Professor Zamorra 1226 - Thilo Schwichtenberg - E-Book

Professor Zamorra 1226 E-Book

Thilo Schwichtenberg

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Beschreibung

Der Baron nickte anerkennend. "Der Tee schmeckt vorzüglich, meine Liebe." Er schob ein Lächeln nach.
"Ich habe ihn eigenhändig ausgesucht", verkündete die Herrin von Darkwood Manor stolz. "Schwarzer Tee mit Lemon und Ingwer und einem Hauch von ..."
Der Baron hob die Hand. Die Baroness erstarrte mitten im Satz.
"Was ist denn?", fragte er unwirsch ob der Störung.
"Herr ... Baron ...", wisperte der Irrwisch, der so plötzlich neben seinem Ohr erschienen war.
Der Angesprochene nickte. "Gib das Zeichen. Es kann endlich losgehen!"


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Inhalt

Cover

Die Stunde des Barons

Was bisher geschah ...

Leserseite

Vorschau

Impressum

Die Stunde des Barons

von Thilo Schwichtenberg

Der Baron nickte anerkennend. »Der Tee schmeckt vorzüglich, meine Liebe.« Er schob ein Lächeln nach.

»Ich habe ihn eigenhändig ausgesucht«, verkündete die Herrin von Darkwood Manor stolz. »Schwarzer Tee mit Lemon und Ingwer und einem Hauch von ...«

Der Baron hob die Hand. Die Baroness erstarrte mitten im Satz.

»Was ist denn?«, fragte er unwirsch ob der Störung.

»Herr ... Baron ...«, wisperte der Irrwisch, der so plötzlich neben seinem Ohr erschienen war.

Der Angesprochene nickte. »Gib das Zeichen. Es kann endlich losgehen!«

»Ich höre und gehorche.« Der Irrwisch verschwand.

Der Baron betrachtete das Herrenhaus, den üppigen Garten und Thomas, den Butler.

Er gestattete sich ein Grinsen. Die nächste Phase des Plans war initiiert.

Der Baron schnippte mit den Fingern. »Entschuldigung, Liebes. Mit einem Hauch von – was?«

Sibirien. Februar 2021

Wie straff und glatt diese rote Haut doch war! Und wie heiß und begierig es unter ihr pulsierte. Wann immer sich eine Sehne oder ein Muskel spannte, elektrisierte dies Kyra ungemein. Wie lange hatte sie ihre Gefährtin nicht mehr spüren, nicht mehr berühren dürfen? Die Vogeldämonin aus der Familie der Raubfyderra wusste darauf keine Antwort.

Aber es war egal. Denn hier und jetzt spürte sie die ganze Spanne von Hitze und Gier und Leidenschaft ihrer Herrin. Ihrer Gefährtin. Ihrer Liebe.

Die starke, groß gewachsene Dämonin mit den ledrigen Flügeln, dem langen Schweif, den Hörnern und Bocksfüßen und dem markanten dreieckigen Gesicht; sie zeigte sich stets in ihrer dämonischen Gestalt. Stolz trug sie Flügel und Schweif als Attribute ihrer ehemaligen Herkunft. Kyra liebte ihre glatte rote Haut, das sinnliche Maul und die tiefschwarzen Augen, in denen die unendliche Weite des Multiversums glomm.

Die Berührungen der Zaahrin waren kraftvoll, derb. Wenn Kyra sich in ihre Gewalt begab, konnte sie sich ganz klein machen, wurde sie doch durch dieses kraftstrotzende Wesen vollends beschützt und wieder aufgerichtet.

Die Fyderra vergrub das Gesicht zwischen den vollen Brüsten der Zaahrin. Eine Gier überfiel sie. Oder war es Hunger? Hunger auf das muskulöse Fleisch, dass sich ihr unter der glatten Lederhaut immer wieder entgegendrückte?

