Pferdeflüsterer-Academy, Band 5: Zerbrechliche Träume - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 5: Zerbrechliche Träume E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoes Mitschüler und Schwarm Cyprian hat den Verlust seines Appaloosa-Hengstes Eclipse noch immer nicht überwunden. Wie konnte sein Vater das edle Rennpferd einfach so verzocken? Als Zoe erfährt, dass Eclipses neuer Besitzer der brutale Jockey-Trainer Macmillan ist, zögert sie keine Sekunde und reist zu seinem Gestüt, um an der Aufnahmeprüfung für eine Jockey-Ausbildung teilzunehmen – natürlich nur, um Eclipse zu befreien! Entdecke alle Abenteuer an der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit

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Seitenzahl: 179

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019

Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH

© 2019 Ravensburger Verlag GmbH

Text © Gina Mayer

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von

© Parfonovaluliia / iStock (Gesicht Mädchen); © sanneberg / shutterstock (Zopf und Hemd); © hemlep / AdobeStock (Pferd); © Tomasz Zajda / AdobeStock (Landschaft); © snyGGG / AdobeStock (Himmel)

Pferdevignette: © Alinart / depositphotos

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-47966-5

www.ravensburger.de

Über ihm war das Fenster. Dahinter dehnte sich der Himmel aus. Am Tag war er hell. In der Nacht schwarz. Das war alles, was sich in seinem Leben veränderte. Der Himmel, der manchmal hell und manchmal dunkel war.

Wenn er den Kopf hob, konnte er ihn sehen. Wenn er geradeaus starrte, blickte er auf die Bretterwand, die ihn umgab.

Hinter der Wand waren andere Pferde. Er hörte ihre Hufschritte auf dem Boden, das Rascheln von Heu, ihr schrilles Wiehern, wenn sie sich erschreckten. Er roch ihren Schweiß, wenn sie am Morgen von der Rennbahn zurück in den Stall kamen. Nach dem Rennen hatte man sie mit Wasser abgespritzt, aber die Erschöpfung ließ sich nicht abwaschen, sie haftete ihnen an.

Er konnte sie nicht sehen und sie sahen ihn auch nicht. Wahrscheinlich hatten sie ihn längst vergessen, so wie auch er alles zu vergessen begann.

Seit er das Mädchen zu Boden geworfen und getreten hatte, hatte man ihn nicht mehr aus der Box geholt. Die Menschen näherten sich ihm nur noch mit größter Vorsicht. Man gab ihm zu fressen, doch keiner berührte ihn. Niemand wagte es, auf seinen Rücken zu steigen.

Sie wussten jetzt, dass man ihm nicht trauen durfte. Er hätte es wieder getan. Aber das Mädchen wagte nicht mehr, sich ihm zu nähern. Auch der Mann ließ sich nicht mehr blicken.

Tag für Tag stand er allein in seinem Verschlag und starrte auf die Bretterwand. Wenn er den Kopf hob, sah er den Himmel, der abwechselnd hell und dunkel wurde. Aber vielleicht war auch das nur eine Täuschung.

Summer und Chenoa waren zurück zum Ufer geschwommen und an Land gewatet. Nun standen die beiden Pferde auf dem schmalen Sandstrand und knabberten an dem dunkelgrünen Schilf, das aus dem Wasser ragte.

Shaman wäre auch gerne an Land gegangen, das spürte Zoe. Aber er wollte sie nicht allein lassen, mitten im See.

„Du musst keine Angst um mich haben, Shaman“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Isabelle und Cathy passen auf mich auf.“

Zärtlich klopfte sie seinen nassen Hals. Da schnaubte der schwarze Mustang laut und schwamm zurück.

„Hat dir noch niemand gesagt, dass Pferde keine Menschensprache verstehen?“, fragte Cathy ein paar Meter neben Zoe. Ihre pink gefärbten Haare leuchteten auf dem Wasser wie eine Rettungsboje. „Deshalb lernen wir hier in Snowfields ja auch Natural Horsemanship.“

„Das solltest du Shaman erklären, nicht Zoe“, sagte Isabelle, die zu Zoes anderer Seite auf dem Rücken lag. Ihre goldbraunen Haare schwebten auf der Wasseroberfläche wie ein seidener Fächer. „Er sollte sich schämen. Für ein Pferd verhält er sich vollkommen widernatürlich.“ Sie stammte aus Quebec und sprach mit einem bezaubernden frankokanadischen Akzent.

