Pferdeflüsterer-Academy, Band 6: Calypsos Fohlen - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 6: Calypsos Fohlen E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Seit Zoes Freund Cyprian sein schwer traumatisiertes Pferd wiederhat, hat er überhaupt keine Zeit mehr für sie. Jede freie Minute verbringt er mit dem Appaloosa-Hengst, um sein Vertrauen zurückzugewinnen. Als Zoe eines Abends mit Cyprian reden will, bemerkt sie einen Eindringling auf dem Schulgelände. Und dieser scheint es nur auf eines abgesehen zu haben: ein unglaublich wertvolles Fohlen … Entdecke alle Abenteuer an der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit

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Seitenzahl: 179

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2020

Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag

Text © Gina Mayer

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von

© loya_ya / AdobeStock (Pferde);

© James_wheeler / AdobeStock (Landschaft);

© Ryszard Stelmachowic / AdobeStock (Landschaft, Berge);

© Parfonovaluliia / iStock (Gesicht Mädchen);

© Cookie Studio / Shutterstock (T-Shirt Mädchen)

Pferdevignette: © seamartini / 123RF

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH,

Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51054-2

www.ravensburger.de

Heute Nacht geht es los.

Ich will unbedingt dabei sein. Ich habe noch nie miterlebt, wie ein Fohlen geboren wird.

Aber Dad schüttelt den Kopf. Und Mom ist ebenfalls dagegen.

Kinder brauchen ihren Schlaf, sagt sie.

Sonst streiten die beiden über jeden Mist, aber heute sind sie sich einig. Sie wollen, dass ich zu Hause bleibe.

Nach dem Abendessen geh ich ins Bett, aber ich schlafe nicht wirklich, sondern schleiche mich aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und in die Garage.

Ich steige in Dads Wagen und lege mich auf die Rückbank.

Kurz danach kommt Dad. Ich bin ganz still, damit er mich nicht bemerkt. Es funktioniert.

Er fährt los und dann sind wir schon auf dem Highway. Wir fahren zu Mr. Callahans Farm, seine Stute fohlt nämlich.

Kinder brauchen ihren Schlaf.

So ein Quatsch!

Ich bin kein Kind mehr. Und wenn ich mir etwas vornehme, dann schaff ich es auch.

Shamans Atem verwandelte sich in der frischen Morgenluft zu weißem Dunst. Auch von seinem verschwitzten Fell stieg ein feuchter Nebel auf.

Zoe sprang vom Rücken des schwarzen Mustangs und führte ihn über die breite Steinbrücke, hinter der das Hauptgebäude der Snowfields Academy lag. Im Wassergraben stritten sich ein paar Enten mit lautem Geschnatter. Hinter dem Steg bog Zoe zum Sattelplatz ab.

Sie brauchte Shaman nicht abzutrensen, der Hengst trug weder Zaumzeug noch Sattel. Zoe ritt ihn am liebsten ohne Gebiss und Zügel, auch wenn das in Snowfields nicht allzu gerne gesehen wurde.

Sie kratzte seine Hufe aus, rieb ihn trocken und striegelte sein pechschwarzes Fell, bis es im Sonnenlicht glänzte, dass es fast in den Augen schmerzte.

Shaman schmiegte seinen Kopf an ihren Oberarm. Sie lehnte sich an seinen Hals, schloss für einen Moment die Augen und genoss die Wärme, die er verströmte. Die Ruhe, die sich in ihr ausbreitete.

„Na, du Frühaufsteherin?“ Die Männerstimme kam ganz aus der Nähe.

Als sie sich umdrehte, sah sie Caleb, einen Sattel im Arm.

„Guten Morgen.“ Er lächelte sie an und Zoe spürte sofort, wie die Nervosität in ihrer Brust zu flattern begann. Seit einem Jahr war sie nun schon in Calebs Pferdeflüsterer-Klasse in der berühmten Snowfields Academy. Sie sah ihren Lehrer fast täglich, und dennoch wurde sie immer noch ein bisschen aufgeregt, wenn sie ihm außerhalb des Klassenzimmers begegnete.

