Professor Zamorra 1123 - Anika Klüver - E-Book

Professor Zamorra 1123 E-Book

Anika Klüver

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Beschreibung

Vor einem Jahr fand sich die übersinnlich begabte Kunststudentin Branwen Jones unversehens und ganz ungeplant in der walisischen Anderswelt wieder - einer Welt voller magischer Wesen, voller Elfen und Mythen. Der Zugang zum Wales von heute sollte ihr für ein volles Jahr versagt bleiben.
Ein Jahr ist kurz, könnte man sagen - aber auf Branwen lauern trotz vieler Warnungen Gefahren, deren Potenzial sie seinerzeit kaum abschätzen konnte ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Das silberne Herz

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4910-8

www.bastei-entertainment.de

Das silberne Herz

Von Anika Klüver

Die Beine waren überall. Nicole Duval wand sich hin und her, um sich zu befreien. Doch es nützte nichts. Wie in einem Käfig war sie zwischen den dunklen Gliedmaßen gefangen. Und sie zogen sich immer enger zusammen. In wenigen Augenblicken würden sie die Dämonenjägerin zerquetschen. Die Mission würde enden, bevor sie begonnen hatte.

Mit Mühe gelang es Nicole, ihren E-Blaster anzuheben. Sie hatte nur diese eine Chance. Wenn es dieses Mal nicht funktionierte, war sie erledigt.

Sie biss die Zähne zusammen und zielte, so gut sie konnte.

Und drückte ab.

Gryfs Hütte, Anglesey

Der schmale Streifen aus silbernem Mondlicht stach ins Zimmer wie ein Messer. Er reichte bis zu dem Bett, in dem Gryf ap Llandrysgryf schlief. Der jugendlich wirkende Körper des Silbermonddruiden lag ruhig da. Nur seine Brust hob und senkte sich langsam im Rhythmus seiner Atemzüge. Das Mondlicht störte seinen Schlaf nicht im Geringsten.

In der abgeschiedenen Hütte, in der er nun schon seit vielen Jahren lebte, herrschte vor allem nachts eine nahezu perfekte Stille. Die natürlichen Geräusche, die es hier gab, waren für Gryf so selbstverständlich geworden, dass er sie gar nicht mehr wahrnahm. Der Wind, das ferne Rauschen des Meeres, die Stimmen der nachtaktiven Tiere – all das gehörte für ihn dazu und störte ihn nicht.

Und genau das war der Grund, warum ihn der eine ungewohnte Laut, der plötzlich ertönte, sofort aus dem Schlaf riss.

Das Pochen war nicht besonders laut, aber Gryf zuckte sofort zusammen, als es an seine Ohren drang. Er öffnete die Augen einen Spaltbreit und blinzelte in den vom Mondlicht erhellten Raum. Alles war ruhig, nichts regte sich. Und doch hatte er auf einmal das ungute Gefühl, nicht mehr allein zu sein.

Behutsam schlug Gryf die Decke zurück. Sofort spürte er die kühlere Luft, die der Stoff abgehalten hatte, auf seinem nackten Oberkörper. Doch das war nicht der einzige Grund dafür, dass ein Schauer über seine Haut kroch. Jemand war hier bei ihm im Raum. Er war sich ganz sicher, auch wenn er niemanden entdecken konnte.

Das Mondlicht war hell genug, um die gewohnten Umrisse des Zimmers erkennen zu lassen. Aber es ließ auch Schatten entstehen, die tagsüber nicht da waren. Schatten, die dunkler als die schwärzeste Nacht waren und alles Mögliche verbergen mochten.

Gryf fürchtete sich nicht vor Monstern unter dem Bett oder Ungeheuern im Schrank. Er war über achttausend Jahre alt und genug echten Monstern begegnet. Da brauchte er nicht auch noch welche, die nur in seiner Fantasie existierten. Außerdem wusste er sehr gut, dass man Monster bekämpfen konnte.

Und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass diese Bedrohung eine andere war.

