Professor Zamorra 1198 - Thilo Schwichtenberg - E-Book

Professor Zamorra 1198 E-Book

Thilo Schwichtenberg

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Beschreibung

In der Taiga tut sich Sonderbares: Wälder, Seen und sogar der Permafrostboden haben sich dramatisch verändert und sind kontaminiert. Welche Macht ist da am Werke, die ihnen sämtliche Energie und Lebenskraft entzieht?
Auf Einladung ihres alten Freundes Professor Saranow reisen Nicole und Zamorra nach Russland und geraten schnell selbst in tödliche Gefahr.

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Seitenzahl: 145

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Inhalt

Cover

Impressum

In den Fängen der Taiga

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Björn Craig

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9716-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

In den Fängen der Taiga

von Thilo Schwichtenberg

Professor Boris Iljitsch Saranow stand völlig erschüttert vor dem Gremium der Akademie der Wissenschaften. Ihm war gerade die Mitgliedschaft aberkannt worden!

Der Russe schreckte auf. Schon wieder dieser Albtraum! Das war einer der schlimmsten Momente in seinem Leben gewesen!

»Du bist raus!«, wurde er vom Vorsitzenden der Kommission angeschnauzt. »Wir aberkennen dir deine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften!«

Saranow schreckte auf.

Da ertönte die Stimme des Vorsitzenden von Neuem …

Mitte Februar 2020

Sibirien

Die Nacht war durchzogen von Energieentladungen.

Weißblaue, türkisfarbene, blaue, seltsam graue, orangene und rote Blitze donnerten, dicken Schnüren gleich, in die Gestalt auf dem Hügel.

Hügel? Saranow lachte verbittert auf.

»Reiß Er sich endlich zusammen! Sonst werden wir versagen! Will Er das etwa?«

Professor Boris Iljitsch Saranow zog den Kopf noch stärker zwischen die Schulterblätter. Sein Hals schmerzte schon seit einer geraumen Weile.

Die Aura seines Begleiters drohte ihm fast die Luft zum Atmen zu nehmen.

Neben ihm stand eine mächtige Präsenz. Der jung aussehende Mann, dessen Haut gletscherfarben leuchtete, trug eine weiße Hose und ein weißes, goldgegürtetes Hemd. Auf den blauweißen langen Haaren saß ein goldener Kronenreif. Sein königsblauer Umhang, mit aufgestelltem Kragen, bewegte sich trotz des kalten Windes nicht. Fast schien es, als wenn der Stoff durch die Kälte erstarrt, gar erfroren war.

Kein Geringerer als Fürst Laptev, der Herr der Eismeere und des Permafrosts, stand neben dem älteren Russen und verschoss unaufhörlich energetische Ladungen in Richtung eines Hügels.

Fünf weitere Energiestränge, gleichmäßig um den Hügel verteilt, gleißten durch die Dunkelheit.

Saranow wusste, dass auch die anderen Mitglieder der Großen Sieben ihre einstige Schwester in Schach hielten.

Doch die Yaga schien stärker. Langsam verfärbten sich die Energieladungen violett. Und zwar von der Hexe des Waldes ausgehend.

Obwohl die Stränge aus den Elementaren schossen, kroch dieses Violett auf sie zu.

Ein Strang verfärbte sich schneller als die anderen, denn Boreas, den Herrn des Nordwinds, der Stürme und Gewalten, hatte das Violett fast erreicht. Der mittelgroße und durchaus attraktiv wirkende Mittvierziger besaß ein recht verwahrlostes Aussehen, mit schulterlangen, dünnen, ungewaschenen und hellbraungrauweißblonden Haaren. Seine Gestalt wirkte schlank und feist gleichermaßen, ganz so, als wenn er beständig unter Druck stehen würde. Der Herr des Nordwinds war leicht in Wut zu bringen, und diese Wut, schien ihn nun aus dem Gleichgewicht zu werfen.

