Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der kleine Holzjunge, der sich nichts sehnlicher wünscht, als ein echter Junge zu werden, verzaubert seit Generationen große und kleine Zuhörer. Carlo Collodis zeitloses Märchen entführt in eine Welt voller Wunder, in der Mut, Freundschaft und Aufrichtigkeit an jeder Weggabelung auf die Probe gestellt werden. In dieser liebevollen Neuübersetzung entfaltet sich Pinocchios abenteuerliche Reise auf eindrucksvolle Weise – meisterhaft gelesen von Sabine Schmitt, deren warme und ausdrucksstarke Stimme dem Klassiker einen ganz besonderen Zauber verleiht. Bereit für ein Hörvergnügen, das lange im Herzen nachklingt? Lasst euch von Pinocchios Abenteuern mitreißen und entdeckt ein zeitloses Märchen, das Jung und Alt immer wieder aufs Neue begeistert.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Impressum:Pretorian Media GmbHUlica Yanaki Bogdanov 11BG-9010 Varna
Es war einmal... Kein König, wie ihr, liebe Kinder, vielleicht denkt, sondern ein einfaches Holzscheit. Ja, wirklich nur ein Stück Holz! Aber kein kostbares oder gar besonderes Holz, sondern eines von jenen Stücken, die man im Winter in den Kamin legt, um das Feuer zu schüren und das Haus zu wärmen.
Wie genau es geschah, weiß ich nicht, aber eines Tages kam dieses Stück Holz in die Werkstatt eines alten Schreiners, der Meister Antonio hieß. Doch die Leute im Dorf nannten ihn nur Meister Kirsche, und zwar wegen der roten, glänzenden Spitze seiner Nase, die aussah wie eine reife Kirsche.
Kaum hatte Meister Kirsche den Holzscheit erblickt, rieb er sich die Hände voller Freude. "Dieses Holz kommt mir genau recht!", murmelte er. "Ich werde daraus ein schönes Tischbein schnitzen."
Ohne sich weiter zu überlegen, was er damit anfangen wollte, packte er seine scharfe Axt und machte sich daran, die Rinde zu entfernen und das Holzstück grob zuzuhauen. Doch kaum hob er die Axt für den ersten Schlag, erstarrte sein Arm in der Luft. Er hatte eine leise, klagende Stimme gehört, die rief: "Bitte schlag nicht so fest zu!"
Meister Kirsche erstarrte. Seine Augen suchten die Werkstatt ab, und sein Herz begann schneller zu schlagen. Doch da war niemand, absolut niemand zu sehen. Er war allein! Verwirrt sah er unter die Werkbank – niemand. Er öffnete den alten Schrank, der immer abgeschlossen war – ebenfalls niemand. Dann beugte er sich über den Korb mit Holzspänen und Sägemehl – auch dort war niemand zu finden. Schließlich ging er zur Tür der Werkstatt und sah hinaus auf die Straße – wieder niemand.
"Hm... Ich glaube, ich habe mir die Stimme nur eingebildet", sagte er zu sich selbst und kratzte sich am Kopf, während er lächelte und sich die Perücke zurechtrückte. "Zurück an die Arbeit!"
Und so nahm er die Axt wieder in die Hand und schlug fest auf das Holz.
"Aua! Das tut weh!", jammerte die kleine Stimme erneut.
Diesmal riss Meister Kirsche die Augen auf, und ihm fiel beinahe die Axt aus der Hand. Voller Schreck öffnete sich sein Mund, und seine Zunge hing ihm vor Staunen fast bis zum Kinn herunter. Mit bebender Stimme stammelte er: "Aber woher kommt nur diese Stimme? Hier ist doch niemand... Dass dieses Stück Holz sprechen kann wie ein Kind, das ist doch unmöglich!"
Er sah sich das Holzstück von allen Seiten an, hob es in die Höhe, klopfte daran, rüttelte es, um zu sehen, ob sich vielleicht jemand darin versteckt hatte. "Falls da jemand drinsteckt, so hat er jetzt Pech!", sagte er entschieden.
Mit beiden Händen packte er das Holzstück und schlug es mit voller Wucht gegen die Wände der Werkstatt. Dann hielt er still und lauschte angestrengt, ob er ein Wimmern oder Jammern hören könnte. Zwei Minuten vergingen – nichts. Fünf Minuten vergingen – nichts. Zehn Minuten vergingen – wieder nichts!
