Piranhas im Schlossgraben - Brigitte Vollenberg - E-Book

Piranhas im Schlossgraben E-Book

Brigitte Vollenberg

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Beschreibung

Piranhas im Schlossgraben? Eher unwahrscheinlich. Oder? Die Geschichten, am Wegrand des Lebens aufgelesen, sind so vielfältig wie sonderbar. Sorgfältig ausgesuchte Gedichte umrahmen die Texte, sind in ihnen integriert und unterstreichen die heiteren und skurrilen, aber auch mal ernsten und kriminellen Geschichten. Erinnerungen werden wach. Ja, das hab ich auch schon einmal erlebt, werden Sie denken. Vielleicht hoffen Sie auch, dass Ihnen diese oder jene außergewöhnliche Begebenheit nicht widerfährt. Und genau durch diese Mischung entsteht der Spaß am Lesen. Lassen Sie sich überraschen!

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ähnliche


INHALT

V

ORWORT

von Harald Landgraf

K

UNSTGENUSS

D

URCH

N

ERZSTOLA

Kunstgenuss durch Nerzstola

Sockenwahl

B

AUMARKTFRAUEN

Drogeriemänner

Baumarktfrauen

M

ORDGEFLÜSTER

Schicksalslinien

Mordgeflüster

Wer weiß?

I

N FALTIGER

G

ESELLSCHAFT

In faltiger Gesellschaft

Diskrepanz

F

AST

W

IE ZUHAUSE

Fast wie zuhause

Auf der Flucht

Senil am Tresen

D

IE

S

CHRAUBE

Die Schraube

Die zweite Mutter

S

CHATZ, SCHLÄFST

D

U SCHON?

Schatz, schläfst du schon?

Wachsam

D

ER

A

UFTRITT IN

R

OT

Vor dem Auftritt

Der Auftritt in Rot

Lila Lyrik

Das schöne Ideal

Die Welt ist nur ein Spiel

E

IN

P

ROMINENTER

F

ALSCHPARKER

Ein prominenter Falschparker

Prominent

D

AS

K

LEINE

S

CHWARZE UND DIE

S

TÖCKELSCHUHE

Der Eva-Faktor

Das kleine Schwarze und die Stöckelschuhe

Stöckelschuh

P

IRANHAS IM

S

CHLOSSGRABEN

Piranhas im Schlossgraben

Gewichtiges Zwiegespräch

Älter, müder, schlapper

Rache

D

ER

S

ILBERNE

M

ETALLKOFFER

Der silberne Metallkoffer

Orientalisches

Verbannung

D

AS

K

LASSENTREFFEN

Vor dem Klassentreffen

Das Klassentreffen

Nach dem Klassentreffen

D

ER TOUCHIERTE

S

PIEGEL

Der touchierte Spiegel

Perspektiven

Glück im Unglück

D

UNKELHEIT

Dunkelheit

Aus den Augen

F

RAU

G

ERDA

M

ÜLLER GEHT ZUM

F

RISEUR

Frau Gerda Müller geht zum Friseur

Kleine Freuden

Keine Zeit für Neid

H

ERZLICHEN

G

LÜCKWUNSCH ZUM

G

EBURTSTAG

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag...

Kriminell

Badawanna

S

OMMERFRISCHE

Das Schauspiel des Alters

Sommerfrische

Es bleibt doch nichts mehr wie es war

Szenenwechsel

A

LLERHEILIGEN

Allerheiligen

Am Tag der Toten

Mahnung

W

INTERSCHLAF

Winterschlaf

Verlust

Glück

VORWORT

GEFRÄßIG AUF DIE ZEILEN STÜRZEN

Piranhas gelten gemeinhin als gefräßig, schnell und aggressiv, Schlossgräben sind da eher ruhig, gelassen und könnten keinem Goldfisch etwas zuleide tun – dass die Dinge manchmal anders liegen, lehren uns so manche Verse und Passagen dieses Buches.

„Piranhas im Schlossgraben“, das hört sich so an wie die Spinne in der Yucca-Palme, doch mit sagenhaften Geschichten, die Unglaubliches berichten, hat das wenig zu tun, auch wenn es manchmal sagenhaft ist, was die beiden Autoren Brigitte Vollenberg und Dirk Juschkat zu erzählen haben. Zwischen Fiktion und Wirklichkeit bietet sich eine wahre Flut an Themen an, die man erzählerisch ins Licht setzen kann und will – sei es ernsthaft, humorvoll, sarkastisch oder fein ironisch.