„Guten Morgen.“ Sie lächelte zurück, aber Caleb war bereits in der Sattelkammer verschwunden. Durch die geöffnete Tür sah sie, wie er den Sattel über eine der Stangen hängte. Ihr Lehrer war wie immer ganz in Schwarz gekleidet, von dem breitkrempigen Hut auf seinem Kopf bis zu den Cowboystiefeln an seinen Füßen. Auch seine langen Haare waren schwarz, er hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden.

„Alles klar bei euch?“ Nun kam er wieder heraus und klopfte zärtlich Shamans Hals.

Der Mustang gehörte ihm, und doch wäre es vor einem Jahr undenkbar gewesen, dass Caleb so beiläufig neben ihn trat, um ihn zu streicheln. Damals hatte der verstörte Shaman niemanden an sich herangelassen – außer Zoe, die er aus rätselhaften Gründen von Anfang an akzeptiert hatte.

„Alles bestens“, sagte sie. „Wir waren unten am See. Es war traumhaft.“

„Und Cyprian?“, fragte Caleb. „Warum ist er nicht mit?“

Normalerweise ritten Cyprian und Zoe am Wochenende immer gemeinsam aus. Jeden Samstag- und Sonntagmorgen trafen sie sich noch vor dem Frühstück am Sattelplatz, und dann trabten sie eine Stunde lang über die Wiesen oder galoppierten durch den Wald.

Diese Ausritte mit Cyprian waren Zoes liebste Zeit. Aber heute hatte er sie versetzt.

„Er ist bei Eclipse“, sagte sie.

Caleb nickte. Seine Wangenknochen mahlten. „Er kommt nicht weiter“, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr.

Sie nickte, obwohl es keine Frage gewesen war.

„Es ist eine verdammt harte Zeit für ihn“, sagte Caleb.

Eine verdammt harte Zeit, das stimmte. Für Cyprian, aber auch für sie.

Zoe griff nach Shamans Halfter. Sie würde den Mustang auf die Koppel bringen und dann frühstücken. Wie auf ein Stichwort begann ihr Magen zu knurren.

„Kannst du mir einen Riesengefallen tun?“, fragte Caleb, als sie sich gerade in Bewegung gesetzt hatte.

„Was für einen?“

„Ich hab gleich eine Besprechung mit ein paar Kollegen. Aber im Laufe des Vormittags kommt ein Pferdetransporter hier an.“

„Ein neuer Fall?“, fragte Zoe.

Caleb hatte nur eine halbe Stelle als Lehrer an der Snowfields Academy. In der übrigen Zeit arbeitete er mit traumatisierten und schwierigen Pferden. Manchmal dauerte es Wochen, bis er es schaffte, das Vertrauen eines Pferdes zu gewinnen. Aber es gelang ihm nahezu immer. Und jeder seiner Trainingserfolge trug dazu bei, dass er in der Pferdewelt noch bekannter wurde. Längst bekam er viel mehr Anfragen, als er annehmen konnte.

Die Leute rissen sich darum, dass er ihre Problempferde therapierte. Obwohl die Schule so abgelegen war, brachten viele ihre verstörten Tiere hierher, damit Caleb sie von ihren Ticks und Ängsten befreite.

Caleb nickte. „Ein Wallach aus Alberta. Ich würde ihn gerne selber in Empfang nehmen, aber ich kann nicht aus der Konferenz raus.“

Zoes Herz schlug schneller. „Soll ich das Pferd …?“

Caleb schüttelte den Kopf, bevor sie den Satz zu Ende gebracht hatte. „Danke, Zoe. Aber das ist keine gute Idee. Ich kenn das Tier selbst noch nicht. Ich möchte, dass Cyprian ihn auf die kleine Koppel bringt. Oder Isabelle.“

„Alles klar.“ Zoe senkte den Blick auf ihre Reitstiefel, damit Caleb die Enttäuschung in ihrem Gesicht nicht sah. Cyprian oder Isabelle. Die beiden waren die Besten in Calebs Klasse und gingen ihm bei seiner Arbeit als Assistenten zur Hand. Zoe bat er dagegen nur um Hilfe, wenn es darum ging, etwas zu holen oder jemanden zu suchen. „Ich sag ihm Bescheid.“

Sie fand Cyprian im Round-Pen hinter dem Stall. Er lehnte mit dem Rücken zu ihr am Gatter, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick zu Boden gesenkt. Auf der anderen Seite des Reitplatzes stand Eclipse.

