Professor Zamorra 1195 - Oliver Müller - E-Book

Professor Zamorra 1195 E-Book

Oliver Müller

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Beschreibung

Sie hielten ihn für tot. Seit langer Zeit schon. Doch sie täuschten sich. In dieser Nacht änderte sich alles für ihn. Er hörte das Splittern des Glases, spürte die Berührung und fühlte, wie die Fesseln von ihm abfielen.
Er war wieder frei!

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Inhalt

Cover

Impressum

Wenn das Böse wiederkehrt …

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Breakermaximus/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9408-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wenn das Böse wiederkehrt …

von Oliver Müller

Sie hielten ihn für tot. Seit langer Zeit schon. Doch sie täuschten sich. Er war gefangen, das stimmte. Aber er bekam alles von seiner Umwelt mit. Bilder und Eindrücke fanden ihren Weg in seinen gefesselten Körper, in dem ein betäubter Geist steckte.

Tag für Tag. Nacht für Nacht.

Wobei die Nächte eintönig und still waren. Zeit hatte mittlerweile jede Bedeutung für ihn verloren. Doch in dieser Nacht änderte sich alles für ihn. Er hörte das Splittern des Glases, spürte die Berührung und fühlte, wie die Fesseln von ihm abfielen.

Er war wieder frei!

Prolog

Ende des 19. Jahrhunderts, in der Nähe von Hoyerswerda

Der Wind schlug ihm eisig ins Gesicht. Auch der hochgestellte Kragen bot dem einsamen Wanderer kaum Schutz, zu heftig jagten ihm die Böen entgegen. Stattdessen verfingen sich die dicken Schneeflocken dahinter, schmolzen und liefen ihm als Eiswasser den Rücken hinab. Die Kälte fraß sich immer tiefer in seinen Körper.

Dort vereinigte sie sich mit der Kälte der Angst, die in ihm steckte und sein Herz mit eisigen Krallen umklammerte. Gleichzeitig brannte die Furcht wie ein Feuer, das ihn unerbittlich vorantrieb. Ansonsten hätte er sich vielleicht schon nicht mehr auf den Beinen halten können, denn jeder Schritt fiel ihm schwerer als der vorige.

Der Schnee fiel seit Stunden vom wolkenverhangenen Himmel und bildete einen weißen Vorhang, der ihm die Sicht erschwerte. Aber er kannte den Weg in- und auswendig, auch wenn er ihn nicht oft ging, und würde sein Ziel daher ohne Probleme finden.

Dabei würde er liebend gerne darauf verzichten, diesen Weg gehen zu müssen. Aber er brauchte Hilfe, und er hoffte, man würde sie ihm nicht verwehren. Sicher war er sich da ganz und gar nicht. Wenn er ehrlich war, befürchtete er, eine harte Abfuhr zu kassieren.

Der Schnee knirschte unter den Sohlen seiner derben Schuhe, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Der Boden darunter war vom tagelangen Regen, den es vor dem Kälteeinbruch gegeben hatte, aufgeweicht und machte das Weiterkommen zur Mühsal. Es kostete ihn Kraft, die Füße aus dem Schnee, der ihm mittlerweile bis weit über die Knöchel reichte, zu ziehen und beim Aufsetzen sicheren Stand zu finden. Es war, als wollte auch die Natur verhindern, dass er Hilfe bekam.

Aber es gab kein Zurück. Er musste das Dorf und die dazugehörige Kirche erreichen. Es gab zwar auch einen Arzt im Dorf, aber es hatte keinen Sinn mehr, ihn aufzusuchen. Dafür war es zu spät. Seine Frau würde sterben.

Sie selbst hatte es ihm gesagt, auch wenn er es ihr nicht glauben wollte. Einfach nicht konnte. Doch er wusste, es war die Wahrheit. Ihr Lächeln, in das er sich einst verliebt hatte und das sie trotz der starken Schmerzen immer noch wunderschön aussehen ließ, hatte ihre Worte bestätigt. Sie hatte es ihm immer geschenkt, wenn er nicht auf sie hören wollte und sie aber wusste, recht zu haben.