"Ich verstehe", sagte Meister Kirsche und zwang sich zu einem Lächeln. "Es scheint, als hätte ich mir das alles nur eingebildet." Und er rückte seine Perücke zurecht und tat, als wäre nichts geschehen.
Doch die Angst ließ ihn nicht los, und um sich Mut zu machen, begann er leise ein Liedchen zu summen. Er legte die Axt beiseite und griff stattdessen nach der Hobelbank, um das Holzstück glattzuschleifen. Doch kaum setzte er das Werkzeug an und hobelte einmal darüber, da hörte er wieder die klagende Stimme: "Hör auf damit! Das kitzelt!"
Voller Schreck fiel Meister Kirsche diesmal auf den Boden und saß für einen Moment wie versteinert da. Selbst die Spitze seiner Nase, die sonst rot wie eine Kirsche leuchtete, hatte sich vor Schreck ganz blau verfärbt.
In diesem Moment klopfte es an die Tür.
"Nur herein!", rief Meister Kirsche, der immer noch erschrocken auf dem Boden saß.
In die Werkstatt trat ein älterer Herr, der zwar ziemlich klein war, aber voller Tatendrang nur so sprühte. Er hieß Geppetto, doch die Kinder aus der Nachbarschaft nannten ihn spöttisch "Polenta". Das lag an seiner gelben Perücke, die an den Maisbrei erinnerte, den man "Polenta" nannte. Geppetto war sehr empfindlich, und wehe, jemand wagte es, ihn so zu nennen! Dann verlor er sofort die Beherrschung und wurde richtig wütend.
"Guten Morgen, Meister Antonio!", grüßte Geppetto. "Was machst du da unten auf dem Boden?"
"Ich lehre den Ameisen das Rechnen", antwortete Meister Kirsche mit einem verschmitzten Grinsen.
"Das ist ja edel von dir", lachte Geppetto. "Aber im Ernst, ich bin gekommen, um dich um einen kleinen Gefallen zu bitten."
"Ich stehe ganz zu deinen Diensten", entgegnete der Schreiner und stemmte sich dabei mit Mühe auf die Knie.
"Heute Morgen hatte ich eine Idee", erklärte Geppetto und hob den Zeigefinger wie ein Professor. "Ich möchte mir eine Holzpuppe schnitzen. Aber nicht irgendeine Puppe! Es soll ein Wunder-Püppchen werden, das tanzen, fechten und Purzelbäume schlagen kann. Mit ihm will ich die Welt bereisen und mir damit ein Stück Brot und ein Glas Wein verdienen. Was hältst du davon?"
"Bravo, Polenta!" rief plötzlich eine leise Stimme.
Kaum hatte Geppetto dieses Wort gehört, lief er rot an wie eine Chilischote. Er drehte sich zu Meister Kirsche um und fauchte: "Warum beleidigst du mich?"
"Ich? Ich habe dich doch gar nicht beleidigt", verteidigte sich der Schreiner.
"Doch! Du hast mich Polenta genannt!"
"Ich? Niemals!"
"Ach nein? Dann habe ich mich wohl selbst so genannt! Ich sage dir, du hast es gesagt!"
"Nein!"
"Doch!"
"Nein!"
"Doch!"
Und so ging es hin und her, bis die beiden alten Männer schließlich handgreiflich wurden. Sie packten einander, rissen sich an den Haaren, kratzten und bissen sich. Am Ende des Gefechts hatte Meister Kirsche die gelbe Perücke von Geppetto in der Hand, und Geppetto hielt die graue Perücke des Schreiners fest zwischen den Zähnen.
"Gib mir sofort meine Perücke zurück!", schrie Meister Kirsche.
"Erst, wenn du mir meine gibst und wir Frieden schließen!", knurrte Geppetto.
Die beiden setzten sich also wieder ihre Perücken auf und reichten einander die Hand. Dabei schworen sie, von nun an gute Freunde zu bleiben und sich nie wieder zu streiten.
"Nun gut, Geppetto", sagte der Schreiner in friedlicherem Ton. "Womit kann ich dir helfen?"
"Ich hätte gern ein Stück Holz, um meine Puppe zu schnitzen. Kannst du mir etwas abgeben?"
Überglücklich lief Meister Kirsche zu seiner Werkbank und holte das verflixte Stück Holz, das ihm schon so viele Schreckmomente beschert hatte. Doch gerade als er es Geppetto überreichen wollte, zuckte das Holzstück plötzlich, rutschte ihm aus den Händen und prallte mit voller Wucht gegen Geppettos Schienbein.