Der Appaloosa-Hengst war Cyprians Pferd, sein Vater hatte ihn Cyprian geschenkt, nachdem seine Mutter gestorben war. Cyprian war mit Eclipse aufgewachsen, er hatte praktisch seine ganze Kindheit auf dem Rücken des Pferdes verbracht. Als Cyprian zehn war, waren sie zusammen bei den ersten Nachwuchsrennen gestartet. Vier Jahre später holten sie bei allen großen Rennen die Goldmedaille.

Doch von einem Tag auf den anderen war alles vorbei. Cyprians spielsüchtiger Vater, dem Eclipse offiziell immer noch gehörte, verzockte das Pferd bei einer Wette.

Aber vor ein paar Wochen hatte Cyprian Eclipse wiedergefunden. Und mit Zoes Hilfe hatte er es geschafft, den Hengst nach Snowfields zu bringen.

Ende gut, alles gut.

Schön wär’s, dachte Zoe, während sie an die hölzerne Absperrung trat, die den Round-Pen umgab. Nichts war gut.

Eclipse war nicht mehr er selbst.

Früher war er ein freies, starkes Tier gewesen, selbstbewusst und ruhig. Nun stand er mit hängendem Kopf da. Das hellbraune Fell mit den Leopardenflecken, die seinen Körper vom Hals bis zu der Kruppe bedeckten, war glanzlos, genau wie seine Augen.

Eclipse schien Cyprian gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, aber das täuschte. Zoe wusste, dass der Appaloosa seine Umgebung aufmerksam beobachtete. Und sobald ihm jemand zu nahe trat, sobald einer versuchte, ihn zu berühren, rastete er aus.

Vor ein paar Monaten hatte der Hengst eine junge Frau schwer verletzt. Er hätte sie zu Tode getrampelt, wenn man ihn nicht von ihr weggezerrt hätte.

Und das würde er auch mit Cyprian machen, dachte Zoe. Er würde ihn gnadenlos niedertreten, wenn er sich von ihm bedrängt fühlte.

Sie stand jetzt genau hinter Cyprian, zwischen ihnen lag nur die hölzerne Absperrung. Sie schlang ihre Arme von hinten um seinen Körper, legte ihr Gesicht in seinen Nacken.

Und spürte, wie sich sein Körper versteifte. Wie er erschrak, aber nicht zusammenfuhr. Keine plötzlichen Bewegungen in Gegenwart eines traumatisierten Pferdes. Das war eine der ersten Regeln, die man als Pferdeflüsterer lernte.

„Zoe?“ Nun wandte er den Kopf zu ihr. Zoe sah seine Augen, die in einem fast unnatürlich hellen Blau leuchteten. Wie der Himmel, wie ein Bergsee in der Frühlingssonne. „Meine Güte, hast du mich erschreckt.“

„Sorry. Das wollte ich nicht. Ich dachte, du hättest mich schon gehört.“

Er griff nach hinten, nahm ihre Hand und hielt sie fest, dabei ließ er Eclipse keine Sekunde aus dem Blick.

Er traut ihm nicht, dachte Zoe, und das ist gut so.

„Caleb hat mich zu dir geschickt. Im Laufe des Vormittags kommt ein neues Pferd hier an. Er möchte, dass du beim Ausladen hilfst.“

„Das geht nicht.“ Cyprian ließ ihre Hand los. „Ich kann hier jetzt nicht weg.“

Zoe unterdrückte ein Seufzen. Cyprian verbrachte jede freie Minute mit Eclipse, er hatte sich dafür sogar von seinem Job als Pferdepfleger auf Snowfields beurlauben lassen. Aber es brachte nichts. Er kam keinen Schritt weiter.