Kyra verstand nicht. Wieso verspürte sie Hunger? Das war nicht richtig. Nein, das war auch nicht das richtige Wort. Es war Leidenschaft!

Nur einmal zubeißen!

Die Vogeldämonin spürte, wie sich die spitzen Zähne aus den Kiefern drückten. Sie konnte es nicht unterbinden. Panik befiel Kyra. Sie würde doch nicht die Reißzähne in das Fleisch der Zaahrin schlagen? Auch wenn der Hunger noch so groß war?

Zwei krallenbesetzte Pranken schoben sich an ihren Wangen vorbei. Schon wurde ihr Kopf umspannt und zurückgezogen.

Kyra blickte in das Gesicht ihrer Liebsten.

Und erschauderte.

Auf den ersten Blick sah das Antlitz normal aus: glatte Rothaut, sinnliches Maul, tiefschwarze Augen. Auf den zweiten Blick jedoch ...

Ja, da waren die Augen, dunklen Universen gleich. Doch nun? Zwei schwarze und pralle Maden schienen sich daraus hervordrücken zu wollen. Die Enden wanden sich, versuchten sich aus den Höhlen zu schieben. Es gelang ihnen nicht.

»Küss mich!«, schrie die Zaahrin und versuchte Kyras verhornte Lippen an ihr wulstiges Maul zu pressen.

Die Fyderra drückte ihren Kopf nach hinten. Dabei legte sie die kleinen, metallisch schimmernden Federn an.

Was machte sie denn da? Das war kein Feind, das war die Zaahrin! Ihre einzige große und wahre Liebe!

Und doch war die Herrscherin vor ihr so etwas wie ihr Feind.

Kyra verstand die Welt nicht mehr.

Sie wollte die wulstigen Lippen küssen. Natürlich!

Also tat sie es auch.

Und es tat gut. So unendlich gut!

Kyra ergab sich ihren Gefühlen. Es war eine Wohltat, sich wieder fallen lassen zu können, auch wenn es sich irgendwie falsch anfühlte.

Das Maul der Zaahrin schmeckte köstlich. Und bald schon schob sich deren Zunge fordernd in Kyras Mundhöhle. Sie kitzelte am Gaumen und stieß die Speiseröhre hinab!

Kyra röchelte. Die Zunge der Zaahrin wurde immer länger, immer dicker. Die Fyderra bekam keine Luft mehr.

Sie stemmte sich mit den Handflächen gegen den feuerroten Körper und riss überrascht die Augen auf. Der Körper war nicht rot. Sondern weiß. Und teigig. Und Arme besaß die Zaahrin auch nicht mehr.

Mit einer letzten Kraftanstrengung drückte sich Kyra von der Zaahrin weg. Doch die Zunge blieb weiterhin im Hals. Wie eine Nabelschnur verband sie die beiden Dämonen. Tastend schob sich die Spitze tiefer und tiefer. Kyra spürte die peristaltischen Bewegungen des Fremden in der Kehle.

War Zunge überhaupt noch das richtige Wort? War das nicht eher ein Tentakel?

Jetzt schob sich noch ein zweiter, bald ein dritter Fangarm aus dem Maul der Zaahrin. Sie fächerten auseinander und versuchten Kyras Kopf zu umspannen.

Bald schon wurden sie fündig und zogen Kyra wieder in Richtung Maul.

Die Mundwinkel der Herrscherin rissen auf. Ein vierter und ein fünfter Tentakel schossen heraus. Und dann durchbohrten weitere Stränge das ehemals schöne und kantige Gesicht. Aus den Wangen stießen die Fangarme, und auch die schwarzen Würmer ploppten aus den Augen und saugten sich an der Fyderra fest.

Kyra schrie und stemmte sich mit aller Macht gegen die Herrscherin.

Was war nur geschehen?

Im nächsten Augenblick zogen sich die Tentakel in den Schlund der Zaahrin zurück.

Oder wurden sie zurückgezogen?

