Professor Zamorra 1090 - Anika Klüver - E-Book

Professor Zamorra 1090 E-Book

Anika Klüver

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Beschreibung

Branwen Jones wollte eigentlich nur Kunst studieren. Doch dann begegnete ihr Gryf, der Silbermonddruide - und nun lebt sie in einer Welt, die wesentlich mehr zu bieten hat als sie sich je erträumt hat. Doch das ist nicht immer nur spannend, sondern birgt auch entschieden Gefahren in sich, wie sie feststellen muss. Und das nicht nur in ihrer Gegenwart ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Blut und Sand

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-2706-9

www.bastei-entertainment.de

Blut und Sand

von Anika Klüver

Blut hat einen seltsamen Geschmack. Es schmeckt wie nichts anderes auf der Welt und ist daher immer unverkennbar und eindeutig. Und doch erschrickt man jedes Mal aufs Neue, wenn man es wahrnimmt. Diese süßlich-metallische Note, zu der sich plötzlich eine Prise Salzigkeit gesellt. Der Geschmack wirkt stets falsch.

Blut ist lebenswichtig. Wenn man es schmeckt, bedeutet das nichts Gutes, und oft genug geht der Geschmack von Blut mit Wunden, wenn nicht gar dem Tod einher.

Doch Gryf ap Llandrysgryf spuckte das Blut, das sich in seinem Mund gesammelt hatte, aus und stellte sich dem Tod trotzig entgegen.

»Ein altes Sprichwort lautet: Erst in der Arena fasse der Gladiator seinen Plan.«

Seneca, Epistulae morales 22,1

Kapitel 1 Brot und Spiele

NuceriaDas Jahr 59 nach unserer Zeitrechnung

Das Schwert sauste so schnell auf seinen Kopf herab, dass die Bewegungen verschwammen. Gryf ap Llandrysgryf konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite ausweichen, dass die Klinge zischend an seinem rechten Ohr vorbeirauschte. Sein eigener Schwung brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er stürzte hart auf den sandigen Boden. Es gelang ihm, den Aufprall mit dem hölzernen Schild in seiner linken Hand abzufangen, aber dennoch schoss Schmerz durch seinen Arm. Er schluckte ihn hinunter und rappelte sich auf.

Sein Gegner wartete geduldig ab, bis er wieder einigermaßen sicher auf beiden Beinen stand. Sand und Staub klebten auf der schweißnassen Haut des Silbermonddruiden. Er nahm eine Verteidigungshaltung ein und blinzelte, um die hellen Flecken aus seiner Sicht zu vertreiben.

»Mach ihn fertig!«, brüllte jemand schräg hinter ihm. Gryf wusste, dass die Aufforderung nicht ihm, sondern seinem Gegner galt. Sein Blick zuckte kurz zu den Männern, die im Halbkreis um ihn und seinen Angreifer herumstanden. Auf ihren Gesichtern spiegelten sich Verachtung und Blutgier.

»Schlag ihm den Schädel ein, Pugnax!«, rief ein anderer Mann, der Gryfs Gegner erstaunlich ähnlich sah. Die gleiche große Nase, das gleiche kantige Kinn, zweifellos ein Verwandter. Gryf verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich auf den Kampf. Er legte die Finger fester um den Schwertgriff und hob den Schild ein wenig an.

»Was ist los, Welpe?«, fragte sein Gegenüber hämisch. »Na los, greif an!«

»Ich will nicht gegen dich kämpfen«, erwiderte Gryf. Bislang war er nur ausgewichen und hatte die Schwertschläge seines Gegners abgewehrt. Er hatte nicht vor, den Mann aus eigenem Antrieb anzugreifen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.

Pugnax warf den Kopf zurück und lachte lauthals. »Es geht jetzt nicht mehr darum, ob du kämpfen willst, Kleiner. Entweder du kämpfst und stirbst wie ein Mann oder du stehst einfach da und stirbst wie ein Feigling. Mir ist das gleich.« Auf seine Verkündung folgten johlende Bestätigungen der Umstehenden.

