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Josie zieht für ihr Studium in die Großstadt zu Freundin Lisa und startet ihr Betriebspraktikum in einer großen Firma. Der Juniorchef hält sie von Anfang an auf Distanz, kühl, unnahbar, furchtbar spießig und langweilig. Ein zwar attraktiver Workaholic-Typ, mit dem man nicht wirklich viel zu tun haben will und der ihr nur Ablehnung entgegenbringt. Bis sie ihn an unerwarteten Orten wieder trifft und sein ganz anderes Gesicht kennen lernt. Unerwartet tun sich immer mehr Abgründe auf und zufällig taucht sie aus ihrer bisher heilen Welt in eine Welt, die sie so noch nicht kannte und sie an ihre Grenzen bringt. Dann bekommt sie auch noch ein Jobangebot, was sie nicht ablehnen kann, womit sie aber alles aufs Spiel setzt. Sie muss sich für eine Seite entscheiden, wo sie alles verlieren oder gewinnen wird.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
1 Die Firma
2 Umstrukturierung
Pleasure Underground
Leo & Josie Teil 1
By Nic Storm
Impressum:
Nic Storm c/o AutorenServices.de Birkenallee 24 36037 Fulda Email: [email protected] Tel.: 015156881555
Copyright © 2021 Nic Storm
Alle Rechte vorbehalten.
Ferdinand Graf von Wartenberg war ein groß gebauter, schlanker Mann, Anfang fünfzig, mit dunkelblonden Haaren und einem gepflegten Bart. Seien blau grauen Augen blickten streng, aber freundlich. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Designeranzug, Hemd, Krawatte, teure Schuhe und eine noch teureren Breitling Armbanduhr. Er strahlte eine wahnsinnige Autorität aus. Was Josephine zwar keine Angst, aber deutlich Respekt machte. Sein Büro war groß und modern eingerichtet. Bodentiefe Fenster ließen viel Tageslicht herein und boten eine weite Sicht über die umliegenden Gebäude. Auf dem Tisch, an dem sie saßen, standen Wasser, Kaffee und Plätzchen, während er Josie das wichtigste über die Firma und die nächsten sechs Monate ihres Praktikums erzählte. Ihr Praktikum ging über das gesamte Semester und teilte sich in zwei Blockphase und eine Teilzeitphase auf, da sie zwischendurch auch Tage hatte, wo sie zur Uni musste. Josies anfängliche Bauchschmerzen wurden langsam besser. Herr von Wartenberg war wirklich sehr nett und bemüht, ihr die Angst und Anspannung zu nehmen. Er redete aber auch Klartext, was seine Erwartungen und Voraussetzungen betraf, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Loyalität innerhalb der Firma.
Das hier war absolut nicht Josies Welt, eine große Firma, moderne Büros und Mitarbeiter in Anzügen. Sie war eher der sportlich, lockere Typ, unkompliziert und natürlich. Doch heute hatte sie sich auch extra schick gemacht mit einer schwarzen Stoffhose, schwarzen Ballerinas und einer hellblauen Bluse. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt und ein wenig Makeup und Wimperntusche aufgetragen. Klar, sie wollte einen guten Eindruck hinterlassen und das sie hier nicht in Speakern und Shirt rumlaufen konnte, war ihr auch klar. Ferdinand von Wartenberg erklärte ihr, dass es zwar einen gewissen Dresscode gibt, der aber in erster Linie die Mitarbeiter mit Kundenkontakt, im Außendienst und der Geschäftsführung betraf. Hier im Büro waren auch Hose und Bluse in Ordnung, gerade auch bei den Praktikanten. Jeans, Pulli und Turnschuhe durften es aber nicht sein, aber es gab ja noch andere Möglichkeiten, sich vernünftig zu kleiden. Es sollte eben ein gepflegtes Erscheinungsbild sein.
Die Sekretärin Frau Wilmers klopfte und betrat das Büro. „Ihr Sohn ist da. Soll ich ihn direkt rein schicken?“ fragte sie höflich. Ferdinand von Wartenberg nickte. „Ja bitte, Frau Wilmers.“ Wenig später klopfte es wieder und er betrat den Raum. Schlagartig veränderte sich das Raumklima. Die recht angenehme und entspannte Atmosphäre lud sich schlagartig auf, spannte sich an und die Luft war massiv geladen. Leonard von Wartenberg war groß, schlank, sportlich und fast schon muskulös. Seine Haare waren hellblond, deutlich heller als die seines Vaters, sein Gesicht war männlich aber auch mit sehr zarten Gesichtszügen, glatt rasiert und die kurzen Haare waren ordentlich gestylt. Und dann traf sein Blick Josie und strahlend blaue Augen durchbohrten sie förmlich. Ein blau, was Josie so bisher nicht gesehen hatte. Klar, hell, wie türkiesblaues Wasser an einem schneeweißen Sandstrand. So schön und beeindruckend, was man gar nicht mehr wegsehen konnte. Er lächelte mit einem umwerfenden schönen Lächeln und weißen gepflegten Zähnen. Etwas spitzbübisches steckte in seinem Lachen, fand Josie.
Sie merkte, wie er ihr den Atem raubte und ihr Herz anfing zu rasen. Diesem Mann lagen die Frauen mit Sicherheit reihenweise zu Füßen, soviel war schon mal klar. Er sah aus wie ein Parfum Model, so hübsch und nahezu perfekt in seinem Outfit und seinem Aussehen. Josie merkte, wie auch Ferdinand von Wartenberg seinen Sohn musterte. Kritisch, sehr kritisch und ernst war sein Blick dabei. In einem dunkelblauen Designeranzug, mit hellblauem Hemd und Krawatte kam er auf Josie zu und reichte ihr seine wunderbar warme Hand. Sein Blick war freundlich, aber kühl, doch er lächelte. Vermutlich so, wie man es ihm schon von klein auf beigebracht hatte, andere Menschen freundlich und höflich zu begrüßen. „Leonard von Wartenberg“, stellte er sich mit einer angenehmen warmen, weichen aber doch männlichen Stimme vor. „Das ist Josephine Wagner, sie ist die Tochter eines Geschäftspartners und wird ihr Betriebs Praktikum im Rahmen ihres Masterstudiums in unserer Firma machen“, erklärte Ferdinand mit strenger Stimme. „Josephine Wagner“, sagte sie mit erstaunlich fester Stimme und erwiderte seinen durchaus kräftigen Händedruck. Sofort stieg ihr sein After Shave in die Nase, männlich, markant, sportlich und sehr angenehm. Es passte perfekt zu ihm und machte sein äußeres Erscheinungsbild so noch attraktiver. Ein verdammt gutaussehender, gepflegter junger Mann, der auch noch atemberaubend roch. Josie stand total auf gut riechendes After Shave, was man immer wieder gerne schnuppern wollte, weil es so unglaublich gut roch.