„Ich bin froh, dass es wenigstens ein Pferd gibt, das mich versteht“, sagte Zoe. „Bei den anderen scheitere ich ja regelmäßig.“

Shaman hatte inzwischen das Ufer erreicht. Zoe sah ihm dabei zu, wie er aus dem Wasser stieg. Sein pechschwarzer kraftvoller Körper glänzte im Licht der Sommersonne wie flüssiger Asphalt. Wie schön der Hengst war!

Dann drehte sie sich wie Isabelle auf den Rücken. Auf der Wasseroberfläche liegend, blickte sie in den blauen Sommerhimmel.

Sie fragte sich, wie sie existieren konnte, bevor sie nach Snowfields gekommen war. Der See, der Wald, die Wildnis, all das war ein Teil von ihr. Wie hatte sie es so lange in der Stadt aushalten können?

Zoe und ihre Freundinnen besuchten das renommierte Reitinternat Snowfields Academy im Nordwesten Kanadas. Seit einem Jahr gab es dort eine ganz besondere Klasse mit dem Schwerpunkt Natural Horsemanship. Die Pferdeflüsterer – wie die Schüler vom Rest der Schule genannt wurden – lernten, mit Pferden zu kommunizieren. Ohne Druck, ohne Hilfsmittel und vor allem ohne Worte.

Zoe fiel das unendlich schwer. Im Gegensatz zu ihren Klassenkameraden war sie nicht mit Pferden aufgewachsen, sondern hatte erst vor einem Jahr mit dem Reiten begonnen. Dass sie dennoch auf dem Eliteinternat angenommen worden war, verdankte sie allein Shaman.

Als Zoe dem schwarzen Mustang zum ersten Mal begegnet war, hatte er niemanden in seine Nähe gelassen. Keiner durfte ihn berühren oder gar reiten. Nur Zoe hatte er von Anfang an akzeptiert. Weil sie sich auf eine rätselhafte und absolut unerklärliche Weise verstanden.

Ob mit oder ohne Worte, Shaman spürte genau, was Zoe von ihm wollte. Genau wie Zoe fühlte, was in Shaman vorging.

„Komm schon, Zoe“, sagte Cathy. „Du wirst immer besser. Das Join-up mit Rocky gestern war super.“

„Rocky ist lammfromm“, entgegnete Zoe. „Isabelle hat den verrückten Duke dazu gebracht, ihr freiwillig seinen Huf zu geben. Das nenn ich Pferdeflüstern! So weit werde ich im Leben nicht kommen.“

„Ach, hör auf zu jammern!“ Isabelle drehte sich vom Rücken auf den Bauch. Ihre schönen mandelförmigen Augen musterten Zoe halb amüsiert, halb genervt. „Lasst uns rausgehen. Mir wird langsam echt kalt.“

„Okay!“, rief Cathy. „Wettschwimmen zum Ufer.“

Sie kraulte los, bevor sie den Satz richtig zu Ende gebracht hatte, und war ihren Freundinnen im Nu meterweit voraus.

Cathy schwamm fast so gut, wie sie ritt. Sie war es auch gewesen, die die verborgene Bucht am See entdeckt hatte. Am Anfang war sie immer allein hierhergekommen. Aber vor einigen Wochen hatte sie Zoe ihren Lieblingsort gezeigt. Und heute war zum ersten Mal auch Isabelle dabei. Sie mit zur geheimen Bucht zu nehmen, war der ultimative Vertrauensbeweis für Cathy, das war allen drei Freundinnen klar.

„Versuch gar nicht erst, sie einzuholen“, sagte Zoe, bevor sie sich ebenfalls in Bewegung setzte. „Cathy trainiert heimlich für Olympia.“

Sie und Isabelle schwammen gemächlich zum Ufer und waren noch ein ganzes Stück vom Strand entfernt, als Cathy an Land watete und ihnen zuwinkte.

