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Astrid Korten

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Beschreibung

BOD Bestsellerliste PLatz 1 TOLLINO-ALLIANZ-BESTSELLER „Das ist unser neues Zuhause“, sagt Mama. „POPPY, du musst dich nie vor mir verstecken, weißt du das denn nicht?“, sagt er. „Der hat ein Gesicht wie eine Bowlingkugel“, sagt Oma Becker. „Euch klar ausdrücken, Leute, sagt einfach klar und deutlich, was ihr meint“, sagt der Lehrer. Hilfe, denkt POPPY. Die sechsjährige POPPY lebt mit ihrer Mutter in einem heruntergekommenen Vorstadtviertel. Eines Tages ziehen sie in eine prachtvolle Villa zu dem neuen Mann ihrer Mutter. Der neuer „Papa“ erfüllt POPPY jeden Wunsch. Er sagt, er liebt sie, kann mit ihr Erwachsenengespräche führen, und überhäuft sie mit Geschenken. Poppys Mutter ist glücklich. Sie kann sich endlich kaufen, was immer sie möchte. Alles wäre gut, gäbe es da nicht die eine Sache … Erste Stimmen: „Nachdem du POPPY gelesen hast, möchtest du das Mädchen nie wieder allein lassen.“ Tim Robbins – Regisseur/Schauspieler „Einer der stärksten und gewagtesten Romane dieses Jahres, der auf wahre Begebenheiten beruht. Diese Geschichte über Psychospiele, Missbrauch und Resilienz ist sowohl herzerwärmend als auch unerträglich, vital und außerordentlich beängstigend, und wird von seiner liebenswerten Heldin POPPY beflügelt.“ WAZ „In POPPY – nach einer wahren Begebenheit – gibt Astrid Korten dem Mädchen POPPY eine Stimme, und mit ihrem leichten, aber messerscharfen Ton gelingt es ihr, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Sie wirft Licht auf ein dunkles Thema und weiß, wie man mit Humor eine erschütternde Geschichte erzählt - eine großartige Leistung.“ Stadtspiegel

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Seitenzahl: 267

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Für Poppy

Das Mädchen aus dem Dorf, das alle komisch fanden.

Du kannst stolz auf dich sein und hast meinen allergrößten Respekt.

 

Über das Buch

 

„Das ist unser neues Zuhause“, sagt Mama.

„Poppy, du musst dich nie vor mir verstecken, weißt du das denn nicht?“, sagt er.

„Der hat ein Gesicht wie eine Bowlingkugel“, sagt Oma Becker.

„Euch klar ausdrücken, Leute, sagt einfach klar und deutlich, was ihr meint“, sagt der Lehrer.

Hilfe, denkt Poppy.

 

Die sechsjährige Poppy lebt mit ihrer Mutter in einem heruntergekommenen Vorstadtviertel. Eines Tages ziehen sie in eine prachtvolle Villa zu dem neuen Mann ihrer Mutter.

Der neuer „Papa“ erfüllt Poppy jeden Wunsch. Er sagt, er liebt sie, kann mit ihr Erwachsenengespräche führen, und überhäuft sie mit Geschenken.

Poppys Mutter ist glücklich. Sie kann sich endlich kaufen, was immer sie möchte.

Alles wäre gut, gäbe es da nicht die eine Sache …

 

Erste Stimmen:

 

„Einer der stärksten und gewagtesten Romane dieses Jahres, der auf wahre Begebenheiten beruht. Diese Geschichte über Psychospiele, Missbrauch und Resilienz ist sowohl herzerwärmend als auch unerträglich, vital und außerordentlich beängstigend, und wird von seiner liebenswerten Heldin Poppy beflügelt.“ WAZ

 

„In Poppy – nach einer wahren Begebenheit – gibt Astrid Korten dem Mädchen Poppy eine Stimme, und mit ihrem leichten, aber messerscharfen Ton gelingt es ihr, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Sie wirft Licht auf ein dunkles Thema und weiß, wie man mit Humor eine erschütternde Geschichte erzählt - eine großartige Leistung.“ Stadtspiegel

 

Die Geschichte von Poppy hat mich tief berührt und auch unglaublich wütend gemacht. Auf der anderen Seite besticht das Buch durch eine oft brillante Situationskomik, die nie im Widerspruch zu den erschütternden Begebenheiten, die Poppy ertragen musste, steht.

Astrid Korten hat Humor, Ironie und das Leid des Mädchens auf herzerwärmende und gleichzeitig unerträgliche Weise zum Ausdruck gebracht. Es fällt mir schwer, die vielfältigen Gefühle, die die Geschichte des Mädchens in mir geweckt hat, zu beschreiben.

Ich spreche Astrid Korten und der heute erwachsenen Poppy meine Hochachtung aus für ihren Mut, die wahre Geschichte der kleinen Poppy zu erzählen.

Ich habe beim Lesen gelacht und geweint.

Christine Hochberger, Buchreif

 

1976

 

Nicht alle Papas lassen ihr Kind auf den Vordersitz.

Er sagt, ich habe Glück.

Ich schau zur Seite auf seinen alten, großen Kopf.

Und denke: Mama und ich haben Glück.

Wir sind ganz große Glückspilze.

