Pieces of my Heart - Ronja Weisz - E-Book

Pieces of my Heart E-Book

Ronja Weisz

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Beschreibung

Seine Geheimnisse ziehen sie in ihren Bann, seine Liebe lässt sie nicht mehr los    Seit Gwen denken kann, versucht sie die Welt zu ergründen. Als Enthüllungsjournalistin lebt sie in Boston ihren Traum. Aber ihr nächstes Projekt scheint schwieriger zu werden als alle zuvor. Denn nicht nur der CEO von Jenkins Security stellt sich Gwen in den Weg, als sie versucht mehr über sein Unternehmen zu erfahren. Auch Luke Sawyer, der stellvertretende Geschäftsführer, bringt Gwen immer häufiger aus dem Konzept. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nie zuvor gespürt hat. Als sie von Lukes dunkler Vergangenheit erfährt, ist Gwen schockiert. Und doch kann sie sich nicht von ihm fernhalten.   Meinungen zum Buch: Faszinierende und liebenswert Protagonisten ziehen einen in ihren Bann und durch den Verlauf der Geschichte. (Roswitha B. auf NetGalley.de) Mit "Pieces of my Heart" schafft, die Autorin einen bewegenden Liebesroman, der für mich alles hatte: Drama, Intrigen und großen Gefühle. (Corinna Z. auf NetGalley.de) Eine Hin und Her zwischen Liebe und Verderben. Spannend, packend und und überraschend. (Sarih151 auf lovelybooks.de)

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Seitenzahl: 510

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Pieces of my Heart

Die Autorin

Ronja Weisz ist 1987 in Frankfurt am Main geboren und bis heute heimisch. Mittlerweile lebt sie dort mit ihrem Mann zusammen und arbeitet als Sacharbeiterin in einem Chemieunternehmen. Neben dem, doch recht bieder erscheinenden, Beruf schreibt die Autorin schon seit frühster Jugendzeit Geschichten. Besonders moderne Liebesgeschichten in Kombination mit dramatischen Spannungsmomenten haben es ihr angetan. Wenn sie nicht vor dem Computer an neuen Ideen tüftelt, macht sie die Gegend mit ihrem Motorrad oder ihrem Fahrrad unsicher.

Das Buch

Seine Geheimnisse ziehen sie in ihren Bann, seine Liebe lässt sie nicht mehr los

Seit Gwen denken kann, versucht sie die Welt zu ergründen. Als Enthüllungsjournalistin lebt sie in Boston ihren Traum. Aber ihr nächstes Projekt scheint schwieriger zu werden als alle zuvor. Denn nicht nur der CEO von Jenkins Security stellt sich Gwen in den Weg, als sie versucht mehr über sein Unternehmen zu erfahren. Auch Luke Sawyer, der stellvertretende Geschäftsführer, bringt Gwen immer häufiger aus dem Konzept. Er weckt Gefühle in ihr, die sie nie zuvor gespürt hat. Als sie von Lukes dunkler Vergangenheit erfährt, ist Gwen schockiert. Und doch kann sie sich nicht von ihm fernhalten.

Ronja Weisz

Pieces of my Heart

Liebesroman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinSeptember 2019 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © Karin Probst PhotographyE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-501-2

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Kein Moment zum Verlieben

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Widmung

Widmung

Es war einmal ein Ritter, der sich so unsterblich in seine Königin verliebte, dass ihre Liebe ein ganzes Königreich zum Einsturz brachte …

1. Kapitel

Gwen

»Das liest sich wie der Wikipedia Eintrag von einer Fünfzehnjährigen.« Theo Neumann knallt den Artikel sechstausend Kilometer entfernt von Gwen auf den Schreibtisch und lehnt sich in seinem quietschenden Ledersessel zurück. »Dachte, dass du mittlerweile ein bisschen mehr Biss bekommen hast, Hardwig. Das hätte auch von meiner Stieftochter sein können. Und das letzte Mal als ich mit dem verwöhnten Balg gesprochen habe, hat sie Hemingway für diesen Thor Schauspieler gehalten.«

»Chris Hemsworth?«

»Sehe ich so aus, als würde mich das ernsthaft interessieren?« Er fuchtelt wild mit dem Zeigefinger vor der Webcam herum. »Du weißt ganz genau, was ich dir damit sagen will.«

Natürlich weiß sie das. Sie wusste es streng genommen schon, bevor sie das Videotelefonat aus den USA heraus mit dem Chefredakteur des Panorama Echos in Deutschland gestartet hatte. Der Artikel, den sie ihm zuvor per E-Mail zukommen lassen hatte, ist schlecht. Von hinten bis vorne eine Ansammlung distanzierter Fakten, die jeder Idiot innerhalb weniger Minuten im Internet finden kann. Aber es ist alles, was Gwen ihm aktuell bieten kann und sie hat gehofft, sich damit zumindest etwas Zeit zu erkaufen. Doch als sie jetzt in die Haifischaugen ihres Chefs blickt, ist ihr klar, dass ihre Zeit so gut wie abgelaufen ist. Als sich diese Erkenntnis vorsichtig in ihrem Kopf sammelt, bäumt sich wie üblich Widerstand in ihr auf. Aufgeben war noch nie ihr Ding.

Sie lehnt sich nach vorne, näher zur Kamera hin, und stützt sich mit den Ellenbogen auf ihren Holzschreibtisch. »Hör mal, ich weiß, dass das Mist ist, aber sieh es einfach als einen groben Entwurf. Ein Skelett, das ich nur noch mit Leben füllen muss.«

»Leben, hm? Und wo glaubst du, dieses Leben zu finden? Nach allem, was wir wissen, könnte der Typ bereits tot sein, ohne dass wir was gemerkt haben. So viel zum Leben.« Theo wedelt wild mit einem ausgedruckten Steckbrief vor der Kamera herum, darauf zu sehen ist eins der wenigen Bilder, die Gwen von Arthur Jenkins hat finden können.

»Er feiert nächsten Monat seinen Geburtstag, also gehe ich davon aus, dass er wohl eher nicht tot ist. Das wird eine riesige Party, für die angeblich das gesamte Langham hier in Boston reserviert worden ist.«

»Woher weißt du das?« Theo Neumann verengt die Augen misstrauisch und beäugt sie scharf. Als Gwen nicht sofort antwortet, deutet er mit dem Finger drohend auf sie. Oder vielmehr auf die Kamera. »Sag mir nicht, dass du Meier wieder dazu gebracht hast Computer in Übersee zu hacken?«

»Okay. Ich sag es nicht.«

»Scheiße, Hardwig! Lass den Jungen endlich in Ruhe seinen gottverdammten Job machen. Er soll dafür sorgen, dass die Rechner laufen und die Mäuse klicken und nicht für dich auf mysteriöse Millionärsjagd gehen. Ehrlich, was ist das mit dir und diesem Jenkins?«

»Gar nichts. Außer der offensichtlichen Tatsache, dass er eins der größten Mysterien unserer Zeit ist. Er ist CEO von dem Unternehmen mit einer der legendärsten Privatarmeen der Welt! Moderne Söldner, die ihre Dienste angeblich den schmutzigsten Männern anbieten, wenn diese nur genug Geld haben. Wie kann das für unsere Leser nicht interessant sein?«

»Das ist es, keine Frage. Aber das hier …« Er deutet auf die losen Blätter auf seinem Tisch, als läge da stattdessen ein Hundehaufen. »… liest sich wie ein Schulaufsatz. Ich kenne deine Arbeiten und die sind grandios. Deswegen nehme ich an, dass das Thema Arthur Jenkins eine Nummer zu groß für dich ist. Vielleicht sogar für jeden Reporter auf diesem Planeten, denn wenn dieser Mann etwas beherrscht, dann ist es sich abzuschotten. Und das vermutlich aus einem ganz einfachen Grund: Wie viele auf der Welt trachten wohl nach seinem Leben, hm? Dass er eine ehrgeizige Journalistin nicht in eben dieses Leben lässt, ist reiner Selbstschutz. Ich sag dir das, Hardwig, weil ich nicht glaube, dass du zu schlecht für den Job bist. Ich sage dir das, weil ich glaube, dass Jenkins schlichtweg zu gut in seinem ist.« Gegen Ende der Rede ist Theos Stimme sanfter geworden und das passiert bei ihm äußerst selten. Er zieht beide Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln in die Höhe, wodurch sich der dichte, grau melierte Bart um den Mund eigenartig verformt. Theo ist ein guter Kerl und ein noch besserer Chef, der ein wenig zu sehr einen Narren an Gwen gefressen hat. Bereits während ihres Praktikums in der Hamburger Redaktion, bei dem sie schon andauernd davon sprach, als Auslandskorrespondentin in die USA zu gehen, wollte er sie übernehmen und ihr diesen Traum erfüllen. Dabei gab es ältere, erfahrenere Journalisten, die, trotz Gwens gutem Amerikanistik Studium und dem Masterabschluss, den sie sogar in Boston absolvierte, für den Job infrage kamen, denn sie war nicht einmal herausragend gut. Doch Theo sah wohl etwas Besonderes in ihr. Ihre Leidenschaft und Aufopferungsbereitschaft. Er stimmte sogar zu, dass sie ihr Korrespondentenbüro nach Boston verlegte, obwohl die meisten ihrer Kollegen in New York oder Washington sitzen. Weil er wusste, dass einer der Hauptantriebe, der ihre Leidenschaft erst entflammen ließ, eng mit diesem Ort verknüpft war. Ihr Vater lehrte hier als Gastdozent einige Jahre lang Geschichte und sprach immer noch von dem vielschichtigen Leben in Boston. Oft hatte sie ihn dabei ertappt, wie er sich alte Fotos aus der Zeit ansah und sich sein Gesicht daraufhin veränderte. Melancholisch und sehnsüchtig wurde. Während Gwen in einem beschaulichen Örtchen im Norden Frankfurts aufwuchs, geschah dies so häufig, dass sie immer drängender das Bedürfnis verspürte dieser Sehnsucht, die sie auch während der zwei Jahre, die sie während des Studiums in dieser Stadt verbrachte, nie verstand, auf den Grund zu gehen.

