Piece of Sunday - Lisa Gibbs - E-Book

Piece of Sunday E-Book

Lisa Gibbs

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Beschreibung

Maddox' Leben ist geprägt vom Rausch des Erfolgs. Er befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Wrestling-Karriere. Doch der Ruhm hat ihn abgeklärt und einsam werden lassen. Er glaubt, niemanden zu brauchen und fühlt sich selbstbewusst genug, sein Bad-Boy-Image, das er unter dem Pseudonym Brick führt, nicht nur im Ring der Arena durchziehen zu können. Er ist es gewohnt, zu kämpfen, zu gewinnen und zu bekommen, was er will. Doch sein Weltbild gerät ins Wanken, als er über eine Escort-Agentur auf die Frau trifft, die er Sunday nennt. Sunday, deren richtiger Name Ella lautet, wird von dem attraktiven Wrestler in einen überwältigenden Bann gezogen. Obwohl sie gegen ihren Stolz kämpft, da Maddox nicht nur Termine mit ihr gebucht hat und sie es nicht gewohnt ist, eine von vielen zu sein. Doch die Unterschiede zwischen Maddox und ihr könnten nicht größer sein. Bei jedem Treffen steigt die Anziehungskraft, die Maddox auf sie ausübt, bis sich Ella nicht mehr entziehen kann. Zwischen ihnen entflammt eine lodernde Leidenschaft, die weit über die Grenzen der Fantasie reicht und die Fesseln des Agenturvertrags sprengt.

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Seitenzahl: 354

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Piece of Sunday

Lisa Gibbs

Piece of Sunday

Lisa Gibbs

© 2022 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Covergestaltung Andrea Gunschera

ISBN-Taschenbuch: 9783967820904

ISBN-eBook-mobi: 9783967820911

ISBN-eBook-epub: 9783967820928

www.sieben-verlag.de

Inhalt

1.Maddox

2.Ella

3.Maddox

4.Ella

5.Maddox

6.Ella

7.Maddox

8.Ella

9.Maddox

10.Ella

11.Maddox

12.Ella

13.Maddox

Die Autorin

„Ein rätselhaftes Spiel der Sinne. Es gibt vier Arten von Polarlichtern. Bögen, Bänder, Vorhänge und Ringförmige. Von Grün bis Violett zu Rot. Jeder Mensch nimmt das Farbspektrum dieses Lichts unterschiedlich wahr. Ein Phänomen, das so selten ist wie die Liebe.“

E. Spring

1.

Maddox

Maddox’ Wange knallte auf den federnden Schwingboden. Ein dumpfes Klatschen ertönte. Der Widerhall fühlte sich an, als sei sein Hirn ein loses Mobile, das in seinem Schädelknochen baumelte. Um ihn waberte eine Mischung aus dem Kreischen der johlenden Menge, die um den Ring tobte, und dem Poltern, das nach dem Sturz dumpf in seinen Ohren vibrierte.

„Kill Brick, kill Brick …“ Ein wilder Singsang, der von einem gemeinschaftlichen Klatschrhythmus unterstrichen wurde.

Die Schwellung unter dem rechten Augenlid engte sein Blickfeld ein. Eine heiße blutgetränkte Brühe rann über seine Schläfen. Selbst durch das Blut in der Nase roch er den beißenden Schweiß. Die stickige Schwüle ließ ihn kaum atmen.

Death Drop – so nannte sich der Kerl mit den Rastas, der ihm den Rücken zugewandt auf den Seilen des Rings stand und in die jubelnde Menge johlte. Er wippte mit den Knien und riss die Arme in die Höhe. Fehlte noch, dass er sich mit den Fäusten auf die Brust schlug. Sein Outfit glänzte violett, die hohen Stiefel silbern. Muskelberge prägten sich durch die dünne schillernde Schicht Stoff beim Anheizen der Menge. Bei dem Disco-Outfit bekam das Wort „Rampensau“ eine neue Bedeutung.

Maddox schmunzelte, schluckte die Mischung aus Spucke und Blut hinunter und stemmte seinen vor Schmerzwellen pulsierenden Körper nach oben.

Kill Brick, hallte es in seinen Ohren.

Seine Rolle. Der Antiheld. Der Endgegner des Guten. Weder violett noch silbern. Sein Outfit lag mattgrau und schwarz enganliegend am Körper. Damit sich der gold glänzende Gürtel, den er nach seinem Sieg bekam, umso deutlicher abhob.

Im Wrestling existierten keine Grauzonen.

Die Leute liebten dich oder sie hassten dich. Sein Alter Ego Brick gehörte zur zweiten Kategorie. Anfangs hatte er sich einen Scheiß um das Publikum geschert. Er mochte den Fight, den Adrenalinschub im Ring. Das Kräftemessen und den puren Geschmack der Brutalität. Auch die Show, obwohl er kein Poser war. Das Image des Bad Boy trug er seit einem Vorfall in der Vergangenheit. Ein Zuschauer hatte bei einem Kampf etwas gebrüllt. Maddox konnte sich nicht mal mehr an den genauen Wortlaut erinnern. Irgendeinen Mist über seine Eltern. Es hatte geklickt, als wäre ein Schalter in seinem Kopf umgelegt worden. Was danach geschehen war, hatten ihm andere Leute erzählt. Er selbst hatte keinen Schimmer, welcher Teufel ihn geritten hatte, als er aus dem Ring direkt ins Publikum gesprungen war.

Der Schwinger hatte den Typen aus dem Stuhl gehoben.

Seitdem rumorte unter den Zuschauern eine Art morbide Faszination für ihn. Er wurde gut gebucht. Eben nicht nur, weil er ablieferte, sondern weil er polarisierte. Weil die Leute Bock auf einen düsteren Endgegner hatten.

Kill Brick, verflucht!

Der Rastamann drehte sich zu ihm und sprang von den Seilen. Sein Brustkorb pumpte wie von jemandem, der zu viele aufputschende Drogen intus hatte. Seit Maddox seinen Gegner im Vorfeld bei den Vorbereitungen und im Training getroffen hatte, schwirrte ihm die Frage durch den Kopf, wie man mit solchen Haaren fighten konnte. Immer baumelten da dicke Würste vor den Augen. Wie Zöpfe eines kleinen Mädchens.

Die Show stand seit ein paar Wochen. Der Kampf abgekartet, wie immer. Je besser Maddox in diesem Job geworden war, desto findiger und packender wurden die Storylines der Fights geschrieben. Ein Geschäft – alles Show. Man wurde gebucht und spielte eine Rolle. Er galt als sogenannter Heel, ein böser Charakter der Match-Szene. Alles, was man selbst mit einbrachte, besprach man im Vorfeld. Wie jeden Move. Jede Schnittwunde im Gesicht oder am Körper selbst durch Rasierklingen zugefügt, damit es blutiger und dreckiger zuging. Oder ob Leitern, Käfige oder sonstige Gimmicks zum Einsatz kamen. Die Show bestand aus Effekten. In Japan ging die Wrestling-Szene verrucht und blutig zu, hier in den USA verzichtete man auf die besondere Brutalität sogenannter Hardcore-Matches.