Leonard ließ ihre Hand wieder los und sah seinen Vater an. „Sie wird sich erst die verschiedenen Bereiche der Firma ansehen und später dann bei dir in der Projektentwicklung und Personalabteilung sein. Ich habe dir einen Plan gemacht…“, sagte Ferdinand zu seinem Sohn und reichte ihm eine Heftmappe. „… ich gehe davon aus, dass du dir das entsprechend einplanen wirst.“ Leonard hielt kurz inne, sah seinen Vater kühl an und nickte. „Ja. Natürlich.“ Man spürte es regelrecht brodeln. Der Ton der Ferdinand von Wartenberg seinem Sohn gegenüber hatte, war sehr bestimmend und streng. Er duldete keine Widerworte und war sehr dominant. Das zwischen Vater und Sohn eine enorme Anspannung herrschte, war nicht zu ignorieren. Ferdinand sah Josie lächelnd an. „Würden Sie bitte schon mal draußen warten, Josephine? Leonard wird sie dann zu ihrer ersten Station begleiten“, bat er sie freundlich und begleitetet sie zur Tür. Josie nickte und ging raus in den Flur, wo sie wieder in der Sitzecke Platz nahm. Ferdinand hatte seine Bürotür nicht ganz geschlossen und so bekam Josie das Gespräch zwischen Vater und Sohn noch teilweise mit. „…Ich erwarte von dir in diesem Fall oberste Disziplin und Höflichkeit. Du wirst dich anständig benehmen und Fräulein Wagner mit absoluter höflicher und freundlicher Wertschätzung begegnen“, sagte Ferdinand von Wartenberg in strengen Ton. „Sicher. So wertschätzend wie du mit mir, oder wie du mit deinen anderen Mitarbeitern umgehst?“ sagte Leonard cool. Kurze Stille. „Leonard, Was soll das?“ fragte Ferdinand schroff. „Ich habe lediglich eine einfache Frage gestellt. Du differenzierst ja gerne in Punkten wie Wertschätzung und Freundlichkeit, zwischen der Geschäftsführung und deinen Angestellten“, sagte Leonard mit ruhiger Stimme. „Leonard, treib es nicht auf die Spitze… du bist hier Geschäftsführer. Und da erwarte ich von dir ein entsprechend kompetentes Auftreten…“, donnerte Ferdinand von Wartenberg los. „… und spar dir deine provokanten Bemerkungen. Ich erwarte absolut professionelles Auftreten von dir und nichts anderes. Du erledigst deine Pflichten und ansonsten wirst du dich von ihr fern halten. Und ich meine wirklich Fernhalten, so wie du dich im Allgemeinen von allen Mitarbeitern privat fernzuhalten hast. Treib es nicht schon wieder auf die Spitze...“
Josie zuckte erschrocken zusammen, als die Tür ins Schloss fiel und Leonard vor ihr stand. Strahlend blaue Augen sahen sie an und er lächelte. Doch man sah in seinem Blick, dass er vor Wut kochte. Leonard war wirklich sehr höflich und freundlich, aber auch sehr distanziert und kühl, während er Josie die Firma zeigte und die einzelnen Bereiche vorstellte. Man spürte die strenge Kontrolle seines Vaters und seine enorme Vorsicht, die er mit seinem sehr professionellen und vor allem kompetenten Auftreten gut überspielte. In der Abteilung, wo Josie die ersten Tage bleiben sollte, stellte er ihr Daniel Ziemer als Bereichsleiter vor, der sie dort weiter begleiten würde. Leonard verabschiedete sich freundlich von ihr und Daniel zeigte und erklärte ihr den Bereich der Wald- und Holzverwaltung. Josie mochte Daniel auf Anhieb gerne, er war Anfang dreißig und sehr sympathisch. Dass auch Leonard und Daniel sich ganz gut verstanden, merkte man schon. Leonard war ihm gegenüber nicht ganz so kühl und distanziert, wie zu den anderen Mitarbeitern der Abteilung. Er war zwar immer freundlich und höflich, mit einem netten Lächeln und lockeren Spruch, aber auch sehr vorsichtig und darauf Bedacht, keine Fehler zu machen und nicht zu locker zu sein. Er musste eine gewisse Distanz wahren. Den ganzen Tag ging Josie Leonard von Wartenberg nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich von ihrer ersten Begegnung an so in sie eingebrannt, dass sie selbst abends im Bett noch über ihn nachdachte und sein Aftershave riechen konnte.
In den nächsten Tagen sah Josie Leonard fast täglich, da er immer wieder bei ihr vorbei kam und nachfragte, ob alles in Ordnung war. Wieder nett und freundlich, aber sehr distanziert und auch irgendwie kühl. Er fragte nicht, weil es ihn interessierte, sondern weil es sein Job war zu fragen. Dazu siezte es Josie ganz professionell, was Josie etwas komisch fand, da sie vermutlich nur ein paar Jahre jünger war als er. Sie schätzte ihn auf etwa Mitte zwanzig. Daniel bestätigte ihr dann, dass Leonard fünfundzwanzig Jahre alt war und als so junger Geschäftsführer der Firma bei einigen Mitarbeitern einen schweren Stand hatte. Viele hielten ihn für zu jung, zu unerfahren und zu unreif, eine Firma in der Größenordnung zu leiten. Auch Ferdinand von Wartenberg kam regelmäßig vorbei und sah nach dem Rechten. Dabei fragte er auch immer, ob sie zufrieden war, es irgendwas zu besprechen gab und ob Leonard sich vernünftig um sie kümmerte. Manchmal bekam Josie das Gefühl, als ob er nur darauf wartete, das Josie etwas an Leonard zu bemängeln hatte. Er schien seinen Sohn sehr deutlich zu kontrollieren.
Insgesamt war das Arbeitsklima in der Firma ziemlich gut. Die Kollegen waren nett und freundlich zu ihr. Allerdings hatte Josie auch mit bekommen, dass es sich herum gesprochen hatte, dass sie die Tochter eines Geschäftspartners, der von Wartenbergs war und man da natürlich auch keinen Stress haben wollte. Die anderen waren daher freundlich aber auch etwas distanziert. Als Chef der Wartenberg Holding schien Ferdinand von Wartenberg recht beliebt zu sein. Er war wohl streng aber auch sehr gerecht und empathisch gegenüber seinen Mitarbeitern. Er fuhr eine ganz klare Linie und war durchaus angesehen und geachtet.
Was Leonard von Wartenberg betraf, spalteten sich schnell die Lager. Die meisten männlichen Mitarbeiter waren zwar überwiegend positiv auf ihn zu sprechen. Allerdings fielen auch Aussagen wie …von sich selber maßlos überzeugt, egoistisch und arrogant,… verwöhnter reicher Schnösel, der sich für was Besseres hält, …setzt sich immer durch und mit dem Kopf durch die Wand, ...kühl, unnahbar und distanziert… Charaktereigenschaften, die nicht gerade positiv waren, zu mindestens nicht in dem Maße. Dabei klang allerdings auch oft ein gewisser Neid durch. Da Leonard von Wartenberg eben recht erfolgreich war, Geld und scheinbar einen gewissen Lebensstandard hatte und in seiner Rolle als Geschäftsführer durchaus streng und klar sein musste. Einige hielten ihn für sehr arrogant und überheblich, stur und dickköpfig. Er setzte durch, was er sich vorgenommen hatte und war groß darin, zu argumentieren, zu diskutieren und andere verbal vor die Wand zu reden. Wer sich mit ihm anlegte, musste schon gut gewappnet sein. Leonard von Wartenberg schien nie um Argumente verlegen zu sein, musste grundsätzlich immer das letzte Wort haben und war dabei noch durchaus überzeugend. Dabei strotze er vor Selbstsicherheit und Arroganz, was nicht alle Mitarbeiter positiv fanden. Auch den Mitarbeitern sagte er schon mal gerne, wie was zu laufen hatte und auch, wenn etwas gar nicht lief. Er wurde dabei nie persönlich oder unhöflich, aber sehr klar und gradlinig, sowie offen und ehrlich, was ihm auch viele wiederum positiv zugutekommen ließen. Diskussionen mit ihm waren allerdings meistens sinnlos und konnten sehr langatmig werden, im Endeffekt setzte er sich sowieso durch. Er schien ziemliche Macht zu haben und Autorität auszustrahlen, ebenso wie sein Vater, nur viel Distanzierter und Unnahbarer. Bei einigen Mitarbeitern war der Neid sehr deutlich zu spüren, wie dieser junge Mann mit Mitte Zwanzig schon Geschäftsführer so einer großen Firma sein konnte und so viel Macht und vor allem aber Geld hatte.
Bei den weiblichen Mitarbeiterinnen war Leonard wiederum durchaus beliebt. Sie fanden ihn immer sehr freundlich, zuvorkommend, höflich und gut erzogen. Man spürte das gute Elternhaus und die strenge Erziehung. Er war ein Gentleman und wusste, was sich gehörte. Einige der Damen schwärmten sogar regelrecht von ihm, vor allem natürlich, was sein optisches Erscheinungsbild betraf. Wenn er auftauchte, waren einige ganz aus dem Häuschen und flirteten auf Teufel komm raus mit ihm. Dabei blieb Leonard immer höflich und freundlich, flirtete sogar etwas mit, aber er hielt immer eine professionelle Distanz zu den Mitarbeiterinnen ein. Scheinbar wusste er genau, wie er auf die Damen hier wirkte und was er sagen musste, dass sie vor ihm fast nieder knieten und er sie sehr leicht um den Finger wickeln konnte. Auch das wurde von den männlichen Kollegen eher missmutig beobachtet. Hier spielte wieder enorm viel Neid und Eifersucht eine Rolle.