Immer kürzer wurden die Enden, wurden bald zu Stummeln. Und obwohl es die Zaahrin nicht mehr konnte – Sie ist tot!, rief es in Kyra, schon so lange tot! – schrie die Zaahrin aus der zerfetzten Kehle. Und dann wurde auch das zerstörte Gesicht nach innen gesaugt.

Die Zaahrin fraß sich selber – von innen heraus – auf!

Frankreich. Feurs. Gegenwart

Die Livree lag fein säuberlich zusammengelegt im Château.

William schmunzelte. Doch was er trug, war nicht wirklich zivil zu nennen. Nein, Schuhe, Hose, Hemd und Jacke mochten auf den ersten Blick modisch erscheinen, waren aber doch in ihren Farben und Formen der Livree angeglichen.

In Saint-Cyriac, dem kleinen Dorf unterhalb des Châteaus, wenn er bei Marie-Claire Boulez, der Betreiberin des Krämerladens, seinen Einkauf tätigte, da trug er natürlich seine Dienstkleidung. Da war es normal, dass ein echter schottischer Butler in einem kleinen französischen Dorf die Einkäufe tätigte. Aber hier, in einem der großen Supermärkte von Feurs, da hätten ihn die Menschen mit Sicherheit etwas schräg angestarrt, weshalb er diesen unschönen aber notwendigen Kompromiss eingegangen war.

Nun, Opfer mussten nun einmal gebracht werden. Was warf man nicht alles über Bord, wenn sich die Familie vergrößerte. William gestattete sich einen dezenten Seufzer. Mittlerweile beherbergte Château Montagne fünf neue ständige Bewohner: Lucia Nowak, Laura und Petra Magin, wobei sich letztere Ayla rufen ließ, Lama Gyungo Tensöng sowie Samuel McTaggart. Und weitere Bewohner würden sicher folgen. Ganz zu schweigen von den Gastdozenten und weiteren nicht ständigen »Schülern« aus der deBlaussec-Stiftung, allen voran die Austauschschüler aus dem Collegio Tommaso d'Aquino in Rom von Monsignore Giacomo Parisi.

Aus diesem Grund standen Großeinkäufe inzwischen fast auf der Tagesordnung.

Großeinkäufe ... Das war ja nur die eine Veränderung. Mehr Menschen brachten auch mehr Arbeiten mit sich. Obwohl jeder der neuen Bewohner für sein Zimmer selbst verantwortlich war, so musste aber auch deren Kleidung gewaschen und ausgebessert werden. Mehr Lebensmittel und mehr Dinge des täglichen Bedarfs wurden ebenfalls benötigt. Auch die Reinhaltung der Flure und der allgemein zugänglichen Räume war zeitintensiver geworden. Einzig Lama Gyungo Tensöng schien so gut wie keine zusätzliche Arbeit zu erzeugen. Er räumte Teller und Tasse selbst ab und bewegte sich auch sonst äußerst behutsam durch das Haus. Er brachte wohl nie den Dreck der Straße ins Château. Es war schon fast unheimlich mit ihm. Nur sein Gewand musste hin und wieder gewaschen werden.

Aus diesen Gründen reichten auch die Einkäufe bei Marie-Claire Boulez nicht mehr aus. Aber anstatt nur noch in den Supermarkt zu fahren, versuchte William einen Spagat: Das bisher Notwendige bezog er weiterhin über Marie-Claire, während er alles darüber Hinausgehende in Feurs einkaufte.

Obwohl es in der achttausend Einwohner zählenden Stadt auch Aldi und Lidl aus dem benachbarten Deutschland gab, zog es William in den Carrefour Drive in der Route de Saint-Etienne.

Was für ein Palast! Was für ein Warentempel!

William war und blieb unentschieden. Auf der einen Seite mochte er den Krämerladen des Dorfes. Mit seiner Enge und Übersichtlichkeit. Mit den vielen persönlichen Gesprächen. Mit dem neuesten Tratsch und Klatsch aus der kleinen Welt des Dorfes.

