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Bia, eine von sieben genetisch veränderten Agenten, gehört zur Elite einer weltweit im Untergrund agierenden Organisation - "Die unbekannte Macht" operierte jahrzehntelang im Verborgenen, doch schreitet jetzt radikal und offen zur Tat, um die Menschheit für immer zu verändern und die Welt neu zu ordnen. Hierfür soll Bia auch einen renommierten Professor der Astrophysik entführen, den der Director - Gentechniker und "Vater" der unbekannten Macht - für ein ganz besonderes Projekt braucht: Porta. Obwohl niemand außer er Bia dafür geeignet hält, wird ausgerechnet sie mit der Überwachung eines bahnbrechenden Experiments beauftragt. Doch je mehr sie darin involviert wird, desto stärker beginnt sie, ihre Rolle dabei zu hinterfragen - und ist überzeugt, dass der Director speziell mit ihr noch einen ganz anderen Plan verfolgt ...
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Seitenzahl: 546
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Die unbekannte Macht
Der Director
Das Ritual
Der erste Schritt
Kontrolle
Ende und Anfang
Die Einzige
Lügen
Das schwarze Tor
Grenzen
Gerechtigkeit, keine Gnade
Thanatos
Die Hütte im Wald
Das große Gebot
Hilflos
Ein schwaches Licht
Virus
Verrat
Hölle
Die andere Seite
Stiller Wächter
Der Pakt
Playliste mit Hintergedanken
Zeichen
Rückkehr
Die Jagd
Wahrheit und Lüge
Scherben
Auflösung
Der Richter
Abgetrennt
Williams Perspektive
Die ganze Luft schien dick und verbraucht. Das Atmen fiel schwer, obwohl eines der breiten Fenster an der Glasfront des Gebäudes weit offen stand, und der Wind blies draußen kräftig. Einer der Wissenschaftler lehnte angespannt daneben und zog an seiner Zigarette. Zwischendrin fasste er sich immer wieder an den Kopf. Auch die Übrigen im Raum waren eher still. In der Ferne hörte man schließlich Schüsse.
»Sind wir hier wirklich sicher?«, brach es aus einem hervor.
Er legte seine Hände in den Schoß und seufzte.
»Sie haben gesagt, dass wir uns hierher zurückziehen sollen. Sie werden schon wissen, was sie tun.«
»Aber Professor«, meinte sein Assistent weiterhin nervös, »sie scheinen zu kämpfen. Und man weiß doch mittlerweile, wie direkte Konfrontationen dieser Art enden…«
»Wir wissen nicht, wer das Institut angreift«, versuchte er zu beschwichtigen. Nicht, dass er tatsächlich so gelassen gewesen wäre. Aber irgendjemand musste ja etwas Ruhe ausstrahlen in dieser Gefahrenlage. »… Es könnte im Prinzip auch eine ganz andere Gruppe sein. Vielleicht sind es Terroristen… das wäre nicht das erste Mal.«
»Ich… glaube das nicht…«, stotterte er. »Das sind… das sind sie…«
»Aber überlegen Sie doch mal, Timothy«, erwiderte er. »Was könnten die von uns wollen? – Von uns? Dies ist eine Forschungseinrichtung.«
»Sie könnten gerade an unserer Forschung interessiert sein. Vielleicht.«
Der noch immer eine Zigarette nach der anderen rauchende Kollege aus der Biochemie mischte sich in ihr Gespräch ein.
»Aber wir haben hier nichts, was man nutzen könnte«, murmelte er zurück. »Nichts… Substantielles.«
»Ich sage Ihnen eins: Was immer die hier wollen… wenn das wirklich die unbekannte Macht ist, dann sind wir alle tot.«
»Sagen Sie das nicht«, widersprach er matt. »Das Militär schützt uns. Es schützt alle größeren Anlagen in der Union…«
»Ja, wenig erfolgreich.«
»Ich versteh das nicht, diese Angriffe sind so willkürlich. Wer steckt dahinter und was planen die?«
»Ich weiß es nicht, Timothy. Aber eins steht fest… das sind keine Terroristen.«
Ein lauter Knall riss sie alle jäh aus der Unterhaltung. Und die Stille war zurück. Mehr noch – auf einmal wirkten alle im Raum so versteinert. Timothy starrte ihn mit offenem Mund an, während Dr. Velstat seine Anstalten stoppte, die Zigarette aus dem Fenster zu werfen. Die anderen bewegten sich keinen Zentimeter, sondern blickten in seine Richtung.
