um nicht nach dem Zellaktivator zu tasten, den er um den Hals trug. Das wundersame Gerät, das ihn ebenso unsterblich machte wie die Meister. Hoffentlich nicht ebenso grausam. Denn für Reue war es zu spät. Ablegen konnte er den Zellaktivator nicht mehr. Er verdrängte den Gedanken. Stattdessen fragte er: »Wie hat er uns so schnell gefunden?«

Nach der unerfreulichen Entwicklung auf Multidon waren die Menschen mit der MAGELLAN aus dem Donitsystem geflohen und nahmen seither immer weiter Kurs auf den Zentrumsring der Galaxis. Sie entfernten sich, so schnell sie konnten, ohne dabei die Triebwerke zu überlasten. Die Ortung hatte keine fremden Impulse angemessen, zumindest nichts von Relevanz. Die Meister der Insel waren wohl zu sehr damit beschäftigt gewesen, den auf Multidon entstandenen Schaden einzugrenzen. Vielleicht hatte sich Atlan auch ein letztes Mal für die Menschen eingesetzt und Thetins Zorn besänftigt.

Was auch immer der Grund sein mochte: Molats Raumschiff hatte sie jedenfalls nicht verfolgt, so viel war sicher. Es war einfach direkt in die unmittelbare Nähe der MAGELLAN transitiert.

»Woher wusste er, wo wir zu finden sind?«, führte Rhodan den Gedanken laut zu Ende. »Auf diese Entfernung konnte er uns unmöglich orten.«

»Vielleicht verfügt Molat über etwas Ähnliches wie den Oxley-Orter?«, spekulierte Deringhouse. »Damit hätte er unserer Route einfach folgen können.«

Rhodan runzelte die Stirn. Der Oxley-Orter spürte Veränderungen im Hyperraum auf. Das Gerät befand sich nach wie vor im Experimentierstadium, aber womöglich waren die Meister der Insel bereits weiter, was diese Technik anging? Falls Deringhouse mit seiner Vermutung richtiglag, gab es wenig, was die Menschen tun konnten, um ihre Spur zu verwischen. Kein angenehmer Gedanke.

Deringhouse rieb sich mit dem Handrücken über das Kinn. »Sie könnten uns aber auch verwanzt haben«, sagte er.

Rhodan horchte auf. »Ein Peilsender?«

»Das, oder er hat uns anderweitig markiert«, gab der Kommandant widerwillig zu.

Rhodan fluchte lautlos. Denkbar war es. Gelegenheit hätte Molat zur Genüge gehabt, erst auf Soom, dann auf Multidon. Aber gegen diese Möglichkeit konnten sie wenigstens vorgehen. »Lass Leyden und sein Team danach suchen! Gib ihm jede Unterstützung, die er braucht. Falls es einen Sender an Bord gibt, müssen wir ihn finden und zerstören. Selbst wenn wir dafür jede Schraube einzeln umdrehen!«

Deringhouse sah so begeistert aus, wie Rhodan sich fühlte. Die Kernzelle der MAGELLAN durchmaß zweitausendvierhundert Meter. Eine mehr als sieben Kubikkilometer große Kugel aus Stahl, Technik und Lebensraum, während der Peilsender die Größe eines Fingernagels haben konnte. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen war das reinste Vergnügen dagegen. Immerhin würde der Sender im Gegensatz zu einer Nadel wenigstens Signale abgeben, die sich hoffentlich aufspüren ließen.

»Das kann dauern«, warnte Deringhouse.

»Das fürchte ich auch.« Rhodan seufzte und rollte seine verspannten Schultern. Die rechte Seite ließ ein beunruhigendes Knacken vernehmen, aber das Ziehen in seinen Muskeln wurde erträglicher. »Bis wir wissen, wie Molat uns aufspüren konnte, sollten wir erst mal versuchen, ihn loszuwerden«, fügte er hinzu. »Bring die MAGELLAN in den Ortungsschutz einer Sonne. Mal sehen, ob er uns dann immer noch findet.«

»Gut.« Deringhouse sprach sich kurz mit der Pilotin und dem Ortungschef ab. »Es gibt ein paar planetenlose Sterne ohne Trümmerringe in der Nähe«, berichtete er anschließend. »Die können wir im Zickzackkurs ansteuern, um Abstand zu gewinnen. Keine ausbeutbaren Ressourcen, also haben wir gute Chancen, dort unentdeckt und unbehelligt zu bleiben.«

»Danke, Conrad.« Rhodan betrachtete die Flut an Daten, die auf dem Hauptholo immer weitere Details des gegnerischen Raumschiffs auswies, das sich zu Beginn des Funkgesprächs mit dem Namen FAUGON identifiziert hatte.

Es war kein Kugelraumer wie die üblichen Schiffe der Thetiser, sondern glich einer metallenen Qualle. Die Halbkugel an der Oberseite des Gebildes endete in einem Ringwulst, darunter wölbte sich ein trichterartiger Unterbau, aus dem ein technisches Sammelsurium in Gestalt dicker, mechanischer Tentakel herausragte. Kleinere, kuppelförmige Auswüchse formten ein gleichmäßiges Netz auf der hellen Oberfläche des Schiffs.

Die FAUGON maß knapp hundertzwanzig Meter von der obersten Kuppel bis zum unteren Ende des Hauptantriebs. Ein Zwerg im Vergleich zur MAGELLAN. Allerdings ein äußerst wehrhafter. Die Abtastung offenbarte überstarke Impulsgeschütze im Bug. Rhodan war kein Hyperphysiker. Er konnte nur schätzen, welche Auswirkung ein Beschuss von diesem Kaliber hätte, aber seine Erfahrung reichte aus, um zu wissen, dass die terranischen Schutzschirme einem Angriff nicht lange standhalten würden. Trinar Molat hätte sie vernichten können. Warum tat er es nicht?

»Wozu dieses Spiel?«, sagte Rhodan, mehr zu sich selbst als zu Deringhouse.

Der Kommandant sah ihn trotzdem fragend an. »Was meinst du?«

Rhodan deutete auf das Holo. »Er hat jede Möglichkeit, uns in einen Kampf zu verwickeln, und den würde er ziemlich sicher mit Leichtigkeit gewinnen. Also wieso schießt er uns nicht einfach in Stücke?«

»Vielleicht ist er ein Sadist?«, antwortete Deringhouse. »Er will sehen, wie wir um unser Leben betteln.«

Wohl eher ich, dachte Rhodan. Die Drohung hatte überaus persönlich geklungen. »Oder er wartet auf ein Angebot«, mutmaßte er. »Die ganze Sippe der Meister der Insel lebt doch von Intrigen und der Gier nach Macht. Molat ist Faktor Zwei. Es gibt nur eine Person, die er beseitigen müsste, um sich das Sternenreich von Andrumidia unter den Nagel zu reißen: Faktor Eins.«

»Mirona Thetin«, sagte Deringhouse. »Und natürlich Atlan da Gonozal, der ihr neuerdings treu zur Seite steht. Aber falls Molat eine Allianz wollte – wäre seine Drohung nicht eher kontraproduktiv? Ich meine, diese Meister haben zwar gewaltig einen an der Waffel, wenn du mich fragst, aber wäre es nicht einfacher für ihn, eine Abmachung vorzuschlagen?«

Frustriert zuckte Rhodan mit den Schultern. »Es war nur eine Vermutung. Sie ergibt ebenso viel oder ebenso wenig Sinn wie diese ganze Sache mit den drei Begegnungen.«

»Da hast du recht«, gab Deringhouse zu. »Ich sage ja: Diese Unsterblichkeit macht sie unberechenbar ...« Irritiert sah er auf sein Komarmband. »Es ist Schablonski.«

Auch Rhodan fühlte den dezenten Vibrationsalarm an seinem Handgelenk und las die kurze Nachricht des Chefingenieurs: »Verdächtige Datei unbekannter Herkunft lädt sich in die Hauptpositronik. Kann Übertragung nicht stoppen.«

Rhodan presste die Kiefer aufeinander. »Molat!«, stieß er hervor. Dazu also diese bizarre Unterhaltung. Während die Menschen sein Schiff gescannt hatten, hatte der Meister etwas in die Positronik der MAGELLAN geschleust!