"Autsch! So freundlich überreichst du also deine Geschenke? Du hast mir ja fast den kleinen Zeh gebrochen!", rief Geppetto empört.
"Ich schwöre, das war nicht meine Schuld!", stammelte Meister Kirsche entsetzt.
"Ach, wirklich? Dann war es also meine eigene Schuld?!", fauchte Geppetto. "Du hast es mir doch gegen das Bein geworfen!"
"Ich habe es dir nicht absichtlich gegen das Bein geworfen!"
"Lügner!"
"Geppetto, beleidige mich nicht! Sonst nenne ich dich Polenta!"
"Dummkopf!"
"Polenta!"
"Trottel!"
"Polenta!"
"Scheusal!"
"Polenta!"
Beim dritten "Polenta" verlor Geppetto völlig die Beherrschung. Er stürzte sich auf den Schreiner, und erneut prügelten sie sich, bis ihnen beiden die Luft ausging. Als der Kampf endlich vorbei war, hatte Meister Kirsche ein paar Kratzer mehr auf der Nase, und Geppetto fehlten zwei Knöpfe an seiner Weste. Doch abermals reichten sie einander die Hände und versprachen hoch und heilig, ein Leben lang gute Freunde zu bleiben.
Schließlich nahm Geppetto das Stück Holz unter den Arm, bedankte sich bei Meister Kirsche und humpelte mit schmerzenden Schienbeinen aus der Werkstatt, um sich daran zu machen, seine Holzpuppe zu schnitzen.
Geppetto kehrte mit dem Holzstück voller Vorfreude in seine kleine Wohnung zurück. Diese bestand aus einem einzigen kleinen Raum im Erdgeschoss, der nur durch ein Fensterchen unter der Treppe ein wenig Licht erhielt. Die Einrichtung war spärlich: ein wackeliger Stuhl, ein abgenutztes Bett und ein kleiner, ramponierter Tisch. An der Wand befand sich ein gemalter Kamin mit einem gemalten Feuer, das fröhlich zu lodern schien, und daneben ein Topf, der dampfend auf dem Feuer kochte – oder jedenfalls ein täuschend echt aussehendes Abbild eines solchen.
Kaum war Geppetto eingetreten, schnappte er sich seine Werkzeuge und begann sofort, an dem Holzstück zu arbeiten, um seine Puppe zu schnitzen.
"Welchen Namen soll ich ihm geben?", fragte er sich. "Ich werde ihn Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe mal eine ganze Familie Pinocchio gekannt – Vater, Mutter und Kinder – und sie alle lebten glücklich. Der Wohlhabendste von ihnen musste nur am Sonntag betteln!"
Kaum stand der Name fest, machte sich Geppetto mit Feuereifer ans Werk. Zuerst schnitzte er das Haar, dann die Stirn und schließlich die Augen. Doch sobald er die Augen fertig hatte, erlebte er eine Überraschung: Sie bewegten sich und blickten ihn starr an!
Geppetto wich erschrocken zurück. Diese Augen aus Holz, die ihn unverwandt ansahen, verunsicherten ihn und brachten ihn in Rage. "Was starrt ihr mich so an?", knurrte er verärgert. Doch natürlich erhielt er keine Antwort.
Geppetto arbeitete weiter und schnitzte die Nase. Aber kaum war die Nase fertig, begann sie zu wachsen – und wuchs und wuchs und wuchs, bis sie zu einem riesigen Zinken geworden war, der einfach kein Ende zu nehmen schien. Verzweifelt begann Geppetto, den Nasenrücken immer wieder zu kürzen, doch je mehr er abschnitt, desto länger wurde die Nase!
Nachdem er endlich aufgegeben hatte, begann er mit dem Mund. Doch kaum war dieser fertig, fing der Mund an zu lachen und den armen Geppetto zu verspotten. "Hör sofort auf zu lachen!", rief Geppetto streng. Aber es war, als würde er gegen eine Wand sprechen. "Hör auf zu lachen, sag ich dir!", drohte er noch lauter.
Zwar hörte der Mund auf zu lachen, streckte aber stattdessen frech die Zunge heraus. Geppetto tat so, als hätte er nichts bemerkt, und arbeitete einfach weiter. Er schnitzte das Kinn, den Hals, die Schultern, den Bauch, die Arme und schließlich die Hände.