Anders die Hexe des Waldes. Die Baba Yaga stand, gemäß ihres Jahreszyklus’ als optisch Vierzehnjährige, auf dem Hügel. O ja, Saranow lachte innerlich auf. Ein Hügel. Doch es war kein Hügel aus Fels. Sondern ein Hügel aus Elementaren!

Die niederen Naturgeister speisten mit ihrer Lebensenergie das Amulett der Hexe!

Was war nur aus Merlins Stern geworden? O Brüderchen Zamorra, wenn du wüsstest! Wenn du hier wärst. Saranow verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte sich das Amulett des Guten nur so verändern?

Zu etwas unsagbarem Bösen!

Warum kam Zamorra nicht?

Saranow zwang sich, nach unten zu sehen.

Mit zitternden Händen blätterte er im Zauberbuch der Baba Yaga.

Doch es war nicht der Foliant über die Geheimnisse der Taiga, sondern ihre ganz persönliche Fibel. Das Büchlein, dessen Seiten angeblich aus der Haut eines Erzdämons bestanden, beinhaltete besondere Bannsprüche und manch ein in Vergessenheit geratenes Sigyll.

Die Yaga hatte das Buch auf sich verschlüsselt. Niemand konnte es ohne ihren Willen öffnen und darin lesen. Einzig er, Professor Boris Iljitsch Saranow, hatte von ihr den Zugriff erhalten.

Was für ein Vertrauensbeweis!

Und nun hinterging er seine Gevatterin!

Nein, schalt er sich. Er hinterging sie nicht. Er würde sie retten.

Wenn er die richtige Seite fand.

»Jetzt mach Er endlich!«

Da! Das war die richtige Seite. Sie zeigte einen verknöcherten alten Mann.

Professor Saranow zögerte. Sollte er wirklich?

Ein Schrei, schmerzvoll, wütend und doch gebrochen, klang auf und verebbte.

Boreas! Das Violett hüllte ihn wie eine Krallenhand ein, hob ihn hoch und zog ihn langsam auf die Baba Yaga zu.

Es musste sein!

Boris begann zu rezitieren. Seine Gevatterin hatte ihn nicht umsonst in den uralten Sprachen unterwiesen.

»Na endlich!« Befriedung, aber auch eine Spur von Angst, lag in der Stimme des Fürsten.

Boris konnte es ihm nicht verdenken.

Es musste sein.

Er rezitierte weiterhin, malte Zeichen in die Luft, die sogleich zu glühen begannen. Eines von ihnen blähte sich auf, dann zog es sich blitzschnell zusammen und schoss davon. Aber nicht zur Baba Yaga, sondern in die Tiefe der Nacht.

Das Warten zermürbte.

»Was ist nun?«, zischte Fürst Laptev hoch konzentriert. »Hat Er etwa falsch vorgetragen?«

Saranow hätte sich in dem Inferno gern wie ein Igel zusammengerollt, versteckt im hintersten Winkel, verborgen unter Bergen von Laub. Er war doch nur ein Mensch! Ein Mensch am Ende seines Weges noch dazu! Und kein Knotenelementar wie die anderen Sieben auf dem Schlachtfeld!

Doch Flüchten, das hatte er nicht über das Herz bringen können, standen doch die Zukunft Sibiriens und das Schicksal seiner langjährigen Lebensgefährtin auf dem Spiel.

Außerdem war er es gewesen, der die Veränderung der Baba Yaga direkt mitbekommen hatte. Er war es gewesen, der sich aus der Hühnerfußhütte stahl, um Fürst Laptev um Hilfe zu bitten. Ohne ihn, ohne Boris Iljitsch Saranow, hätte die Zukunft Sibiriens wohl längst schon ganz anders ausgesehen.

Schon brüllte der nächste Elementar auf. Es war Aldan, der Herr des fließenden Wassers, des Regens und der Nebel. Er besaß das Aussehen eines uralten Greises, mit weißen, schütteren und schulterlangen Haaren, milchig-teigiger Haut, leicht blutunterlaufenden Augen und einem fliehenden Kinn. Stets war er nur mit einem einfachen blassgrünen Hemd und einer blassbraunen Hose bekleidet.

