Pinsel und Meißel - Teodoro Serrao - E-Book

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Teodoro Serrao

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Beschreibung

Eines Tages taucht in Rom die wunderhübsche Angelica auf, eine junge und begabte Pianistin, die allen Männern den Kopf verdreht. Niemand weiß genau, woher sie eigentlich kommt und niemand versucht, es herauszufinden. Ihr Nachbar Cormorto, ein wohlhabender Künstler, der eigentlich nichts für Frauen übrig hat, ist hingerissen von ihrem Klavierspiel und die beiden freunden sich an. Obwohl sie zunächst nur eine platonische Freundschaft verbindet, kommen sie sich mit der Zeit immer näher und verlieben sich schließlich hoffnungslos ineinander.Angelica ist jedoch eigentlich mit einem illustren und einflussreichen Russen verheiratet...Und welche Rolle spielt Origlio, der junge, mittellose Maler, den Cormorto protegiert?-

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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Ähnliche


Teodoro Serrao

Pinsel und Meißel

Autorisierte Aebersetzung aus dem EnglischenvonEmma Müller

Saga

Erstes Kapitel.

Rom war nicht ihr Geburtsort; sie kam aus einem jener nördlichen Länder, die so reich an dichten Forsten, an geheimnisvollen Wäldern, an phantastischen Sagen und bleichen Frauen sind.

Ihr Arzt hatte sie nach Italien geschickt, dessen mildes Klima ihrem zarten Körper neue Lebenskraft einflössen sollte. Der müde, den Leidenden eigene Blick und das matte Lächeln, das manchmal ihre Lippen umspielte, erhöhten ihre anmutige Schönheit. Denn sie war schön und auf ihren zarten Zügen lag ein solcher Ausdruck von Reinheit und Unschuld, ihrem ganzen Wesen entströmte ein solcher Hauch von Kindlichkeit, dass niemand, der sie einmal gesehen hatte, ihr liebliches Antlitz wieder vergessen konnte.

Ich will sie nicht ausführlicher schildern. Dante hat Beatrice nie beschrieben. Von ihm erfahren wir nicht, ob sie gross oder klein, ob sie blond oder schwarz, heiter oder schwermütig gewesen ist; und doch stellen wir sie uns schön vor, denn jeder denkt, dass die Frau, die dem Dichter eine so hohe Liebe einzuflössen verstanden hat, der gleichen müsse, nach der er selbst sich sehnt und deren Bild seine Träume erfüllt.

Ihr Name? Ich weiss ihn nicht; niemand sagte mir, wie sie hiess. Aber was kümmert uns ihr Name? So will ich dem Beispiel des grossen Florentiners folgen und die nicht zu schildern versuchen, die in dieser Geschichte eine so grosse Rolle spielt. Eine indische Sage berichtet uns, dass das erste Weib ein vom Himmel zur Erde herabgestiegener Engel gewesen sei, und demgemäss werde ich sie in diesen Blättern Angelika nennen.

Wenn sie je dies Buch liest, wird sie sich unter diesem durchsichtigen Pseudonym erkennen und mir verzeihen, dass ich versucht habe, bis in ihr innerstes Herz zu dringen.

Gar häufig behauptet ein Mann, dessen Neigung von einem schönen Weib nicht erwidert wird, dieses sei wohl schön, aber so stolz und kalt als ein Marmorbild. Bisweilen trifft dies zu, aber in den meisten Fällen ist es eine gehässige Ungerechtigkeit. Von Angelika konnte dies niemand sagen, denn sie wurde nicht nur um ihrer äussern Reize willen bewundert.

Namentlich wenn sie am Klavier sass und leuchtenden Auges ihre eigenen Kompositionen spielte, wenn ihre Wangen glühten, ihre Nerven vor Bewegung zitterten und ihre ganze Gestalt Leben gewann, fühlte sich alles wie durch einen mächtigen Zauber zu ihr hingezogen.

Nie gestattete sie die Veröffentlichung ihrer Kompositionen, und obgleich ich diese darum nie wieder hören werde, so werden mein Gemüt und meine Seele doch für immer den tiefen Eindruck bewahren, den sie auf mich machten.

