Pfister - Heinz Emmenegger - E-Book

Pfister E-Book

Heinz Emmenegger

4,8

Beschreibung

Ein Frühjahrsnachmittag, an dem alles anders wird. Pfister, Held, ist nichts ausser er selbst und doch Katalysator für das Glück aller. Pfister wird nun berühmt. Denn heute kommt der berühmte TV-Moderator Bärtschi und sein Team, um mit Pfister und seiner Frau Heidi im Garten zu grillen und über Gott und die Welt zu reden - für seine Sendung. Es ist Frühling, irgendwo in der Vorstadt. Die Riesensteaks stammen vom nahen Metzger Schwegler, Pfister hat seine Heimorgel für ein Ständchen vorbereitet, der Wein schmeckt allen, das Wetter ist gut. Aber es wird viel passieren am heutigen Nachmittag. Der Alkoholiker Bärtschi wird auf dramatische Weise einiges begreifen, jemand in seinem Team wird sich verlieben, der Nachbar Martin einen Schritt aus der Trauer um seine Frau herauswagen. Metzger Schwegler wird seine Parallelwelt offenbaren. Zu all dem spielt Pfister fetzige Lieder auf der Heimorgel und am Schluss weiß Heidi, dass niemand diesen Nachmittag so schnell vergessen wird. Heinz Emmeneggers Debütroman ist in seiner Geschichte, der Sprache, der Figurenzeichnung ein Ereignis, ein geglücktes Wagnis. Wer sich auf "Pfister" einlässt, wird mit neuem Blickwinkel durch die Welt gehen, und es ist ein besserer, schärferer, witzigerer.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 193

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
14
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



www.salisverlag.com

ÜBER DEN AUTOR

Heinz Emmenegger (*1964), lebt in Zürich. Er entdeckte das belletristische Schreiben während einer missglückten Seminararbeit zu Platon und der magischen Hilfe eines damals ganz neuartigen Schreibcomputers. Seither arbeitet er nur noch an Orten mit schöner Aussicht. »Pfister« ist ein erster Ausschnitt eines ganzen Figurenkabinetts und das erste Buch bei Salis, das zuerst als eBook erscheint. Emmeneggers Inspirationen kommen häufig aus den Kürzestgeschichten, die als Hunderterserien in kleinen Kartonboxen erhältlich sind (»Storybox«). Auch Fredi Pfister tauchte in einer solchen Kürzestgeschichte ganz unerwartet auf und entwickelte sich prächtig.

Herr Pfister tummelt sich übrigens auch auf Facebook

www.heinzemmenegger.chwww.pfister.li

Heinz Emmenegger

PFISTER

In memoriam Bessie Nager

Heinz EmmeneggerPfisterRoman

Salis Verlag AG, Zü[email protected]

Lektorat: Patrick Schär, BaselKorrektorat: Ina Serif, Freiburg im BreisgauCovergestaltung: Salis Verlag AG

1. Ausgabe 2011© 2011, Salis Verlag AG, ZürichAlle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-905801-46-0

Die Personen und Handlungen des vorliegenden Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, Institutionen oder Begebenheiten ist rein zufällig.

Pfister trat vors Haus. Er wurde jetzt berühmt. Die Sonne schien ihm auf die Füße, die in gefütterten Lederpantoffeln steckten. Um elf wollten sie kommen. Noch zwei Stunden blieben. Heidi machte Frühstück, geputzt hatte sie gestern schon. Die Zeitung lag im Briefkasten, drei Meter entfernt. Pfister blieb noch eine Weile stehen, ließ der Zeitung Zeit, genoss lieber den Morgen, einen Frühlingsmorgen mit Vögeln und allem Drum und Dran. Zwei Meter neben dem Briefkasten, da würden sie den Wagen hinstellen, um elf. Pfister würde öffnen, vielleicht auch Heidi, und draußen stände dann ein netter Herr, begleitet von einer netten jungen Frau und einem weiteren netten Herrn, der, ein wenig stiller als die anderen zwei, die Kamera tragen würde.

