Prinzesschen  sucht Mutterliebe - Christine Weyden - E-Book

Prinzesschen sucht Mutterliebe E-Book

Christine Weyden

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Noch einen Blick auf die Kirche, die auf dem weit in den See hinausgeschobenen Felsen stand, jetzt wie eine zierliche Silhouette gegen den nachtblauen Himmel wirkend, noch einen Blick über die Silberfluten, die leise glucksend an das Ufer stießen. Es waren schöne Tage mit Madeleine und Francois Corteuille gewesen, schöne Tage und erfolgreiche Tage. Schade, daß sie zu Ende waren. Er hatte zweimal vierundzwanzig Stunden wie in einer anderen Welt gelebt, losgelöst vom Alltag, in einer Harmonie und in einem inneren Frieden, den er bei sich zu Hause schon lange nicht mehr gefunden hatte. War er selbst schuld daran? War es Désirée? Oder lag es bei keinem von ihnen beiden? Er ließ den Wagen ganz langsam die Uferstraße entlangrollen. Sein Blick galt kaum der Straße, die schon ganz still geworden war, er haftete an einem Schwanenpärchen, das sich wie zwei kleine weiße Schiffchen von den Wellen schaukeln ließ. Was aber jetzt neben den Schwänen wie ein weißer Ball auftauchte, das hatte nichts mit ihnen zu tun. Gregor Hochfeld hatte unwillkürlich den Wagen angehalten. Sein Blick suchte, suchte… Ganz still und unberührt lag die Silberfläche vor ihm, nur das Schwanenpaar schaukelte darauf, sonst nichts. Im nächsten Augenblick war der Mann aus der offenen Limousine. Mit einem Sprung hatte er die niedrige Ufermauer überquert und lief die wenigen Schritte zum Wasser. Im Laufen riß er sich den Rock vom Leib und schleuderte die Schuhe weg. Die Schwäne ruderten eilends davon, als etwas laut ins Wasser klatschte. Mit weitausholenden Stößen hielt Gregor auf die Stelle zu, wo die weiße Bademütze zum letzten Male aufgetaucht war. Er tauchte – und da war ein weißer Leib vor ihm, er griff zu, hart in seiner Sorge, hielt ihn und ließ sich mit ihm zur Oberfläche des Sees emportragen. Felizitas war eine Sekunde lang wie erstarrt vor Schreck. Bilder überstürzten sich in tosender Eile.

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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Fürstenkinder – 90 –

Prinzesschen sucht Mutterliebe

Unveröffentlichter Roman

Christine Weyden

Noch einen Blick auf die Kirche, die auf dem weit in den See hinausgeschobenen Felsen stand, jetzt wie eine zierliche Silhouette gegen den nachtblauen Himmel wirkend, noch einen Blick über die Silberfluten, die leise glucksend an das Ufer stießen. Es waren schöne Tage mit Madeleine und Francois Corteuille gewesen, schöne Tage und erfolgreiche Tage. Schade, daß sie zu Ende waren. Er hatte zweimal vierundzwanzig Stunden wie in einer anderen Welt gelebt, losgelöst vom Alltag, in einer Harmonie und in einem inneren Frieden, den er bei sich zu Hause schon lange nicht mehr gefunden hatte. War er selbst schuld daran? War es Désirée? Oder lag es bei keinem von ihnen beiden?

Er ließ den Wagen ganz langsam die Uferstraße entlangrollen. Sein Blick galt kaum der Straße, die schon ganz still geworden war, er haftete an einem Schwanenpärchen, das sich wie zwei kleine weiße Schiffchen von den Wellen schaukeln ließ. Was aber jetzt neben den Schwänen wie ein weißer Ball auftauchte, das hatte nichts mit ihnen zu tun. Zwei Arme griffen aus den Silberfluten heraus, tauchten wieder ein, ein weißer schlanker Leib schnellte wie ein geschmeidiger Fisch durch das Wasser, der Kopf mit der weißen Bademütze verschwand in den Wellen, tauchte auf, verschwand wieder…

Gregor Hochfeld hatte unwillkürlich den Wagen angehalten. Sein Blick suchte, suchte… Ganz still und unberührt lag die Silberfläche vor ihm, nur das Schwanenpaar schaukelte darauf, sonst nichts.