Die Gerüchteküche war noch größer, was Leonard von Wartenbergs Privatleben betraf. Dabei schien niemand wirklich zu wissen, wer er eigentlich sonst so war und was er privat machte. Man vermutete eben viel. Die einen meinten, dass er völlig unterm Pantoffel seines Vaters steht und nicht viel machen durfte. Er war selten in der Öffentlichkeit zu sehen, ging nicht großartig raus oder traf sich mit Freunden. Er wäre eher ein Nerd, ein Workaholic, lebe nur für die Firma, fürs Geschäft und habe kein wirkliches Privatleben oder Hobbies oder gar Freunde. Wieder andere sagten, das komplette Gegenteil. Er wäre ne Partysau und ging gerne ausgiebig feiern. Man traf ihn immer wieder mal in dubiosen Clubs und auf verschiedenen Events. Meistens war er dann mit anderen stinkreichen und merkwürdigen Typen unterwegs und meistens ziemlich betrunken und sehr exzessiv am Feiern. Auch von Drogen wurde dann gemunkelt und eben von sehr düsteren Lokalitäten und fragwürdigen Konzerten. Orte an denen sich Münchens High Society normal niemals aufhielt. In den angesagten Clubs der Stadt oder anderen Feiern der Schönen und Reichen traf man ihn bisher angeblich eher selten. Wieder ein anderer traf Leonard scheinbar manchmal beim Fußball im Stadion und dort scheinbar auch sehr exzessiv im Partymodus. Auch das Leonard gerne und viel reiste, schnelle Autos, schöne Frauen und Sport mochte, kam aus der Gerüchteküche. Was man davon nun alles glauben konnte oder nicht, war Josie nach den ersten Wochen ihres Praktikus echt schleierhaft. Irgendwie passte das alles nicht zusammen und ergab so kein schlüssiges Bild, wer Leonard von Wartenberg nun tatsächlich war. Vermutlich steckte in all diesen Aussagen ein bisschen Wahrheit und jede Menge Fantasie. Zu ihr war er jedenfalls sehr höflich aber zurückhaltend. Leonard redete nur das nötigste, was die Firma betraf. Auf Private Dinge ging er gar nicht erst ein. Allerdings traute Josie sich auch nicht, ihn irgendwas Privates zu fragen, was sie ja auch nichts anging.
Josie lernte wenige Wochen später, in der Projektabteilung einen der Projektleiter Dirk Beimer kennen, der auf Leonard, als seinen direkten Vorgesetzten gar nicht gut zu sprechen war. Dass hier Knatsch in der Luft lag, merkte man immer, wenn er und Leonard aufeinander trafen. Es machte den Eindruck, als träfen hier direkte Konkurrenten zusammen. Die Atmosphäre war angespannt und eine komische Stimmung lag dann im Raum. Ganz anders war da Julian Terges als Projektmanager. Der war wirklich nett und hatte scheinbar auch zu Leonard einen guten Draht. Beide duzten sich und schienen auf einer Wellenlänge zu liegen. Das Julian mehr über Leonard wusste als die anderen Mitarbeiter, war Josie schnell klar. Doch Julian hüllte sich in allen privaten Fragen zu Leonard in Schweigen und bewies somit völlige Loyalität. Das allerdings wurde von Dirk wieder missmutig verfolgt. Zwischen Julian und Dirk gab es daher auch leichte Spannungen und oft Unstimmigkeiten.
Die Projektabteilung war bisher der spannendste Bereich. Denn hier war auch Leonard mit am meisten involviert. Er leitete die Teambesprechungen, hatte die Leitung der Abteilung und so saß Josie bei jede Menge Meetings, wo es immer Getränke, Schnittchen und meistens recht interessante Projekte gab. Und vor allem war Leonard immer mit dabei. Wenn er redete, konnte Josie ihm stundenlang zuhören. Er hatte Witz, Charme und war ein verdammt guter Redner, eigentlich war er wie ein Entertainer. Er konnte begeistern und andere Menschen in seinen Bann ziehen. Dabei ließ er sich auch von Dirks ständigen Provokationen und Kritik nur selten aus der Ruhe bringen. Er blieb ruhig, gelassen und souverän. Und er konterte selbstbewusst und brachte Dirk so schnell an seine Grenzen, dass dieser automatisch aufhörte ihn zu provozieren. Dass Dirk aber versuchte Leonard das Leben bei jeder Gelegenheit schwer zu machen, war schon nach wenigen Tagen klar.
Meistens war Leonard immer ganz gut drauf, motiviert und gut gelaunt. Es gab dann aber auch Tage, wo er genau das Gegenteil davon schien. Josie merkte, dass er nur eine perfekte Rolle spielte, die ihm die meisten vermutlich auch so abnahmen. Sie spürte es sehr schnell, wenn jemand ihr nur etwas vormachte und nicht mehr authentisch war. Er war an solchen Tagen nicht gut drauf, schien müde, unkonzentriert und irgendwie nicht fit zu sein. Oft eine Mischung aus zu wenig Schlaf, einer langen Nacht und irgendwie verkatert. Dann half ihm oft nur literweise Kaffee beim Überstehen des Tages. Manchmal hatte Josie auch den Eindruck, er hatte einfach zu viel gefeiert. Auch wenn es mitten in der Woche war, merkwürdig war es. Und wie auf Knopfdruck wechselte seine Stimmung dann in den souveränen, professionellen und charmanten Geschäftsführer und Projektleiter.
In der sechsten Woche wechselte Josie dann in die Geschäftsführung und verbrachte einige Tage bei Frau Wilmers, die sie sehr freundlich und herzlich empfing. Sie war schon mehr als zwanzig Jahre die Assistentin von Ferdinand von Wartenberg und das Arbeitsklima war dort sehr angenehm. Margret Wilmers hielt immer die Stellung in der Firma, verwaltete die Termine und erledigte jede Menge Papierkram. Josie lernte dann auch Christoph Faber kennen, der Assistent der Geschäftsführung war Ferdinand von Wartenberg rechte Hand. Er war bei allen Terminen mit dabei und war ebenfalls super nett zu Josie. Christoph schien so etwas wie der Puffer zwischen Leonard und seinem Vater zu sein, denn er war oft in der Rolle zu vermitteln und zu beschwichtigen, wenn es zwischen den beiden Unstimmigkeiten gab. Das machte Christoph mit bewundernswerter Ruhe und Gelassenheit, dass er vermutlich der Grund war, warum das mit den beiden Geschäftsführern überhaupt irgendwie funktionierte.
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Josie bekam nur wenige Tage später einen Arbeitsplatz in Leonard Büro, womit sie absolut nicht gerechnet hatte. Doch die Platzkapazitäten boten es so an, da bei Margret wenig Platz für Josies Arbeitsplatz war und Leonards großes Büro mehr als genug Platz anbot. Leonard schien ebenfalls nicht damit gerechnet zu haben und trug es mit Fassung, als sein Vater ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Seine Begeisterung hielt sich deutlich in Grenzen als sein Vater ihm mitteilte, dass Josie die nächsten Wochen mit in seinem Büro sitzen sollte und er bereits veranlasst hatte, dass dort ein zusätzlicher Schreibtisch aufgestellt wurde. Leonard fand das in seiner Position als Geschäftsführer als nicht angemessen, dass eine Praktikantin mit in seinem Büro saß. Wie sollte er so ungestört arbeiten und auch vertrauliche Gespräche führen? Ferdinand sah da allerdings kein Problem und bestand darauf, dass sein Sohn das die nächsten Wochen mal so hinnehmen musste. Alles diskutieren nutzte Leonard daher nichts und er fügte sich wie immer den Anordnungen seines Vaters. Auch wenn Leonard unter gleichwertiger Geschäftsführung etwas anderes verstand.