Gryf biss die Zähne zusammen. Mit Worten würde er hier nichts erreichen. Und er hatte keine Zeit, sich noch länger mit diesen kampfwütigen Idioten aufzuhalten. Er musste hier weg, er musste Branwen finden und mit ihr von hier verschwinden.

Bei dem Gedanken an die junge Frau, die seit ihrer ersten Begegnung unter seinem Schutz stand, zog sich Gryfs Magen zusammen. Er war für sie verantwortlich, fungierte als eine Art Mentor für sie und half ihr, ihr magisches Potenzial zu entwickeln. Und jetzt waren sie irgendwie in diesen Schlamassel geraten, und er hatte keine Ahnung, ob es ihr gut ging.

»Es reicht«, murmelte er. »Ich habe keine Lust mehr, mit einer Horde Bodybuilder im Sandkasten zu spielen.«

Gryf ap Llandrysgryf konzentrierte sich auf sein Ziel, machte einen kleinen Schritt und …

… nichts passierte. Der Silbermonddruide stolperte verdutzt nach vorn und schaffte es gerade noch, auf den Beinen zu bleiben. Es fühlte sich an, als wäre er im Dunkeln eine Treppe hinaufgestiegen und hätte sich bei den Stufen verzählt. Der letzte Schritt ging einfach ins Leere.

Höhnisches Gelächter erschallte überall um ihn herum.

»Was war denn das, Welpe?«, fragte sein Gegner. »Versteht man das bei deinem Volk etwa unter einem Angriff?«

Gryf war zu perplex, um irgendetwas zu erwidern. Was in aller Welt war da gerade passiert? Eigentlich hätte der Schritt in einen zeitlosen Sprung übergehen müssen, der ihn zu Branwen brachte. Er hatte diese Fähigkeit schon unzählige Male genutzt, um sich ohne Zeitverlust fortzubewegen. Und ausgerechnet jetzt ließ sie ihn im Stich?

Der Silbermonddruide erhielt kaum Gelegenheit, sich von seinem Schreck zu erholen. Mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, die man ihm aufgrund seiner Masse gar nicht zugetraut hätte, stürmte sein Gegner ohne Vorwarnung auf ihn zu und holte zum Schlag aus. Gryf riss reflexartig den Schild hoch, und nur einen Sekundenbruchteil später krachte das Schwert des Angreifers mit einem dumpfen Knall auf das Holz. Der Schmerz schoss wie ein elektrischer Schlag durch Gryfs Arm, während er von der Wucht des Aufpralls zurückgeschleudert wurde.

Der nächste Schwerthieb folgte, und gleich darauf setzte Pugnax seinen eigenen Schild ein. Der große Mann benutzte ihn jedoch nicht zur Verteidigung, sondern als zweite Waffe. Mit einer gut gezielten ruckartigen Bewegung rammte er die obere Kante des Schilds unter Gryfs Kinn und riss ihn damit von den Füßen. Gryf wurde ein gutes Stück zurückgeworfen und landete hart auf dem Sandboden. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, sich nie wieder bewegen zu können. Dann rollte er sich keuchend auf die Seite. Er schmeckte etwas Metallisches und spuckte Blut aus, das sofort im Sand versickerte und nur einen dunklen Fleck hinterließ. Trotzig wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund und rappelte sich mühsam auf.

»Hast du immer noch nicht genug?«, donnerte Pugnax. Der große Mann war dicht an ihn herangekommen und trat ihm ruckartig gegen die Beine, sodass er erneut zusammensackte, noch bevor er überhaupt wieder aufgestanden war.