Es quälte ihn, nichts für sie tun zu können.

Er richtete den Blick gen Himmel, als würde er etwas darin suchen. Obwohl ihm der Schnee in die Augen fiel, blinzelte er nicht. Dann schüttelte er den Kopf und ging weiter. Er hatte nicht gefunden, wonach er Ausschau gehalten hatte.

Die Frage war nur, ob er es nicht gesehen hatte oder ob es gar nicht gab, worauf er seine letzte Hoffnung setzte. Er würde es bald erfahren, da war er sich sicher.

In der Ferne schälte sich der Kirchturm aus dem diffusen Licht, das die Szenerie beherrschte. Es war später Abend, und die Sonne war bereits lange untergegangen, aber die Schneedecke reflektierte das Licht des vollen Mondes, sodass er die Turmspitze mit dem Wetterhahn klar erkennen konnte.

Er beschleunigte seine Schritte, denn die Zeit lief ihm davon, das spürte er deutlich.

Jan Trommer gähnte herzhaft, als er den Schlüssel umdrehte und die Wohnungstür hinter sich abschloss. Wie fast immer, wenn er seine Wohnung verließ, war er noch müde. Dabei konnte er sich über seine Arbeitszeiten gewiss nicht beschweren.

Wenn er sich um viertel nach neun auf den Weg zur Arbeit machte, hatte ein Großteil der Menschen, die eine Stelle ihr Eigen nannten, meistens bereits eine, eher jedoch zwei Stunden am Arbeitsplatz hinter sich gebracht. Diese Erkenntnis war zwar ein schwacher Trost, machte ihn aber auch nicht munterer. Er war eben schon von Kindheit an ein Langschläfer gewesen.

Sein Job im Heimatmuseum von Hoyerswerda passte jedenfalls ausgezeichnet zu seinen Schlafgewohnheiten, denn es öffnete erst um zehn Uhr. In der Wintersaison sogar noch eine Stunde später, darum mochte er die Jahreszeit wohl auch am liebsten.

Bis zum Schloss, in dem das Stadtmuseum untergebracht war, war es nicht weit. Der kleine Spaziergang an der frischen Luft sorgte dafür, dass die Müdigkeit bis zu seinem Eintreffen verschwunden war.

Wie stets genoss Jan den Anblick des alten Bauwerks. Es übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus.

Die kleinen Gaubenfenster im roten Ziegeldach erinnerten ihn wie immer an Augen, die ihm in seiner Phantasie zur Begrüßung zuzwinkerten.

Er passierte das große Schild, das die Besucher darüber aufklärte, dass sich hier das Stadtmuseum befand. Während Touristen sich nicht allzu oft hierherverirrten, kamen häufig Schulklassen ins Museum. Besonders nach der Modernisierung in den letzten Jahren war das Stadtmuseum ein beliebtes Ziel geworden, um den Schülern die Geschichte ihrer Stadt nahezubringen.

Auch das Schloss selbst konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken. Seine Ursprünge reichten bis in das dreizehnte Jahrhundert zurück, was es gleichzeitig zum ältesten Bauwerk der Stadt machte.

In den folgenden Jahrhunderten hatte das alte Gebäude eine wechselvolle Geschichte hinter sich gebracht. Das schloss unter anderem den Umbau in verschiedenen Baustilen ein.

Auch die Nutzung hatte sich in der langen Zeit häufig geändert. Von der Wohnstatt adliger Herren und Damen wurde es zum Sitz von Behörden. Später beherbergte es sogar ein Gefängnis. Heute befanden sich in seinen Mauern neben den Ausstellungsräumen des Museums auch Veranstaltungsräume, die man mieten konnte, wenn man einer Feier das gewisse Ambiente geben wollte.

Ja, es gab tatsächlich schlechtere Arbeitsplätze, fand Jan. Auch wenn die Tätigkeit nicht immer spannend war, so gefiel ihm sein Job durchaus.