Aufgrund von Umstrukturierung und Renovierung einiger Büros herrschte gerade Raummangel und so sollte Josie in seinem großen Büro sitzen. Sie sollte nun Einblicke in die Personalverwaltung bekommen. Da das nächste Großprojekt aus dem sozialen Bereich war, passte es besonders gut, dass Josie da war und so ihre Erfahrung mit einbringen sollte. Leonards Laune war unterirdisch schlecht als er wieder sein Büro betrat, in dem nun Josie an ihrem Schreibtisch saß. Sie fühlte sich mehr als beschissen und wäre am liebsten einfach nach Hause gegangen. Obwohl sie nichts dafür konnte, fühlte sie sich schuldig und völlig fehl am Platz. Leonard kochte vor Wut, auch wenn er ihr gegenüber versuchte, es professionell wie immer, vor ihr zu verbergen. Die Hände in der Tasche zu Fäusten geballt, stand er am Fenster, starrte schweigend nach draußen und biss sich schnaufend auf die Unterlippe. „Es tut mir leid…,“ stammelte Josie leise, es war ihr schrecklich unangenehm. „… ich kann noch mal mit ihrem…“ Leonard winkte wutschnaubend ab. „Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Wie viele Wochen sind sie noch hier?“ unterbrach er sie stattdessen. Stahlblaue Augen sahen sie kühl an. „Noch etwa zwölf Wochen“, antwortete Josie etwas eingeschüchtert und wagte es kaum, ihn anzusehen. Leonard schnaufte nur und nahm an seinem Schreibtisch Platz. „Naja, das ist ja dann absehbar“, murmelte er genervt. Für einen Moment schaute er auf seinen Pc. Dann stand wieder auf und verließ das Büro. Durch die offene Tür konnte sie hören, dass er nebenan bei seinem Vater im Büro war. „… die zwölf Wochen mache ich das. Aber das war das erste und letzte mal, dass du mir ne Praktikantin ins Büro setzt. Ich schwöre dir, dass mache ich nicht mit. Das geht gar nicht. Was macht das bitte nach außen hin für einen Eindruck…?“ hörte sie Leonard aufgebracht reden. „… es sind nur zwölf Wochen und du weißt, dass wir wegen dem Umbau gerade wenig Platz haben. Außerdem solltest du es als Bereicherung sehen. Sie passt gerade gut in das neue Projekt mit ihrer Erfahrung und kann dich bei der Konzeptentwicklung gut unterstützen… und ich erwarte von dir eine ordnungsgemäße und professionelle Zusammenarbeit…“ hörte sie Ferdinand von Wartenberg sagen.
Immer noch, oder vielleicht auch besonders jetzt, war Leonard noch distanzierter Josephine gegenüber. Freundlich, aber sehr zurückhaltend. Auch wenn sie nun des Öfteren nebeneinander am Schreibtisch saßen und er ihr Dinge am Laptop erklärte. Die Ansage seines Vaters hatte wohl gesessen. Josies anfängliche Nervosität, wenn er den Raum betrat verschwand mit jedem Tag. Es war irgendwann nichts ungewöhnliches, wenn er mit seinem großartig duftenden After Shave direkt neben ihr saß und strahlend blaue Augen sie ansahen. Er war professionell und kompetent aber seine dicke Eisschicht schien unzerbrechlich zu sein. Er war dafür eher angespannt und immer irgendwie auf der Hut, nichts Falsches zu sagen oder zu tun. Ganz anders war er zum Beispiel bei Margret, wo er immer locker und gelassen war, mit einem coolen oder lustigen Spruch auf den Lippen. Er flirtete schon manchmal mit ihr und machte ihr Komplimente, was Margret auch sehr gerne von ihm zu hören schien und sie beide immer gerne am Schäkern waren. Seinen ganzen Charme versprühte er bei gefühlt allen anderen Mitarbeiterinnen und nur ihr gegenüber war er kälter als jeder Eisblock. Josie war klar, dass sie das nicht persönlich nehmen durfte. Vermutlich lag es einfach nur an der klaren Ansage seines Vaters sich ihr gegenüber professionell zu verhalten. Wie sähe es dann auch nach Außen hin aus, wenn er nun gerade ihr Komplimente machte und so charmant zu ihr war? Das konnte für ihn ja nur nach hinten los gehen und das schien ihm durchaus bewusst zu sein. Josie verstand seine Strategie, dann lieber ein emotionsloser kalter Arsch, dann konnte auch keiner was sagen.
Das Arbeitsprinzip von Leonard von Wartenberg war Josie irgendwie noch nicht ganz klar. Mal kam er einige Tage gar nicht in die Firma, mal erst am Nachmittag oder mittags. Er schien eher zu kommen und zu gehen, so wie er gerade Lust hatte. Jedenfalls hatte er scheinbar keine klaren Arbeitszeiten so wie sie, montags bis freitags von acht bis sechzehn Uhr beziehungsweise freitags nur bis vierzehn Uhr. Auch Leonard Tagesverfassung war die letzten Tage sehr unterschiedlich gewesen. Mal war er morgens ganz gut gelaunt und ausgeruht, ja fast schon ganz locker und entspannt bis hin zu etwas übermotiviert, mit so guter Laune, dass es schon unheimlich wurde und er sogar Josie gegenüber nicht ganz so steif und eisig war. Mal war er extrem übermüdet und unmotiviert und schien den Tag nur mit Literweise Kaffee zu überstehen. Er war völlig müde, durcheinander und neben der Spur, konnte sich auf rein gar nichts konzentrieren, dabei vergaß er alles nach zwei Minuten wieder und musste zigmal nachfragen oder an etwas erinnert werden. Was auch Josie dann manchmal sehr anstrengend fand, wenn er scheinbar absolut keinen Plan mehr hatte. Dann war er morgens echt so verpeilt und kam erst gegen Mittag so langsam wieder in die Spur. Woran Leonard von Wartenbergs Laune morgens abhängig war, konnte Josie sich daher nicht erklären. Oft hing es mit seinem Vater zusammen, denn wenn der nicht im Büro anwesend war, war Leonard immer deutlich entspannter und lockerer. Eigentlich war es jeden Morgen ein Überraschungsmoment, wie Leonard ins Büro kam. Da er meistens erst zwischen halb neun und halb zehn kam, war Josie meistens schon vor ihm da, da sie ja pünktlich um acht Uhr anfangen musste. Nur selten war Leonard schon vor ihr im Büro, meistens dann, wenn er ziemlichen Stress und Termindruck hatte und das dann auch wieder mit weniger guten Laune. Interessant war, dass Ferdinand von Wartenberg ebenfalls fast jeden Morgen ins Büro kam und kurz einen guten Morgen wünschte und Termine mitteilte. Das er dabei auch den Zustand seines Sohnes kontrollierte war nicht zu ignorieren. Er musterte Leonard immer sehr genau und zog in direkt in Gespräche rein, wo er zu merken schien, wie Leonard so drauf war.
Josemi hatte sich nach der ersten Woche mit Leonard in einem Büro vorgenommen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen und etwas mutiger zu werden. Denn eigentlich war er ja doch ganz nett und würde ihr schon nicht den Kopf abreißen. Doch die letzten Tage war Leonard merkwürdig drauf gewesen. Er war ja derzeit ohnehin eher etwas gereizt und gestresst, was er Josie zwar nicht direkt zeigte, aber doch deutlich spürbar war. Immer wieder musste er zu langen Meetings und wurde ständig zu seinem Vater zitiert. Bei einem Projekt gab es scheinbar Schwierigkeiten, was nicht gerade zu guter Laune beitrug. Wenn er gestresst war, rauchte er viel und das bevorzugt am geöffneten Fenster seines Büros. Zum Rausgehen hatte er keine Zeit und immerhin war es auch sein Büro. Seine Vater missfiel das total, da die Büroräume grundsätzlich rauchfrei zu sein hatten. Josie hielt sich ganz dezent zurück und versuchte so wenig wie nötig, irgendwas zu Fragen. Wie immer blieb Leonard aber freundlich und höflich, was ihm nicht immer so einfach fiel. Leonard ignorierte das allerdings gekonnt. So schlimm fand Josie es jetzt auch nicht, da er wirklich am großen offenen Fenster stand und den Rauch raus blies. Allerdings wurde es dann recht schnell kalt im Büro. Hinzu kam das er verdammt sexy aussah, wenn er rauchte. Obwohl Josie selber Nichtraucherin war und rauchen auch nicht wirklich gut fand, sah er dabei echt attraktiv aus.