Was sie komponierte, waren Lieder ohne Worte, voll Poesie und voll Mysterium. Bisweilen klangen aus diesen vibrierenden Tönen Thränen und Seufzer hervor; bisweilen verrieten sanfte, lächelnde Weisen, dass unbestimmte Gedanken ihre Einbildungskraft erfüllten; aber ein Hauch von Melancholie wehte durch alles; es war nicht das verzweifelte Schluchzen Chopins — es war das Leid eines süsseren Wesens, das Leid eines Weibes.

Niemand wusste, wer sie wirklich war. Ihr Benehmen war das einer Dame; und die Thatsache, dass sie einige sehr angesehene Leute zu ihren Freunden zählte, befriedigte die Welt. Es ist so leicht, von einer schönen Frau das Beste zu glauben.

Sie hatte eine wahre Künstlerseele. Alle ihre wirklichen Freunde waren Künstler, und von diesen wurde sie verehrt wie eine Königin. Alle, die sie kannten, liebten sie. In ihrem Salon trafen sich die bedeutendsten Schriftsteller, die hervorragendsten Bildhauer, Maler und Musiker; und von diesem Tribunal der schönen Künste empfing das neueste Kunstwerk, das jüngste Buch seinen Lorbeerkranz oder seine Verurteilung. War sie da, so wurde der bitterste Sarkasmus der Kritiker wie der heisseste Streit der Künstler stets durch Güte gemildert. Sie fand ein gutes Wort, eine Ermutigung für jedweden, der einer solchen bedurfte. Wer weiss es nicht, wie wohl ein ermutigendes Wort thut, wenn es aus einem sanften, liebevollen Herzen kommt?

Wenn Künstler ein eigenes Königreich hätten, in dem sie alle beisammen lebten, sie würden sie zu ihrer Königin erwählt haben, so beliebt war sie bei ihnen.

Sie lebte in Rom mit einer alten Dame, ihrer Tante. Diese war eine sonderbare Frau, die sich stets schweigend verhielt und an nichts Interesse nahm, es mochte sein, was es wollte; für sie gab es nur ein Wesen, nur einen Gedanken in dieser Welt — ihre Nichte. Das einzige, was sie an Rom schätzte, war das Klima, weil es Angelikas Gesundheit kräftigte. Sie gingen nie in Gesellschaft, aber einmal wöchentlich trafen sich ihre Freunde in ihrem Hause; sonst sah man sie höchstens bei einer Ausstellung oder in einem Konzert.

An einem sonnigen Nachmittag im Januar fuhren Angelika und ihre Tante vor die Porta del Popolo hinaus, um das Atelier eines kalabresischen Bildhauers zu besuchen, dessen Werke sehr gerühmt wurden.

Vor einigen Jahren wohnten die Künstler fast alle beisammen in der Via Margutta, einer kleinen Parallelstrasse der Via Babuino am Fusse des Pincio. Jetzt sind sie hier und da zerstreut; einige sind vor die Porta del Popolo hinausgezogen, andre haben ihre Ateliers am alten Platze beibehalten oder sich an der Passeggiata di Ripetta, am Tiber, niedergelassen; wieder andre sind auch in die neuen Stadtteile Roms gezogen.

In dieser Welt verändert sich alles. Früher wussten die Künstler kaum, wie sie die Miete ihres Ateliers bezahlen sollten, jetzt besitzen manche schöne Häuser; früher wurden Meisterwerke geschaffen ohne die vielen Ausstellungen, jetzt haben wir eine ungeheure Produktion von Mittelmässigkeiten; früher war eines Künstlers einziger Lebenszweck die Kunst an sich, jetzt machen manche Künstler in Politik, während andre als Salonhelden zu glänzen streben.

Doch kehren wir zu unsrer Erzählung zurück.

Als der Wagen vor der Thür des Bildhauers hielt, konnte man Stimmen hören, die ein spanisches Lied zur Guitarre sangen; aber als Angelika an die Thür klopfte, verstummte alles. Angelika lächelte ihrer Tante zu, doch schien diese weder den Gesang, noch das plötzliche Schweigen bemerkt zu haben.

Ihr Besuch war ein unerwarteter.