»Was…?«
Ein kaum hörbares Klicken direkt an seinem Hinterkopf.
»Nicht bewegen.« Eine Stimme. »Bis ich es sage.«
Er schluckte.
»Ihr da… zur Tür.« Sie machte eine Pause. »Na los!«
Timothy erhob sich als erster und die anderen folgten ihm. Vor der Tür stellten sie sich auf.
»Jetzt. Aufstehen.«
Langsam erhob er sich aus dem Stuhl, widerstand dem Drang, sich unvermittelt umzudrehen. Denn die Gesichter der Übrigen verhießen nichts Gutes.
»Gehen Sie.«
Zögernd setzte er seine Schritte, bis er aufgeschlossen hatte. Dann konnte er nicht mehr anders und wandte sich um.
»Hallo, Professor.«
Er staunte. Obwohl diese ganze Situation so ernst und bedrohlich war, konnte er nicht anders. Er hätte alles erwartet, vielleicht einen voll ausgerüsteten Soldaten mit einem Sturmgewehr, oder einer weniger ungewöhnlichen Waffe. Aber nicht so jemanden. Vor ihm stand eine Frau, was nach dem Klang ihrer Stimme eigentlich wenig überraschend war. Doch ihr Auftreten glich nichts, was sie bisher gesehen hatten.
»Wer sind Sie?«, fragte er und hörte sich dabei sogar sehr selbstbewusst an.
»Keine Fragen.« Sie deutete mit der seltsamen Waffe in ihren Händen zur Tür. Es war im Grunde eine Pistole – das war sein erster Gedanke – doch sie verfügte über eine Art Lauf parallel zur schimmernden Klinge und ein doppeltes Magazin. Und sie surrte.
»Wir werden jetzt gehen«, fuhr sie fort. Ihre Stimme klang fest und ohne jede Regung. »Sie gehen voraus. Wenn Sie sich weigern, töte ich Sie.«
So einfach? Aber niemand von ihnen war darauf aus, es herauszufinden. Also öffnete Timothy die Tür und begab sich auf den Flur. Die anderen folgten. Wo wohl die Soldaten waren? Wie war sie überhaupt unbemerkt in diesen Raum gekommen? Durch die Tür oder das Fenster offenbar nicht. Und woher hatte sie überhaupt gewusst, wo sie sich befanden…?
»Gehen Sie zur Garage«, hörten sie von hinten. »Sie wissen, wo das ist.«
»Und wenn nicht?«, wagte Timothy vorn zu sagen.
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Herr Assistent«, kam es trocken zurück. »Sie parken dort. Jeden Morgen. Wenn Sie so vergesslich sind, können wir Sie leider nicht gebrauchen.«
»Schon gut, schon gut!«
Im Treppenhaus ging es hinunter, bis unter die Erde. Auf dem Weg entfuhr Timothy irgendwann ein entsetzter Schrei, als er einige Körper auf dem Boden liegen sah.
»Gehen Sie«, drängte sie ungerührt.
Unten angekommen betraten sie die Tiefgarage. Sofort fiel ihnen jemand ins Auge, der dort an ein schwarzes Fahrzeug gelehnt stand und ebenfalls eine Zigarette rauchte. Das dunkle Haar fiel ihm in die Stirn. Er war genauso ungewöhnlich gekleidet wie sie – ein fremdes Material, das wie Metall glänzte und seinen ganzen Körper wie eine netzartige Struktur bedeckte. An seinem Schultergurt hing etwas, das er als so etwas wie eine Maschinenpistole identifizierte. Immerhin etwas Vertrautes.
»Ah, du hast es geschafft.«
Die Frau stellte sich ihm gegenüber und verschränkte die Arme. Ihre Waffe steckte nun an ihrer Hüfte; an ihrem Handgelenk befand sich eine lange Apparatur, die bis zu ihrem Ellbogen reichte. Wofür sie wohl gut war?
»Hast du was anderes erwartet?«
Der Mann blies langsam und genüsslich den Rauch aus. Seine schwarzen Augen schienen geradezu zu blitzen.
»Also, ich dachte wir wollten den Professor. Das wäre eine Person. Ich zähle hier fünf.«
Sie streckte das Kinn vor und rückte damit ihre blasse Gesichtsfarbe ins künstliche Licht der Garage, das vom Rauch der Zigarette durchzogen wurde.