Pfister überlegte, ob er zur Vorbereitung schon morgens einen Schluck Alkohol zu sich nehmen sollte, verwarf das aber, erst stand der Kaffee an. Aber danach könnte er am Volvo herumbasteln und sich überraschen lassen, um elf, wenn sie dann kämen. Das wäre ganz nett, Pfister unter dem Volvo. Aber unter dem Volvo war alles in Ordnung. Oder die Garage aufräumen und dann daraus heraustreten, ein schmieriges Handtuch knetend, um daraufhin allen die Hand zu schütteln. Dummes Zeug. Pfister vergaß die Zeitung, machte rechtsumkehrt und trottete ins Haus zurück.

Heidi hatte übertrieben aufgeräumt, alle Heimeligkeit und Lässigkeit war weggeputzt. Es roch nach Kaffee. Heidi war stolz auf ihren Pfister, sie strahlte in der Küche vor sich hin, freute sich über das Morgenlicht, das den eben erst gefüllten Toaster beleuchtete, und stellte sich ihre Hingabe nochmals vor, die sie sich vor einer halben Stunde gegönnt hatte, auf ihrem Pfister hockend, hübsch gemütlich auf und ab, Händchen haltend. Da schlurfte er in die Küche und fasste sie leider nicht von hinten an, ein untrügliches Zeichen, dass er mit dem Erfolg haderte. Wortlos, mit Händen voller Wärme, drehte sie sich um, nahm es hin, vor einem Pantoffelhelden zu stehen, und legte ihre Hand in seinen Nacken.

Pfister ließ sich kraulen, genoss es, stellte aber fest, dass sie wieder von ihm abließ, was ihn erstaunte und im Ungewissen ließ über ihre Absichten. Aber glücklich schien sie. Er wollte es ihr nicht nehmen und beteiligte sich daran, lächelte vor sich hin, zur Lockerung, warf einen interessierten Blick in den Toaster, schaute ihr zu beim Eierwasseraufsetzen. Das war genug. Er lächelte nochmals, ganz kurz, diesmal für sie, nahm geschwind die Brötchen, Teller und Besteck zur Hand und eilte damit weg zum Esstisch.

Pfister wurde es unheimlich. Knapp konnte er noch den ganzen Frühstücksplunder auf dem Tisch absetzen. Er wurde jetzt berühmt, kein Pfister mehr, ein anderer, er war jetzt der Pfister, jener Pfister mit dem bestimmten Artikel. Die Welt verschob sich wie eine Theaterkulisse. Er überlegte sich die Flucht, flüchten mit dem Volvo? Mit Heidi? Der Fernsehequipe? Wohin?

Die Zeitung, er hatte sie vergessen, es kam wieder Bewegung in jenen Pfister mit dem unbestimmten Artikel. Er gab den Pantoffeln Stoff und war froh, Beschleunigung zu spüren. Diesmal machte er keinen Halt, erst der Briefkasten stoppte ihn, ein braunes, scheußliches Ding. Da steckte sie drin, im verschlossenen Brieffach. Pfister hatte den Schlüssel nicht dabei, der lag in Pfisters Hosentasche im Schlafzimmer im ersten Stock. Er schaute hoch und kramte in den Taschen seines Morgenrocks, da war tatsächlich ein Schlüssel drin, der Estrichschlüssel. Im Estrich war er gestern Abend gewesen, im Abendrock sozusagen, und hatte nach einem Kinderfoto von sich gesucht, aber nichts gefunden.

Er dachte an die Nachbarn links und rechts und gegenüber in der Reihenhaussiedlung. Es war Freitagmorgen neun Uhr fünf, niemand unterwegs. Waren alle schon weg? Die Männer bei der Arbeit? Die Kinder in der Schule? Jeden Augenblick mussten sie kommen, die Mütter mit ihren Kindern in diesen unsäglichen Karren, diesen fahrbaren Thronen und mütterlichen Sportgeräten.