Im nächsten Augenblick war der Mann aus der offenen Limousine. Mit einem Sprung hatte er die niedrige Ufermauer überquert und lief die wenigen Schritte zum Wasser. Im Laufen riß er sich den Rock vom Leib und schleuderte die Schuhe weg. Die Schwäne ruderten eilends davon, als etwas laut ins Wasser klatschte. Mit weitausholenden Stößen hielt Gregor auf die Stelle zu, wo die weiße Bademütze zum letzten Male aufgetaucht war. Er tauchte – und da war ein weißer Leib vor ihm, er griff zu, hart in seiner Sorge, hielt ihn und ließ sich mit ihm zur Oberfläche des Sees emportragen.

Felizitas war eine Sekunde lang wie erstarrt vor Schreck. Bilder überstürzten sich in tosender Eile. Ein Hai im See? Das konnte es doch nicht geben! Schreien! Nein, das konnte man unter Wasser nicht, sie zumindest nicht. Doch da war Luft… man konnte atmen… jetzt könnte man auch schreien… aber Felizitas tat es nicht, denn da war eine Stimme, atemlos, angestrengt, aber trotzdem von einem seltsamen Wohllaut, tröstend, beruhigend: »Halten Sie nur ganz still, wir sind bald am Ufer…« Sie fühlte zwei Hände, die ihren Kopf über Wasser hielten, dann lag sie auf dem Rücken über einer Brust und wußte im nächsten Augenblick, was das Ganze zu bedeuten hatte: Sie wurde gerettet, vor dem Ertrinkungstod bewahrt!

Felizitas hatte nicht den Mut, den Irrtum aufzuklären, daß sie nur probiert hatte, wie lange sie unter Wasser aushalten könnte, ohne Atem holen zu müssen. Sie war irgendwie überwältigt davon, daß ein ganz fremder Mensch anscheinend ohne zu zögern und zu überlegen, mit den Kleidern ins Wasser gesprungen war, um ihr in vermeintlicher Gefahr zu Hilfe zu kommen. Sie wußte sekundenlang nicht, wie sie sich verhalten sollte, und lag darum ganz still, ließ sich von ihm ans Ufer tragen, fühlte sich auf irgend etwas – es war Gregors Rock – gebettet und dann waren plötzlich Hände um ihren Kopf, von dem längst die Bademütze gerutscht war, sanft, behutsam, hielten ihn, bogen ihn zurück und im nächsten Augenblick lag ein Mund auf dem ihren und versuchte ihr Atem einzuhauchen.

Das war zuviel! Entsetzt riß sie die Augen auf, ihre Hände stemmten sich gegen die Brust des Mannes… und sanken wieder zurück. Denn da waren – im weißen Mondlicht deutlich zu sehen – zwei graue Augen über den ihren, warme, frohe, glückliche Augen, und eine tiefe, schwingende Stimme, die sie schon draußen auf dem Wasser gehört hatte, sagte: »Gott sei Dank, Sie leben! Geht es wieder, ja?«

In der Stimme war so viel Besorgnis, daß ganz jäh und gegen ihren Willen Tränen in ihre Augen schossen. Wie lange war es her, daß sich kein Mensch mehr um sie gesorgt hatte? Eine Ewigkeit erschien es ihr. Und da kam plötzlich ein Fremder, einer, von dem sie gestern noch nichts gewußt hatte und von dem sie in wenigen Minuten wieder nichts mehr wissen würde, nie mehr.

Er mißverstand ihre Tränen.

»Es ist doch alles gut«, versuchte er zu beruhigen und strich – wie man ein Kind streicheln mochte – über das lange honigblonde Lockenhaar, das sich feucht anfühlte. Ein kühler Wind strich über sie dahin, und Felizitas schauerte in ihrem nassen Badeanzug. Da spürte auch der Mann die Kleider kalt an seinem Körper kleben. Es war nicht mehr Sommer. In seiner Angst um das fremde Menschenleben hatte er gar nicht gespürt, wie kalt der See schon war. Er richtete sich auf und sah sich um.

»Bitte, Sie frieren auch, nicht wahr? Der See war sehr kalt. Wohin kann ich Sie bringen? Wo sind Sie zu Hause?«

Sie zeigte über den See hinüber.

»Drüben?« entsetzte er sich. »Sie sind durch den ganzen See geschwommen? Und wollten auch wieder zurück?«

»Ja. Das habe ich jede Nacht gemacht. Bei Nacht gehört der See mir ganz allein. Das ist wunderschön.«

»Aber auch gefährlich, wie Sie erfahren haben.«

Sie widersprach nicht.

»Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause.«

»Wie denn?«

»Oben steht mein Wagen.« Er deutete zur Straße hinauf. »Ich habe Decken im Wagen. Die müssen fürs erste helfen.«

Als er sah, wie sie im kühlen Wind zitterte, bückte er sich, hob seinen Rock auf und legte ihn ihr um die Schultern. Er bedeckte sie bis zu den Knien. »Ich drehe mich um. Ziehen Sie den Badeanzug aus und schlüpfen Sie in den Rock. Das ist noch besser.«

»Ich mache ihn innen ganz naß!«

»Das macht nichts. Bitte!«

Während er seine Schuhe suchte, einen da, den anderen einige Meter weiter weg, streifte sie schnell den Badeanzug ab und schlüpfte in den Rock. Er war viel zu weit. Sie zog ihn eng um sich. Wie wohl das tat! Ein herber Duft stieg aus dem Stoff auf. Sie empfand ihn angenehm und fast ein bißchen aufregend. Aufregend war die ganze Situation, denn sie hatte – obwohl sie schuldlos daran war – ein schlechtes Gewissen. Ihretwegen fror er. Sie sah es, obwohl er es zu verbergen suchte.

»Darf ich mich umdrehen?« fragte er, nachdem er mit Mühe die Schuhe über die nassen Strümpfe gezogen hatte.

»Bitte!«

Er lächelte, als er sie in seinem Rock so stehen sah, die langen Haare, verlegen wie ein Kind, mit einer Hand zusammendrehend, während sie mit der anderen den Rock hielt. Wie jung sie war! Und – wie schön! Voll lag das Mondlicht auf dem schmalen Antlitz, in dem übergroße tiefblaue Augen standen. Sie wirkten fast so dunkel wie der Nachthimmel.

Er streckte die Hand aus, sie ließ die Haare los und faßte nach seiner Hand. »Laufen wir?«

Sie liefen zusammen, Hand in Hand, das Ufer hinauf und die Straße entlang, bis zum Wagen, nachdem der Mann Felizitas mühelos wie ein kleines Kind über die Ufermauer gehoben hatte. Er holte zwei Autodecken aus dem Kofferraum, legte sie ihr in den Arm und schloß dann das Dach seiner Limousine. »Vom Wind haben wir für heute genug.« Er ließ sie neben dem Fahrersitz einsteigen, nachdem er ihr eine Decke abgenommen und sie ihr eng um die Hüften gewickelt hatte. Sie konnte sich kaum bewegen. Felizitas lachte leise auf. Gott sei Dank, sie kann schon wieder fröhlich sein! dachte er und horchte diesem warmen Lachen nach, das tiefer als ihre Sprechstimme war. Das böse Erlebnis scheint sie überwunden zu haben.

Felizitas aber lachte, um nicht weinen zu müssen. Was hatte sie denn nur? Sie war doch sonst in keiner Weise sentimental veranlagt. Aber irgend etwas war eben heute, in dieser Stunde, anders als sonst.

Gregor hatte für sich das gleiche getan wie für Felizitas: ebenfalls eine Decke genommen. Er schaltete die Heizung ein.

»Oh, wie gut!« sagte Felizitas dankbar.

»Und wohin jetzt?« fragte Gregor.

»Über den See. Nach St. Georgen.«

»Ich hoffe, es führt eine Straße dorthin.«

»Ja, das schon; aber Sie müssen um den ganzen See herum. Haben Sie so viel Zeit? Ich könnte eigentlich…«

»… wieder zurückschwimmen?«

»Ja.«

»Das wollen wir doch lieber nicht riskieren.«

Sie verschwieg, daß sie das beinahe jeden Abend »riskierte«. Er hatte so menschlich, kameradschaftlich gehandelt. Sie wollte seinen Einsatz für ein fremdes Menschenleben nicht dadurch entwerten, daß sie ihm gestand, sein Rettungswerk sei zwar sehr nett, doch völlig überflüssig gewesen. Sie sah ihn von der Seite her an, er fühlte den Blick, wandte kurz den Kopf – da waren seine grauen, liebevoll besorgten Augen wieder ganz nahe, sahen sie – unbewußt – fast zärtlich an. Nein, diese Enttäuschung konnte sie ihm keineswegs zufügen.