Der Hengst war immer noch genauso misstrauisch und ängstlich wie im Sommer, als er hier angekommen war. Auf der Koppel hielt er sich fern von den anderen Tieren. Er war kein Teil der Herde.

Er hat die Pferdesprache vergessen, sagte Caleb. Eclipse muss wieder lernen, mit den anderen Hengsten zu kommunizieren. Erst dann kann er auch Vertrauen zu Menschen aufbauen.

Cyprian verstand das, aber er wollte es nicht akzeptieren. Eclipse war sein bester Freund, sein Bruder, sein Seelenverwandter. So eine tiefe Verbindung konnte doch nicht verloren gehen.

„Ich kann ja Isabelle fragen, ob sie für dich einspringt“, sagte Zoe.

„Das wäre super.“

„Hast du schon gefrühstückt?“

Er schüttelte den Kopf, ohne sie anzusehen. „Später.“

Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Er lächelte. Zärtlich und ein bisschen zerstreut.

Später. Das galt im Moment für alles, auch für Zoe.

Der Speisesaal war noch ziemlich leer. Die meisten Schüler ließen am Wochenende das Frühstück ausfallen und standen erst zum Mittagessen auf. Unter der Woche begann der Unterricht oft schon um halb sieben. Der Stundenplan war voll – mit Reitunterricht und Theoriestunden, Pferdekunde, Ausdauertraining und den normalen Unterrichtsfächern.

Wer das renommierte Reitinternat im Nordwesten Kanadas besuchen wollte, musste eine harte Aufnahmeprüfung bestehen, nur die Besten wurden genommen.

Bereits während der Schulzeit nahmen die Schüler an internationalen Turnieren teil, die Snowfields Academy galt als perfektes Sprungbrett für eine Karriere als Profireiter. Die Liste der Schüler, die bei Wettkämpfen in aller Welt Medaillen und Auszeichnungen errungen hatten, war beeindruckend lang.

Auch in allen anderen Fächern waren die Anforderungen hoch. Am Ende ihrer Schulzeit sollten die Schüler schließlich in der Lage sein, die gleichen Abschlussprüfungen zu machen wie auf einer normalen Schule.

Calebs Pferdeflüsterer-Klasse war ein Sonderfall. Beim Pferdeflüstern ging es nicht um sportliche Höchstleistungen, sondern darum, Vertrauen zu einem traumatisierten oder verängstigten Tier aufzubauen. Caleb suchte seine Schüler persönlich aus – andernfalls wäre Zoe auch nie in Snowfields angenommen worden. Sie hatte erst vor einem Jahr mit dem Reiten begonnen.

Ihr Blick glitt über die wenigen Personen in der Mensa. Isabelle war nicht hier. Als Zoe ihr eine WhatsApp-Nachricht schrieb, sah sie, dass ihre Freundin um halb drei Uhr morgens noch online gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie mit ihrem Bruder gechattet, der gerade nach England gezogen war. Das machte sie oft. Jetzt schlief sie bestimmt noch.

Auch nachdem Zoe ihr Frühstück beendet hatte, tauchte Isabelle nicht auf. Was nun? Zoe musste sie aufwecken, es half alles nichts.

Als sie die Mensa verließ, begegnete sie Haruko, die ebenfalls in die Pferdeflüsterer-Klasse ging.

Haruko blieb vor ihr stehen. „Gut, dass ich dich treffe, Zoe. Weißt du vielleicht, wo Caleb ist?“

„In einer Besprechung“, sagte Zoe. „Was gibt’s denn?“

„Da ist ein Typ am Empfang, der ihn sprechen will. Es geht um einen neuen Patienten.“

Der Transporter! Er war also schon angekommen.

„Ich kümmere mich darum“, versprach Zoe und rannte los.