Ein kleiner, dunkler Mann mit kurzgeschnittenem schwarzen Bart und hellen Augen, öffnete die Thür und sah vergnügt und zugleich überrascht aus, als er seine Besucher erkannte. In italienischer Sprache sagte er zu Angelika: „Ich danke Ihnen, Signorina, für die Ehre, die Sie mir und meinem Atelier erweisen, aber ich fürchte, Sie werden alles in schrecklicher Unordnung finden ...“

„O, machen Sie sich darüber keine Sorge,“ erwiderte sie. „Sie wissen, ich bin Ihre interessante Unordnung gewöhnt. Ich finde sie reizend.“

Während der Bildhauer die Damen willkommen hiess, führte er sie in sein Atelier. Vier junge Leute sprangen sehr verlegen von ihren Sitzen auf. Der eine versuchte, eine Guitarre in einem Winkel hinter einer Gipsbüste zu verstecken.

Der Kalabrese, Mario Origlio, stellte Angelika seine Freunde vor. Mit Ausnahme eines römischen Malers waren es lauter Spanier.

Ein riesiges Fenster erhellte das Atelier, das mit Büsten und Statuetten in Marmor, Bronze und Terracotta beinahe überfüllt war. In der Mitte stand eine grosse Thonfigur, die eine sitzende weibliche Gestalt darstellte, die mit rührend traurigem Ausdruck auf ein totes, in ihrem Schosse ruhendes Kind herniederblickte. Das Kind hatte zwei Flügel, aber diese waren gebrochen.

„Es heisst ‚Der Tod Amors‘,“ sagte der Bildhauer zu Angelika, die bewundernd vor der meisterhaft ausgeführten Gruppe stehen geblieben war.

Der Kalabrese setzte die Drehscheibe, auf den er die Gruppe modelliert hatte, in Bewegung, so dass sich die Gestalt langsam umwandte.

Alle blickten schweigend auf den feuchten Thon, über den die helle Beleuchtung einen fleischartig weichen Schimmer warf; Angelikas Augen, ihre zitternden Lippen, ihre selbstvergessene Haltung verrieten ihre Bewunderung, während ihre Tante vollkommen gleichgültig aussah.

Die jungen Künstler fühlten sich in ihrer Gegenwart verlegen; überall pflegen sie sich offen und freiherzig zu geben, nur in ihren Ateliers sind sie schüchtern. Diese Schüchternheit ist ganz andrer Art als die eines Kunstfreundes, der eine Sammlung in seinem Hause zeigt; ein Künstler zeigt nicht nur den Raum, in dem er schafft, sondern alles, was er mit Kopf und Herz zu wirken und zu empfinden fähig ist. Man tritt in ein Atelier und versteht, beurteilt den Künstler. Man steht den Gedanken bereits vollendeter Werke und zu solchen, die niemals ausgeführt werden, gegenüber; man gewinnt einen Einblick in die Entwickelungsgeschichte einer Seele: den Geschmack, das Streben und Schaffen, die Befriedigung und Enttäuschungen; diese ganze Geschichte graphisch ausgedrückt durch Skizzen, Zeichnungen, Modelle.

Bei einem Bildhauer ist das sogar noch mehr der Fall, als bei einem Maler, da dieser immer etwas Hübsches zu zeigen hat, auf das er stolz sein kann: Altertümer, orientalische Brokate, Teile von Rüstungen, Kostüme, Stiche u. s. w., während der Bildhauer nichts zu zeigen hat, als sein Werk. Er kann nichts andres haben, denn durch den Thon, den Gips und die Feuchtigkeit wird alles beschmutzt und verdorben; ausserdem hat er auch in seinem Atelier keinen Raum dafür.

Nachdem sie die Künstler kurz begrüsst hatte, sagte Angelika lächelnd: „Wir hörten jemand singen. Warum haben Sie aufgehört? Ich möchte so gern einige Ihrer charakteristischen spanischen Lieder hören.“

Die Künstler lächelten verlegen; keiner hatte den Mut, ihren Wunsch zu erfüllen, weil alle wussten, welch eine Musikkennerin sie war. Mario wandte sich zu ihnen und bemühte sich, sie zu überreden, bis endlich ein junger Maler die Guitarre, die hinter der Büste verborgen war, aufnahm und begann, ihr liebliche Töne zu entlocken, während Angelika und ihre Tante sich auf zwei grosse altertümliche Sessel niederliessen.

Wer je ein spanisches Volkslied gehört hat, weiss, dass man nichts Lieblicheres und zugleich Kraftvolleres hören kann. Jene Lieder quellen aus dem innersten Herzen des andalusischen Volkes, in dessen Adern noch immer etwas maurisches Blut fliesst.

Der junge spanische Maler sang und begleitete seinen Gesang auf der Guitarre, während die andern, nach spanischer Sitte, im Takt dazu in die Hände klatschten.