„He, ihr lahmen Enten!“, rief sie. „Beeilt euch mal, sonst ess ich die Gummibärchen allein auf!“

Später lagen sie auf ihren Handtüchern und ließen sich mit geschlossenen Augen von der Sonne trocknen. Die Sonnenstrahlen flirrten orangerot durch Zoes Lider. Im Wald zwitscherten die Vögel. Ein Specht hämmerte gegen einen Baumstamm.

„Das ist perfekt“, murmelte Isabelle im selben Moment, in dem Zoe es dachte. „Ich will nie mehr hier weg.“

Cathy seufzte. „Das denk ich auch jedes Mal, wenn ich hier bin.“

„Danke, dass du mich mitgenommen hast“, sagte Isabelle.

„Wenn du irgendjemandem von der Bucht erzählst, muss ich dich töten“, knurrte Cathy.

„Niemals“, versicherte Isabelle. Dann quietschte sie laut auf. „Chenoa! Bist du verrückt geworden?“ Sie fuhr in die Höhe und auch Zoe riss erschrocken die Augen auf.

Isabelles schneeweiße Stute stand mit hängendem Kopf neben ihrer Freundin und ließ sich von ihr zwischen den Ohren kraulen. „Sie hat sich vollkommen lautlos angeschlichen“, erklärte Isabelle. „Als ich die Augen aufgemacht habe, sah ich sie plötzlich über mir.“

„Ist eben doch ein Hexenpferd“, spottete Cathy, obwohl sie genau wusste, dass Isabelle das nicht gerne hörte.

Zoe richtete sich nun ebenfalls auf und zog die Knie an den Körper. Sie blickte hinüber zur anderen Seite des Sees. Vor den Bergen mit ihren schneebedeckten Gipfeln war die Snowfields Academy zu sehen. Das Schloss, wie die Schule von den Schülern genannt wurde. Genauso sah das Gebäude ja auch aus – wie ein mittelalterliches Schloss.

Die dicken weißen Mauern des Haupthauses ragten steil nach oben und endeten in einem Gewirr aus spitzen Giebeln und runden Türmen. Dabei war das Gebäude gar nicht so alt. Erst vor hundert Jahren hatte es ein Eisenbahnmillionär erbaut, der sich damit ein Denkmal setzen wollte.

Vom Internat führte ein Weg zum See. Vor einer halben Stunde war die Wiese vor dem Wasser voller Schüler gewesen, die sich sonnten, Ball spielten oder miteinander quatschten. Jetzt waren dort nur noch ein paar vereinzelte Gestalten zu erkennen.

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Zoe.

Isabelle warf einen Blick auf ihr Handy. „Ups! Gleich halb fünf. Wir sollten zurück.“

„Keine Panik.“ Cathy blieb regungslos auf dem Rücken liegen. „Wir haben noch massig Zeit. Im Sommer sehen die das in der Mensa mit dem Abendessen nicht so eng. Ich hab letztens auch um halb acht noch was bekommen.“

„Ich hab um halb acht Probe für das Sommerfest.“ Isabelle stand auf. „Aber wenn ihr noch bleiben wollt – kein Problem. Ich kann auch allein zurückreiten.“

„Nee, Quatsch. Allein verirrst du dich nur im Wald.“ Auch Cathy erhob sich. „Oder ein Bär frisst dich und Chenoa und ruiniert uns damit allen die Sommerferien. Das kann ich nicht verantworten.“

Sie rollten ihre Handtücher zusammen und packten sie ein. Die große Ruhe, die Zoe gerade noch empfunden hatte, war plötzlich weg. Weil Cathy die Sommerferien erwähnt hatte.

Das Schuljahr neigte sich seinem Ende entgegen. Noch sieben Tage bis zum letzten Schultag, an dem in Snowfields traditionell ein großes Sommerfest stattfand, zu dem alle Eltern, Angehörigen und auch die ehemaligen Schüler eingeladen wurden. Zoes Eltern wollten zur Feier anreisen, um am nächsten Tag mit ihrer Tochter nach Hause zurückzufliegen.