»Also gut.« Perry Rhodan wappnete sich gegen das Schlimmste. »Was wissen wir?«

»Wir haben die Datei umgehend isoliert«, antwortete Tim Schablonski. »Allerdings war das wohl gar nicht nötig. Es ist offenbar kein Virus.« Rhodan schloss für einen Augenblick dankbar die Augen und blendete damit die angespannten Gesichter um den Konferenztisch aus, bis die Stimme des Chefingenieurs der MAGELLAN ihn zurückholte. »Oder sonst etwas, was unserer Positronik schaden soll. Keinerlei aggressives Verhalten, genauer gesagt: überhaupt keine Aktivität, seit die Intrusion beendet ist. Es empfängt nicht, es sendet nicht.«

»In Ordnung«, sagte Autum Legacy, die Sicherheitschefin. »Aber was ist es dann?«

»Vor allem ist es groß.« Schablonski kratzte sich über die kurz geschorenen Haare. »Riesig. Eine einzelne Datei mit rund hundertzwanzig Petabyte, das entspricht in etwa hundertfünfundzwanzig Millionen Gigabyte.«

Reginald Bull stieß einen leisen Pfiff aus. »Da hat sich jemand Mühe gegeben!«

»Nicht nur bei der Erstellung dieser ominösen Datei«, bestätigte Schablonski. »Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sie nicht von der FAUGON gesendet wurde. Sie ist bereits während unseres Alarmstarts von Multidon eingespeist worden.«

»Also stammt sie nicht von Trinar Molat«, fasste Rhodan zusammen.

Schablonski wiegte den Kopf. »Ich kann nicht ausschließen, dass er jemand anderen damit beauftragt hat, uns diese Datei zukommen zu lassen. Nach allen Untersuchungen, die wir vorgenommen haben, sind mein Team und ich uns aber zumindest sicher, dass es wirklich nur das ist, wonach es schon auf den ersten Blick ausgesehen hat: holografische Bild- und Toninformationen.«

»Also geht davon keine Gefahr für die MAGELLAN aus?«, hakte Legacy nach.

»Nicht auf positronischer Ebene«, versicherte Schablonski. »Ich kann mir allerdings vorstellen, dass eine Datei, die uns auf diese Weise zugespielt wird, Informationen enthält, die uns nicht unbedingt gefallen werden.«

Leider half es selten, schlechte Nachrichten einfach zu ignorieren. »Es könnte die Datei sein, von der Atlan gesprochen hat«, überlegte Rhodan laut. Und wenn der Arkonide sich die Mühe gemacht hatte die Daten an allen Sicherheitsvorkehrungen vorbeizuschmuggeln, sollten sie nicht lange um den heißen Brei herumschleichen. Rhodan nickte Schablonski zu. »Öffnen Sie die Datei!«

Es dauerte ein paar Sekunden. Dann stand Atlan da Gonozal in Lebensgröße vor ihnen.

Selbstverständlich war es nur eine dreidimensionale Projektion und nicht der Arkonide in persona. Er leuchtete dezent von innen heraus, seine Beine verschwanden in der Tischplatte. Die dunklen Ringe unter seinen Augen und der müde Gesichtsausdruck sahen allerdings täuschend echt aus. Rhodan kannte diesen Ausdruck. Er hatte ihn oft genug im Spiegel gesehen. Atlan sah aus wie jemand, der mit Ereignissen und Entscheidungen gehadert und verloren hatte.

»Hallo, mein Freund«, begann die Projektion. »Und auch wenn diese Bezeichnung nach den jüngsten Ereignissen seltsam anmuten mag – das bin ich immer noch, Perry.« Atlan atmete hörbar durch. »Ich habe diese Aufzeichnungen ohne Mironas Wissen in die Speicher der MAGELLAN geschmuggelt. Du hast unermesslichen Schaden angerichtet, eine Zerstörung, die vieles verändern wird, doch Multidon birgt weitaus mehr, als du ahnst.« Er verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln. »Wir werden sehen, ob sich das als mein Glück oder mein Fluch erweist.«

Aus dem Augenwinkel sah Rhodan, wie Legacy etwas in das Ohr ihres Manns flüsterte. Bull nickte ernst und verschränkte die Arme vor der Brust.

Atlans Projektion sprach indessen weiter. »Was ich hier tue, ist Verrat. Es nicht zu tun, wäre auch einer.« Der Arkonide hob den Kopf, und Rhodan hatte den Eindruck, als würde Atlan ihm direkt ins Gesicht blicken. »Diese Aufzeichnung ... Sie war nicht für dich bestimmt, Perry. Es ist ein Teil von Mironas Lebensgeschichte. Weder Mirona noch ich sind deine Feinde, im Gegenteil. Aber da ich weiß, was für ein skeptischer Mistkerl du bist, wirst du meinen Worten allein nicht glauben. Also, sieh dir die Aufzeichnungen an. Und bilde dir selbst ein Urteil!« Die Projektion verstummte. Der holografische Atlan stand abwartend und mit neutralem Ausdruck in der Mitte des Raums. Wie ein Roboter im Leerlauf.

Rhodan nickte Schablonski zu, woraufhin dieser die nächste Dateiinformation abspielte.

Atlans Abbild verschwand. An seiner Stelle erschien eine Frau mit strengen, aber durchaus schönen Gesichtszügen und hartem Blick: Mirona Thetin. Sie hob herausfordernd das Kinn, presste für einen Moment unwillig die Lippen aufeinander. »Dies ist eine interaktive Aufzeichnung«, sagte sie dann. »Du kannst mir jederzeit Fragen stellen, und ich werde sie beantworten, soweit es mein Wissensstand zum Zeitpunkt der Aufzeichnung zulässt.«

Das erklärt die enorme Größe der Datei, dachte Rhodan. Bei jemandem von Thetins Lebensspanne mussten selbst Auszüge aus einem Tagebuch gewaltige Datenmengen umfassen.

»Bevor wir beginnen, habe ich indes zwei Bitten. Erstens: Transferiere diese Datei in eine einfache, externe Positronik. Zweitens: Hör mich zuerst allein an.«

»Das kann sie vergessen!«, brauste Legacy auf.

»Es ist nur eine Aufzeichnung«, versuchte Rhodan die Sicherheitschefin zu beschwichtigen. »Sie wird wohl kaum aus dem Holo springen und mich angreifen.«

»Ich traue ihr nicht«, beharrte Legacy. »Und deinem Freund auch nicht! Für mich riecht das eindeutig nach einer Falle.«

»Der Protektor hat recht«, unterstützte Schablonski Rhodan. »Es ist nur Bild- und Tonmaterial. Und da sie selbst vorschlägt, in eine externe Positronik verlagert zu werden ...«

»... weiß sie vermutlich, dass diese Aufzeichnung irgendwie schädlich ist. Falls es stimmt, dass die Daten ursprünglich nicht für uns bestimmt waren, hätte sie damit vielleicht nur ihr eigenes Schiff geschützt.«

Rhodan zögerte. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er Atlan vertrauen konnte. Nach wie vor. Gut möglich, dass er dem Freund auch bloß trauen wollte. Vor allem jedoch vertraute er auf die Fähigkeiten seiner Mannschaft, und wenn Schablonski behauptete, die Daten wären sicher, waren sie das auch.