Neun Uhr fünf bis neun Uhr sechs war offenbar ein Moment des Innehaltens im morgendlichen Quartier, und es fiel ihm das erste Mal auf in seiner siebenjährigen Wohnkarriere hier in diesem Quartier. Dieses Quartier, das auch für seine Heidi mit ihrem Kinderkarren gedacht gewesen war. Pfister wusste um neun Uhr sechs, dass er endgültig keinen Kinderwunsch mehr hatte, sein Elan war erloschen, er war bereit für einen Umzug, für andere Träume. Keine Arbeit, kein Kind, nur ein Fernsehteam, das kam und ging, eine Heidi, die weit weg, um die fünfzehn Meter, wahrscheinlich Toastbrot ins Körbchen legte.

Es war ihm ganz wohl, im Morgenrock vor dem braunen Briefkasten herumzustehen. Aber er dachte an all die Küchenfenster mit den Frauen, die eben den zweiten Kaffee tranken und dabei rausschauten. Das war Pfister immer schon eine Reklamation an den lieben Gott wert gewesen, dass es einem so schwer gemacht wurde, mehr als eine Minute im Morgenrock vor seinem eigenen Briefkasten herumzustehen. Irgendwann würde er es tun, eine ganze Viertelstunde. Und wenn er es sich recht überlegte, wäre heute der Tag dazu. Also blieb er stehen und genoss die Sonne, die ihm ins rechte Ohr hineinschien und auch die unrasierte Backe wärmte. Aber natürlich blieb er nicht eine Viertelstunde stehen. Plötzlich benötigte das rechte Ohr nicht mehr so viel Wärme, es hatte sich vollgesogen damit, wurde schon heiß, drängte weg, hinein, gab dem Magen recht in seinem Anspruch auf Füllung. Pfister war so weit, er hatte es ausgekostet, ausprobiert und durchgestanden.

Er schaute nach rechts oben, einfach deshalb, weil da ein Blatt geflogen kam, ein Birkenblatt von der Briefkastenbirke. Das Blatt ließ er durch sein Augenperimeter fallen, schaute an dem Blatt vorbei, so gut es ging, um dahinter den Morgenmond zu betrachten. Er dachte in wohliger Wehmut an seine Jugend, die Briefkästen jener Astronauten, die vor langer Zeit da oben herumspaziert waren, während er mit Pickeln auf der Stirn auf dem Sofa gelegen und ihren Ausflügen zugeschaut hatte. Damals hatte er niemals einen Gedanken an die Astronautenbriefkästen verloren, auch nicht an die amerikanischen Vorgärten, die schönen Corvettes, die Werkzeugkisten und die Männer mit den ölverschmierten Händen. Damals hatte es nichts zu denken gegeben, es war nur schön und erstrebenswert gewesen, das Astronautenleben. Heute gab es das nicht mehr, die ölverschmierten Männerhände. Die Mechaniker und Astronauten hatten abgedankt als Filmhelden, und die Technik überließ man sich selbst, nur hübsch musste sie sein. Pfister setzte sich in Gang, zurück ins Haus. Da trat der Nachbarskater aus der Thujahecke. Pfister fühlte sich ihm verbunden und empfand seinen Morgenrock als stolzes Signum gehobener und arrivierter Männlichkeit. Der Kater strich ihm ums Bein. Pfister sprach nur »Na, na« und verspürte dann doch Verachtung für seinen gescheckten Geschlechtsgenossen, kastriert dazu, die gestreiften waren ihm lieber, auch ein Grund umzuziehen.