Sie drückte sich fest gegen die Polsterung ihres Sitzes, die kleinen nackten Füße stemmten sich gegen die Wand des Wagens. Wie warm und wohlig ihr war! Jetzt den Kopf zurücklehnen, die Augen schließen, träumen… träumen…

Erschreckt fuhr sie auf, sah in lächelnde Augen. »Habe ich vielleicht geschlafen?«

»Und wie gut!«

»Verzeihen Sie, die Wärme, mir war so wohlig. Wo sind wir denn?«

»In St. Georgen. Aber jetzt weiß ich nicht weiter.«

»In St. Georgen schon? Furchtbar! So lange habe ich geschlafen!«

»Wohin soll ich jetzt fahren?«

»Noch ein Stückchen weiter bitte. Das letzte Häuschen im Ort.«

Er fuhr an, langsam, fast lautlos rollte der Wagen die schmale Uferstraße entlang.

»Hier!« Sie sah ihn unschlüssig an. Was jetzt? Sie konnte doch nicht einfach nur danke sagen, sonst nichts. Da fühlte sie den Stoff seines Rockes unter ihrer Hand. Den mußte sie ihm doch zurückgeben! Und seinen Anzug mußte er doch trocknen und vielleicht eine Tasse heißen Kaffee trinken. Sie konnte ihn doch nicht so durchnäßt weiterfahren lassen! Schließlich war er ja um ihretwillen in den kalten See gesprungen.

»Bitte!« sagte sie nur, als sie aus dem Wagen herausgerutscht war. Sie sah, wie er fröstelte und die Decke enger um seine Schultern zog. »Bitte kommen Sie! Ich mache Feuer im Kamin. Sie trocknen Ihre Kleider, und dann trinken wir etwas Heißes!«

Das Häuschen, das von außen eher klein ausgesehen hatte, zeigte sich innen als ein ziemlich großer Raum, der warm und anheimelnd wirkte. Schlichte, aber hübsche Möbel, kunterbunt, aber sichtlich liebevoll zusammengetragen, füllten ihn aus. Noch in seinem Rock und in der Decke, kauerte sich Felizitas nieder, schichtete Holz auf Papier, griff nach einer großen Zündholzschachtel auf dem Kaminsims, strich ein Hölzchen an und hielt es an ein Papiereckchen. Eine Flamme züngelte auf, Felizitas wandte den Kopf, das Haar umleuchtet von rotem Schein. »Gleich wird es warm sein!« Ein bißchen verlegen sah sie an seiner schier riesenhaften Gestalt empor und meinte schließlich: »Mit einigen Badetüchern wird es schon gehen!« Hinter ihr prasselte bereits das Holz. Gregor bückte sich und hielt seine Hände in die Nähe der Flammen. Ganz nahe waren ihre Augen einander, seine grauen, ihre blauen. Ihre Lippen waren ein wenig geöffnet, es wirkte, als ob sie etwas atemlos wäre. »Ich, ich hole die Tücher für Sie. Ich bin gleich wieder da.« Sie stand auf, stolperte über ihre Decke. Gregor hielt sie fest. »Ich bin Felizitas«, sagte sie, und es klang irgendwie hilflos.

»Und ich Gregor«, antwortete der Mann. Er gab sie frei. Sie ging auf eine Tür zu, die er noch gar nicht als Tür erkannt hatte, so fügte sie sich in die Täfelung des Raumes, öffnete sie und ließ sie halb hinter sich offen stehen. Wohl ein Schlafraum nebenan, schloß er. Sie kam mit zwei großen Tüchern zurück, die sie unter einen Arm geklemmt hatte.

»Anderes habe ich leider nicht zu bieten, meine Schlafröcke wären Ihnen alle zu klein.« Bei dieser Vorstellung mußte sie lachen, und der Mann horchte wieder diesem warmen Lachen nach, das er nie mehr aus der Erinnerung verlieren sollte. »Bitte hängen Sie nur Ihre Kleider über die Sessellehnen ans Feuer. Und wenn Sie so nett wären, Holz nachzulegen, damit sie schneller trocknen. Ich ziehe mich nur um, dann mache ich uns… ja, was mögen Sie jetzt am liebsten? Tee, Kaffee, Punsch, Glühwein…?«

»Wenn ich wählen darf: viel heißen Tee, sehr stark, ganz schwarz, mit einem Schuß Kognak und etwas Milch.«

»Nicht gesund!« stellte sie fest.