Um Verletzungen hatte er schon früher, als er noch in den Independent-Ligen gekämpft hatte, wenig Aufhebens gemacht. Er konnte das, den körperlichen Schmerz ausblenden. Als würde der Cocktail an Neurotransmittern in seinem Schädel alles andere ausknocken. Vielleicht war er genau wegen dieser bedingungslosen und grenzüberschreitenden Art zu fighten dem Scout ins Auge gefallen.

Death Drop kam auf ihn zu gepoltert. The Show must go on …

Mit einer Hand packte Maddox seinen Gegner am Hals und schnitt ihm so ad hoc den Kampfschrei ab. Jetzt der Chokeslam. Mit der anderen Hand packte er die Hose seines Gegners. Zeitgleich sprang er mit Death Drop leicht ab und nutzte den Schwung, bevor er ihn mit festem Griff hochhob. Er atmete das Buhen der Menge ein, bevor er seinen Rivalen auf den Ringboden schmetterte.

Sobald sich sein Gegner vor Schmerzen windend auf den Bauch gedreht hatte, rutschte Maddox neben ihn in die sitzende Position und klemmte einen von Death Drops Armen zwischen seine Knie. Den Oberkörper presste er seitlich auf dessen Rücken. Mit beiden Unterarmen klemmte er Death Drops Gesicht ein und zog den Kopf nach hinten. Ein Griff namens Crossface, den Maddox an sich niemals ausführen ließ. Scheißegal, wer die Choreo geschrieben hatte, kein Wrestler durfte seinen Kopf dermaßen in die Klemme nehmen.

Death Drop bot eine imposante Show samt Wimmern, bevor er mit der freien Hand auf den Ringboden hämmerte.

Maddox gab der Klemme ein wenig Spiel, gerade so viel, dass sein Gegner es fühlte. Ruckartig drehte sich der Körper unter ihm frei.

Er sprang auf die Füße und umkreiste Death Drop.

Jubeln begleitete den Rastamann bei seiner leidenschaftlichen Ansprache, welche Strafe den Gegner nun erwarten würde.

Die aufgeheizte Spannung im Saal peitschte über den Ringboden und dämpfte die Ansage des Ringrichters, der Maddox’ Alter Ego ermahnte, fair zu bleiben.

Maddox bewegte den Kopf nach links und nach rechts, sodass die Knochen im Nacken knackten. Vertical Suplex. Maddox stand vor seinem Gegner. Er packte den Nacken und zog den Kopf über seine linke Schulter. Gleichzeitig griff er mit der rechten Hand auf den Oberschenkel des Gegners. Um genug Schwung für den Wurf zu bekommen, sprangen sie beide zeitgleich leicht ab. Maddox hob den Rastamann kopfüber nach oben, bevor er sich mit voller Wucht nach hinten fallen ließ.. Krachend knallte sein Gegner mit dem Rücken samt Maddox’ zusätzlichem Gewicht zu Boden. Muskelmasse klatschte auf den Schwingboden und ließ ihn vibrieren. Der dumpfe Aufprall hallte in Maddox’ Rücken wider. Jeder Nerv, jede Faser fühlte sich zum Zerreißen gespannt an.

Maddox sprang von der liegenden Position auf die Füße. Bei jedem Kampf gab es einen Punkt, an dem man nur noch unter Strom stand. An dem ein Match zu einem lodernden Feuer ausartete. Es fehlten drei Manöver und der Rastamann würde trotz seiner Beliebtheit den Fight verlieren.

Das Skript sah vor, dass sie sich in drei Monaten zu einem Comeback treffen sollten.

Maddox kassierte einen ruppigen Lowkick und zwei Schläge in die Rippenbögen, bevor er Death Drop in die Seile schleuderte. Der Rasta taumelte zurück und setzte zu einem Gegenschlag an. Doch bevor er Schwung holen konnte, nahm Maddox Anlauf und sprang ab. Mit den Händen packte er die beiden oberen Seile, schwang die Beine hindurch und zwang Death Drop mit einem Tiger-fight-Kick in die Knie. Krachend donnerte sein Brustkorb zu Boden. Maddox drehte ihn auf den Rücken und presste die Schultern auf den Boden, bis der Ringrichter die drei langen Sekunden abzählte. Er ließ sich Zeit, um die Dramatik zu steigern. Ein Schlag pro Sekunde. Beim letzten tobte das Publikum vor Wut und Entrüstung.

Eine polternde Stimme unterlegt mit dem wummernden Beat eines Rocksongs läutete das Ende des Fights ein. Neben den Ringseilen schossen Flammen nach oben. Feuerzungen, die aus den Zuschauern eine wabernde unscharfe Menge zeichneten. Maddox’ Alter Ego stand auf und lief durch den Ring, sodass alle seine Siegerpose sehen konnten. Er hob beide Arme in die Höhe und streckte seinen Mittelfinger aus der Faust. Die lauten Buh-Rufe erstickten im Bass des Songs. Von ihm aus sollte ihn jeder verdammte Zuschauer für den Antichristen halten, scheißegal.

Callum, sein Manager, hielt ihm den schwarzmatten Umhang entgegen. Maddox streifte ihn über die verschwitzten Schultern und zog die Kapuze über, bevor die Flammen zu den Treppenstufen des Gangs erloschen. Jede Stufe hinunter brachte ihn näher an das tosende Ausbuhen der Menge. Er drückte die Schultern durch und ging geradewegs durch den Gang. Mit der rechten Hand wischte er über sein verschwitztes Gesicht, um das Blut zu verwischen. Kein Blick nach rechts oder links, nur die Schmerzwellen, die nach Abnahme des Adrenalinspiegels durch die Muskeln rauschten. Unter seiner Nase bildete sich ein neuer Fleck feuchten Bluts. Er spürte, wie es auf die Oberlippe floss. In der Kabine hinter der Bühne wartete sein Team. Maske, ein Masseur und sein Arzt Eric.

Callum hielt ihm eine geöffnete Flasche Wasser entgegen. „Du warst nicht in Topform. Was ist los?“

Bevor Maddox zu einer Antwort ansetzen konnte, wandte sich Callum an den Arzt. „Check ihn durch! Der nächste Fight steht bald an.“

Nicht in Form. Was für ein Scheiß. Er fühlte sich topfit, nur der Fight hatte ihn gelangweilt. Death Drop hatte viele halsbrecherische Ideen ausgeschlagen und sich für einen relativ sicheren Ablauf ausgesprochen. Wenn es nach Maddox gegangen wäre, hätten sie das heute bis aufs Blut durchgezogen. Sicher, ohne Stacheldraht und andere Gimmicks für Effekthascherei. Klare Manöver mit Energie. Er kämpfte für den Schmerz, um sich zu fühlen. Um das Adrenalin in jeder Vene pulsieren zu lassen. Nicht, damit ihm eine fremde Meute beim Schauspielern zusah. Im Untergrund, bei kleineren Fights, konnte man ehrlicher ringen und kämpfen. Es ging authentischer zu und deutlicher zur Sache. Bei diesen Shows gab es weitaus weniger Gage. Und Maddox verdiente sich momentan eine goldene Nase, es lief grandios. Sein Name tauchte überall in der Szene auf. Man musste das ausnutzen. Persönliche Launen spielten dabei keine Rolle.