(Poppy, sechs Jahre)

 

Das schwarze Auto

 

Bei Frau Martin brennt das Licht. Ihre Gardine bewegt sich. Sie hat sie bereits dreimal beiseitegeschoben, um zu sehen, ob wir noch da sind. Wir sind immer noch da. Ich habe ihr zugewunken und geschrien, dass ich Geburtstag habe, aber Mama sagte: „Sei still, Poppy. Du weckst mit deinem Geschrei noch die ganze Straße auf.“

Wir stehen mit Koffern auf dem Bürgersteig vor dem Hochhaus. Weiße Schneeflocken rieseln auf unsere Schuhspitzen. Ich versuche, sie mit der Zunge aufzufangen. Frau Martin hat das falsch verstanden und verschwindet hinter ihrer Gardine.

Ich weiß nicht, wie spät es ist, aber ich denke, noch sehr früh am Morgen, denn es ist ziemlich dunkel. Die Menschen in unserer Straße schlafen alle noch, außer uns und Frau Martin. Sie ist sehr reich. Innen ist ihr Haus ganz weiß, mit viel Gold und Pink. Ich durfte einmal mitkommen, als Mama dort geputzt hat. Eigentlich war das gar kein richtiges Putzen. Wir haben die ganze Zeit ferngesehen. Ich trank Cola, und Mama rauchte eine Zigarette. Am Ende wischte sie ein bisschen Staub. Ich durfte weiterschauen.

Mama mag das Putzen nicht. Weil sie nicht dafür geboren wurde, sagt sie. Aber sie hat einen Mantel aus lauter Silber gesehen und möchte ihn gern haben. Und Frau Martin wollte ihr fünfundzwanzig Mark bezahlen.

Am Ende des Tages kam Frau Martin in ihr weißes Haus zurück und sagte: „Das war ein einziges Mal, aber nie wieder.“

„Meine Rede“, hat Mama geantwortet. „Das ist ja auch nicht mein Ding. Ich bin Friseurin, ohne Scheiß.“

Heute bin ich sechs Jahre alt geworden. Ich habe noch kein Geschenk bekommen, aber das kommt bestimmt erst später. Mama hatte heute Morgen nicht mal Zeit, um für mich zu singen, denn sie musste die Koffer packen und sich superhübsch anziehen und ihre Beine rauf und runter rasieren und ihr Haar ganz toll föhnen. Ich habe sie schon zweimal gefragt, was wir vorhaben, aber sie hat ihren Finger auf den Mund gelegt und „Pst“ gesagt.

Wir warten. Und warten. Ich schaue auf die Koffer. Vielleicht fahren wir ja in den Urlaub, aber Urlaub kostet Geld, und das haben wir nicht. Plötzlich muss ich an Papa denken.

Juhu, wir warten auf meinen Vater!

Er kommt, um uns abzuholen, weil ich heute Geburtstag habe. Papa ist ein mieser, stinkender Bastard, sagt Mama immer nur, seit er mit dieser anderen Frau zusammenlebt, und ich darf nicht über ihn sprechen. Das mache ich auch nicht. Aber darüber nachdenken – davon hat Mama nichts gesagt. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie Papa aussieht. Vor langer Zeit, als ich noch fünf war, hab ich bei Großmutter Becker ein Bild von ihm gesehen. Ich wollte mir ein dickes Buch anschauen und dabei ist das Foto rausgefallen und auf den Boden gesegelt.

„Er hat die Spatzenschwindsucht, mein Kind, und ist auf und davon“, sagte Großmutter. Sie hat eine ganz raue Stimme. Mama sagt, das kommt vom vielen Rauchen.

Oma hat Papa aufgehoben und ihn sich angeschaut. Er hockte vor einer Heizung. Er war jung und schön auf dem Foto, und sah kein bisschen nach einer Vogelkrankheit aus. Er lachte auch, und ich lachte zurück und fragte Großmutter, ob sie weiß, wo Papa jetzt ist.

„Er ist auf und davon, nach Köln. Hat mit der Musik die Flatter gemacht“, hat sie gesagt und das schöne Foto in den Müll geworfen.

 

Gerade als ich Mama fragen will, ob wir nicht lieber wieder reingehen sollten, fährt ein schwarzes Auto in unsere Straße. Es ist ganz groß und glänzt. Mama steht plötzlich auf den Zehenspitzen und fängt an, wild zu winken. Das Auto kommt auf uns zu und bleibt stehen wie die Kutsche im Märchen. Ein Mann steigt aus. Ich bin ganz schön gespannt.

Aber das kann nicht Papa sein. Der Mann ist uralt. Er trägt einen grauen Anzug. Er hat riesig große Ohren, eine große Nase und eine riesige Brille. Er sieht aus wie ein Chef.

„Mensch, Pick-up, da bist du ja“, sagt Mama.

„Wie versprochen“, sagt der Mann ganz ruhig.

Zwei Worte. Die kurzen Wörter sind die allerbesten, sagt Großmutter immer.

„Und das hier ist meine Poppy.“ Mama zeigt auf mich.

„Sie ist sehr süß. Guten Tag, Poppy“, sagt der Mann im selben ruhigen Ton.

Sieben Worte. Dann geht alles sehr schnell. Zuerst packen sie die Koffer in den Kofferraum, und nachdem Mama lächelnd auf dem Vordersitz Platz genommen hat, hebt mich der alte Mann hoch und setzt mich auf den Rücksitz. Innen ist alles aus Leder und Holz.

„Mama …?“ Sie hört mich nicht.