Doch bis heute ist sie Theo Neumann die Lorbeeren schuldig, die er in ihr zu finden glaubte, als er sie in die USA schickte, um ihm von hier aus interessante Kultur- und Wirtschaftsthemen zu liefern. Und schuld daran ist zum großen Teil dieser verfluchte, mysteriöse Brief, der sich, eingeschweißt in Klarsichtfolie, in ihrer Umhängetasche befindet. Den sie überall hin mitnimmt. Sie wünscht, dass sie sich davon losmachen könnte, so wie es Theo gerne hätte, aber Gwen weiß, dass das nicht in ihrer Natur liegt. Deswegen wurde sie Journalistin. Sie will die Welt verstehen, Geheimnisse lüften und mit allen teilen. Besonders, wenn ein solches Geheimnis urplötzlich in ihrem Briefkasten auftaucht. So wie dieser Brief.

»Gib mir einen Monat. Nur noch Jenkins Geburtstag und wenn sich daraus nichts ergibt, dann verspreche ich dir, dass ich eine Zeit lang nach New York gehe und mich da um den ganzen anderen Kram kümmere.«

»Mir ist das mit dem Geburtstag nicht geheuer. Was auch immer du da planst, ist vermutlich hochgradig illegal.«

»Hochgradig ist jetzt etwas übertrieben.« Gwen rollt mit den Augen.

»In Bezug auf dich ist nichts übertrieben.« Ihr Chef schmunzelt und Gwen erkennt in der Geste seine Kapitulation. Wie könnte er auch ablehnen? Es ist schließlich das erste Mal seit einem halben Jahr, dass sie ihm verspricht das Thema ruhen zu lassen. Sogar mit einer konkreten Deadline. Auch wenn sie nicht weiß, ob sie das tatsächlich könnte. Von etwas abzulassen, was ihr Interesse geweckt hat, fällt ihr alles andere als leicht. Ihre Freizeit verbrachte sie schon immer damit, Menschen hinterherzuspionieren oder in der Bibliothek so hohe Bücherstapel zu horten, dass man dahinter nicht einmal ihren zerzausten, braunen Knoten auf dem Kopf erkennen konnte. Vermutlich wird sie nachgeben, sich offiziell anderen Projekten widmen und heimlich weiter an ihrer Geschichte um den geheimnisvollen Geschäftsführer arbeiten.

»Danke, Theo!« Gwen ist dabei das Gespräch zu beenden, als er noch mal kurz das Wort an sie richtet.

»Der Titel ist jedoch gut, den solltest du behalten.«

Sie sieht auf die Überschrift des Artikels, der ebenfalls vor ihr liegt, und schmunzelt.

Der König und seine Armee.

Es klingelt exakt zweimal, bis das Videogespräch angenommen wird und ein ihr bekanntes Gesicht auf dem Bildschirm erscheint.

»Oh nein, weiche von mir, du Ursprung allen Übels!«

»Hey, Jonas.«

Jonas Meier, der IT-ler der Zeitung, rutscht in seinem Stuhl demonstrativ ein paar Zentimeter nach hinten und hebt abwehrend die Hände. Auch wenn es natürlich ein Leichtes für ihn wäre, das Gespräch zu beenden. Aber das möchte er eigentlich gar nicht, weil Gwens Wünsche zwar in der Regel Ärger bedeuten, er aber eine mindestens ebenso neugierige Seele ist wie sie.

»Egal, was du von mir willst, ich mach es nicht.« Er schüttelt den Kopf so vehement, dass seine blonden Locken von rechts nach links wirbeln.

»Und wenn ich nur mit dir reden will?« Gwen neigt unschuldig lächelnd den Kopf.

»Du willst nie nur reden.«

»Okay, schön.« Seufzend rollt sie mit den Augen. »Aber wenn ich dir verspreche, dass es das letzte Mal ist?«

»So wie das letzte Mal das letzte Mal war?«

»Diesmal kommt es aber von Theo höchstpersönlich. Er gibt mir einen Monat, ab dann darf ich mich um die langweiligen Börsengeschichten in New York kümmern.«

Sie kann sehen, wie sich sein Blick hinter der Hornbrille misstrauisch verengt. Er verschränkt die Arme über seinem T-Shirt, unter dem er wie üblich ein Longsleeve trägt. Man könnte meinen, dass Jonas gerade erst aus der Pubertät entlassen wurde, obwohl der Computerfan mit seinen dreiunddreißig Jahren ganze fünf Jahre älter ist als sie. Aber die Uhren ticken in seiner Welt sowieso anders.

»Was willst du?«, fragt er schließlich geschlagen.

»Nichts, was du nicht schon hast. Die Gästeliste für Jenkins Geburtstagsfeier.«

»Mehr nicht?«

»Mehr nicht«, verspricht sie mit ernstem Blick. »Ich werde sie selbst durchsehen und schauen, ob ich sie für mich nutzen kann.«

»Inwiefern?« Jonas scheint längst nicht überzeugt zu sein, denn er rührt keinen Finger, um ihr die illegal beschaffte Gästeliste zu schicken. Die Liste, an die er nur dank der spärlichen Sicherheitsvorkehrungen der Rechner im Langham Hotel herangekommen ist.

Gwen zuckt mit den Schultern. »Vielleicht wird jemand spontan krank, hat einen Unfall oder so was, dann kann ich einspringen.«

»Mit ›hat einen Unfall‹ meinst du aber nicht …« Er lässt die Frage im Raum stehen und hebt stattdessen bloß die Augenbrauen.

»Gott, was denkst du nur von mir?« Gwen ist ehrlich entrüstet, als sie Jonas’ ernsten Gesichtsausdruck sieht. Sie weiß, dass sie übereifrig und nur schwer zufriedenzustellen ist, aber sie würde niemals über Leichen gehen, um zu erreichen, was sie will … zumindest hat sie das bislang noch nicht getan. Andererseits erinnert sie sich jedoch nicht daran, jemals zuvor etwas so sehr gewollt zu haben, wie hinter die Kulissen von Jenkins Security zu blicken. Jenkins Security ist die kleine Sicherheitsfirma, die Arthur Jenkins 2005 von seinem Vater geerbt und zu einem Muli-Millionen Dollar Unternehmen aufgebaut hat.

Jonas hält ihrem Starren durch die Webcam einige Sekunden stand, dann seufzt er genervt und rutscht nach vorne an den Bildschirm heran. Sein Blick schießt blitzschnell wie die Kugel bei einem Flipperspiel über den Monitor. Sie hört flinkes Klicken und hämmernde Finger auf der Tastatur. Doch noch bevor er die Mail abschickt, sieht er erneut mit gewisser Skepsis in den Augen in die Kamera.

»Ich glaube nicht, dass das so einfach wird, wie du dir das vorstellst. Du kannst nicht darauf setzen, dass jemand kurzfristig abspringt und das Fehlen dann nicht einmal ankündigt. Das ist schlichtweg dämlich.«

»Vermutlich hast du recht.« Gwen versucht, ihre nachdenkliche Miene aufzubehalten, auch wenn es ihr schwerfällt. Sie weiß genau, dass Jonas sie nicht sehenden Auges in ihr Unheil laufen lassen würde. Das, und das Spiel mit dem Feuer, reizen ihn selbst viel zu sehr.

»Sich reinschleichen funktioniert nicht, weil sie damit rechnen werden. Jenkins Security versteht ihr Handwerk.« Jonas lehnt sich nachdenklich im Stuhl zurück, tippt in Gedanken versunken mit dem Zeigefinger auf sein Kinn. Dann sieht er auf und Gwen erkennt das Funkeln in seinen Augen, auf das sie von Anfang an spekuliert hat. »Was, wenn du dich gar nicht reinschleichen musst, weil du schon da bist?«

»Was meinst du?«

Grinsend verschränkt er die Arme vor der Brust und klemmt die Hände unter die Achseln. »Oh, kleine Reporterin, das wird dir so ganz und gar nicht gefallen und mir dafür umso mehr. Bist du bereit für diesen Artikel gegen eine deiner größten Schwächen anzukämpfen?«

»Wovon zur Hölle sprichst du?«, fragt sie verunsichert.

»Ich spreche davon, dass du gezwungen sein wirst an einem sehr beengenden Ort für einen verflucht langen Zeitraum stillzusitzen.«

Gwen starrt ihn wortlos an, wodurch sein Grinsen nur noch größer wird. Jonas hat recht. Wenn sie etwas nicht beherrscht, dann ist es für einen längeren Moment stillzusitzen. Und bei dem, was ihm wohl gerade vorschwebt, sprechen sie sicherlich nicht von ein paar Minuten.