Gryf ap Llandrysgryf war kein Anfänger. Wenn man auf ein so langes und ereignisreiches Leben wie seines zurückblicken konnte, sammelte man irgendwann zwangsläufig eine gewisse Kampferfahrung. Auch ohne seine Druidenkräfte wusste er sich durchaus zu verteidigen, wenn die Lage es erforderte. Er zog eine friedliche Lösung stets vor, aber manchmal blieb einfach kein anderer Ausweg.

Doch den Fähigkeiten dieses Kämpfers hatte er in seinem benommenen Zustand wenig entgegenzusetzen. Die Tatsache, dass ihn seine magische Option zur Vermeidung einer Auseinandersetzung im Stich gelassen hatte, hatte ihn für einen Moment aus dem Konzept gebracht und sein Gegner hatte diesen Augenblick sofort gnadenlos ausgenutzt.

Wieder dachte er an Branwen. Er schüttelte den Kopf, um das Schwindelgefühl loszuwerden. Er musste diesen Kampf irgendwie gewinnen. Aber selbst wenn ihm das gelang, waren da immer noch knapp zwanzig andere Männer, die sich ihm in den Weg stellen konnten.

Wie aus weiter Ferne nahm er plötzlich ein rhythmisches Trommeln wahr. Er hob den Kopf, der sich bleischwer anfühlte, und schaute sich um.

Die Männer, die um ihn herumstanden, hielten alle Holzschilder vor sich und schlugen mit Holzschwertern dagegen. Das Geräusch wurde immer lauter und schneller, ein Crescendo, das zu einem unerträglichen Dröhnen wurde. Es mischte sich mit dem Rauschen des Bluts in seinen Ohren.

Gryf sah ihre unerbittlichen Gesichter, spürte den Abscheu, den sie ihm entgegenbrachten, während er auf dem Boden kauerte und darum kämpfte, nicht zusammenzubrechen. Und dann spürte er die Präsenz seines riesigen Gegners, der sich schräg hinter ihn stellte und sich ein Stück zu ihm hinunterbeugte.

»Das war deine erste Lektion, Welpe.« Aufgrund des Lärms, den die Umstehenden verursachten, und des roten Nebels aus Schmerz konnte Gryf die Worte kaum verstehen. »Und wahrscheinlich auch deine letzte.«

Der Schwertknauf landete mit einem ungesunden Knacken auf Gryfs Hinterkopf. Für eine Sekunde sah er nur gleißend helles Licht, das von blutroten Fäden durchzogen war. Dann verteilte sich das Rot und verdrängte die Helligkeit wie eine schnell größer werdende Lache.

Branwen, schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss Branwen helfen …

Und dann wurde alles schwarz.

***

Der Berg Snowdon in WalesEinige Stunden zuvor in der Gegenwart

Branwen Jones presste sich keuchend gegen den kalten Fels und lauschte angespannt. Der dichte Schnee, der hier oben alles bedeckte, schluckte jegliches Geräusch. Gleichzeitig verursachte er eigene Laute – ein flüsterndes Rauschen, wenn er über den steinigen Untergrund rutschte, ein dumpfes Klatschen, wenn sich ein zusammengepapptes Stück des gefrorenen Niederschlags von einem Felsvorsprung löste und in die Tiefe stürzte. Es war, als befände man sich unter einer Kuppel, unter der alles gedämpft war und die Luft die Geräusche in sich aufnahm, statt sie weiterzutragen. Alles auf diesem Berg war trügerisch, jeder Schritt konnte der letzte sein.

Branwen konzentrierte sich darauf, ihre Atmung zu beruhigen. Sie beobachtete, wie die weißen Kondenswolken vor ihrem Gesicht gleichmäßiger wurden. Dann lauschte sie wieder. Ein leises Knirschen ertönte, aber sie konnte nicht beurteilen, aus welcher Richtung es gekommen war. Vorsichtig tastete sie sich am Fels entlang und schaute über den Rand des kalten Gesteins hinweg.