Kaum waren die Hände fertig, spürte Geppetto plötzlich einen Ruck am Kopf. Er drehte sich um und sah, dass Pinocchio seine gelbe Perücke in der Hand hielt! "Pinocchio! Gib mir sofort meine Perücke zurück!"
Doch statt ihm die Perücke zurückzugeben, setzte Pinocchio sie sich selbst auf den Kopf, wobei sie ihn fast ganz verschluckte. Geppetto blickte traurig auf seine Puppe und murmelte: "Frechdachs! Du bist noch nicht mal ganz fertig, und schon bist du unverschämt zu deinem eigenen Vater. Das ist schlimm, mein Sohn, sehr schlimm!" Dabei wischte er sich verstohlen eine Träne aus dem Auge.
Nun fehlten nur noch die Beine und die Füße. Kaum hatte Geppetto auch die Füße fertiggestellt, spürte er plötzlich einen kräftigen Tritt auf die Nasenspitze.
"Das hab ich wohl verdient!", murmelte er zu sich. "Ich hätte das kommen sehen sollen. Jetzt ist es zu spät!"
Er nahm Pinocchio unter den Arm und setzte ihn vorsichtig auf den Boden, damit er das Laufen lernen konnte. Zunächst waren Pinocchios Beine steif und unbeweglich, und Geppetto musste ihn an der Hand führen, um ihm zu zeigen, wie man einen Fuß vor den anderen setzte. Doch als Pinocchios Beine sich gelockert hatten, begann er von allein zu laufen, dann zu rennen und schließlich durch das ganze Zimmer zu hüpfen. Bevor Geppetto es sich versah, rannte Pinocchio zur Tür hinaus auf die Straße und lief davon.
Der arme Geppetto setzte ihm sofort nach, doch Pinocchio sprang wie ein Hase vor ihm her, seine kleinen Holzfüße klapperten auf dem Pflaster so laut wie zwanzig Paar Holzschuhe. Geppetto schrie verzweifelt: "Haltet ihn auf! Haltet ihn auf!"
Die Leute auf der Straße blieben verwundert stehen und lachten, als sie den hölzernen Jungen so flink rennen sahen. Am Ende hatte Geppetto Glück: Ein Polizist hörte das laute Getrampel und Geschrei und dachte, es handele sich um ein entlaufenes Pony. Er stellte sich mutig mit gespreizten Beinen mitten auf die Straße, um das "Pony" aufzuhalten.
Doch Pinocchio sah den Polizisten von Weitem und versuchte, ihm durch die Beine zu entwischen. Es gelang ihm jedoch nicht, und der Polizist packte ihn flink an seiner übergroßen Nase, die wie geschaffen war, um daran festgehalten zu werden. Er übergab den hölzernen Lausbuben dem erschöpften Geppetto zurück.
Geppetto wollte Pinocchio gleich eine Lektion erteilen und ihm kräftig die Ohren ziehen. Doch als er nach seinen Ohren griff, stellte er fest, dass er gar keine geschnitzt hatte! Und so packte er Pinocchio am Kragen und drohte: "Warte nur, bis wir zu Hause sind! Da werden wir beide ein ernstes Wörtchen miteinander reden!"
Doch Pinocchio war davon ganz und gar nicht begeistert. Er ließ sich einfach zu Boden fallen und weigerte sich, weiterzugehen. Einige Passanten blieben neugierig stehen und tuschelten.
"Der arme Holzjunge!", meinte einer. "Kein Wunder, dass er nicht zurück nach Hause will! Wer weiß, wie ihn dieser Geppetto behandelt!"
Ein anderer fügte hinzu: "Geppetto sieht zwar anständig aus, aber in Wirklichkeit ist er ein Tyrann! Wenn sie diesen armen Kerl zurück in seine Hände lassen, wird er ihn in tausend Stücke hauen!"
Das Gerede der Leute wurde immer lauter, und schließlich entschied sich der Polizist, Pinocchio freizulassen und stattdessen den armen Geppetto festzunehmen. Der alte Mann war so fassungslos, dass er gar nichts zu seiner Verteidigung sagen konnte und nur weinte wie ein kleines Kind. Während der Polizist ihn abführte, schluchzte er: "Unglücklicher Sohn! Ich wollte doch nur eine gute Puppe aus dir machen! Aber das geschieht mir recht. Ich hätte es vorher wissen müssen!"