»Ich werde das Observatorium benutzen«, entschied er. »Allein.«

Von der dunklen Kuppel über ihm strahlte das künstliche Sternenlicht Andromedas herab. Als die Reise der MAGELLAN begonnen hatte, hatte Perry Rhodan es kaum erwarten können, die fremde Galaxis endlich zu erreichen. Inzwischen wünschte er, er könnte einmal mehr das blasse Band der Milchstraße über sich sehen – keine Darstellung davon, sondern die Sterneninsel selbst.

Nichts auf dieser Odyssee war verlaufen, wie die Menschen es erhofft hatten. Aber vielleicht würde Rhodan nun wenigstens ein paar der Antworten erhalten, die er suchte.

Er trat an die Steuerkonsole des Observatoriums und rief die Datei auf, die Atlan ihnen übermittelt hatte. Wieder erschien die Gestalt von Mirona Thetin vor ihm. Wieder hob sie das Kinn, presste die Lippen zusammen.

»Ich bin allein«, unterbrach Rhodan die erste Phase der Projektion.

Thetin nickte. »Danke.« Ein Wort, das er niemals aus ihrem Mund erwartet hätte. Ebenso verwunderlich war, dass die Hologestalt ihn mit »Du« anredete. Auf Multidon hatte Mirona Thetin ihn gesiezt. Rhodan schrieb beides dem Umstand zu, dass diese digitale Autobiografie ursprünglich für jemanden anders gedacht war. »Dann beginne ich nun mit der eigentlichen Aufzeichnung.« Der Blick ihrer strahlend grünen Augen traf Rhodan. Abermals hatte er das irritierende Gefühl, das Hologramm würde ihn direkt anstarren. Aber bei einer interaktiven Aufzeichnung war dieses Gefühl wohl unvermeidlich.

»Ich will dir meine Geschichte erzählen«, sagte Thetin. »Jedenfalls Passagen davon. In den langen, dunklen und lichten Jahren habe ich zu viel erlebt, um alles in Worte zu fassen. Lass mich dir einen Teil davon zeigen, damit du verstehst, wer ich bin.«

Sie hob die Hand, und hinter ihr erschien ein weiteres Hologramm. Ein Sternenhimmel, ähnlich dem in der Kuppel des Observatoriums. Nur dass die neue Projektion nicht Andromeda zeigte.

Rhodan schaute auf die schwebenden Sterne, die als einzelne Lichtpunkte in der Luft trieben. Was die Meisterin der Insel für ihn bereithielt, konnte alles sein: Antworten. Lügen. Eine Falle. Wissen würde er es erst, wenn er sie angehört hatte. »Einverstanden.« Er entschied sich auch seinerseits für die vertrauliche Anrede. »Erzähl mir davon!«

2.

Trümmerwelt

50.939 v. Chr.

»Mein Name ist Anathema di Cardelah. Ich bin eine Versagerin.

Ich wollte ein Heilmittel gegen das Taalvirus finden. Ein Virus, das nicht nur meine geliebte Großmutter Avayandra, sondern auch unzählige weitere Liduuri befallen hat.

Ich bin gescheitert. Meine Großmutter ist tot.

Ich wollte einen Weg finden, die Bestien aufzuhalten, die das Taalvirus auf die Liduuri losgelassen haben. Sie nennen sich Maahks und haben meinem Sternenreich ohne Grund den Krieg erklärt. Sie sind gesteuert von blindem Hass, vernichten eine unserer Welten nach der anderen und zwingen uns, unsere Heimat aufzugeben.

Ich bin gescheitert. Die Bestien wüten weiter. Wir ziehen uns nach Achantur zurück.

Ich wollte die Heimatwelt meiner letzten Jahre retten: Tiamur. Ein Planet der Wissenschaft, der laut meiner Familie geopfert werden musste, um die Forschungsdaten vor Plünderern zu schützen.

Ich bin gescheitert. Tiamur ist zerstört.

Nun sitze ich hier, diktiere diese Sätze, während wir den Trümmerring passieren, der einst meine Heimat war, und Splitter eben dieser Heimat im Schutzschirm verglühen. Unser Raumschiff zieht an den Überresten Tiamurs vorbei. An den kosmischen Scherben, die von meiner Welt geblieben sind, und mir ist bewusster als je zuvor: Ich bin eine Versagerin.

Ich habe versagt, genau wie all die Milliarden Liduuri, die wie ich ihre Heimat verloren haben. Ich werde trauern wie sie, leiden wie sie und vielleicht auch eines Tages auf einer fremden Welt sterben wie sie. Aber eins werde ich nicht: Ich werde nicht aufgeben!

Ich werde niemals aufgeben! Sie alle haben es getan: Meine Großmutter hat sich dem Taalvirus ergeben. Mein Vater und meine Mutter ordneten sich meiner Schwester unter. Meine Schwester, die uns nun anführt, hat vor den Maahks resigniert. Sie will vor diesen Ungeheuern fliehen – ich aber werde nicht fliehen. Ich bin nie geflohen. Wahre Liduuri kämpfen.

Seit einiger Zeit habe ich einen Geliebten. Er heißt Ges di Verren. Er hofft, dass ich bei ihm bleibe, dass ich vorübergehend mit ihm ins Exil nach Achantur gehe und dann zurückkehre. Doch zurück wohin? In eine Scherbenwelt? Einen Trümmerhaufen, der wie ein Sinnbild unseres Scheiterns noch in Jahrmillionen anzumessen sein wird?

Liduur ist Sperrzone. Tiamur ist nicht mehr. Soll ich Asche bewachen? Das wäre Verrat an mir selbst. Es würde mich zerreißen wie Tiamur. Irgendwann würden auch meine Splitter im Schirm eines belanglosen Schicksals vergehen. Es gibt einen anderen Weg. Einen besseren.

Ich fürchte nur, Ges wird das nicht verstehen. Er ist überzeugt von seiner Idee, dem Rat zu erzählen, dass er als Wächter zurückbleiben will. Er glaubt, dass ich zu ihm halte. Was wird er tun, wenn ich ihm sage, dass ich mich anders entschieden habe? Dass es manchmal etwas gibt, was wichtiger ist als Liebe oder der Tod? Dass ich nicht bereit bin, bei ihm zu bleiben, sondern will, dass er mit mir kommt, und dass ich ihn verlasse, wenn er es nicht tut?

Ich bin eine di Cardelah. Meine Familie bestimmt die Geschicke der Liduuri seit einer Ewigkeit. Es ist an der Zeit, dass ich aufhöre, mich hinter Wissenschaftsholos zu ducken. Drüben in Andrumida brauchen sie mich. Sie brauchen eine di Cardelah, die sie anführt. Wir wurden geboren, um zu herrschen.«

»Henut, du hast um eine Erinnerung gebeten. Wir landen in wenigen Minuten.«

Ich hob den Kopf, noch ganz gefangen von meinem Bericht. Hatte ich die Wahrheit geschrieben? War ich eher eine Versagerin oder eine Verliererin? Und war ich wirklich bereit, Ges zu verlassen, ihn ebenfalls zu verlieren?

Ich liebte ihn, doch in den vergangenen Wochen hatte ich insgeheim Dinge in die Wege geleitet, stets hinter Ges' Rücken. Zum Beispiel hatte ich Maschinen und wertvolle Geräte vor der Sprengung Tiamurs zur Seite geschafft. Ich hatte sie an Bord eines kleineren Raumschiffs bringen lassen. Es war eine Technik, die von meiner lieben Schwester und ihrem Mann aus Sicherheitsgründen hatte vernichtet werden sollen.

Ich hatte für mein Vorhaben Verbündete gefunden. Liduuri, die wie ich Gerechtigkeit wollten und nicht bereit waren, aufzugeben. Und ich hatte meinen Vater bestohlen. Das alles hatte ich getan, um meine Abreise vorzubereiten.

