Pferdeflüsterer-Academy, Band 4: Verletztes Vertrauen - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 4: Verletztes Vertrauen E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoe macht sich Sorgen um ihre Mitschülerin Cathy. Das Mädchen lässt niemanden an sich heran und steht kurz davor, von der Schule zu fliegen. Nur mit Pferden kommt Cathy zurecht. Sie vertrauen ihr blind. Zoe versucht, mit Cathy Freundschaft zu schließen, und begeht dabei einen fatalen Fehler ... Entdecke alle Abenteuer an der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2019 Ravensburger Verlag GmbHText © Gina MayerVermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, BerlinUmschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von © Parfonovaluliia / istock; © Pikoso.kz /shutterstock; © bernatets photo / shutterstock; © best animal photos / shutterstock; © acceptphoto / shutterstock; © kaisorn / shutterstock; © Caro S. / Adobe StockAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47937-5www.ravensburger.de

Das Glück war dunkelgrün und sonnengelb. Wie die Tannenzweige, die sich über Zoes Kopf ausbreiteten und durch die golden die Sonnenstrahlen flirrten. Das Glück roch nach Moos und dunkler Walderde und Shamans dampfendem schwarzen Fell.

Ob Isabelle das auch so empfand? Zoe warf einen Blick über die Schulter zu ihrer Freundin, die direkt hinter ihr ritt. Wie schön sie aussah mit ihren goldbraunen seidigen Haaren, die weich auf ihre Schultern fielen. Unter ihr ihre Stute Chenoa, deren schneeweiße Flanken im Dunkel des Waldes zu leuchten schienen.

Isabelles mandelförmige Augen begegneten Zoes Blick, sie lächelte sie an. „Alles klar?“

„Alles bestens.“ Zoe drehte sich wieder nach vorne, presste die Schenkel zusammen und brachte Shaman vom Trab in einen leichten Galopp. Der Mustang nahm den Impuls sofort auf. Seine Hufe hämmerten dumpf auf dem Waldboden, er hätte gerne noch mehr beschleunigt.

Zoe lehnte sich weit über seinen Hals, schloss die Augen und sog die Waldluft ein. Und erinnerte sich daran, wie sie im letzten Sommer zum ersten Mal hierhergekommen war.

Sie hatte sich sofort verliebt. In die hohen dunklen Tannen und Kiefern, deren Wipfel man von hier unten nur erahnen konnte. In die uralten Laubbäume mit ihren mächtigen Stämmen und die großen Farnstauden, die sich darunter ausbreiteten. Und in das Unterholz, in dem Waschbären, Stachelschweine, Pfeifhasen, Chipmunks und Mäuse lebten.

An keinem anderen Ort der Welt hatte Zoe sich jemals so zu Hause gefühlt. Und sie hatte schon einige Orte gesehen. Noch vor einem Jahr war sie als Profimusikerin von einer Stadt in die andere geflogen, um in den größten Konzerthäusern der Welt aufzutreten. Zoe Deventer, das Wunderkind an der Querflöte.

Wenn sie im Scheinwerferlicht auf einer Konzertbühne in Singapur, Mailand oder New York gestanden und ein paar Tausend Leute ihr begeistert applaudiert und zugejubelt hatten, war sie auch glücklich gewesen. Aber das Gefühl von damals war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt empfand. Tiefe, pure Freude.

„Ich glaube, wir müssen langsam zurück“, hörte sie Isabelle rufen. Wie alles an Isabelle war auch ihre Stimme bezaubernd, sie sprach mit einem sanften frankokanadischen Akzent.

Zoe verlagerte ihr Gewicht nach hinten, nahm die Zügel an und spürte, wie Shaman einen winzigen Moment zögerte, bevor er gehorchte. Der Hengst wäre lieber weitergelaufen. Genau wie sie.