Kurz bevor wir wegfahren, sehe ich, wie Frau Martin die Vorhänge wieder öffnet. Jetzt hat sie glühende Augen wie in der Geisterbahn, weil sie das große, schwarze Auto sieht und immer wissen will, was Mama und ich machen. Ganz bestimmt.

Herr Martin steht jetzt auch am Fenster – in einem dunkelblauen Pyjama. Ich rufe: „Auf Wiedersehen“, obwohl ich sie nicht wiedersehen will, aber sie können mich nicht hören, weil der Winterwind jetzt so rauscht.

Frau Martin sagt etwas zu ihm.

Herr Martin zuckt mit den Schultern.

 

Das dunkelbraune Schloss

 

 

Mama schüttelt meine Schulter. „Wir sind da, Poppy.“

„Wo?“ Ich bin noch müde.

„Da, wo wir ab jetzt bleiben werden.“ Sie zeigt durch die Windschutzscheibe auf ein Haus, so groß wie ein Schloss.

Der alte Mann trägt unsere Koffer zur Haustür.

„Hier werden wir jetzt leben“, sagt sie, steigt aus dem schwarzen Auto, kommt an meine Tür und öffnet sie mit Schwung. „Komm!“

Ich muss beinahe weinen, weil ich ein bisschen Angst hab, aber sie sieht es nicht, weil sie schon zum Haus läuft. Ich steige schnell aus, laufe ihr hinterher und packe sie an ihrem Rock.

Sie dreht sich um und fragt genervt: „Was ist denn, Poppy?“

„Mama …“

„Was ist denn jetzt schon wieder? Lass meinen Rock los!“

„Aber alles ist doch noch zu Hause“, sage ich.

Der Mann ist bereits hineingegangen. Mama versucht, sich zu befreien, aber ich halte ihren Rock ganz fest.

„Du hast sie doch nicht alle“, schimpft sie. „In der Scheißwohnung gibt es nichts. Alles ist hier. Und jetzt lass sofort meinen Rock los!“

Ich gehorche, und Mama geht zur Haustür. Vor dem Haus ist ein großer Garten, mit kurzem Gras und hohen Bäumen. Auf der anderen Straßenseite steht ein Polizist. Er raucht eine Zigarette und winkt. Ich winke zurück. Dann laufe ich schnell meiner Mama hinterher. Nicht, dass sie noch die Tür schließt und ich alleine draußen stehe.

 

„Das ist jetzt unser Heim, Poppy“, erklärt Mama. Sie klingt ganz anders als normal. So vornehm.

„Was ist ein Heim, Mama?“

Sie rollt mit den Augen und seufzt. „Unser neues Zuhause“, antwortet sie.

Die Diele ist hoch und breit. An der Decke hängt eine Lampe mit Juwelen und silbernen Eiszapfen. Ich versuche, sie zu zählen. Als ich bei sieben bin, steht der alte Mann plötzlich neben mir.

„Ich habe gehört, dass du heute Geburtstag hast.“

Ich schaue zu Mama, die an der Garderobe steht und heftig nickt.

Ja, ich habe heute Geburtstag und hatte es fast schon wieder vergessen.

„Dann kommt mal mit mir“, sagt er.

Fünf kurze Wörter.

Wir gehen mit ihm in ein anderes Zimmer. Es ist dreimal so groß wie der Flur. Alles ist wieder aus Leder und Holz, genau wie im Auto. Es gibt eine große braune Ledercouch und zwei dunkelbraune Ledersessel. Ich sehe Wände mit dunkelbraunen Schränken davor. In einem dunkelbraunen Regal stehen ganz dicke Bücher, auch aus Leder. Dunkelbraun muss seine Lieblingsfarbe sein. Und dann entdecke ich in der Mitte des Raumes ein rotes Kinderfahrrad mit einer silbernen Schleife.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mama schon.

„Oh, Pick-up“, kreischt sie, „das ist verrückt! Oh, schau dir das an, Poppy, hinter dir, auf dem Tisch, da liegt noch mehr!“

Ich drehe mich um. Auf einem riesigen dunkelbraunen Tisch liegen viele Geschenke, ich weiß nicht, wie viele es sind. Mama zählt bis zehn, gibt dem Mann einen Kuss auf die Wange und einen Klaps auf den Hintern. Der Mann verzieht sein Gesicht und tritt einen Schritt von ihr zurück.

„Und weißt du, was so lustig ist, Poppy“, sagt Mama und deutet auf ihn. „Heute ist auch der Geburtstag von Pick-up!“

Er sieht gar nicht nach Geburtstag aus. Er lacht nicht und hat keinen Hut auf.

„Wie alt bist du geworden?“, fragt er mich.

„Sechs.“

„Ich bin zwei mal sechs“, sagt er.

Hm … Fünf Worte. Er will bestimmt auch ein Geschenk.

Mama blinzelt, als ob sie etwas Verrücktes sieht. „Zwei mal sechs? Wieso zwei mal sechs? Du bist doch nicht zwölf!“

„Wir haben kein Geschenk für ihn“, flüstere ich Mama ins Ohr.

„Das ist schon in Ordnung“, sagt der Mann, der mich trotzdem gehört hat.

„Pick-up? Na, ich bin dein Geschenk“, sagt sie und lacht so komisch dabei. „Aber noch nicht auspacken.“

Der Mann beachtet sie nicht und setzt mich auf mein neues Fahrrad.