Sie konnte ihren Verfolger nirgends entdecken. Hatte sie ihn tatsächlich abgehängt? Ihre Fußspuren waren die einzigen, die im Schnee zu sehen waren. Aber das hatte nichts zu sagen. Ihr Verfolger hatte andere Möglichkeiten, sich fortzubewegen. Tatsächlich könnte er jederzeit direkt neben ihr auftauchen. Ein kurzer Schauer lief Branwen über den Rücken. Er hatte nichts mit den Minustemperaturen zu tun, die auf dem Berg herrschten.

Sie wartete noch ein paar Minuten ab und beschloss dann, ihren Weg fortzusetzen. So vorsichtig wie möglich stapfte sie durch den Schnee auf den nächsten großen Felsen zu. Sobald sie ihre Deckung verlassen hatte, wurde ihr klar, dass das ein schwerer Fehler gewesen war. Sie spürte die Anwesenheit ihres Verfolgers sofort. Ihre Nackenhaare stellen sich auf und ihre Nervenenden kribbelten, als hätte man sie unter Strom gesetzt. Sie wirbelte herum, verlor auf dem tückischen Untergrund beinahe das Gleichgewicht, schaffte es aber, sich auf den Beinen zu halten.

Doch es war zu spät. Das Geschoss raste bereits mit voller Geschwindigkeit auf sie zu. Panik stieg in ihr auf. Sie musste handeln, aber plötzlich wusste sie nicht mehr, welche Reaktion die richtige war. Ihr blieb keine Zeit zum Nachdenken. Instinktiv riss sie die Arme hoch, um sich vor dem Geschoss zu schützen. Im gleichen Augenblick spürte sie, wie unsichtbare Energie aus ihren Fingern floss und sich ihrer Bewegung anpasste. Sie verteilte sich um sie herum, während helles Licht durch ihre dichte Winterkleidung nach außen drang. Es war so hell, dass es die vielen Stoffschichten mühelos durchdrang, und für den Bruchteil einer Sekunde bestand die ganze Welt nur noch aus Schnee und Licht – nur noch aus Weiß.

Dann schlug etwas, das ebenfalls weiß war, wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht auf. Es war, als wäre das weiße Ding mitten in der Luft gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Branwen keuchte erschrocken auf und ließ die Arme sinken.

Die Überreste des Schneeballs sanken mit der unsichtbaren Barriere nach unten und fielen dumpf zu Boden. Sie zitterte leicht, während die Anspannung von ihr abfiel und ihr klar wurde, was gerade passiert war.

»Na also, es geht doch.«

Gryf ap Llandrysgryf kam grinsend hinter dem Felsen hervor, hinter dem sich Branwen eben noch versteckt hatte. Genau wie sie trug er schützende Winterkleidung, um den frostigen Temperaturen auf dem verschneiten Berggipfel trotzen zu können. Unter seiner Mütze lugten ein paar verirrte Strähnen seines blonden Haarschopfs hervor, der sich nie ganz bändigen ließ. Sie verliehen seinem jugendlichen Gesicht etwas Schelmisches. Branwen wusste, dass diese scheinbare Jugend ebenso trügerisch war wie der Berg, auf dem sie standen. Unter der Oberfläche steckte sehr viel mehr, als sich auf den ersten Blick erahnen ließ.

»Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?« Ihr Mentor und Lehrer stapfte auf sie zu.

»Nein … Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass es plötzlich klappt. Ich weiß nicht mal genau, was ich gemacht habe.«

»Du hast auf deine Instinkte vertraut. Das ist schon mal ein guter Anfang.«

Branwen lächelte unsicher. Seit sie im Zuge eines Zwischenfalls mit einer Dämonin namens Stygia herausgefunden hatte, dass sie über magische Fähigkeiten verfügte, hatte sie mit Gryfs Hilfe daran gearbeitet, diese Magie zu formen und zu entwickeln. Der Silbermonddruide hatte sie damals zusammen mit seinem Freund Professor Zamorra, einem französischen Parapsychologen, aus Stygias Klauen befreit. Allerdings erst, nachdem die Dämonin versucht hatte, Branwens Magie anzuzapfen, wodurch diese sich manifestiert hatte. Gryf hatte daraufhin angeboten, sie bei der Erkundung ihrer neuen Fähigkeiten zu unterstützen. Für Branwen war diese ganze Sache allerdings immer noch gewöhnungsbedürftig.