Leise richtete er sich auf und drehte sich im Bett zum nach wie vor leeren Raum um. In seiner Reichweite befand sich keine Waffe – wie nachlässig von ihm! –, aber sein Verstand arbeitete bereits auf Hochtouren. Er suchte nach Gegenständen, die er in einem möglichen Kampf zu seinem Vorteil nutzen konnte. Der Stuhl? Nein, zu klobig. Der Besenstiel in der Ecke? Schon eher.

Er wollte gerade die Beine aus dem Bett schwingen, als er durch den Stoff seiner Hose eine warme Berührung verspürte. Erschrocken zuckte er zusammen und schnappte nach Luft.

Und dann sah er sie. Er wusste nicht, wie sie so plötzlich dort aufgetaucht war, denn noch vor einer Sekunde hatte er keine andere Person im Raum entdecken können. Und doch war sie da. Sie konnte kein Hirngespinst sein, denn er fühlte ihre Hand ganz deutlich auf seinem Oberschenkel. Und er spürte, wie sein Körper unwillkürlich auf diese Berührung reagierte.

Er musste zweimal ansetzen, bevor er endlich ein heiseres »Wie?«, herausbrachte.

Branwen Jones ließ ein glockenhelles Lachen vernehmen. Wie selbstverständlich saß sie auf der Bettkante und schaute Gryf mit diesen ihm so vertrauten Augen an. Ihr blondes Haar schimmerte im Mondlicht. Es war länger, als er es in Erinnerung hatte, und fiel ihr auf verlockende Weise über die blassen Schultern.

Gryfs Blick wanderte zu dem Gewand, dass sie trug. Der Stoff war mehr als nur hauchdünn und enthüllte mehr, als er verbarg. Ein kleiner Teil von ihm wollte sich abwenden. Gryf verspürte eine plötzliche Scham, die er so nicht kannte. Doch ein weitaus größerer Teil von ihm konnte einfach nicht wegsehen.

Sein Verhältnis zu Branwen war stets rein freundschaftlich gewesen. Was allerdings nicht an ihm gelegen hatte. Seit er sie damals zusammen mit Zamorra aus Stygias Klauen gerettet und sie als Magieschülerin unter seine Fittiche genommen hatte, war er immer wieder in Versuchung geraten, ihr Avancen zu machen. Er konnte einfach nicht anders. Wann immer der Silbermonddruide eine schöne Frau sah, setzte bei ihm eine Art angeborener Flirtinstinkt ein. Und Branwen war zweifellos schön.

Doch sie hatte stets deutlich gemacht, dass sie nur Freunde waren und ihre Beziehung nie darüber hinausgehen würde. Gryf war ein Mann, der ein Nein problemlos akzeptieren konnte. Schließlich gab es viele schöne Frauen auf der Welt, und die meisten von ihnen sagten schon allein bei seinem Anblick Ja. Deswegen musste er sich nur selten anstrengen, wenn ihm der Sinn nach angenehmer Gesellschaft stand. Doch die Gefühle, die er im Laufe der Zeit für Branwen entwickelt hatte, gingen tiefer.

Und dann war sie vor fast genau einem Jahr aus seinem Leben verschwunden. Bei einem Abenteuer in der Anderswelt, in der Gestalten lebten, die die Menschen für reine Mythen hielten, war Branwen unbeabsichtigt zur dortigen Königin geworden. Ein Akt der Güte ihrerseits hatte in Kombination mit den sehr speziellen – und teilweise sehr wörtlichen – Gesetzen der Anderswelt dafür gesorgt, dass sie sie für ein Jahr nicht mehr verlassen konnte. Und während dieser Zeit musste sie dort als Herrscherin fungieren.

Von einem Tag auf den anderen war sie fort gewesen. Und auf einmal hatte Gryf gemerkt, wie sehr er an ihr hing. Die ersten Wochen ohne sie waren regelrecht schmerzhaft gewesen. Dann hatte er angefangen, sich mit der Anderswelt zu beschäftigen und Informationen darüber zu sammeln. Er war fest entschlossen, Branwen von dort zurückzuholen.