Der Text lautete folgendermassen:

„Ich weiss nicht, was des Friedhofs Blume birgt,

O Mutter, doch es will mir scheinen,

Wenn sie der Wind so sanft bewegt,

Hör’ in der Stille ich sie weinen!“a)

„Danke,“ sagte Angelika, als die letzten Töne der Guitarre in dem weiten, stillen Raume verklangen; „aber nun haben Sie einmal angefangen und müssen mich schon noch mehr hören lassen.“

Darauf fuhr er fort:

„In Marmor soll dein Bildnis prangen,

Stolz über meines Grabes Nacht,

Um aller Welt dereinst zu künden,

Welch Leiden mir den Tod gebracht.“b)

Als das kurze Beifallsklatschen der Zuhörer verhallt war, begann er wieder:

„Stelle dich an meine Seite,

Senk’ ins Aug mir den Blick,

Und ich kehr’, vom Tod umfangen,

Noch einmal zu dir zurück.“c)

„Jetzt musst du aber etwas weniger Trauriges singen,“ sagte Mario.

Der junge Mann lächelte und sang:

„Als mir die schlimme Kunde wurde,

Dass du mich niemals hast geliebt,

Da lachten alle, selbst die Katze

War nicht im mindesten betrübt.“

Und das thaten auch alle im Atelier.

Angelika sagte: „Aber sind das wirkliche, in den unteren Ständen heimische Volkslieder?“

„Ja,“ antwortete der Sänger.

„Es ist merkwürdig, wie viel Empfindung sie haben! Ob wohl ein gebildeter Dichter edle Empfindungen so einfach ausdrücken könnte? Aber wenn Sie sich nicht dazu verstehen, mir noch ein Liedchen zu singen, so bringen Sie mich gar nicht mehr fort!“

„Dann singe nichts mehr,“ sagte der römische Maler, der bis dahin geschwiegen hatte.

Angelika sah ihn an.

Er war ein hübscher junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit glänzenden dunklen Augen und einem traurigen Zug um seinen schöngeschnittenen Mund.

Wie ausdrucksvoll ein geschlossener Mund doch aussehen kann!

Alle stimmten der Aeusserung des Römers bei.

„Nun, wenn Ihnen meine Gesellschaft so lieb ist, so müssen Sie sich auch meiner Tyrannei unterwerfen; jetzt befehle ich: Singen Sie!“ sagte sie mit einer scherzhaft gebieterischen Bewegung.

Der Spanier antwortete: „Ich gehorche. Hören Sie:

„Zwei Küsse trage ich im Herzen

Gar treu und sorgsam bis ins Grab:

Den letzten Kuss von meiner Mutter,

Den ersten, den ich dir einst gab.“d)

Dieses letzte kleine Lied war mit so ausserordentlicher Zartheit vorgetragen worden, dass alle eine Weile schwiegen. Es war, als ob jeder ein leises Beben in seinem Herzen fühlte bei der Erinnerung an ein liebes, altes Angesicht — bei dem Gedanken an einen anmutig lächelnden jungen Mund.

Angelika brach das Schweigen, indem sie sich erhob und zu dem römischen Maler sagte: „Ich weiss nicht, wie es kommt, dass mir Ihr Name so bekannt klingt.“

„Vielleicht, weil ich in demselben Hause wohne, wie Sie; Sie werden ihn im Vorbeigehen an meiner Thür gelesen haben.“

„So ist’s, wir sind Hausgenossen. Aber ich denke, ich muss irgend jemand über Sie und Ihre Werke in sehr schmeichelhafter Weise haben reden hören. Ah, jetzt erinnere ich mich! Es war Signor Claretti, der Kritiker, der mir sagte, dass sich an Ihr Bild die grössten Erwartungen für die nächste Ausstellung knüpfen.“

Giulio Cormorto — so hiess der römische Maler — errötete leicht und erwiderte: „Signor Claretti ist mein Freund, und Freundesaugen können nicht unparteiisch sehen.“

„Sie sind sehr bescheiden, Signor Cormorto“ — und indem sie sich zum Gehen wandte, fügte sie hinzu: „Ich hoffe, Sie werden mich morgen abend besuchen; es soll ein wenig musiziert werden, und vielleicht wird auch der berühmte Violinist, Herr Glücklich, spielen. Ich freue mich, die Bekanntschaft meines Nachbars gemacht zu haben.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden und werde kommen,“ antwortete Cormorto, sich tief verbeugend.

