Phasmida - Karin Holz - E-Book

Phasmida E-Book

Karin Holz

3,8

Beschreibung

Liebevoll blickt der Mörder in die Augen seines Opfers. Dann verwischt er mit einem Blätterzweig sämtliche Spuren hinter sich. So wie er alle Spuren in seiner Traumwelt verwischt. Hauptkommissar Leo Luckner findet eine Spur die zum Mörder führt. Aber der Serienmörder wird es nicht zulassen, dass seine Welt zerstört wird.

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Leseprobe eBook Ausgabe 2015
©2015 ISEGRIM VERLAG
in der Spielberg Verlag GmbH, Regensburg
Umschlaggestaltung: Spielberg Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung
Geschichte und Personen sind frei erfunden.
Für Margit, Conny und Birgit
und die wunderbare Zeit in New York
* * *
Mein besonderer Dank gilt dem Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort, der mich bei meinen Recherchen unterstützt und mir durch seine Veröffentlichungen Einblick in die Schicksale von Serienmörder und deren Opfer gegeben hat.
Mein herzlichster Dank gilt ebenfalls dem Pathologen PD Dr. med. Thomas Schubert, der mich in fachlichen Fragen immer sehr gut beraten hat und niemals die Geduld verlor. Ich wünsche ihm auf seinem neuen Lebensweg sehr viel Erfolg.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 1

Der Wind weht über die braunen Felder und die blassgrünen Wiesen. Aus den Wäldern steigen die Nebel hoch und legen sich schwer auf das Land – der tote Herbst ist da.

Liebevoll blicken seine Augen den Toten an. Nach unten gebeugt, streichelt er den halb verwesten Körper. Das Gesicht seines jungen Liebhabers ist fast verschwunden. Von Maden zerfressen, liegt der Schädel im sanften, roten Herbstbett vor ihm. Langsam berührt er mit seinen Fingern die kalten Wangenknochen, streicht über die leeren Augenhöhlen und lässt seine Hände vorsichtig nach unten gleiten, um den verwesten Genitalbereich zärtlich mit seinen Fingerspitzen zu liebkosen. Er kniet auf dem nassen Boden und ertrinkt in seinen Träumen. Denkt an die erotischen Stunden mit dem Geliebten, die sein Leben erfüllten. In seine Welt versunken, wiegt er sich langsam in der Melancholie des Windes. Seine matten Lider fallen allmählich zu. Dichte Nebel umhüllen den leblosen Körper, die Dämmerung flüchtet in die Nacht. Leise flüstert er in die Stille.

Träum manch sonnig Traumgebilde. Leis vom Himmel schwebt dahin jetzt die Nacht und neigt sich milde, Sterne lächelnd über ihm. Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt? Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen. An einer fremden stillen Stelle, die nicht weiter schwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand? O süßes Lied...

Nicht weinen mein Geliebter, überlasse es diesmal mir. Es ist das Ende, du musstest sterben. Aber das heißt nicht, dass du verschwunden bist. Andere Menschen werden dich finden, von dir träumen und dich immer lieben, so wie ich es getan habe. Such nicht nach mir, ich bin nicht mehr da. Lasse mich für dich leben.

Er lässt von dem Opfer ab und faltet die Hände behutsam in seinem Schoss. Es ist ein trauriger, endgültiger Abschied. Bald finden sie ihn, er weiß es. Er zieht mit den Fingerspitzen den kaputten Stoff der Jeans über den leblosen Körper, als wolle er seinen toten Geliebten vor der Kälte schützen. Dann senkt er den Blick.

Diese hochnäsige Gerichtsmedizinerin wird ihn auf dem kalten Metalltisch zerlegen. Alle Körperteile nebeneinander aufreihen und in kleine Stücke schneiden um die Todesursache feststellen zu können. Doch sie wird nichts finden. Nein, er ist sicher, dass die Polizei weiter im Dunkeln tappt und der Mord nicht geklärt wird.

Langsam steht er auf, blickt ein letztes Mal auf den leblosen Körper, dreht sich um und geht langsam in gebückter Haltung durch das Wäldchen auf das angrenzende Feld zu. Mit einem Blätterzweig verwischt er die Spuren hinter sich. So wie er alle Spuren in seiner Traumwelt verwischt.

»Eine Leiche liegt im Dickicht nahe der Autobahnausfahrt Hofolding«, er meldete sich von einer Telefonzelle aus bei der Polizei.