Und nun war sie völlig unvermittelt von selbst wieder aufgetaucht. Zu seiner Verwirrung gesellte sich Freude und Erleichterung. Doch diese Empfindungen wurden von einer nagenden Unsicherheit überlagert. Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Wie … wie bist du hergekommen?«, fragte er schließlich. Sein Mund war ganz trocken, als er die Worte formte.

»Ist das wichtig?«, entgegnete Branwen.

Ihre Stimme! Gryf hatte ihre Stimme so lange nicht mehr gehört, und nun schien sie ihn regelrecht einzuhüllen. Sie klang ein wenig tiefer als früher – sinnlicher. Er wollte in seinem ganzen Leben nichts anderes mehr hören. Doch er zwang sich, konzentriert zu bleiben.

»Ja. Ich meine, nein, eigentlich nicht. Ich kann nur nicht fassen, dass du einfach so wieder da bist. Die Zeit ohne dich war …«

»Einsam?«, fiel Branwen ihm ins Wort. Gleichzeitig beugte sie sich ein wenig vor und ließ ihre Hand an seinem Bein hinaufgleiten. Gryf wurde schwindelig. Was war nur mit ihm los? Wieso kam er sich plötzlich wie ein unerfahrener Teenager vor?

»Ja«, keuchte er. »Ich habe dich vermisst. Und ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich wollte dich zurückho …«

»Schhh«, machte Branwen und legte ihm einen Finger auf die Lippen. Ihre andere Hand war immer noch an seinem Bein und wanderte langsam zum Bund seiner Hose. Ihre Augen funkelten schelmisch. Sie war so dicht bei ihm, dass Gryf die Wärme ihres Körpers spüren konnte. Und er roch den Duft ihres Haars und ihrer Haut. Sie duftete nach Zimt und Kerzenrauch, genauso wie er es in Erinnerung hatte.

»Branwen«, brachte er gequält hervor. »Was machst du denn? Du hast doch immer gesagt, dass wir nur Freunde sind.«

»Habe ich das?«, schnurrte sie. »Wie dumm von mir.«

Sie nahm die Hand von seinen Lippen und schob sie in sein wirres blondes Haar. Als sie es fest packte und seinen Kopf ruckartig nach hinten zog, stöhnte Gryf unwillkürlich auf. Branwen beugte sich vor und leckte genüsslich über Gryfs Kehle. Sein ganzer Körper erschauderte. Er stand so sehr unter Strom, dass er das Gefühl hatte, explodieren zu müssen.

»Das wolltest du doch immer«, hauchte sie dicht an seinem Ohr. »Seit unserer ersten Begegnung hast du dich danach gesehnt. Und nun kann ich dir deinen Wunsch endlich erfüllen.«

»Aber warum?«, fragte er. Natürlich wollte er es, aber eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf ließ ihn zögern. War das wirklich seine Branwen? Und war das hier wirklich das, was sie wollte? Oder hatte die Wiedersehensfreude sie so sehr überwältigt, dass sie nun Dinge tat, sie sie später bereuen würde?

Gryf wich ein kleines Stück zurück. In Branwens Blick blitzte daraufhin so etwas wie Verärgerung auf.

»Warum tust du das?«, fragte er.

»Weil ich es kann«, antwortete sie. »Weil ich frei bin und mich nicht länger zurückhalten will. Das habe ich mein ganzes Leben lang getan. Aber jetzt ist Schluss damit.«

Damit zog sie seinen Kopf wieder zu sich heran und küsste ihn. Ihre Lippen trafen gierig auf seine. Es fühlte sich an, als wollte sie ihn verschlingen.

Das war zu viel für Gryf. Sein Verstand, seine Vernunft, seine Vorsicht – das alles verpuffte in einem einzigen Augenblick. Es gab nur noch Branwen, die sich an ihn schmiegte und ihn küsste und sich so wundervoll anfühlte.