Dann wandte sie sich an Origlio: „Vergessen Sie nicht, dass Sie mir versprochen haben, zu kommen und von Ihren kalabresischen Sitten und Gebräuchen zu erzählen.“

Er erwiderte, dass er sich dessen sehr wohl erinnere und dass er ihr ein Buch über diesen Gegenstand bringen werde.

Nachdem sie sich verabschiedet hatte, entfernte sie sich mit ihrer Tante, die sich nicht herabliess, ein Wort zu sagen.

Sobald die Damen gegangen waren, fingen die jungen Leute alle an, laut und lebhaft zu sprechen, als ob sie die Zeit wieder einholen wollten, in der sie ihrer Freiheit beraubt gewesen waren.

„An was denkst du?“ fragte Mario seinen Freund Cormorto, der aus dem Fenster sah.

„Ich denke, dass sie einen wundervollen Kopf hat. Was für eine reine Stirn, was für ein Profil! Sie muss ein Engel sein!“

„Sie ist eben so gut als schön; bella di faccia, bona di core — wie der Neapolitaner sagt. Das wäre eine hübsche Gestalt für dein Bild!“

Dann sprachen sie über die Gruppe. Origlio zog Cormorto stets bei seiner Arbeit zu Rate; ein Maler bemerkt manches, was ein Bildhauer übersieht — und andrerseits kann der Bildhauer wiederum dem Maler nützlichen Rat erteilen. Es gibt keine Farbe ohne Form und keine Form ohne Farbe; so hatte jeder Verständnis für die Arbeit des andern, und als gute Freunde sprachen sie ihre Ansichten und ihr Urteil offen aus.

Sie besprachen die allgemeinen Umrisse der Gruppe, und die andern hörten ihnen, durch jene Art von geistiger Ueberlegenheit, die unter Künstlern schweigend und rasch anerkannt wird, bezwungen, respektvoll zu.

Von dem heutigen angenehmen Besuch war weiter keine Rede mehr, da Besuche in Origlios Atelier eben keine Seltenheiten waren; Cormorto jedoch dachte beständig an das zarte Gesicht des jungen Mädchens, und als sie alle zusammen das Atelier verliessen, fragte er Origlio wieder nach ihr; sie sprachen über ihre aussergewöhnliche Schönheit — jeder von ihnen von seinem eigenen Gesichtspunkte aus.

Wenn sie zugegen gewesen wäre und gehört hätte, was diese beiden Männer über sie sagten, so hätte wohl ihre Eitelkeit befriedigt sein können, aber nicht ihr Stolz; sie schienen nur Farben, Linien, Proportionen zu sehen; sie sprachen über sie, wie sie es über ein Porträt von Velasquez oder eine Statue von Canova gethan haben würden.

Nachdem sie über die Piazza del Popolo geschritten, gingen sie nach der Passeggiata di Ripetta in das Atelier eines Spaniers, der in einer Ausstellung einen ersten Preis davongetragen hatte und diesem Ereignis zu Ehren seinen Freunden ein kleines Festmahl gab.

Zweites Kapitel.

Die aufgehende Sonne sandte einen schüchternen, bleichen Strahl durch das Fenster des Ateliers. Dieser gerade bläuliche Lichtstreifen suchte sich dort natürlich die glänzendsten Gegenstände aus: einen breiten Goldrahmen, einen silbernen Kürass, einen Helm in einer Ecke — und liess alles übrige im Dunkeln. Nach und nach wurde der Strahl wärmer und rosiger, und in jenem geheimnisvollen, zarten Lichte süllte sich das grosse Zimmer mit Bildern von weissgekleideten Frauen und von Männern in den dunklen Kostümen des sechzehnten Jahrhunderts; alle Wände waren mit mächtigen Kartons bedeckt, die nur die Skizzen zu einem einzigen grossen Gemälde waren.

Aber bald verschwand der rosige Hauch, es wurde heller und heller, in stolzer Pracht strömte die Sonne in das Gemach, umfloss alles mit ihrem Glanz und zeigte nun erst das Atelier in seiner ganzen künstlerischen Eleganz und Unordnung.