Einen Morgen kam Leonard mit Verspätung und deutlich schlechter Laune ins Büro, die er dann auch direkt an Josie auslies und sie sehr unfreundlich wegen einer Kleinigkeit anmaulte. Josie lies das aber nicht auf sich sitzen und konterte direkt ganz offen, dass sie erstens nichts für seine schlechte Laune konnte und noch weniger, dass sie hier mit in seinem Büro sitzen musste. Woraufhin Leonard erst innehielt, sie mit hochgezogenen Augenbrauen etwas irritiert ansah und sich dann auch direkt bei ihr entschuldigte. Ein bisschen war Josie daher schon stolz auf sich, dass sie sich das nicht einfach so gefallen lies und einfach mal in die Offensive ging. Und sie war überrascht, dass Leonard sich tatsächlich bei ihr entschuldigte. Ein arroganter und überheblicher Geschäftsführer hätte das gegenüber einer Praktikantin vermutlich eher nicht getan. Andreas hatte schon gemerkt, dass er ihr Unrecht getan hatte und etwas drüber gewesen war. So ein überheblicher Arsch konnte er da doch nicht sein.
Einen Montagmorgen kam er mit so einer Alkoholfahne ins Büro, dass man den Eindruck hatte, er hätte bis morgens irgendwo gefeiert. Ihm schien es auch nicht wirklich gut zu gehen und Margret brachte ihm direkt einen extra starken Kaffee und ein Glas Aspirin. „Leonard, das ist nicht gut, was sie da machen“, waren ihre besorgten Worte gewesen. Leonard stöhnte leise auf. „Ich weiß Margret, vielen Dank“. Das Leonard von dem Wochenende echt fertig war, konnte er nur mit viel Disziplin und Selbstbeherrschung verbergen, denn er hatte direkt um neun Uhr ein Meeting. Um kurz nach elf am er dann wieder zurück ins Büro und es schien ihm wirklich nicht besonders gut zu gehen. „Josephine, können sie mir einen Gefallen tun?“ fragte er mit angeschlagener heiserer Stimme. Josie nickte. Sie fand es noch immer befremdlich, dass er sie siezte. Ihre Blicke trafen sich und seine Augen waren glasig und dunkel, als er vor ihrem Schreibtisch stand und sie ansah. Dann ging er zum Sofa und setzte sich erschöpft. „Natürlich, was kann ich für sie tun?“ fragte Josie gut gelaunt. Leonard legte sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck hin. „Gehen sie bitte an mein Telefon? Ich muss mich kurz mal ne halbe Stunde legen“, murmelte er, legte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Josie musste sich das Grinsen verkneifen. „Gerne, kann ich sonst noch was für sie tun? Starker Kaffee, Aspirin?“ fragte sie übertrieben höflich. Ein bisschen amüsierte es sie schon, dass es ihm so merklich schlecht ging und das vermutlich durch seine eigene Schuld. „Nein, sehr freundlich, vielen Dank“, murmelte er gähnend und seine Stimme versagte. Natürlich fragte Josie nicht näher nach. Es ging sie auch absolut nichts an. Er war der Geschäftsführer, sie war nur eine Praktikantin. Das er ihr und auch den anderen Mitarbeitern immer höflich und freundlich war, stand dabei außer Frage, da war er wirklich sehr professionell. Josie ging an sein Telefon, wenn es klingelte. Professionell machte sie Gesprächsnotizen und entschuldigte ihn. „… nein, tut mir leid. Herr von Wartenberg ist gerade in einer Besprechung…“ bei internen Anrufen sagte sie, dass er gerade nicht im Büro war.
Tatsächlich schlief Leonard nun fast zwei Stunden und er bewegte sich keinen Millimeter, so dass Josie ihn besorgt beobachtete. Er bewegte sich schon länger nicht mehr, er war blass und auch sein Brustkorb bewegte sich nicht wirklich, als er auf dem Rücken auf dem Sofa lag. Ein komisches Gefühl machte sich in Josie breit. Wer weiß was mit ihm los war, vielleicht war doch nicht alles ok. Langsam stand sie auf und ging zu ihm herüber. Sie sah ihn an, wie er da lag, die Augen geschlossen, sein männliches Gesicht mit diesen sanften Gesichtszügen, er hatte immer so hübsche Grübchen, wenn er lachte, die jetzt völlig entspannt waren. Langsam beugte sie sich etwas zu ihm herunter und lauschte, ob sie seine Atmung hören konnte. Doch, ganz leise konnte sie seine Atmung hören. Sein AfterShave roch so wahnsinnig gut, trotz der Mischung aus Alkohol, Zigarettenrauch und Minze. Plötzlich öffnete er seine Augen. Ihre Gesichter waren nicht weit voneinander entfernt. Josie hielt die Luft an und war wie erstarrt. Das blau seiner Augen zog sie immer tiefer und tiefer, als würde sie langsam in einem tiefen dunkelblauen See versinken, nicht mehr fähig zu atmen, nicht fähig sich zu bewegen. Eine Spannung lag zwischen ihnen, die sie magisch anzog und festhielt. Und er… sah sie einfach nur an. „Kann ich ihnen helfen Fräulein Wagner?“ hauchte er stimmlos. Erschrocken zuckte Josie zusammen und wich zurück. „Ja?... ähm… nein… also ich wollte gucken, ob alles ok ist.“
Julian betrat nach kurzem klopfen das Büro. Irritiert sah er Josie und seinen Chef an und grinste nur. „Oh ha, der Herr Geschäftsführer ruht wohl. So möchte ich auch mal deine Kohle verdienen.“ Leonard rappelte sich benommen auf und rieb sich die Augen. „Was denn?“ „Ich hörte schon, dass dein Wochenende mal wieder hart war. Du musstest dich heute Morgen wohl übelst zusammen reißen“, sagte Julian amüsiert und blieb vor dem Sofa stehen. Leonard streckte sich lang aus und gähnte leise. „Hmm… ging so“ „Julian lachte. „Wow, für vier Tage Druckbetankung geht’s so? Ernsthaft.“ Leonard schnaufte und schüttelte leicht den Kopf. „Ne, geht eben nicht. Ich bin langsam zu alt für so nen Scheiß.“ Julian grinste. „Tja, selber schuld vermute ich mal schwer?“ „Natürlich. Wie kann ich dir helfen Julian?“ schnaufte Leonard. Man merkte das er schnell vom Thema ablenken wollte und es ihm vor Josie unangenehm war Julian schüttelte nur den Kopf „Och Leo, du hast echt mein vollstes Mitgefühl.“ Leonard fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. „Mensch fahr nach Hause. Wenn dich hier so einer sieht, bringt das doch auch nichts. Ganz davon abgesehen, wäre Senior auch nicht gerade begeistert“, meinte Julian ernst. „Ich hab um zwei ne Telefonkonferenz mit Spanien. Solange muss ich noch irgendwie durchhalten“, murmelte Leonard müde.
Julian sah Josie an, die an ihrem Schreibtisch saß und versucht hatte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. „Aber was ich eigentlich wollte…“, meinte Julian. „… darf ich mir Josephine ausleihen? Gleich kommt der Architekt und wir wollten raus fahren und uns ein paar Einrichtungen in der Nähe ansehen. Wäre schön, wenn sie uns begleiten würde.“ Leonard hielt kurz inne und sah erst Julian und dann Josie an. Dann nickte er. „Ja… sicher… klar, kann sie mit, wenn sie möchte.“ Josies Blick traf Leonard und blaue Augen sahen sie müde an. Sie nickte. „Klar. Gerne. Wann denn?“ „Jetzt gleich?“ fragte Julian. Leonard nickte nur. „Is ok.“ Josie packte ihre Sachen zusammen und stand auf. Sie sah Leonard an. „Danke.“ Er lächelte. Und dieses Lächeln nahm Josie den Atem, denn es war anders als sonst. So warm und freundlich, so sympathisch und umwerfend, dass ihre Knie weich wurden. „Dafür nicht. Ich danke ihnen“, sagte Leonard nur als Josie Julian aus dem Büro folgte.