Auch er wurde nun von den violetten Energiesträngen umhüllt, angehoben und langsam in Richtung der Baba Yaga gezogen.

Mit zitternden Händen schlug Boris Iljitsch Saranow erneut das Buch der Yaga auf. Er musste die Beschwörung noch einmal durchführen!

Ein Komet erschien am Himmel. Nein, das war kein Komet, erkannte der Russe. Eher ein Meteor.

Schon stieß dieser mit brachialer Gewalt vor der Baba Yaga in den Hügel der feinstofflichen und sich windenden Elementarleiber.

Wie gleißendes Quecksilber breitete sich das Licht innerhalb der Naturgeister aus, und bald schon erstrahlten sie als ein Leib.

Jetzt war es die Baba Yaga, die wutentbrannt aufschrie und ihre violetten Energien in die gleißende Kuppe unter ihr jagte.

Doch die Kuppe entwickelte ein Eigenleben und stülpte ihre Ausläufer nach oben. Bald schon hatte sich eine silberne Blase um die Hexe des Waldes gebildet.

Plötzlich erhob sich Fürst Laptev und schwebte in Richtung des Hügels. Baikal, der Herr der stehenden Gewässer und Bewahrer der Geheimnisse, Yer, die Herrin des Herdfeuers, der Erde und der Fruchtbarkeit sowie Erlik Khan, der Herr der Unterwelt, des Großfeuers, des Bodens und der darin befindlichen Schätze, taten es ihm gleich.

Sie schützten und stützten die eben erschaffene Kugel, während von drinnen violette Blitze an die Wände schossen.

Dann zog sich die Blase zusammen. Unaufhaltsam.

Die Kugel schrumpfte Meter um Meter. Bald schon hatte sie die Größe des Kindes erreicht – und schrumpfte weiter!

Wollten die Geschwister die Baba Yaga etwa töten? Blieb ihnen keine andere Wahl?

Ein unmenschlicher Schrei brach sich Bahn, dann schoss etwas winzig Kleines durch die Nacht davon.

Das Gleißen wurde zum Leuchten, dann zum Glimmen.

Saranow verfolgte alles mit angehaltenem Atem.

Ein kalter Windzug streifte ihn. Ein asketisch knorriger Mann stand vor ihm, der durchaus noch drahtig wirkte. Er trug weißes Stoppelhaar und schien auf gewisse Weise zeitlos.

Koschtschej, der Herr des Chaos, war in letzter Sekunde als Retter erschienen! Ihn hatte Saranow in höchster Not gerufen. Genau das Wesen, das ihn als Doktor Andrej Schenglow nicht nur aus Aurora, sondern auch aus der Akademie der Wissenschaften geworfen hatte!

Saranow schnappte nach Luft, sein Herz raste. Er zwang sich, nicht in die Knie zu gehen, doch er musste alle Kraft aufbieten, um nicht vor der starken Aura einzuknicken.

Graue, stechende Augen musterten ihn, ohne jedoch ein Wort zu sagen. Der Russe fragte sich, ob in dieser Kälte nicht auch ein Hauch von Achtung lag. Achtung vor dem Mut eines alten Menschen.

Bevor Koschtschej etwas sagen konnte, erschien Fürst Laptev und legte ein blasses Mädchen mit langem, kastanienfarbigem Haar behutsam in Saranows Hände.

»Pflege Er sie gut!«

Der Russe nickte. Die Yaga war leicht. Und doch kostete es ihn Kraft, sie zu tragen. Er stellte sich mit seiner Gevatterin auf den Teppich aus Ssmejakoren und trat, mit tausend Fragen im Gepäck, den Rückweg zur Hühnerfußhütte an.