Stoisch ließ Maddox die Hände des Arztes über seine Haut wandern. Er bekam Tupfer in beide Nasenlöcher, bevor Eric den Nasenrücken mit einem Ruck wieder in Position brachte. Es knackte, bevor der Schmerz bis in die Schädeldecke schoss. Er hatte keine Ahnung, wie oft seine Nase schon gebrochen gewesen war. Zumindest sah man ihm die vergangenen Frakturen nicht an. Musste an Eric liegen. Und an der Tatsache, dass man nach den Fights schnell wieder zusammengeflickt wurde. Vielleicht spielte auch seine körperliche Konstitution eine Rolle, oder die Tatsache, dass er sich fit hielt. Callum sagte häufig, Maddox habe mehr Glück als Verstand. Was ihn wütend machte. Als sei man als Showkämpfer weniger intelligent. Catchen unterschied sich vom Boxen. Wenn man in der Show einsteckte, war man unaufmerksam gewesen. Oder, wie in Maddox’ Fall, gab man einen Scheiß darauf, ob man Blessuren davontrug. Es ging um den Kick, um das Touchieren einer Grenze. Selbst um die Härte, die er in sich spürte, wenn er von der tobenden Menge ausgepfiffen wurde.

Callum hatte mehrere Profi-Wrestler unter Vertrag. Maddox’ rascher Aufstieg hatte selbst den langjährigen Manager überrascht.

Doch dank des ungeschlagenen Bad Boy-Images genoss er momentan die volle Aufmerksamkeit seines Agenten. Inklusive des Boheis wie Marketing, eigenem Logo und einer Klamotten-Linie bei einem hippen Sport-Label.

„Hier.“ Callums Hand lag auf Maddox’ Schulter. Eine Geste, die freundschaftlich und verschwörerisch anmutete. „Du brauchst Entspannung.“

Diese Nähe pflegten sie normalerweise nicht, weshalb sich die Aktion heimlich und seltsam anfühlte.

Callum drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand.

Sobald Maddox einen Blick darauf werfen wollte, presste sein Manager ein Zischen zwischen den Zähnen hervor.

Zarte rote Adern durchzogen Callums Augen.

Maddox zog die Augenbrauen nach oben, beließ es aber bei der Geste und steckte die Karte in die Tasche seines schwarzen Mantels, bevor Eric die Untersuchungen beendete.

Maddox hatte keine Ahnung, woher Callum seine Weisheit zu nehmen glaubte. Und was er mit Entspannung meinte.

Callum lieh ihm seinen Fahrer und den Jeep. Eine Monsterkiste, protzig getunt und für eine belebte Stadt wie Los Angeles ein Bollwerk der Dekadenz.

Manchmal kam er sich vor wie im falschen Film. Dann erinnerte er sich an den Blick seines Vaters. Wenn sein alter Herr gearbeitet und Maddox nervös danebengestanden hatte.

„Dein Vater putzt unseren Pool!“ Lachend hatte der kleine Bastard namens Ashton auf ihn gezeigt. Und mit der betretenen Scham eines Achtjährigen hatte Maddox für Sekunden abgewogen, ob er seinen Vater leugnen sollte. Er hatte es nicht getan. Trotzdem hatte sich das Gefühl weniger wert zu sein nie wieder aus seinem Bewusstsein vertreiben lassen. Der Poolreinigungsservice seiner Eltern lief. Nicht sonderlich gut, dennoch brachte es kontinuierlich Geld. Gehalt, das von den Eltern seiner Klassenkameraden gezahlt wurde. Die lebten in großen Bungalows und nicht in Zweizimmerwohnungen zur Miete. Maddox war nur wegen eines Begabten-Schriebs auf die Privatschule gekommen. Eine soziale Durchmischung, die sich laut kalifornischer Politik gut machte. Dort lief er eher unter Wohltätigkeits- oder Förderprojekt. Bis er ins Ringerteam eingestiegen war, denn darin hatte er von der ersten Sekunde an brilliert. Ab da gab es kein Halten mehr. Er schnupperte Beliebtheit und Ruhm. Und seine Eltern verloren ihn mehr und mehr. Als peinlich und kleinkariert hatte er sie empfunden.

Auch dann noch, als er längst trotzig ausgezogen war und den Kontakt zu ihnen abgebrochen hatte.

Er hatte seine Vergangenheit abgelegt wie einen zu engen muffigen Mantel, und damit alle Menschen, die ihn an diese Zeit erinnerten. Und jetzt war er an der Spitze des Ruhms angelangt. Mehr konnte man im Profi-Wrestling nicht für sich beanspruchen.

Der Doc zog die Handschuhe aus. Maddox Nasenrücken pulsierte unter einem Pflaster. Schleppenden Schrittes ging er in die Dusche. Sich Zeit zu lassen bot zwei Vorteile. Die Halle leerte sich nach und nach, das Publikum ging nach Hause. Stille.

Und der Verkehr nahm ab. Vielleicht hatte Callum doch recht und er brauchte Entspannung.

Als Maddox nach einer Stunde im Wagen saß und die bunten Lichter der Straßen wie verwischte Pinselstriche an ihm vorbeizogen, fischte er die Karte aus der Tasche. Schick, mattschwarz, die wenigen Worte glänzend in das Papier geprägt. Kein Emblem oder Logo.

Space stand darauf, und eine Telefonnummer.

Keine Adresse oder andere Informationen. Darunter konnte sich so ziemlich alles verbergen. Und Maddox hatte keine Ahnung, was Callum unter Entspannung verstand.

Ein Spa, eine exklusive Nutte? Space … Raum. Raum für was?

Er zog sein Smartphone aus der Tasche und wählte die Nummer.

Nach drei Mal klingeln meldete sich eine melodische Frauenstimme mit einem einnehmenden rauchigen Unterton.

„Mein Name ist Sarah, mit wem habe ich das Vergnügen?“ Sie betonte das Wort Vergnügen, als wäre es weich wie Samt.

„Hi. Ich bin Maddox. Ich habe eine Visitenkarte …“ Er drehte die Karte zwischen den Fingern und beobachtete, wie der Schein der Straßenbeleuchtung darauf reflektierte.

„Und du hast keine weiteren Informationen erhalten. Darum bitten wir jeden Empfänger unseres Kontakts. Diese Karte ist ein exklusives Geschenk, das du erhalten hast. Komm doch vorbei und ich erkläre dir alles Weitere.“

Maddox murmelte zustimmend, obwohl er keine Ahnung hatte, was „alles Weitere“ sein sollte. Es klang nach einem seltsamen Geheimbund. Und er war nicht der Typ, der gern seiner Neugier nachgab. Trotzdem, das hier fühlte sich spannend an.