Josie hoffte ein paar Worte mit Julian reden zu können, doch dazu kamen sie erstmal nicht. Trotzdem wollte Josie noch auf die passende Gelegenheit warten, denn Leonard und Julian hatten scheinbar wirklich einen guten Draht zueinander. Alleine die Tatsache das Julian Leonard Leo nannte zeigte das beide sich näher kannten. Erst am späten Nachmittag, als sie wieder zurück in der Firma waren, passte es dann. „Kann es sein, dass Leonard mich ziemlich blöd findet?“ fragte Josie Julian, als sie über den Parkplatz gingen. Julian sah sie erstaunt an. „Dich? Nein… wie kommst du darauf?“ „Naja, weil er so distanziert zu mir ist. Irgendwie ist er zu allen anderen so locker und freundlich, nur zu mir ist er so abweisend. Er redet nur das notwendigste und mehr auch nicht. Ist komisch, wenn man in einem Büro zusammen sitzt“, gab Josie ehrlich zu. Julians hellbraunen Augen sahen sie aufmerksam an. „Nein, nein. Also er hat nichts gegen dich. Wenn das so wäre, würdest du das schon merken. Ok, es passt ihm nicht, dass du in seinem Büro sitzt. Das ist das eine… das andere ist aber eher sein Vater, der ihn dabei gut im Auge hat. Ich habe keine Ahnung, warum der Senior dich in Leos Büro gesetzt hat, aber irgendwas hat er sich dabei gedacht…, “ sagte Julian und beugte sich näher zu Josie heran. „… meine Theorie ist ja, dass du a) Leo ausspionieren sollst oder b) der Senior testen will, ob Leo sich wirklich daran hält, die Finger von Mitarbeiterinnen, insbesondere Praktikantinnen zu lassen“, sagte Julian dann ganz leise zu ihr. Josie sah ihn ungläubig an. „Ausspionieren? Ich ihn? Weshalb denn das?“ „Naja, der Senior hat ihn halt gerne sehr intensiv im Auge. Er will immer wissen, wo er ist, was er macht, mit wem er sich trifft. Vielleicht wird er irgendwann anfangen dich auszuquetschen, was du so mit bekommst und weißt… keine Ahnung. Ist ein schwieriges Thema“, erklärte Julian leise. Josie konnte nicht so glauben, was Julian da sagte und schüttelte den Kopf. „Unsinn. Warum sollte Herr von Wartenberg das tun?“ „Weil er seine Gründe hat? Ein noch schwierigeres Thema“, meinte Julian nur. „Weil er gerne über die Stränge schlägt und gerne feiert?“ fragte Josie geradeheraus. Julian sah sie an und musste sich ein grinsen verkneifen. “Möglich“ erwiderte er nur knapp. Josie schnaufte leise. „Was die Praktikantin betrifft frage ich lieber nicht, oder?“ Julian grinste nur als sie zum Haupteingang gingen. „Ne. Besser nicht.“
Zu Joseis Überraschung war Leonard noch immer im Büro. Konzentriert saß er über einem Stapel Unterlagen. „Hallo“, sagte sie als sie das Büro betrat. Er sah kurz auf. „Hallo. Sie haben doch schon längst Feierabend.“ „Ich wollte nur meine Jacke holen“, fing Josie sich direkt an zu rechtfertigen. Leonard sah sie wieder an und nickte. „Schönen Feierabend und Danke für heute Morgen“, sagte er wieder mit diesem umwerfenden Lächeln. „Dafür nicht“, meinte Josie cool mit einem leichten Augenzwinkern. Ihr Herz hüpfte kurz freudig. War da tatsächlich ein winziger Riss in der kühlen Fassade des Herrn von Wartenberg?
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3 Ungewollte Begleitung
Ferdinand von Wartenberg sah seinen Sohn ernst an. „…Leonard. Wie besprochen wirst du übermorgen nach Amsterdam fliegen und das Meeting übernehmen. Und Josephine wird dich dabei begleiten.“ Innerhalb von Sekunden entglitten Leonard sämtliche Gesichtszüge und er starrte seinen Vater fassungslos und sichtlich überrascht an. „Wie bitte?“ fragte er ungläubig. „Das ist ein Scherz. Auf gar keinen Fall.“ Josie spürte, wie ihr die Röte vor Scham ins Gesicht stieg. Es war ihr schrecklich unangenehm, wie er reagierte. Plötzlich hielt er inne und sah Josies betroffenes Gesicht. „Sorry Josephine, das ist nichts gegen sie persönlich. Aber ich fliege definitiv alleine“, beharrte Leonard.
Ferdinand sah ihn scharf an und schüttelte den Kopf. „Nein. Leonard. Die Flüge sind gebucht. Josephine fliegt mit, da Christoph dich nicht begleiten kann. Du wirst auf keinen Fall alleine fliegen. Darüber diskutiere ich auch nicht weiter, du weißt genau warum.“ Wie ein kleiner Junge verschränkte Leonard die Arme vor der Brust und schnaufte. „Diese ständige Bevormundung geht mit sowas von auf den Sack. Wann lässt du das mal sein? Du machst dich echt lächerlich“, beklagte er sich. Ferdinands Blick war streng und scharf. „Leonard, ich verbitte mir diesen Ton“, donnerte er los. „Du machst dich lächerlich. Alleine Josephine gegenüber, ist dein Verhalten eine bodenlose Unverschämtheit. Ich erwarte von dir absolute Disziplin und Professionalität. Sie wird dich begleiten und damit darfst du wieder an deine Arbeit gehen.“ Das Thema war für Ferdinand erledigt und Leonard verließ wutentbrannt das Büro.
Ferdinand hielt Josephine kurz zurück und schloss die Bürotür. Er sah sie ernst an. „Nehmen sie es nicht persönlich Josephine. Er wird sich damit abfinden, da er genau weiß, dass er nicht ohne Begleitung fliegen wird…“ Ferdinand beugte sich etwas näher zu Josie herüber. „Josephine, ich möchte sie bitten, wenn ihnen irgendetwas auffällt, dann sagen sie mir das bitte. Seine Aufgabe sind die Meetings mit den Geschäftsführern unserer Tochterfirma und mehr nicht. Keinerlei privaten Aktivitäten, egal in welcher Form.“ Josie erwiderte Ferdinand kritischen Blick. „Was genau meinen Sie damit?“ Ferdinand hielt inne, überlegte und lächelte. „Das Leonard ausschließlich zum Arbeiten dorthin fliegt. Treffen mit den Geschäftsführern, Besuch der Firma, mehr nicht. Ich möchte nicht, dass er in welcher Form auch immer dort privaten Aktivitäten nachgeht. Wenn er nicht arbeitet, hat er sich im Hotel aufzuhalten.“ Ferdinand schien Josies kritischen Blick zu bemerken. „Ich verlasse mich auf sie, Josephine. Leonard weiß, was ich erwarte und was ich keinen falls dulden werde und auch, dass sie mich informieren werden.“ Josie nickte nur nachdenklich und beschloss erstmal abzuwarten was kam. Ferdinand schien ja ernsthafte Bedenken zu haben.