»Er hatte seinen Spaß gehabt«, weiter sagte er nichts. Das Gespräch war kurz. Dann schleuderte er den Hörer gegen das Glas der Zelle und verschwand in der Menge der Menschen.

Sie werden mich nicht finden. Ich bin wandelbar und unauffindbar. Während ich mich nach der Liebe junger Männer verzehre, werde ich nicht zulassen, dass mein Leben daran zugrunde geht.

In Roses Bistro in der Nähe des Hauptbahnhofs bestellte er sich einen trockenen Rotwein und trank genüsslich aus dem hohen Kelch. Er plante seinen nächsten Mord, den er wieder im Herbst begehen würde. Getarnt, seiner Umwelt angepasst, so wird er durch das Leben wandern. Genauso wird es sein, einfach vollkommen. Heute werden sie wissen, dass es mich noch gibt. Die ganze Welt wird mich kennen.

Kapitel 2

Heike Bruhns arbeitete seit sechs Uhr morgens in ihrem Büro der Gerichtsmedizin. Draußen machten sich dicke graue Nebelschwaden breit und verwandelten den Himmel wieder in eine tiefschwarze Nacht. Sie saß vor ihrem Laptop und wertete den Neuzugang aus, den sie letzten Mittwoch bekommen hatte.

Eine weibliche Leiche, Opfer eines Raubmordes. Die dreiunddreißigjährige Frau wurde erdrosselt in ihrer Wohnung nahe Oberschleißheim aufgefunden. Den Todeszeitpunkt konnte Dr. Bruhns genau datieren. Die junge Frau war vor achtundvierzig Stunden durch das Strangulieren mit einem Tuch getötet worden. Normalerweise fand man bei einem Mord mit breiten weichen Tüchern kaum Spuren. Doch das Opfer musste sich verzweifelt gewehrt haben, da am Hals das mehrfache Zuziehen eines Seidentuches zu erkennen war. Die Drosselmarke verlief annähernd horizontal. Bei der Obduktion entdeckte Heike Bruhns auch Brüche des Kehlkopfskeletts und am Zungenbein. An den Bruchstellen war geronnenes Blut im Gewebe. Unter den Fingernägeln des Opfers befanden sich Fasern des Mordwerkzeuges. Hinweise auf den Täter gab es nicht. Es würde die Aufgabe der Polizei sein, dies zu klären. Die Gerichtsmedizinerin tippte Seite um Seite den genauen Obduktionsbericht und versuchte dabei immer wieder, den Tathergang zu rekonstruieren. Das Mordopfer war zwei Jahre jünger als sie. Heike vergaß dabei die Zeit und bemerkte nicht, dass es bereits Mittag war. Um dreizehn Uhr kehrte die Medizinerin endlich in das alte Bauernhaus in Kreuzpullach zurück. Schon beim Öffnen der schweren, eichenen Eingangstür hörte sie das gemütliche Knistern der Holzscheite im Kachelofen, der sich in der Stube des alten Bauernhofes befand. Sie zog im Flur ihre warme Jacke aus und ging in die geräumige Küche. Ariane stand an dem alten Herd, lachte ihr zu, ließ sich aber von den Vorbereitungen für das Mittagessen nicht stören.

»Hallo«, begrüßte Heike sie und drückte dabei ihren Kopf an Arianes Hals.

»Es gibt etwas Leckeres, lass dich überraschen«, Ariane zog sie näher an den Herd. Ein Duft von mediterranen Gewürzen stieg ihr in die Nase. Der Holztisch in der großen Küche war sehr liebevoll gedeckt. Ein kleiner, herbstlicher Blumengruß aus dem Garten stand in der dicken roten Vase auf der bunten Tischdecke.

Während sich Ariane weiter um das Essen kümmerte, ging Heike in ihr Arbeitszimmer und hörte den Anrufbeantworter ab.

»Das Telefon hat ein paar Mal geklingelt«, rief Ariane hinterher. »Ich war nur zu faul ran zu gehen. Ich will an meinem freien Tag meine Ruhe haben.«

»Kann ich verstehen, ich freue mich auch auf morgen, da schlafen wir uns erst einmal richtig aus.«

Das rote Lämpchen des Anrufbeantworters blinkte fordernd. Es waren zwei Anrufe eingegangen. Heike drückte die schwarze Taste um die Nachrichten abzuhören.

»Mist, schon wieder diese Automatenstimme! Hallo, Frau Bruhns! Ich habe Neuigkeiten in dem Fall Herbstmord. Es gibt eine weitere männliche Leiche. Etwa zwanzig Kilometer vom letzten Tatort entfernt. Rufen Sie mich sofort zurück!« Es war Kriminalhauptkommissar Leopold Luckner von der Kripo München.