Hie und da standen einige altertümliche Stühle umher, in einer Ecke eine kostbare, dunkle, im besten Rokokostil geschnitzte Kommode mit mehreren japanischen Dolchen und allerlei sonstigen Spielereien, darüber hing ein schöner venezianischer Spiegel; gegenüber stand ein schwarzer Tisch aus Zwergbaumholz mit Büchern, Zeichnungen, Mappen, Zeitungen, Photographieen und verschiedenen andern Gegenständen beladen, unter denen ein grosses silbernes Tintenfass, Diana auf der Jagd darstellend, von der Hand eines alten Meisters ciseliert, besonders ins Auge fiel. Ein faltenreicher grüner Samtoorhang hing vor der Thür, neben der ein türkisches Sofa stand, und auf diesem lag, in eine Ciociarodecke gehüllt, ein junger Mann und schlief.

Es war Cormorto — bleich und schweratmend, mit dem Aussehen eines Mannes, der eine durchschwärmte Nacht hinter sich hat.

Ein lautes Klingeln weckte ihn. Er fuhr auf und rief: „Wer ist da?“ Dann ging er, die Thür zu öffnen.

Ein hübsches Mädchen trat ein, trippelte anmutig näher und lachte über sein verschlafenes Aussehen.

„O! Sie waren gestern abend bei den Spaniern. Erzählen Sie mir! Ist’s wahr, dass das Modell Maria auch da war?“

„Ach, bitte, nicht so laut! Sprechen Sie leiser, ich habe furchtbares Kopfweh!“ unterbrach sie Cormorto verstimmt.

Das lustige Mädchen stimmte nun um so lauter ein neapolitanisches Lied an:

„Ich hab’ einen Schatz, ’nen verdammten Kumpan,

Den blickt das Leben gar freundlich an:

Von morgens bis abends sieht man ihn wandern,

Stets durstig von einer Kneipe zur andern.“e)

„Halt!“ sagte er wütend.

„Was? Sind Sie wirklich böse? Dann lassen Sie uns an die Arbeit gehen; Sie wissen ja, wenn ich nicht arbeite, kann ich meinen Mund nicht halten.“

Mutwillig schritt sie zum Tisch, nahm eine Cigarette und begann zu rauchen wie ein Soldat, oder — wie eine Dame von heutzutage.

Er ging in ein anstossendes Zimmer, um seinen Kopf in frisches Wasser zu tauchen, während sie ihr Kleid mit einem von weisser Seide vertauschte.

Sie war ein reizendes junges Geschöpf, etwa siebzehn Jahre alt, frisch und stark, mit einem ewigen jugendlichen Lächeln auf ihren roten Lippen und in ihren dunklen Augen.

Als sie angekleidet war, fing sie, die Cigarette in ihrem rosigen Munde, wieder zu singen an.

Sie war eines jener Mädchen, die aus den rauhen Gebirgsdörfern in der Nähe Roms herunterkommen, um Modell zu stehen. Sie tragen die Fröhlichkeit der Jugend, die heitern Farben ihrer roten, blauen oder gelben Kleider und das rauhe, aber natürliche Benehmen der Contadini in die Ateliers der Maler und Bildhauer.

Wenn sie nicht in den Ateliers beschäftigt sind, versammeln sie sich auf den Stufen vor Santa Trinità dei Monti oder vor der Kirche in Via Sistina und plaudern und scherzen dort mit den jungen Männern ihrer Profession; oder sie tanzen auch, das weisse Tuch auf dem Kopfe, zum Klang der Tamburella und bilden charakteristische, reichfarbige Gruppen in ihren althergebrachten Trachten.

Unglücklicherweise bleiben die meisten dieser Mädchen nicht unberührt von der Verderbnis der grösseren Städte, und dann geben sie sich in den Ateliers mit dem gezierten Wesen von Landmädchen, die sich als Städterinnen aufspielen wollen; schliesslich missfällt ihnen dann auch noch ihr rauhes, doch schönes Ciociarokostüm, und sie ruhen dann nicht, bis sie kleine Hüte, gewöhnliche Kleider und moderne Schuhe mit hohen Absätzen haben, welch letztere an Stelle der klassischen Ciocie treten, die mit Bändern um die Knöchel befestigt werden.

Die Männer kehren gewöhnlich in ihre Dörfer zurück, sobald sie Geld genug erspart haben, um ein kleines Stückchen Grund und Boden zu kaufen, oder bleiben in Rom, falls sie es nicht so weit bringen, und gehen ihrem Gewerbe nach, bis die Zeit kommt, wo sie noch als alte Männer, die die Träume ihrer Jugend hinter sich gelassen haben, Modell stehen.