Prosa und Lyrik in einem Buch – unglaublich ist, dass der Mix der literarischen Sammlung von Geschichten und Gedichten erprobtermaßen gut funktioniert. Bei zahlreichen Lesungen in der Region erlebten die Erzählerin und der Dichter stetig, dass ihr Konzept aufgeht, oder umgangssprachlich ausgedrückt, dass die „Message“ rüberkam. Für ihr neuestes Werk legten sich beide nochmal richtig in die Riemen, gingen inhaltlich aufeinander ein. So entstand ein abwechslungsreiches Buch für Vortrag und Lektüre. Vielen, die das Lese-Duo schon einmal erlebten, wird es Freude bereiten, anderen Vorfreude auf ein Live-Erlebnis von „Piranhas im Schlossgraben“ – wobei hier die Lesung gemeint ist.

Das geheimnisvolle Cover, der spookige Titel, die liebevolle Machart aus Literatenhänden – denn kein großer Verlag schwang hier das Zepter – dürfte dazu beitragen, diesem Werk zu seinem Erfolg zu verhelfen, den es wirklich verdient. Wirklich? Ob dies das richtige Wort ist an dieser Stelle, wo wir doch von Piranhas reden? Ich weiß es nicht. Lasst uns gefräßig auf die Zeilen stürzen, lasst uns lesen!

Harald Landgraf

1. KUNSTGENUSS DURCH NERZSTOLA

Stehen Kleidung und Kunstgenuss in Abhängigkeit zueinander? Gibt es einen Zusammenhang zwischen festlicher Garderobe und klassischen Konzerten? Werde ich an der Theatertür abgewiesen, wenn ich nicht uniformiert edel gekleidet bin? Diese Fragen habe ich mir zeit meines Lebens gestellt. Immer wieder wurde ich damit konfrontiert, Entscheidungen für oder gegen eine Kleiderordnung zu treffen.

Die ersten Erfahrungen machte ich, als meine Eltern einen Arbeitskollegen meines Vaters besuchten und ich sie begleiten durfte. Die Einladung zum Kaffee hatten sie lange hinausgeschoben. Für mich ein Zeichen, dass sie gar keine Lust hatten, sich mit diesen Leuten zu treffen. Aber es war der Vorgesetzte meines Vaters und die Höflichkeit siegte schließlich. Ich war sechs Jahre alt und hätte viel lieber meine Freundin getroffen und mit ihr gespielt.

Meine Mutter hatte mich schick angezogen: weiße Kniestrümpfe und schwarze Lackschuhe, einen roten Trägerrock mit Stickerei und dazu eine weiße Bluse. Sie selbst liebte sportlich-legere Kleidung.

Die Kaffeetafel war akkurat gedeckt. Die perfekte Geometrie fiel mir auf. Wir saßen stocksteif mit geradem Rücken auf harten Stühlen. Ich wartete auf den Kuchen, den Mutter mir versprochen hatte. Schließlich lag ein Stück selbst gebackener Apfelkuchen auf meinem Teller und die Dame des Hauses schenkte mir eine Orangenlimonade ein.

Die Worte »selbst gebacken« wurden immer wieder betont, denn im unmittelbaren Wohnumfeld unserer Gastgeber lag eine Bäckerei, die für ihren traumhaften Apfelkuchen bekannt war. Die Unterhaltung war gestelzt und stockte immer wieder. Für mich war es unheimlich langweilig, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und spielte das Vorzeigekind. Den letzten Krümel meines Apfelkuchens hatte ich noch nicht geschluckt, da merkte meine Mutter bereits an, dass es an der Zeit wäre, wieder aufzubrechen. Verstohlen sah sie auf ihre kleine Armbanduhr. Sie bedankte sich für die Einladung und sprach eine Gegeneinladung aus.

»Aber Sie wollen doch noch nicht gehen?«, fragte der Hausherr und tat ganz entrüstet. Er trat an das Barfach seines Eichenwohnzimmerschrankes und entnahm dem Möbel zwei Flaschen. Mein Vater bekam einen Cognac eingeschenkt und Mutter hatte plötzlich ein Likörchen vor sich stehen. Die rubinrote Flüssigkeit glitzerte im Kerzenlicht.