Mein Plan, die Bakmaátu zu erwecken und zu meinen Gunsten zu nutzen, war gescheitert, doch das war nicht mein einziger Plan gewesen. Es gab genug anderes, von dem Ges nichts wusste, obwohl ich ihn hätte einweihen können.

Also ja. Ich war bereit, Ges zu verlieren. Nur ein kleiner Teil von mir schrie mich an, es nicht zu tun. Nicht auch noch dieses winzige Glück in meinem Leben zu pulverisieren, für eine Zukunft, die Kampf und Schmerz bereithielt. Die irgendwo in der Ferne lag, in einer Galaxis, die ich nicht kannte.

»Halt die Klappe!«, sagte ich zu diesem Teil, und er verstummte. Meine Entscheidung war getroffen.

»Logbuch schließen, Aufzeichnungen sichern!« Das Holobild vor mir verschwand. Ich stand auf, berührte den Familienschmuck, der um meinen Hals lag. Liduur war in der Nähe. Zeit, ein letztes Mal auf den Planeten zu gehen, auf dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Zeit, sich zu verabschieden.

Die Jacht stieß durch das All, zerteilte die Schwärze, raste der blauen, wolkenverschleierten Welt unter uns entgegen. Ich merkte kaum etwas von ihrem Fall, der mehr und mehr zu einem Flug wurde. Wir bremsten hart, ohne es im Innern zu spüren. Die Schutzschirme leiteten die Energien ab. Keine Flamme tanzte auf ihnen, es blitzte nicht einmal. Doch obwohl unsere Technik diesen Komfort bot – gegen die Maahks half sie uns nicht.

»Denkst du an die Allianz?«, fragte Ges. Er lenkte das Raumfahrzeug durch den Himmel, hin zu unserem Reiseziel.

»Ja. Daran, wie machtlos wir sind. Es sollte nicht so sein.«

»Nein. Das sollte es nicht.«

Machtlosigkeit war etwas, was wir beide nicht hinnehmen konnten. Wir wollten die Dinge in der Hand haben, besonders Ges. Manche beschrieben ihn als größenwahnsinnig. Ich hielt das für übertrieben. Ges wusste, was er wollte, und er setzte sich dafür ein. Mehr als die meisten Liduuri. Ihre Herzen waren schwach. Man musste doch nur die Augen öffnen, um zu sehen, wofür es sich zu kämpfen lohnte.

Wir bremsten weiter ab, glitten über grünes, nebelverhangenes Land. Unter uns lag die Insel, die ich in meiner Kindheit geliebt hatte. Ein grünes Juwel, rau, vom kalten Meer umspült und doch warmherzig im Innern, voller Licht und Wunder. Unzählige Pflanzen blühten in der Tiefe, spiegelten die Vielfalt meiner Heimat. Das Wiedersehen schnürte mir die Kehle zu.

Ges landete in der Nähe des Meers auf den Klippen. Sattes Grün überzog den Boden. Die Kargheit der Steine stand im krassen Widerspruch zu dem Saum aus Leben, den sie trugen. Wir stiegen aus. Wind riss an meinen Haaren, fuhr in die Stofflagen der hellen Trauerrobe und stieß mir ins Gesicht. Die Luft war feucht vom Meer, schwer und salzig. Wasservögel kreisten. Ich schaute zur Sonne, die über weißen Wolkenbänken hoch am Himmel stand. Das Wasser war dunkler als der Himmel. Es klatschte weit unter uns gegen die Felsen. Langsam ging ich zum Rand der Klippen, kniete mich hin und sah in den Abgrund. Der Anblick übte einen Sog aus, angenehm und gefährlich zugleich. Nur ein Schritt trennte mich vom Tod.

Fasziniert schaute ich in die Tiefe. »Ich war hier sehr gern als Kind. Ich habe mich auf den Bauch gelegt und den Kopf über die Kante gehalten. Meine Schwester ist fast gestorben vor Angst. Sie konnte nicht zusehen. Aber ich mochte den Blick hinunter. Das Gefühl von Gefahr.«

Ges trat dicht neben mich. Auch er scheute den Abgrund nicht. »Du willst mir etwas sagen, Anathema, seit Tagen schon. Du verheimlichst mir Dinge. Also erzähl mir nicht, was du als Kind hier getan hast. Ich kenne dich! Du bist nicht nur hier, um dich von Liduur zu verabschieden. Was ist wirklich los?«

»Es geht um dein Vorhaben, wegzugehen und wiederzukommen.«

Ges versteifte sich. Er stand aufrecht, war ohnehin größer als ich, dennoch wirkte er klein. Ihm war eine Angst anzusehen, die ihn schrumpfen ließ. »Du hast gesagt, du wirst mit mir kommen. Hat sich das geändert?«

»Hast du von Handoriaán gehört? Der Splitterkolonie in Andrumida?«

»Gerüchte.« Ges kniff die Lippen zusammen. Sein sonst so charismatisches Gesicht war hager und voller Argwohn. »Ein vereinzelter Planet, nicht mehr. Ein paar Liduuri, die den Kampf wollen und trotz der Flucht von einer Rückkehr träumen.«

»Genau. Ich möchte, dass wir uns ihnen anschließen.«

»Wir?« Ges fuhr zurück.

Ich blieb am Abgrund hocken, schaute zu ihm hoch. »Ja, wir. Du kannst die ›Kinder der Sterne‹ mitnehmen.«

»Du weißt, dass ich das nicht tun werde! Du kennst mich! Ich bleibe in diesem System! Vielleicht werde ich eine Weile weggehen müssen, doch ich werde wiederkommen!«

»Denkst du, das will ich nicht?« Langsam stand ich auf. »Ich will zurück auf diese Welt! Es ist meine Welt! Ich will alle unsere Welten zurück! Aber dafür müssen wir nach Andrumida gehen. Meine Schwester und mein Vater sehen in eine Zukunft ohne Wiederkehr. Sie haben das Soltsystem aufgegeben. Ich kann das nicht. Das zögerliche Verhalten gegenüber der Allianz hat uns an diesen Punkt gebracht! Es bringt nichts, sich als Wächter aufzuspielen und die Vergangenheit aufzubewahren! Wir müssen endlich kämpfen!«

»Kämpfen womit?«

»Mit dem, was wir uns in Andrumida aufbauen! Ich habe Dinge zur Seite geschafft – wertvolle Dinge. Material, Pläne, Informationen. Es gibt Verbündete und einen eigenen Rat, der auf meiner Seite ist. Levandra di Jammal führt die Gruppe an. Die stellvertretende Leiterin des Geheimdiensts. Sie hat sich mir unterstellt.«

Aus Ges' Gesicht wich die Farbe. »Du hast das alles geplant, nicht wahr? Du hast seit Wochen nichts anderes im Sinn! Und das, obwohl wir uns haben. Obwohl wir gemeinsam glücklich sein könnten. Du wirst mir wohl immer ein Rätsel bleiben.«

»Was ist daran rätselhaft?« Warum verstand er mich nicht? Ich hatte mir vorgenommen, ruhig zu bleiben, doch ich verlor die Beherrschung, und ich wollte sie verlieren. Es gab kaum etwas, was ich in den zurückliegenden Monaten so leid gewesen war, wie gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Ich bin wütend! Ich fühle mich unverstanden, ungerecht behandelt! Meine Schwester ist Ratspräsidentin – und was tut sie mit ihrer Macht? Vielleicht hätte ich aktiver sein, ihr nicht das Feld überlassen sollen. Ich habe tatenlos zugesehen, wie sie politisch Karriere gemacht hat, während ich eingeschlossen in Laboren ein Mittel gegen das Taal finden wollte! Ich will endlich etwas unternehmen!«