Auch seine Bewegungen wurden nun lebhafter und fordernder. Er umfasste ihre Hüften und ließ dann eine Hand an ihren Rücken hinauf bis zu ihrem Nacken wandern. Dort vergrub er sie in ihrem seidenweichen Haar. Die ganze Zeit über hörte er nicht auf, sie zu küssen. Er hatte immer gedacht, dass Branwen sehr zaghaft sein würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Sie war hungrig. In ihr steckte eine Leidenschaft, die ihn vollkommen überraschte. Und das gefiel ihm.

Der Silbermonddruide verlor sich immer mehr in diesem Taumel aus Empfindungen. Er wollte mehr von ihr spüren, sie berühren, sie nie wieder loslassen.

Branwen unterbrach den Kuss, und für einen Augenblick erschrak Gryf. War ihr klar geworden, was sie hier taten? Würde sie aufstehen und davonlaufen?

Doch seine Sorge war unbegründet. Ihr Lächeln verriet ihm, dass sie noch lange nicht mit ihm fertig war. Mit sanfter Gewalt drückte sie ihn ein Stück nach hinten und begann, seinen Hals und seine Brust zu küssen.

Erneut stöhnte Gryf. Er schloss die Augen und ergab sich ihren Lippen und ihrer Zunge. Er hatte das Gefühl zu schweben. In seinem Kopf gab es keinen klaren Gedanken mehr. Es gab nur noch diesen Augenblick, in dem er ewig verweilen wollte.

Und dann riss ihn ein plötzlicher Schmerz in seiner Schulter brutal in die Realität zurück. Er schrie auf und wich instinktiv zurück. Was war passiert? Hektisch schaute er umher und sah Branwen. Sie hockte immer noch vor ihm und lächelte. Er tastete nach seiner pochenden Schulter. Seine Finger trafen auf etwas Glitschiges, und der Schmerz verstärkte sich.

Als er die Hand zurückzog, war sie mit Blut bedeckt. Er fokussierte seinen Blick und starrte auf Branwen. Ihr Lächeln wirkte plötzlich seltsam kalt. Und das Blut von seiner Schulter klebte an ihren Lippen. Im Mondlicht schimmerte es fast schwarz. Der Anblick ließ Gryf erschaudern.

Sie hatte ihn gebissen! So heftig, dass sie die Haut durchdrungen hatte und er nun blutete! Was in aller Welt …?

»Was hast du …?«, begann er. Der Rest der Frage blieb ihm vor Entsetzen im Hals stecken. Was war nur mit Branwen passiert? Was hatte dieses Jahr in der Anderswelt mit ihr angestellt?

Gryf hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte. Alles war so schnell gegangen! Eben noch war er einfach nur froh gewesen, Branwen wieder bei sich zu haben. Doch jetzt war er sich nicht mehr sicher, dass das tatsächlich Branwen war.

Sie saß grinsend da und leckte sich langsam das Blut von den Lippen. Und in diesem Augenblick erkannte Gryf, dass dieses Wesen kein Mensch war. Zumindest nicht mehr. Branwen hatte sich in ein Wesen aus der Anderswelt verwandelt. Und diese Wesen waren oftmals heimtückisch und gierig und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Menschliche Moralvorstellungen waren ihnen fremd. Gryf hatte im letzten Jahr viel über sie gelesen. Aber er wollte nicht glauben, dass Branwen jetzt eine von ihnen war.

»Was ist denn los, Liebster?«, schnurrte sie und ließ eine Hand beiläufig an ihrem Körper hinuntergleiten. »Hat dir das etwa nicht gefallen?«

Wieder grinste sie. Ihre Zähne glänzten im Mondlicht unangenehm scharf.

»Was ist nur mit dir passiert?«, fragte Gryf.

»Das, was schon längst hätte passieren sollen«, erwiderte sie.

Und bevor Gryf reagieren konnte, stürzte sie sich wieder auf ihn. Er spürte spitze Zähne, die sich in sein Fleisch gruben und Fetzen aus seinem Körper rissen. Er versuchte, sie von sich wegzustoßen, er wehrte sich, er schrie. Doch es war vergeblich. Gierig verschlang sie sein Blut und sein Fleisch. Dann schlug sie die Zähne in seine Kehle und …

Gryf wachte auf. Er saß aufrecht im Bett und keuchte hektisch. Sein ganzer Körper war schweißgebadet. Sein blondes Haar klebte in nassen Strähnen an seinem Gesicht. Sofort tastete er nach seiner Schulter und seiner Kehle. Sie waren unversehrt. Da war kein Blut.