Sarah nannte eine Adresse in den Pacific Palisades, bevor sie auflegte.

„Das liegt im Westen der Stadt, Richtung Santa Monica. Ungefähr elf Meilen, nehme ich an“, erklärte der Chauffeur, nachdem Maddox die Adresse weitergegeben hatte.

Der Fahrer fuhr auf den Freeway und Maddox lehnte sich zurück.

Die Wellen glitzerten unter dem silbernen Mondschein wie kristallene Tropfen.

Space. Tantra-Massagen oder Sex. Was anderes fiel ihm nicht dazu ein. Callum würde ihm keine Drogen vermitteln, schließlich verdiente er sich mit Maddox’ durchtrainiertem Körper dumm und dämlich.

Nach einer knappen halben Stunde parkte der Fahrer den protzigen Jeep. Maddox stieg aus und genoss den kühlen Windhauch, der vom Ozean in Richtung der Straße strömte. Die Häuserreihe vor dem Strand von Bay City war eine exklusive Adresse. Der Bungalow machte den Eindruck eines teuren Einfamilienhauses, innen hell erleuchtet strahlten die bodentiefen Fenster über den dunklen Schiefervorplatz.

Er wusste nicht einmal, wie spät es war. Vermutlich fast Mitternacht. Er machte sich lächerlich mit der Aktion. Trotzdem stapfte er über den gepflasterten Weg zu der breiten schwarzmatten Haustür und drückte auf den minimalistischen runden Klingelknopf. Ein Summen ertönte, dann klickte der Schließmechanismus und die Tür öffnete sich.

„Sei gegrüßt, Maddox“, klang Sarahs weiche Stimme durch den Spalt, bevor er die Tür vollständig öffnete.

Vor seinen Augen erstreckte sich ein großer Raum, dessen schummriges Licht in eine Fensterfront auf der anderen Seite mündete. Als er eintrat, hatte er das Gefühl, eine fremde magische Welt zu betreten. Sarah, eine große schlanke, fast feengleiche Gestalt mit blondem, geradem Bob und weich fallenden weiten Hosen. Die hellen Kleidungsstücke umspielten ihren Körper, als sie ihn ungezwungen mit einem Küsschen auf die Wange begrüßte.

Durch die riesigen Scheiben sah man die glitzernden Wellen des angrenzenden Strandabschnitts und den scherenschnittartigen Schattenwurf von einem Turm der Rettungsschwimmer. Für so eine exklusiv gelegene Immobilie würden manche Milliardäre töten, schoss es ihm in den Sinn.

Sarah warf ihm ein charmantes Lächeln zu, drehte sich um und schritt federleicht voran. Normalerweise mochte er das nicht. Wenn Menschen vorgingen, weitersprachen und ihn damit zum Folgen nötigten. Doch bei ihr wirkte es einladend und frei. Und so, als würde sie dieses Prozedere mit einem Wildfremden nicht zum ersten Mal durchziehen. Allein ihr offenes Lächeln brach das Eis. Zumal sie ihn sowieso schon duzte. Wäre das hier eine Werbung, hätte er dem Marketingentwickler unterstellt, dem Kunden möglichst schnell das Gefühl von Nähe und Zwanglosigkeit vermitteln zu wollen. Unterbewusst und manipulativ.

Maddox folgte ihr durch den großen Raum. Kein Schreibtisch, nur ein langer ovaler Tisch, ähnlich einem Verhandlungstisch, mit Sesseln, die ihn an den Design-Klassiker von Vitra erinnerten. Exquisit und kostspielig. Andere Möbelstücke standen weniger exponiert und eher unauffällig herum. Der Boden bestand aus aufbereiteten dunklen Holzdielen, die übergangslos in eine weite Terrasse mündeten. Draußen wehte milder Wind. Auf einem runden Teppich lagen orientalisch angehauchte Sitzkissen umringt von Lampions. Ein Pavillon aus unterschiedlichen Tüchern und Quasten überdachte den Sitzbereich. Sarah nahm Platz und deutete mit einer geschmeidigen Handbewegung auf das Kissen, das ihr gegenüber lag. „Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie. Neben ihr standen mehrere Gläser und Getränke auf einem mit Ornamenten verzierten Tablett. Unter den Karaffen wirkten die beiden kleinen Bierflaschen wie Ausreißer. Maddox’ Lieblingsbiermarke. Vermutlich hatte Callum sein Kommen angekündigt.

Er entschied sich für das Bier und staunte innerlich, als Sarah auch für sich eine Flasche öffnete, bevor sie mit ihm anstieß.

„Was muss ich mir unter dem Namen Space vorstellen?“, hakte er nach.

Es sah nicht aus wie ein Bordell. Eher wie ein exklusives Spa oder ein Yoga-Hotspot.

„Raum für Verschiedenes, würde ich sagen. Spielraum. Eine Entspannungsnische. Fantasie.“ Wobei sie das letzte Wort so spielerisch und leicht betonte, dass es rätselhaft klang. Sarah nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche, bevor sie eine Mappe an sich nahm und darin blätterte. „Du bist erfolgreich, berühmt, aber etwas fehlt, oder?“ Sie forschte in seinen Augen und ließ ihre Vermutung in der Stille an Gewicht zunehmen. Das Rauschen der Wellen gewann an Präsenz. „Bist du glücklich?“

Er pustete verächtlich durch die angespannten Lippen, bevor er einen weiteren Schluck des kühlen Biers durch seine Kehle rinnen ließ.

„Klar“, log er.

Sie taxierte ihn mit dem Blick aus ihren graublauen Augen. Die gerade Kante des Kurzhaarschnitts lag exakt auf der Höhe ihres spitzzulaufenden Kinns. Er hielt ihrem Blick ein paar Sekunden stand, dann wandte er sich ab.

Die Gischt schäumte auf dem Sand, bevor sie glitzernd versank.

„Um das zu beantworten, müsste ich wissen, was genau Glücklichsein ist“, ergänzte er. Sie nickte ihm zu.

„Nun, die Antwort muss wohl jeder für sich selbst finden. Doch wir können dafür sorgen, dass eine andere Form von Adrenalin und Spannung eine Abwechslung bringt. Fantasievoller als das, was du in deinem Job erlebst.“

Irgendwas an dem Gedanken, dass sein Manager vorher mit Sarah gesprochen hatte, gefiel ihm nicht. Es wirkte wie eine Bevormundung, übergriffig. Als hätten andere erkannt, was gut für ihn war. Oder als gäbe es ein verdammtes Problem.

Trotzdem wuchs seine Neugier und er fühlte sich auf einer Ebene herausgefordert. Als wäre das hier eine neue Challenge, in der er bestehen wollte. Er schüttelte den Kopf. Beziehungen suchte er nicht. Er hatte weder Zeit dafür noch Nerven, sich mit einer Frau auseinanderzusetzen. Bei so was gab es Erwartungen und er hatte weder Lust zu warten noch den Wünschen einer Person nicht gerecht zu werden. Er war ein Einzelgänger, und dabei wollte er es belassen. Wenn er Lust auf Sex hatte, bekam er ihn. Ein Vorteil, wenn man in der Medienbranche einen Namen hatte. Es gab immer Frauen, die Lust auf eine Nummer mit einem Sportler hatten. Dementsprechend abstrus erschien die Idee, für Sex zu bezahlen. Wenn es denn hier um Sex ging.