»Warum jetzt?«

»Wegen Tiamur. Sie hätten mir die Welt nicht nehmen dürfen! Nicht auch noch sie!«

»Es war nicht nur dein Planet!«

»Aber auch nicht nur ihrer! Sie haben diese Entscheidung getroffen, nicht ich. Jetzt will ich entscheiden. Ich werde nach Andrumida gehen! Ich habe elf hochrangige Verbündete, darunter Levandra. Wir werden die Kolonie ausbauen, eine Armee auf die Beine stellen und einen Guerillakrieg führen. Die Maahks sollen bluten! Und wenn wir erst so weit sind, werden wir in einem zweiten Schritt mit unseren Streitkräften zurückkommen und uns nehmen, was uns gehört!«

Ges schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Leben. Dafür würdest du Jahrhunderte brauchen. Dein Plan hat keine Aussicht auf Erfolg.«

Ich zog das eigroße Gerät hervor, das ich meinem Vater gestohlen hatte. Es war matt, von einem stumpfen Grau und baumelte an einer unscheinbaren Kette. »Das kommt ganz darauf an, wie lang ein Leben ist. Ich habe Machtmittel organisiert. Halatium, Waffen ... sogar einen Zellaktivator! Wir können in Andrumida das werden, was wir in der Milchstraße nie waren: unsterbliche Krieger!«

»Und deine Familie?«

»Sie interessiert mich nicht mehr. Ich werde in einer anderen Galaxis sein. Dort bin ich vor ihren Nachstellungen sicher. Auf Achantur dagegen kann ich unter ihrer Aufsicht nichts erreichen. Dort bin ich bloß Beiwerk. Da kann ich mich auch gleich in eine Todesfähre legen! Ich will den Familienschmuck tragen, nicht der Familienschmuck sein.«

»Und ich will hierbleiben! Aber das weißt du, nicht wahr? Du hast dich längst entschieden!« Hilflosigkeit und Wut wechselten auf Ges' Gesicht. »Ich denke, wir sind hier fertig. Ich warte bei der Jacht.« Er drehte sich um. Sein Gang war hart, die Bewegungen kantig. Er kaschierte Trauer unter seinem Zorn.

Ich hatte ihn verletzt. Wahrscheinlich mehr als jemals eine Liduuri zuvor. »Bleib stehen! Bitte. Lass uns nicht so auseinandergehen.«

Ges hielt inne und ließ die Schultern hängen. Langsam drehte er sich um. »Wie willst du denn auseinandergehen, Anathema?«

»In Freundschaft. Das schulden wir einander. Wir haben beide ein Ziel vor Augen. Nur führt es uns in verschiedene Richtungen. Dennoch ... Ich liebe dich.«

»Ich weiß.« Ges' Schultern entspannten sich, sanken nach unten. »Das tust du. So gut du es kannst.« Er bückte sich, schob die grau glänzende Hose am weißen Stiefelschaft hoch und zog etwas hervor. Es war ein wertvoll verzierter Dolch. Das Symbol einer Blüte zog sich über die fünf unterschiedlich großen Kugeln, die den Griff bildeten. Die Klinge war vierkantig, lief in einer nadeldünnen Spitze aus.

Ges hielt mir den Griff entgegen. »Es ist ein Daniyu – ein Freundschaftsdolch aus den alten Tagen. Ein Erbstück. Ich weiß nicht, ob ich dich mehr liebe als du mich oder ob ich mich täusche, aber ich weiß, dass die Zeit mit dir die beste in meinem Leben war. Wenn du nach Andrumida gehst, wünsche ich dir Glück.«

Ich nahm den Dolch. Ein letztes Mal berührten sich unsere Finger. »Danke.«

3.

Straße nach Karadon

Ich lag auf meinem Bett in der DAYI und dachte über den Schiffsnamen nach: DAYI, Verlust. Hätte ich das Raumschiff, das wir vorgeblich benutzten, um nach Achantur aufzubrechen, anders nennen sollen? Freundlicher? Hoffnungsvoller?

Müde schloss ich die Augen. Was brachten die ständigen Grübeleien? Gar nichts. Das Schiff hieß, wie es hieß. Viel wichtiger war, was ich nun tun wollte.

Bisher hatte ich mich zurückgezogen, die gestohlenen Pläne studiert und meine Wunden geleckt, während die anderen bester Laune waren. Levandra di Jammal, Tesster di Kassnir, Hamina di Elljor, Chestor di Kassnut, Sharon di Vanulir, Faddur di Sanira, Isnadira di Benura, Langlesian di Sarrunir, Faruin di Kadur, Brahjin di Lidoon und Fartura di Verrnadia: Sie alle waren meine Faufoa. Elf Vasallen, die mich begleiten und stützen würden. Jeder von ihnen war mir ergeben, und doch kannte ich kaum einen von ihnen wirklich. Es waren lediglich Namen, an die sich die eine oder andere Information heftete. Nur Levandra hatte ich vor einigen Jahren auf Tiamur näher kennengelernt. Wir hatten ein paar interessante Nächte miteinander verbracht, den Kontakt dann jedoch wieder abgebrochen, bis es zur Planung der Sprengung von Tiamur gekommen war.

Levandra war auf mich zugegangen, hatte mich angesprochen und mich von ihrem Plan überzeugt. Durch meine Stellung als Henut hatte ich ihr helfen können – und sie mir als Mitglied im Führungsstab des Geheimdiensts.

Es war an der Zeit, aufzustehen. Herumgelegen und mich zurückgezogen hatte ich lange genug. Meine Familie war weit fort. Wahrscheinlich würde ich sie nie wiedersehen. In ihren Augen hatte ich sie verraten. Meine Schwester Avandrina hatte mir sehr deutlich gemacht, was sie von mir erwartete, und diese Erwartungen hatte ich nicht erfüllt. Den Familienschmuck trug ich trotzdem. Ich war die Einzige, die ihn wert war.

Ich kleidete mich an, ging zu Levandras Suite. Die Gesichtserkennung reagierte auf mich. Sofort glitt die Tür zur Seite. Vor mir lag ein Raum, der ebenso gut auf Tiamur hätte sein können, mit sämtlichen Annehmlichkeiten, die man sich nur wünschen konnte, inklusive einer geräumigen Sitzlandschaft, einem kreisrunden Bett und einem Wasserspiel, in dem in einer Säule vom Boden bis zur Decke farbiges Wasser wirbelte. Im Moment floss es orangerot von oben nach unten. Hinter der Säule trat Levandra hervor. Für ihr Gewicht bewegte sie sich erstaunlich lautlos. Sie trug ein Festgewand, eine weite Robe aus dunkelblauem Samt. Ihr honigblondes Haar war in unzählige Zöpfe geflochten.

»Anathema! Endlich!« Levandra umarmte mich. Eigentlich war mir das schon zu viel Nähe, vor allem weil ihr Geruch mich zu überwältigen drohte.

»Verläuft die Reise nach Plan?«, fragte ich.

»Bestens! Bisher gab es keine Probleme bei den Transmitterdurchgängen. Wir werden bald ankommen.«

Ich lächelte. »Bei dir klingt das sogar ehrlich.« Ich dachte an meinen Vater, der gern ein wenig geflunkert hatte, wenn wir als Kinder ungeduldig gewesen waren.