Die Tür war schon nah und stand angelehnt offen, da erfasste ihn die unangenehme Vorstellung, dass er nun zu alt geworden war, um je noch Astronaut zu werden. Aber der Gedanke an gewisse Dinge bei Heidi munterte ihn wieder auf, ja, er sah sogar aufgetakelte amerikanische Astronautenfrauen, die den Kindern Cornflakes in kleine Schüsseln voller Milch schütteten und dabei den Sexappeal von Heidi bei weitem nicht erreichten. Dass diese munteren Cornflakesfrauen in ihren nett geschnittenen Sixtieskostümen und dem weißen Haushaltsschurz Heidi nicht das Wasser reichen konnten, das erfüllte Pfister mit einem gewissen Stolz. Andererseits hätte er ja auch beides haben können, Heidi daheim und den Raumanzug im Spind. Ja, war es nicht sogar so, dass gerade er, Pfister, mit einer so attraktiven Frau daheim zum Astronauten prädestiniert gewesen wäre?

Die aufgestoßene Tür gab jetzt den Blick frei auf Heidi, die eben im Begriff war, die Cornflakes in die noch leeren Schüsseln zu schütten. Es waren die Schüsseln aus der Bretagne, innen hellgrün, außen jede mit einer anderen Frucht bemalt. Heidi nahm abwechslungsweise Zwetschge, Erdbeere und Pfirsich in Anspruch. Pfister war immer froh, wenn sie ihm die Birne hinstellte.

Pfister näherte sich dem Tisch, Heidi beachtete ihn nicht, ging nochmals zurück in die Küche, um den Kaffee zu holen. Dann nahm er schon mal Platz, hielt sich zurück, ließ die Brötchen noch unberührt und dachte an die Schlagzeile der Tageszeitung, die jetzt draußen im braunen Briefkasten lag, und unter der Schlagzeile stellte er sich ein farbiges Bild vor. Beinahe hätte er »Heidi« gerufen und ihr aufgetragen, doch rasch die Zeitung von gestern aus der Küche zu bringen, aber Pfister widerstand. Heidi würde es viel mehr schätzen, ihn gerade sitzend und nett lächelnd vorzufinden. Doch er verfiel wieder der Angst vor der neuen Aufgabe als Fernsehforschungsobjekt. Einen Moment lang sah er sich vom Stuhl stürzen, zusammen mit einem Brötchen, das in dieser Vision kurz vor Pfister auf dem Boden aufschlug.

Heidi näherte sich mit einem Tablett, als Pfister, noch übersäuert von dem kurzen Schrecken, meinte: »Wir haben einen neuen Zeitungsausträger. Er hat sie in den Briefkasten gelegt. Hast du einen Schlüssel?« Er blickte sie an. »Meiner ist oben.«

Heidi ließ sich beeindrucken. Da saß dieser Pantoffelmelancholiker, der sich bei ihr an ihrem Frühstückstisch hin und wieder einnistete. Sie könnte ihn jetzt aufpäppeln, erst würde er abweisend, dann ganz froh sein und sich wieder erholen, das ging ja immer schnell bei den Männern. Ach, nur schon das Wort: »Männer«. Es war so hässlich. Am liebsten hätte sie ihm eine verpasst, betrachtete dabei seine Ohren, die auch jeden Tag größer wurden. Und so was wollten die vom Fernsehen abfilmen. Es war ihr, als schüttelte sie sich, aber nicht so wie noch heute Morgen, das war ein süßes Schütteln, jetzt ein saures.

»Ja, hab ich, ich hol sie rasch, schenk mir doch auch schon ein.« Das rüttelte Pfister auf wie eine Ohrfeige. Er war wieder wach und saß da wie ein leerschnabuliertes Gurkenglas, nur noch Essig drin.

Heidi kam zurück mit der Zeitung in der einen Hand, einer Gartenschere in der anderen. »Fredi, nach diesem ganzen Tumult heute meldest du dich beim Arbeitsamt in die Ferien ab. Ich war noch nie in Griechenland.«

Pfister hatte auch schon daran gedacht, aber mehr mit Schweden geliebäugelt, da war sie nämlich auch noch nie gewesen. Er gab ein gequältes Lächeln von sich, schließlich war er immer noch vom Essig geplagt, sprach ein langsames »Ja« und stopfte sich zur Vertuschung allfälliger Zwiespältigkeiten ein halbes Brötchen in den Mund.