Wieder wandte sie sich zu ihrer Freundin um. „Wie spät ist es?“

„Gleich fünf.“ Isabelle seufzte. „Am liebsten würde ich hier draußen bleiben.“

„Ich auch“, sagte Zoe. „Für heute Abend sind allerdings schlimme Gewitter angekündigt. Vielleicht schlafen wir doch lieber im Schloss.“

Seit einem Jahr gingen die beiden Mädchen in die Snowfields Academy. In dem Internat im Nordwesten Kanadas wurden Nachwuchsreiter ausgebildet, die später auf internationalen Turnieren für großes Aufsehen sorgten. Die Liste der Snowfields-Absolventen, die bei Wettkämpfen in aller Welt Medaillen und andere Auszeichnungen errungen hatten, war beeindruckend lang.

Zoe und Isabelle planten jedoch keine Profikarriere im Reitsport – sie waren in der Pferdeflüsterer-Klasse, in der man lernte, Pferde zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren.

Noch vor zwei Monaten waren sich die beiden aus dem Weg gegangen und hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt. Denn außer der Pferdeflüsterer-Klasse verband sie nichts miteinander. Dachten sie zumindest.

Während Zoe vor ihrer Aufnahme in die Academy nie geritten war, war Isabelle mit Pferden aufgewachsen. Ihrer Familie gehörte das Dufresne Stud & Stallion Breeding in Quebec – das berühmteste Gestüt in ganz Nordamerika. Isabelle hatte mit drei Jahren mit dem Reiten begonnen, mit zehn hatte sie bei den ersten Turnieren mitgemacht und danach alle wichtigen Nachwuchspreise im Dressurreiten gewonnen, bevor sie sich entschieden hatte, ihre Karriere zu beenden und stattdessen Pferdeflüsterin zu werden.

In ihrer Anfangszeit in Snowfields hatte Zoe Isabelle schrecklich beneidet. Alles, was sie sich mühsam erarbeiten musste, beherrschte Isabelle im Schlaf: das Reiten, das Springen, die Bodenarbeit, den Umgang mit schwierigen Pferden.

Aber dann hatte sie ausgerechnet ein schwieriges Pferd zusammengebracht und ihnen klargemacht, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so unterschiedlich waren. Dank Isabelles Stute Chenoa und ihrer rätselhaften Vergangenheit waren die beiden Mädchen Freundinnen geworden.

Die siamesischen Zwillinge, nannten sie ihre Klassenkameraden inzwischen schon im Spaß, weil sie so unzertrennlich waren.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es heute noch regnet.“ Isabelle hob den Kopf und blickte in den wolkenlosen blauen Sommerhimmel, der durch die Tannenwipfel schimmerte.

„Du weißt doch, wie schnell sich das Wetter hier draußen ändert.“ Zoe parierte Shaman durch und brachte ihn zum Wenden.

Chenoa war ebenfalls stehen geblieben. Jetzt standen sich die Pferde gegenüber. Shamans dunkle Nüstern berührten fast Chenoas weißen Kopf, sein Atem streichelte ihre Stirn.

Der Mustang und die Stute waren die kompletten Gegensätze: Der pechschwarze Shaman war sehr groß, kraftvoll und muskulös, die Schimmelstute hatte einen feingliedrigen, eleganten Körperbau.

Doch genau wie ihre Besitzerinnen waren auch Shaman und Chenoa unzertrennlich. Auf der Weide standen die zwei Pferde immer zusammen und niemals hätte eins das andere im Stich gelassen.

„Komm schon, Izzy. Wenn wir jetzt nicht zurückreiten, kriegen wir kein Abendessen mehr.“

„Wenn wir hier draußen bleiben, müssen wir morgen Mrs. de Cesco nicht ertragen.“ In Isabelles dunklen Augen lag plötzlich ein verwegenes Funkeln.

Als sie den Namen der Lehrerin hörte, zog sich Zoes Magen zusammen. Das Glück, das sie gerade noch erfüllt hatte, war auf einmal verflogen.

Mrs. de Cesco war die stellvertretende Direktorin der Snowfields Academy. Sie war früher eine erfolgreiche Turnierreiterin gewesen und unterrichtete jetzt sowohl Dressur- als auch Springreiten im Reiterinternat. Allerdings trainierte sie normalerweise nur mit den höheren Klassen – und Zoe und Isabelle waren erst in der Siebten.

Doch leider hatte ihr Springreitlehrer Mr. Percy einen Reitunfall gehabt und fiel nun für längere Zeit aus. Und heute hatten sie erfahren, dass Mrs. de Cesco seine Vertretung übernehmen würde.