Er ging über das Kopfsteinpflaster hin zu der dicken, dunkelbraunen Holztür, für die er einen Schlüssel besaß. Um Punkt halb zehn steckte er ihn ins Türschloss und drehte ihn herum.

Das heißt, er wollte es, denn die Tür öffnete sich quasi von alleine, als er den Schlüssel bewegte.

Er brauchte einen kurzen Moment, um zu begreifen, dass die Tür nicht verschlossen war. Hatte er gestern Abend vergessen, abzuschließen? Er rief sich den gestrigen Abend ins Gedächtnis und schüttelte den Kopf. Glasklar erinnerte er sich, wie er die Tür abgeschlossen hatte. Da gab es kein Vertun. Warum also war sie jetzt offen?

Natürlich gab es noch andere Personen, die einen Schlüssel besaßen, zum Beispiel seine Kollegen aus dem Museum oder das Reinigungspersonal. Aber er kam stets dreißig Minuten vor den Öffnungszeiten und war damit eigentlich immer der Erste, der das Gebäude betrat.

Vorsichtig zog er die Tür ein Stück auf und begutachtete das Schloss. Ein Blick reichte ihm aus, um zu erkennen, was passiert war. Jemand hatte die Tür aufgebrochen.

Einbrecher im Heimatmuseum? Natürlich gab es im Museum ein paar interessante Dinge, aber darunter war nichts, was einen Dieb reich gemacht und einen Einbruch rechtfertigen würde. Da er hier seit Jahren arbeitete, wusste er das genau.

Ob der Einbrecher es auf die Tageseinnahmen abgesehen hatte? Wenn ja, war er sicher enttäuscht worden, denn die waren meistens auch nicht der Rede wert. Außerdem wurden sie in einem Tresor verwahrt, den man nicht so einfach knacken, geschweige denn davontragen konnte.

Nein, irgendwie hatte Jan das Gefühl, dass hinter dem Einbruch etwas anderes steckte als die Gier nach Reichtümern. Aber was?

Er warf einen Blick durch den Türspalt ins Innere. Auf den ersten Blick sah es aus wie immer.

»Hallo?«, rief er vorsichtig und schalt sich nur einen Augenblick später einen Narren. Was, wenn der Einbrecher noch hier war? Sollte er ihn freundlich bitten, die gestohlenen Gegenstände zurückzulegen und ihm seine Personalien zu geben, damit er Anzeige wegen Sachbeschädigung erstatten konnte?

Jan lauschte. Es war nichts zu hören. Zögerlich betrat er das Museum und zog die Tür wieder zu, so weit es eben ging.

Er warf einen Blick in die Räume, die vom Eingangsbereich einzusehen waren. Auch hier konnte er keine Veränderung erkennen. Ob es diese Feststellung war, die ihm Mut machte, wusste er nicht, aber er beschloss, auf einem schnellen Rundgang nach dem Rechten zu sehen.

Er lief durch die Zimmer im Erdgeschoss, betrachtete Bilder, Waffen und andere Ausstellungsstücke und fand alles so vor, wie er es gestern Abend verlassen hatte. Er begann schon zu glauben, die Einbrecher seien unverrichteter Dinge abgezogen, weil hier nichts Lohnenswertes für sie zu holen war.

Er nahm die Treppe ins Obergeschoss. Auch in der Etage schien nichts zu fehlen. Dann kam er in die Räume, die das so genannte ErlebnisReich beheimateten.

Er warf einen Blick auf die Uhr. Schaffte er den Rundgang noch? Es ging auf zehn Uhr zu, gleich musste er öffnen.

Jan stutzte. Konnte er überhaupt öffnen? Er musste doch die Polizei informieren, damit die nach Spuren suchen konnte. Andererseits, wenn nichts verschwunden war, wonach sollte die Polizei dann suchen?

Er trat durch den Durchgang in den nächsten Raum und wäre fast ausgerutscht, als er auf Scherben trat, die sich weitflächig auf dem Boden verteilt hatten. Die Einbrecher hatten eine Vitrine zerschlagen und offensichtlich den Inhalt entwendet.