Der kräftige Mann, der vor der Rezeption in der Empfangshalle wartete, hatte eine Glatze und einen mächtigen roten Bart. Es sah aus, als wäre sein Haar vom Kopf an sein Kinn gerutscht.

„Bringen Sie den Wallach für Caleb Cole?“, fragte Zoe ihn.

„Ganz genau. Bin schneller durchgekommen, als erwartet. Weißt du, wo ich ihn finde?“

„Mr. Cole kann grad nicht“, sagte Zoe. Die Uhr am Empfang zeigte gerade mal halb neun. Isabelle schlief bestimmt noch. Und Cyprian würde total genervt reagieren, wenn Zoe ihn noch mal störte. „Aber … äh … ich kann Ihnen gerne helfen.“

Der Mann musterte sie zögernd. „Du?“

„Ich bin seine …“ Schülerin, wollte Zoe sagen, aber dann schluckte sie das Wort hinunter. „Assistentin“, sagte sie stattdessen. „Zoe.“ Sie streckte dem Mann die Hand hin.

„Ich bin Tyson.“ Er schlug ein. „Dann lass uns mal runter zum Wagen gehen.“

Auf dem Weg zum Parkplatz kam ihnen einer der Pferdepfleger entgegen. Brent führte Calypso am Halfter, eine große weiße Araberstute. Ihr Bauch war prall und rund wie ein Ball und schwang bei jedem Schritt hin und her.

„Oh, hier gibt’s bald Nachwuchs.“ Tyson blieb einen Moment lang stehen, um die Stute zu begutachten. „Schönes Tier. Wie lang dauert es denn noch?“

„Drei oder vier Wochen.“ Der Pfleger klopfte die Flanke der Araberstute. „Calypso zieht heute in die Abfohlbox um.“

Calypso gehörte Ellen de Cesco, die in Snowfields Spring- und Dressurreiten unterrichtete. Die Lehrerin hatte die Stute im vergangenen Jahr zum ersten Mal decken lassen.

Zoe hatte einige sehr schlechte Erfahrungen mit der stellvertretenden Direktorin gemacht. Aber es berührte sie, wie aufgeregt die Lehrerin in letzter Zeit war. Mrs. de Cesco liebte Calypso wie ihr eigenes Kind und machte sich große Sorgen um die Stute.

„Und da kommt sie heute schon in die Abfohlbox?“ Tyson verstand offensichtlich etwas von Pferden. „Bisschen früh, oder?“

„Fand Dr. Bell auch.“ Brent grinste. „Hätte er mal besser für sich behalten sollen.“

„Wieso?“, fragte Zoe.

„Mrs. de Cesco hat ihn rausgeworfen.“ Brent senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Raunen. „Der Doc hat wohl ein bisschen zu oft widersprochen. Mrs. de Cesco hat jetzt einen neuen Tierarzt engagiert, der wird in den nächsten Tagen hier einfliegen und soll die Geburt überwachen.“

„Was für ein Wirbel!“ Zoe schüttelte den Kopf.

„Wirbel?“ Brents Grinsen wurde noch breiter. „Pass auf, was du sagst. Hier geht es schließlich nicht um irgendein Pferd, sondern um …“

Weiter kam er nicht. „Da sind Sie ja, Brent!“, drang eine laute Frauenstimme zu ihnen herüber. „Wie lange soll ich eigentlich noch warten? Ich würde Calypso gerne heute noch in ihre Box bringen.“

Im Durchgang zum Innenhof stand Mrs. de Cesco. Die stellvertretende Direktorin war groß und schlank, ihr graublondes Haar hatte sie zu einem straffen Zopf gebunden. Ihr Gesicht war schmal, ebenmäßig und hart wie Marmor.

Wie immer, wenn sie plötzlich auftauchte, hatte Zoe das Gefühl, dass die Temperatur um ein paar Grad sank.

Brent hastete mit Calypso weiter, ohne sich von Zoe und Tyson zu verabschieden.