»Wir prosten uns jetzt erst einmal zu. Ich heiße Bernhard und meine Frau Dora. Sie kann sich in der Zwischenzeit schnell umziehen«, richtete Bernhard Worte an meine Eltern. Dora nickte. »Wir werden nämlich gleich noch in den Genuss eines klassischen Konzertes kommen.«

Fragende Blicke wechselten zwischen meinen Eltern hin und her. Sie wären am liebsten sofort aufgebrochen. Mein Vater trank keinen Cognac und Mutter mochte keinen Likör. Vater schwenkte also die braune Flüssigkeit in seinem bauchigen Glas und roch daran. Wenn ich diese Bewegung mit meinem Getränk machen würde, bekäme ich unheimlich Ärger, dachte ich. Manchmal verstand ich die Erwachsenen nicht. Meine Mutter nippte nur an ihrem Gläschen.

Ich sah, dass sie leicht ihr Gesicht verzog, sich aber schnell wieder unter Kontrolle hatte.

Dann kam die Hausherrin zurück. Sie trug ein schulterfreies, zart mintfarbenes Wildseidenkleid. Es war eng anliegend, betonte die Taille und hatte hinten einen kleinen Schlitz. Dazu trug sie silberne Schuhe mit seltsam spitzen hohen Absätzen. Mutter hatte so ähnliche in Schwarz. Sie nannte diese Dinger: Schuhe mit Pfennigabsätzen. Ich hab übrigens nie einen Pfennig an diesen Schuhen entdeckt. Über die nackten Schultern hatte die Hausherrin, ich durfte sie ja nicht Dora nennen, eine Nerzstola gelegt. Ihre Haare waren hochgesteckt.

»Dora, Schatz!«, sagte jetzt der Hausherr, »pass bitte auf, dass du nur auf die Teppiche trittst, denke an den Parkettboden.« Ich schnupperte. Dora duftete gut. Meine Mutter stand auf, äußerte sich anerkennend über die tolle Kleidung.

»Aber bitte, behalten Sie doch Platz«, sagte Dora, »jetzt zieht Bernhard sich noch schnell um. Solange können wir uns ja noch unterhalten.«

Ein Gespräch kam natürlich nicht in Gang.

»Was für ein Konzert besuchen Sie?«, heuchelte meine Mutter Interesse.

»Die Brandenburgischen Konzerte 1-6 von Johann Sebastian Bach«, sagte Dora. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätte meinen Eltern, die sie offensichtlich für Kunstbanausen hielt, erklärt, wer Johann Sebastian Bach war.

»Und in welches Musiktheater gehen Sie?«, fragte meine Mutter, nicht weil es sie interessierte, aber immerhin standen mindestens zwei Spielorte zur Auswahl. Bevor sie eine Antwort bekam, betrat Bernhard das Wohnzimmer: schwarzer Anzug, weißes Hemd, silberne Krawatte, goldene Manschettenknöpfe. Ein Hauch von Aftershave füllte den Raum und kribbelte in meiner Nase.

Meine Eltern traten entschlossen in die Diele und verabschiedeten sich.

»Dora, Liebes!«, sagte Bernhard, »schalte doch bitte schon einmal den Fernseher ein, damit wir auch den Anfang nicht verpassen.« Schwungvoll hob er seinen linken Arm in Augenhöhe und schaute auf seine goldene Armbanduhr.

Bernhard nahm den leicht amüsierten Blick meiner Eltern jetzt auch wahr und er setzte zu einer Erklärung an:

»Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie das jetzt nicht verstehen, aber ein echter Kunstgenuss bedarf eines absolut passenden Rahmens.« Vater und Mutter nickten verständnisvoll und leiteten die Verabschiedung ein.

Der Blick ins Fernsehzimmer zeigte zwei Klubsessel, dazwischen ein Tischchen, auf dem ein Opernglas lag.

Als wir im Auto saßen, wischten sich meine Eltern die Tränen vor Lachen. Ihr Gelächter fachte immer wieder aufs Neue an.

Mir ist diese Nerzstola sehr gut im Gedächtnis haften geblieben. Immer wenn meine Mutter mich ermahnte, mich für diese oder jene Veranstaltung ordentlich und der Situation entsprechend passend anzuziehen und ich eine andere Vorstellung von ordentlich hatte als sie, erinnerte ich sie daran, dass ich immer noch keine Nerzstola hätte. Diese patzige Bemerkung führte bei ihr sofort zur gewünschten Entspannung und löste einen Lachanfall aus.