»Das sind Doktoren und Assistenten. Die waren mit im Raum. Vielleicht nützlich.«
»Nützlich oder nicht«, gab er in gelangweiltem Tonfall zurück und griff an sein Holster, »nicht der Auftrag.«
»Moment, warten Sie!«
Doch es war schon zu spät – ehe sie reagieren konnten, hatte er mit einer fließenden Bewegung geschossen. Und zwar auf alle – zuerst Timothy, dann seine Kollegen. Wie erstarrt rang er nach Luft und sprang zurück, als sie neben ihm auf den Beton aufschlugen.
»Oh mein Gott!«
Er drehte den Filter in den Händen und warf ihn schließlich fort.
»Das ist mein Auftrag. Und so machen wir ihn auch.«
»Was auch immer…« Die Frau nahm den schockierten Professor prüfend in den Blick. »Ist deine Seite frei?«
»So frei wie es geht. Das ungeplante Ablenkungsmanöver hatte seine Grenzen.«
»Okay.«
Während er die Autotür ausladend aufschwang, bedeutete sie ihm mit einem Nicken, einzusteigen. Da ihm wohl nichts anderes übrig blieb, leistete er Folge.
Er fuhr los. Neben ihm rutschte die Frau auf die Rückbank. Kurz traf ihn der Blick ihrer eindringlichen blauen Augen. Aus irgendeinem Grund lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Das leise Surren ihrer Waffe bohrte sich in seinen Kopf. Er schlang fest die Arme um seinen Körper und atmete schwer.
»Was wollen Sie von mir?«, presste er zwischen den Zähnen heraus.
Er bekam keine Antwort. Doch als sie das obere Level erreichten, sprach der Fahrer:
»Herzlichen Glückwunsch, Herr Professor. Sie sind ab jetzt Teil von etwas Großem. Sie sind Teil der Zukunft.«
»Ich habe Familie.«
»Schön für Sie.«
Er schwieg. Dann, bevor er herausfuhr, hielt er an.
»Hier?«, fragte die Frau.
Er nickte.
»Gut, ich erledige das.«
Sie stieg aus und ließ ihn allein. Der Mann kramte vorn im Auto herum und steckte sich kurz darauf einen Kaugummi in den Mund. Gelassen darauf herum kauend, beobachtete er ihn durch den Rückspiegel. Und registrierte zweifellos, dass er gerade deutlich zur Tür geschielt hatte.
»Versuchen Sie’s erst gar nicht.«
Hatte er auch nicht. Nicht ernsthaft. Die Beiden wirkten nicht, als ob ihnen Fehler unterlaufen würden.
»Danke für die Warnung«, raunte er zurück. »Und was genau ist das für eine Zukunft, von der ich Teil werden soll?«
Seine Lippen zogen sich auseinander.
»Das sehen Sie früh genug… und jetzt keine Fragen mehr. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich führe keine Gespräche mit Entwicklern.«
»Mit was?«
Er ignorierte ihn und schien den Ausgang zu beobachten. Der Himmel war wolkenverhangen und es stürmte weiterhin. Er tat es ihm gleich und spähte verhalten nach vorn. Nach einer Weile erschien die Frau wieder über ihnen – und er traute seinen Augen kaum: Ihre schmale Statur wurde von einem glänzenden Schild geschützt, der fast golden im Tageslicht schimmerte. Aber es war kein gewöhnliches Metall – irgendwie schien es von einem Feld umgeben zu sein, weil die Luft um sie herum seltsam verschwamm. Doch er kam kaum dazu, den Anblick genauer in Augenschein zu nehmen, denn da zog sich der Schild jäh zusammen, faltete sich und verbarg sich wieder in der Apparatur an ihrem Arm. Mit der Pistole in der Rechten kam sie langsam auf das Auto zu und klappte die Klinge einfach ein, ehe sie einstieg.
»Erledigt«¸ informierte sie knapp.
Der Mann legte den Gang ein und fuhr wieder los. Als sie die Garage verließen, bot sich ihm ein Bild des Grauens. Das Militär war verstreut auf den Parkanlagen des Instituts. Ihre gepanzerten Fahrzeuge zerstört, die Toten lagen inmitten ihres Blutes und hielten noch ihre Waffen in den Händen. Hatte sie sie alle getötet? Sie allein? Wie war das möglich? Kein Mensch könnte so etwas vollbringen, nicht einmal mit der besten Technik… Wer waren sie? Wer war diese unbekannte Macht?