Heidi legte ihm die Zeitung hin und setzte sich mit der Gartenschere in der Hand auf ihren Stuhl.

Pfister stutzte und fragte ganz ernst: »Was willst du denn mit dem Ding da?«

Heidi meinte ungewohnt ausdruckslos: »Diese Gartenschere wollte ich dir eigentlich als Corpus Delicti deiner Unordentlichkeit im Bereich Gartenarbeit unter die Nase binden, ja, richtig anbinden, um die Ohren rum. Aber ich lass es jetzt bleiben. Immerhin fahren wir zusammen nach Griechenland.«

»Schweden meinst du.«

»Schweden, von mir aus Schweden, aber dann packst du.«

Pfister wurde wieder süß: »Gib mir Zeit, ich überleg’s mir.«

Heidi wünschte einen guten Appetit und biss in ihr eigenes Brötchen.

Pfister stand auf, stieß sich ab bis zur Musikanlage und drückte einen Knopf. Überraschend angenehme Töne verließen die Boxen. Pfister stand herum und ließ sich treiben. Heidi traf ihn auf dem Afghan. Sie tanzten.

Das Fernsehstudio roch nach Kaffee, der ganze Komplex roch nach Kaffee. Die Feuerwehrleute kamen zu spät. Nandu Kofan aus Kamerun hatte das zentrale Kaffeelager schon mit zwei Kubikmeter bestem Trinkwasser aufgefüllt. Seine Arbeitskluft, beige, zweiteilig, war komplett nass. Das Reinigungswägelchen mit all den Besen, Tüchlein, Putzmittelchen und Müllsackrollen lag umgestoßen daneben. Der Wasserschlauch hatte es wie ein Krokodil mit einem Schwanzschlag umgeworfen. Nandu war der Held des Tages, alle klopften ihm auf die Schulter und Frau Gerber von der Portiersloge legte ihm eine Wolldecke um die Schultern, damit er sich nicht erkälte auf dem Weg in die Umkleidekabine des Putzpersonals einen Stock tiefer im Keller.

Reto Camenzind, Kameramann mit Bündnerhaaren, stieg aus dem Bus, Haltestelle Fernsehstudio. Feuerwehr und Kaffeegeruch brachten seine noch leicht betäubten Sinne sofort auf Vordermann. Er sah diesen Pfister in seiner Stube warten, auf sie, das Fernsehteam, das ihn porträtieren sollte, aber nicht kam, weil Bärtschis Büro nun schwarz und verkohlt voller Wasser stand und dieser ob seiner Hysterie wieder alles verschlampen würde. Bärtschi konnte einen wirklich nerven. Immerhin waren sie heute endlich wieder zu dritt. Eine Tontechnikerin hatten sie sich zugelegt. Andererseits, dieser Pfister hätte sicher Verständnis. Der war wahrscheinlich in der freiwilligen Feuerwehr. Da standen sie auch gerne herum, wenn es noch qualmte.

Werner Bärtschi trat währenddessen in die Umkleidekabine des Reinigungspersonals, Abteilung Herren. Was seine Augen erblickten, erfreute nicht nur sein Herz. Nandu Kofan hatte sich eben seiner trinkwassertriefenden weißen Unterwäsche entledigt, um nackt in ein frisches Übergewand zu steigen. »Pardon«, heuchelte Bärtschi, Kofan nahm es gelassen. Bärtschi stellte sich und sein Anliegen vor. Er wolle ein Porträt machen von Nandu Kofan, wenn’s ginge noch heute, nach der Pfistersache. Kofan hörte zu, lächelte und schlug aus. Bärtschi akzeptierte.

Es war Zeit für einen Kaffee. Bärtschi gönnte sich noch einen Blick, verabschiedete sich und verließ den Umkleideraum, einerseits mit Bedauern, andererseits froh, sich möglicher Schwierigkeiten, oder eher schwieriger Unmöglichkeiten, enthalten zu haben. Mit geschäftigem Schritt, angetörnt von der Notstandstimmung im wässrigen Parterre, trampelte er fast seinen Camenzind nieder. Der rettete sich haarscharf und landete prompt in einer Pfütze. »Das tut mir aber leid, Reto.« Camenzind wusste noch nichts zu sagen. Still schluckte er den Ärger, dachte an die Gummistiefel zu Hause in seinem Keller.