Ganz langsam sickerte die Erkenntnis in seinen Verstand. Er hatte geträumt. Branwen war nicht wirklich hier gewesen. Er war vollkommen allein und nicht in Gefahr.

Nach und nach beruhige sich sein hämmerndes Herz. Auch sein Atem normalisierte sich. Er strich sich das klamme Haar aus der Stirn und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Als er sicher war, dass er sich einigermaßen aufrechthalten konnte, ging er in die Küche und trank in einem Zug eine halbe Flasche Wasser leer. Dann ließ er sich erschöpft auf einen Stuhl sinken.

Was hatte das alles zu bedeuten? Dieser Albtraum konnte kein Zufall gewesen sein. Branwens Jahr in der Anderswelt war fast um. Und ausgerechnet jetzt tauchte sie vollkommen verändert in seinem Traum auf.

War ihr etwas zugestoßen? Hatte sie sich womöglich tatsächlich verändert und war jetzt dieses grausame Wesen?

Gryf erschauderte. Sein schweißnasser Körper war nach dem Aufstehen schnell ausgekühlt. Er stand auf und zog sich ein T-Shirt über. Viel wärmer wurde ihm dadurch nicht. Aber das war auch nicht möglich, denn ein Großteil der Kälte kam von innen.

Noch immer schien der Mond hell durchs Fenster. Bis zum Sonnenaufgang würden noch Stunden vergehen. Doch so lange wollte Gryf nicht warten. Was auch immer dieser Traum zu bedeuten hatte, er musste Branwen helfen. Selbst wenn sie nicht in unmittelbarer Gefahr schwebte, war sie immer noch in der Anderswelt gefangen. Und Gryf würde sie jetzt dort herausholen und dafür sorgen, dass sie in Sicherheit war. Und wenn sie sich verändert hatte, dann würde er ihr helfen, wieder zu ihrem alten Selbst zurückzufinden.

Doch für das alles brauchte er Hilfe. Die Anderswelt war ein gefährlicher Ort, vor allem weil sie auf den ersten Blick relativ harmlos wirkte. Aber dort herrschten andere Gesetze als in der Welt der Menschen. Ein falsches Wort konnte dort ein ganzes Schicksal verändern. Es brauchte Erfahrung im Umgang mit Magie, um einen Besuch dort heil zu überstehen und vor allem am Ende wieder nach Hause zu finden.

Gryf ap Llandrysgryf zog sich schnell vollständig an. Dann atmete er einmal tief durch, machte einen kleinen Schritt und verschwand.

Nur das kalte Mondlicht blieb in der Hütte zurück.

***

Château Montagne, Frankreich

Eine ungestörte Nachtruhe war etwas, das Professor Zamorra nur selten genießen konnte. Wenn er sich nicht gerade irgendwo auf der Welt um ein übernatürliches Problem kümmerte, saß er in seinem Arbeitszimmer und recherchierte, um ein anderes übernatürliches Problem zu lösen. Oft genug dauerten solche Recherchen bis in die frühen Morgenstunden.

Madame Claire, seine treue Köchin, hatte durchaus schon angemerkt, dass sie den Kaffeekonsum ihres Arbeitgebers bei solchen Gelegenheiten bedenklich fand. Dennoch kochte sie ihm das anregende schwarze Gebräu, wann immer er danach verlangte, oder überließ diese verantwortungsvolle Aufgabe in ihrer Abwesenheit Butler William.

Vielleicht lag es an diesem regelmäßigen enormen Koffeinkonsum. Vielleicht war es aber auch das besonders helle Mondlicht in dieser Nacht. Wie dem auch sein mochte, Professor Zamorra konnte nicht schlafen, obwohl er in dieser Nacht ausnahmsweise einmal keinen Grund hatte, wach zu bleiben.