Die ganze Pferdeflüsterer-Klasse hatte entsetzt reagiert, aber Zoe war besonders schockiert. Sie hatte in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen mit der Lehrerin gemacht, seitdem vermied sie jede Begegnung mit ihr. Und ab morgen musste sie sie drei Stunden in der Woche ertragen!

Einen Moment lang dachte sie darüber nach, ob sie Isabelles verrückten Vorschlag wirklich in die Tat umsetzen sollten. Im Wald gab es einige Hütten, in denen Wanderer übernachten konnten. Eine von ihnen war gar nicht so weit entfernt. Morgen könnten sie einfach sagen, dass sie sich in der Wildnis verirrt und den Heimweg nicht gefunden hätten.

Aber keiner würde ihnen glauben. Kaum jemand kannte sich hier im Wald so gut aus wie Zoe und Shaman.

„Das bringt nichts.“ Zoe schüttelte den Kopf. „Irgendwann müssen wir doch zurück. Und Mr. Percy fällt bis zum Ende des Schuljahrs aus. Bis dahin haben wir Mrs. de Cesco am Hals.“

Isabelle nagte ein paar Sekunden schweigend an ihrer Unterlippe. Dann seufzte sie. „Du hast ja recht. Reiten wir zurück.“

Als sie aus dem Wald trabten und in den Pfad zum See einbogen, ließen die Pferde die Köpfe hängen. Sie spürten die trübe Stimmung ihrer Reiterinnen.

Jetzt tauchte vor ihnen das riesige Gebäude auf, in dem die Snowfields Academy untergebracht war. Hinter einer Art Burggraben reckte sich ein Gewirr aus spitzen Giebeln und runden Türmen in den Abendhimmel. Dahinter glitzerten geheimnisvoll die schneebedeckten Gipfel der hohen Bergkette. Das Schloss nannten die Schüler das Gebäude – und es sah ja auch wirklich aus wie ein Märchenschloss.

Das Haus war vor hundert Jahren von einem Eisenbahnmillionär erbaut worden, der sich damit sein eigenes Denkmal setzen wollte. Später hatte eine private Stiftung das Gebäude erworben und in ein Reiterinternat umgewandelt.

„Was ist denn jetzt los?“ Isabelle drehte überrascht den Kopf, als hinter ihnen ein Motorengeräusch erklang.

Die beiden Pferde spitzten nervös die Ohren. Autos waren hier in Snowfields fast so ungewöhnlich wie Elche und Bären in Vancouver. Alle paar Tage kamen ein Lkw, der die Schule mit Lebensmitteln versorgte, und der Shuttle-Van vom Flughafen in Whitehorse.

„Der fährt ja wie ein Verrückter!“ Zoe lenkte Shaman an den Straßenrand und Isabelle wich ebenfalls aus.

Der Pferdetransporter, der von der Landstraße kam und in hoher Geschwindigkeit auf sie zu bretterte, wollte ganz offensichtlich zum Schloss. Als er sie fast überholt hatte, stieg der Fahrer plötzlich auf die Bremse. Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen. An der Fahrerseite glitt das Fenster nach unten.

„So ein Idiot!“ Zoe sprang aus dem Sattel und rannte zu dem Fahrzeug.

Am Steuer saß ein bulliger Typ mit blondem Vollbart. Der Mann auf dem Beifahrersitz war ebenfalls bärtig, aber dunkelhaarig.

„Sie sind viel zu schnell gefahren!“, erklärte Zoe wütend.

Der Fahrer hob nur genervt die Augenbrauen. „Ich will zu Mr. Cole“, sagte er. „Wo finde ich ihn?“

„Keine Ahnung, wo er jetzt ist. Erwartet er Sie denn?“

„Und ob“, sagte der Typ. „Kannst du ihn mal holen?“ Im Grunde war es keine Frage, sondern ein Befehl.

Zoe starrte den Mann wütend an. Wie kam er dazu, so mit ihr zu sprechen? Am liebsten hätte sie ihn einfach stehen gelassen. Aber es ging hier nicht um sie.