„Was sagst du dazu, Poppy?“, fragt Mama nun.

„Dankeschön, Herr Pick-up.“

„Herr Pick-up? Verdammt, Poppy, bist du so dämlich? Das ist doch mein Spitzname für ihn. Denk dir mal einen eigenen Namen aus.“

Ich schaue den Mann an und sage: „Danke, Herr Onkelmann.“

Mama fällt fast vor Lachen auf den Boden. „Herr Onkelmann?“, kreischt sie, „Onkelmann! Nun, Pick-up, da hörst du es. Ich glaube, Poppy mag dich. Sie ist fast so eine Ulknudel wie ich, oder?“

Der Mann lacht nicht, er öffnet die Türen zum Garten, packt mich mit einer Hand am Kragen und schiebt mich auf meinem neuen Fahrrad hinaus. Draußen gibt er mir einen Schubs. „Radle ruhig mal ein wenig und sieh dir den Garten an.“

Ich und das Rad fallen sofort um.

„Sie kann doch noch gar nicht Fahrrad fahren, Pick-up“, ruft Mama.

Ich stehe gleich wieder auf und lache, um ihr zu zeigen, dass es nicht wehtut.

„Schau dich erst mal zu Fuß im Garten um, Poppy“, sagt Mama. „Herr Onkelmann wird dir später das Fahrradfahren beibringen.“

Ich laufe im Kreis durch den Garten mit dem kurzen Gras, drehe immer größere Runden, werde schneller und schneller, und breite meine Arme aus wie ein Flugzeug. Ich mache Geräusche, ich kann nichts dafür, so glücklich bin ich. Mama lacht und klatscht in die Hände. Dann bin ich plötzlich so schnell gelaufen und habe so laut geschrien, dass ich ganz schlimm husten muss.

„Sie wird noch ersticken, hol sie lieber wieder herein“, sagt Herr Onkelmann zu Mama.

Ich gehe ins Wohnzimmer, aber das Husten hört nicht auf. Mama klopft mir auf den Rücken, aber das tut wirklich weh.

„Hol Poppy mal ein Glas Limonade, Patricia“, sagt er.

Mama sieht sich um. „Wo finde ich welche?“

„In der Küche.“

Sie verlässt das Wohnzimmer.

Herr Onkelmann kommt näher. „Du bist ja schweißgebadet“, sagt er besorgt, zieht mein T-Shirt ein wenig hoch und legt seine Hand auf meinen nackten Rücken. Seine Finger gleiten von oben nach unten. „Völlig durchnässt, du armes Ding.“

Ich nicke und huste ein wenig extra.

„Heute Abend darfst du ein heißes Bad nehmen, Poppy.“

Ich finde es schön, dass er sich solche Sorgen um mich macht. Dann hören wir Mama. „Pick-up, ich finde die Küche nicht mehr!“ Der Mann verlässt den Raum. Als sie mit meiner Limonade zurückkommen, sagt Herr Onkelmann, dass er noch viel zu tun hat.

Mama schaut auf den Tisch mit den Geschenken. „Wir auch.“

Sobald Herr Onkelmann den Raum verlassen hat, beginnt sie sehr schnell, alles auszupacken. Aufgeregt sehe ich zu. Ich bekomme eine Puppe mit einer Babybadewanne, einen Arztkoffer mit einer Krankenschwesternuniform, ein Teeservice, Filzstifte in allen Regenbogenfarben und einen großen Beutel mit Murmeln.

„Nun“, sagt Mama, „Wenn er schon so anfängt, dann frage ich mich, was er mir zu meinem Geburtstag schenken wird.“

Und weil dies unsere erste Nacht in dem braunen Schloss ist, haben wir Thailändisch gegessen. Herr Onkelmann und ich haben das Essen mit dem großen schwarzen Auto geholt. Mama ist zu Hause geblieben und hat den Tisch gedeckt. Ich durfte im Auto sogar auf seinem Schoß sitzen und das Lenkrad halten. Später habe ich dann die leckeren Sachen gegessen, bis ich nichts mehr reingekriegt hab. Genau wie Mama.

Jetzt liegt sie auf der Couch und schaut fern, während Herr Onkelmann auf der Badematte kniet und mir T-Shirt, Hose und Unterhose auszieht. Die Badewanne ist fast voll.

Als ich nackt bin, muss ich kurz warten, denn zuerst fühlt er, ob das Wasser auch nicht zu heiß ist.

„Jetzt“, sagt er. „Ab in die Wanne mit dir.“ Er packt mich unter den Achseln, um mich über den Wannenrand zu heben. Als ich fast im Wasser bin, zieht er mich wieder hoch.

„Hm“, sagt er. „Das geht doch auch bequemer, oder was meinst du?“

Er hebt mich ganz oft hoch, um herauszufinden, was der bequemste Weg in die Wanne ist. Er sagt „Ups und Uppsala“ nach jedem erfolglosen Versuch.

„Hm“ ist ein sehr kurzes Wort genau wie „Ups“.

Das ist sooo lustig. Ich muss nach jedem Uppsala lauter lachen. Als er die bequemste Art gefunden hat – mit seiner Hand wie ein Kissen unter meinem Po – schwingt er mich über den Rand ins Wasser, zwischen die Enten und das Bötchen. Alles ist neu, und alles ist für mich. Aber ich darf nicht zu lange damit spielen. Ich soll ja auch gewaschen werden, meint Herr Onkelmann.