„Dann wollen wir mal.“ Tyson klatschte in die Hände und rieb die Handflächen gegeneinander, als sie den Parkplatz vor der Schule erreicht hatten. „Wo muss der Kandidat denn hin?“

„Auf die kleine Koppel oben am Schloss. Sind nur ein paar Meter. Können Sie ihn rausholen?“

Der Mann marschierte zur hinteren Klappe und machte sie auf. Zoe sah einen hellbraunen Pferdehintern mit schwarzem Schweif. Er wirkte zum Glück sehr entspannt. Genau wie der Rest des Pferdes, der nun rückwärts aus dem Hänger trat.

Auch als Zoe näher trat, um den Wallach zu begrüßen, blieb er gelassen.

„Bitte schön.“ Der Fahrer reichte ihr den Strick, den er soeben am Halfter befestigt hatte. „Keine Angst, Macareno ist ein ganz ruhiger Vertreter seiner Art. Hat mir überhaupt keine Probleme gemacht und wir waren echt lang miteinander unterwegs.“ Er klopfte den Hals des Wallachs. „Er mag bloß keinen Lärm. Bring ihn schon mal auf die Weide. Ich hole eben noch die Unterlagen und seine Papiere aus dem Auto und komm dann nach.“

Zoe holte tief Luft. Hoffentlich begegnete ihr Caleb nicht. Aber der war ja in seiner Besprechung.

„Alles klar.“

Macareno zeigte keine Anzeichen von Nervosität oder Angst, als Zoe ihn an der Schlossmauer vorbei zum hinteren Bereich des Schulgeländes führte.

Dummerweise lag die kleine Koppel ganz in der Nähe des Round-Pens, in dem Cyprian mit Eclipse arbeitete. Wenn er Zoe mit dem fremden Pferd sah, würde er eins und eins zusammenzählen und wüsste Bescheid. Cyprian würde sie nicht bei Caleb verpfeifen, da war sich Zoe sicher, aber er wäre ziemlich sauer auf sie.

Hättest es ja selber machen können, dachte sie ärgerlich.

Macareno senkte den Kopf, um an einem Grasbüschel zu schnuppern. Doch als Zoe sanft am Seil zog, setzte er sich sofort wieder in Bewegung. Warum er wohl hier war? Der Wallach wirkte so ausgeglichen und zufrieden, es war schwer vorstellbar, dass sein Besitzer irgendwelche Probleme mit ihm hatte.

Inzwischen hatten sie die Koppel fast erreicht. Nur noch ein paar Meter, dann war es geschafft. Auch den Round-Pen konnte man jetzt sehen. Cyprian drehte Zoe den Rücken zu, er würde sie nicht bemerken. Eclipse war bei ihm, da spielte alles andere keine Rolle.

Zoe streckte die Hand aus und zog den Riegel hoch, mit dem das Gatter gesichert war. Um das Tor öffnen zu können, musste sie den obersten Balken ein Stück anheben. Und in diesem Moment flatterte ein Vogel aus dem Gebüsch neben ihr. Sie erschreckte sich so, dass sie den Balken losließ. Er krachte nach unten.

Zoe fuhr zu Macareno herum, aber es war schon zu spät.

Der Wallach war in heller Panik. Er warf seinen hellbraunen Kopf in die Höhe, rollte mit den Augen und stieg.

„Hoo!“ Zoe hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht an das Halfterseil.

Einer von Macarenos Vorderhufen sauste dicht an ihrer Stirn vorbei. Sie duckte sich, um ihm auszuweichen, und verlor das Gleichgewicht.

Bloß nicht das Seil loslassen! Sie umklammerte es mit beiden Händen, während sie zu Boden fiel.

Der heftige Ruck am Halfter gab Macareno den Rest. Seine Vorderhufe knallten auf die Erde, schon bäumte er sich erneut auf und dann galoppierte er los.

Weil Zoe immer noch an dem Seil hing, wurde sie hinter ihm hergezogen. Grashalme peitschten ihr ins Gesicht, Kiesel und Dreck spritzten in alle Richtungen. Jetzt entglitt ihr das Seil. Macareno stob davon, Zoe blieb liegen.