Manche von den Frauen sind sehr begabt. Einzelne haben Künstler sogar geheiratet und sind gute Hausfrauen mit einem gewissen äusseren Schliff geworden. Alle aber bewahren jene misstrauische Schlauheit, die den Kindern der Berge eigen ist.

Sobald Cormorto zurückkehrte, hörte das Mädchen auf zu singen, warf ihre Cigarette weg und nahm in der Nähe des grossen Fensters ihre Stellung an, so dass ihre ganze Gestalt voll beleuchtet war.

Er setzte sich vor die Staffelei, reinigte schweigend seine Palette und setzte frische Farben auf; aber auf einmal, als er kaum zu malen angefangen, warf er alles beiseite und sagte zu dem Modell: „Ich mag heute nicht arbeiten.“

Sie schien durchaus nicht verwundert hierüber und nahm ruhig ihre noch glimmende Cigarette wieder auf.

„So will ich gehen. Ich werde mich zu Ihrem Freunde Origlio verfügen; er muss mir sagen, ob Maria gestern abend auch dabei war.“

„Ja, es ist besser, Sie gehen. Nehmen Sie Ihre dritthalb Franken für diese Sitzung.“

„Wenn Sie nicht arbeiten wollen, nehme ich auch das Geld nicht.“

„Nun, so gehen Sie eben so,“ sagte Cormorto ungeduldig.

Als er in sein Kabinett ging, damit sie sich wieder umkleiden konnte, rief sie ihm nach: „Was für ein Grobian Sie heute sind, Signorino!“

Aber er schien nicht zu hören, was sie sagte.

Nach wenigen Augenblicken war Cormorto allein. Der Gesang des Modells erstarb allmählich in der Ferne, als sie die Treppe hinabstieg.

Er schlug ein Buch auf, dann wieder ein andres, bis er schliesslich eine Schachtel mit Pastellfarben und ein Stück rauhes Papier zur Hand nahm und anfing, einen Frauenkopf zu skizzieren. Und er arbeitete und arbeitete, fieberhaft schnell die Farben mit seinem Daumen knetend, als ob er das Gesicht, das er malte, hätte im Relief modellieren wollen.

Er schien das Enteilen der Stunden nicht zu bemerken; er ruhte nur, wenn er von Zeit zu Zeit, einen neugierigen Blick in den Augen, ein wenig von der Staffelei zurücktrat, um die Wirkung seiner Arbeit zu betrachten. Einmal lächelte er dem Bilde zu — dann fuhr er zu malen fort. Aber dieses treuherzige Lächeln kehrte jedesmal wieder, wenn ihm etwas daran gefiel.

Plötzlich verkündete die Kanone von Sant’ Angelo ganz Rom, gass es Mittag sei.

„Schon!“ rief er aus und sah nach seiner Uhr.

Dann klingelte es ein zweites Mal.

Ein alter Mann trat ein; ein armer Maler, dem Cormorto mit jenem Zartgefühl zu helfen pflegte, das den Stolz eines andern schont, und das niemand tiefer empfindet, als der Künstler gegen seinen Kunstgenossen.

Da er ein grosses Einkommen hatte, konnte Cormorto das thun, obgleich er sich sehr selten bemühte, seine eigenen Gemälde zu verkaufen.

Der ältliche Besucher war ärmlich gekleidet, aber seine Kleider sassen gut, und in seiner äussern Erscheinung, wie auch in seinem ganzen Benehmen lag jenes unbeschreibliche Etwas, das auch den schlechtesten Beobachter sofort gewahren lässt, dass er sich einem Gentleman gegenüber befindet.

„Herein, herein, Alter,“ sagte der junge Maler und streckte ihm die Hand entgegen. „Sehen Sie her! Gefällt es Ihnen? Sagen Sie mir offen, was Sie davon halten.“

Der Eintretende betrachtete das Pastell mit dem Auge eines Kenners erst in der Nähe, dann aus einer kleinen Entfernung und antwortete: „Sehr gut, mein lieber Junge. Ich sehe, Sie machen wunderbare Fortschritte. Wer ist sie?“

„O, nur ein Studienkopf ... aus der Phantasie oder nach dem Gedächtnis!“