Das Waschen dauert sehr lange, bis das Wasser langsam kalt wird. Als ich schließlich wieder raus darf, schlottere ich, weil keine Handtücher da sind.

Er sagt, ich soll doch das Herr vor dem Onkelmann weglassen. Dann wäre es doch ein viel netterer Name.

Ich nicke. Onkelmann allein ist auch gut. Er ist ja sehr nett.

Onkelmann trocknet mich mit seinen Händen ab. Er gibt sich ganz viel Mühe.

In der Ferne höre ich aus dem Kassettenrecorder: Hopp, hopp, hopp, Pferdchen, lauf Galopp.

 

Apfelsaft

 

 

„Wenn Opa stirbt, bekommen wir das ganze Geld“, sagt Greta.

„Oh.“ Ich schaue sie mit großen Augen an.

„Pech für dich“, fährt sie fort. „Denn du bekommst nichts. Meine Mutter ist seine Tochter.“

Sie zeigt auf ihre Mutter, die Vanessa heißt und mit Mama mitten im Wohnzimmer in einem großen Loch mit vielen Kissen einen Kaffee trinkt. Es gibt auch eine Bar mit hohen Hockern und einem weißen Teppich.

„Ganz schön flott“, hat Mama gesagt, als wir ins Wohnzimmer gegangen sind. Dabei hat sie die Nase hochgezogen.

Greta und ich sitzen auf dem Boden in einer Ecke. Wir haben Kekse und ein Glas Apfelsaft bekommen.

Mama und ich leben jetzt schon viele Tage in dem großen braunen Schloss, und morgen gehe ich zum ersten Mal zur Schule. Greta ist in der gleichen Klasse. Sie stellt mir ständig Fragen und alle auf einmal.

„Ist dein Vater tot?“

„Nein“, antworte ich, „er ist Heizungsfachmann.“

„Aber tot?“

„Nein, ist er nicht.“

„Was macht deine Mutter dann bei meinem Opa?“

„Wohnen.“

„Bestimmt, weil er so reich ist“, sagt Greta.

Ich habe keine Lust mehr, mit Greta zu reden, aber Mama sitzt immer noch mit Tante Vanessa in dem Loch. Wenn wir etwas zum Spielen hätten, müssten wir nicht reden. „Wollen wir in dein Zimmer gehen?“, frage ich.

„Geht nicht, mein Papa ist oben.“

„Oh.“

„Er schläft. Er ist sehr müde von der Arbeit.“

„Oh“, sage ich noch einmal, weil mir nichts einfällt.

„Er arbeitet für Opa. Mein Vater ist der beste Verkäufer im ganzen riesengroßen Ausstellungsraum.“ Sie tunkt ihren Keks in den Apfelsaft, er fällt auseinander, und ein Teil plumpst ins Glas.

Greta ist die Einzige, mit der ich spielen darf. Sie ist jetzt meine neue Freundin, sagt Herr Onkelmann, denn sie ist harmlos. Wenn man so reich ist wie er, muss man nämlich sehr vorsichtig sein. Alles kann gestohlen werden, auch ich. Seit wir in dem dunkelbraunen Schloss wohnen, darf ich nicht einmal mehr alleine auf die Straße gehen.

„Woher hat deine Mutter diese verrückten Klamotten?“, fragt Greta.

„Gekauft.“ So verrückt sind Mamas Kleider doch gar nicht.

„Warum trägt sie blauen Lidschatten?“

„Sie mag es.“

„Ich nicht.“

Ich glaube Greta kein Wort. Mama ist die allerschönste Frau, die ich kenne. Sie sieht aus wie Barbie. Wenn ich meine Barbies nebeneinanderlege – es sind vierzehn und alle von Onkelmann –, und Mama wäre auch so klein, würde sie wunderbar dazu passen. Sie hat genau solche blonden Haare und blaue Augen. Deshalb ist sie meine Barbie-Mom. Sie trägt auch gerne so weiche Pullover mit Glitzer oder große farbige Sterne vorne oder hinten, die ganz toll aussehen. „Applikationsgirl“, nennt sie sich oft und muss selbst darüber lachen und meint dann: „Ooooh, ich bin vielleicht eine!“ Ich lache immer mit, auch wenn ich nicht weiß, was sie damit meint.

Aber das stimmt auch, ich habe vierzehn Barbies, aber meine Mama ist nur eine.

Gretas Mutter ist sehr dünn. Sie trägt einen Jeansanzug und hat einen großen Haufen orangefarbener Locken auf dem Kopf, wie ein Neger. Dschungelfroschhaar, würde Oma Becker sagen.

Greta und ich schauen zu, wie unsere Mütter Kaffee trinken, ohne irgendwas zu sagen.

„Besuchst du mich auch mal?“, frage ich. „Dann können wir mit meinen Barbies spielen.“

„Nee, darf ich nicht. Sagt meine Mutter.“

„Du darfst nicht mit Barbies spielen?“

„Ich darf nicht zu dir. Du darfst nur zu mir kommen.“

„Wieso?“

Greta antwortet nicht und schaut wütend ihre Pantoffeln an. Da steht Mama endlich auf und klettert aus dem Loch heraus. Sie muss ihren neuen Rock sehr weit hochziehen, sonst klappt das nicht. Ich kann ihre Unterhose sehen. Tante Vanessa und Greta sehen sie auch.