»Ich suche dir in den Bauplänen des Langhams einen Lüftungsschacht mit einfachem Ein- und Ausstieg, aber morgens reinkrabbeln und bis abends da bleiben musst du ganz alleine.«

»Von morgens bis abends?«, fragt sie überrascht.

»Ich weiß nicht ab wann sie das Hotel abriegeln, aber sie werden den gewöhnlichen Gästen sicherlich noch die Möglichkeit geben morgens auszuchecken«, flüstert Jonas nun energisch und blickt immer wieder unsicher über seine Schulter. Er befindet sich in seinem Büro inmitten der Redaktion, wo die Türen stets offen stehen, so wie Theo es will. Keine Geheimnisse und in Bezug auf Jonas keine Anstiftungen zu Illegalem durch Gwen. »Je später du kommst, umso geringer sind deine Chancen, dass du überhaupt reinkommst. Und wenn du diese Chance erst mal verpasst …« Er lässt die Worte im Raum stehen.

»Na, großartig.« Gwen sackt mit einem Seufzen nach hinten und greift nach ihrer Kaffeetasse, die neben dem Bildschirm steht.

»Du solltest vielleicht jetzt schon mal anfangen den Kaffeekonsum zu reduzieren, damit du das überlebst.« Gibt Jonas zu bedenken.

»Du willst mich wirklich quälen, was?«

»Ich will dich eigentlich nur endlich loswerden und vermute stark, dass das erst geschieht, wenn dir Jenkins höchstpersönlich einen Arschtritt verpasst.«

»Das hängt dann davon ab, wie weit Jenkins es schafft, mich wegzutreten.« Mit einem Lächeln hebt Gwen die Tasse in die Höhe und nimmt einen ordentlichen Schluck, anschließend drückt sie mit ihrem Hintern den Schreibtischstuhl zurück, um sich zu erheben. »Danke für deine Hilfe. Ich verspreche dich zu erwähnen, wenn ich meine Rede für den Pulitzer-Preis halte.«

»Überleg dir lieber genau, was du da erzählen willst, könnte unangenehm für uns beide werden«, sagt er eilig, bevor sie das Gespräch beenden kann. »Hey! In einer Stunde ist Redaktionsschluss, falls du endlich etwas beisteuern willst.«

Gwen schmunzelt ein letztes Mal. »Ich weiß.« Dann verschwindet Jonas’ Gesicht von ihrem Bildschirm und mit ihm die Vorwürfe, die sie permanent quälen, gegen die sie aber einfach nichts unternehmen kann. Sie fährt den Rechner herunter, füllt den Rest ihres Kaffees in einen Becher und verlässt das Gebäude, in dem man für sie ein winziges Büro, neben ebenfalls allein stehenden Freiberuflern und Selbstständigen, angemietet hat.

Boston, die Hauptstadt Massachusetts am Atlantik mit seiner bedeutsamen Geschichte der amerikanischen Unabhängigkeit, ist im Februar in der Regel sonnenklar und schweinekalt. Als Gwen aus dem großen Backsteingebäude tritt, muss sie deshalb den Mantel bis oben hin schließen und den grauen Wollschal ein weiteres Mal um den Hals schlingen, fast als würde eine hungrige Boa constrictor sie erwürgen wollen. Trotzdem frisst sich die klirrende Kälte sofort in ihren Körper und lässt ihre Haltung verkrampfen. Es ist ein herrlicher Tag, doch die tief stehende Sonne, die sie mitten ins Gesicht trifft, hat keine spürbare Kraft und wirkt vielmehr wie eine optische Täuschung.

Sie schlägt den Weg in Richtung Hafen ein, die Hände dabei fest um den Kaffeebecher geschlossen, aus dem sie in regelmäßigen Abständen einen gierigen Schluck nimmt. Mit eiligen Schritten überholt sie schlendernde Touristen und beschäftigte Geschäftsleute, während sich rechts und links umgebaute Industrielofts wie massive Backsteintürme emporheben. Das Hafenviertel Bostons mausert sich immer mehr zu einem hippen Wohnviertel mit neumodischen Apartments und schicken Cafés. Doch, außer dass sich hier ihre kleine Büronische befindet, zieht Gwen nichts her. Sie selbst bewohnt eine winzige Doppelhaushälfte in Charlestown, dem Stadtviertel mit den irischsten Wurzeln der Gegend. Dort, wo die Gassen eng und die Gebäude alt sind. Wo einem nicht vorgegaukelt wird, dass Industrie Charme hat, nur um mehr Geld verlangen zu können.

Doch an diesem Dienstagnachmittag ist Charlestown nicht ihr Ziel. Sie steigt in den Bus Richtung Innenstadt und verlässt ihn kurz vor dem Boston Common wieder, dem zentral gelegenen, öffentlichen Park der Stadt. Doch auch dieser ist nicht ihr Ziel, sondern das kleine, gemütliche Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Parks. Als hätte sie das zeitlich abgestimmt, leert sie ihren Becher genau in dem Moment, als sie die Tür öffnet und ins Innere tritt. Der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee und alter, lackierter Holzvertäfelung empfängt sie in der mollig warmen Kaffeebar. Von der bodentiefen Fensterfront mit dem Tresentisch davor, hat man einen weiten Blick über die wuselige Straße bis in den Stadtpark hinein. Aber auch die restlichen Sitzmöbel verkünden von gemütlichen Stunden mit dem Laptop auf dem Schoß und einer Chai Latte auf dem Tisch. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, als sie eintritt. Nur kaum wahrnehmbare Lounge Musik plätschert im Hintergrund. Gwen wickelt sich aus dem Schal und hängt diesen, samt Mantel, an die Garderobe. Dann legt sie ihren Laptop und ihr Notizbuch auf den Tisch. In der Zwischenzeit nähert sich Shirley, die kleine sympathische Barista, und greift wie selbstverständlich nach Gwens leerem Kaffeebecher.

»Dienstag um fünf Uhr. Du bist pünktlich auf die Minute. Wie immer.« Lächelnd schlendert sie davon, nur um den Becher, randvoll mit schwarzem Gold gefüllt, zurückzubringen. Gwen grinst und sieht der Barista, mit den ausladenden Hüften und dem herzlichen Wesen, hinterher. Jeder andere hätte sie vermutlich für verrückt gehalten, aber Shirley fragt nicht einmal nach, warum Gwen jede Woche am gleichen Tag und zur gleichen Uhrzeit hier erscheint. Sie wirkt stets, als würde sie sich freuen Gwen zu sehen, auch wenn sie nicht viel miteinander sprechen. In der Regel weil Gwen, sobald sie ihren Kaffee hat, mit der Nase in ihrem Laptop verschwindet und nur aufschaut, wenn sich die Tür öffnet und ein Gast, samt frischer Luft, in die Bar geweht wird.

Ihr Blick fällt auf das Ringnotizbuch mit dem Ledereinband und der Verschnürung, die man zweimal um das Buch wickeln muss, um es zu verschließen. Das beige Leder ist alt und abgegriffen, auf dem weichen Material tummeln sich zahlreiche, undefinierbare Flecken. Hauptsächlich wohl Kaffee. Und einige davon stammen bestimmt auch von ihrem Vater, der das Buch mit den herausnehmbaren Seiten bereits verwendete, als er noch Geschichte an der Boston University lehrte. Gwen sieht sich in der Kaffeebar um, doch außer einem Hipster mit einer Hornbrille und MacBook auf dem Schoß, tummelt sich im hinteren Bereich nur eine Gruppe asiatischer Touristinnen. Ansonsten ist das Tiny Cup leer. Gwen greift nach dem Notizbuch und befördert die eingeschweißten Reste des geheimnisvollen Briefes hervor. Fast ein halbes Jahr ist es mittlerweile her, dass der Briefumschlag bei ihr zu Hause in Boston eintraf. In ihm befanden sich verkohlte Überreste einer Nachricht, die kaum mehr zu entziffern war. Sie erinnert sich noch immer an den Geruch von kaltem Ruß, der ihr entgegenschlug, als sie ihn öffnete. Wie ihr Herz damals sofort schneller zu schlagen begonnen hat, weil sie genau wusste, dass diese Botschaft ihr Leben verändern würde. Sie kann es weiterhin fühlen. Die gleiche Aufregung und Neugierde, die prickelnd durch ihre Adern rauscht und sie keine Sekunde ruhen lässt.

In ihrem Notizbuch befinden sich der Briefumschlag und eine Abschrift des Texts, den sie aus den Resten entziffern konnte. Zunächst hatte sie dem offensichtlich aus Flammen geretteten Brief viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt und dabei den schlichten Umschlag nicht beachtet, in dem er bei ihr eintraf. Irgendwann jedoch nahm sie ihn gedankenverloren in die Hand und bemerkte das unscheinbare Firmenlogo, das auf den Rand des weißen Papieres gestanzt war. Ein Kreis, an dem dreizehn kleinere Kreise angrenzen, die ihn zu umarmen scheinen, und einen charakteristischen Schriftzug in der Mitte. Dieses Symbol in Zusammenhang mit der Nachricht änderte alles.