Und danach? Kamen acht Wochen Sommerferien, die Zoe in Vancouver verbringen würde. Acht Wochen ohne Stress, Reitunterricht, Hausaufgaben und Prüfungen. Die meisten Schüler freuten sich wie verrückt darauf. Für Zoe war die Vorstellung der blanke Horror.

Eigentlich hatten ihre Eltern mit ihr drei Wochen lang nach Costa Rica fliegen wollen, aber nun hatte ihre Mutter ein wichtiges Konzert in Toronto und ihr Vater konnte wegen eines Mammutauftrags ebenfalls nicht weg. Zoes einzige Freundin in Vancouver, Kim, hatte seit Kurzem einen Freund. Die beiden reisten in den Sommerferien mit einer Jugendgruppe durch Europa. Zoe würde sich zu Tode langweilen.

Wenn ich nur in Snowfields bleiben könnte, dachte sie sehnsüchtig. Die Abgeschiedenheit des Schlosses, die Einsamkeit der Wälder, all das schreckte sie überhaupt nicht. Wieso auch? Shaman war hier. Und Cyprian würde die Ferien ebenfalls in Snowfields verbringen.

Wie immer, wenn sie an ihren Klassenkameraden dachte, machte Zoes Herz einen kleinen Sprung. Cyprian, der Zoes Freundschaft mit Isabelle fast zerstört hätte, ohne es zu wollen. Weil sie beide in ihn verliebt waren.

„Was machst du denn für ein finsteres Gesicht, Zoe?“, fragte Cathy. „Hat dich ein Sandfloh gebissen?“

„Nein. Ich hab nur … Ach, ist ja auch egal.“

„Bereust du es doch, dass du bei der Gala nicht dabei bist?“, fragte Isabelle. „Du kannst immer noch einsteigen. Caleb freut sich, wenn noch ein paar Leute aus unserer Klasse mitmachen.“

Das Sommerfest am Freitagabend würde mit einer spektakulären Galaveranstaltung in der Reithalle beginnen, bei der die Schüler den Zuschauern ihre Reitkünste präsentierten. Isabelle würde auf Chenoa eine Dressurvorführung reiten, auch Cyprian war mit einer Nummer dabei.

Aber Zoe hatte sofort abgewinkt, als ihr Klassenlehrer Caleb Cole ihr vorgeschlagen hatte, doch ebenfalls aufzutreten. Ihr letzter – total missglückter – Auftritt auf der Winterfeier saß ihr noch in den Knochen. Shaman war damals völlig ausgerastet und danach hatte es Monate gedauert, bis der Hengst wieder Vertrauen zu Zoe gefasst hatte.

„Du sollst ja auch nicht auf Shaman reiten“, hatte Caleb gesagt. „Du kannst eines der Schulpferde nehmen. Alejandra, Drew und Haruko bereiten eine Voltigiershow vor. Da kannst du auf jeden Fall noch mit einsteigen.“

Nein danke. Wenn sie schon nicht auf Shaman reiten konnte, dann wollte Zoe lieber gar nicht mitmachen.

„Jetzt ist es wirklich zu spät“, sagte sie zu Isabelle. „Ist doch nur noch eine Woche bis zur Aufführung. Nein, ich setz mich ganz entspannt ins Publikum und genieß die Show.“

„Ich auch“, sagte Cathy. „Schade, dass du das mit der Flöte nicht machst.“

„Sehr witzig!“, erwiderte Zoe.

Mrs. Fitzgerald, die Direktorin der Schule, hatte sie vor einigen Wochen gefragt, ob sie zur Begrüßung ein Stück auf der Querflöte spielen wollte. Denn bevor Zoe ihre Ausbildung zur Pferdeflüsterin in der Snowfields Academy begonnen hatte, war sie mit ihrer Flöte in den größten Konzerthäusern der Welt aufgetreten. Zoe Deventer, das Wunderkind. Ihre Konzerte waren Monate im Voraus ausverkauft gewesen, sie war ein internationaler Star. Aber das hatte sie alles aufgegeben, ohne mit der Wimper zu zucken. Für Shaman und Snowfields.

