Professors Zwillinge in Italien - Else Ury - E-Book

Professors Zwillinge in Italien E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Die Reihe ›Professors Zwillinge‹, von Else Ury, Autorin der bekannten Nesthäkchen-Reihe. Ein zeitloser Klassiker für alt und jung. Band 3: Professors Zwillinge in Italien Die Zwillinge folgen dem Vater nach Italien, wo sie in der Villa Nazionale herrliche Zeiten verbringen. Es kommt zu manchen sprachlichen Verwirrungen und die fremde Kultur zu entdecken, birgt manche Aufregung.

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LUNATA

Professors Zwillinge in Italien

Professors Zwillinge Band 3

Else Ury

Professors Zwillinge

in Italien

Band 3

© 1927 Else Ury

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Über die Autorin

1. Kapitel

O bella Napoli

In die Stazione centrale, den Hauptbahnhof von Neapel, brauste der von Norden kommende Zug. Ein Herr im hellen Sommeranzug, der seit einer Viertelstunde schon erwartungsvoll auf dem belebten Bahnsteig auf und ab geschritten, seine Uhr immer wieder mit der Bahnhofsuhr vergleichend, lief aufgeregt an dem langen Zuge entlang.

Wo steckten sie denn nur, seine Lieben? Seine Frau, seine beiden Kinder, die er ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte. Dunkelbrünette Gesichter, brennendschwarze Augen der Italiener; aber dazwischen auch hellhaarige, blauäugige Fremde, Vergnügungsreisende, die jetzt zur Osterzeit den Süden besuchten.

Vergeblich spähte Professor Winter in alle die fremden gleichgültigen Gesichter. Wo – wo mochten sie sein, sein Bubi, sein Mädichen?

»Facchino – facchino –!« schrie und hallte es über den Bahnsteig nach Gepäckträgern. Da plötzlich unter all dem Lärm des italienischen Stimmengewirrs deutsche Laute – Kinderstimmen, hell wie Lerchenschlag – »Vati – Vatichen!« Und da hing auch schon eins vorn, eins hinten den Rücken entlang, dem Vater am Hals, ihn streichelnd und küssend: »Vatichen, liebes Vatichen, nun sind wir wieder bei dir!«

»Mein Bubi – mein Mädichen – seid ihr groß geworden in dem Jahr!«

Mit dem einen Arm umschlang der Professor seine Zwillinge, mit dem andern seine Frau, die, Tränen in den Augen, vor Freude kein Wort über die Lippen brachte. So hielt er sekundenlang sein langentbehrtes Glück in den Armen. Bis eine laute Stimme sie unsanft auseinander riß. Ein Gepäckkarren fuhr gerade auf sie los.

Jetzt erst sah Professor Winter, daß er nicht nur seine beiden Kinder, Herbert und Suse, umfangen gehalten hatte, sondern noch zwei andere: den vierbeinigen, in den italienischen Bahnhofstumult auf gut deutsch blaffenden Bubi, ein schwarzes Hündchen, das sein kleiner Herr, der zweibeinige Bubi, auf dem Arm hatte, und die Puppe seines Töchterchens.

»Zuerst das Gepäck«, ordnete der Vater an, alle Wiedersehensfreude dem Notwendigen gegenüber zurückdrängend.

»Nein, zuerst der Vesuv! Wo ist er?« Herbert sah sich in der rauch- und menschenerfüllten Bahnhofshalle suchend um.

»Den wirst du schon noch zu sehen bekommen, mein Junge«, vertröstete ihn der Vater und übergab einem Gepäckträger die Handtaschen und den Schein für das große Gepäck. Dann nahm er liebevoll den Arm seiner Frau, während Suse sich an seinen andern Arm hängte. Herbert und sein Bubi aber eilten aufgeregt hinter dem Facchino mit Nr. 385 her, der das Handgepäck davonschleppte. Wenn er nun ein Dieb war und mit ihrem Eigentum davonlief?

Schreiende Hoteldiener umgaben, mit lebhaften Handbewegungen die Vorzüge ihrer Gasthäuser in allen möglichen Sprachen anpreisend, im dichten Knäuel die Ankommenden. Kaum daß man sich durch diese Menschenmauer einen Weg zu den Wagen bahnen konnte. Suse klammerte sich ängstlich an des Vaters Hand.

»Siehst du braun aus, Vatichen! Wie unser Teddybär!« Ordentlich fremd erschien dem kleinen Mädchen das von der südländischen Sonne stark gebräunte Antlitz des Vaters.

Als man nun glücklich bis zu einer Droschke durchgedrungen war, zeigte es sich, daß zwar Nr. 385 mit dem Handgepäck zur Stelle war, nicht aber der zweibeinige und der vierbeinige Bubi.

»Um Himmels willen, wo ist Herbert?« Die Mutter, von der langen Reise ziemlich abgespannt, sah sich erschreckt nach allen Seiten um.

Suse begann zu weinen, trotzdem sie schon zehn Jahre alt war. »Herbert ist fort, mein Herbert ist verlorengegangen.« Die Aufregung und Reiseermüdung löste sich bei dem Kinde in Tränen.