Denn es handelt sich hierbei um nichts Geringeres als das Firmenlogo von Jenkins Security. Der Brief kam demnach direkt aus den Reihen des geheimnisvollen Unternehmens oder stand zumindest mit ihm in Verbindung.

Diese Erkenntnis lässt die zu entziffernde Nachricht in einem vollkommen neuen Licht erscheinen. Obwohl Gwen zwar zuvor schon am Rande von dem berüchtigten Sicherheitsunternehmen gehört hat, träumt sie seit dem Auftauchen des Briefes nun in beinahe jeder Nacht von den bekannten und unbekannten Gesichtern. Sie sieht Arthur Jenkins vor sich, mit seinen eisblauen Augen, dem kalten Blick und der stolzen Statur. Festgefroren in der einzigen Maske, die Gwen von ihm kennt. Weil es kaum Bilder und noch viel weniger Videomaterial von ihm gibt. Seit letztem Herbst versucht Gwen also alles, um irgendwie an Jenkins Security heranzukommen. Sie bewarb sich zum Schein auf vakante Jobs oder schickte Initiativbewerbungen, übersendet wöchentlich Interviewanfragen, die allesamt höflich abgelehnt werden. Sie beschattete sogar Mitarbeiter, sobald sie die Zentrale in Downtown verließen und versuchte mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Doch niemand sprach ein Wort. Sie alle rochen die Lunte bereits früh, als wären sie vom Unternehmen im Umgang mit Reportern bestens geschult worden. Selbst Jonas spannte sie ein, um Zugriff auf das Netzwerk von Jenkins Security zu bekommen, was wohl nahezu unmöglich ist. Die Gästeliste ist das erste Dokument, das er in die Finger bekam, und das nur, weil er es geschafft hat den Rechner des Hotels zu hacken, in dem Arthur seinen Geburtstag feiern wird. Es ist zum Haare raufen.

Gwen lässt ihre Fingerspitzen, beinahe zärtlich, über den eingeschweißten, angekokelten Brief wandern und nippt dabei abwesend an ihrem Kaffee. So wie sie es an jedem Dienstag um fünf Uhr im Tiny Cup tut, während sie wartet und wartet und wartet.

Lie Gw… …n,

mein Kopf ist plötzlich wie leer gefegt seit … genommen habe un… ich bin so aufger… wie … or. Ich möchte dir alles, was ich zu sagen habe, nicht in einem Brief schreiben und daher hoffe ich, dass du vielleicht bereit bist mich zu treffen.

Ich werde am Di… tag 0… 201… um fünf Uhr nachmi…s im Tiny Cup nahe … mons sein.

Ich … r alles zu erklären.

 …

 …

2. Kapitel

Luke

Er weiß, was Arthur plant, bevor Arthur selbst den Gedanken fassen kann. Das ist schon immer eine seiner größten Stärken gewesen. Arthur dreht die Hüfte leicht, zieht die Führhand näher zu seinem Kinn und bringt die Schulter mit der Schlaghand nach vorne. Luke reagiert instinktiv. Ein Cross ist eine mächtige Waffe im Boxring, doch nur, wenn man das Überraschungsmoment nutzen kann, denn man setzt sich gleichzeitig der Schlaghand des Gegners aus. Das spielt für Luke jedoch keine Rolle. Er ist zu schnell für sein Gegenüber, weil er dessen Schritt lange vorausgeahnt hat.

Sein Schlag trifft Arthurs Wange, bevor dieser seinen Hieb platzieren kann und die Erschütterung des Aufpralls jagt einen kurzen, flammenden Schmerz durch Lukes Körper. Es knallt, als hätte er feuchtes Leder gegen eine Fliesenwand geklatscht und feine Schweißperlen explodieren auf Arthurs Haut. Arthur taumelt einen Schritt zurück. Sein eigener Schlag streift abgeschwächt Lukes Nasenspitze, als dieser sich flink zurücklehnt. Schwer atmend bleibt Arthur vor ihm stehen und starrt seinen Cousin an. Luke nimmt die Deckung wieder nach oben und wartet auf die Reaktion seines Gegners. Doch die besteht lediglich aus einem breiten Grinsen. Er tritt zwei weitere Schritte zurück und lässt sich dann in die Seile fallen, legt den Kopf in den Nacken und schnauft, als wäre er einen Marathon gelaufen.

»Elender Mistkerl!«

Luke lässt die Fäuste zufrieden sinken und öffnet einen Handschuh mit seinen Zähnen, dann grinst er ebenfalls. »Du musst an deiner Mimik arbeiten. Man riecht Meilen gegen den Wind, was du gleich tun wirst.«

»Die Idee war aber nicht schlecht.«

»War sie nicht.« Luke löst den zweiten Handschuh und wirft beide in die Ecke des abgedunkelten Kellerraumes. Dann klettert er zwischen den Seilen hindurch und springt elegant von der Plattform. Er läuft zielstrebig zu dem kleinen Kühlschrank am Ende des Raumes, greift nach einem isotonischen Getränk und nimmt einen großen Schluck. Arthur öffnet derweil die eigenen Handschuhe, bleibt aber weiterhin in den Seilen hängen, als würde er zunächst seine Kräfte sammeln müssen. Im Schein der kargen Beleuchtung über dem Ring sieht er aus wie ein besiegter, gebrochener Mann und nicht wie einer der einflussreichsten Männer des Landes. So kann der erste Eindruck täuschen. Man sollte den Mann vor sich nie unterschätzen, schon gar nicht, wenn er die Macht hat, einen mit einem Fingerschnipsen auszulöschen.

Arthur richtet sich auf und betastet seine Wange, die eine auffällige Färbung annimmt. Missmutig spuckt er auf den Boden und kommt in schwerfälligen Schritten zum Ende des Ringes. Dort lehnt er sich mit den Ellenbogen auf die Seile und sieht zu Luke. »Du hättest ruhig einen Gang runterschalten können. Morgen treffe ich mich mit Pelón, da kann ich nicht aussehen wie dein persönlicher Boxsack.« Luke wirft ihm die Flasche zu, die Arthur mit einer Hand fängt und mit Hilfe seiner Zähne öffnet.

»Wäre doch ein Grund das Ganze abzusagen.«

Arthur nimmt einen großen Schluck und zieht sich dann durch die Seile auf die andere Seite. Dort kommt er vor Luke zum Stehen. Arthur ist ein mächtiger Mann, aber er ist mit seinen ein Meter achtzig beinahe zehn Zentimeter kleiner als Luke. Außerdem nagt das Alter an ihm. Sie feiern bald seinen fünfzigsten Geburtstag, auch wenn man ihm das nicht ansieht. Die blonden Haare trägt er kurz, sodass man keine grauen Strähnen darin erkennen kann. Da sind lediglich ein paar Fältchen um die Augen. Und die Tatsache, dass er Luke seit Ewigkeiten nicht mehr beim Sparring besiegt hat. Unbedeutende Kleinigkeiten für einen Kerl wie ihn.

»Ich weiß, dass dir das nicht schmeckt«, sagt Arthur mit ernster Stimme, die automatisch lauter wird, sobald er sich einem Machtwort nähert.

»Ja.« Luke wendet sich ab und greift nach einem Handtuch auf dem Tisch. »Weil es eine Schwachsinnsidee ist.« Er reibt sich mit dem Handtuch über die schweißnassen, zerzausten Haare, dann über seinen Oberkörper.

»Es geht um eine Menge Kohle.«

»Es geht darum, dass du unsere Männer gegeneinander aufhetzt.« Luke funkelt Arthur wütend an, doch der sieht mit einer Ruhe zurück, die Luke verflucht und gleichzeitig bewundert. Die Fassung zu bewahren hat noch nie zu seinen Stärken gehört, im Gegensatz zu Arthur. Das macht wohl den wahren Anführer aus.

»Meine Männer«, korrigiert er Luke und verengt den Blick.

»Komm mir nicht mit dem Scheiß, außer du hast vor mich heute zum letzten Mal zu sehen. Ich halte für alle Entscheidungen auch den Kopf hin. Jeden Tag, an dem du meine Meinung wissen willst, schicke auch ich die Jungs in den Tod. Wenn du mich nicht mehr in der Position haben möchtest – schön. Aber solange ich hier stehe und die Entscheidungen mit dir trage, sind das auch meine verfickten Männer. Und was du da planst, ist Verrat an jedem einzelnen von ihnen!«

Arthur wendet sich ab und läuft zum Tisch, um sich ebenfalls ein Handtuch zu holen. Luke wollte gar nicht wieder mit dem Thema anfangen, weil es ihm selbst gehörig auf den Zeiger geht. Er war immer der Ungestüme, Verantwortungslose von ihnen. Arthur musste stets ihn in die Schranken weisen, ihm den Kopf waschen und Luke fühlt sich in der neuen Rolle alles andere als wohl. Denn auch wenn sie sich geschworen haben, dass Jenkins Security ein Unternehmen ist, das auf Gewinnmaximierung aus ist, gab es doch immer so etwas wie einen Kodex. Ungeschriebene Gesetze und Grenzen, die sie nie überschritten haben. Arthur ist nicht zum ersten Mal in den vergangenen fünf Jahren kurz davor, diesen einen Schritt zu machen, den sie bislang schworen nicht zu gehen. Luke graut es, welche Abgründe sich auftun, sobald diese Tür einmal offen steht.