„Wieso?“ Cathy zog ihre gepiercten Augenbrauen hoch. „Ich hätte dich gerne mal spielen gehört.“

„Ich auch!“, rief Isabelle. „Und wie!“

„Aufbruch“, sagte Zoe und ging mit großen Schritten zu Shaman.

Die Querflöte, die Musik und die Auftritte – das war ihr altes Leben. Das Ganze hatte überhaupt nichts mit der Zoe zu tun, die heute in der Snowfields Academy Pferdeflüstern lernte. Und sie wollte, dass die Leute die alte Zoe endlich vergaßen.

Zoe wusste, dass bei ihren Eltern in Vancouver täglich E-Mails und Briefe aus aller Welt eintrafen, in der ihre Fans Zoe beschworen, doch noch einmal aufzutreten. Sie hatte ihrer Mom verboten, die Fanpost an sie weiterzuleiten. Sie wollte sie nicht sehen, sie wollte nichts davon wissen.

„Es geht vorbei“, tröstete ihr Lehrer Caleb sie immer. „Irgendwann lassen sie dich in Ruhe.“ Er musste es wissen, er war früher ein weltberühmter Turnierreiter gewesen, bevor er sich dazu entschieden hatte, die Pferde nicht mehr nur als Sportgeräte zu sehen, sondern als Partner und Freunde. Und begonnen hatte, ihre Sprache zu lernen.

Heute hatte er eine halbe Stelle als Lehrer an der Snowfields Academy. In der übrigen Zeit arbeitete er mit traumatisierten und schwierigen Pferden. Obwohl die Schule so abgelegen war, brachten viele Pferdebesitzer ihre verstörten Tiere hierher, damit Caleb sie von ihren Ticks und Ängsten befreite.

Manchmal dauerte es Wochen, bis Caleb es schaffte, das Vertrauen eines Pferdes zu gewinnen. Aber es gelang ihm nahezu immer. Und jeder seiner Trainingserfolge trug dazu bei, dass er in der Pferdewelt noch bekannter wurde. Längst bekam er viel mehr Anfragen, als er annehmen konnte. Er war als Pferdeflüsterer mittlerweile genauso berühmt wie früher als Turnierreiter. Der Ruhm bedeutete ihm nichts, aber in seinem neuen Beruf war er im Reinen mit sich selbst, und das zählte.

„Nicht sauer sein, Zoe.“ Isabelle legte ihr einen Arm um die Schulter. „Wir haben es doch nicht böse gemeint. Ich finde es einfach total schade, dass du das Flötespielen so komplett aufgegeben hast.“

Zoe verdrehte die Augen. „Kannst dich am Freitag ja mal mit meiner Mutter darüber austauschen. Ihr werdet euch bestimmt prima verstehen.“

Auf dem Heimweg verflog ihre Missstimmung wieder. Der Wald mit seinen riesigen Nadelbäumen, den mächtigen Buchen und Erlen und den großen Farnen verfehlte seine Wirkung nie. Er machte Zoe ruhig und glücklich.

Nach dem Abendessen setzten sie und Cathy sich auf eine der Bänke in der großen Halle und sahen bei den Proben für die Galaveranstaltung zu.

Syd Okafor und Marcos Snyder aus der Elften hatten eine Nummer mit der Garroche einstudiert – einer langen Stange, die die berittenen Rinderhirten in Spanien früher benutzt hatten, um Stiere auseinanderzutreiben.

Die beiden Schüler kombinierten die traditionelle Technik mit tänzerischen Elementen, das Ganze sah total einfach aus. Aber natürlich war allen in der Halle klar, dass eine Menge harter Arbeit hinter der Vorführung steckte.

Danach kamen Alejandra, Haruko und Drew mit ihrer Voltigiershow. Die Übergänge saßen noch nicht so richtig, aber ansonsten klappte es wirklich gut.