Es ging um das Pferd im Anhänger. Ein neuer Fall für Caleb Cole, da war sich Zoe sicher.

Der Lehrer der Pferdeflüsterer-Klasse hatte nur eine halbe Stelle in Snowfields. In der übrigen Zeit arbeitete er als Trainer mit traumatisierten und schwierigen Pferden. Obwohl die Schule so abgelegen war, brachten viele Pferdebesitzer ihre verstörten Tiere hierher, damit Caleb sie von ihren Ticks und Ängsten befreite.

Manchmal dauerte es Wochen, bis Caleb es schaffte, das Vertrauen eines Pferdes zu gewinnen. Aber es gelang ihm nahezu immer. Und jeder seiner Trainingserfolge trug dazu bei, dass er in der Pferdewelt noch bekannter wurde. Längst bekam er viel mehr Anfragen, als er annehmen konnte.

„Neuer Patient?“, fragte Isabelle, als Zoe zu ihr und den Pferden zurückkam.

Der Transporter setzte sich wieder in Bewegung, der Motor heulte auf, als ginge es um ein Wettrennen. Nun bog er auf den Parkplatz vor dem Internat ein.

„Ich soll Caleb holen“, sagte Zoe. „Und zwar zack, zack!“

„Kannst du dir sparen“, meinte Isabelle. „Da kommt er schon.“

Ein schmaler großer Mann verließ gerade das Schloss und ging über den Steinsteg in Richtung Parkplatz. Caleb Cole. Im warmen Sonnenlicht wirkte der Lehrer wie ein geheimnisvoller Vorbote der Nacht. Er war wie immer schwarz gekleidet – von den Stiefeln bis zum Cowboyhut auf seinem Kopf. Auch die langen Haare, die er zu einem Zopf gebunden hatte, waren pechschwarz.

Jetzt hatte er den Transporter erreicht und ging auf den Fahrer zu, der soeben aus dem Wagen gesprungen war.

Er streckte ihm die Hand entgegen, aber der Mann übersah sie einfach und marschierte mit großen Schritten zur Rückseite des Hängers.

Inzwischen war auch der Beifahrer ausgestiegen. Er trat ein Stück zur Seite und zündete sich eine Zigarette an.

Zoe hätte zu gerne gewusst, was Caleb und der Mann zu besprechen hatten. Leider waren sie zu weit entfernt, um sie zu verstehen.

Energisch zog der Fremde die Heckklappe auf und ließ sie nach unten fallen. Der Knall war so laut, dass Shaman und Chenoa erschrocken zusammenzuckten. Aus dem Hänger erklang lautes Hufgetrappel und in der Öffnung erschien ein rundes weißes Pferdehinterteil, das mit großen, fast kreisförmigen schwarzen Flecken bedeckt war.

Caleb hob die Hände und sagte etwas, das den Vollbart so erboste, dass er sich umwandte und mit wütenden Schritten auf ihn zu ging.

Nun standen sich die beiden Männer genau gegenüber. Sie waren gleich groß, aber der Fremde hatte breitere Schultern und war um einiges kräftiger als Caleb.

„Komm“, sagte Zoe zu Isabelle, während sie sich wieder in den Sattel schwang.

Sie ließen die Pferde bis zum Eingang des Parkplatzes traben. Eigentlich hätten sie nun den schmalen Weg einschlagen müssen, der am Schlossgraben entlang und über einen Steg zum Sattelplatz führte. Aber sie waren viel zu neugierig, um jetzt zu verschwinden.

„Sagen Sie mir nicht, wie ich mit meinem Pferd umgehen soll!“, fuhr der Vollbart Caleb mit lauter Stimme an. „Wenn Sie die Sache nicht so gründlich verbockt hätten, wären wir nicht hier!“

„Ich schlage vor, dass Sie sich erst mal beruhigen, Mr. Buchanan“, erwiderte Caleb.

„Buchanan“, flüsterte Isabelle gedankenverloren. „Das ist doch …“ Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn.

„Ich bin ganz ruhig“, entgegnete Mr. Buchanan in drohendem Ton.