Bärtschi meinte: »Wir holen dir ein paar neue Schuhe in der Requisite.«

Camenzind sagte auch was, »Scheiße!«, und innerlich fluchte er: »Hysterische Schwuchtel.«

Bärtschi verschwendete keine Zeit und marschierte weiter in Richtung Kantine, berichtete dabei über den Kaffeelagerbrand und den sexy Helden des Tages. Camenzind blieb stumm und zog eine nasse Spur hinter sich her.

In der Kantine wartete schon die Neue. Und Camenzind vergaß seinen nassen Schuh, ja, irgendwie schien die Kantine eine Bodenheizung zu haben. Eine derart angenehme Frauenperson hatte er im ganzen Fernsehstudio noch nie gesehen. Das würde ihn aus der Bahn werfen. Nur noch wenige Meter fehlten bis zum ersten Rencontre. Er bemitleidete sich und spürte, wie kaltes Wasser, von Kapillarkräften getrieben, die linke Socke hochfließen wollte. Es wäre ihm auch ganz lieb gewesen, mit frischer Unterwäsche ausgestattet zu sein, überhaupt, sein ganzer Verfall wurde ihm schlagartig bewusst, gekrümmte Haltung, dünne Beine, Bauchansatz, verkalktes Machodenken.

Bärtschi hatte sein Erlebnis schon gehabt, ahnte aber, dass Camenzind ähnliche Gefühle haben musste. Er war nett zu ihm, übernahm die Führung und stellte die zwei einander vor. Sie hieß Claudia und hatte eine sehr angenehme Stimme. Camenzind wollte eigentlich nur noch den Kopf schütteln vor Begeisterung, aber das ging dann doch nicht, außer er hätte eine gute Ausflucht gehabt.

Er schüttelte den Kopf. Bärtschi reagierte sofort. »Claudia, nimm dich in Acht vor diesem Camenzind hier. Das ist eine ganz üble Masche mit dem Kopfschütteln. Er schaut jetzt irgendwohin, weil er ganz entzückt ist von seiner neuen Mitarbeiterin. Er kann seine Gefühle einfach nicht kontrollieren, geschweige denn richtig an die Frau bringen. Drum schüttelt er den Kopf und lässt sich jetzt aus über irgendeinen Missstand. Wahrscheinlich überlegt er sich eine Beschwerde gegen den neuen scheußlichen Telefonautomaten da hinten, der nur noch Karten akzeptiert und Herrn Camenzinds Kleingeld verschmäht. Und meine Meinung ist: scheiß Hartgeld. Die Männer füllen sich damit ihr Portemonnaie, stecken es sich in die Arschtasche ihrer schlecht geschnittenen Jeans und plustern sich so am komplett falschen Ort auf. Scheußlich. Was meinst du dazu, Claudia?«

Claudia lächelte. »Absolut einverstanden.«

Camenzind schaute gegen die Decke und meinte: »Euch werd ich filmen.«

Camenzind bezahlte seine breiten Handwerkerhosen mit Goldcard, aber Bärtschi wollte ihn immer wieder in eine Reihe mit gewissen altgedienten Kollegen stellen, die tatsächlich die genannten Vorlieben besaßen, ganz wörtlich. Und doch, Bärtschi hatte das gut gemacht, Camenzind war zufrieden mit seiner Zurschaustellung, schließlich war er offenbar nicht so. Er grinste und fühlte sich wahnsinnig niedlich, ja, auch den Schuh gedachte er nicht mehr zu wechseln, er hatte jetzt Kraft genug, um das von sich heraus auszutrocknen. Mit Bärtschi in der Requisite, das musste nicht sein. Der würde es übertreiben und gackern bis zum letzten Ei.