»Dann zieh wenigstens unsere Leute von der mexikanischen Grenze ab, wenn die Regierung weniger zahlt als Pelón.« Luke versucht, seine Emotionen zu zügeln, ruhig auf Arthur einzureden und als sein Cousin über die Schulter zu ihm schaut, glaubt er eine gewisse Nachgiebigkeit in dessen Blick zu erkennen.

Doch der Moment wird jäh durch das Auftauchen von Noel unterbrochen. »Wir sind kein Wohlfahrtsunternehmen. Das sollte dir mittlerweile klar sein, Luke«, sagt dieser mit einem überheblichen Lächeln.

Wie lange er bereits im Türrahmen steht und sie belauscht, weiß Luke nicht, aber es macht ihn rasend. Er ballt die Hände zu Fäusten, beißt die Zähne so fest zusammen, bis der Kiefer schmerzt. Irgendwann wird er den Zwerg noch mal ungespitzt in den Erdboden rammen. Noel steht ganz der schmierige Kerl, der er ist, im Türrahmen. Sein schicker Slim Fit Anzug passt so wenig an diesen Ort wie die geleckte Gelfrisur. Er trägt den Geruch von teurem, beißendem Aftershave in die Männerhöhle.

»Hundert Mann des C-Kommandos sichern die Grenzen. Wenn du Pelón für seine Drogengeschäfte nur einen unserer Männer gibst, dann kämpfen Brüder gegen Brüder!« Luke versucht, die Kröte gar nicht zu beachten, und spricht stattdessen nur auf Arthur ein.

Noel rollt mit den Augen. »Findest du nicht, dass du ein wenig überdramatisierst?«

»Oh ja?« Luke verliert die Geduld, ist in zwei Schritten bei Noel, packt ihn an seiner Krawatte und drückt ihn gegen die Wand. Das Notizbuch, das Noel stets bei sich trägt, um jeden kleinen Furz von Arthur zu notieren, landet dabei auf dem Boden. »Soll ich dir mal zeigen, wie das aussieht, wenn ich wirklich überdramatisiere?«

»Luke!«, ruft Arthur durch den Raum. Seine Stimme schneidet wie ein Schwert durch die Luft und hallt machtvoll von der einen zur nächsten Wand. Luke starrt Noel weiterhin finster an. So lange, bis er sieht, wie die Kröte blinzelt und verzweifelt zu schlucken versucht. Er will die Angst in seinem Blick sehen. Denn ohne Arthur ist er nichts, lediglich der kleine, missratene Sohn von Arthurs Schwester. Ihn zu Jenkins Security zu holen war ein großer Fehler. Ihn zu Arthurs persönlichem Assistenten zu machen ein noch viel größerer, weil Noel offensichtlich nicht zu begreifen scheint, dass er nichts weiter als eine Sekretärin ist. Sein einziger Job ist es Befehle entgegenzunehmen. Doch der Winzling mischt sich immer häufiger in die geschäftlichen Belange ein, säuselt Arthur seine verqueren Moralvorstellungen ins Ohr. Aber das Schlimmste daran ist, dass Arthur darauf anzuspringen scheint. Luke hat es all die Jahre geschafft, die Selbstzerstörungswut seines Cousins in Schach zu halten, ihn in die richtigen Bahnen zu lenken, obwohl er immer wieder kurz davor war, von ihrem gemeinsamen Weg abzukommen. Es ist, als giert Arthur nach den Entscheidungen, die ihm am meisten Hass und Abscheu entgegenbringen. Die ihm irgendwann den Kopf kosten werden. Dem selbst ernannten Drogenbaron Pelón ihre Männer anzubieten ist die Krönung von all dem. Niemals hätten sie vor ein paar Jahren in Erwägung gezogen, sie auf gegenüberliegenden Seiten zu platzieren. Das ist absurd. Der Arthur, den er einmal kannte, hätte darüber nur entrüstet den Kopf geschüttelt.

Doch der Arthur von heute legt ihm die Hand auf die Schulter und zieht ihn von diesem Abschaum weg. Noel lächelt überheblich, doch Luke kann die kurze Unsicherheit in seinen Zügen erkennen und das gibt ihm zumindest eine gewisse Genugtuung. Er weiß, dass Noel Angst vor ihm hat. Vor seiner Stärke, seiner Unberechenbarkeit und vor allem vor seinem Einfluss auf Arthur. Auch wenn dieser Einfluss jeden Tag mehr und mehr zu schwinden scheint und Luke das Gefühl hat, dass Arthur ihm entgleitet.

»Lass gut sein«, sagt Arthur mit beruhigender Stimme und drückt seine Schulter ein letztes Mal freundschaftlich, bevor er sich abwendet. Luke sieht ihm hinterher. Er will etwas sagen. Etwas, was einen Unterschied macht, doch er hat das Gefühl bereits alles gesagt zu haben. Vielleicht hat Arthur recht und es sind ausschließlich seine Männer. Sein Gewissen und sein Kopf, den er riskiert. Sie haben sich schon immer viele Feinde in dieser Welt gemacht. Doch niemals die eigenen Leute, denkt er resigniert. Er hat versucht es ihm begreiflich zu machen, mehr als einmal, hat ihm die Konsequenzen aufgezeigt, die Risiken. Mehr kann er nicht tun. Soll Arthur das Unternehmen und seine Männer ins Verderben rennen lassen. Was interessiert es Luke überhaupt?

»Wir müssen ein paar Punkte zu deiner Geburtstagsfeier durchgehen, Arthur. Es sind nur noch zwei Wochen.« Noel schlängelt sich an Luke vorbei, achtet währenddessen akribisch darauf, ihn nicht zu berühren. Luke schnappt sich derweil seinen Kapuzenpullover und zieht ihn an. Er ist dabei den Raum ohne ein Wort zu verlassen, als ihm Arthur hinterherruft.

»Hey! Wir sehen uns morgen, kapiert? Ich brauch dich bei der Sache.« Er deutet mit dem Zeigefinger auf ihn, während Noel ihm gerade etwas auf seinem iPad zeigt. Luke wirft ihm nur einen kurzen Blick zu, nickt dann knapp und lässt die beiden allein.

Er hat keine Lust einen Moment länger im Gebäude zu verbringen und holt sich daher nur seine Sporttasche aus der Umkleidekabine. Immer noch mit den Trainingsklamotten bekleidet, läuft er mit der Tasche über der Schulter zu der Tiefgarage und wühlt in der Außentasche nach einer Packung Kippen. Im gesamten Gebäude ist Rauchverbot, also klemmt er die Zigarette hinter sein Ohr. Die meisten Autos sind bereits weg, die Mitarbeiter im Feierabend. Luke ist oftmals einer der Letzten. Manchmal bleibt er sogar ganz hier, wenn Arthur und er die Nächte durchsaufen. Doch das ist schon lange nicht mehr vorgekommen. Arthur selbst wohnt in dem verglasten Bürogebäude. Er besitzt ganz oben ein gigantisches Penthouse, das keine Wünsche offen lässt. Für ihn ist es der sicherste Ort, den man sich vorstellen kann. Inmitten des gut bewachten Hauptsitzes der Jenkins Security.

Er schwingt sich in seinen schwarzen Porsche 911, steckt sich die Zigarette in den Mund und entzündet sie, bevor er aus der Tiefgarage rast. In diesem Gebäude eingekerkert zu sein, nimmt ihm mittlerweile die Luft zum Atmen. Es gab eine Zeit, als er hier tatsächlich lebte, als es ihm auch nichts ausmachte jeden Tag an diesem Ort zu sein. Doch das ist einige Zeit her und er seitdem ein anderer Mensch. Der Weg von der Innenstadt nach Back Bay, wo er wohnt, dauert nicht lange. Obwohl er es normalerweise genießt, durch die glitzernde Dunkelheit der Nacht zu rasen, fehlt ihm dieses Mal der Blick für das nächtliche Boston, das, im Gegensatz zu anderen Großstädten, eine gewisse Ruhe ausstrahlt. Besonders nachts scheint die Stadt zu schlafen, sich zu erholen und neue Kraft zu tanken. Um ehrlich zu sein ist es genau das, was er schon immer an Boston geliebt hat.

Als er an einer Ampel steht, sein Körper etwas zur Ruhe kommt und er die Zigarette gleichgültig nach draußen schnippt, fangen die Schmerzen allmählich an. Er ballt die Hand zur Faust, versucht so, das Ziehen zu übertünchen, aber er weiß wie sinnlos dieser Versuch ist. Hat sein Gehirn einmal realisiert, dass das Schmerzmittel aus dem Körper verschwunden ist, spult sich stets der gleiche Ablauf ab. Zunächst spannt die Haut, als würde sie jeden Augenblick zerreißen, dann beginnt sie wie Feuer zu brennen, das sich erbarmungslos in den Arm frisst. Meistens ist das der Moment, in dem die Kopfschmerzen beginnen. Wie feine Nadelstiche, die seine Schläfen immer und immer wieder durchbohren. Er schließt die Augen und atmet gleichmäßig, versucht sich einzureden, dass ein Großteil davon nur Einbildung ist. Nach all der Zeit ist das nicht anders möglich. Die Schmerzen sind größtenteils psychologisch erklärbar, das hat ihm der Arzt bestätigt, aber in solchen Momenten spielt das keine Rolle. Sie sind so real, als würde man ihm tatsächlich eine ätzende Flüssigkeit überkippen. Hinter ihm hupt ein Auto. Luke öffnet die Augen und bemerkt, dass die Ampel bereits grün ist. Die Nachtbeleuchtung der Stadt brennt in seinen Augen, verschwimmt zu verworrenen, tanzenden Lichtbällen. Er zieht sich aufrecht und konzentriert sich auf die Straße. Fünf beschissene Jahre, denkt er resigniert, wann hat das alles endlich ein Ende?