Gryf hatte vorgeschlagen, dass sie sich fürs Erste auf defensive Fähigkeiten konzentrieren sollten. Wenn Branwen ihre Magie nutzen konnte, um sich und andere zu schützen, wäre das ein guter Anfang. Also hatten sie damit begonnen, das Errichten magischer Schutzbarrieren zu trainieren. Im Wesentlichen bestand dieses Training daraus, dass Gryf Branwen ohne Vorwarnung mit irgendwelchen harmlosen Gegenständen bewarf. Das schien ihm eindeutig mehr Spaß zu machen als ihr, und auch diese »Außenmission«, wie er es nannte, war seine Idee gewesen.

»Tja, nur schade, dass ich die ersten dreißig Schneebälle nicht abwehren konnte.« Sie deutete auf die nassen Flecken auf ihrer Kleidung.

»Alles braucht seine Zeit, Liebes.«

»Für jemanden in deinem Alter sagt sich das sicher leicht«, gab sie zurück. »Vor allem, wenn du nicht derjenige bist, der die Schneebälle abbekommt.«

»Du bist doch nicht aus Zucker.«

»Das nicht, aber ich bekomme leicht blaue Flecken.«

Er streckte eine Hand aus und wischte ihr eine verirrte Schneeflocke von der linken Wange. Dabei strich er mit dem behandschuhten Finger über das blasse L-förmige Symbol, das sie zusammen mit zahlreichen anderen auf ihrem Körper der Begegnung mit Stygia verdankte.

»Wie wäre es, wenn ich mir die Flecken später mal ansehe?«, raunte er.

»Spar dir das Süßholzgeraspel, Obi-Wan. Das hatten wir doch schon. Du bist mein Mentor, ich bin deine Schülerin. Und dabei belassen wir es.«

Gryf schenkte ihr dieses jungenhafte Grinsen. Und wenn sie ganz ehrlich zu sich war, musste sie sich eingestehen, dass ihre Knie bei diesem Anblick tatsächlich ein bisschen weich wurden. Aber wirklich nur ein bisschen. Sie wusste, dass Gryf gern flirtete. Er dachte sich nichts weiter dabei, es lag einfach in seiner Natur.

»Tja, wer könnte es mir verdenken, wenn ich es hin und wieder noch mal versuche? Mein Leben wäre einfach nicht dasselbe, wenn du mir nicht immer wieder das Herz brechen würdest«, sagte er mit übertrieben dramatischer Miene.

Branwen trat beiläufig einen Schritt von ihm weg und lenkte die Unterhaltung wieder aufs eigentliche Thema zurück.

»Wenn wirklich alles glatt gelaufen wäre, hättest du mich gar nicht gesehen. Aber ich musste mich so sehr darauf konzentrieren, in diesem Gelände nicht auszurutschen, dass ich mich nicht darauf konzentrieren konnte, meine Anwesenheit zu verschleiern.«

»Sich unsichtbar zu machen, erfordert eine Menge Konzentration und Können. Und es geht oft genug schief, weil man genau im falschen Moment die Nerven verliert und wieder sichtbar wird. Du solltest fürs Erste bei den Schutzschilden bleiben.«

»Aber die würde ich doch gar nicht brauchen, wenn mich niemand sehen könnte«, protestierte Branwen. Die Vorstellung, sich unsichtbar machen zu können, faszinierte sie ungemein. Sie hatte sich schon oft gewünscht, einfach unbemerkt verschwinden zu können. Ihr fielen ohne Weiteres Dutzende Situationen ein, in denen ihr dieses Talent von großem Nutzen gewesen wäre.