„Ich möchte eines von vornherein klarstellen: Es geht nach dem Kopf unserer Mädchen“, betonte Sarah.

Maddox konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. Das hier hörte sich lächerlich an. Schließlich wusste er noch nicht einmal, worum es ging. Und er hatte sich auch nicht auf irgendwas eingelassen.

Doch Sarah verzog keine Miene.

Überlegen, erhaben, er fand nicht den richtigen Ausdruck für die Haltung, die sie ausstrahlte. Als müsste er ahnen, welches Geschenk oder Angebot hier auf ihn wartete, aber in Wahrheit wusste er nichts.

„Das hier.“ Sie legte die aufgeklappte Mappe vor ihn. „Ich habe eine Vorauswahl der Mädchen getroffen, auf die dein Profil passen könnte.“

Das Ganze kam ihm so dreist vor, dass es ihn triggerte. Ein Angebot, das keines war. Eher ein Privileg, das seine Neugier wecken sollte. Aber hey, verdammt, wenn er wollte, konnte er nach einer Show mit den Fingern schnipsen und in der Umkleide eine Frau vögeln.

Er schnappte die Mappe und schlug die erste Seite auf.

Ein Foto. Eine Blondine mit wallender Lockenmähne, die in einem bunten Sommerkleid in die Kameralinse lächelte. Nett.

Er nahm sich nicht die Zeit, die wenigen Zeilen zu lesen, die unter den Bildern abgedruckt standen.

Das nächste Bild zeigte eine Rothaarige mit rot geschminktem Kussmund. Es folgte eine Brünette mit blonden Strähnen und blauen Augen. Makellos.

Doch auf Seite vier blieb er haften.

Rabenschwarze Haare, die bis zu den beiden Kuhlen neben den Beckenknochen reichten. Sie saß auf einer Fensterbank, der Kamera den Rücken zugewandt, das Gesicht nur leicht von der Seite touchiert. Verheißungsvoll. Ein Geheimnis. Man sah nur Ausschnitte von ihr. Den Schlitz nackter Haut zwischen Shirt und Hosenbund. Die Strähnen, die ihr Gesicht streiften. Ihre Knie, links und rechts neben diesen prallen Pobacken. Sie saß im Schneidersitz auf einer Fensterbank, den Kopf leicht geneigt, sodass man ihre helle Haut schimmern sehen konnte. Er erhaschte einen Eindruck ihrer kleinen Nase und der vollen rosenholzfarbenen Lippen.

Maddox verharrte beim Anblick dieses Fotos und fragte sich, ob seine Faszination daher rührte, weil sie die Einzige war, die nicht direkt in die Kamera blickte. Und doch strotzte das Bild vor Selbstbewusstsein und Sinnlichkeit. Die Form dieses perfekt geschwungenen Pos, der leichte Schimmer auf ihrer Haut. Jede einzelne der Frauen war ungemein begehrenswert, keine Frage. Doch diese erschien ihm geheimnisvoll.

Trotzdem!

„Alle!“ Er sprach es aus und sah auf, obwohl er sich kaum vom Anblick des vierten Fotos losreißen konnte.

Zum ersten Mal wirkte Sarah überrascht. Sie legte den Kopf leicht schief und zog die Augenbrauen nach oben.

Er nahm einen Schluck des kühlen Biers und genoss das Schattenspiel, das die Lampions im Wind auf den dunklen Holzboden warfen.

„Alle vier?“ Sarahs Stimme hatte eine Nuance Achtung gewonnen.

„Monday.“ Er blätterte zurück zu Seite eins. Die hübsche romantische Blondine strahlte ihm entgegen, bevor er die Mappe nach oben hielt, damit Sarah sah, was er meinte. Er blätterte weiter. Seite zwei, die Rothaarige mit dem rotgeschminkten vollen Kussmund. „Wednesday.“ Er schlug Nummer drei auf. Die wilde Brünette mit den verspielten blonden Strähnen in der Mähne. „Friday“, zählte er weiter auf, bevor er zum letzten Foto blätterte. „Sunday.“ Ihm stockte der Atem, weil die Glanzlichter der Lampions kleine Lichtfetzen über das rätselhafte Bild der dunkelhaarigen Frau tanzen ließen.

All das war bloße Improvisation. Weil er sich Sarah überlegen fühlen wollte. Weil ihre unnahbare und warme Art vor Selbstbewusstsein troff. Und er es nicht gewohnt war, überrascht zu werden. Und es ihm gehörig gegen den Strich ging, dass Callum dachte, er sei berechenbar und mit ein paar Frauen zur Ruhe oder entspannt zu bekommen.

„Möglich.“ Sarah verengte die Augen leicht und wog ab. „Wenn sie zustimmen. Die Frauen entscheiden. Wie lange?“, hakte sie nach.

„Eine Stunde. Voller Tagessatz.“ Es fühlte sich an, als wäre er Spieler in einem Casino. Als pokerte er, dabei wusste er nicht einmal, um welchen Einsatz es ging. Geld spielte in seinem Leben momentan keine Rolle. Callum handelte die Gagen aus. Und das machte er hochprofessionell und dreist zu gleichen Teilen, denn Maddox’ Konto quoll über. Außerdem würden die Rechnungen vorerst an Callum gehen, schließlich hatte er den abstrusen Vorschlag gemacht und ihn zu Sarah geschickt.

„Ich spreche mit ihnen, dann sehen wir weiter.“ Sie nahm die Mappe wieder an sich und setzte sich in den Schneidersitz, sodass er ihre schlanken, nackten Füße aufblitzen sehen konnte.

„Die Frauen entscheiden, was bei den Treffen geschieht. Wie weit sie gehen möchten. Du kannst dir Dinge wünschen, mehr nicht. Es geht um Fantasie und Spiel, wenn du verstehst.“

Er nickte. Obwohl er es nicht verstand. Nicht mal für die Shows ließ er sich sonderlich auf Spielereien ein. Für ihn stand das Kämpfen, das körperliche Messen, im Vordergrund. Das Adrenalin und der Kick. Die Show entwickelte sich von allein, wenn sein Ehrgeiz angestachelt wurde. Manche Szenen wurden erst so richtig gut, wenn man ein wenig improvisierte. Mochte nicht jeder Gegner, weil ein Abdriften vom Konzept immer Risiken barg. Doch die wirklich harten Wrestler nutzten dieses Risiko für sich.

„Ich melde mich bei dir.“ Sarah stand auf.

Mit Blick auf das silbern spiegelnde Wasserspiel des Meeres leerte er die Bierflasche und stellte sie auf das Tablett, bevor er ungelenk vom Sitzkissen aufstand. Seine Muskeln brannten noch vom Fight. Unter dem länglichen Pflaster auf seinem Nasenrücken pulsierte es.