Levandra berührte mein Gesicht. Ihre Finger strichen über meine Wange. »Weißt du eigentlich, wie schön du bist, wenn du lächelst? In letzter Zeit hatte ich Angst um dich. Deine Augen waren kalt.«

»Wir hatten wenig Freude.«

»Es wird besser werden!« In ihrer Stimme lag Enthusiasmus. »Es war die richtige Entscheidung, glaub mir! Wir gehen nach Andrumida, machen einen Neuanfang. Wir werden die Maahks bekämpfen und die Liduuri in eine neue Epoche führen.«

Levandra streckte mir die erhobene Hand hin. Ich legte meine dagegen. Unsere Handflächen schmiegten sich aneinander. Unter der Haut pulsierte mein Blut. Selten hatte ich mich in den vergangenen Wochen so lebendig gefühlt. Endlich gab es wieder Hoffnung. »Ja! Wir gehen nach Andrumida!«

Levandra strahlte Freude und Zuversicht aus. »Sie warten dort nur auf dich. Du bist eine di Cardelah! Du wirst sie anführen! Wenn du etwas willst, bekommst du es auch. Niemand kann dich aufhalten.«

»Niemand wird uns aufhalten«, verbesserte ich. Plötzlich störte mich ihr Geruch überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil. Ich wollte darin baden.

Wir lachten und lösten unsere Hände voneinander. Es tat gut, eine Freundin zu haben. Eine Verbündete. Eine Liduuri, die mich ganz und gar verstand, wie es Avandrina früher getan hatte, als wir noch Kinder gewesen waren. »Und? Wofür die Festrobe? Wo willst du hin?«

»Zum Festraum«, antwortete sie. »Du musst mitkommen! Wir haben eine Boros-Zeremonie vorbereitet!«

»Ist es dafür nicht ein wenig früh?«

Normalerweise hielt man die Boros-Zeremonie erst kurz nach der Ankunft ab, als Zeichen des Aufbruchs auf einen neuen Weg in der Fremde. Abgesehen davon stand sicher bald die nächste Transmitteretappe an. Wenngleich die Technik uns dafür nicht brauchte, fühlte ich mich unwohl dabei, während einer solchen Ortsversetzung zu feiern.

Levandra zog an meiner Hand. »Komm mit! Oder willst du lieber etwas anderes machen?« Ihr Blick fiel auf das Bett.

Ich schüttelte den Kopf. »Später vielleicht. Gehen wir.«

Im Zeremonienraum herrschte Hochstimmung. Isnadira di Benuras Sopran hallte uns entgegen. Die zehnköpfige Gruppe vor uns sang in einem harmonischen Chor.

Levandra holte mir einen Becher mit Blütenbrand. Ich nippte daran, fühlte dem Brennen in der Speiseröhre nach, während die anderen lauter sangen.

Ihre vereinten Stimmen hatten eine Kraft, die mein Herz anrührte: »Blütenpracht ist erwacht. Ich geh fort, geh hinaus. Nehm den Weg vor der Tür. Geradeaus, geradeaus.«

Das Lied aus meinen Kindertagen brachte mich zum Lächeln. Ich hatte es oft gesungen. Es war ein uraltes Volkslied, aus einer Zeit, als Sommer und Winter das Leben noch maßgeblich beeinflusst hatten und man froh über eine brennende Kerze gewesen war.

Levandra packte meinen Arm. »Zier dich nicht! Sing mit!«

Ich hängte mich bei ihr ein. Gemeinsam sangen wir weiter: »Lass mich ziehen, lass mich ziehen, ich muss weitergehen. Es gibt keinen Grund mehr, zurückzusehen.«

In meinen Gedanken drehte sich Ges um und ging zur Raumjacht.

»Ich sag Lebewohl, mach mich auf und davon. Zieh auf der Straße nach Karadon.«

Das Bild von Ges verblasste. Sollte er mit seinen »Kindern der Sterne« glücklich werden. Wir lachten. Unser Gesang wurde ausgelassener. Zum ersten Mal glaubte ich wirklich, dass ich in Andrumida das wiederfinden würde, was ich in der Milchstraße verloren hatte und wonach ich seit Jahren suchte: mein inneres Feuer – meine Lebensfreude.

»Ich bin frei, ich bin frei. Der Winter ist ...«

Ein Alarm dröhnte durch den Zeremonienraum. Wir hörten alle gleichzeitig auf, zu singen. Der dunkle Ton vibrierte in den Knochen. Er verstörte mich zutiefst. Noch nie hatte ich diesen Alarm an Bord eines Raumschiffs vernommen. Es hieß, dass ihn kaum jemand jemals hörte, und wenn, konnte er nicht mehr davon berichten. Wenn dieser Ton erklang, war es vorbei.

»In die Zentrale!«, schrie ich.

Zugleich meldete sich die Positronik. »Henut, es gab ein Problem bei der Transmitterpassage.«

»Welches?«

Statt einer Antwort rüttelte es das Schiff durch. Das Licht ging aus, die grüne Notbeleuchtung flammte auf. Ich taumelte zur Wand, prallte dagegen. Den anderen ging es nicht besser. Hinter mir hörte ich dumpfe Schmerzlaute.

»Systemausfälle«, sagte die Positronik überflüssigerweise.

Das Schütteln ließ etwas nach, als hätte das Ungeheuer, das mein Raumschiff gepackt und damit gespielt hatte, plötzlich das Interesse verloren. Schwerfällig setzte ich mich wieder in Bewegung. Meine Arme schmerzten. Kurzzeitig weitete sich die Empfindung auf den ganzen Körper aus. Eine unbekannte Kraft zerrte an jeder einzelnen Zelle. Ich atmete stoßweise aus. Einen Moment glaubte ich, die Luft würde flimmern.

Levandra war dicht bei mir. Sie rannte an meiner Seite durch den Gang. Übelkeit überkam mich. Meine Beine wurden schwer. Neben mir schwankte Levandra. Sie stürzte und schaute mich mit großen Augen an. Ihr Körper zitterte. Schweißperlen traten aus der Haut auf ihrer Stirn.

»Oh nein!« Der Gedanke, der mir kam, war zu entsetzlich, um ihn zu konkretisieren. »Medoroboter!«, rief ich. »Zu Levandra!« Eine Maschine eilte uns entgegen. »Untersuch sie!«, herrschte ich den Roboter an und lief allein weiter. Ich musste in die Zentrale! Ich brauchte Gewissheit. Der Zellaktivator auf meiner Brust fühlte sich warm an. Er kribbelte durch den Stoff meiner Kleidung, übertrug belebende Impulse in meinen Körper.

Hinter mir hörte ich Tesster di Kassnir aufstöhnen. Ich blickte zurück und sah meine Freunde im Gang liegen, zitternd, als hätten sie einen Anfall. Ihre Augen quollen hervor. Etwas war bei diesem Transmitterdurchgang ganz gehörig schiefgelaufen!

In der Zentrale war niemand mehr auf den Beinen. Medoroboter kümmerten sich um die Besatzung, schafften sie zur Krankenstation.

»Was ist los?«, rief ich.

Die Positronik gab keine Antwort, als hätte sie selbst keine.

Ich starrte auf das Holo der Außenansicht. Roter Nebel quoll durch das All. Was ich da erblickte, war unendlich fremd, andersartig. Das war nicht die Milchstraße, die ich kannte. Das war auch nicht Andrumida. Es musste eine andere Galaxis sein! Oder irrte ich mich? Die Symptome der anderen sprachen eine eindeutige Sprache. Waren wir nicht im »Wo«, sondern im »Wann« verloren gegangen?

»Wie weit?«, fragte ich. »Wie weit sind wir in der Zeit gereist? Antworte gefälligst!«

Der Bordrechner schwieg weiter. Zahlreiche Fehlermeldungen blinkten ringsum auf, verschwanden wieder. Das Holo des toten Weltalls vor mir flackerte. Sterne und Planeten erloschen. Der Nebel breitete sich aus, zog sich zusammen. Mir war übel. Ich würgte.