Auf der anderen Seite bedeutete dieser Tempel hier wahre Vielfalt. Und Freiheit. William konnte sich stundenlang an den Angeboten ergötzen. Abwägen, vergleichen, kaufen. Es war wie im Paradies, in dem man sich jedoch recht schnell verlieren konnte. Hin und wieder traf man auch einen Bewohner des Dorfes.

Noch einmal überblickte er den Warenkorb. Dann schob er ihn in eine Ecke, in der er leicht zu umschiffen war und ging ein letztes Mal die Einkaufsliste durch.

Ja, es war alles drin. Endlich.

Der Butler schob den Wagen in Richtung der unzähligen Kassen.

Nun musste nur noch alles auf das Förderband und später in den Wagen zurückgelegt, draußen in Tüten und Taschen verpackt und in den Kofferraum gestellt werden. Dabei würde er bereits an das Mittagsmahl denken, denn der Tisch musste hergerichtet werden. Wie viele Gäste beherbergten sie gerade? Dreizehn? Oder waren es fünfzehn? Oder gedachte heute noch jemand anzureisen? Sollte er ihn abholen oder Pascal?

Nein, jetzt war nicht die Zeit, um im Geiste jeden Bewohner durchzugehen!

Na super. Wieder einmal hatte er sich genau die Reihe ausgesucht, in der es am langsamsten voranging. William trommelte mit den Fingern ein schottisches Volkslied auf den Griff des Einkaufswagens.

Endlich war er dran. Sorgsam achtete der Schotte auf jeden Artikel, den die Kassiererin maschinenhaft griff, unter das Scangerät hielt und weiterschob. Er wollte einerseits beobachten, dass auch wirklich alle Preise stimmten, andererseits musste er die Produkte in den Wagen legen, denn die Dame an der Kasse war halbwegs flink. Es schien sie nicht im Mindesten zu interessierten, dass es auch Menschen gab, die aus den verschiedensten Gründen langsamer waren als der Durchschnittsbürger. Sei es durch ein Handicap, des fortgeschrittenen Alters oder eben der Korrektheit wegen. Hier schien nur der Umsatz zu zählen.

Doch sie hatte offenbar die Mehrheit auf ihrer Seite. Hinter William trampelten bereits die nächsten Kunden. Kopfschüttelnd betrachteten sie seinen prall gefüllten Wagen, auf dem er mittlerweile noch kleine Türmchen baute.

»Wenn man mehrmals und nicht nur einmal im Monat einkaufen würde, wären wir alle schon wieder draußen«, murmelte eine überdeutlich geschminkte Dame drei Personen hinter ihm und starrte weiter angespannt auf ihr Smartphone. Die meisten anderen nickten nur.

Auch die Kassiererin.

William übersah und überhörte es. Aber wütend machte es ihn trotzdem.

Als er mit dem Einkaufswagen über den Asphalt rumpelte, murmelte er verdrossen: »Wenn das so weitergeht, brauchen wir tatsächlich bald einen zweiten Butler.«

Aber war das nicht ein Eingeständnis seiner eigenen Unfähigkeit, auch weiterhin uneingeschränkt die notwendigen Dinge des Alltags zu meistern? Wurde er langsam doch ... zu alt?

Aber so viele neue Personen, mit all ihren Bedürfnissen. Dazu die angedachten Gastdozenten sowie die nicht ständigen Schüler. Nicht, dass diese Herausforderung William nicht mochte. Nein, endlich kam mal wieder etwas Schwung in den Alltag des Schlosses. Er hatte auch alle neuen Bewohner mehr oder minder gern – aber trotzdem. Es war schon recht stressig in den letzten Wochen geworden.

Er schaute auf die Uhr. Halb zwölf! Wo war nur die Zeit geblieben?!

Der Butler legte noch einen Zahn zu. Ratternd klimperte der Wagen über den Asphalt.