„Keine Namen“, erwähnte er, während er ihr durch die wehenden Vorhänge nach innen folgte. „Nur die Wochentage.“

Dieses Spiel würde vermutlich nicht lange dauern, denn er konnte sich kaum vorstellen, dass ihn die Nummer in irgendeiner Weise befriedigen oder entspannen konnte. Wenn es um Sex gehen würde vielleicht, doch das hier schien ihm eine seltsame und mystische Art von Geschäftsmodell zu sein. Keine Ahnung, um wen es sich bei den Frauen handelte, die sich so eine goldene Nase verdienten. Er ging davon aus, dass so exklusiv, wie Sarahs Wohnsitz anmutete, auch der Tagessatz ihrer Ladys sein würde. Tatsache war: Er hatte einen Ruf zu verlieren. Deshalb würde keines dieser Treffen mit Informationen ablaufen.

Und wenn dabei kein tabuloser und schmutziger Sex raussprang, konnte er sich kaum vorstellen, dass er lange bei der Stange blieb oder sich außergewöhnlich amüsierte.

„Das dürfte kein Problem darstellen“, antwortete Sarah. Ihre Lippen hauchten einen sanften Kuss auf seine kratzige Dreitagebartwange.

Sie steuerte das ganze Treffen und selbst jetzt wurde er abgehandelt. Normalerweise lebte er nach der Devise, dass er entschied. Dass er handelte und sich die anderen nach ihm zu richten hatten. Diese ganze Nummer hatte er keine Sekunde im Griff gehabt. Sie verabschiedete sich und schenkte ihm ein freies und freundliches Lächeln. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er miserabel aussehen musste. Nach dem Fight, mit den Blessuren. So, wie ihn der Doc schnell zusammengeflickt hatte.

Er nickte nur. Mehr war nicht drin. Erst als er wieder zum Auto ging und einstieg, wurde ihm klar, was er vielleicht hätte antworten können. Dass er ein Arschloch im Ring darstellte, doch dass ihm seine Mutter Respekt gelehrt hatte. Anstand und Benehmen. Er brachte sich nur nicht mehr aktiv in Positionen, in denen er das abzuliefern hatte. Er mied Kontakte. Er ging nicht auf Partys oder Events. Außer es ging um Promotion oder um seine Rolle.

Sein Leben bestand aus dem Job. Callum nannte ihn ein Arbeitstier. Vielleicht war er das. Vielleicht war er aber auch nur müde. Weil ihn sein eigenes Leben nicht mehr interessierte. Er hatte alles. Geld, Fame, und wenn er Sex wollte, konnte er sich ein ganzes Bordell mieten.

Verdammt. Er hatte keine Ahnung, was das hier sein sollte. Und warum er mit seinem Verhalten von eben überhaupt haderte, es sollte ihm gleichgültig sein.

Die Straßenlaternen warfen helle Flecken auf den Asphalt. Wie Spots in den kleinen Kneipen, auf deren Bühne gleich ein miserabler Comedian auftrat.

Maddox warf einen Blick auf die Uhr. Eine Stunde? Er hatte knapp sechzig Minuten in dem Haus verbracht?

Unmöglich.

Ihm war es vorgekommen, als wäre er nicht länger als zehn Minuten dort gewesen. Müde wischte er sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Nase pochte unter der Berührung und die Bartstoppeln an seinem Kinn kratzten. Die Bilder der Frauen strömten in seine Gedanken. Wie Reflexionen des Mondlichts auf den Schaumkronen blitzten sie vor seinem geistigen Auge auf.

Jede Frau war wunderschön, aufregend und geheimnisvoll.

Am meisten war der Eindruck dieses Ausschnitts in ihm haften geblieben. Der schmale Schlitz heller Haut mit den beiden feinen Kuhlen, die verheißungsvoll in die runden Pobacken mündeten. Er wollte wissen, was für Augen sie hatte. Das Mädchen von der Fensterbank. Nummer vier – Sunday.

2.

Ella

„Es gibt einen potenziellen Auftrag, könnte dir gefallen.“

In Sarahs Stimme schwang dieser Singsang, der Ella bereits bei ihrer ersten Begegnung mit der charismatischen Agenturleiterin aufgefallen war. Frohlockend, verführerisch, aber auch abgeklärt. Eigenschaften von Sarah, die sich Ella abschauen wollte, weil sie ihr das Gefühl gaben, über jede Situation erhaben zu sein. Es strahlte eine Form von Souveränität und Kontrolle aus. Gleichzeitig mutete es freundlich und respektvoll an.

Trotz dieser reizvollen Betonung blieb der Inhalt des Satzes derselbe. Egal, wie es ihre Chefin ausschmückte. Ella mochte es, für Sarah zu arbeiten, doch wenn es um neue Auftraggeber ging, spürte sie diesen Funken Zaghaftigkeit in sich. Weil es immer ungewohntes Terrain bleiben würde und im krassen Gegensatz zu ihrem „normalen Leben“ stand.

Sie murmelte zustimmend in ihr Smartphone, bevor sie das Buch über die Dynamik der Erdatmosphäre zuklappte und zum Fenster ging.

Space.

Marketingtechnisch ein Glanzstück. Die Agentur bot Raum für Fantasie und Spiel. Exquisit, geheimnisvoll und rätselhaft. Doch wie man es auch ausschmückte, es blieb eine exklusive Escort-Agentur. Und Ella arbeitete dort. Zumindest zeitweise, um sich zu finanzieren.

„Kommst du vorbei?“, fragte Sarah.

„Natürlich, ich kann in zwei Stunden da sein.“ Sie öffnete das Fenster, um den kleinen Nachtfalter, der immer wieder gegen die Scheibe prallte, in die Freiheit zu entlassen. Er brauchte einen Stupser mit der Fingerspitze, um den Weg in die Sonnenstrahlen zu finden.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie ihr Rad mit in die Bahn nahm, konnte sie es in dieser Zeit schaffen. Ihr Apartment lag in Inglewood und wenn sie in Crenshaw in die Bahn stieg und bis nach Santa Monica fuhr, dann würde sie es schaffen.

„Bis gleich.“

Sie legte auf und öffnete das Fenster vollständig, damit eine warme Brise in ihr Ein-Raum-Apartment strömte. Sie konnte sich die achtunddreißig Quadratmeter große möblierte Wohnung kaum leisten, das wusste Sarah. Ella bekam keine finanzielle Förderung, aber eine knappe Hinterbliebenenrente. Die Miete und die monatlichen Fixkosten hatte sie bis vor einem halben Jahr mehr schlecht als recht mit dem Kellnerjob in Pann’s Diner finanziert. Dort, im Restaurant, hatte sie Sarah getroffen. Auf der Toilette, nach Dienstschluss. Ella würde die direkte Art ihrer jetzigen Chefin niemals vergessen.