Leonard redete an diesem Tag mit Josie nur noch das notwendigste. Er war sauer und das ließ er sie spüren, obwohl sie natürlich am wenigsten dafür konnte. Ihr war es absolut unangenehm. Auch am Flughafen war er sehr wortkarg. Zwar freundlich, aber mehr auch nicht. Josie hatte gestern noch ein kurzes Gespräch zwischen ihm und seinem Vater mit bekommen, wo Leonard sich wieder aufregte.“ „… findest du es ok, sie als Spitzel für dich zu missbrauchen?...“ hat er seinen Vater gefragt. „… wenn du so wenig Vertrauen in mich hast, warum fliegst du nicht selber mit?...“ Einen Satz hatte Josie dann noch mitbekommen, als Ferdinand zu Leonard sagte, dass er seinen Alkoholkonsum aufs minimalste zu beschränken habe und sich genau überlegen sollte welche wo er sich aufhält.
Leonard war noch immer verdammt sauer über das Misstrauen seines Vaters und hatte null Verständnis dafür. Nun saß er im Flugzeug neben Josie und las auf seinem Tablett. Wie immer trug er Anzug und Hemd, teure schwarze Lederschuhe und perfekt gestylte Haare. Er sah toll aus, groß, schlank sportlich, absolut hübsch und attraktiv zog er direkt die Blicke sämtlicher Frauen auf sich. Josie mochte seine Nähe, spürte seine Wärme und konnte sein wunderbares After Shave riechen. „Waren sie schon mal im Amsterdam?“ fragte er sie irgendwann. Josie war kurz verwundert, dass er überhaupt wieder mit ihr redete. „Nein. Ich wollte schon immer mal hin. Soll ja toll zum Einkaufen und Bummeln sein, so mit den schönen Grachten und so“, antwortete Josie. Ihre Blicke trafen sich. Strahlend blaue Augen sahen sie an. „Ich fliege meistens alle zwei, drei Monate rüber und mache die großen Meetings mit der Geschäftsführung unserer Tochterfirma. Es ist wirklich eine schöne Stadt, es bleibt nur leider zu wenig Zeit, sich alles in Ruhe anzusehen“, meinte er und sah wieder auf sein Tablet. Josie genoss den kurzen Flug, denn sie flog für ihr Leben gerne. Besonders Start und Landung waren super aufregend und das in Begleitung dieses attraktiven Mannes, der neben ihr saß. Schade nur das er kaum Notiz von ihr nahm und lieber auf seinem Tablett Nachrichten las. Zwischendurch schrieb er Nachrichten auf dem Handy. Ob er wohl eine Freundin hatte? Bei Gelegenheit würde sie Julian nochmal etwas ausquetschen.
Ein privater Fahrdienst holte sie am Flughafen ab und brachte sie ins fünf Sterne Sofitel Hotel, direkt im Zentrum von Amsterdam. Dort bezogen sie ihre beiden Einzelzimmer. Leonard Zimmer war direkt schräg gegenüber von ihrem Zimmer. Und Josie war ganz begeistert von dem sehr schönen und modern eingerichteten Zimmer. Um sieben Uhr waren sie zum Abendessen mit den beiden Geschäftsführern verabredet. So blieb ihr nur wenig Zeit, sich frisch zu machen, da Leonard bereits um viertel vor sieben draußen vor dem Hotel auf sie wartete und rauchte. „The Lobby Nesplein“ war ein gehobeneres Restaurant ganz in der Nähe und zu Fuß schnell erreichbar.
Die beiden Geschäftsführer Magnus und Rouven erwarteten sie bereits vor dem Restaurant. Sie waren um die Mitte dreißig und begrüßten Josie und Leo freundlich. Das Abendessen verlief sehr ruhig und entspannt. Obwohl Rouven und Magnus etwas deutsch sprachen, unterhielten sie sich mit Leo die meiste Zeit in perfektem Englisch. Nur mit Josie redeten sie zwischendurch etwas deutsch, beziehungsweise, sie versuchten es. Sie fühlte sich ganz wohl, die Herren waren sehr nett und höflich. Leonard, war Josie gegenüber wie immer distanziert und zurückhaltend. Den anderen beiden gegenüber allerdings recht locker und gut gelaunt. Die meiste Zeit ging es um geschäftliche Themen und zwischendurch um Dinge wie Sport, besonders Fußball und Autos oder auch den letzten Urlauben. Die beiden hatten Familie und erzählten auch gerne von ihren Kindern. Leonard wie immer interessiert, freundlich und ein guter Gesprächspartner, der die Kommunikation gekonnt am Laufen hielt.
Als das Essen kam, wurde es ruhiger und jeder genoss das wirklich gute Essen. Eigentlich fand Josie ihren Job als Babysitter gar nicht so schlecht. Flug nach Amsterdam, tolles Hotel, gutes Essen, in Gesellschafft so netter Herren, konnte bestimmt schlimmeres geben. Anstatt teurem Wein gab es für die Herren Bier und das in einem recht zügigem Tempo. Die Herren waren demnach recht trinkfreudig und schon wurde die nächste Runde gebracht während Josie lieber Bitter Lemon trank. Als wieder eine neue Runde Bier gebracht wurde sah Leonard sie kritisch an. „Haben sie ordnungsgemäß mitgezählt Fräulein Wagner?“ fragte er sie mit leichter Belustigung in der Stimme. Erst wusste Josie nicht, was genau er jetzt meinte, bis er auf sein Bierglas zeigte und ihr vier Finger zeigte. „Nur fürs Protokoll an den Herrn von und zu Senior Chef. Wir halten das heute auch extra mal etwas gediegener, damit sie nicht den Überblick verlieren“. Ihre Blicke trafen sich und er sah sie durchaus provokant und amüsiert an. Machte er sich etwa über sie lustig? Stimmt, da war ja was gewesen, dass er seinen Alkoholkonsum aufs Minimum zu reduzieren hatte. Was genau aber nun das Minimum sein sollte, wusste sie nun nicht. Zwei Bier, vier Bier, sechs Bier? Keine Ahnung, was genau das heißen sollte. Aber eigentlich machte sie sich da auch keine großen Gedanken drum, denn Herr von Wartenberg Junior schien ja doch recht trinkfest zu sein. Also wo war dann der Punkt, wo sie etwas sagen sollte? Und ließ er sich von ihr überhaupt etwas sagen? Wohl kaum und das von der Praktikantin? Was hatte Ferdinand von Wartenberg sich dabei nur gedacht? Das sie irgendetwas ausrichten konnte? Im Prinzip hatte sie auch gar kein Interesse daran, mit ihm darüber zu diskutieren, ob er nun vier oder fünf Bier trinken sollte. Sie erwiderte seinen Blick cool. „Aber natürlich Graf von Wartenberg. Danke für die Info“, konterte sie selbstbewusst.
Gegen zehn Uhr verließen sie das Restaurant und verabschiedeten sich, um zurück zum Hotel zu gehen. „Um neun ist Meeting, wir sehen uns um acht beim Frühstück“, hatte Leonard vor seiner Zimmertür noch gesagt und ihr höflich eine gute Nacht gewünscht. Gerade wollte Josie ins Bad gehen, als sie auf dem Flur eine Tür ins Schloss fallen hörte. Intuitiv ging sie zum Fenster, dass schräg oberhalb dem Hoteleingang lag und sah hinaus. Nur wenige Minuten später verließ Leonard das Hotel. Er trug Jeans und einen dunklen Hoodie. Mit schnellen Schritten, den Händen in den Hosentaschen ging er zielstrebig durch den Innenhof und verschwand aus Josie Sichtfeld. Sie überlegte kurz, ob sie ihm folgen sollte. Doch ehe sie Schuhe und Jacke anhatte und unten war, war er vermutlich schon lange verschwunden. Aber wo ging er noch hin, abends um zehn Uhr? Diese Frage beschäftigte Josie noch eine ganze Weile, während sie in ihrem Hotelbett saß und Fernseh schaute. Und vermutlich war es genau das, was Ferdinand meinte. Denn geschäftlich schien Leonards verschwinden abends um zehn Uhr nun nicht zu sein. Irgendwann schlief sie dann ein und wurde nachts gegen ein Uhr wieder wach, als sie wieder eine Zimmertür ins Schloss fallen hörte. Ob das Leonard war? War er zurückgekommen? Um die Zeit? Und vor allem, wo war er gewesen?
