Professor Zamorra 1173 - Thilo Schwichtenberg - E-Book

Professor Zamorra 1173 E-Book

Thilo Schwichtenberg

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Beschreibung

Diese verwirrten Seelen. Sie riefen erneut die falschen.
Er strich durch seine wieder braun gewordenen Locken und lächelte nachsichtig.
Aber war es denn ein Wunder? Manchmal benahmen sich Kinder nun einmal so. Vor allem nach ihrer Bestrafung. Und der Verbannung der Schuldigen.
Aus seinen Fingerkuppen schoss das weiße Gespinst, umhüllte die Rebellierenden immer und immer wieder.
Er würde Milde walten lassen. Immerhin war er ihr Vater. Ihm gehörte ihre Kraft, mit der er der Erde und ihren Bewohnern schon bald den ewigen Frieden bringen würde.
Denn er war der Hüter des Grals.
Und niemand sonst!

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Inhalt

Cover

Impressum

Hüter des Grals

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8065-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Hüter des Grals

von Thilo Schwichtenberg

Diese verwirrten Seelen. Sie riefen erneut die falschen.

Er strich durch seine wieder braun gewordenen Locken und lächelte nachsichtig.

Aber war es denn ein Wunder?

Manchmal benahmen sich Kinder nun einmal so.

Vor allem nach ihrer Bestrafung.

Und der Verbannung der Schuldigen.

Aus seinen Fingerkuppen schoss das weiße Gespinst, umhüllte die Rebellierenden immer und immer wieder.

Er würde Milde walten lassen. Immerhin war er ihr Vater. Ihm gehörte ihre Kraft, mit der er der Erde und ihren Bewohnern schon bald den ewigen Frieden bringen würde.

Denn er war der Hüter des Grals.

Und niemand sonst!

Südtirol, Dolomiten

Land der Seelenlosen, Laurins Reich

Zärtlich berührten seine Finger die Rosenblüte. Sie leuchtete in einem hellen Rot und an den Blatträndern golden. Am Grund der Blühte flammten Gelb und Orange.

»Wir zwei sind uns ähnlich«, sagte er milde. »Du verblühst und ich mit dir.«

Er beugte sich leicht zu ihr hinab und sog den Duft in sich hinein.

Laurin lächelte. Die Blüte verströmte einen Rest von Süße, von samtiger Glätte. Es kitzelte in seiner Nase. Er rieb und drückte sie mit den Fingern.

Nein, ein König durfte nicht niesen. Das wäre gegen die Würde.

Doch die Blüte verströmte ebenfalls einen Hauch von Melancholie, von Verwelken und …

Laurin schloss die Augen. Ja, und auch von Tod.

Dann ließ er seinen Blick über die Wiese schweifen. Der Albe kniff dabei die Augenlider leicht zusammen. Jetzt sah er etwas deutlicher.

In das Gras, obwohl es, flüchtig betrachtet, sattgrün erstrahlte, hatten sich mehr gelbe Fäden gemischt, als er sich eingestehen wollte. Einzig der Bach, der sich durch die Wiese schlängelte, plätscherte lustig vor sich hin. Es war warm und doch überzog den Albenkönig eine leichte Gänsehaut.

Ja, so vergilbt wie das Land der Seelenlosen, so fühlte sich auch Laurin, der Herrscher des Rosengartens.

Er widerstand dem Versuch, sich hinzuknien und in das klare Wasser zu blicken. Abgesehen von den schmerzenden Knien, würde er doch nur ein verblassendes Engelgesicht sehen.

Über Jahrhunderte hinweg schien ihn die Zeit vergessen oder besser gemieden zu haben. Sein immerjunges Gesicht wollte einfach nicht altern. Doch jetzt, wo er sein Ende fühlte, da konnte es mit dem Verfall nicht schnell genug gehen.

Der Albe streckte sich so gut es eben ging. Seine Knochen knackten fast schon rhythmisch.

Die rechte Hand umschloss den silbernen Knauf seines Stockes fester, dann setzte er sich in Bewegung.

Schmetterlinge umflatterten ihn träge. Nicht viel, und die leicht ausgeblichenen Falter würden wie Herbstlaub zu Boden segeln.

Es raschelte zu seinen Füßen. Der Albe stutzte. Wo kamen denn hier Blätter her? Auf dieser Wiese standen keine Bäume. Es gab nur an ihren Rändern die Dornenhecken. Oder waren es doch Insekten? Laurin kniff nochmals die Augenlider zusammen. Zwecklos. Der Boden blieb seltsam unscharf.