»Sei ruhig, Suschen, er wird gleich wieder da sein«, tröstete der Vater, angestrengt in dem Menschengewühl nach seinem Jungen Umschau haltend. Aber ein wenig unbehaglich war dem Professor selbst dabei zumute. Ein kleiner Junge allein in dem Bahnhofsgetümmel einer fremden Stadt, deren Sprache er nicht mal verstand, das war immerhin eine verwickelte Geschichte.

»Herbert – Herbert – – –«, rief er auf gut Glück in das Gewühl hinein. »Herbert – Herbert –«, schluchzte Suse hinterdrein.

»Wollen wir uns nicht lieber gleich an die Polizei wenden, Paul?« schlug die Mutter mit blassen Lippen vor. »Unser Junge kann sich doch hier im fremden Lande nicht mal verständlich machen. Auf allen Bahnhöfen unterwegs habe ich ihn nicht von der Hand gelassen, und jetzt, wo wir glücklich bei dir sind, passiert das.« Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte Frau Professor Winter es ebenso gemacht wie ihr Töchterchen, das seinen Tränen freien Lauf ließ.

Der Professor trat an einen Hüter der öffentlichen Ordnung heran. In fließendem Italienisch berichtete er, daß ihm sein kleiner zehnjähriger Sohn in Begleitung eines schwarzen Hundes abhanden gekommen sei.

Der Polizist machte seine Notizen. Name: Herbert Winter aus Berlin. Alter: Zehn Jahre. Aussehen: Hellbraunes Haar, blaue Augen, frisches Gesicht. Kleidung: Matrosenanzug, dunkelblaue Matrosenmütze. Schwarzer Hund, auf Namen Bubi hörend. Sprache: Deutsch.

Mit der Liebenswürdigkeit, die den Italiener auszeichnet, sagte der Polizist tröstlich: »Keine Angst, Signore. Sie werden den Kleinen sicherlich – spätestens morgen – auf dem deutschen Konsulat wieder in Empfang nehmen können.«

»Spätestens morgen –«. Dem Professor blieb das Wort in der Kehle stecken. Inzwischen verging seine arme Frau ja vor Angst. Er gab seine Adresse und Telefonnummer an, mit der Bitte, ihm sofort Nachricht zukommen zu lassen, wenn der Vermißte sich angefunden habe.

Unterdessen hatte sich der Wagenverkehr geregelt, auch die Menschenmenge etwas zerstreut. Autos, Hotelomnibusse und Droschken ratterten davon.

Professor Winter kehrte zu seinem Wagen zurück.

Das war ein schlechter Anfang!

»Unser Junge wird bestimmt auf dem deutschen Konsulat abgegeben, Fränzchen«, begann er beruhigend.

Seine Frau hörte ihn gar nicht. Sie stand aufrecht im Wagen, über den sonnenbeschienenen Platz erregt Umschau haltend.

»Paul, dort drüben, wo die Dienstmänner stehen, ist das nicht – ja, natürlich ist das unser Junge! – – – Herbert – Herbert – – –!« Sie rief und winkte. Das Mutterauge hatte ihn erkannt.

Schnellen Schrittes durchquerte der Professor den Bahnhofsplatz. Mitten unter einer Gruppe Dienstmänner standen ganz gemütlich der zwei- und der vierbeinige Bubi. Der zweibeinige lebhaft in deutscher Sprache redend, der vierbeinige ebenso lebhaft blaffend. Immerhin schien sich der zweibeinige doch noch besser verständlich zu machen. Die Dienstmänner lachten über den drolligen kleinen Fremden und wiesen mit der Hand auf einen im Hintergrunde der Stadt aus dem Gebirgskranz allein aufragenden Bergkegel.

»Vesuvio – si, piccolo – Vesuvio! Vesuv – ja, Kleiner – der Vesuv!« riefen sie dabei.

»Aber der raucht ja gar nicht richtig – man bloß solche olle schwarze Wolke ist da drauf! Vater,« – er lief dem auf ihn zueilenden Professor entgegen –, »Vater, warum spuckt der Vesuv denn gar kein Feuer?«

Der Vater griff erst mal nach dem Arm des kleinen Ausreißers, damit er ihm nur nicht wieder entwische. »Ja, Herbert, Junge, wo steckst du denn? Wo bist du denn bloß geblieben? Mutter sorgt sich Gott weiß wie um dich, Suse weint, und ich habe bereits die Polizei deinetwegen alarmiert.« Es tat dem Vater leid, daß er gleich in der ersten Stunde des langersehnten Wiedersehens schelten mußte.

Der Eindruck seiner ernsten Worte auf den Sohn war ein merkwürdiger.

»Die Polizei, Vater, italienische Polizei? Au fein!« Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. »Schade, daß du mich schon gefunden hast!«

»Und unsere Angst, Bubi?« Wenn die Eltern besonders zärtlich waren, gebrauchten sie immer noch den Kosenamen der Kleinkinderzeit »Bubi« oder »Mädi«.

»Mutti ängstigt sich ja immer gleich so doll, wenn ich bloß 'nen Schnupfen kriege. Ich mußte doch erst mal fragen, wo nun eigentlich der Vesuv ist, der immer Feuer spuckt. Aber du hast uns sicher bloß aus Ulk was vorgeredet, Vater. Der Vesuv ist nicht anders als unser Berliner Kreuzberg.« Herbert schien von seinem ersten Eindruck in Neapel recht enttäuscht.