SOCKENWAHL

Der Mensch bedient sich der Kultur:

er reinigt nicht den Körper nur,

auch für die Seele hat er Sachen,

die ihn beizeiten glücklich machen.

Und zwischen Seife und Theater

sucht Mann, Frau, Mutter und auch Vater

nach dazu passender Gardrobe,

dass man das schöne Outfit lobe.

Doch kein Erfolg kommt automatisch,

die Kleiderauswahl eher statisch,

so dass es Phantasie erfordert,

bevor man dann das Taxi ordert.

Die Frau ist fertig, schon seit Stunden,

allein ihr Mann, der scheint verschwunden;

sie sah ihn nach dem Bad, schon trocken,

er sagte ihr: »Ich brauch noch Socken.«

Und eben dort fand sie den Gatten,

so wie sie es schon öfter hatten,

denn für ihn war die größte Qual

nicht Mozart, doch die Sockenwahl.

Auf einem Berg von Strümpfen sitzend,

aus allen Poren tüchtig schwitzend,

versagte er bei der Entscheidung

der endgültigen Fußbekleidung.

Die Farbe, klar, die war schon wichtig,

doch kein Motiv gefiel ihm richtig,

mit dem sich Kunst genießen ließ –

und so den Abend ihm verdrieß.

Auch nach Beginn vom zweiten Akt

saß er noch dort, die Füße nackt –

verzweifelte an dem Entschluss

für den perfekten Kunstgenuss.

»Nicht mehr mit mir!«, war dann zu hören,

»Ich werde kein Konzert mehr stören

und niemals wieder eins besuchen.« –

die Quintessenz aus seinem Fluchen.

So blieb er der Kultur nicht treu,

erschien als Fußballfan dann neu,

denn jede Mannschaft seiner Wahl

bestimmt nun Socken, Mütze, Schal.

2. BAUMARKTFRAUEN

DROGERIEMÄNNER

Es gibt Geschäfte in den Städten,

die, wenn sie keine Frauen hätten,

Museen wie am Montag wären.

Nicht diese für die Fußgewänder,

nicht Läden, wo nur Stoff und Bänder

die Konten aller Gatten leeren –

es sind vielmehr die Drogerien,

die in dem täglichen Bemühen

um Rein- und Schönheit Weiber locken!

Weil sie der Werbung blind vertrauen,

erfolgt oft Stechen und auch Hauen –

da bleibt kein Auge lange trocken.

Und so strömt Frau an die Regale

und sucht zum wiederholten Male

das Mittel, das halt alles kann.

Inmitten Tiegeln, Cremes und Tuben

sieht frau nur selten ihren Buben;

wer draußen bleibt, das ist der Mann.

Der steht dort neben Leidgenossen

und wartet duldsam, unverdrossen,

dass seine Liebste triumphiert.

Und wenn sie dann, mitsamt Trophäen,

erschöpft nach Hause wieder gehen,

weiß er auch, was danach passiert:

es folgt der Gang ins Badezimmer,

wo stundenlang, wenn nicht gar schlimmer,

sie ihrer neuen Beauty frönt.

Der Mann indes wagt nicht zu klopfen,

beschäftigt sich derweil mit Hopfen,

weil er sich nur von innen schönt.

Meine Mutter konnte meinem Vater stets eine große Freude machen, wenn sie am Samstagvormittag, nach dem wöchentlich zelebrierten Besuch in der Innenstadt, sozusagen als Belohnung, die restliche Zeit bis Ladenschluss mit ihm in einem Baumarkt seiner Wahl verbrachte. Es gab da einige, die auf der »Grünen Wiese« die Stadt umlagerten.

Der Vormittag in der City war für meinen Vater geprägt vom Vorbeischlendern an den Marktbuden, Entscheidungshilfe geben am Käsestand und einem gemeinsamen Milchcafé im Marktbistro. Wenn das Wetter besonders schön war, beglückten sich meine Eltern mit einem Eis in der italienischen Eisdiele Dolomiti und Vater fragte sich, warum es in Eisdielen kein Bier gab. Das hätte den Einkaufsstress etwas erträglicher gemacht.