»Aber gut!«

Als sie wiederkam, ein Tablett in der Hand, hatte sie sich in einen flauschigwarmen Hausanzug gehüllt, der sie ganz schmal und zerbrechlich erscheinen ließ. Die Haare waren mit einem Band hochgebunden, was ihr ein fast kindliches Aussehen verlieh. Wie alt sie sein mag? rätselte der Mann. Sie könnte genausogut fünfzehn wie fünfundzwanzig sein. Nein, fünfzehn doch nicht, der Feuerschein trügt. Dieses Gesicht weiß schon von der Schwere des Lebens.

Felizitas war an der kleinen Tür stehengeblieben. »So habe ich mir Caesar oder Augustus vorgestellt. Toll, wie Sie das gemacht haben! Eine Toga aus Badetüchern!« Noch immer mit dem Tablett in den Händen, ging sie bewundernd um ihn herum.

»Ja, nur ist es mir rätselhaft, wie Caesar oder Augustus ohne Sicherheitsnadeln auskommen konnten. Wenn ich Tee trinken und zur Schale greifen soll, aus ist’s mit der Toga!«

»Das wollen wir nicht riskieren!« Felizitas lachte fröhlich. »Ich hole für den armen Augustus Sicherheitsnadeln.«

Mit ihrer Hilfe wurde die römische Festkleidung gerettet, der Kamin bekam noch reichlich Futter, dann lief der dunkelbraune Strahl aus der bauchigen Kanne in die großen Schalen.

»Sie leben auch so ungesund?« fragte er.

»Nur ganz selten. An besonderen Tagen.« Eine kleine Röte huschte in ihre Wangen. Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen. Ihr größter Fehler war, daß sie so impulsiv aussprach, was sie dachte und fühlte. Das konnte einmal mißverstanden werden. Aber Gregor erriet nicht, was diese wenigen Worte eigentlich hatten sagen wollen. Er fand es ganz richtig, daß dieser Tag ein besonderer für sie war, war ihr doch gleichsam zum zweitenmal das Leben geschenkt worden, wie er glaubte.

»Oh, wie dumm von mir!« sagte sie plötzlich. »Ich habe doch heute früh Kuchen gebacken! Hätten Sie Appetit auf ein Stück Kuchen?«

»Auf zwei!« gestand er. »Ich habe einen Bärenhunger.«

»Hunger? Dann vielleicht noch besser schwarzes Brot und Landschinken und Käse, wie ihn unsere Bauern hier selbst zubereiten?«

»Mein Hunger nimmt Riesenausmaße an!«

»Dann kommen Sie doch! Wollen Sie mir helfen?«

»Gern!«

Die Tür führte nicht in einen Schlafraum, wie er gedacht hatte, sondern in eine kleine Küche. Felizitas sah seinen Blick und lachte.

»Wollen Sie wissen, was dahinter ist?«

»Aber nein, verzeihen Sie…«

»Ein Ziegenstall.«

»Ein was…?«

In ihren Augen tanzten kleine Irrlichter vor Vergnügen. »Wirklich! Da war einmal ein Ziegenstall – noch als ich das Häuschen erwarb. Und mein kleines Schlafzimmer wird immer ›mein Ziegenstall‹ heißen.«

Sie hatte eine schmale Tür geöffnet, die eine Wandnische abschloß. Auf Regalen standen, säuberlich aneinandergereiht, Gläser mit Früchten und Marmeladen, Flaschen mit Likören und Kognak, dazwischen ein dickbauchiger, sichtlich uralter Topf aus Steingut.

»Ein Rumtopf«, erklärte Felizitas hörbar stolz. »Mein Rumobst müßten Sie kosten! Aber leider darf man den Topf erst zu Weihnachten öffnen!«

Gregors Blicke wurden von einer großen Brotdose angezogen und zwei Tellern daneben, auf denen Schinken und Käse lagen. Felizitas nahm die Dose und drückte sie Gregor in die Hände.

»Wollen Sie uns Brote schneiden, bitte? In der Tischlade finden Sie Brotmesser. Bitte nehmen Sie auch gleich Messer für Schinken und Käse heraus.«

Gregor hielt mit einer Hand die große Brotdose, mit der anderen Hand zog er die Tischlade auf. Messer gab es da! Welches war nun das Brotmesser, welches das Fleischmesser und welches für Käse?



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