Was danach geschah, ist eine Geschichte voller merkwürdiger Ereignisse – und die werde ich euch in den nächsten Kapiteln erzählen.
Während also der arme Geppetto unschuldig ins Gefängnis geführt wurde, machte sich der freche Pinocchio sofort aus dem Staub. Kaum war er den Fängen des Polizisten entkommen, rannte er los und sprang voller Eifer über Feld und Wiese, über hohe Böschungen, dichte Dornenhecken und breite Wassergräben, wie ein junger Hase auf der Flucht vor einem Jäger.
Als er schließlich vor seinem Haus ankam, sah er, dass die Tür einen Spalt offen stand. Er stieß sie auf, schlüpfte hinein und schloss sie fest hinter sich. Dann ließ er sich erschöpft auf den Boden fallen und atmete erleichtert tief durch.
Doch die Freude währte nicht lange, denn plötzlich hörte er ein leises Geräusch in der Stille des Raumes: "Kri-kri-kri!"
"Was ist das?", fragte Pinocchio erschrocken.
"Ich bin’s!"
Pinocchio drehte sich um und erblickte eine große Grille, die langsam die Wand hinaufkletterte.
"Sag mal, Grille, wer bist du?"
"Ich bin Grillo und lebe in diesem Zimmer schon seit über hundert Jahren."
"Jetzt aber gehört dieses Zimmer mir", sagte Pinocchio scharf, "und wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann mach, dass du sofort verschwindest, ohne dich auch nur einmal umzudrehen."
"Ich werde nicht gehen", entgegnete Grillo ruhig, "bevor ich nicht eine große Weisheit mit dir geteilt habe."
"Dann halte dich kurz."
"Kinder, die sich mutwillig von ihren Eltern lossagen und ihr Zuhause verlassen, stehen vor einem schweren Weg. Früher oder später werden sie es bereuen."
"Ach, sing ruhig, wie du willst, Grille, aber ich kann dir jetzt schon sagen: Morgen früh will ich hier weg! Wenn ich hier bleibe, wird man mich nur in die Schule schicken, und früher oder später müsste ich dann lernen. Und, ehrlich gesagt, ich habe überhaupt keine Lust zu lernen. Ich mag es viel mehr, Schmetterlinge zu fangen und auf Bäume zu klettern, um Vogelnester zu plündern."
"Armes, dummes Bübchen! Weißt du denn nicht, dass du, wenn du so weitermachst, einmal ein richtiger Esel wirst, über den alle nur lachen?"
"Sei still, du Unheilsgrille!", rief Pinocchio ärgerlich.
Doch der geduldige und weise Grillo ließ sich nicht beirren und fuhr ruhig fort: "Und wenn du schon nicht zur Schule gehen willst, warum lernst du dann nicht wenigstens ein Handwerk, damit du dir eines Tages ehrlich ein Stück Brot verdienen kannst?"
"Willst du wissen, was ich wirklich will?", sagte Pinocchio, dem langsam die Geduld ausging. "Es gibt nur ein einziges "Handwerk", das mir gefällt."
"Und das wäre?"
"Essen, trinken, schlafen und mich amüsieren, und zwar von morgens bis abends. So will ich leben, wie ein richtiger Landstreicher!"
"Nun, dann will ich dir eines sagen", erwiderte Grillo ruhig. "Alle, die so ein Leben führen, landen schließlich entweder im Krankenhaus oder im Gefängnis."
"Pass auf, du Unheilsgrille! Wenn ich wütend werde, wird es dir schlecht ergehen!"
"Armer Pinocchio, du tust mir einfach nur leid."
"Warum tue ich dir leid?"
"Weil du ein Holzjunge bist, und was noch schlimmer ist – weil du einen Holzkopf hast."
Bei diesen Worten sprang Pinocchio vor Wut auf und packte einen Holzhammer, der auf der Werkbank lag. Ohne lange zu überlegen, schleuderte er ihn in Richtung der sprechenden Grille. Vielleicht hatte er gar nicht wirklich vorgehabt, sie zu treffen, doch leider erwischte der Hammer sie genau am Kopf. Die arme Grille hatte gerade noch Zeit, ein leises "Kri-kri-kri" zu piepsen, bevor sie tot gegen die Wand fiel und für immer verstummte.