„Gut.“ Caleb lächelte, aber es war kein entspanntes Lächeln. „Dann können wir jetzt klären …“

„Es gibt nichts zu klären“, unterbrach ihn der andere. „Wir haben am Telefon schon alles besprochen. Aber ich wiederhole es gerne noch mal: Ich werde keinen weiteren Cent in Ihren Hokuspokus investieren. Der Spaß hat mich schon genug Zeit und Geld gekostet. Entweder Sie bringen Tom zum Parieren, oder ich reite ihn persönlich zum Abdecker!“ Die letzten Worte spuckte er förmlich heraus.

„Tom!“, stieß Zoe hervor. „Das ist Tom!“

„Natürlich.“ Isabelle nickte. „Mr. Buchanan hat ihn vor einem Monat hier abgeholt. Ich war dabei, als er Tom verladen hat.“

Der kleine Tinker-Hengst hatte mehrere Wochen in Snowfields verbracht. Er war von Caleb therapiert worden, weil er sich beharrlich weigerte, einen Hänger zu besteigen. Mr. Buchanan, auch daran erinnerte sich Zoe jetzt wieder, hatte den Tinker für seine kleine Tochter gekauft, die anfangs prima mit dem Pferd zurechtgekommen war. Erst als Tom verladen werden sollte, weil sie mit ihm Turniere reiten wollte, hatten die Probleme begonnen.

Caleb war es allerdings sehr schnell gelungen, den Hengst davon zu überzeugen, dass im Inneren des Transporters kein pferdefressendes Monster lauerte. Nach wenigen Therapiestunden war ihm Tom ohne Weiteres in den Hänger gefolgt.

„Und wieso ist er nun wieder zurück?“, fragte Zoe.

„Keine Ahnung.“ Isabelle runzelte die Stirn. „Als Mr. Buchanan ihn abgeholt hat, hat er ihn selbst in den Transporter geführt. Es gab überhaupt keine Probleme.“

„Natürlich entstehen keine weiteren Kosten für Sie.“ Im Gegensatz zu Mr. Buchanan sprach Caleb ganz leise und sehr ruhig. Auch sein Gesicht wirkte vollkommen gelassen, während Mr. Buchanans Kopf knallrot geworden war.

Zoe wusste jedoch, dass Caleb alles andere als entspannt war. Er hasste es, wenn man ihn anbrüllte. Wenn es nicht um den kleinen Tinker gegangen wäre, hätte er sich längst wortlos umgedreht und den tobenden Kerl stehen gelassen, da war sich Zoe sicher.

„Im Übrigen haben Sie ja selbst gemerkt, dass Tom überhaupt keine Schwierigkeiten beim Verladen gemacht hat, als Sie ihn abgeholt haben“, fügte Caleb hinzu.

„Was weiß denn ich, was Sie mit dem Pferd angestellt haben. Wahrscheinlich haben Sie ihn irgendwie sediert, damit er nicht rumzickt. Als wir zu Hause waren, fing das ganze Theater jedenfalls sofort wieder von vorn an. Wenn der Mistkerl auch nur einen Transporter sieht, rastet er aus. Wir haben bestimmt vier Stunden gebraucht, bis wir ihn in diese Kiste bugsiert hatten.“

„Die haben eine Mörderreise hinter sich“, murmelte Isabelle. „Mr. Buchanan kommt aus Helena, Montana, das sind fast dreitausend Kilometer bis hierher.“

„Meinst du, sie sind die gesamte Strecke durchgefahren?“, fragte Zoe.

„Keine Ahnung. Tom hat den Transporter bestimmt die ganze Zeit nicht verlassen. Zu zweit hätten sie ihn ja nicht wieder in den Hänger reingekriegt.“

„Der arme Kerl!“

„Ich bin froh, dass Sie Tom noch mal hergebracht haben“, sagte Caleb.

„Das verdanken Sie nicht mir, da können Sie Gift drauf nehmen“, schimpfte Mr. Buchanan. „Wenn meine Tochter nicht so verrückt nach dem Vieh wäre, hätte ich ihm wahrscheinlich eigenhändig den Hals umgedreht. Aber sie hat einen richtigen Narren an ihm gefressen.“

„Das wundert mich nicht.“ Zum ersten Mal seit dem Beginn der Unterhaltung wirkte Calebs Lächeln echt. „Er ist so ein schönes Tier.“

„Mir kann er gestohlen bleiben.“ Mr. Buchanan zündete sich jetzt ebenfalls eine Zigarette an. Sein Begleiter hatte inzwischen zu Ende geraucht und trat nun zu ihnen.