»Warte es ab, Herr Neunmalklug«, meinte der Vater lächelnd.

Die beiden Bubis waren inzwischen zum Wagen transportiert worden. Suse fiel ihrem wiedergefundenen Zwilling um den Hals, als ob sie ihn jahrelang nicht gesehen habe. Die Mutter schloß ihn ebenfalls in die Arme, als müsse sie ihn noch nachträglich vor allem schützen, was ihm hätte passieren können.

Und nun saß man endlich abfahrtbereit, die Zwillinge den Eltern gegenüber auf dem Rücksitz, Herbert sein Hündchen, Suse ihre Schwarzwaldpuppe liebevoll im Arm.

»Avanti – vorwärts!« rief der Vater. »Hü – et –«, schnalzte der Kutscher und knallte mit der Peitsche. Der Gaul zog an. Professors Zwillinge fuhren zum erstenmal durch die Straßen von Neapel, das jetzt für ein ganzes Jahr ihre Heimat werden sollte.

»Was hättest du denn bloß hier in der fremden Stadt angefangen, wenn du uns nicht wiedergefunden hättest, Herbert?« Die Mutter konnte sich noch immer nicht beruhigen.

»Aber ich bin doch schon zehn Jahre alt«, begehrte der Junge auf. »Ich war doch euer männlicher Schutz unterwegs auf der Reise. Bubi hätte ganz sicher eure Fährte gefunden. Und auch sonst hätte es nichts geschadet. Dann hätte ich mir einen Wagen genommen und wäre nach Vaters Wohnung gefahren. Ich weiß doch die Adresse. Tassostraße sieben.«

»Wenn du die Adresse nicht italienisch weißt, würde man dich kaum verstanden haben, mein Junge«, bedeutete ihm der Vater. »Via Tasso, sette, müßt ihr euch merken. Via heißt der Weg, die Straße, auf italienisch. Und sette bedeutet deutsch sieben.«

»Natürlich – sept, sieben, auf französisch. Das haben wir schon in der Waldschule gelernt, Suse. Aber ich brauche das gar nicht. Ich zeige einfach.« Er hob sieben Finger in die Höhe. »Die Italiener machen das auch so.«

Der Vater schmunzelte. Der Junge hatte Beobachtungsgabe. Der kam durch die Welt.

Durch belebte Straßen, über grüne, blumenbestandene Plätze fuhr man. Der Professor machte seine Familie auf dieses oder jenes schöne öffentliche Gebäude aufmerksam.

»Palmen, Suse, sieh nur, Palmen!« rief Herbert aufgeregt, die Schwester in die Seite puffend.

Suse fuhr hoch. Sie hatte die Augen geschlossen. »Wo – wo? Ach, die ollen langen Fliegenwedel, das sind Palmen? Die sehen ja so grau und so verstaubt aus. Unsere Bäume sind im Frühling viel schöner.«

»Du wirst noch deine Freude an der herrlichen Pflanzenwelt haben, Suschen«, vertröstete der Vater.

»Unser Suschen ist müde. Das Kind ist das lange Fahren nicht gewöhnt. Es strengt ja uns Große reichlich an.« Auch die Mutter sah abgespannt aus.

»Nee, ich bin nicht ein bißchen müde«, behauptete das Töchterchen.

»Warum haste denn da die Augen zugeklappt?« verwunderte sich der Bruder. »Guck bloß mal, die Pferde haben hier Fischnetze um, mit Puscheln dran, nur die Ohren von den Gäulen gucken raus.« Herbert war ganz Auge. Er nahm die neuen Eindrücke lebhaft in sich auf.

»Fliegennetze sind das«, erklärte der Vater, »gegen Stechfliegen und Moskitos. So, Suschen, nun kannst du die Augen aufmachen, gleich wirst du das Mittelländische Meer sehen.«

»Ich will gar nicht sehen.« Suse kniff die Augen noch fester zu.

»Nanu?« verwunderte sich der Vater. Er kannte sein früher so liebenswürdiges Töchterchen nicht wieder. Was hatte das Kind? Es war doch nicht krank? »Warum willst du denn die Schönheiten der neuen Heimat nicht sehen, Herzchen?« erkundigte sich der Professor, die Stirn der Kleinen fühlend. Sie schien kühl.

»Nee, ich bin nicht krank! Ich will bloß nicht sehen. Ich will den gräßlichen Vesuv, der Feuer spuckt, nicht sehen.« Da war es heraus, Suses herzbeklemmende Angst vor dem feuerspeienden Berg.

Die Eltern und Herbert lachten. »Mein dummes, kleines Mädelchen!« Der Vater strich ihr beruhigend über die Wangen.

»Der Vesuv ist augenblicklich gar nicht in Tätigkeit. Eine Wolke liegt darüber. Wie kann man nur solch ein Angsthäschen sein!« Suse blinzelte durch die Wimpern. Dann aber riß sie die braunen Augen weit auf. Denn Herbert schrie erregt: »Das Meer – das blaue Meer!«

Tiefblau lag der Golf von Neapel, das weite Mittelländische Meer in der Sonne. Weiße Segelboote zogen wie Riesenschwäne ihre Silberbahn. Hochmastige Schiffe grüßten vom Hafen herüber. Fischerbarken tummelten sich auf den azurblauen Wogen. »O bella Napoli«, das Heimatlied des Neapolitaners, klang vom Gestade herüber.