»Positronik, bitte!«

Das Schiff blieb stumm. Ich war die Einzige, die noch auf den Beinen stand. Fassungslos schaute ich auf die fremdartigen Bilder. Die Instrumente erkannten keine einzige Sternkonstellation. Mehr noch: Wir waren in einem Cluster von lediglich zwölf Galaxien herausgekommen. Außer ihnen schien das Weltall vollkommen leer zu sein. Die größte der zwölf Sterneninseln wirkte seltsam zerfleddert, als hätte ein gedankenloses Kind wahllos Teile aus ihr herausgerissen. Eine gewaltige Explosion musste Sterne und Gasnebel davongeschleudert haben.

Stimmte diese optische Darstellung, oder war sie fehlerhaft? Was, bei allen Halatiumquellen, war geschehen? Es stand definitiv fest, dass wir überraschend umgeleitet worden waren und es dabei zu einer Katastrophe gekommen war.

»Letzten Zieltransmitter zeigen!«

Vor mir wechselte das Szenarium. Es zeigte den Ort, von dem wir versetzt worden waren. Wir waren bei unserem letzten Transmitterdurchgang ohne Zweifel in einer Sonnentransmitterruine materialisiert, die aus zwei Sternen bestand: einem Roten Riesen, mit einem Durchmesser von etwa tausend Millionen Kilometern, und einem stark pulsierenden Roten Zwerg.

War es diese Umgebung, die den nachfolgenden Unfall verursacht und uns in die rote Nebelzone verschlagen hatte? Geplant hatten wir keinesfalls, bei einer Sonnentransmitterruine zu materialisieren. Das hätte nicht geschehen dürfen. Wir waren fehlgeleitet worden.

Gerüchte fielen mir ein. Schauergeschichten, dass auch andere auf der Reise nach Andrumida verschwunden seien, die man nie wiedergesehen hätte. Ich hatte bisher nichts davon gehalten.

»Ana...«, krächzte Levandra hinter mir. Sie stützte sich an der Wand ab, kam langsam näher und ließ sich in einen freien Sessel fallen. Sie sah furchtbar aus. »Was ist passiert?«

»Ein Unfall. Wir sind in fremdem Raumgebiet.« Ich stellte das Hauptholo wieder auf Außenansicht.

Levandra schaute in das dunkle Wabern. »Es ist düster.«

»Ja.«

Wir schwiegen. Einen schrecklichen Moment dachten wir wohl in die gleiche Richtung, ohne es auszusprechen.

Dann überwand Levandra sich. »Quantenflimmern, oder?«

Ich senkte den Kopf. Es musste so sein. Alle außer mir litten auf extreme Weise am Quantenflimmern. Wenn die DAYI dieses Gebiet nicht schnellstmöglich verließ, würden meine Gefährten sterben. Der Sprung in die Fremde konnte für sie das Ende sein.

Und ich? Würde mich der Zellaktivator überleben lassen? Und was dann? Sollte ich für immer an diesem Ort festsitzen? Ich wollte die Positronik anschreien, aber ich wusste, dass das nichts brachte. Wäre das Schiff auch nur im Entferntesten einsatzbereit, würde es sich mitteilen. Wir hatten uns der Technik der Sonnentransmitter auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – und nun brach sie uns das Genick.

Levandra hielt sich den Kopf. »Bring mich auf die Medostation, ja?«

Im Moment wusste ich nicht, was ich sonst tun sollte. Roboter waren dabei, die restlichen Besatzungsmitglieder und meine Faufoa einzusammeln, auf Liegen zu verfrachten und fortzubringen. Ich stützte Levandra, half ihr, zur nächsten Medoeinheit zu kommen.

In der Krankenstation herrschte das gleiche düstere Licht wie im Rest der DAYI.

Die meisten meiner Verbündeten hatten das Bewusstsein verloren. Nur Levandra nicht. Sie stöhnte, als die Maschinen sie in ein Bett legten und an eine Versorgungseinheit anschlossen. Levandra wälzte sich von einer Seite des Betts auf die andere. »Es zerreißt mich! Bitte! Mach, dass es aufhört!«

»Die Maschine wird dir helfen. Halte durch!«

»Du weißt, dass du lügst! Mach, dass es aufhört, Ana! Bitte!«

»Ich gebe dir mehr Medikamente!«

»Sie werden nicht helfen! Nichts hilft! Es verbrennt meine Knochen! Ich ertrage das nicht!« Tränen liefen über Levandras Gesicht. »Bitte!«

Ich schaute mich um. Der Zustand der anderen war schlecht. In den Betten der Krankenstation lagen Sterbende, die ihre letzten Atemzüge machten. Ihr Schicksal war längst besiegelt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Levandra sterben würde. Sie hatte am schnellsten Medikamente erhalten. Vielleicht war es ihr deshalb nicht vergönnt, bewusstlos zu werden wie die anderen.

Das Bild vor meinen Augen verschwamm in Tränen. Ich wusste, was ich zu tun hatte, doch alles in mir wehrte sich dagegen. Mein Herz schrie mich an. Jeder Schlag war ein »Nein«. Aber manchmal durfte man nicht auf seinen Körper hören. Manchmal musste man stärker sein als sein Herz. Levandra hatte es nicht verdient, so zu leiden. Ich griff zum Stiefelschaft, nach dem Stilett, das Ges mir geschenkt hatte.

»Ein Freundschaftsdolch«, flüsterte ich.

In irgendeiner barbarischen Zeit war diese Waffe vielleicht genau für solche Anlässe geschmiedet worden, wenn man gemeinsam auf dem Schlachtfeld gestanden und verloren hatte. Doch ich hätte nie gedacht, sie selbst in diesem Sinn gebrauchen zu müssen. Die Tage, in denen man sich umbrachte, weil man glaubte, das Gesicht verloren zu haben oder nicht als versehrter Krieger weiterleben zu können, waren lange vorbei.

»Bitte!«, flehte Levandra.

Ich hob den Dolch.

»Nein!«, brüllte mein Herz. Mein armes, dummes Herz.

Der Schmerz in Levandras Gesicht musste verschwinden. Ich stach zu, bohrte die Klinge schräg nach oben durch ihren Bauch in den Brustkorb, als wollte ich mit ihrem Herzen auch meins zum Schweigen bringen. Es fühlte sich an, als schnitte ich durch mich selbst. Wir schrien beide.

Levandra keuchte. Sie packte meine Hand, quetschte sie zusammen. Ich spürte es kaum.

»Lev!«

»Ana!« Levandra Augen traten hervor. Sie rang nach Luft. Es kam mir endlos vor, doch irgendwann lag sie still.

Ich schluchzte, legte meinen Kopf an ihren, spürte, wie ihre Wange nach und nach kalt wurde, so wie das Blut, das über meine Hand lief. Ich ließ den Dolchgriff los. Viele Stunden saß ich einfach da. Es war vorbei. Alles war vorbei. Mein Herz war tot.

»Henut?«, erklang die Stimme der Positronik. Sie hatte mich zwischenzeitlich bereits mehrfach angesprochen.

Dieses Mal rang ich mich zu einer Antwort durch. »Ja?«

»Wie geht es dir? Deine Vitalwerte sind schlecht.«

»Das weiß ich. Ich sterbe. Wie die anderen. Es scheint nur länger zu dauern.« Ich überlegte, ob ich den Zellaktivator abnehmen sollte – doch dann würde ich die gleichen Schmerzen erleiden wie Lev, und mir würde niemand zur Erlösung einen Dolch in den Körper rammen, es sei denn, ich tat es selbst. »Bring mich weg von hier!«, forderte ich.

»Das kann ich nicht. Die DAYI ist gestrandet.«

»Wann?« Das Wo interessierte mich nicht mehr. Eigentlich auch nicht mehr das Wann. Es spielte keine Rolle. Das Ende war das Ende, und es kam immer in der Dunkelheit, wenn man allein war – wann auch sonst? »Vergiss es«, sagte ich, ehe die Positronik antworten konnte. »Es ist nicht mehr wichtig.«

»Die Sensoren empfangen einen verstümmelten Funkspruch.«

Fremde Worte hallten durch die Medostation. Ich glaubte, die Begriffe »Kauhriir« und »Thaynar« zu verstehen. Was bedeutete das? War da draußen jemand?