Du bist sehr hübsch, hatte Sarah gesagt. Sie hatten die Hände gewaschen, bevor sich ihre Blicke im Spiegel trafen.

Das Selbstbewusstsein und die Direktheit der großen Blondine hatten Ella imponiert. Noch nie zuvor hatte sie ein so offenes Kompliment von einer Frau bekommen. Und das hier, in der zweitgrößten Stadt der Vereinigten Staaten. Die Menschen lebten zwar diese Everybodys-Darling-Mentalität, doch die blieb unverbindlich und schnelllebig. In Kalifornien schien immer die Sonne, hier wurde Hollywoodgeschichte geschrieben. Hier gab es keine Sorgen. Hier konnte man zum Frühstück belgische Waffeln mit Chicken Wings essen und direkt danach in den Wellen surfen gehen. Die menschlichen Abgründe blieben auf den versteckten Hinterhöfen. Wie die Drogen und die gescheiterten Existenzen. Morgens auf dem Weg zur Arbeit sah sie die Obdachlosen, die auf den U-Bahn-Schacht-Abzügen mitten auf dem Gehsteig schnarchten. Hier in LA schaffte man es, zu überleben, oder man ging unter, so kam es ihr vor. Und sie wollte es schaffen, irgendwie. Auch wenn ihre Startvoraussetzungen miserabel aussahen.

Sarah hatte sie zu einem Drink eingeladen. Nicht im Pann’s, sondern in einer teuren Bar, die erlesene italienische Weine anbot. Skurrilerweise hatte der Wein Ella an ihren Geburtsort Santa Rosa erinnert. Schlicht, weil sie ewig keinen Rotwein mehr getrunken hatte. In Sonoma County gab es viele Winzer. Der Wein dort schmeckte süßer als der schwere Primitivo, den sie mit Sarah trank.

Sie erzählte Sarah, wo sie aufgewachsen war. Wie es in einer Kleinstadt westlich von Sacramento zuging. Dass sie seit dem Unfall ihrer Eltern niemanden mehr gehabt hatte und das Studium für sie eine Chance auf ein eigenbestimmtes neues Leben darstellte.

Beim zweiten Glas Rotwein hatte ihr Sarah von Space erzählt.

Dabei handelte es sich nicht um eine Agentur, in der sich Männer Liebe oder Sex kaufen konnten. Die Klientel erstand ein exklusives Abenteuer. Nicht die Kunden bestimmten den Ablauf der Treffen. Denn das kann diese Art Mann bereits, erklärte Sarah. Die Männer haben so viel Geld, dass sie sich die teuersten Callgirls leisten können. Die schnellsten und kostspieligsten Wagen. Da zählen Statussymbole, Prestige und vor allem Macht. All das kostete Kontrolle und es ist so weit vom normalen Leben entfernt, dass Authentizität verloren geht. Diese Männer sind es gewohnt, alles zu bekommen, was sie wollen. Was sie nicht steuern können, ist die Fantasie. Das, was im Kopf geschieht. Und genau diesen Funken entfacht Space.

Ella war von den Ausführungen fasziniert gewesen. Auch wenn ihr das Geschäftsmodell nicht hundertprozentig einleuchtete. Was man unter Fantasie zu verstehen hatte, war subjektiv und reine Auslegungssache. Und wer konnte schon ahnen, was nach einem zielgerichteten Funken Kopfkino hinterher beim Empfänger herauskam?

Doch als sie ihre zukünftige Chefin an diesem Abend beobachtete, wie sie mit den Blicken und den Männern in ihrem Dunstkreis spielte, sie manipulierte und steuerte, war ihre Neugier geweckt worden. Jede Geste, das kurze Schürzen der perfekt geschminkten roten Lippen. Die Art, wie Sarah die schlanken Beine in dem dezenten Hosenanzug von Chanel übereinanderschlug.

Plötzlich hatte sie nicht mehr mit dem Jobangebot gehadert, sondern darüber nachgedacht, ob sie überhaupt so selbstbewusst agieren konnte. Ob sie je so authentisch und sicher auftreten würde wie Sarah.

Wenn es nach Ella ging, machte sie diesen Job, bis sie ihr Meteorologiestudium an der UCLA hinter sich hatte. Und dann startete sie durch.

Hastig zog sie ihren grünen Parka über und schnappte das Fahrrad, das sie neben der Küchennische vor die Eingangstür gestellt hatte. Diese Barrikade stellte ihr Frühwarnsystem dar. Nachts gab es in dem Gebäudekomplex oft Lärm und Randale. Wenn sich jemand in der Tür irrte, flog so als erstes ihr Rad um, dann war sie wach. So die Idee. Sie drehte den Schlüssel zweimal in der Tür, bevor sie noch ein paar Mal dagegen drückte. Lächerlich, außer den Fachbüchern aus der Bibliothek besaß sie nichts Wertvolles. Und das Armband, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, trug sie immer. Eine zierliche roségoldene Gliederkette, mit kleinen Plättchen daran. Weniger als ein Hauch Schmuckstück, dennoch bedeutend.

Sie schwang sich aufs Rad und fuhr los. Der Morgenwind spielte in ihren Haaren und ließ die Blätter der wenigen knorrigen Bäume knistern. In feinen Wellen wehte Staub und Sand über den Asphalt der Straße.

Der Kontrast zwischen frischer Luft und drückender Hitze, als sie vom Rad in die stickige Bahn stieg, raubte ihr fast den Atem. Kurz darauf raste die Stadt in Fetzenbildern an der Fensterscheibe vorbei. Westwood, Palms, Vermont. Die Wipfel der Palmenköpfe wogten im Wind, während sich die Autos auf den Straßen durch den dichten Verkehr schoben. LA pulsierte energiegeladen und blieb dennoch undurchschaubar. Wenn man alles gab, konnte man alles erreichen. Das wollte sie glauben. Mit diesem Gedanken schmeckte selbst eine wässrige Nudelsuppe, wenn man Hoffnung hatte. Und auch, wenn es in ihrer Situation naiv anmutete, sie hatte diesen Glauben noch nicht eingebüßt. Obwohl sie in Hardcorezeiten drei Jobs gemacht hatte, um das Studium und das Leben an sich zu packen.

Als sie bei Sarah angefangen hatte, huschte ihr immer der Vergleich durch den Kopf: Pretty Woman, eine Begleitdame oder eine Hure. Den Film hatte sie als Jugendliche förmlich inhaliert. Und die Szene, die ihr am meisten in der Erinnerung haftete, war nicht das Happy End. Sie mochte den leisesten Moment des Films am meisten, als Edward Lewis nach Vivians Aufbruch barfuß über den Rasen läuft. Nicht die erotischen Szenen oder die lustigen hatten sich ihr eingeprägt. Bei ihr blieb dieser Augenblick hängen, weil er so simpel war und doch so viel aussagte. Er hatte die Bodenhaftung verloren, als Vivian fort war. Und er erinnerte sich an ihre Spontanität und ihre Freude. Das kam ihr besonders vor. Vielleicht hatte es Vivian geschafft, den Zauber der Fantasie bei Edward zu entfachen. Vielleicht meinte Sarah genau das. Vielleicht hatte ein Manager, der sich täglich durchbeißen musste, um in dem harten Business zu bestehen, mehr davon, wenn eine Frau ihn zu einem Barfußspaziergang im Stadtpark überredete, als wenn er auf einen Empfang ging, auf dem er funktionieren musste.