Meistens kündigte meine Mutter auf dem Weg zum Parkplatz einen schnellen Besuch im Drogeriemarkt an, weil sie am Vortag dort etwas Wichtiges vergessen hatte und heute, obwohl sie die Schaufenster dieses Geschäftes mehrfach passiert hatten, erst jetzt daran dachte. Sie forderte von ihrem Begleiter, also meinem Vater, dass er, ähnlich einem angebundenen Hund, am Fahrradständer wartete, bis sie das von Damen bevorzugte Geschäft gut duftend und erfolgreich wieder verließ. Einmal, vielleicht zweimal im Jahr schaffte sie es, ihn mit hineinzulocken. Grund war die Fotoabteilung. Dann stand mein Vater vor den technischen Geräten, an die sich meine Mutter nicht herantraute und sorgte dafür, dass die Fotos vom Urlaub aus dieser Maschine herausfielen. An normalen Samstagen ohne Fotobestellung reihte sie sich nicht selten aus der Kassenschlange noch einmal aus und stöberte weiter, weil sie durch die großen Schaufensterscheiben gesehen hatte, dass mein Vater sich nicht langweilte, sondern in ein Gespräch mit einem Leidensgenossen vertieft war. Da konnte sie noch schnell einen Blick in die Kosmetikabteilung werfen. Ich denke, Generationen von Ehefrauen, Lebensabschnittsgefährtinnen und Freundinnen machen sich seit Jahren diese Möglichkeit zunutze und ködern ihre Partner mit dem Versprechen, mit ihnen anschließend in den Baumarkt zu fahren.

Während mein Vater mit strahlenden Augen und voller Vorfreude die Abteilung für Bohrmaschinen betrat und mangels technischem Sachverstand alleine von der Vielfalt der Zubehörteile einer solchen Maschine beeindruckt war, die in keinem vernünftigen Haushalt fehlen durfte, ließ sich seine Frau, also meine Mutter, von der Fülle der Produktpalette, die niemand in einem Handwerkermarkt vermuten würde, beeindrucken. Oder kennen Sie eine Frau, die sagt, wenn sie einen neuen Bademantel benötigt: »Schatz, ich fahre mal kurz zum Baumarkt, ich will mir einen neuen Bademantel kaufen?”

Die Farbskala dieser flauschigen Fleecebademäntel, die zudem zu einem Schnäppchenpreis angeboten wurden, war riesig groß. Auf der anderen Seite der Warenständer präsentierten die psychologisch geschulten Baumarktbetreiber Badezimmerfliesen. So konnte die Frau sogleich passend zu den Fliesen, die der Gatte natürlich selbst verlegen würde, weil alles, was das Herz eines Hobby-Fliesenlegers begehrte, in den Regalen vorhanden war, einen Bademantel aussuchen. An der kleinen Abteilung Reinigungsprodukte für Fliesen ging sie vorbei. Da würde sie immer auf Altbewährtes aus dem Drogeriemarkt vertrauen, denn da hatte frau wenigstens fachkundige Beratung.

Die Gartenabteilung war für meinen Vater sehr interessant. Hier gab es Laubsauger und elektrische Rasenmäher. Kaum jemand hatte einen so großen Garten, dass ein Laubsauger oder auch Laubpuster eine Anschaffung rechtfertigen würde. Aber auch nur wenige Frauen konnten nachvollziehen, was es bedeutete, den Herrn Nachbarn zu grüßen, der aufrecht gehend einen Laubsauger lässig über der Schulter hängen hatte und seine Garagenauffahrt vom Laub befreite. Während man selber einen Rechen oder Besen einsetzte, die nur Schwielen in den Händen und eine krumme Haltung verursachten. Eine kleine Pause, auf den Besen aufgestützt, spiegelte gleich das Bild eines faulen Nichtsnutzes wider. Während so ein Laubsauger allein durch sein lautes Gebläse ständige Arbeitsaktivität vermittelte.