Gegenwart

Mittelsibirisches Bergland, ca. 300 km östlich von Norilsk

»Diese Weite!« Jegor Lukjanowitsch Sokolow seufzte kurz und atmete tief durch.

Seine Lungen füllten sich mit Kälte. Die Luft war klar und rein.

Atemwölkchen stiegen zum Himmel auf, der, azurblau, die Szenerie überspannte.

Ein gelber Felsenzahn stieß linkerhand hüfthoch aus dem Schnee. Daneben stand einsam und verlassen eine schwarze und vom Wind sichtlich zerzauste Fichte.

Vor ihm fiel der Hügel, auf dem er sich befand, busch- und baumlos als Schräghang ab. Skifahrer hätten sich hier garantiert Löcher in den Bauch gefreut. Wären sie denn bis hierher gekommen. In dieses Irgendwo im Nirgendwo.

Nein, verbesserte sich der sechsundfünfzigjährige Wissenschaftler, das hier war sicher kein Nirgendwo. Immerhin befanden sie sich auf dem Weg ins Putorana-Gebirge.

Im Hintergrund quollen sanfte Berge, allesamt über fünfhundert Meter hoch, aus dem Boden. Sie waren mit mannshohen und äußerst schlanken Nadelbäumen besetzt, die dunkel und trostlos wie Bartstoppeln in die Höhe sprossen. Das mussten sie, würden sie sonst, bei einer ausladenden Statur, unter der weißen Last zusammenbrechen.

Dazwischen, als Puder, leuchtete der Schnee.

Ganz in der Ferne, am Horizont, strahlten die höheren Berge in einem satten Gletscherblau.

Noch einmal entfuhr dem hageren Russen ein Seufzer.

Dann stockte er.

»Oh«, er sah an sich hinab und grinste kurz. »Jetzt hatte ich dich glatt vergessen. Ich hoffe, du hast dich nicht erkältet.«

Noch immer lächelnd schloss er die Hose und zog die Handschuhe wieder an. Ja, es war und blieb hier noch eine ganze Weile Winter. Sibirischer Winter.

Aber die fast unendliche Weite, bedeutete sie nicht auch Freiheit?

Wäre er ein Falke, er würde über die Landschaft gleiten, bis zum Horizont. Und darüber hinaus.

Er lachte kurz auf. Was war schon Freiheit?

Niemand war wirklich frei. Überall herrschten Zwänge.

»Hallo?! Willst du erfrieren?!«

Jegor nickte mehr zu sich selbst. Auch hier, in der grenzenlosen Weite, gab es Zwänge.

»Ich komm ja schon«, rief er Kusja zu und stapfte durch den Schnee zum Allgegenwärtigen zurück.

Der Allgegenwärtige. Jegor war und blieb, während er zu diesem schier unverwüstlichen Fahrzeug zurückstapfte, beeindruckt.

Der DT-30, auch Witjas, Recke, genannt, war ein extrem geländegängiges Mehrzweckfahrzeug auf Ketten des russischen Herstellers Witjas. Die Baureihe wurde bereits in den 1970er Jahren in der Sowjetunion entwickelt, um Lasten bis zu dreißig Tonnen in schwer zugängliche Gebiete mit extremen klimatischen Bedingungen zu transportieren.

Das Fahrzeug bestand aus zwei Teilen. Im vorderen Element befand sich der Führerstand mit Passagierkabine. Die durchgängige Sitzbank bot gut und gerne sechs Personen Platz. Dahinter schlossen sich direkt der Motor und die Getriebeeinheit an. Das Drehmoment wurde vom Motor über eine Kardanwelle auch auf das zweite Fahrzeugelement übertragen, sodass alle vier Ketten des technischen Monstrums angetrieben wurden.

Dieser Allgegenwärtige, natürlich in der Farbe des Schnees lackiert, war eine schwimmfähige Spezialvariante mit einer Höchstgeschwindigkeit von knapp sechzig Kilometern in der Stunde an Land, zehn Kilometern in der Stunde auf dem Wasser und einer Reichweite von knapp eintausend Kilometern. Die Länge des Titanen betrug ungefähr sechszehn Meter. In der zweiten Einheit befanden sich das sechs Meter lange und mit der neuesten Technik ausgestattete Labor sowie die vier Schlafkojen.