Das hörte sich nicht gut an. Der zweite Anrufer war wieder Luckner, etwas ungeduldiger als vorher brüllte er in den Apparat: »Verdammt, diese Scheißdinger!«

Heike versuchte den Kommissar auf seinem Handy zu erreichen. »Luckner«, meldete sich mürrisch der Kommissar.

»Heike Bruhns. Was ist passiert?«, fragte sie. Sofort wurde seine Stimme um eine Spur weicher.

»Eine Leiche von unserem Serienmörder. Der Fundort ist gleich bei der Autobahnausfahrt Hofolding an der A8. Am besten Sie kommen gleich vorbei«.

Sie verdrehte die Augen, schaltete das Handy aus und warf ihre blaue Regenjacke über. Sie packte ihre rote Tasche und schlüpfte in die braunen Sneakers.

»Wird wohl nichts mit unserem Mittagessen?«, Ariane lehnte am Türrahmen und wartete die Antwort ab, die sie eh schon kannte.

»Wir essen es am Abend, ich bin sicher bald wieder da!« Heike küsste sie rasch auf den Mund, öffnete die alte Eichentür, schlüpfte hinaus und ließ die Tür ins Schloss fallen.

Ariane schaltete den Herd aus und schob die Töpfe auf die Seite. Schon wieder ein Wochenende ohne Heike. Langsam ging es ihr auf die Nerven. Momentan hatte sie mit ihrer Dissertation ja noch einiges zu tun. Sie langweilte sich bestimmt nicht, hatte auch sehr viel Verständnis für Heikes Beruf. Doch manchmal wäre es auch schön an einem Wochenende gut zu Essen und sich in den Tag fallen zu lassen. Der graue Nebeltag und die herrlich knisternden Holzscheite im Ofen, das versetzte sie in eine besondere Stimmung. Die Biologin schnappte sich ein Lehrbuch, ging damit ins Wohnzimmer und kuschelte sich in den alten Ohrensessel.

Bis jetzt waren es drei Leichen. Junge Männer im Alter zwischen achtzehn und dreißig Jahren. In einem Umkreis von sechzig Kilometern. Die Fälle, die in der Presse unter Herbstmord liefen, waren bis jetzt mysteriös. Keiner konnte sich die Morde erklären. Nicht einmal das LKA, das in der Lage war, vermisste Personen nicht identifizierten Leichen zuzuordnen. Als vor drei Jahren das erste Opfer gefunden wurde, hatte Kriminalhauptkommissar Leopold Luckner von der Münchner Kripo den Fall übernommen. Nach einem Jahr wurde eine zweite männliche Leiche gefunden. Ein weiteres Jahr später der dritte Mord. Jetzt wohl das vierte Opfer. Keine Spur am Tatort, immer das gleiche Schema. Die Leichen lagen nahe der Autobahn Nürnberg - München - Rosenheim. Heike Bruhns erreichte die Autobahn A8 über die Auffahrt Brunnthaldreieck und beschleunigte trotz der dichten Nebelschleier, die ihr die Sicht nahmen, ihren Sportwagen und fuhr in Richtung Hofolding. In ihrem Kopf liefen die vorherigen Leichenfunde wie ein Film ab. Knochen unter feuchten, rot gefärbten Blättern, junge Männer die als vermisst galten, Skelette auf ihrem Sektionstisch. Von den vorherigen Leichen waren nur noch Knochen übrig, das Gewebe fehlte, damit waren auch die Hinweise auf äußerliche Verletzungen verschwunden. Für Heike Bruhns war es nicht möglich, die Todesursache festzustellen. Und nun ein viertes Opfer.

Dr. med. Heike Bruhns arbeitete seit fünf Jahren an der Gerichtsmedizin München. Als Oberärztin hatte sie die Stelle bei Professor Buchner angenommen. Seit zwei Monaten war die Gerichtsmedizinerin habilitiert und strebte nun eine Professorenstelle an. Hier begann auch ihre Beziehung zu der Biologin Ariane Falk. Vor einem Jahr hatten sich die beiden Freundinnen ein altes Bauernhaus in Kreuzpullach, im Süden von München, gekauft. Ihre Neigung zueinander blieb im Institut unbemerkt. Ariane und Heike lebten in dem kleinen Ort sehr zurückgezogen und genossen dort ihre unbekannte Zweisamkeit.