Als sie an Sarahs Bungalow ankam, hatte sich die Bauchtasche in Schweißform auf ihre Jacke geprägt. Ein Rorschach-Test in Umrissen. Hastig, um sich nicht zu verspäten, strich Ella ihre Haare glatt. Verschwitzt und vermutlich mit hochrotem Gesicht nur in Shorts und Parka. In dieser exklusiven Wohngegend wirkte sie wie eine Postbotin. Sie lehnte ihr Rad an eine Straßenlaterne und schloss es ab. Die mattschwarzen Steine auf dem Weg zur hohen Eingangstür glitzerten leicht im Sonnenlicht. Schon als sie hier das erste Mal geklingelt hatte, war ihr aufgefallen, dass weder ein Name noch der Schriftzug, ein Logo oder Emblem von Space angebracht waren. Nur die Nummer achtunddreißig auf dem Alma Real Drive.

Sarah begrüßte sie mit einer festen und herzlichen Umarmung. Sie gab wenig auf Äußerlichkeiten. Nur bei Aufträgen hieß es stets: sei makellos. Teure Garderobe, erlesene Pflegeprodukte und keine Kompromisse. Tadellose Manieren. Sarah hatte Ella regelrecht ausgebildet, bevor sie das erste Treffen mit einem Mann für sie disponiert hatte. Anfangs hatten Aufregung und die Nervosität alles in Ella regiert. Jetzt wurde sie seit knapp vier Monaten gebucht, und zwar regelmäßig. Doch diese aufwühlende Gefühlsanarchie, die in ihr tobte, war noch nicht zur Routine geworden. Die Nervosität hatte sich nicht gelegt. Aber Sarah hatte erklärt, dass es bei manchen Frauen so blieb und dass es prinzipiell positiv war, eine gesunde Form von Wachsamkeit beizubehalten.

Wenn sie einen Auftrag hatte, vollzog sich in Ella eine Art Metamorphose. Sie war nicht wirklich sie selbst, sondern wurde zu der Frau, die der Mann haben wollte. Er hatte bestimmte Gründe, sie zu buchen und diese versuchte sie zu ergründen, um ihm genau diese Facette optimal zu präsentieren. Anfangs wurde sie zu seinem Spiegel, seiner Fantasie. Makellos, aufmerksam, fröhlich oder einfühlsam. Man konnte es nicht Schauspielerei nennen, eher eine Form von Achtsamkeit für das Gegenüber. Immer auf der Hut, keine Fehler zu machen, hochkonzentriert. Ein dezentes Lächeln konnte ein Aufblitzen in die Augen des Mannes zaubern. Gesten, die die richtigen Körperteile betonten, ließen seine Fantasie in die Höhe schnellen. Es ging häufig um kleine Akzente. Zum Beispiel gab es jedem Mann ein vertrautes Gefühl, wenn man die gleichen Worte aufgriff, von denen er gerade gesprochen hatte. Fragen sprachen für Interesse. Doch auch eine geschickt gesetzte Zäsur in ein paar spannenden Sätzen wirkte, als sei man kurz aus dem Konzept gebracht worden. Es gab Männer, die sich schlicht in einem besseren Bild gesehen haben wollten. Und jene, die Aufmerksamkeit aufsogen. Und obwohl sich Ella diese Regeln merkte und sie als Tipps umsetzte, heuchelte sie nicht. Dafür faszinierte sie diese fesselnde Welt viel zu sehr. Die meisten Männer blieben nach dem ersten Treffen bei Space. Sarahs Vorschläge den Männern gegenüber, also wie sie ihre Frauen disponierte, verfehlten niemals ihr Ziel. Sie wählte jede Frau mit Bedacht. Nicht, um eine mannigfaltige Auswahl für die Männer aufzustellen. Es ging um das Wesen der Frauen. Die Kunst ganz spezieller Verführung auf sinnlicher Ebene. Es gab regelmäßige Treffen, sogenannte Optimierungswochenenden und Workshops, mit einer gewissen Anzahl an Frauen. Immer wieder überraschte es Ella, wie zeitgenössisch alles ablief. Sarah sprach von Themenschwerpunkten wie „Gesten deuten“, „Akzeptanz“ und „Respekt“. Bei den Kunden von Space handelte es sich um vermögende, fest im Leben stehende, intelligente Männer. Manche davon seit Jahren liiert. Bei diesen Treffen herrschte absolute Diskretion. Die erste Devise lautete: abschätzen, worum es ging. Es gab Gründe, warum sich der Mann an die Agentur wandte. Um was ging es bei ihm? Die Quintessenz der Wünsche oder der Suche fand nur, wer genau zuhörte. Ella hatte von Sarah gelernt, Mikrogesten zu deuten. In Mienen zu lesen und Stimmfarben zuzuordnen. Und genau zu verstehen, wann man einen Blick halten sollte und wann es angebracht war, einen schüchternen Augenaufschlag sprechen zu lassen. Eine Kunst jeden Sinn eines Mannes zu bespielen. Zwei Männer nutzten regelmäßig ihre geschäftlichen Termine in den Staaten, um sich mit ihr zu treffen. Sie hatte gelernt, dass es nicht darum ging, einen Mann zu umschwärmen. Sondern, ihn hungrig zu halten.

Und dabei ging es nur nebensächlich um Sex. Ella hatte am meisten Erfolg mit Fantasie und Vorstellungskraft. Sie hatte bisher nie mit einem Mann geschlafen, der sie über Space gebucht hatte. Obwohl sie manche Männer durchaus interessant und ansprechend fand, konnte sie mit ihnen keinen Sex haben. Sie schaffte es einfach nicht, den Gedanken auszublenden, dass sie dafür bezahlt wurde. Das hatte weniger etwas mit Stolz zu tun, sondern dazu musste es einfach mehr geben als Interesse. Außerdem konnte sie das Gefühl nicht ertragen, austauschbar zu sein. Wenn sie mit einem Mann schlief, musste ihr Herz dabei sein. Und er musste sie wollen, nicht irgendeine Frau, die er über eine Agentur gebucht hatte.

„Ich habe kurz gehadert, bevor ich dein Bild mit in die Auswahl nahm“, erwähnte Sarah, während sie auf die Veranda gingen.

Der Grund, das Haus zu lieben, war dieser Ort. Der Blick auf die Wellen, das Meer und die Luft. Die bunten Lampions, die Kerzen und die Sitzkissen. Dieser leichte Boho-Schick, der aus dem teuren Anwesen eine Wohlfühloase machte. Ella sog den salzigen Geruch der Meeresbrise ein und spürte, wie die Sonnenstrahlen ihre Haut benetzten.

„Warum?“, hakte sie beunruhigt nach.