Meine Mutter stöberte derweilen durch das saisonale Angebot an Dekorationsmaterialien, das dieser Gartenabteilung vorgelagert war. Bereits beim Betreten des Areals standen Einkaufskörbe bereit, wie früher in den Supermärkten für den schnellen kleinen Einkauf. Auf großen Tischen wurden kunstvoll maschinell gefertigte Dekorationsteile präsentiert, die farblich aufeinander abgestimmt waren und ein handwerkliches „selbst gemacht“ heuchelten. Besonders auffällig war es in der Weihnachtszeit. Da gab es Bereiche, die Rot als Muss ausstrahlten. Dort standen rote Kerzen, rote Christbaumkugeln, rote Sterne, rote Elche und rote Weihnachtsmänner, rote Engel, kleine und große rote Lichterketten, rote Holzanhänger für den Baum in den unterschiedlichsten Formen. Diese Ton in Ton Orgie ließ jedes Frauenherz höher schlagen, auch das meiner Mutter. Und wer sich weiter in die Tiefen der Dekorationsabteilung vorkämpfte, dem eröffnete sich plötzlich eine neue Welt mit ähnlichem Warenangebot in den Farben Grün, Pink und Hellblau. Es gab einen naturfarbenen und einen weißen Weihnachtsbereich, die ein edles Ambiente vorgaukelten. Nicht zu vergessen der Sonderangebotstisch, auf dem Dekorationselemente des Vorjahres zum halben Preis angeboten wurden und manch einen glauben ließen, sie hätten das Verfallsdatum leicht überschritten wie ein Joghurt aus der Kühltheke, den der Regalpfleger übersehen hatte. Diese Dekorelemente waren aber durchaus noch „dekorierbar“.

Das Angebot aus fernöstlicher Produktion war so riesig, dass der Gatte in Ruhe eine Probefahrt mit dem elektrischen Sitzrasenmäher durch die Gänge des Baumarktes machen konnte, um sein potenzielles Weihnachtsgeschenk auszuprobieren. Während er nach erfolgreicher Probefahrt mit geröteten Wangen durch die verschlungenen Wege der Dekorabteilung ging, auf der Suche nach seiner Frau, um sie an seinem gigantischen Erlebnis teilhaben zu lassen, drückte sie ihm das Einkaufskörbchen in die Hand und fragte ihn, ob der elektrische Rasenmäher seiner Wahl mit dem Farbpotpourri ihrer diesjährigen Weihnachtsdekoration harmonieren würde. »Passt schon«, sagte er.

Sie lauschte den abenteuerlichen Fahrversuchen ihres Mannes mit einem Aufsitzmäher, der Null Wendekreis hatte und einer der günstigsten Einstiegsmäher überhaupt war. Während sie an der Kasse die Kreditkarte zückte, weil Weihnachtsdekoration heute eigentlich noch nicht auf ihrem Einkaufszettel stand, trug er einen Stapel Prospektmaterial nach Hause und würde das ganze Wochenende etwas zu lesen haben.

Meine Mutter saß entspannt auf dem Beifahrersitz, atmete zufrieden auf. Dann rief sie meinen Vater brutal in die Realität zurück: »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass wir uns einen Rasenmäher kaufen, auf dem man sitzen kann. Die wenigen Quadratmeter Rasen, die wir haben, mähe ich in Nullkommanix mit einem Handmäher. Wir brauchen noch nicht einmal einen elektrischen Rasenmäher zum Schieben.«

Mein Vater fuhr rückwärts aus der Parklücke heraus.

»Halt noch mal kurz an!«, rief sie. »Dort in der Baumarktbäckerei ist heute das Steinofenbrot im Angebot. Davon nehme ich noch eines mit.« Sie sprang wieder aus dem Auto heraus.

»Hoffentlich ist das nicht so hart wie beim letzten Mal, sonst muss ich wieder rein in den Baumarkt und uns eine Tischkreissäge kaufen«, rief mein Vater ihr hinterher.

3. MORDGEFLÜSTER

SCHICKSALSLINIEN

Ein jeder ist auf seinem Weg

durch diese Welt für eine Weile.

Ein ‚stirb und werde‘ mit Beleg,

dazwischen herrscht oft ganz viel Eile.

Und doch – dein Weg ist niemals frei,

denn da sind Kräfte, die dich lenken.

Auf deiner Karte der Kartei

steht ganz genau und Schritt für Schritt

dein Schicksal – und du lebst damit;

und anderes darfst du nur denken.

Auch wenn du glaubst, du bist dein Herr,

führt es dich dorthin, wo es will.

Hat kein Radar, kein Funkverkehr –

und keine Technikwunder, die ihm dienen –

und trägt dich doch auf unsichtbaren Schienen,

und lenkt dich unbemerkt und still.