Er erreicht die Wohnung in dem teuren Stadtviertel Back Bay, lässt seinen Wagen draußen im Halteverbot stehen, anstatt ihn in die Tiefgarage zu fahren. Ob sie ihn abschleppen oder ihm eine Kralle verpassen, interessiert ihn herzlich wenig. Er will nur ohne Verzögerung nach oben in sein Apartment zu dem Schmerzmittel und dem Bett. Der Portier hält ihm die Tür auf, stellt keine Fragen und nickt ihm lediglich förmlich zu, so wie er es gewohnt ist. Es ist nicht das erste Mal, dass Luke sich mit dieser miesen Laune nach Hause schleppt. Es wird auch garantiert nicht das letzte Mal gewesen sein.

Er wohnt ganz oben in einer der Loftwohnungen mit riesigen, bodentiefen Glasfenstern und einem offenen Raum, der Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Schlafzimmer und Küche gleichzeitig ist. Die einzelnen Bereiche sind lediglich durch unterschiedliche Ebenen abgegrenzt. Als er die Tür öffnet, empfängt ihn ein vertrautes Miauen. Kaum hat er einen Schritt in die Wohnung getan, umschleicht sein schwarzer Kater Shadow seine Beine.

»Hey, Kumpel«, murmelt er müde und schließt die Tür hinter sich, lässt die Sporttasche zu Boden sacken. Auf dem Glastisch in der Mitte des Raumes liegt alles für ihn bereit. Er greift nach der Pillendose, kippt zwei Tabletten in seine Handfläche und wirft sie sich in den Mund. Dann hebt er die Wasserflasche an, die danebensteht, und spült nach. Für einen Moment verharrt er so im Raum. Die Flasche in der Hand, die Augen geschlossen und das Gesicht zur Decke gerichtet. In gleichmäßigen Atemzügen atmet er die Schmerzen nach außen, versucht seinem Körper glaubhaft zu vermitteln, dass die Qualen bald ein Ende haben werden.

Luke sieht schließlich wieder hinab zu der Hand, die die Wasserflasche umgreift. Er stellt sie ab, öffnet den Reißverschluss des Kapuzenpullovers, streift ihn sich vollkommen ab und starrt auf seinen Unterarm. Mit der linken Hand umschließt er die Narben, die sich vom Ellenbogen bis zu seinem Handgelenk ziehen. Feine, zerbrechlich wirkende Strukturen, als hätte die Haut seitdem ihre Kraft eingebüßt. Sensibles, schwaches Fleisch. Für alle Zeiten gebrandmarkt. Er atmet tief ein und aus, lässt sein Handgelenk wieder los und sieht nach vorne durch die Glasfront in die Welt hinaus. Glitzernde Lichter in der Finsternis zeugen davon, dass die Stadt nicht wirklich schläft. Irgendwie beschleicht ihn das Gefühl, dass es ihm heute Nacht ähnlich ergehen wird. Doch um ehrlich zu sein weiß er nicht, wann er das letzte Mal tatsächlich durchgeschlafen hat, ohne von Schmerzen geweckt zu werden. Schmerzen, die manchmal ganz eindeutig nicht von seinen körperlichen Makeln kommen.

3. Kapitel

Gwen

Sie sollte Jonas dankbar sein. Ehrlich dankbar, das weiß Gwen sehr wohl. Aber während sie in dem muffigen Luftschacht liegt und betet, dass dieser zumindest frei von Spinnen ist, verzieht sich ihr Gesicht mürrisch, wenn sie nur an seinen Namen denkt. Sie kann den Gedanken nicht abschütteln, dass es sicherlich andere Möglichkeiten gegeben hätte, als ausgerechnet den Lüftungsschacht auf der Männertoilette. Ehrlich, Jonas? Es gibt wirklich nur diesen einen? Im ganzen, beschissenen Langham Hotel?, führt sie in Gedanken das Gespräch mit ihm.

Viel anderes als stumme Selbstgespräche zu führen, bleibt ihr nicht übrig, denn die Dinge, die sie in dem metallischen, viereckigen Schlauch ansonsten machen kann, sind begrenzt. Obwohl der Schacht erst in einer Höhe von knapp zwei Metern beginnt und mit einem Lamellengitter gesichert ist, hat Gwen Angst Licht anzumachen, oder gar sich zu bewegen. Es ist eng und stickig hier drin, jeder Knochen in ihrem Körper schmerzt. Nur wenn sie absolut sicher ist, dass sich in dem Waschraum unter ihr niemand befindet, wagt sie es, ihr Handy zu nutzen, oder sich in eine andere Position zu drehen. Aus Angst dringend auf Toilette gehen zu müssen, hat sie am Morgen nicht einmal etwas getrunken. Nun kratzt und brennt ihre Kehle und sie sehnt sich nach einem Schluck Wasser.

In den Schacht hinaufzukommen war kein Problem, dank Marcus, einem Lifestyle Blogger und Überlebenskünstler, der in dem Backsteingebäude im Hafenviertel ebenfalls ein Büro neben Gwen gemietet hat. Er lässt sich am ehesten als einer von Gwens Freunden bezeichnen. Marcus hat gar nicht so genau wissen wollen, was Gwen hier plant. So oft, wie Gwen ihn schon auf ihrer Couch schlafen ließ, weil er mal wieder die Miete für seine Wohnung nicht zahlen konnte, blieb ihm auch nichts anderes übrig, als ihr diesen Gefallen zu tun. Nachdem sie am frühen Morgen unbemerkt zu zweit auf die Männertoiletten verschwanden, löste er dort das Lamellengitter, nahm Gwen auf die Schultern und hievte sie samt ihrer Handtasche und dem Mantel nach oben, sodass sie lediglich in den Schacht krabbeln musste. Dann schraubte er das Gitter vorsichtig wieder an die Öffnung. Gerade so fest, dass es hält, aber gleichzeitig so locker, dass Gwen es von innen aufstoßen kann. Bislang war also alles streng nach Plan verlaufen. Sogar die Gabelung im Schacht, etwa vier Meter hinter ihr, ist wie in den Plänen von Jonas eingezeichnet, auch tatsächlich vorhanden. Über diese Gabelung hat sie die Möglichkeit sich zu drehen wie ein Auto in einer Einfahrt.

Sie kann noch immer nicht so recht glauben, dass sie das wirklich durchzieht. Sie kommt sich vor wie eine Kanalratte, ein erbärmlicher Mitläufer, der keine Einladung zur Party erhalten hat und sich jetzt auf diese Weise hineinschmuggeln muss. Immer wieder ist sie kurz davor abzubrechen. Doch dann ruft sie sich in Erinnerung, warum sie das alles macht. Vermutlich hat jemand da draußen versucht, sie zu kontaktieren, um sich mit ihr zu treffen. Und die Wortfetzen aus dem verkohlten Brief klingen danach, als verbergen sie ein wichtiges Geheimnis. Gwen kann daran nicht vorbeigehen, egal was heute passieren wird. Sie muss einfach einen Zugang zu Jenkins Security finden und niemals standen die Chancen dafür so gut wie an diesem Abend.

Irgendwann verliert sie jegliches Zeitgefühl und immer, wenn sie sich traut, auf die Uhr zu schauen, ist sie enttäuscht darüber, wie wenig Zeit tatsächlich vergangen ist. Sie beginnt sogar damit die Besuche der männlichen Bevölkerung auf der Toilette zu zählen sowie die Dauer ihres Aufenthaltes. Sechsundfünfzig sind es bislang, wenn sie richtig gezählt hat. Die Hälfte wäscht sich nicht die Hände. Nicht einmal, wenn noch ein Mann mit im Raum ist.

Es vergehen weitere, quälende Minuten, bis die Geräuschkulisse vor den Toiletten anschwillt. Gwen glaubt zu hören, wie die Toilettenkabinen abgesucht werden, und hält den Atem an. Niemand kommt auf die Idee, im Lüftungsschacht nachzusehen, lediglich ein kurzer Lichtstrahl schießt durch die Lamellen hindurch, der sie jedoch nicht annähernd erfassen kann. Der Plan ist perfekt. Sie wagt einen erneuten Blick zur Uhr. Es ist kurz vor sieben. Die Feier startet in wenigen Minuten. Am besten sie beginnt allmählich aus dem Schacht herauszukommen, bevor auf der Toilette ein ständiges Kommen und Gehen ist. Sie will sich den Moment gar nicht ausmalen, wenn ein Mann hereinkommt, während sie mit ihrem schicken Abendkleid aus dem Loch krabbelt wie eine Kakerlake. Gwen hält den Atem an und lauscht, doch alles scheint still zu sein. Sie muss schnell handeln, um den Moment auszunutzen. Angespannt robbt sie den Schacht rückwärts zurück, bis zu dem Punkt, an dem dieser sich gabelt und dreht ihren Körper, sodass sie mit ihren Beinen zuerst wieder aus dem Schacht klettern kann.