Wie auch immer. Es waren sicher nur Blätter.

Laurin seufzte unmerklich. Die Wiese schien einmal mehr eine Oase der Ruhe. Nichts und niemand würde ihn hier stören. Weder Götter noch Menschen, weder ERHABENE noch Dämonen.

Mochte diese sich immer schneller drehende Welt in Kürze ohne ihn zurechtkommen. Er, der König, war müde, hatte sich genug um seine Berge gekümmert. Jetzt waren andere dran.

Noch einmal blieb er stehen, lauschte. Tatsächlich. Die Geräusche fehlten, einzig der Bach schien noch jugendlich zu perlen.

Wo waren die Tiere?

Die Tiere, einst junge Menschenfrauen, von Sintram benutzt und der Seele beraubt und dann in vielerlei Getier verwandelt. Sintram, der Verräter, der sich durch eine magische Intrige lange Zeit auf Laurins Thron behaupten konnte und dem die Gier nach Macht schlussendlich doch zum Verhängnis geworden war.

Der Albe gestattete sich ein in königlicher Würde geseufztes »Ach«. Was war nur aus all den Gefährten geworden? Die meisten von ihnen waren schon lange vor ihrem Herrscher in den Dom der Unsterblichkeit eingekehrt. In die Höhle der bestatteten Helden. Die letzte von ihnen war seine mehr als treue Schildmaid gewesen, die vor ein paar Monaten ihr Leben für das Seinige gegeben hatte. Also: Wieso klammerte er sich noch an das Leben? Es war keiner mehr da, mit dem er über das Goldene Zeitalter reden konnte. Nithart, sein ehemaliger Kanzler, oh ja, der lebte noch. Doch konnte man es wirklich Leben nennen?

Plötzlich fühlte Laurin Wärme in sich aufsteigen. Aldebaran … in seinen Armen lag die Zukunft des Rosengartens. Der junge Albe war mittlerweile weit mehr für Laurin geworden als nur ein getreuer Untertan. Schon fast konnte er Aldebaran einen Sohn nennen. Seinen Sohn.

Vielleicht sollte er Dietrich von Bern einen letzten Besuch abstatten? Sein einstiger Gegner und späterer Kampf- und Weggefährte, ja, er weilte noch unter den Lebenden. Aber nein, mit Dietrich wollte er nicht tauschen. Nein, so viel Kraft besaß er nicht mehr, um dem Freund beizustehen, geschweige denn zu ersetzen.

Und außerdem, der Albe gestattete sich erst ein flüchtiges Lächeln, dann schüttelte er den Kopf, war ihm das Reisen zur Last geworden. Er wollte nicht mehr reisen. Er wollte seine letzten Tage ohne Aufregung verbringen.

Jetzt, wo endlich alles gut war.

Fast wäre er gestolpert. In letzten Moment konnte sich Laurin mit dem silbernen Gehstock abfangen. Aldebaran hätte jetzt sicher vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt. Doch Laurin war in letzter Zeit am liebsten allein unterwegs.

Es musste viel nachgedacht und vor allem bedacht werden.

Sein Blick fiel nach unten. Ein schwarzes Etwas lag vor seinen Füßen. Laurin bückte sich ächzend und strich mit der Hand darüber. Es war ein Panther! Ja, diese Tiere besaßen solch ein herrliches Fell. Noch einmal strich Laurin über den Körper. Der Panther fühlte sich seltsam kalt an. Und wenn es der Albe recht bedachte, war der geschmeidige Körper leicht strohig und hart.

Der Albe richtete sich auf. »Es ist alles gut!«, zischte er wütend. Er war der König. Ihm stand es zu, Dinge ignorieren zu können!

Er umklammerte den Stockknauf fester und stieß damit immer wieder in den Boden.

Dann schloss er die Augen. »Das ist mittlerweile der vierte Panther«, presste er hervor.

Ignoriere das Problem, machte sich eine innere Stimme bemerkbar. Bald schon sind alle Tiere im Land der Seelenlosen tot. Und du bist es auch. Sollen sich andere darum kümmern.

»Nein!« Laurin öffnete die Augen. »Ich bin der König der Dolomiten! Es ist eben nicht alles gut! Und ich werde ein geordnetes Reich hinterlassen.«

Er ignorierte den stechenden Schmerz in den Knien, als er den toten Panther untersuchte. Immer und immer wieder strich er ihm durch das Fell. Seine leicht zitternden Finger prüften gewissenhaft den Kopf, den Hals, den Bauch und die Lenden, die Beine und Pfoten.

Wie immer nichts. Keine Wunde, kein Knochenbruch, keine Gewaltanwendung.