Jan brauchte nicht lange darüber nachzudenken, was sich in ihr befunden hatte. Hier hatte der Tiger von Sabrodt seine letzte Ruhestätte gefunden.

Er schüttelte den Kopf. Was wollte jemand mit dem alten ausgestopften Wolf anfangen?

Jan hätte es verstanden, wenn man eins der alten Gemälde gestohlen oder die mittelalterlichen Waffen oder Möbel mitgenommen hätte. Irgendetwas, das wenigstens einen Zweck erfüllte oder das man verkaufen konnte. Aber einen ausgestopften Wolf? Sein Blick fiel auf ein paar Flecken, die zwischen den Scherben den Boden bedeckten.

Er ging in die Hocke und betrachtete sie genauer. Sie waren größtenteils eingetrocknet, schimmerten aber stellenweise noch feucht und dunkel. War das Blut? Er war sich nicht ganz sicher, aber es sah so aus.

Wahrscheinlich hatte sich der Einbrecher beim Zerschlagen der Vitrine verletzt. Ein grimmiges Lächeln legte sich auf Jans Züge. Das geschah dem Dieb ganz recht. Und konnte die Polizei nicht so eine DNA-Probe gewinnen, mit der sie den Täter zweifelsfrei überführen konnte?

Falls er in irgendeiner Datei verzeichnet ist, dachte er.

Während er darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass der Wolf sogar mal in einem Tatort mitgespielt hatte.

Er zog sein Handy hervor und wählte die Nummer der Polizei. Der echten Polizei.

Das Klopfen ließ Jan zusammenzucken. Er blickte auf und sah zwei uniformierte Männer, die in der Tür standen. Der vordere, augenscheinlich derjenige, der geklopft hatte, ging vom Aussehen her stramm auf die Pensionierung zu, während der hintere, vom dem Jan nur das Gesicht sehen konnte, vermutlich sogar noch ein paar Jahre jünger, als er selbst war. Mit seinem glattrasierten Gesicht wirkte er wie frisch von der Polizeischule gekommen.

»Sie haben uns gerufen?«, fragte der ältere Polizist.

Jan brauchte einen Moment, bis er antwortete. Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er das Erscheinen der Polizisten gar nicht bemerkt hatte. »Äh … ja«, brachte er etwas holperig hervor und erhob sich von seinem Platz.

»Ihr Name?«, verlangte der jüngere Polizist zu wissen, als er sich an seinem Kollegen vorbeischob.

»Trommer, Jan Trommer.«

»Okay, Herr Trommer«, fuhr der Beamte fort und zog einen Block samt Stift hervor. »Sie arbeiten hier?«

»Ja.«

»Und Sie haben den Einbruch bemerkt? Erzählen Sie mal.«

»Nun ja, da gibt es nicht viel zu erzählen. Ein Ausstellungsstück ist entwendet worden.«

»Was für eins?«

»Ein Wolf.«

Der Polizist ließ den Block sinken und sah ihn an, als würde er an Jans Verstand zweifeln. »Ein Wolf?«, wiederholte er ungläubig.

Jan nickte.

Sein Gegenüber lachte trocken auf. »Ich dachte, das wäre das Heimatmuseum und kein Zoo.«

Wenn es noch einen Rest Sympathie für den Mann in der Uniform gegeben hatte, so war er jetzt weg. Jan stemmte die Hände in die Hüften und wartete, bis der Polizist den Lachanfall, den sein eigener Witz ausgelöst hatte, überwunden hatte.

»Also, Herr Trommler …«

»Trommer«, korrigierte Jan und war sich nicht ganz sicher, ob der andere seinen Namen absichtlich falsch ausgesprochen hatte.

»Von mir aus auch das. Sonst ist nichts gestohlen worden? Außer ihr Museumshaustier, meine ich.«

»Nein, Herr …« Jan rollte den letzten Buchstaben herausfordernd.