»O bella Napoli – o schönes Neapel!« wiederholte Frau Professor Winter aus vollem Herzen, nach der Hand ihres Mannes greifend.

Auch Suse dachte nicht mehr an den gefährlichen Vesuv. Die landschaftliche Schönheit, die sich ihren Blicken erschloß, nahm das empfängliche Kind ganz gefangen.

Herbert aber wollte sogleich in den Hafen fahren, um die großen Schiffe zu sehen. Nur schwer ließ er sich auf eine geeignetere Zeit vertrösten.

Durch Santa Lucia, dem am Meer gelegenen Stadtteil mit den herrlichen Hotelpalästen für Fremde, rollte der Wagen. Weiter, immer weiter, am Kai, die Uferstraße entlang, – stets das leuchtendblaue Meer zur Linken. Unter Peitschenknall, Zungenschnalzen und »Hü–et«-Rufen des Kutschers kletterte der Gaul gemächlich die zur Höhe des Bergrückens Posilip führende Straße hinan. Malerisch schmiegten sich weiße Villen in üppig blühende Gärten. Der Vater machte seine Frau und Kinder auf die fremdländischen Pflanzen aufmerksam.

»Schau nur, Granatblüten, Suschen – die brennendroten dort. Die weißen Blüten sind Orangenblüten, die so stark duften. Ich habe sie euch früher mal in Potsdam in der Orangerie von Sanssouci gezeigt. Wir haben jetzt hier Blüte und Frucht zugleich an den Bäumen. Dies ist hier alles Rebgelände. Vignen nennt man die Weinberge.«

»Das da ist eine Zypresse, Vater, nicht wahr?« So bald es sich um Bäume oder Blumen handelte, war Suses Interesse geweckt.

»Nein, eine Pinie, Kind. Wißt ihr den Unterschied, das Erkennungsmerkmal nicht mehr? Ich erzählte oder schrieb es euch schon.«

»Natürlich wissen wir das noch«, warf sich Herbert in die Brust. »Eine Pinie sieht wie ein aufgespannter Regenschirm aus und eine Zypresse wie ein geschlossener.«

»Die Kiefern in unserer Waldschule sind ebenso schön wie die Pinien.« Suschen entpuppte sich als kleine Heimatspatriotin. »Sind wir denn noch nicht bald da?« Sie schien doch jetzt von der Reise und all dem Neuen ermüdet.

Da hielt der Wagen auch schon in der Via Tasso Nummer sieben. Suse war plötzlich wieder ganz munter. Neugierig musterten die Kinder das weiße, inmitten von Gärten liegende Haus, das ihre neue Heimat werden sollte.

Vor der Gartentür stand ein Mann, nur mit Hose und Hemd bekleidet. Seine sonnengebräunte Haut sah wie Bronze aus. Er fletschte die weißen Zähne vor Freude über die Ankömmlinge. Bubi beschnupperte ihn mißtrauisch.

»Das ist Pietro, unser Hausmeister. Gebt ihm die Hand, Kinder, und sagt ihm guten Tag.«

Die Mutter reichte Pietro als erste die Hand. »Buon giorno«, sagte Pietro. Das hieß auf deutsch »Guten Tag«. Er lachte von einem Ohr zum andern vor Freude über die Ankunft der deutschen Gäste.

»Du, Herbert, der Mann trägt ja Ohrringe!« Das war das erste, was Suse, die kleine Evastochter, entdeckte.

Wirklich – große, goldene Ringe baumelten in den braunen Männerohren. Aber Herberts Interesse war von dem Gepäck noch mehr in Anspruch genommen, das der Kutscher und Pietro abluden. Ob auch alles zur Stelle war? Er fühlte sich als männlicher Reisebegleiter von Mutter und Schwester dafür verantwortlich.

Pietro rief etwas in den Garten hinein. Die fremde Sprache klang den Kindern wie Kauderwelsch in die Ohren. Nur das Wort »subito – subito –« hörten sie heraus.

Eine Frau mit bunten Kämmen im schwarzen Haar, mit lebhaften schwarzen Augen in dem dunklen Gesicht, ein rotes Tuch um die Schultern, kam eiligst herzu. Sicher hieß sie »Subito«. Sie ergriff beide Hände der deutschen Dame, dieselben mit einem unverständlichen italienischen Wortschwall an ihr Herz ziehend. Trotzdem Frau Professor Winter italienische Studien getrieben hatte, verstand sie kaum ein Wort davon.

»Das ist Teresina, Pietros Frau, die für uns kochen und der Mutter im Haushalt zur Hand gehen wird«, stellte der Vater vor.

»Ich denke, sie heißt Subito«, flüsterte Suse dem Vater zu, während die Frau den reizenden kleinen »angeli« – auf deutsch Engelchen – begeistert das kurzgeschnittene, hellbraune Haar streichelte.

»Subito heißt schnell, rasch, plötzlich«, lachte der Vater.