Jegor lief um die Schnauze des Fahrzeuges herum und ergriff die unterste Sprosse der Leiter, die auf der Beifahrerseite ungefähr in Höhe seines Kinns angebracht worden war. Mit den Füßen suchte er Halt auf der Kette. Dann zog er sich nach oben. Umständlich kletterte der Russe die kleine Leiter zur gepanzerten Tür hinauf.

O ja, er war ein ausgezeichneter Wissenschaftler mit diversen Spezialkenntnissen. Nicht umsonst hatte man ihn zu der geheimen Mission berufen. Im Gegenzug war er jedoch mit dem harten Leben in Taiga und Tundra etwas überfordert. Er bevorzugte eher die wohlklimatisierten Labore.

Krampfhaft hielt sich Jegor mit der Linken an der Leiter fest, während er mit der Rechten die gepanzerte Tür zu öffnen versuchte. Das war mit Handschuhen gar nicht so einfach. War ja klar, dass ihm Taras wieder nicht von innen heraus half.

Schon war es passiert, der rechte Fuß von der Sprosse gerutscht!

Jegor war im Reflex fast versucht, sich mit den Zähnen irgendwo festzubeißen.

Zum Glück lag die rechte Hand bereits am Griff, sodass er sich abfangen konnte.

Nachdem die Trittsicherheit wiederhergestellt worden war, öffnete der kurzgeschorene, grauhaarige Russe die Tür und hangelte sich vorsichtig hinein. Erst als er Mütze, Handschuhe und Anorak abgelegt hatte und sich umschaute, blickte er in das grinsende Gesicht von Taras Pawlowitsch Petrow, der links neben ihm auf der langen Sitzbank saß.

Jegor spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Wie gern hätte er den Platz mit Galina Timofejewna Iwanowa, der Leiterin der ganz speziellen Mission, getauscht. Dann hätte er neben Kusja sitzen und dessen körpereigenen Geruch genießen können, der aus einem anziehenden Gemisch aus Motorenschwere und jugendlicher Leichtigkeit bestand.

Und manchmal, wenn das Fahrzeug allzu sehr schaukelte, dann hätte es auch die eine oder andere Berührung gegeben. Das höchste Glück in Jegors privat doch recht einsamen Leben.

Dass er nicht mehr neben dem Fahrer sitzen durfte, hatte logistische Gründe, besaß der Mittfünfziger doch eine regelrechte Pionierblase, sodass er von Galina Timofejewna an die äußerste Seite platziert wurde, direkt neben Taras Pawlowitsch, seinen ungeliebten Wissenschaftskollegen.

»Kann ich?« Kusja, achtundzwanzig, mittelgroß und sehnig-muskulös, beugte sich etwas vor und sah Jegor aus wasserblauen Augen an.

Der doppelt so alte Russe hob den Daumen. »Alles klar.«

Der Allgegenwärtige heulte auf und zog an. Jegor wurde in die Lehne der Sitzbank gedrückt. Schon nahm Kusja etwas das Gas weg, sodass das Fahrzeug leicht wippte, dann hatte es sich gefangen und schnurrte wie ein Kätzchen geschmeidig durch den Schnee, der schwärenden Wunde entgegen.

»Willst du kuscheln?«

Jegor öffnete erschrocken die Augen. Er spürte einen Ellenbogen, der spitz und schmerzhaft gegen seine Rippen drückte. Überrumpelt rückte er etwas von Taras weg.

Kusja brachte den Allgegenwärtigen zum Stehen.

»Mittagspause«, verkündete Galina Timofejewna.

Die vier Insassen packten die Brote aus. Warmes Essen gab es nur am Abend. Und auch nur Tütensuppen. Wer sollte kochen? Und womit?