Nach ihnen ritt Evi Steinmann auf dem kleinen Tinker-Hengst Tom auf die Reitbahn. Tom gehörte eigentlich Zoe, sie hatte ihn vor Kurzem gekauft, damit er Snowfields nicht verlassen musste. Weil sie selbst keine Zeit hatte, ihn zu reiten, hatte sie ihn an Evi Steinmann vermittelt, die aus Deutschland kam und noch kein eigenes Pferd hatte. Die zierliche Siebtklässlerin kam super mit Tom zurecht. Der kleine Tinker liebte sie heiß und innig und wäre ihr am liebsten auch in den Schlafsaal gefolgt.

Evi hatte mit Tom eine lustige Zirkusnummer einstudiert. Der Hengst musste zählen, balancieren und Ball spielen – und am Schluss verbeugte er sich wie ein Profi.

„Läuft doch alles super!“, sagte Zoe, nachdem Evi und Tom wieder abgegangen waren. „Wozu proben die überhaupt noch?“

Als Nächstes führte eine Gruppe von Reiterinnen aus der Zehnten einen Tango zu Pferde vor, der allerdings komplett in die Hose ging. Nach zwei misslungenen Versuchen brach die stellvertretende Direktorin Mrs. de Cesco die Nummer ab.

„Was ist denn das für ein Kasperletheater?“, fragte sie ärgerlich. „Ihr habt noch eine Chance. Wenn eure Vorführung morgen Abend wieder so katastrophal ist, wird die Nummer ersatzlos gestrichen.“

Geknickt führten die acht Reiterinnen ihre Pferde aus der Halle.

„Wo sie recht hat, hat sie recht“, sagte Cathy. „Die waren echt unterirdisch.“

„Du stimmst Mrs. de Cesco zu?“, sagte Zoe. „Dass ich das noch erleben darf!“

Mrs. de Cesco war früher selbst eine erfolgreiche Turnierreiterin gewesen und unterrichtete jetzt sowohl Dressur- als auch Springreiten im Reiterinternat. Wegen ihrer Strenge und Unerbittlichkeit war die Lehrerin gefürchtet – sie hatte aber auch eine große Schar an Bewunderern, die sie anhimmelten und alles taten, um ihr zu gefallen. Wer es in Mrs. de Cescos Klasse geschafft hatte, hatte es wirklich geschafft, da waren sich die meisten Schüler einig.

Zoe und Cathy gehörten definitiv nicht zu ihren Bewunderern. Sie hatten beide in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen mit der Lehrerin gemacht und trauten ihr nicht über den Weg.

„Was soll das Gequatsche da oben?“ Nun richteten sich die eisgrauen Augen der stellvertretenden Direktorin auf sie. „Ihr könnt gerne zusehen, aber wer stört, fliegt raus.“

Zoe nickte und presste die Lippen zusammen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Cathy die Augen verdrehte. Aber auch sie schwieg jetzt.

„Weiter geht’s!“ Mrs. de Cesco klatschte in die Hände. „Wir wollen heute ja schließlich auch noch mal fertig werden.“

Den Abschluss der Vorstellung bildete Isabelle auf Chenoa mit einer klassischen Dressurnummer. Die Kür, die sie erst in den letzten Tagen erarbeitet hatte, war viel unspektakulärer als die vorangegangenen Nummern. Dennoch hielt bei ihrem Auftritt die ganze Halle den Atem an. Isabelle und Chenoa waren einfach perfekt. Jede Bewegung stimmte, jeder Schritt passte.

Isabelle war vor drei Wochen vierzehn geworden. Aber genau wie Zoe an der Querflöte war sie ein Vollprofi im Reitsport. Ihrer Familie gehörte das Dufresne Stud & Stallion Breeding in Quebec – das berühmteste Gestüt in Nordamerika.

Isabelle hatte mit drei Jahren mit dem Reiten begonnen und bereits alle wichtigen Nachwuchspreise im Dressurreiten gewonnen. Doch dann hatte sie ihre Karriere als Profireiterin beendet, um künftig die Pferdeflüsterer-Klasse von Caleb Cole zu besuchen.