Durch einen wundervollen Palmengarten mit seltsamen, großen, bunten Blumen schritt man dem Hause zu.

»Du – Suse – guck' bloß mal, da wachsen ja Zitronen und Apfelsinen – richtige Apfelsinen! Dürfen wir die pflücken, Vater?« Herbert spähte aufgeregt in dunkles Laub, aus dem goldene Früchte leuchteten. Er schien Lust zu haben, sofort auf einen Baum zu klettern.

»Morgen, Kinder, jetzt wollen wir erst mal ins Haus gehen.«

War das ein merkwürdiges Haus. Ein Bogengang von weißen Säulen lief ringsherum, Blumenterrassen tragend.

»Ach, die herrlichen dunkelblauen Glockenblumen, sind die groß und schön!« rief Suse begeistert, auf das die Säulen umwindende Blütengerank weisend.

»Das ist Klematis, wie wir ihn auch bei uns zu Lande haben. Nur wird er im Norden nicht so groß, so üppig und leuchtend wie unter italienischer Sonne. Und nun seid mir von Herzen willkommen, meine Lieben!« An der Schwelle des Hauses zog der Professor Frau und Kinder noch einmal in die Arme.

»Gottlob, daß wir wieder beisammen sind!« sagte die Mutter innig. Wenn sie auch etwas vor dem neuen Leben im fremden Lande bangte, sie war ja wieder an der Seite ihres Mannes.

Die Kinder waren inzwischen durch eine große, nach dem Garten zu offene Halle, den Eltern voran, schon ins Haus gestürmt. Auf dem spiegelblanken Mosaikboden des Vestibüls begann Herbert sofort zu schliddern. Suse, so müde sie auch war, als Zwilling hinterdrein.

»Na, ihr scheint euch ja schon ganz zu Hause zu fühlen, Krabben«, lachte der Arm in Arm mit der Mutter näherkommende Vater.

»Wohnen wir oben oder unten, Vati?« erkundigte sich Suse.

»Oben und unten. Im Erdgeschoß liegt der Eß- und Wohnraum und mein Arbeitszimmer, oben die Schlafzimmer, im Souterrain die Küche. Dort wohnen auch Pietro und Teresina. Ich habe das ganze Haus für uns gemietet.«

»Ganz allein für uns? Famos! Da können wir Krach machen, soviel wir wollen, Suse, ohne daß gleich einer raufschickt und um Ruhe bitten läßt.«

»Nehmt's euch nur gut vor«, lachte der Vater.

»Wo ist denn unsere Kinderstube, Vatichen? Meine Lotti muß jetzt ins Bett. Die Schlafaugen fallen ihr schon zu.« Dabei schien die kleine Puppenmutter nicht weniger müde.

»Die Kinderstube ist im oberen Stockwerk. Von dort hat man einen herrlichen Blick aufs Meer und auf den Vesuv.«

Suse riß die vor Müdigkeit schon klein gewordenen Augen wieder weit und entsetzt auf. »Auf den Vesuv, Vati? Der Vesuv guckt in unsere Kinderstube? Da schlafe ich nicht. Da graule ich mich ja tot!« Suse fing an zu weinen.

»Mädels sind wirklich manchmal doof!« sagte Herbert im Brustton der Überzeugung, sich ganz als Mann fühlend, zum Vater. Er jagte mit dem lustig kläffenden Bubi den andern voran die weiße Marmortreppe hinauf, die ins obere Stockwerk führte.

»Wir werden Suse in das Zimmer nach hinten in den Garten hinaus einlogieren, damit das Kind zur Ruhe kommt und sich nicht aufregt«, schlug der Vater vor.

Suse wollte nichts mehr sehen, nichts mehr essen, nur ins Bett. Sie war todmüde. Als sie sich davon überzeugt hatte, daß der gefürchtete Vesuv von ihrem Fenster aus nicht sichtbar war, ließ sie sich wie ein kleines Kind von der Mutter abwaschen und zu Bett bringen. Kaum hatte sie noch Zeit, sich über das weiße Moskitonetz, das von der Decke herab das Bett umbauschte, zu wundern. Kaum dachte sie noch daran, ihrem Vati nach einem ganzen Jahr endlich wieder den Gutenachtkuss zu geben. Sie schlief noch vor ihrer Schwarzwald-Lotti, die steif und aufrecht auf einem Stuhle saß.

Der Zwillingsbruder aber war noch höchst mobil. Er schnupperte mit Bubi, dem vierbeinigen, in allen Winkeln des neuen Hauses herum und ließ sich die von Teresina gekochten Makkaroni mit Tomatensoße und Parmesankäse herrlich munden. Er war von der Terrasse mit dem weiten Blick aufs Meer nicht ins Bett zu bekommen.

Süß und schwer strömte der Blütenduft. Aus den dämmerigen Gärten, aus den ins Meer hinausgleitenden Fischerbarken klang heller Sang – o bella Napoli!