„Sollen wir dann mal?“, fragte er mit Blick auf den Hänger. „Raus geht es hoffentlich leichter als rein.“

„Das mach ich“, sagte Caleb hastig. „Wenn Sie möchten, können Sie Ihr Gepäck schon mal ins Gästehaus bringen. Sie finden es …“

„Ich weiß, wo das verdammte Gästehaus liegt“, unterbrach ihn Mr. Buchanan. „Ich war schließlich schon zweimal hier.“

Caleb blieb kerzengerade stehen, während die beiden Männer zwei Reisetaschen aus dem Wagen holten und dann grußlos davonstiefelten.

„Sollen wir helfen, Caleb?“, rief Isabelle dem Lehrer zu, als sie außer Hörweite waren.

Caleb schüttelte lächelnd den Kopf. „Danke, nicht nötig“, erwiderte er. „Der kleine Kerl ist vollkommen fertig, das schaff ich allein.“

„Das ist das erste Mal, dass einer von Calebs Schützlingen wieder zurückkommt“, sagte Isabelle, während sie ihre Pferde trocken rieben. „Und ausgerechnet Tom.“

„Das ist echt komisch“, stimmte Zoe ihr zu. „Der war doch total unkompliziert.“

„Wer weiß, was der grässliche Kerl mit ihm angestellt hat. Wenn einer schon damit droht, dass er ein Pferd zum Abdecker bringen will …“

„Wer will hier ein Pferd zum Abdecker bringen?“, unterbrach sie eine Jungenstimme.

Und sofort galoppierte Zoes Herz los wie ein wild gewordenes Pferd. Das Blut begann in ihren Ohren zu rauschen und in ihrem Magen breitete sich ein seltsames, flaues Gefühl aus. Es war jedes Mal dasselbe: Sobald Cyprian sich näherte, spielte ihr Körper verrückt.

Sie ließ den Kratzer sinken, mit dem sie gerade Shamans Hufe bearbeitet hatte, und wandte sich zu ihm um.

„Tom ist wieder da“, erklärte sie.

„Tom?“ Cyprian zog die Brauen hoch. Auch er kleidete sich prinzipiell in Schwarz, genau wie Caleb. Der einzige Farbtupfer waren seine Augen, sie strahlten in einem fast unnatürlichen leuchtenden Blau.

„Der kleine Tinker mit dem Hänger-Problem“, ergänzte Isabelle. „Sein Besitzer hat ihn zurückgebracht.“

„Ach ja, richtig. Caleb hat mir schon davon erzählt.“ Cyprian seufzte. „Der Typ hat ihm die Hölle heißgemacht, er wollte, dass Caleb nach Montana fliegt, um Tom zu therapieren. Caleb wäre auch gekommen, für seine Pferde tut er schließlich alles. Aber erst in den Ferien.“

„So lange wollte Mr. Buchanan offensichtlich nicht warten“, sagte Zoe.

„Wo ist Tom jetzt?“, fragte Cyprian.

„Ich nehme mal an, dass Caleb ihn auf die kleine Koppel beim Stall bringt. Da stand er früher auch immer“, sagte Isabelle.

„Hast du schon gegessen?“, erkundigte sich Zoe.

Cyprian nickte. „Ich werd mal nach dem Kleinen schauen. Wir sehen uns morgen!“

„Bei Mrs. de Cesco in der Reithalle“, sagte Isabelle mit Grabesstimme.

„Erinnere mich nicht daran!“ Cyprian verdrehte die Augen. Er verabscheute die stellvertretende Direktorin fast noch mehr, als Zoe und Isabelle es taten. Aber es gab kein Entrinnen, sie alle würden sie in den nächsten Wochen oft zu Gesicht bekommen.

Mit jedem Schritt, den Cyprian sich von ihr entfernte, wurde Zoes Herzschlag langsamer. Ihr Körper beruhigte sich. Auch das war wie immer. Wieso schaffte es Cyprian jedes Mal, sie so durcheinanderzubringen?