„Tssss“, sagt Greta und rümpft ihre Nase.

Mama zieht ihren Rock wieder runter. „Komm, Poppy, lass uns gehen. Verabschiede dich noch von Tante Vanessa.“

Ich stehe auf und gehe zu meiner neuen Tante, um ihr die Hand zu geben, so wie es mir Onkelmann beigebracht hat.

„Auf Wiedersehen, Tante Vanessa!“

„Auf Wiedersehen, Poppy!“ Sie lächelt nicht, sie sieht mich nur an. Sie hat Augen wie ein toter Goldfisch.

 

Abends am Tisch möchte Onkelmann wissen, wie ich Greta finde.

„Nett“, sage ich. „Sehr nett.“

Onkelmann unterhält sich lieber mit mir als mit Mama. Wenn sie etwas erzählt, hört er gar nicht richtig zu. Er sieht sie auch nicht wirklich an. Wenn ich aber spreche, achtet er auf jedes Wort. Er legt mir oft die Hand auf den Kopf. Oder wie jetzt auf mein Bein. Er drückt es und zwinkert mir dabei zu. Ich kann noch nicht zwinkern, also lächle ich. Danach lächle ich auch Mama an, aber sie sieht es nicht.

„Sag mal, Pick-up“, sagt Mama. „Deine Vanessa, aus der kommt nicht viel raus, sie ist stumm wie ein Fisch.“

„Ich finde, dass Tante Vanessa schönes Haar hat“, sage ich, um Mamas Worte wieder in Ordnung zu bringen. „Und sie haben ein flottes Haus, das hast du doch gesagt, Mama?“

„Wenn man so was mag. Aber billig war das alles sicher nicht, das konnte man sehen. Ich frage mich, wovon sie sich das alles lei…“

„Vanessa hat keine Kosten“, unterbricht sie Onkelmann.

„Wie meinst du das? Die zwei wohnen dort doch nicht umsonst?“

„Genauso umsonst wie du hier.“

„Bezahlst du denen das alles?“ Die Stimme meiner Mutter wird immer lauter.

Onkelmann zerquetscht plötzlich heftig seine Kartoffeln. Das bedeutet, er möchte, dass Mama den Mund hält. Mama sieht das Soßenboot, das er gebaut hat, eine Weile überrascht an. Dann lacht sie laut auf und sagt: „Nun, Pick-up, falls du mir auch eine Sitzgrube schenken willst, vergiss es! Brauch ich nicht. Viel zu umständlich. Da kletterst du eine halbe Stunde herum, um da wieder rauszukommen. Und diese Barmöbel sind bestimmt auch nicht billig. Aber wer will schon wie in einer Kneipe leben, oder?“

Mama beugt sich vor und zwickt Onkelmann in die Wange. Ich weiß, dass er das nicht leiden kann, aber sie hört einfach nicht damit auf. „Verrückt, nicht wahr, diese Vanessa hat alles, was ihr Herz begehrt, und doch kam es mir so vor, als ob sie eifersüchtig auf mich wäre. Die sah mich die ganze Zeit so merkwürdig an. Na ja, bei meiner guten Figur ist die dürre Zicke sicher vor Neid fast geplatzt.“

Onkelmann zerlegt das Boot wieder und isst seinen Teller leer.

Mama ist auch fast fertig.

Ich habe noch nicht einmal die Hälfte geschafft.

„Und Greta hat dermaßen angegeben, stimmt’s, Poppy?“

„Sie hatte leckeren Apfelsaft“, sage ich.

„Greta prahlte damit, dass ihr Vater den ganzen Betrieb alleine schmeißt.“

Onkelmann sieht Mama irritiert an.

„Ja“, lacht Mama. „Während du immer behauptest, dass er in der Zeltfabrik nichts gebacken bekommt.“

Das stimmt. Onkelmann hat schon oft gesagt, dass Tante Vanessas Mann so dumm ist wie ein Schweinehintern und dass er ohne Onkelmann nichts auf die Reihe bekommt.

„Was genau meinst du mit Zeltfabrik, Patricia?“

Mama glüht plötzlich im Gesicht. „Na ja, oder wie heißt es noch?“

„Weißt du denn, wie es heißt?“, fragt er mich.

„Es ist ein Laden für Campingzelte“, sage ich. „Für einen Urlaub.“

„Genau. Und wie heißt ein solches Anhängerzelt?“

„Liberty. Das bedeutet Freiheit.“

„Sehr gut, Poppy.“ Er legt seine Hand auf meinen Nacken.

„Ja, ja, ganz einfach, vier Hände auf einem Bauch. Macht nur!“, sagt Mama.

„Wir müssen heute mal wieder deine Haare waschen, nicht wahr, Poppy?“, sagt Onkelmann.

 

Es ist Sonntag. Sonntags, mittwochs und freitags wird mein Haar gewaschen. Ich mag es viel lieber, wenn Mama das macht. Aber nach dem Abendessen stellt Mama das Geschirr immer in die Spülmaschine und legt sich dann mit einer Lesemappe auf die Couch.

„Poppy hat kaum was gegessen“, sagt sie. „Das kommt von den vielen Keksen bei Greta.“

Ich hatte nur einen, aber das weiß Mama ja nicht.