2. Kapitel

Ausgeschlafen

Von lautem Geschrei wachten die Zwillinge am nächsten Morgen auf. Herbert, der nach vorn heraus schlief, wollte mit einem Satz aus dem Bett und ans Fenster. Aber er stieß auf einen merkwürdigen Widerstand. Irgendein weißes Etwas, in das er sich verwickelte wie die Fliege im Gewebe der Spinne. Was war denn das für ein dummes Netz? Träumte er noch? Kräftige Jungenhände zerrten an dem störenden Ding – ritsch – ratsch – da hing es in Fetzen. Herbert aber sprang verschlafen hindurch. Es war noch dunkel im Zimmer. Dichte braune Vorhänge wehrten dem Sonnenlicht den Eintritt. Soeben hatte Herbert noch von der Waldschule geträumt. Er fand sich noch nicht wieder zurecht in der Wirklichkeit. Wieso war es denn so finster in der Kinderstube? Es war doch sonst immer ganz hell, wenn er in die Schule ging.

»Giorno – Mattina – Giorno – Mattina –«, klang das Geschrei von der Straße herauf.

Nanu?

Plötzlich zerriß auch der Vorhang, der den Jungen vom Traumland zur Wirklichkeit schied. Das waren italienische Laute – er war ja gar nicht mehr in Berlin – hurra – er war ja in Italien beim Vater!

Der dunkle Stoffvorhang vor dem Fenster wollte nicht schnell genug, von ungeduldigen Jungenhänden gezerrt, zur Seite weichen. Ach, das war ja gar kein Fenster! Eine große Glastür war es, die hinaus zur Terrasse führte. Weißer Sonnenglanz lag über der weißen Terrasse. Blumen blühten. Vögel sangen und jubilierten da draußen.

Aber die Glastür wollte nicht aufgehen, überall stieß Herbert heute auf unvorhergesehenen Widerstand. Der Mechanismus war anders, als er das von daheim her kannte. Er begann an der Tür aus Leibeskräften zu rütteln, während es von der Straße jetzt »limone – limone –« heraufschallte.

Suse war inzwischen auch von dem Geschrei munter geworden. Wieso schlief sie denn heute am Fenster? Sie kam ja mit dem Kopf immer in die Gardine. Nach welcher Seite sie sich auch wandte, überall war die alte Gardine im Wege. Aber Suse besann sich nicht lange. Sie machte es so, wie sie es von klein auf im Dunkeln gemacht hatte. Sie rief aus Leibeskräften: »Mutti – Mutti!«

Mutti hörte nicht. Das Schlafzimmer der Eltern lag auf der andern Seite des Hauses. Aber hell wurde es trotzdem in dem dunklen Zimmer. Die Tür zum Nebenraum, in dem Herbert geschlafen hatte, öffnete sich, und die Stimme des Bruders erklang tröstend: »Guten Morgen, Suse. Warum blökste denn so laut?«

»An meinem Bett ist solche dumme Gardine, ich kann gar nicht raus. Und so finster ist es hier in dem alten Italien.« Suse hatte inzwischen bei dem vom Nebenzimmer hereinfallenden Tageslicht die neue Umgebung erkannt.

»Die Gardine, das ist ja das Moskitonetz, Suse. Meins habe ich schon zerrissen. Komm, ich helf' dir.« So, nun war auch die Suse glücklich aus dem Bett heraus.

»Der Fußboden ist ja so kalt!« Sie waren daheim trotz mütterlicher Vorhaltungen meist barfuß herumgelaufen, hatten sich nicht die Zeit genommen, erst in die Morgenschuhe zu schlüpfen.

»Hier in Italien haben die Häuser Steinfußboden«, belehrte sie Herbert, der, trotzdem er genau so alt war, alles besser wußte als sein Zwillingsschwesterchen. »So, da sind deine Morgenschuhe. Und dann komm und hilf mir die Balkontür aufmachen. Die ist hier doll fest verschlossen.«

Suse, die Geschicktere von beiden, hatte den fremden Mechanismus bald heraus, da sie nicht, wie der Bruder, mit Gewalt daran ging, sondern mit Überlegung.

Ach, war das schon zu dieser frühen Morgenstunde herrlich warm auf der sonnenbeschienenen Terrasse. Über seltsame Bäume, die sie nicht kannten, blickten die Kinder neugierig hinweg auf die Straße. Eine Herde meckernde Ziegen, die von einem braunen Hüterbuben die Straße entlang getrieben wurde, war das erste, was sie erblickten. Dunkelhäutige, halbwüchsige Jungen mit Zeitungen liefen dazwischen, auf und ab, noch immer laut schreiend: »Mattina – Giorno – Giorno – Mattina.« Ein Wagen mit gelben Früchten schob sich langsam den Fahrdamm entlang, während der kleine Verkäufer ohne Atempause »limone – limone« ausrief.

»Ob das Limonade heißt?« überlegte Herbert.

»Die Früchte sehen eigentlich wie Apfelsinen aus«, meinte Suse.

»Es sind aber Zitronen«, kam eine Stimme von irgendwoher.

Ja, woher denn? Die Zwillinge sahen sich erstaunt um. Ach, da mündeten ja noch mehr Glastüren auf die Terrasse hinaus. Und an einer derselben stand der Vater, das ganze Gesicht mit Seifenschaum beschmiert, denn er rasierte sich gerade. »Schlagsahne« pflegte Suse, als sie noch klein war, den Seifenschaum immer zu nennen.