»Wir haben wahrscheinlich noch längst nicht all deine Fähigkeiten ausgelotet. Aber du musst Geduld haben. Magie ist ein Teil dessen, was wir sind. Wir entscheiden selbst, was wir damit anfangen, so wie das bei allen Talenten der Fall ist. Aber sie hat immer auch ihre Schattenseiten und kann schnell nach hinten losgehen. Und sie richtig in den Griff zu bekommen, ist harte Arbeit.«

»Sklaventreiber«, grummelte Branwen. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich einfach weiter im Café geschuftet. Dafür wurde ich wenigstens bezahlt, wenn auch nicht sonderlich gut.«

Ihre Mundwinkel zuckten, während sie versuchte, eine ernste Miene zu bewahren. Gryfs Grinsen verriet ihr, dass es ihr nicht gelang. Sie spielten dieses Spiel nicht zum ersten Mal. Sie wussten beide, dass Branwen in ihrem bisherigen Leben nicht sonderlich glücklich gewesen war.

Um sich ihr Kunststudium in Aberystwyth finanzieren zu können, hatte sie einen Job als Bedienung in einem Café angenommen. Doch die Arbeit dort hatte schnell überhandgenommen. Branwen war immer wieder für Kollegen eingesprungen oder hatte sich zu zusätzlichen Aufgaben überreden lassen. Für die Kunst war ihr kaum noch Zeit geblieben, sodass sie das Studium letztendlich auf unbestimmte Zeit verschoben hatte.

Der Zwischenfall mit der Dämonin Stygia hatte schließlich dafür gesorgt, dass ihr festgefahrenes Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde. Sie hatte eine Weile gebraucht, um sich mit der Tatsache abzufinden, dass Magie tatsächlich existierte und nun ein Teil von ihr war. Aber dann hatte sie plötzlich die Augen geöffnet und erkannt, was wirklich zählte. Wären Gryf und sein Freund Zamorra nicht gewesen, hätte Stygia Branwen umgebracht. Das Leben war zu kurz, um es mit halbherzigen Zukunftsplänen zu verschwenden, die man doch nie in die Tat umsetzte. Also hatte sie sich kurzerhand an der Universität in Aberystwyth für ein Kunststudium eingeschrieben.

Und einmal mehr war ihr Gryf zu Hilfe gekommen. Er hatte ihr einen privaten Fonds eingerichtet, damit sie sich keine finanziellen Sorgen machen musste. Branwen hatte natürlich protestiert, doch Gryf hatte sich nicht davon abbringen lassen.

Letztendlich hatten sie sich darauf geeinigt, dass Branwen ihm das Geld irgendwann zurückzahlen würde. Gryf brauchte es nicht und hatte in seinem langen Leben zweifellos genug Geld angespart, um immer irgendwo ein paar Reserven zu haben. Aber Branwen meinte, wenn er sich schon als ihre persönliche gute Fee aufspiele, müsse er auch akzeptieren, dass sie ihren zukünftigen Erfolg mit ihm teile.

»Ich habe nie behauptet, dass das hier leicht werden würde«, sagte Gryf nun mit seiner Oberlehrerstimme, die aufgrund seines jungen Aussehens immer ein wenig fehl am Platz klang. »Aber du hast eingewilligt, die Semesterferien damit zu verbringen, deine Fähigkeiten zu trainieren. Und da ich auch nicht mehr darüber weiß als du, wird es eben eine Weile dauern, bis du alles perfekt beherrschst.«

»Ich weiß«, sagte Branwen und trat erneut einen Schritt zurück, sodass sie direkt neben dem schneebedeckten Felsbrocken stand. Sie legte die Hände hinter den Rücken und wirkte dadurch umso mehr wie eine folgsame Schülerin.