Er war ihr bester Freund in der Snowfields Academy. Ohne Cyprian hätte Zoe die erste schwere Zeit im Internat bestimmt nicht überstanden. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden musste sie das Reiten ja von Grund auf lernen. Cyprian hatte ihr Reitstunden gegeben und vor allem nie den Glauben an sie verloren. Auch dann nicht, als alle anderen – inklusive Zoe selbst – überzeugt waren, dass die Snowfields Academy nicht der richtige Ort für sie war.

Zoe und Cyprian ritten weiterhin an den Wochenenden zusammen aus. Vor dem Frühstück, bevor der Rest der Schule überhaupt wach wurde, sattelten sie ihre Pferde und galoppierten am See entlang oder durch den Wald.

Es war ihre gemeinsame Zeit, Isabelle begleitete sie nie auf diesen Ausflügen.

Obwohl auch sie eng mit Cyprian befreundet war und oft mit ihm über die Wiesen und durch die Wälder trabte.

Zoe und Isabelle redeten über alles Mögliche: die Schule und ihre Klassenkameraden, Caleb, Mrs. de Cesco und ihre früheren Freunde aus Vancouver und Quebec. Nur über Cyprian sprachen sie nie.

Es war ein unausgesprochenes Tabu, immer wenn ihre Unterhaltung auch nur in seine Nähe kam, wechselten sie das Thema.

Dabei machte es Zoe verrückt, dass sie nicht wusste, was zwischen Isabelle und Cyprian vor sich ging. Ob er Isabelle die Dinge anvertraute, die er Zoe gegenüber immer verschwieg? Sie wusste so wenig über seine Vergangenheit, seine Träume und Sehnsüchte.

Ob er und Isabelle sich schon einmal geküsst hatten? In der Schule hielten sie stets Abstand voneinander, genau wie Zoe und Cyprian. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Isabelle war so wunderschön mit ihrer dunklen Haut, den mandelförmigen Augen und ihrem Seidenhaar. Wenn Zoe ein Junge gewesen wäre, hätte sie sich sofort Hals über Kopf in sie verliebt.

„So, fertig!“ Isabelle warf die Kartätsche, mit der sie Chenoas Fell bearbeitet hatte, mit großem Schwung in den Putzkorb zu ihren Füßen.

„Ich auch.“ Zoe legte ihre Bürste ebenfalls weg und klopfte zärtlich Shamans Hals.

Der Hengst drehte den Kopf zu ihr. Seine faszinierenden dunkelbraunen Augen, die von winzigen goldenen Sprenkeln überzogen waren, musterten sie nachdenklich. Wie so oft hatte sie das Gefühl, dass er tief in ihre Seele blicken konnte und dort Dinge sah, von denen nicht einmal sie selbst etwas wusste.

„Wenn du das Putzzeug aufräumst, bring ich die Pferde auf die Koppel“, schlug sie vor.

„Okay.“ Isabelle nickte. „Und dann nichts wie zum Abendessen. Ich hab einen mega Kohldampf!“

Die Anforderungen in der Snowfields Academy waren hoch, nicht nur im Reitunterricht, sondern auch in allen anderen Fächern. Schließlich mussten die Schüler am Ende die gleichen Abschlussprüfungen absolvieren wie auf einer normalen Schule.

Zoe hatte genauso viele Unterrichtsstunden wie in ihrer alten Schule in Vancouver. Aber zusätzlich zu Mathe, Englisch, Französisch oder Biologie bekamen sie jeden Tag auch noch Gruppen- und Einzelunterricht in Springreiten, Dressur oder Bodenarbeit. Und für die zehn Pferdeflüsterer gab es außerdem noch Extrastunden in Natural Horsemanship.

Um all diese Fächer unterzubringen, begann die Schule für die Pferdeflüsterer zweimal in der Woche schon um halb sieben Uhr morgens. Dienstags und donnerstags schleppten sie sich frühmorgens in die Reithalle, in der es um diese Zeit auch im Sommer noch empfindlich kalt war. Die Schulpferde, auf denen sie trainierten, wirkten genauso unausgeschlafen und widerwillig wie die Schüler.