»Vati – liebes Vatichen – wie schön, daß wir wieder bei dir sind!« Da flog die warmherzige Suse auch schon zärtlich auf den Vater zu. Sie empfand das Wiedersehensglück heute aufs neue.

»Nicht so ungestüm, Wildfang, sonst schneide ich mich. Na, haben meine beiden Hemdenmätze gut in der neuen Heimat geschlafen?« Der Vater strahlte über das seifenschaumige Gesicht vor Freude, daß er seine Zwillinge wieder hatte.

»Ja, Vati, bloß das olle Moskitonetz muß abgenommen werden. Da findet man sich ja gar nicht im Bett zurecht. Ich habe meins schon abgerissen«, erklärte Herbert. Er hatte für alles Neue ringsum mindestens solch Interesse wie für den Vater.

»Na, du bist tüchtig«, schmunzelte der Vater. »Wenn ihr kein Netz habt, könnt ihr gar nicht schlafen. Denn da stechen euch die Moskitos und Zanzare.«

»Sind das Mücken, Vater?« Herberts Interesse für alles, was krabbelte und flog, erwachte.

»Ja, mein Junge. Eine Stechmücke, die hier in den südlichen Ländern eine große Plage sein kann, wenn man nicht Vorkehrungen dagegen trifft.«

»Und dann schreien die Jungs auf der Straße hier morgens so laut, daß man gar nicht schlafen kann«, beschwerte sich Suse.

»Sie rufen die Zeitungen aus. Hört ihr › Mattina‹, das heißt Morgen und › Giorno‹, das heißt Tag. Es sind die gelesensten Zeitungen hier in Neapel«, erklärte der Vater.

»Und was heißt › Limone‹?«

»Limone ist eine Zitrone. Kleine Zitronenverkäufer bieten ihre Ware an.«

»Ulkig«, meinte Herbert. »Ich möchte auch mal so schreien.«

»Du schreist schon laut genug«, lachte es aus einem Bett. Die Mutter, die eigentlich gern noch ein wenig nach der anstrengenden Reise geschlafen hätte, war von der Unterhaltung aufgewacht. »Kinder, ihr werdet euch da draußen im Nachthemd einen Schnupfen holen«, warnte sie besorgt.

»Hier in Italien, wo es selbst im Winter warm ist?« ereiferte sich der Herr Sohn. »Auf italienisch gibt's überhaupt gar keinen Schnupfen.«

»Du mußt's ja wissen«, lachte der Vater. »Gerade hier am Meer, wo abends manchmal starke Abkühlungen nach glühend heißen Tagen vorkommen, kann man sich leicht erkälten. Aber nun marsch, wascht euch und zieht euch an, daß wir zusammen frühstücken können. Ich habe mich heute in der Sternwarte, Observatorium sagt man hier, beurlaubt, um euch erst mit der fremden Umgebung vertraut zu machen.«

»Famos!« rief Herbert. Während Suse sich ein wenig zaghaft erkundigte: »Müssen wir denn nicht in die Schule, Vatichen?«

»Erst müßt ihr Italienisch, die Landessprache, erlernen. Ihr bekommt Privatunterricht. Ich möchte, daß ihr hier später das Gymnasium weiterbesucht.«

»Natürlich, wir sind doch schon in der Waldschule in die Quinta versetzt worden«, pflichtete Herbert dem Vater bei.

»Da käme eine internationale Schule in Betracht oder eine italienische«, überlegte der Vater, zur Mutter gewandt, weiter.

»Ich gehe in eine italienische Schule,« Herbert war bereits vor den Eltern mit seinem Entschluss fertig – »du auch, Suse?«

»Ich gehe dahin, wo du hingehst.« Von klein auf war das schon so. Suse war der getreue Schatten des Zwillingsbruders, der sich stets als ihr Beschützer fühlte.

Während sich die Kinder wuschen und anzogen, hatte Pietro draußen auf der Terrasse einen großen roten Schirm gegen die Sonne aufgestellt. Wie eine rote Riesenblume stand er in der blauen Luft. Teresina deckte darunter den Frühstückstisch. Als die Kinder ausgeschlafen und frisch am Kaffeetisch erschienen, lag auf jedem Platz eine herrliche Rose zum Empfang. Pietro hatte sie der Mutter und ihnen zum Willkommen verehrt. Teresina aber hatte frischen Maiskuchen für die »Engelchen« gebacken.

Herbert biß sogleich erwartungsvoll hinein und – spuckte den Bissen, obgleich das gar nicht anständig war, sogleich wieder aus.

»Pfui Deibel!« rief er in seiner derben Jungensprache. »Pfui, das schmeckt ja abscheulich! Kein bißchen süß. Koste mal, Suse.«

Suse hatte eigentlich wenig Lust dazu, aber was Herbert getan hatte, mußte sie doch auch tun. Sie kostete und – spuckte ebenfalls. Denn sie war ja sein Zwilling.

»Aber Kinder, wie unmanierlich!« tadelte die Mutter.

»Was soll denn unser Vater davon denken. Der glaubt doch sicher, ihr seid in seiner Abwesenheit von Berlin ganz verwildert.«

»Na, wenn das Zeug so eklig nach Rizinusöl schmeckt«, entschuldigte sich Herbert.