Warum der Wagen plötzlich bockte, kippte und alle Waren sich auf dem Parkplatz verteilten, warum da ein fußgroßes Loch im Boden klaffte, was vorher mit Sicherheit nicht vorhanden gewesen war, warum er plötzlich auf der Erde lag und etwas unschön knackte – darauf fand der Butler keine Antworten. Dafür ging alles viel zu schnell. Sie waren auch nicht mehr wichtig.

Wichtig war nur, dass sein linker Fuß in diesem Loch steckte und William danebenlag.

Wenn er es recht bedachte, sah er weiße Knochen, die aus dem roten Fleisch ragten.

Das Bein schien am Knöchel gebrochen.

Obwohl es William nicht wollte, denn so etwas ziemte sich in seiner Position ganz und gar nicht – er erlaubte sich für dieses eine Mal ... ZU SCHREIEN!

Sibirien. Hühnerfußhütte der Baba Yaga. Februar 2021

Das Mädchen schien in schlimmen Träumen zu baden oder besser: regelrecht unterzugehen. Das konnte man dem Wesen überdeutlich ansehen. Unruhig wälzte es sich auf dem Lager hin und her.

Professor Boris Iljitsch Saranow betrachtete seine Patientin einmal mehr.

Seit er die Kleine damals, zusammen mit Professor Zamorra und Nicole Duval, draußen vor der Hühnerfußhütte entdeckt hatte, war sie nicht wieder aufgewacht. Aber es war auch kein richtiges Koma, in das sie gefallen war, allenfalls ein Dämmerzustand.

Schnell hatte der Gefährte der russischen Märchenhexe Baba Yaga herausgefunden, dass etwas Fremdes in ihrem Körper heranwuchs, dass sie zu einem Wirtskörper geworden war. Doch bisher war es Boris nicht gelungen, den Schmarotzer zu entfernen. All die chemischen Tinkturen hatten das Fremde in ihr nicht töten können. Im Gegenteil. Es gab Situationen, da hatte der Russe die Behandlung mit den falschen Zutaten versucht und dem Mädchen geschadet. Dann musste dafür erst wieder schnellstmöglich ein Gegenmittel gefunden werden ...

Die Yaga stand ihm erst seit Kurzem – und auch nur eingeschränkt – wieder zur Verfügung, befand sie sich doch gerade in einem ungefähren menschlichen Alter von zwölf Jahren.

Konzentriere dich endlich, ermahnte er sich.

Nun also ein erneuter Versuch, den Schmarotzer von seinem Wirt zu trennen.

Noch einmal betrachtete er die Kleine. So recht wusste er das Mädchen, das der selbstlosen Liebe fähig schien und dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit eine Dämonin aus der Hölle war, nicht zu beschreiben. Vor ihm lag eine Mischung aus Katze und Vogel und Mensch mit gewissen Chamäleon-Eigenschaften.

Sie erschien ihm wie eine aufrecht stehende Katze mit Vogelattributen. Unwillkürlich fiel ihm das Märchen vom Gestiefelten Kater ein. Aber so sah die Kleine nun überhaupt nicht aus.

Zwei Katzenhinterbeine endeten in geschmeidigen gelbbraunen Hühnerfußkrallen. Ein Katzenschwanz, den sie etwas ausfächern konnte, erschien dann wie ein Vogelschwanz oder besser: wie ein prähistorischer Reptilvogelschwanz. Er konnte sogar mit dem Körper verschmelzen.

Zwei Katzenvorderläufe, die eher menschlichen Armen glichen, endeten ebenfalls in gelbbraunen Hühnerfußkrallenfingerhänden.

Die Kleine besaß keine Dämonen- sondern eher Adlerflügel, die sie mit dem Rücken verschmelzen lassen konnte, wobei sie zusätzlich Steuerfedern an den Armen aufwies.