»Möller.«

»Herr Möller.« Es kostete Jan ein großes Maß an Selbstbeherrschung, den Namen korrekt auszusprechen. Das Müller lag ihm schon auf der Zunge, aber er schluckte es runter. »Nein, sonst habe ich nicht feststellen können, ob weitere Ausstellungsstücke gestohlen wurden. Das ist bei einem so kurzen Rundgang auch unmöglich. Immerhin haben wir hier mehrere hundert Exponate.«

»Es ist der Wolf. Er ist zurück«, hörte er den alten Polizisten flüstern.

»Was hast du gesagt, Brocksch?«, wandte sich Möller an seinen Kollegen, der im Gegensatz zu ihm dreimal so viele Sterne auf der Schulterklappe trug.

Der ältere Mann öffnete den Mund, winkte dann aber ab und schloss ihn wieder.

»Nein, sag schon«, ließ Möller nicht locker. »Du hast irgendwas mit Wolf gemurmelt.«

So sehr Jan Möller verabscheute, so sehr interessierte ihn auch die Antwort auf dessen Frage. Er war ihm fast dankbar, dass er sie gestellt hatte, denn er selbst hätte es sich verkniffen.

Statt einer Antwort forderte Brocksch Jan auf, ihm die Stelle zu zeigen, an der der Wolf gestanden hatte. Jan ging voraus und führte die Polizisten in den ersten Stock und in das Zimmer, in dem sich nur noch der leere Sockel befand.

Brocksch ging fast an derselben Stelle in die Hocke, an der er es auch getan hatte. Interessiert betrachtete er die Scherben und die Blutflecken, die noch weiter getrocknet waren.

»Und schon eine Spur, Columbo?«, fragte Möller und lachte wieder.

Gott, wie ihm dieser Clown auf die Nerven ging.

»Es ist wahr«, sagte Brocksch, bevor er schwerfällig hochkam, sich dabei auf den Knien abstützend. Er war zwar schlank, aber mit Sicherheit schon über sechzig Jahre alt. Erneut nahm er die Mütze ab und kratzte sich am Hinterkopf.

»Was ist wahr?«, fragte Möller.

»Der Wolf ist verschwunden.«

»Das sagte ich ja«, sagte Jan irritiert.

Brocksch schüttelte den Kopf. »So meine ich das nicht.«

»Sondern?«, hakte der Kollege nach.

Der Ältere verzog das Gesicht, in dem es merklich arbeitete. Er fuhr sich mit der offenen Handfläche über das Kinn, setzte zum Sprechen an und zuckte schließlich doch nur mit den Schultern.

»Na komm schon«, drängelte sein Kollege. »Du weißt doch irgendwas, willst aber nicht mit der Sprache rausrücken. Das sehe ich dir an.«

Brocksch nickte zögernd. »Also gut«, sagte er. »Ich glaube, der Wolf ist nicht gestohlen worden.«

Jan schüttelte den Kopf und deutete auf die leeren Reste der Vitrine. »Aber das ist doch eindeutig. Gestern hat der Wolf noch hier gestanden. Dafür gibt es mehr als ein Dutzend Zeugen neben mir.«

Broksch sah ihn mit einem Blick an, den Jan nicht deuten konnte und hob beschwichtigend die Hände. »Ich unterstelle Ihnen nicht, nicht die Wahrheit zu sagen. Gott bewahre, Herr Trommer! Da brauchen Sie keine Sorgen zu haben.«

»Dann verstehe ich es noch weniger«, sagte Jan.

Brocksch seufzte. »Das ist auch nicht ganz so einfach zu verstehen.«

»Dann erklären Sie es doch bitte.«

Eine kurze Pause entstand, in der Brocksch nach den richtigen Worten suchte. »Es ist, wie ich es sagte. Der Wolf ist verschwunden.« Als sein Kollege den Mund öffnete, sah Brocksch Möller streng an, worauf der den Mund schloss. Obwohl er die meiste Zeit geredet hatte und ziemlich respektlos auftrat, schien die Hierarchie doch noch zu funktionieren.

»Ich glaube, er ist aus eigener Kraft von hier verschwunden«, ließ Brocksch die Katze aus dem Sack.