Wurden die Tiere etwa vergiftet?

Vielleicht ist es ein natürlicher Prozess, gab die innere Stimme zu bedenken.

»Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich werde die Wahrheit herausfinden!«

Laurin spürte, wie ihn neuer Lebenswille durchströmte. Jetzt musste er Aldebaran finden. Gemeinsam mit seinem Zögling würde er schon hinter das Geheimnis kommen.

Deutschland, Harz

Aussichtspunkt Böser Kleef, unweit von Todtenrode

»Glaubst du, dass hier heute noch etwas Unschönes passiert?«

André verschluckte sich fast an der Flasche Harzer Grubenlicht. »Wie kommst du denn jetzt da drauf?«

Sven sah ihn kurz an. »Ich mein ja nur. Immerhin befinden wir uns am Bösen Kleef bei Todtenrode.«

»Und?« Der kräftige Mittvierziger schaute den Kumpel noch immer verständnislos an.

Sven lächelte entschuldigend. »Da stecken die Wörter böse und Tote drin.«

André drückte den Rücken gegen die Lehne der Holzbank, sodass es kurz knarzte, und streckte die Füße ganz weit von sich. Dann ließ er sie wieder sinken und reichte seinem fast schon ausgezehrt wirkenden Gegenüber die Flasche. »Manchmal verstehe ich dich echt nicht. Du stehst voll auf Gruselfilme, und du nimmst ein Kissen mit ins Kino, nur, um es dir bei allen Horrorszenen vors Gesicht zu halten. Du ziehst dir The Walking Dead zu Hause rein und lässt dann die Festbeleuchtung die ganze Nacht brennen. Du liest Mysteryromane und guckst dann unters Bett.«

»Und in den Schrank.« Sven grinste schief.

»Und in den Schrank.« André rollte mit den Augen. »Und dann willst du gerade hier in der freien Natur übernachten, wo die Wörter böse und Tote drin stecken. Du bist echt unglaublich.«

»Na ja«, Sven zuckte mit der Schulter, »nur so kann ich authentisch schreiben.«

»Und das kommt noch dazu«, pflichtete ihm André bei und strich durch seine stoppeligen roten Haare. »Selbst vor deiner eigenen Schreibe hast du Schiss.«

»Deswegen habe ich mir ja die wärmere Jahreszeit ausgesucht. Da bleibt es an diesem Ort sehr lange hell. Und außerdem …«

»Und außerdem?«

»Außerdem bist du ja da.«

André machte große Augen. »Was soll das denn heißen?«

Sven grinste kurz und kratzte sich am blonden Stoppelbart. »Du bist der Kraftprotz, ich nur der Hänfling. Du wirst mich ja wohl beschützen, wenn mir jemand an die Wäsche will.«

»Ich dachte, wir sind hier, damit du deine Angst ein für alle Mal besiegst? Wie komme ich denn dann schon wieder dazu, dich zu beschützen?«

»Na, ich dachte, weil du mein bester Freund bist.«

André nahm Sven die Flasche weg. »Das ist echt kein Wunder, dass es keine Frau auf Dauer mit dir aushält. Du bist ja sowas von kompliziert. Prost.«

»Beschützt du mich nun?«

Der Rothaarige grinste. »Muss ich ja wohl. Sonst passt ja keiner auf dich auf.«

Sven grinste triumphierend. »Deswegen bist du auch mein bester Kumpel. Und wenn eure Kinder aus dem Haus sind …«

»… ziehst du bei uns ein. Ich hab’s befürchtet.« Nun grinste auch André.

Sven nahm ihm die Flasche ab und sah befriedigt ins Tal. Es tat unheimlich gut, einen besten Freund zu haben. Nicht jeder konnte das von sich behaupten.

Das Harzer Grubenlicht schmeckte wie immer vorzüglich. Wohlige Wärme durchfloss seinen Körper. Sven brauchte längst nicht so viel wie André, um einen angenehmen Effekt zu erzielen, immerhin war an ihm so gut wie nichts dran. Er nahm einen weiteren Schluck und ließ die Flüssigkeit ein Weilchen im Mund. Das Aroma der Kräuter entfaltete seine ganze Magie auf der Zunge. Außerdem war das Grubenlicht nicht ganz so süß wie der andere und bekanntere Kräuterlikör aus dem Harz. Wenn er jetzt ein Luchs gewesen wäre, hätte er vermutlich geschnurrt.