Bärtschi aber hatte anderes im Sinn. »Kinder, ich geh noch rasch zum Chef. In der Zeit könnt ihr ja schon mal neue Schuhe besorgen und euch technisch näherkommen. Treffen wir uns um zehn wieder hier?« Camenzind nickte.

Bärtschi machte einen Abgang, Camenzind ließ Kaffee raus und meinte: »Ja, der Werner, der wird mir noch ans Herz wachsen, Zucker?«

Claudia nahm Zucker. Das mochte Camenzind, Frauen, die Zucker nahmen, die fand er super. Die waren sogar noch mehr super als er selbst. Er nahm gar keinen Zucker, weder künstlich noch natürlich.

Camenzind wollte sich Mühe geben, nett und vorsichtig zu sein. Bärtschi hatte sich der Narrenrolle angenommen, die war schon besetzt. Camenzind musste wieder den Seriösen geben. Er wusste, dass sie ihn durchschaute, eine doofe Rolle. Sie war einfach super. Was ihr schöner Verstand wohl sonst noch sah in ihm drin?

Camenzind musste sich verstecken, er war ihr sonst ausgeliefert, machte sich darum, wie geheißen, an die technische Annäherung und begann, sie zu ihrer beruflichen Vergangenheit und Zukunft zu befragen. Auch hier musste er sich schon bald ducken, die hatte was vor, die würde ihn glatt überholen. Die Frau drang in ihn ein, nein, sie war so heiß, dass Camenzind zu schwitzen begann. Unterarme hatte sie auch kräftige, darauf stand er besonders, aber das kam wohl vom Tonarmhalten. Es gab ja Frauen, die setzten Bewegung und Anspannung erstaunlich rasch in Muskelmasse um. Zucker futterte sie schließlich ohne unangenehme Konsequenzen. Kurzum, Camenzind musste sich eingestehen, er war nicht ihr Typ, er war ihr einfach nicht gewachsen. Sie hatte mehr Pepp. Aber er konnte lernen. Seine Felle schwammen davon, aber er war mal ein guter Schwimmer gewesen.

Claudia schreckte ihn auf. »Gehen wir? Mit dem Tropfschuh willst du doch nicht bei diesen Pfisters in die Stube pflatschen?« Camenzind lächelte. »Klar, gehen wir.«

Sie gingen, und Camenzind lief neben ihr, ließ sie vorgehen, wenn andere Fernsehtypen im Vierer- und Dreierpack die Gänge versperrten.

Claudia trug enge Jeans ohne Portemonnaie hinten. An den Frauen sollten sie sich ein Vorbild nehmen, die Kollegen. Aber zwei Dinge waren ihm unklar, enge Jeans waren nicht angesagt, aber Claudia wusste, was man tragen musste, also waren enge Jeans doch angesagt für Leute wie Claudia. Aber Camenzind konnte nicht nachvollziehen, weshalb genau. Und dann hatte sie keine Tasche bei sich, wo also hatte sie ihr Geld untergebracht? In der Kantine hatte sie vor seinem und Bärtschis Erscheinen bezahlt und sich den zweiten Kaffee von Camenzind spendieren lassen. Überhaupt, eine Tontechnikerin musste Taschen haben, Hosentaschen oder Gürteltaschen oder weiß der Kuckuck was. Aber in Claudias glatten Jeans waren kein Hausschlüssel, keine Kreditkarten, keine Fahrausweise, keine Geldnoten, kein Kleingeld zu entdecken, da war nur eine beelendend gute Figur hineingegossen, die Camenzind quälte. Na gut, Frauen hatten vielleicht noch andere Möglichkeiten, ein Hausschlüssel und wenig Kleingeld ließen sich vorne im Münztäschchen unterbringen, aber das konnte nie reichen. Und oben, verdammt, sie hatte nur grad ein T-Shirt an, drunter noch ein Top, das durchschimmerte. Wenn es kühler wurde, was dann? Herrgott, da kam diese Frau halbnackt mit nichts ins klimatisierte Fernsehstudio und machte den Camenzind wahnsinnig.