So nah an der Party vernimmt sie das anhaltende Rauschen der Gespräche durch die Tür und ihr Herz beginnt wie wild zu hämmern. Die Geräuschkulisse ist so laut, dass sie sich nicht einmal sicher sein kann, ob sie alleine ist oder nicht. Der Blick durch die Lamellen, als sie zuvor noch mit dem Kopf voran in dem Schacht lag, zeigte ihr zwar einen verlassenen Waschbeckenbereich, doch die Toiletten oder die Pissoirs kann sie von hier aus nicht sehen. Verdammt. Ihr bleibt keine andere Wahl, als das Risiko einzugehen, bevor so viele Menschen ein- und ausgehen werden, dass sie den ganzen Abend gefangen bleibt. Zu allem Überfluss liegt sie nun auch noch mit den Beinen voran in dem engen Schlauch und hat keine Möglichkeit das Lamellengitter mit den Händen vorsichtig und geräuschlos zu lösen. Ihre einzige Hoffnung ist es, so schnell wie möglich zu arbeiten und den perfekten Moment abzupassen, in dem sich tatsächlich niemand im Raum befindet.

Gwen holt ein letztes Mal tief Luft, sammelt all ihren Mut und tritt mit der Fußsohle gegen das lose befestigte Lamellengitter. Es löst sich augenblicklich und kracht mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf den Fliesenboden. Innerlich fluchend presst sie für einen kurzen Augenblick die Augen zusammen, doch nun gibt es erst recht keinen Weg mehr zurück und je länger sie zögert, umso wahrscheinlicher wird irgendwann jemand die Toilette betreten und sie hier vorfinden.

Also rutscht Gwen mit den Beinen eilig zuerst aus dem Schacht, bis sie mit eingezogenem Kopf und unnatürlich verkrümmter Körperhaltung, die selbst einem Schlangenmenschen Konkurrenz machen würde, auf dem Rand sitzt und sich so weit wie möglich nach unten beugt. Sie stützt sich mit den Handballen am Rand ab und schiebt ihren Hintern nach vorne, weiter aus der unbequemen Körperhaltung hinaus. Sobald sie sich etwas nach unten sacken lässt, wird sie springen müssen, doch immerhin ist es nicht sonderlich tief. Sie will dennoch so wenig Abstand wie möglich zwischen sich und dem Boden bringen. Auf dem Fliesenboden ausrutschen und sich den Knöchel brechen, gehört definitiv nicht zu ihrem Plan. Vorsichtig lässt sie sich hinabgleiten. Doch noch während sie ein triumphierendes Lächeln im Gesicht trägt, fallen ihr zwei Dinge auf.

Zum einen, dass sich der Saum des knöcheltiefen Kleides an dem Rand des Schachtes verfangen hat. Je weiter sie hinabgleitet, umso deutlicher werden ihre nackten Beine entblößt.

Und zum anderen ist da urplötzlich ein Mann, der gerade am Pissoir steht, sich nach hinten lehnt und über seine Schulter irritiert zu ihr starrt.

»Oh Scheiße!«, flucht sie und presst die Augen zusammen. Als wäre der Kerl dann nicht hier oder ihr Kleid weniger gefangen in dem Schacht. Ihre Arme beginnen zu zittern und unter der Anstrengung zu brennen. Sie kann sich unmöglich von alleine hochziehen, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Aber je tiefer sie in Richtung Boden rutscht, umso höher schiebt sich ihr Kleid. Der Mann hat sich nicht von der Stelle bewegt, als sie die Augen wieder öffnet. Er sieht sie weiterhin an, als würde er versuchen das Bild vor sich logisch erklären zu können. Er wirkt nicht einmal wütend. Oder amüsiert. Gott, Gwen hätte an seiner Stelle am Boden gelegen vor Lachen. So viel steht fest. Aber offensichtlich teilen sie nicht den gleichen Humor.

»Hey … Ich … Oh Gott!« Gwen rutscht noch ein Stückchen tiefer hinab. Das Kleid wandert langsam ihre Oberschenkel hinauf. Lange kann sie sich nicht mehr halten. Der Mann vor ihr wendet den Blick schließlich in aller Seelenruhe ab, kümmert sich darum, sein bestes Stück zu versorgen, und schließt gerade die Hose, als er sich im gemütlichen Gang auf sie zubewegt.

»Brauchst du Hilfe?« Er klingt beinahe gelangweilt.

»Willst du nicht erst … die Hände waschen?«, fragt Gwen angestrengt und presst die Augen erneut fest zusammen, um sämtliche Kräfte in ihrem Körper zu mobilisieren.

»Ist das dein Ernst?« Endlich erkennt sie eine Emotion in ihm. Auch wenn sie aus Fassungslosigkeit besteht.

»Natürlich nicht!«, zischt Gwen und stöhnt. »Und natürlich brauche ich Hilfe.«

Sie sieht wieder zu ihm hinab, während das Zittern in ihren Armen immer schlimmer wird. Sie hat kaum mehr Kraft ihn aufzufordern endlich etwas zu tun und hofft, dass er das Flehen in ihren Augen erkennt. Der Kerl verzieht das Gesicht genervt, doch ist weiterhin herzlich unbeeindruckt von ihrem Auftritt. Dann kommt er einen Schritt näher, sodass sich ihre nackten Oberschenkel direkt vor seiner Nase befinden. Wäre ihr Kopf nicht bereits vor Anstrengung tomatenrot, wäre er es spätestens jetzt vor lauter Scham. Der Mann sieht an ihr vorbei, greift nach dem Saum und zieht daran.

»Ich fürchte, das Kleid wird nicht ohne Blessuren davonkommen.«

»Das war nur geliehen!«, sagt Gwen voller Verzweiflung. Selbst das Etikett steckt noch in dem teuren Bustierkleid mit dem fließenden Rock, das sie am Montag eigentlich wieder zurückgeben wollte.

»Schätze, dass die das jetzt nicht mehr zurücknehmen. Herzlichen Glückwunsch zum neuen Kleid.« Ohne zu zögern, greift der Kerl nach dem Saum und reißt mit einem Ruck daran. Der Stoff gibt mit einem Ratschen nach und fällt elegant in seine schützende Form zurück. Nur eine Sekunde später verlassen Gwen ihre Kräfte und sie sackt an der Wand hinab. Direkt in die Arme des emotionslosen Kerls. Er fängt sie mit einem überraschten Stöhnen auf und hält sie da einen Augenblick an sich gepresst, während Gwens Beine in der Luft schweben. Er muss groß sein, denn obwohl ihre Gesichter auf einer Höhe sind, baumeln ihre Füße in der Luft. Und er ist stark, denn seine Arme schließen sich wie Schraubstöcke um ihren Rücken, schnüren ihr beinahe die gesamte Luft ab. Während er ihr nun das erste Mal ins Gesicht sehen kann, scheint sich urplötzlich etwas in ihm zu verändern. Die Ausdruckslosigkeit verschwindet und die harten Gesichtszüge verwandeln sich in weichere. Die finsteren, im Schatten liegenden Augen weiten sich überrascht. Fasziniert stellt sie fest, dass sie ein dunkles Grau haben, beinahe vollkommen schwarz wirken. Je nach Lichteinfall entdeckt man in ihnen vermutlich auch einen Hauch Braun. Ihr Retter durchforstet ihr Gesicht mit seinem Blick, der in unheimlich erscheinendem Tempo von ihren Lippen, zu ihren Augen über die Haare springt. Fast als suche er verzweifelt nach irgendetwas.

Als sich die Tür hinter ihnen öffnet, lässt er sie so schlagartig los, als hätte er sich an ihr verbrannt. Mit einem erschreckten Laut kommt Gwen auf dem Boden auf und stößt mit dem Rücken gegen die Wand.

»Luke?« Die verdutzte Stimme an der Tür ist eindeutig männlich und Gwen fragt sich, ob sie jemals eine so tiefe Stimme so durchdringend erlebt hat.

»Sie hat sich reingeschlichen«, entgegnet der Kerl vor ihr, der wohl auf den Namen Luke hört. Gwen will entrüstet nach Luft schnappen, besinnt sich dann aber. Im Grunde ist es genau das. Und sie sieht auf die Schnelle keine Chance ihre, nicht vorhandene, Unschuld zu beweisen. Ihr emotionsloser Retter hat derweil wieder seine gewohnte Miene aufgesetzt. Als hätte es diesen kurzen, eigenartigen Moment zwischen ihnen soeben nicht gegeben. Er dreht sich zu dem Mann, der in der Tür steht, so ausdrucklos wie bisher auch schon. Gwen bleibt kaum ein Herzschlag lang Zeit, um einen klaren Gedanken zu fassen, denn durch seine Bewegung wird ihr Blick auf den zweiten Mann frei. Sie erkennt ihn bereits in der allerersten Sekunde.