Kusja vielleicht, dessen eigentlicher Name Kusma1) Iljitsch Nowikow lautete? Er war der Fahrer, der täglich zwölf Stunden den Allgegenwärtigen bewegte. Zusätzlich war er Fahrzeugtechniker und zu guter Letzt auch noch der Sicherheitsoffizier des kleinen Teams.

Der junge Mann trug Glatze, einen schwarzen Drei-Tages-Bart sowie etliche Tätowierungen an Ober- und Unterarmen. Er war ein sympathischer Kerl, aber auch sehr eitel. Oft sah er im Außenspiegel nach, ob die Augenbrauen noch lagen und die Kopfhaut glänzte. In seiner Ecke des Fahrzeugs klemmten zwei Bilder von jungen und äußerst adretten Damen. Er konnte sich einfach nicht für eine von ihnen entscheiden. Und so … waren sie beide irgendwie seine Freundinnen geworden.

Da Galina Jegor und Kusja bisher gemeinsam zur Nachtwache eingeteilt hatte, konnte er sich in aller Ruhe die Abwägungen des Jüngeren bezüglich der Vor- und Nachteile seiner Freundinnen anhören, was ihn zwar nicht sonderlich interessierte, doch war er so dem jungen Mann wenigstens etwas nah, der in dem älteren sicher nur eine Art Vaterfigur sah.

Und so sollte es auch bleiben. Wenn jemals bei Aurora herauskam, dass Jegor sich dem eigenen Geschlecht näherfühlte, als dem schönen, dann würde das, Spezialist hin oder her, sein Ende bedeuten.

Von wegen grenzenlose Freiheit. Der Zwang des Unterdrückens saß immer auf Jegors Schulter.

Oder sollte Galina Timofejewna das Essen kochen? Die Eiskönigin, wie sie Jegor insgeheim nannte, zählte zweiundvierzig Jahre, war mittelgroß, schlank und trug kurzes Blondhaar. Ihre grauen Augen blickten eiskalt, jedoch nicht berechnend. Vielleicht deshalb, weil sie karrieresüchtig war und nicht wollte, dass auch nur der Hauch von ihr Wärme ausstrahlte. Man munkelte, dass sie eine Beziehung mit dem Abteilungsleiter unterhielt, aber Genaues wusste natürlich niemand.

Sie war die Teamleiterin des Unternehmens Schwärende Wunde und hatte schon unter Doktor Andrej Schenglow, dem ehemaligen Abteilungsleiter, für Aurora gearbeitet.

Schlussendlich war da Taras Pawlowitsch Petrow, der nicht im Mindesten daran dachte, sich für etwas so Profanes wie Kochen die Hände schmutzig zu machen. Der Achtunddreißigjährige war neben Jegor der zweite Wissenschaftler an Bord. Gedrungen und muskulös besaß der blonde Weißrusse eine körperliche Besonderheit. Im Nachgang eines schweren Unfalls hatte er künstliche Beine erhalten, mit denen er schneller laufen und selbst höher und weiter als aufgeputschte Höchstleistungssportler springen konnte. Den Borg nannte man ihn hinter vorgehaltener Hand, denn weder das Star Trek Universum noch die Außerirdischen hatten vor Russlands Gefilden Halt gemacht.

Taras Pawlowitsch hatte Galina Timofejewnas Job gewollt. Allerdings war er für die Führung der Mission als noch zu unerfahren eingestuft worden. Trotzdem mussten sich die beiden jetzt und hier in der räumlichen Enge miteinander arrangieren. Was zumindest hin und wieder auch zu klappen schien. Er war technisch begabt und konnte Kusja zur Hand gehen. Das einzige Manko war, dass er Jegor anscheinend nicht ausstehen konnte. Woran das lag, darauf konnte sich der Mittfünfziger keinen Reim machen, zumal sie sich auch in ihren Spezialgebieten nicht in die Quere kamen.