Isabelle war Zoes beste Freundin in der Snowfields Academy, dennoch konnte Zoe einen Anflug von Neid nicht unterdrücken, als sie sah, wie Isabelle Chenoa von einer Passage in eine makellose Piaffe brachte. Reiterin und Pferd bewegten sich wie ein einziger Körper, anmutig, elegant und mühelos.

Nachdem Isabelle ihre Nummer beendet hatte und aus dem Sattel gesprungen war, brach lauter Applaus aus. Isabelle winkte ab und führte Chenoa von der Reitbahn, als wäre das alles nichts Besonderes.

Es war ja auch nichts Besonderes für sie.

Nur Zoe musste sich alles hart erarbeiten: die Dressurlektionen, das Springen, aber vor allem die Kommunikation mit den Pferden. Während Isabelle einen verstörten Hengst nach wenigen Minuten dazu brachte, ihr wie ein Hündchen zu folgen, kommunizierte Zoe nach ihrem ersten Schuljahr gerade mal einigermaßen mit den braven Schulpferden.

Allerdings stellte Isabelle nicht nur Zoe, sondern jeden ihrer Mitschüler in den Schatten. Der Einzige, der ihr auf der Reitbahn und beim Umgang mit Pferden das Wasser reichen konnte, war Cyprian.

Wo steckte er eigentlich? Zoe hatte von den anderen gehört, dass er ebenfalls an der Gala teilnehmen wollte. Aber die Probe war jetzt zu Ende und er war nicht erschienen.

„Weißt du, wieso Cyprian nicht reitet?“, wisperte sie Cathy zu.

Cathy zuckte mit den Schultern. „Warum fragst du mich das? Du bist doch die große Cyprian-Expertin.“

Die große Cyprian-Expertin. Schön wär’s, dachte Zoe. Sie kannte Cyprian um einiges besser als Cathy, das stimmte, aber mit seiner schweigsamen Art gab er ihr ständig Rätsel auf.

Ob er die Probe hatte ausfallen lassen, weil er krank war? Hoffentlich nicht, dachte sie. Heute war Freitag und am Wochenende trafen Cyprian und Zoe sich immer in aller Frühe zum Ausreiten. Bevor die anderen Schüler überhaupt aus den Federn gekrochen waren, hatten sie schon ihre Pferde gesattelt und galoppierten am See entlang oder durch den Wald.

Für Zoe waren diese Ausritte das Highlight der Woche, sie hätte sie niemals abgesagt. Sie war sich nicht ganz sicher, was die gemeinsame Zeit für Cyprian bedeutete, ob er sich darauf freute oder eher aus Gewohnheit mit Zoe ausritt. Auf jeden Fall hatte er sie noch nie versetzt.

Sie zog ihr Handy aus der Tasche und checkte ihre Nachrichten. Cyprian hatte sich nicht gemeldet. Erleichtert schob sie es zurück in die Jeans.

„Ich frag ihn morgen mal, warum er nicht dabei war“, flüsterte sie Cathy zu.

Zoe war noch vor dem Weckerklingeln wach. Als sie aus dem Bett stieg und in ihre Reithose schlüpfte, fiel ihr Blick aufs Nachbarbett, in dem Cathy schlief. Nur ein paar Strähnen ihrer pink gefärbten Haare ragten unter der Decke hervor. Im Bett über ihr schnarchte Drew und über Zoe lag Haruko. Es war sechs Uhr am Samstagmorgen, keine von Zoes Zimmergenossinnen dachte jetzt schon ans Aufstehen.

Zoe warf einen schnellen Blick aus dem Fenster und verzog das Gesicht. Es war, als hätte ein Riese seine nasse Bettwäsche über das Schloss gehängt. Ein dichter grauer Nebel verdeckte die Sicht auf die Wiesen und den See. Hoffentlich löste er sich schnell auf.

Aber als sie die kleine Steinbrücke überquerte, die über den Burggraben führte, schien sich der Dunst noch stärker zusammenzuziehen. Wie durch einen weißen Tunnel lief sie den Weg zur großen Koppel hinunter. Man konnte gerade noch die Baumstämme und die unteren Zweige der Büsche sehen, die direkt am Weg standen. Der Rest löste sich im Nebel auf.