Unter ihnen leuchteten bereits die Lichter von Altenbrak. Sven verzog das Gesicht. Ja, langsam drohte das Unvermeidliche auch in der wärmeren Jahreszeit: Die Sonne schickte sich an unterzugehen.

Jetzt überzog sie bereits mit ihrem goldenen Schein die gegenüberliegenden Bergwiesen. Unmerklich krochen die Schatten höher, und mit ihnen kam die Kälte.

Der ruhige Aussichtspunkt lag oberhalb des Bodetals mitten im Wald. Der kleine Rastplatz war mit knarzig knotigen Eichenbäumen umsäumt. Ihre Wurzeln überzogen den Granit wie Krampfadern Waden und Schienbein.

»Was meinst du?«, riss ihn André aus den Gedanken. »Übernachten wir hier draußen auf den beiden Bänken oder ziehen wir uns in die Hütte zurück?«

»Wie hättest du es denn gerne?«

André nahm einen Schluck aus der Flasche. »Ich glaube nicht, dass meine Meinung hier wirklich zählt.«

Sven schmunzelte. »Du am Eingang, ich dahinter.«

»So wird das nie was mit der Angst besiegen. Sag mal, wenn mir wirklich was passiert. Was machst du dann eigentlich? Wegrennen geht ja nicht, du bist dann in der Hütte gefangen.«

Der Blonde schluckte. »Manno. So hab ich das noch gar nicht betrachtet.«

Der Rothaarige zwinkerte kurz mit dem rechten Auge. »Solltest du mal drüber nachdenken.«

Bald lagen sie in ihren Schlafsäcken auf den Isomatten im Inneren der Hütte.

Die Wärme tat gut, fand Sven. Obwohl Mitte Mai, konnten die Abende durchaus noch recht kalt werden. »Hast du dir eigentlich einen Knüppel besorgt?«, fragte er in das Dunkel der Hütte.

Doch André antwortete nicht mehr. Sein Atem ging gleichmäßig.

»Na toll«, maulte Sven. »Dann weiß ich ja auch, was gleich passieren wird.«

Er sollte recht behalten. André fing lautstark an zu schnarchen.

Wenn er dadurch nur nicht irgendwelche zwielichtigen Dinge anziehen würde. Sicherheitshalber stieß Sven seinen Kumpel noch einmal an. Aber das blieb letztendlich zwecklos. Auch das hatte er schon vorher gewusst.

André hat recht. Ich muss meine Angst besiegen. Sven starrte an die Decke. In drei Jahren werde ich fünfzig. Das ist ja voll peinlich.

Wenigstens schnarchte sein Kumpel derzeit nicht.

Du musst jetzt endlich schlafen, verdammt! Doch je mehr er schlafen wollte, umso wacher wurde er.

Draußen schabte etwas über den Fels. Kacke!

Das Schaben widerholte sich. Sollte er André wecken?

Aber der würde ihm schön was husten.

Na bitte. Das Geräusch war verstummt.

Was es wohl gewesen sein mochte? Ein Marder, der das rechte Hinterbein hinter sich herzog? Oder gar ein Zombie?

Der Schlafsack war jetzt plötzlich viel zu warm!

Aber was sollten Zombies gerade hier oben am … Bösen Kleef von Todtenrode. Mist!

Strich oder besser wischte jetzt nicht etwas über Andrés Schlafsack?

Sollte er nachschauen? Oder sich in seinem eigenen Schlafsack verbarrikadieren? Was dachte er denn da? Er konnte doch André nicht alleine lassen. Da wäre er ja ein super Freund!

Jetzt fing der Kraftprotz schon wieder an zu schnarchen. Und nun? Wie konnte man denn jetzt noch die Geräusche hören?

Sven spürte das Herz im Hals pochen. Vielleicht hob er einfach mal den Kopf? Aber das machte Geräusche, und die Taschenlampe lag neben dem Kissen!

Millimeter für Millimeter hob Sven seinen Kopf. Bald schmerzte ihm der Hals, dann fing er ob der Kraftanstrengung an zu zittern. Doch es reichte. Er sah Andrés Silhouette in der Hüttenöffnung.

Und leider auch den Wurzelstrang.

»André!« Sven schrie aus Leibeskräften.

Der Kumpel saß sofort aufrecht. »Sag mal, hast du sie noch alle?!«

»Da, da, da … war eine Wurzel.«

»Na und?« Der Rothaarige kramte in seinen Taschen und zog die Taschenlampe heraus. Dann leuchtete er nach draußen.

»Die, die … war auf deinem Bauch!«

»Du solltest weniger trinken«, knurrte André gereizt. Er mochte es nicht, so geweckt zu werden.