»Nach Rizinusöl?« fragte der Vater belustigt. »Junge, hier wird alles mit bestem Olivenöl gekocht und gebraten. Ihr seid doch hier im Lande des Öls. Dort drüben die grauen Bäume, das sind Olivenbäume, aus deren kleinen schwärzlichen Früchten das Öl gewonnen wird. Ihr müßt euch Pfirsichgelee auf den Polentakuchen streichen. So, Suschen, jetzt probiere mal.« Der Vater strich dem Töchterchen einen Maiskuchen mit Fruchtgelee.

Ja, jetzt schmeckte es! Auch Herbert ließ sich dazu herbei, Teresinas Backkunst Ehre anzutun. Aber das Brötchen und das Hörnchen mundete ihm doch noch besser.

War das ein wundervolles Gefühl, wieder gemeinsam mit dem Vater nach so langer Zeit am Tisch zu sitzen – herrlich duftende Blüten zu seinen Füßen – weiterhin das blaue unendliche Meer und – – – »auf dem Vesuv liegt wieder eine Wolke«, sagte Herbert, in die Ferne starrend.

»Das ist Rauch, der aus dem Innern kommt«, erklärte der Vater.

Der Bissen blieb Suse vor Schreck in der Kehle stecken. Sie hatte heute über all dem Neuen noch gar nicht an den gefährlichen Vesuv gedacht.

Irgendwo auf der Straße blaffte ein Hund.

»Bubi, mein armer Bubi – ich habe mich ja noch gar nicht um ihn gekümmert.« Jetzt blieb dem andern Zwilling beinahe vor Schreck der Happen in der Kehle stecken, als er plötzlich an seinen vierfüßigen Freund dachte. Pietro hatte ihm gestern Abend ein Lager unten im Souterrain zurechtgemacht.

»Und meine Schwarzwald-Lotti habe ich auch noch nicht gewaschen. Die ist noch ganz schwarz von der Reise.«

»Dann sieht sie eben wie eine Italienerin aus«, meinte der Bruder gleichmütig und machte Miene, sein Frühstück im Stich zu lassen, um nach dem ausgesetzten Bubi zu sehen.

»Hiergeblieben!« rief der Vater. »Erst wird fertig gefrühstückt. Pietro hat sicherlich schon für den Hund gesorgt.«

»Aber der arme Bubi kann sich doch gar nicht mit ihm verständigen, er versteht doch kein Italienisch.« Mit dem letzten Bissen schoß Herbert wie ein Pfeil davon, hinunter in das Kellergeschoss. Suse natürlich hinterdrein.

Bautz – da lag der Junge. Er hatte nicht acht gehabt, daß er glatte Marmortreppen statt der gewohnten Holztreppen hinunterjagte. Plautz – da lag auch die Suse als getreuer Zwilling. Beide rieben sie sich das schmerzende Knie, sahen sich kläglich an und – lachten sodann. Denn geteilter Schmerz ist halber Schmerz.

Bubi gebürdete sich rein närrisch vor Freude, als er seinen kleinen Herrn wiedersah. Er mußte sich doch wohl so allein im fremden Lande recht vereinsamt gefühlt haben. Den Pietro, der ihn mit allerlei Kosenamen lockte, knurrte er feindselig an, denn er verstand ja noch kein Italienisch. Aber gegen Teresina, die ihm ein Näpfchen Milch hingesetzt hatte, hegte er schon freundlichere Gefühle. Die Sprache, die durch den Magen ging, verstand er.

»Cane – piccolo cane«, sagte Pietro, lachend seine weißen Zähne zeigend. Hund – kleines Hündchen, bedeutete es. Die Kinder blickten ebenso verständnislos wie der Hund.

»Cane«, sagte Pietro noch einmal, auf das Hündchen weisend.

»Nee, Bubi heißt er«, verbesserte Herbert in der Annähme, es handle sich um den Namen seines vierfüßigen Freundes. Jetzt war es an Pietro, ein verständnisloses Gesicht zu machen.

»Bubi – Bubi heißt er«, schrie der zweibeinige Bubi jetzt aus Leibeskräften dem Italiener in die Ohren. Dabei betrachtete et mit ungeheurem Interesse Pietros Goldohrringe.

Suse hatte inzwischen Teresina einen Besuch abgestattet. Die Hausmeistersleute hatten Stube und Küche im Kellergeschoss inne. Sehr ordentlich sah es darin nicht aus. Soviel sah selbst die zehnjährige Suse. Auch roch es abscheulich nach Zwiebeln und Knoblauch. In den Betten sielte sich eine ganze Katzenfamilie herum – sieben junge Kätzchen mit der Mutterkatze. Gott, waren die niedlich!

Teresina nahm eins der Kätzchen und legte es der beglückten Suse mit vielen freundlichen, aber leider unverständlichen Worten in den Arm. Ob das Kätzchen wohl ein Geschenk war oder nur geborgt? Suse hätte es zu gern gewußt.

»Herbert, sieh bloß mal das süße Kätzchen«, rief sie dem Bruder zu. »Es miaut auf deutsch, eben hat es ganz deutlich ›miau‹ gesagt.«