»Können wir antworten?«

»Leider nicht. Aber ich kann ...«

»... mich retten?«

»Nein«, sagte die Positronik.

»Dann schweig! Ich will nichts mehr hören! Wer auch immer da draußen sein mag, es ist zu spät! Wir sind verloren.«

Die Positronik gehorchte.

Ich blieb bei Lev sitzen, wartete auf den Tod. Er ließ sich Zeit. Selbstverständlich ließ er sich Zeit. Ich lachte heiser. Das passte zu meinem Lebensende. Meine Großmutter hatte mich enttäuscht, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester, Ges – warum sollte ausgerechnet der Tod keine Enttäuschung sein?

Müde streichelte ich über Levandras Goldhaar. Dabei spürte ich, wie die Schwäche sich ausbreitete, Stück für Stück, Stunde um Stunde. Es tat nicht weh. Es wurde einfach immer schwerer, sich zu bewegen, zu denken. Irgendwann konnte ich die Hand nicht mehr rühren. Ich saß wie eingefroren, schaute träge in den Totenraum.

Es war an der Zeit, mit ihnen zu gehen und das zu tun, was ich all die Jahre nicht gekonnt hatte: aufgeben.

4.

ANDROS

Mein Mund war trocken. Ich fühlte mich ausgedörrt, als hätte ich versucht, ohne Gleiter und Ausrüstung eine Wüste zu durchqueren. Mit geschlossenen Augen lag ich da, spürte die Weichheit um mich herum, das leichte Gewicht einer Decke auf Brust und Beinen. Was war das für ein Ort? Er roch fremd. Süß und exotisch, ganz anders als die Gänge und Räume der DAYI mit ihrer Nüchternheit, der sterilen Lebenserhaltung und der zweckbedingten Funktionalität.

Ich schluckte. Der Gedanke an mein Raumschiff brachte die schrecklichen Erlebnisse zurück: Levandra in meinen Armen, ihr Blut, das aus der Wunde rann. Sie war tot. Sie waren alle tot. Nur ich hatte auf rätselhafte Weise überlebt. Wie war das möglich? Wer hatte mich gerettet?

Vorsichtig setzte ich mich auf. Das Bett unter mir war größer, als ich vermutet hatte. Es hätte für eine ganze Familie Platz geboten. Ich war dafür zu klein, war hineingelegt worden wie eine Puppe in die Wiege eines Kinds. Langsam schaute ich nach rechts und links, erforschte die Umgebung mit Blicken. Das Bett stand in einer weitläufigen, prachtvoll eingerichteten Zimmerflucht, die keinen Komfort zu wünschen übrig ließ. Selbst meine Schwester hatte nie mondäner gelebt. Gelbe Blumenköpfe ragten aus blitzenden, kristallinen Vasen. Von diesen Blütenblättern ging der liebliche, unbekannte Duft aus. Die Möbel wirkten antik. Sie waren aus Holz gefertigt und kunstvoll mit Schnitzereien versehen. Fremdartige Wesen umrankten die Formen, kletterten Stuhlbeine hinauf, verzierten drei erhöht stehende Truhen. Weißes Mondlicht flutete in die Wohnlandschaft. Es fiel durch ein breites Panoramafenster, das vom Boden bis zur Decke reichte und sich wie eine Halbkugel ins Außen wölbte. Hinter dem Fenster war eine freie, steinerne Fläche, die sich bis zu einem Urwald hinzog.

Von draußen drangen Geräusche herein. Das kehlige Gackern von Vögeln, ein leises, fernes Knurren wie von einem Raubtier.

Wo war ich? Und warum war ich noch?

Als der Tod gekommen war, hatte ich ihn umarmt, doch er hatte mich abgewiesen. Ich war aus seinem Schutz, seiner Rettung hinausgeworfen worden, vertrieben in ein Leben, das keinen Sinn mehr hatte. Was sollte ich noch unter den Sternen? Wozu weiteratmen? Es gab wohl keine di Cardelah, die je endgültiger gescheitert war als ich.

Der Zellaktivator auf meiner Brust schickte sanfte Impulse aus. Ohne ihn hätte ich die Hölle des Quantenflimmerns nicht überstanden. Aber musste ich dafür dankbar sein? Vielleicht war mein Überleben eine Strafe. Trotzdem – es gab mich noch, also konnte ich ebenso gut aufstehen und herausfinden, wohin es mich verschlagen hatte.

Benommen schob ich die Decke zur Seite und hob die Beine über die Bettkante. Kalter, harter Stein presste sich gegen meine nackten Fußsohlen. Ich stand schwankend auf, trat ans Fenster, spähte hinaus in die Nacht. Als ich die Hand hob, um die Glasscheibe zu berühren, glitt das Fenster auf kompletter Länge lautlos zur Seite. Es faltete sich zusammen wie ein Vorhang aus Stoff. Dazu musste es fraglos seine Molekularstruktur verändern. Vielleicht irrte ich mich und es war gar kein Glas, sondern eine hauchdünne Folie. Keine Technik, die mir neu war, doch die Eleganz, mit der das Fenster seine Form veränderte, erstaunte mich.

Warmer Wind fuhr mir entgegen, bauschte das seidige Nachthemd auf, in das mich jemand gekleidet hatte, während ich geglaubt hatte, tot zu sein.

Ich betrat die freie, steinerne Außenfläche. An den Bewegungen der Bäume erkannte ich, dass es eine unsichtbare Barriere geben musste. Der Wind, der in mein Nachthemd fuhr, war schwächer als der im Dschungel. Wenige Schritte vor mir lag ein leichtes Flimmern in der Luft, das sich sofort wieder auflöste. Ein Schutzschirm.

Auf der anderen Seite erspähte ich eine Bewegung. Da stand jemand. Nein. Ich korrigierte den Eindruck. Nicht jemand – etwas. Ein Tier. Es hatte zwei Arme und zwei Beine, war muskelbepackt, schwarzfellig und von beeindruckender Größe. Wachsame Augen musterten mich. Ich hob eine Hand. Das Tier legte den Kopf schief, wich zurück. Ob es gefährlich war? Vielleicht sollte der Schutzschirm es fernhalten.

Mein Blick glitt empor, über die Wipfel der nachtschwarzen Bäume. Ein Mond hing am Firmament, bleich wie Knochen. Es war nicht der von zu Hause, sondern ein fremder Mond, auch wenn er dem Himmelskörper glich, den ich von Kindheit an gewohnt gewesen war. Ich war in der Fremde gestrandet, an einem rätselhaften Ort, der mir keinen Halt bot. Gerade die Ähnlichkeit mit Gewohntem machte mir die Andersartigkeit bewusst. Nichts passte wirklich. Das war nicht Liduur. Es war keine Welt, die ich kannte. Keine Heimat.

Hinter mir erklang eine Stimme: »Du musst durstig sein.«

Ich widerstand dem Impuls, herumzufahren. Stattdessen blickte ich vom Mond fort, wieder in die Richtung des affenähnlichen Tiers, doch es war nicht mehr da. Es hatte sich in den Dschungel zurückgezogen. Wo es gestanden hatte, machte ich schwache Fußabdrücke im schlammigen Boden aus.

»Ich bin durstig. Bringst du mir etwas zu trinken?«

»Das tue ich.«

Kontrolliert drehte ich mich um. Die Bewegung hatte Anmut. Es freute mich, dass mein Körper mir so gut gehorchte. Wenigstens das war ein Pluspunkt in meiner verworrenen Situation: Der Zellaktivator hatte mich tatsächlich zu hundert Prozent geheilt.