„Noch fünfmal einen Bissen, dann bist du fertig“, sagt Onkelmann.

Sie sehen mich beide streng an. Onkelmann, weil er denkt, dass es wichtig ist, dass ich esse, und Mama, weil sie es für wichtig hält, dass Onkelmann der Boss ist.

Meine Kehle ist wie zugeschnürt, sodass es mir schwerfällt zu schlucken. Aber ich trau mich nicht zu sagen, dass ich keinen Hunger hab. Nach jedem Biss nehme ich schnell einen Schluck Wasser. Sobald mein Teller leer ist, steht Onkelmann sofort auf.

„Komm“, sagt er.

Mama schaut Onkelmann an. Vielleicht hält sie es heute auch nicht für notwendig. Mein Haar ist noch sauber vom letzten Mal. Aber Mama sagt nur: „Eins kann ich dir sagen: Wenn ich eine solche Figur wie Vanessa hätte, würde ich mich nicht in einen so lächerlich engen Anzug reinpressen.“ Dann steht sie auf, um abzuräumen.

Onkelmann nimmt meine Hand und führt mich ins Badezimmer.

 

 

Schöner geht es nicht

 

 

Eigentlich heißt er Ludovicus, aber Mama nennt ihn immer noch Pick-up, weil er uns mit seinem schwarzen Auto abgeholt hat. Pick-up ist ein englisches Wort und bedeutet abholen, hat Papa mir erklärt. Deshalb ist das jetzt sein Kosename. Er möchte, dass ich Papa zu ihm sage, aber ich vergesse es immer wieder. Ich denke, Onkelmann passt besser zu ihm.

Heute Morgen hatten wir im Auto ein echtes Gespräch. So nannte er es: ein echtes, ernstes Gespräch. Ich habe mich ganz erwachsen gefühlt. Denn es ist etwas Besonderes, wenn man sich mit jemandem gut unterhalten kann. Und er sagte, dass er mit mir gute Gespräche führen kann. Und dass ich sehr klug bin.

Er saß hinter dem Lenkrad des schwarzen Autos und rauchte eine Zigarre. Ich durfte neben ihm sitzen, dort wo sonst immer Mama sitzt. Ich konnte kaum atmen. Das lag am Zigarrenrauch, aber auch daran, dass er mich so gelobt hat. „Du bist ein besonderes Kind, Poppy“, sagte er und schnallte mich an, „sehr lieb und sehr klug.“

Er konnte den Gurt nicht richtig anlegen, sodass wir eine Weile eng zusammensaßen. Ich spielte währenddessen mit dem elektrischen Knopf am Fenster.

Dann meinte er: „Du darfst die Knöpfe nicht berühren. Und wenn du den Streifenpolizisten siehst, musst du dich ducken.“

„Okay.“ Ein lustiges Spiel.

Die Polizei wohnt direkt gegenüber von uns, aber oft ist gar keine da. Onkelmann sagt, die Dienststelle ist fast nie besetzt. In unserem Viertel ist es so schön und ruhig, weil es hier keine Schwarzen gibt, hat er mir verraten.

Als der Gurt endlich einhakt, hauchte er mir in den Nacken. „Ich glaube nicht, dass es viele Papas gibt, die ihr Kind auf den Vordersitz lassen. Was meinst du?“

„Nein.“

„Hast du ein Glück.“

Ich schaute zur Seite auf seinen alten großen Kopf und dachte: Ja, Mama und ich haben Glück. Wir sind ganz große Glückspilze. Zuerst haben wir in einer winzigen Wohnung gewohnt, in der Mama den ganzen Tag die Haare von anderen Leuten geschnitten hat. Sie hatte kein Geld für silberne Kleidung oder blauen Lidschatten. Ich hatte keinen Vater und kein Fahrrad. Jetzt leben wir in einem braunen Schloss mit glänzenden Fußböden, weißen Teppichen und Vasen aus China, auf die ich nicht klettern darf, aber wo ich laut sein darf, nur nicht, wenn Onkelmann ein Nickerchen macht. Wir haben ein Blumenservice mit goldenem Rand, und jede Woche kauft Mama neue Schüsseln und Teller dazu. Mama hat jetzt sogar einen Pelzmantel und eine Putzfrau und drei Paar Ohrringe mit Diamanten. Ich habe mein eigenes Zimmer mit einem geheimen Schrank. Und ein Bett mit einer rosa Decke und Poster mit Babypferdchen an der Wand.

„Weißt du, wohin wir fahren?“, fragte Onkelmann.

„Zum Spielzeugladen?“

Er nickte.

„Und weißt du, warum wir zum Spielzeugladen fahren?“

„Wegen der Ritter von Playmobil.“

„Genau“, sagte er, „die brauchst du.“

Ich war mir nicht sicher, ob das stimmte. Aber ich wollte die Ritter wirklich gern haben.

Etwas wollen und etwas brauchen, ist das dasselbe?

Die Indianer hatte ich schon, also brauchte ich sie nicht mehr.

„Ja“, sagte ich, „ich brauche die Ritter.“

Wir fuhren aus der Stadt. „Wir müssen in eine andere Stadt“, erklärte Onkelmann, „Playmobil gibt es in Aachen noch nicht in jedem Laden.“

Ich nickte.

Dann sagte Onkelmann plötzlich ganz viele Sätze hintereinander, das macht er sonst nie. Aber deshalb war es eine echte Unterhaltung, glaube ich.