»Lehnen Sie sich zurück. Entspannen Sie sich.« Er drehte steif den Kopf zur Seite, und sie blinzelte ihn an. »Kleiner Tipp von mir.«
Sie schlug die Beine übereinander und sah aus dem Fenster. Ihr Blick schweifte in die Ferne. Die Straßen waren leer. Als hätten die Menschen die Gegend verlassen.
»Wir sollten eigentlich längst am Treffpunkt sein«, sagte der Fahrer nach einer Weile, was sein ziemlich beschleunigtes Tempo erklärte.
»Und?«, erwiderte die Frau.
»Du hast lange gebraucht.«
»Es gab… ein paar Hindernisse.«
»Und du hast unnötigen Ballast mitgebracht. Aber immerhin wenig Verluste.«
»Dann sagst du ihm, dass ich meine Aufgabe wie immer bestens erfüllt habe?«
Er hielt inne und seine dunklen Augen flackerten kurz im Glas des Rückspiegels.
»Muss ich wohl.«
Sie hüllten sich in Schweigen und das Auto fuhr weiter Richtung Süden. Keine Polizei, keine Menschen. Es waren wenige auf den Straßen geworden, doch das – das war anders. Es musste etwas bedeuten. Ihre Gegenwart würde schon bald nicht mehr dieselbe sein.
Sie betraten die lichte Halle Seite an Seite. All die großartigen Visionen, die hier geteilt wurden. Es würde in ihr immer ein beflügelndes Gefühl der Ehrfurcht hervorrufen. Ganz gleich, welche Schwere die Welt draußen ihr einflößte, wenn sie hierher kam, klopfte ihr Herz leichter, als ob es von all dieser Last befreit wäre.
Ihre Schritte verhallten auf dem strahlenden Boden, bis sie vorn beim steinernen Podest angekommen waren, das links und rechts von friedlichen Wasserspielen umsäumt wurde. Kaum hörbar, war ihr Plätschern das einzige Geräusch zwischen den verglasten Wänden, die den Blick auf wunderschöne Gebirge freigaben, das auch zu dieser Jahreszeit schon in dichten Schnee gehüllt lag.
Sie blieben stehen und sie starrte auf den weißen Boden. Die Person vor ihnen erhob sich von ihrem Sitz und trat an sie heran.
»Bia«, sprach seine feste und unumstößliche Stimme klangvoll. »Und Remo. Ihr seid zurück.«
Ihre Lippen öffneten sich einen Spalt, als er ihren Namen sagte.
»Mein Vater, wir haben den Physiker. Wie du es aufgetragen hast.«
»Sehr gut«, antwortete er. »Ich habe nichts anderes erwartet.«
»Wir haben ihn auf Anlage C gebracht«, führte Remo ihren Bericht weiter aus. »Er gibt sich aktuell noch etwas widerspenstig, aber das dürfte sich bald geben. Wenn er sieht, woran er arbeiten soll…«
»Kein Grund zur Sorge«, zerstreute der Anführer der unbekannten Macht jegliche Bedenken. »Bia, mein Kind… du wirst dich um ihn kümmern.«
Hinter ihren Augen zuckte es, als er den Kopf wandte und sie ansah. Er hatte dabei eine dermaßen eindringliche Art, dass ihr jedes Mal heiß und kalt zugleich wurde. Manchmal wünschte sie sich, er würde sie nicht dieser Spannung aussetzen; aber viel mehr sehnte sie sich danach, dass er niemals damit aufhörte.
»Natürlich.«
»Instruiere und überwache ihn in der Anfangszeit. Wenn du das Gefühl hast, dass das nicht mehr nötig ist, informiere mich. Ich überlasse es deinem Ermessen.«
Sofort registrierte sie, dass das Remo nicht gefiel. Sie bemerkte die Falte, die sich in diesem Moment auf seiner Stirn bildete. Doch er wagte es nicht, vor ihrem Vater Einwand zu erheben. Dieser richtete nun eine weitere Bitte an ihn.
»Remo, ich habe bereits unser nächstes Ziel festgelegt. Du solltest dich umziehen und mich anschließend im Besprechungszimmer sehen.«
»Ja, Vater.«
Gleichzeitig drehten sie sich beide um und verließen wieder den lichten Saal. Erst als sie draußen waren, warf Remo ihr einen vielsagenden Blick zu.