Sie hat Arthur Jenkins größer erwartet, doch das mag hauptsächlich daran liegen, dass der andere Mann neben ihr noch größer ist. Aber die Präsenz, mit der er den Raum füllt, könnte beeindruckender kaum sein. Er trägt einen schwarzen Smoking, der sicherlich mehr kostet als Gwen in einem Jahr beim Panorama Echo verdient. Arthur Jenkins hat diese stolze Haltung, das leicht in die Höhe gereckte Kinn und die durchdringenden, hellblauen Augen, die nicht zu blinzeln scheinen. Gwen begreift erst, dass sie einander wie eingefroren anstarren, als sich der emotionslose Luke neben ihr bewegt.

»He! Arthur!«

Arthur rührt sich daraufhin tatsächlich, schüttelt kaum merklich den Kopf. »Wer ist sie?« Er nickt mit dem Kinn zu ihr.

»Jemand, der gerade aus dem Schacht in meine Arme gefallen ist. Mehr weiß ich nicht.«

»Ich … ich bin Gwen.«

»Gwen«, wiederholt Arthur mit einer Faszination in der Stimme, die ihr einen eiskalten Schauer den Rücken hinabjagt. Die Aufregung verursacht Übelkeit und ein Schwindelgefühl.

»Bist du eingeladen?«, fragt Luke. Gwen sieht kurz zu ihm, blinzelt dann ein paar Mal hintereinander, um irgendwie den eigenartigen Schleier loszuwerden, der sich träge um sie herum bildet. Die Blicke der beiden machen sie wahnsinnig. Auch jetzt, während sie zu Luke sieht, kann sie Arthurs Augen auf ihrer Haut fühlen.

»Offensichtlich nicht und ich weiß, dass es eine totale Schnapsidee war.« Gwen streicht sich eine ihrer braunen Haarsträhnen aus der Stirn hinter ihr Ohr. Durch die Anstrengung und die warme Luft im Schacht haben sie sich zu wellen begonnen und lösen sich allmählich aus dem ordentlich zurechtgemachten Dutt am Hinterkopf.

»Allerdings.« Luke gibt ihr recht, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Was willst du hier?«

»Euer Sicherheitssystem auf Lücken testen. Und das …« Gwen deutet auf den Lüftungsschacht. »… ist eine ganz massive Lücke. Bitteschön, habe ich gerne gemacht.« Sie lächelt übertrieben, greift dann nach dem zerfledderten Saum des Kleides und versucht einen einigermaßen würdevollen Abgang hinzulegen. Doch sie hat die Rechnung ohne Luke gemacht, dessen Hand sich blitzschnell um ihren Oberarm schließt und sie am Weitergehen hindert. Sein Griff ist schmerzhaft stark.

»Du bist eine Journalistin, was? Und keine Amerikanerin, so viel steht fest«, raunt er bedrohlich. Gwen spürt, wie sich Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitet und schluckt trocken. Lukes Blick verengt sich in jeder Sekunde, die sie ihm eine Antwort schuldet, mehr. Es ist wie Hypnose, zumindest glaubt Gwen, dass das der Grund ist, warum sie schließlich anstandslos nickt. Luke lässt sie los, schnaubt abfällig und sieht zu Arthur. Doch der steht weiterhin unberührt an der Tür und starrt zu den beiden.

»Ich habe nichts gesehen oder gehört, was auch nur ansatzweise interessant ist. Wenn ich einfach gehe, dann ist quasi nichts passiert und ich war gar nicht da. Es war zugegebenermaßen eine wirklich dämliche Idee, aber jetzt wisst ihr immerhin, wo sich potentielle Angreifer zukünftig verstecken könnten. Und ich weiß, dass ich mich auf diese unwürdige Art niemals wieder irgendwo reinschleichen werde. Also haben wir alle etwas gelernt, was den Abend, zumindest für mich, nicht zu einer vollkommenen Katastrophe macht.« Während sie spricht, bewegt sie sich langsam auf die Tür zu. Sie muss nur nahe genug dran sein, dann schnell beide Beine in die Hände nehmen und davonstürmen, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her. Zumindest Luke kommt dieser Beschreibung mit seiner finsteren Miene immerhin recht nah.

Doch bevor sie die Tür erreichen kann, macht Arthur einen Schritt zur Seite und stellt sich ihr mitten in den Weg. »Sie gehen jetzt nirgendwohin.« Seine Tonlage löst in ihr den Drang aus, vor ihm zu salutieren. Gwen stoppt und starrt ihn perplex an.

»Tue ich nicht?«

»Nein. Denn für heute sind Sie mein Gast.«

Ihr »Was bin ich?« mischt sich synchron mit Lukes »Ist das dein beschissener Ernst?«

Arthur scheint von beiden Ausrufen herzlich unbeeindruckt zu sein. Er schießt einen Blick zu Luke, der ihn wohl daran erinnern soll, wer das Sagen hat, und sieht dann mit nicht minder strengem Blick zu Gwen.

»Sie werden nichts, was Sie hier sehen oder hören, in einem Ihrer Artikel erwähnen, oder ich verklage Sie in Grund und Boden.« Er wartet einen Augenblick ab, in dem Gwen mit aufgerissenen Augen nickt, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. »Außerdem geben Sie Ihr Handy, Schreibblock, Notizheft und jeden Stift, sei er auch nur zum Schminken, für den Abend ab.«

Das lässt Gwen stocken. Sie öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder und spürt, wie ihr Kopf erneut die Farbe einer Tomate annimmt. Arthur runzelt irritiert die Stirn, als sie nach hinten zum Lüftungsschacht blickt, wo sich irgendwo tief drin noch ihre Clutch und ihr Mantel befinden müssen. Samt dem Notizbuch und den Schreibunterlagen.

»Du bist mit Abstand die mieseste Journalistin auf diesem Planeten«, brummt Luke neben ihr. Gwen wagt es nicht, zu ihm zu sehen. Denn auch, wenn sie gerne vehement widersprechen möchte, im Moment spricht wirklich äußerst wenig für sie.

4. Kapitel

Luke

Sie steht am Ende des Raumes und wirkt dort so unauffällig wie ein bunter Vogel unter Krähen.

Luke befindet sich derweil neben der Bühne im prunkvollen Speisesaal des Langhams, wo Arthur in wenigen Minuten seine Willkommensrede halten wird, und starrt Gwen unverhohlen an. Wenn sie es bemerkt, dann kaschiert sie es, denn Luke gibt sich wiederum keine Mühe seine Blicke zu verbergen. Doch anstatt zu ihm zu sehen, schießt ihr Kopf permanent in alle Richtungen. Sie beobachtet, versucht sich wohl jeden Gast, jedes Gesicht und jedes Gespräch einzuprägen. Warum auch immer. Sie wird über nichts, was hier heute geschieht, auch nur ein Wort verlieren. Sie verfügen über die besten Anwälte und ihr blamabler Einbruch ist ein gefundenes Fressen für die Aasgeier. Sie hat keine Chance und ist auch nicht die erste Journalistin, die versucht hat einen Fuß in das Unternehmen zu bekommen. Luke kann diese grundsätzliche Faszination durchaus verstehen, die er selbst bis heute nicht loswird. Das Internet ist voll mit Verschwörungstheorien, die mit der abstrusen Idee beginnen, dass Arthur den Heiligen Gral bewacht, hin zu Fanatikern, die ihnen Beteiligungen an sämtlichen Katastrophen der Neuzeit zuschreiben. Sie liegen zumindest nicht alle falsch, doch das werden sie niemals erfahren.

Ebenso wie Gwen niemals mehr erfahren wird.

Durch den Raum hinweg trifft ihr Blick plötzlich seinen und er hat das Gefühl, dass ein Ruck durch seinen Brustkorb geht, der ihm kurzzeitig die Fähigkeit zum Atmen nimmt. Er kommt sich ertappt vor, obwohl er das die ganze Zeit über in Kauf genommen hat. Doch als sie unsicher lächelt, verflucht er sein Starren. Hätte er sie stattdessen doch lieber ignoriert, auch wenn ihm durchaus klar ist, dass er eine Frau wie Gwen nicht einfach ignorieren kann.

»Er ist gleich so weit.« Luke reißt den Blick los und sieht zu Noel, der neben ihm auftaucht. Ihn im Smoking zu sehen ist keine Überraschung, denn aufgetakelt ist Arthurs persönlicher Assistent bereits, wenn er morgens zum Bäcker geht. Im Gegensatz zu Luke, der es hasst, auf solchen Veranstaltungen zu sein. Er trägt nicht einmal eine Krawatte, sondern lediglich ein schwarzes Hemd, unter seinem, ebenfalls schwarzen, Jackett.

»Wer?«

»Wer? Na, Arthur natürlich! Wer denn sonst?« Noel starrt ihn entrüstet an und alleine dafür hätte er ihm gerne eine verpasst. Dieser Hass auf die Kröte ist nicht gesund und er muss ihn unbedingt in den Griff bekommen. Doch gerade heute fühlt er sich, als würde er sowieso in einer fremden Haut stecken. Und Schuld hat nur sie. Er sieht wieder zurück zu Gwen, die an ihrem Champagnerglas nippt und an der Wand lehnt. Wohl, damit man nicht das zerrissene hintere Ende ihres Kleides erkennen kann.

»Wer ist das?« Noel deutet mit dem Kugelschreiber in der Hand in Gwens Richtung. Vermutlich ist er seinem Blick gefolgt. Luke hätte sich dafür ohrfeigen können.