„Hör gut zu, Poppy. Es gefällt mir sehr, dass du und deine Mutter in mein Haus eingezogen seid. Das ist wirklich schön. Jetzt bin ich nicht mehr so allein. Das gefällt dir doch auch, oder?“

Ich nickte wieder.

„Dass du da bist, gefällt mir sehr. Deine Mutter und ich sind zwar sehr verschieden. Aber wir zwei sind uns in gewisser Weise ähnlich. Das liegt natürlich daran, dass wir am selben Tag Geburtstag haben. Das ist doch etwas Besonderes, oder was meinst du?“

„Ja, das denke ich auch.“ Und weil ich merkte, dass er oft das Wort gefällt benutzt hat, fügte ich hinzu, um ganz sicherzugehen: „Mir gefällt es auch, dass wir nicht mehr in dem Hochhaus wohnen.“

„Das kann ich mir gut vorstellen“, sagte er. „Und ich glaube, dass du niemals dorthin zurück möchtest. Weil du dort in einem Getto gelebt hast.“

Ich wusste nicht, was ein Getto ist, aber ich sagte: „Ja.“

„Du hattest dort nichts, oder?“

„Nein.“

„Kein Geld, keine schönen Kleider, niemals Urlaub, niemals Geschenke …“

„Nichts“, sagte ich.

„Das war sicher nicht schön?“

„Nein, nicht schön.“

„Aber jetzt hast du alles.“

„Ja“, sagte ich, „schöner geht es nicht.“

Draußen zogen die Wiesen und Kühe vorbei. Der Himmel war grau und düster. Großmutter Becker sagt dann immer: „Das richtige Wetter, um das Erbe zu teilen.“

„Und soll ich dir noch etwas sagen? Dann musst du mich aber kurz ansehen.“

Ich sah ihn an.

„Dass du und ich Freunde sind, Poppy, das ist das Wichtigste für mich. Wir sind vier Hände auf einem Bauch. Deshalb dürft ihr bleiben. Weil wir eine tolle Zeit zusammen haben. Denn wenn du nicht so ein liebes Kind gewesen wärst, hätte ich euch schon nach nur einem Tag zurückgeschickt. Wirst du dir das gut merken?“

Wieder ein Nicken.

„Glaubst du, dass du immer lieb bleiben wirst, Poppy?“

Ich werde schon ganz müde vom vielen Nicken.

„Verstehst du, was ich sage?“

„Ja, Onkelmann“, sagte ich.

„Du musst mich wirklich nicht mehr Onkelmann nennen“, sagte er. „Warum sagst du nicht einfach Papa zu mir? Du weißt doch, dass mir das viel besser gefallen würde?“

Ich wusste nicht, ob ich es ihm wirklich sagen sollte. Er ist einfach kein Papa. Er ist ein Herr. Ein Onkel. Er ist der Boss. In seinem grauen Anzug, mit dem Kopf eines alten Mannes, der Brille und den riesigen Ohrläppchen.

„Es ist nur, weil ich schon einen Papa habe“, sagte ich.

Onkelmann sah mich überrascht an. Vielleicht weiß er es nicht, dachte ich. Vielleicht hatte Mama vergessen, es ihm zu erzählen. Ich hoffte nur, dass es ihn nicht traurig machen würde, aber ich finde, er sollte es schon wissen.

„Deshalb kann ich dich nicht Papa nennen“, erklärte ich ihm, „denn wenn mein Papa zurückkommt, habe ich plötzlich zwei, und vielleicht wird es dann ein bisschen unordentlich.“

Onkelmann rauchte und schüttelte den Kopf. „Du hast keinen Vater mehr.“

„Doch“, sagte ich, „in Köln.“

„Wie bitte?“

„Er hat mit der Musik in Köln die Flatter gemacht. Das hat Oma gesagt.“

Wir standen eine Weile mit dem schwarzen Auto vor einer roten Ampel und schwiegen. Onkelmann rauchte weiter, aber er sah wütend aus. Großmutter Becker kann er nicht leiden. Dabei hat er sie noch nie getroffen, und das will er auch nicht. Er will auch Tante Herta oder Onkel Karl nicht sehen. Tante Herta ist die Mamas Schwester. Sie lebt zusammen mit Onkel Karl und ihren drei Kindern in Hürtgenwald.

Dort sind sie gut aufgehoben, meint Onkelmann. Ich glaube das nicht, weil sie nie Geld haben und weil sie in einem Wald wohnen. Das hört sich gruselig an. Bestimmt ist es ein dunkler Wald, in dem Kinder verschwinden und von Hexen mit glühenden Augen aufgefressen werden.

Oma hat schon siebzehnmal angerufen, um zu fragen, wann sie endlich unser neues Haus besichtigen darf, aber Mama sagt immer, sie sei gerade zu beschäftigt. Viel zu beschäftigt …

Sobald sie aufgelegt hat, sagt sie schnell: „…mit Shoppen, Poppy“, und dann lacht sie laut, aber es klingt nicht vornehm.

Als die Ampel wieder grün wurde, fragte Onkelmann: „Weißt du denn, was mit der Musik die Flatter machen wirklich bedeutet?“

Ich schließe meine Augen und sehe meinen jungen, schönen Vater vor mir. Er läuft ganz hinten in der Musikkapelle.

---ENDE DER LESEPROBE---