Camenzind schloss auf und lief kurz auf ihrer Höhe. »Sag mal, hast du nichts dabei, Geld und so … nicht, dass du dich erkältest.« Schon musste er wieder zurücktreten, der Samstagabendtyp walzte sie mit seinem Gefolge schier platt. Claudia, Camenzind konnte es ja nicht sehen, weil er nach hinten abgedrängt worden war, aber was wäre schon anderes zu erwarten von einer Claudia, sie lächelte. »Keine Angst, ich bin komplett.« Und wäre es konform gewesen, sie wäre ihm noch sanft durchs wenige Haar gefahren, mehr dem Schulbuben als dem Kameramann.

Camenzind war darob schon wieder überfordert. Er wünschte sich einen freien Tag, ganz allein mit sich und allerhöchstens dem Bedürfnis, Bier zu trinken und Videos zu glotzen. Aber heute war er ganz und gar nicht allein, und Videos musste er selber produzieren.

Pfister war ein guter Tänzer. Heidi hatte er beim Tanzen kennengelernt. Solches verband, verband auch manche Wunden. Pfister war sicher, dass Tanzen extrem gesund war. Heidi war sogar der Ansicht, dass Pfister durchs Altern und, bemerkenswert, je mehr sein Bauch anschwoll, ein immer besserer Tänzer wurde. Dasselbe dachte sie auch von sich. Allerdings dachte sie weniger an ihren Bauch. Solche gemeinsamen Vorstellungen sind Leim bester Qualität.

Pfister spürte Heidis Köstlichkeiten durch ihren dünnen Seidenrock hindurch, und sein aufdringlichstes Körperteil drängte sich aus dem Morgenrock heraus, rieb sich an Heidis Bauch und wollte mehr. Er drehte sie um ihre Achse, fasste sie von hinten, legte sein Teil zwischen ihre Beine. Heidi nahm es und führte es in sich ein, legte sich nach vorn, er verlegte seine Hände von ihren Brüsten zu den Hüften und tanzte in ihr weiter. Nicht lange, und es floss aus ihm raus in sie rein. Heidi war erfreut, Pfister auch. Zu Sex hatten beide dieselben Ansichten wie schon zum Tanzen.

Jetzt waren sie bereit. Die einfachsten und wichtigsten Dinge des Lebens hatten sie im Griff, was kam, war Zugabe, war Geschenk, so lange, bis die Möglichkeiten des Lebens sie wieder zuzudecken drohten, einen Schleier auf ihren Appetit warfen. Das Fernsehen war ein Schleier. Sie würden kommen, um elf, und sie packen, in eine Kiste werfen und zuschleiern. Aber Pfister und Heidi würden sich wehren, sie wollten sich wehren. Sie wollten es wissen, ihre Kraft zeigen, ihre Liebe beweisen, ach ja.

Sie ließen das Frühstück stehen und begaben sich ins Badezimmer. Pfister entledigte sich des Bademantels und stellte sich unter die Dusche. Heidi beschäftigte sich mit sich und Pfisters Spuren. Ein schwaches Gefühl von menschlichem Elend beschlich sie, aber es kam nicht auf, nicht mehr auf. Sie war beinahe stolz darauf, dass sie es mit Pfister derart hundemäßig treiben konnte, dass sie solches immer mehr genießen konnte, dass er sie aber auch lange und liebevoll verwöhnen konnte, dass sie sich ein ganzes Spektrum von Annäherungen gönnten, auch ein Spektrum von Ablehnung, dass sie voneinander gelernt hatten, dass sie offener geworden waren, offen geblieben waren.

Heidi saß sinnierend auf dem Klo, Pfister stand in der Dusche, von Wasser berieselt, das über seinen Bauch spritzte und Schatten auf den Duschvorhang warf, da fühlte sie sich befruchtet und endlich geschwängert. Sie bildete sich ein, es sich einzubilden.