Sie trug ein zartes Gefieder, das seidig und metallisch zugleich schimmerte. Das Gefieder konnte sie anlegen, dann wirkte es wie eine Rüstung. Im Original schillerte es in Grün und Türkis und Blau. Doch konnte es auch die helle Farbe des Lakens annehmen oder völlig dunkel werden. Eben wie ein Chamäleon.

Die Augen leuchteten schwarz – Boris hatte ihre Lider mehrmals schon geöffnet und mit der Taschenlampe vorsichtig hineingeleuchtet – und saßen seitlich, sodass sie sicher zwei geteilte Sichtbereiche besaß. Der Kopf war rund und glatt und wies keine erkennbaren Ohren auf, wohl aber Ohrlöcher, die durch die Federn verdeckt wurden. Das winzige Kopfgefieder spross überall hervor. Einzig Nase, Mund und Kinn bildeten eine verhornte Partie. Wie ein vorgebogener Buckel mit Nasenlöchern. Oder besser: wie ein eng an das Gesicht gelegter Vogelschnabel. Die Lippen waren verhornt. Und bei Erregung bildete sich ein Raubkatzengebiss aus. Auch dies hatte er durch Experimente herausgefunden. Leider. Denn die Dämonin war nicht zimperlich, wenn sie mit geschlossenen Augen unbewusst nach den Fleischbatzen schnappte.

Der Russe sah das zweite Mädchen, das sich im Raum befand, an und nickte. Die Augen der Zwölfjährigen glommen safrangelb auf. Sie trat hinter ihn, schob ihre schmale Hand unter sein Hemd und berührte ihn seitlich am Bauch. Der Körperkontakt war hergestellt. Boris schloss die Augen und konzentrierte sich. Er spürte die Energien, die nun durch seinen Körper flossen und seinen Geist magisch aufluden. Kopfschmerzen deuteten sich an, doch der Russe blieb ruhig. Die vergingen. Immerhin bekam er gerade eine Überdosis Elementarenergie verabreicht.

Das Mädchen löste den Kontakt und zog sich in die Rolle der Beobachterin zurück.

Als Boris die Augen wieder öffnete, wusste er, dass auch sie nun gelb glommen. Auch den Mund öffnete er leicht. Er würgte. Nur ganz zart. Und doch verließ etwas die Mundhöhle. Wie feine Nebelfetzen flockte es nach unten, auf das fremde Mädchen.

Dann rann das Etwas wie Speichel über seine Lippen. Und doch war es Energie. Energie, die er formen konnte! Eine fingerdicke, perlmuttfarbige Schlange bildete sich, tastete sich in Kyras offenes Schnabelmaul und verschwand darin.

Der russische Parapsychologe hatte einen Teil seines Geistes in reine Energie umgewandelt und ihr eine Form gegeben. Zusätzlich verband ein dünner, strapazierfähiger Faden die beiden ungleichen Wesen miteinander.

Boris schloss erneut die Augen ... und sah! Er sah und fühlte mit der Spitze der Energieschlange. Er sah die Kehle des Mädchens, den ersten und den zweiten Magen, den Darm und stieß im nächsten Augenblick schon an das Fremde!

Er konnte gar nicht mit Gewissheit sagen, wann der Darm aufhörte oder wann er in das tentakelhafte Wesen eingedrungen war. Es schien sich bereits im gesamten Unterleib des Dämonenmädchens eingenistet zu haben!

Wann hatte sie sich dieses Etwas nur eingefangen? Vielleicht beim Kampf um den ominösen magischen Kokon, der wohlverwahrt im Tresor der Hütte lagerte?*

Übergangslos wurde er attackiert. Das fremdartige Wesen sandte schwarzmagische Impulse aus! Dann schnappte es nach ihm.

Boris spürte, wie sich sein Denken verfinsterte, wie die Energieströme vom Fremden abgebissen, eingesogen und umgewandelt wurden.

Er verlor immer mehr von seiner geistigen und doch gestaltgewordenen Energie!

Jetzt! gab er den Impuls.