Das ist doch wirklich eine Ironie des Schicksals, dachte er. Müde war er durchaus. Manche hätten seinen Zustand sogar als erschöpft bezeichnet. Und das war nach all den Abenteuern, die er in letzter Zeit erlebt hatte, auch kein Wunder. Aber der Schlaf wollte einfach nicht kommen.

Seufzend drehte er sich um und starrte auf die Uhr auf seinem Nachttisch. Es war bereits nach halb vier. In wenigen Stunden würde er schon wieder aufstehen müssen. Wenn er nicht wenigstens noch ein bisschen Schlaf fand, würde er morgen Früh aussehen wie ein Zombie.

Seine Lebensgefährtin Nicole Duval schien dieses Problem nicht zu haben. Sie lag auf ihrer Seite des gemeinsamen Betts und schlief selig wie ein Baby. Hin und wieder schnarchte sie sogar ein bisschen. Zamorra würde ihr das natürlich nie erzählen, weil er ahnte, wie schockiert sie dann sein würde. Aber die hübsche Französin war nicht unbedingt eine leise Bettgenossin. Zamorra störte es nicht besonders. Tatsächlich fand er ihr Schnarchen sogar irgendwie niedlich. Aber das Wissen darum würde er wohl mit ins Grab nehmen.

Mit müden Augen starrte er ins Dämmerlicht des Schlafzimmers. Der Mond schien sanft durch die Vorhänge. Zamorra fragte sich, ob er bei vollkommener Dunkelheit leichter einschlafen könnte. Andererseits gab es schon genug Dunkelheit in seinem Leben, wenn auch eher im übertragenen Sinne. Da lernte man selbst schwache Lichtschimmer schnell zu schätzen.

Nicole gab zwei kurze Schnarchlaute von sich und rollte sich dann auf die andere Seite herum. Die Konturen ihres schönen Körpers wirkten im Mondlicht einfach umwerfend. Zamorra spielte mit dem Gedanken, sie aufzuwecken, brachte es aber nicht übers Herz. Stattdessen stand er leise auf, zog sich seinen Morgenmantel über und schlich in den Flur hinaus. Wenn er ohnehin keinen Schlaf fand, konnte er ebenso gut ein wenig arbeiten. Damit mochte er den Teufelskreis der Erschöpfung nur noch endloser machen. Aber wenn er wach im Bett lag, fühlte er sich einfach nur nutzlos und das war noch schlimmer.

Auf leisen Sohlen huschte er durch die Flure des altehrwürdigen Châteaus. Er wollte in sein Arbeitszimmer gehen, doch so weit kam er nicht. Denn mitten im Flur tauchte plötzlich wie aus dem Nichts eine Gestalt vor ihm auf. Zamorra zuckte kurz zusammen, fing sich aber schnell wieder, als er den unerwarteten Besucher erkannte.

»Gryf!«, entfuhr es ihm. »Was soll das denn werden? Es ist mitten in der Nacht.«

»Das ist mir auch klar«, erwiderte der Silbermonddruide. »Aber ich habe keine Zeit zu verlieren. Wir müssen Branwen zurückholen.«

»Jetzt mal ganz ruhig«, sagte Zamorra. »Branwen ist seit einem Jahr in der Anderswelt. Und plötzlich beschließt du eines Nachts, sie zurückholen zu müssen. Und zwar so dringend, dass es nicht bis morgen warten kann?«

»Ich habe einen guten Grund dafür«, sagte Gryf. Mit knappen Worten erzählte er Zamorra, was geschehen war.

Der Meister des Übersinnlichen lauschte seinem alten Freund mit ernster Miene. »Wenn irgendjemand diesen Traum gehabt hätte, würde ich sagen, dass es tatsächlich nur ein Traum war«, sagte er dann, als Gryf seine Ausführungen beendet hatte. »Aber wenn unsereins so etwas träumt, liegt die Vermutung nahe, dass mehr dahintersteckt.«

»Das befürchte ich auch«, sagte Gryf. »Branwen könnte in Gefahr sein.«