Am nächsten Morgen saß Leonard schon am Frühstückstisch, als Josie pünktlich um acht in den Speiseraum kam. Er sah wie immer gut aus. Geduscht, rasiert, gestylt, gut duftend in Hemd und Anzug saß er da, frühstückte und las auf seinem Tablett. „Guten Morgen“, sagte sie freundlich. Ihre Blicke trafen sich. „Morgen“, meinte er nur. Josie musterte ihn kritisch als sie sich ihm gegenüber setzte. Er schien das zu bemerken und erwiderte ihren Blick. „Alles ok? Haben sie gut geschlafen Josephine?“ Sie fand diese siezen so bescheuert. Warum duzte er sie nicht einfach? Immerhin war sie gerade mal ein paar Jahre jünger als er. „Ja. Ich habe gut geschlafen. Und Sie? Sie sind gestern Abend nochmal weg gegangen?“ fragte sie lächelnd. Wieder trafen sich ihre Blicke. Eiskalte strahlend blaue Augen sahen sie neugierig an. Dann lächelte er. „Ich habe noch etwas frische Luft geschnappt und Zigaretten geholt.“ Dass das nicht ganz die Wahrheit war, wussten beide ziemlich genau. „Bis nachts um eins?“ bemerkte Josie skeptisch. Sein Blick blieb starr auf sie gerichtet und sein Gesicht wurde ernst. „Josephine, ich weiß das mein Vater sie als Spitzel mitgeschickt hat. Wenn sie es für nötig halten, können sie das auch gerne so weiter geben. Scheint ja ihr Job zu sein. Aber geben sie nur das weiter, was sie auch hundertprozentig wissen und nicht, was sie denken oder vermuten. Ich muss mich ständig für irgendwelche dämlichen Dinge rechtfertigen, die ich angeblich irgendwo, irgendwie getan habe. Es nervt einfach nur.“ „Ich habe nicht vor, irgendwas weiter zu geben. Warum sollte ich das tun?“ entgegnete Josie überraschend cool. „Weil mein Vater sie damit beauftragt hat. Sonst wären sie nicht hier. Er misstraut mir in jeglicher Weise und wartet nur darauf, dass sie ihm bestätigen, wie Recht er damit hat. Nur den Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht tun. Sie haben mich gesehen, dass ich das Hotel verlassen habe, mehr nicht“, sagte Leonard leicht gereizt. „Er wird fragen, wo sie noch waren?“ überlegte Josie laut. Leonard nickte. „Natürlich wird er das. Und egal, was ich auch sagen würde, er würde es mir nicht glauben. Daher wird ihm diese kleine Info schon reichen, um mal wieder ein gewaltiges Fass aufzumachen. Wieso und weshalb auch immer.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. „Im Grunde habe ich auch gar nichts gesehen.“ Strahlendes blau traf sie. „Ihre Entscheidung, Josephine. Ich habe mich meinem Schicksal schon sehr lange ergeben.“ Etwas Trauriges lag nun in seinem Blick und seiner Stimme.
Den Rest des Frühstücks verbrachten sie schweigend. Der Fahrdienst holte sie ab und um neun Uhr begann pünktlich das Meeting. Das zog sich auch über den ganzen Tag und war erst nachmittags gegen vier zu Ende. Nicht nur Josie fand es sehr anstrengend, da nur englisch geredet wurde, auch Leonard schien echt geschafft zu sein. Sie fuhren zurück zum Hotel, um sich frisch zu machen, bevor ihr Rückflug abends um sieben Uhr ging. Anschließend checkten sie im Hotel aus und der Fahrdienst brachte sie zurück zum Flughafen. Leonard redete kaum und war ziemlich müde und erschöpft. Am Flughafen aßen sie noch etwas und warteten auf den Rückflug. Josie war es unangenehm das Leonard ihr Baguette und den Latte Macchiato mit bezahlte und erklärte das bei Geschäftsreisen alles auf Firmenkosten lief. Davon ließ er sich auch nicht abbringen. Wenn sie schon mit musste, dann sollte sie nicht auch noch irgendetwas bezahlen müssen. Viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum, doch sie traute sich nicht, diese Leonard zu stellen. Er telefonierte zwischendurch mit irgendwem über geschäftliche Dinge. Allerdings klang es sehr vertraut und angenehm. Sein Vater konnte es daher nicht sein.
Am nächsten Tag schien Ferdinand schon Josies Bericht zu erwarten und er zitierte sie direkt in sein Büro. Doch sie konnte nichts Besonderes sagen. Alles war wie geplant verlaufen. Es gab keinerlei besondere Vorkommnisse, was Ferdinand zwar überrascht aber sehr zufrieden aufnahm. Josie verstand die scheinbaren Bedenken von Ferdinand von Wartenberg nicht. Leonard machte seinen Job. Zuverlässig, professionell und so, wie es erwartet wurde. Es war nicht mal so, dass er beim Abendessen großartig Alkohol getrunken hatte. Er hatte zwar etwas getrunken aber nicht mal so viel, dass man den Anschein hatte, dass er betrunken war. Selbst da war er sehr diszipliniert. Josie verstand diese ganz Skepsis von Ferdinand von Wartenberg seinem Sohn gegenüber nicht. Aber irgendetwas schien ja zu sein, dass er so misstrauisch war. Manchmal bat er Josie dann kurz raus zu gehen und sie konnte draußen hören, wie er Leonard eine Standpauke hielt was seine Pflichten und Aufgaben innerhalb der Firma betraf.
Nur wenige Tage später bekam Josie eine leichte Ahnung, warum das so war. Sie stand vorne bei Margret am Empfang, als sie Leonard eher zufällig beobachtet, wie er kreidebleich aus der Toilette kam, schwankte und sich gegen die Flurwand lehnen musste. Es schien ihm wirklich nicht gut zu gehen, er sah echt fertig und blass aus. Die Augen hatte er geschlossen und er atmete ein paar Mal tief durch, bis er sich zusammen raufen konnte und langsam in seinem Büro verschwand. Als sie das Büro betrat saß er an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf in den Händen vergraben. „Alles ok?“ fragte Josie vorsichtig als sie sich an ihren Platz setzte. Leonard sah sie nicht mal an. Sie hörte nur seine schnelle starke Atmung. Unsicher stand Josie auf und ging zu seinem Schreibtisch heran. „Leonard? Ist alles ok?“ fragte sie nun besorgt. Keine Reaktion. Sie ging noch einen Schritt näher heran. „Soll ich ein Glas Wasser oder so holen?“ „Nein danke…“, murmelte er nur leise. Denn hob er wieder den Kopf und sah sie kurz an während seine Finger seine Haare wieder glatt strichen. „…alles ok. Vielen Dank. Mein Kreislauf ist heute nicht so… liegt bestimmt am Wetter.“ Josie blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn kritisch an. „Kann ich wirklich nichts…?“ „Nein, Josephine. Es geht mir gut, ok“, meinte er dann etwas schroff. Sie merkte sofort, dass sie ihn in Ruhe lassen sollte und nahm wieder schnell an ihrem Schreibtisch Platz. Die nächste Stunde verbrachten beide schweigend, wobei sie sich nicht sicher war, ob er wirklich etwas las oder nur einfach so in den Ordner vor sich starrte. Dann klingelte sein Telefon und es dauerte eine ganze Weile bis er das überhaupt registriert hatte und abnahm. Was dann kam, war sehr fragwürdig, denn Leonard war nicht in der Lage, auch nur einen vernünftigen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Er stammelte, stotterte und brachte dabei nichts Gescheites heraus. Scheinbar wusste er nicht mal, was er redete, mit wem oder worüber. Er war völlig verpeilt und planlos. So langsam wurde es unangenehm für Leonard, denn sein Gesprächspartner schien ebenfalls etwas irritiert zu sein. Josie hörte sich das exakte drei Minuten an, bevor sie aufstand und dem völlig irritierten Leonard das Telefon aus der Hand nahm. „Josephine Wagner, Guten Tag. Bitte entschuldigen sie die Unterbrechung. Wir haben durch den Umbau im Büro derzeit technische Störungen in der Telefonleitung. Daher kommt bei uns und vermutlich auch bei Ihnen nicht alles richtig an.