»Wenn ich es dir doch sage! Die Wurzel war auf deinem Bauch und hat gewinkt.« Sven biss sich auf die Zunge.

»Die hat was?« Der Rothaarige leuchtete Sven voll in die Augen.

»Na ja, so gewackelt, wie ein Dackelschwanz.« Kacke, das war schon wieder die falsche Wortwahl.

»Du bist mir auch so ein Dackelschwanz.« André drehte sich wieder um und leuchtete in die Dunkelheit vor der Hütte. »Moment, was ist denn das?«

»Hör auf mir Angst einzujagen!« Sven konnte ja verstehen, dass sein Kumpel jetzt sauer war, aber das war zu viel.

Im nächsten Moment verließ André seinen Schlafsack.

Nein, korrigierte sich Sven. André wurde aus seinem Schlafsack gezogen! Er gurgelte und röchelte. Dann stieß sein Körper irgendwo an.

Etwas riss, etwas schabte, etwas zog. Etwas fiel oder besser platschte auf den Granit. Dann kehrte Ruhe ein.

Nur die Taschenlampe strahlte als Laserschwert in Richtung Firmament.

Sven konnte nicht schreien. Er konnte gar nichts. Er saß im Schlafsack, eingemauert in einen Panzer von Gänsehaut.

Da begann das Schmatzen.

Schreien? Weglaufen? Sitzenbleiben? Ignorieren?

In seinem Kopf schossen die Gedanken wild durcheinander.

Und doch blieb Sven seltsam ruhig.

Das, was da vor der Hütte passierte, geschah in Filmen, aber nicht in der Realität. Alles war erklärbar.

André hatte viel Grubenlicht genossen. Jetzt musste er sich eben übergeben. Das tat er immer, im Gegensatz zu Sven, der alles im Magen behielt und sich lieber einen ganzen Tag mit krankem Magen und drehenden Gehirnwindungen durch die Gegend schleppte.

Doch es war kein Würgen. Es war ein Zischen und Ziehen und Rutschen und Schmatzen.

Die Gänsehaut kam plötzlich in Wallung. Wie das Meer brandete sie bis zu den Ohren. Selbst die Schläfen zogen sich rhythmisch immer wieder zusammen.

Mechanisch tastete er neben sich, ergriff die Taschenlampe.

Da kippte der Lichtkegel von Andrés Taschenlampe zur Seite.

Dort lag etwas. Sah es nicht aus wie ein großer Klumpen Fleisch? Dunkelrot schillerte es im Strahl der Lampe. Da waren Stümpfe. Da waren Adern, die sich darüber hinwegschoben.

Hatte André Wort gehalten? Hatte er sich für Sven geopfert? Dann war jetzt die Zeit zum Weglaufen!

Ruckartig leuchtete Sven mit seiner Lampe ebenfalls nach draußen. Dort, am Durchgang der Hütte, am Rahmen in Hüfthöhe, was war das?

Wurzeln? Finger? Wurzelfinger?

Auf jeden Fall tasteten sie, wiesen in das Innere, wiesen auf Sven.

Dann war Stille!

Das Schmatzen schien vorbei. Doch irgendetwas hämmerte von innen an seine Ohren!

An der Rückwand der Hütte begann es zu schaben, zu wischen. Holz raspelte über Holz. Dann schien sich etwas in die Latten zu bohren.

Es kam von hinten!

War das alles real? War es ein Albtraum? André hatte das sicher alles hier ganz groß aufgezogen. Ja, er, Sven, würde heute Nacht seine ganze Angst verlieren. Er musste keine Angst haben. Nie mehr. Das Grauen kam. Mit und ohne Angst. Endlich hatte er es begriffen!

Etwas berührte seine Wange! Ganz zart schabte etwas Raues darüber. Dann versuchte es sich vorsichtig ins Fleisch zu drücken.

Sven stand auf. Woher er die Kraft fand, wusste er nicht.

Etwas griff um seinen linken Knöchel. Holz!

Er zog im Reflex das Bein weg, stolperte fast aus der Hütte, hielt sich am Rahmen und in diesen Strängen fest. Oder hielten diese ihn fest?

Der Lichtkegel wischte durch die Dunkelheit. Keine zwei Meter entfernt stand aufrecht eine riesige Wurzel. Falsch, korrigierte sich Sven. Das war ein Wurzelwesen. Mit Beinsträngen und Armsträngen, die in ellenlangen Wurzelklauen hier am Rahmen endeten. Mit einem knorrig knotigen Wurzelrumpf und einem entfernt menschlich aussehenden Wurzelkopf.