Inzwischen war es Abend geworden, und Pinocchio erinnerte sich, dass er den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Ein leises Knurren ertönte in seinem Bauch, das ihm zeigte, wie hungrig er war. Doch bei einem Jungen wie Pinocchio blieb der Hunger nicht lange leise, sondern verwandelte sich rasch in einen riesigen, unerträglichen Wolfshunger, der so stark war, dass er ihn kaum noch ertragen konnte.
Sofort lief der arme Pinocchio zum Kamin, wo er einen Topf köcheln sah. Voller Hoffnung wollte er den Deckel anheben, um nachzusehen, was wohl darin war. Doch zu seinem Entsetzen entdeckte er, dass der Topf nur auf die Wand gemalt war! Stellt euch sein Gesicht vor – seine lange Holznase wuchs vor lauter Enttäuschung gleich noch ein Stück weiter.
Verzweifelt rannte er im Zimmer umher und durchsuchte jede Schublade, jede Kiste und jeden Winkel. Er hoffte, wenigstens ein kleines Stückchen Brot zu finden – wenn auch nur ein hartes Stück, eine Kruste, einen Knochen, den der Hund verschmäht hatte, ein bisschen schimmlige Polenta, eine alte Fischgräte oder sogar einen Kirschkern. Irgendetwas, das sich kauen ließ! Doch er fand nichts – rein gar nichts.
Schließlich brach er in Tränen aus und sagte zu sich selbst: "Die sprechende Grille hatte recht. Ich habe einen Fehler gemacht, von meinem Vater davonzulaufen. Wenn er jetzt hier wäre, müsste ich nicht vor Hunger sterben… Oh, was für ein schreckliches Übel der Hunger doch ist!"
Da sah er etwas Weißes und Rundes auf dem Müllhaufen schimmern – es sah aus wie ein Hühnerei! Sofort stürzte er los und packte es fest mit beiden Händen. Und tatsächlich, es war ein Ei!
Pinocchios Freude war grenzenlos; er konnte sein Glück kaum fassen. Wie im Traum drehte er das Ei immer wieder in seinen Händen und streichelte es liebevoll. Er drückte ihm sogar ein Küsschen auf und sagte: "Aber wie soll ich es zubereiten? Soll ich ein Omelett machen? Oder es doch lieber im Wasser kochen? Vielleicht schmeckt es am besten gebraten in der Pfanne? Oder soll ich es einfach roh aus der Schale schlürfen? Nein, am besten schmeckt's aus der Pfanne!"
Kaum hatte er das entschieden, stellte er eine kleine Pfanne auf den Kohlenherd, den er notdürftig in Gang brachte. Statt Öl oder Butter nahm er etwas Wasser und wartete, bis es zu dampfen begann. Dann knackte er das Ei und machte sich bereit, es in die Pfanne zu gießen.
Doch statt Eigelb und Eiweiß kam ein kleiner, fröhlicher Kükenkopf zum Vorschein! Das Küken rief höflich: "Vielen Dank, lieber Pinocchio, dass du mir die Mühe erspart hast, mich selbst aus dem Ei zu befreien! Auf Wiedersehen, hab einen schönen Tag und grüß deinen Vater von mir!"
Mit diesen Worten breitete das Küken die Flügel aus, flatterte zum offenen Fenster hinaus und flog davon, bis es hinter dem Horizont verschwand.
Pinocchio blieb mit offenem Mund, zerbrochenen Eierschalen in den Händen und einem knurrenden Magen zurück. Nach dem ersten Schreck begann er laut zu weinen und verzweifelt zu schreien. Er stampfte mit den Füßen auf den Boden und schluchzte: "Die sprechende Grille hatte doch recht! Wenn ich nicht von zu Hause weggelaufen wäre und mein Vater bei mir wäre, müsste ich jetzt nicht vor Hunger sterben. Ach, was für ein schreckliches Übel der Hunger doch ist!"
Da sein Magen immer lauter knurrte und er nicht wusste, wie er ihn beruhigen sollte, beschloss Pinocchio, das Haus zu verlassen und ins nahegelegene Dorf zu laufen. Vielleicht fand er ja dort jemanden, der so freundlich war, ihm ein Stück Brot zu schenken.
Es war eine schreckliche Nacht. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel, Blitze zuckten, und ein donnerndes Grollen erfüllte die Luft. Ein eisiger Wind heulte und peitschte durch die Bäume, die unter seiner Wucht ächzten und knarrten.