Ihr Schädel dröhnte, in ihren Ohren rauschte es. Mühsam hob sie den Kopf, aber der Wallach war verschwunden.

„Um Gottes willen!“ Tyson ging neben ihr in die Knie. „Hast du dir wehgetan?“

„Alles okay.“ Zoe richtete sich auf. Ihre Jeans war an beiden Knien aufgerissen und blutverschmiert. Und ihr Gesicht brannte, wahrscheinlich war es total zerkratzt, aber das alles war ihr im Moment egal. „Wo ist Macareno?“

Der Weg, auf dem er verschwunden war, führte am Stall vorbei zu den Reithallen. Dahinter breiteten sich Wiesen und freie Felder aus. Es gab keinen Zaun, kein Gatter, das den Wallach aufhalten konnte.

„Wir müssen ihm nach“, stieß sie mit rauer Stimme hervor.

„Ganz ruhig“, sagte der Fahrer. „Ist doch alles in Ordnung.“

Er zeigte auf Cyprian, der am Ende des Weges wartete und Macareno am Halfter hielt. Der Wallach stand seelenruhig neben ihm und ließ sich den Hals tätscheln.

Zoes Erleichterung verflog gleich wieder, denn neben dem Wallach tauchte eine zweite Gestalt auf. Schwarzer Cowboyhut, schwarze Kleidung, schwarze Stiefel.

Caleb.

Ihr Lehrer kam mit großen Schritten auf sie zu. Er geriet selten aus der Ruhe, aber jetzt war es unverkennbar, dass er wütend war.

„Kannst du mir das bitte erklären, Zoe?“, fragte er scharf.

Zoe wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, aber als sie die Hand sinken ließ, sah sie, dass es gar kein Schweiß war, sondern Blut. Die Ungeduld in Calebs Blick verschwand, offenbar fiel ihm jetzt erst auf, wie lädiert sie aussah.

„Bist du okay?“ Nun klang er besorgt.

Sie nickte, obwohl es nicht stimmte. Sie war nicht okay, ihr war schwindlig und übel. Ihre Beine waren kraftlos und ihre Knie fühlten sich an, als wären sie aus Matsch. Sie schwankte und wäre umgefallen, wenn Caleb sie nicht im letzten Moment festgehalten hätte.

„Du musst auf die Krankenstation.“

„Nein!“ Zoes Stimme überschlug sich vor Schreck. „Bitte nicht!“

Auf der Krankenstation führte Schwester Peacock das Regiment, die Zoe in den letzten Monaten schon einige Male verarztet hatte. Die Schwester würde Zoe erst einen langen Vortrag über die Gefahren des Reitens halten und dann dafür sorgen, dass sie mindestens drei Wochen lang nicht mehr auf ein Pferd durfte. Bloß das nicht.

„Das sind nur ein paar Kratzer“, protestierte sie. „Ich bin okay, wirklich.“

Caleb betrachtete sie skeptisch, ohne sie dabei loszulassen.

„Also gut.“ Dann wandte er sich an Tyson. „Entschuldigen Sie das Durcheinander. Ich muss mal eben meine Schülerin verarzten. Mein Assistent kümmert sich um Macareno.“ Er wies mit dem Kopf auf Cyprian, der den Wallach inzwischen auf die Koppel gebracht hatte.

Zoe unterdrückte ein leises Stöhnen. Sie war die Schülerin, Cyprian war der Assistent. So waren die Rollen verteilt und daran würde sich so schnell nichts ändern.

Vielleicht hätte sie doch lieber auf die Krankenstation gehen sollen. Schwester Peacocks Vortrag über die Gefahren des Reitens wäre inzwischen bestimmt vorbei. Caleb hörte dagegen nicht auf zu predigen.

Zoe saß in seinem Blockhaus auf dem Sofa. Die Kratzer und Risse, die sie sich bei ihrem Sturz zugezogen hatte, waren desinfiziert und verbunden. Sie fühlte sich auch nicht mehr schwindlig, aber Caleb dachte nicht daran, sie zu entlassen.