»Das ist eigentlich nicht dein Aufgabenbereich. Du sollst kämpfen. In bewaffneten Einsätzen als Spezialwaffe fungieren. Keinen Kontakt mit Entwicklern führen…«
Bia war im Grunde selbst überrascht, dass der Vater ihr eine solche Aufgabe übertragen hatte. Insofern hatte Remo schon Recht. Doch das würde sie sicher nicht zugeben. Sie hasste jetzt schon wieder den Ausdruck auf seinem Gesicht, als er sich eine Zigarette anzündete, sie mit blitzenden Augen beobachtete und dann genüsslich einen Zug nahm, um ihr den Rauch entgegen zu blasen.
»Du denkst, ich kann das nicht«, stellte sie fest und ergänzte verbissen: »Er offenbar schon.«
»Offenbar«, wiederholte Remo nur und lächelte dann: »Hoffentlich vermasselst du es nicht. Das könnte das wichtigste Projekt überhaupt werden.«
Sie würdigte ihn keiner Antwort mehr und schob sich vorbei. Zielstrebig machte sie sich auf den Weg. Doch nicht auf Anlage C, die unterhalb inmitten des Berges lag. Nein, sie musste zuerst was anderes erledigen. Dazu nahm sie den Lift zum benachbarten Komplex, in dem auch einer ihrer medizinischen Forschungsbereiche lag. Sie fühlte sich bereits schwach und unheimlich müde seit dem Morgen, und die lange Fahrt hatte es nicht besser gemacht. Ein wenig übel war ihr auch und bevor noch die Schmerzen anfingen, ließ sie den Professor lieber warten. Auch wenn sie diese unerwartete Aufgabe lieber gleich erledigt hätte. Aber in diesem Zustand wollte sie das nicht – nicht um Remo oder den anderen noch irgendeinen Grund mehr zu liefern, auf sie herabzuschauen.
Gezielt steuerte sie auf einen der Behandlungsräume zu und fragte nach dem leitenden Arzt. Wie meistens ließ dieser nicht lange auf sich warten – er war oft in der Nähe, in seinem Labor, und ziemlich beschäftigt, und außerdem genoss sie Priorität, wann immer sie hier auftauchte.
»Ah, Bia – ist es wieder so weit?«, wurde sie von dem schmalen Mann im weißen Kittel begrüßt.
Sie nickte nur steif.
»Gut, legen Sie sich hin. Ich fange sofort an.«
Lautlos seufzend hob sie sich auf die Liege, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie konnte ihren eigenen Herzschlag in der Brust spüren, während sie wartete. Es schmerzte… doch sie konzentrierte sich mit aller Macht darauf, alle Gedanken fortzuschieben. Sie hätte nicht so lange warten sollen. Sie hätte schon vor ihrer Mission herkommen sollen… Sie war zu nah dran an einem Zustand, der den Abgrund in ihr zutage riss.
»Ich lege jetzt die Nadel.«
»Doktor, könnten wir die Infusionen heute etwas beschleunigen? Ich habe noch zu tun.«
»Wie sehr beschleunigen?«
»Eine halbe Stunde?«
»Hm. Ihr Körper könnte dann allerdings etwas heftiger reagieren.«
»Sie sind doch in der Nähe«, meinte sie und blickte ihn an. »Ich schreie, wenn irgendwas ist.«
»Wie Sie wollen.«
Ungeduldig wartete sie darauf, dass die Zeit vorbeiging und sich der Flüssigkeitsbeutel über ihr leerte. Nach einer Weile wurde ihr schwindelig von dem starken Mittel, das in ihre Adern floss. Doch sie überstand es, ohne nach dem Arzt rufen zu müssen, und fühlte sich nach der anschließenden intravenösen Dosis eines Schmerzmittels schon viel besser. Doch sie war immer noch müde.
»Danke«, murmelte sie und schlug die Augen nieder. Sie hasste es, sie hasste alles an dieser Situation. Mittlerweile sollte sie es gewöhnt sein und in gewisser Weise war sie das auch. Aber nicht völlig… nie ganz.
Der Arzt nickte knapp und erwiderte:
»Sie hätten früher kommen sollen, Ihre Blutwerte sind nicht besonders gut. Die Entzündungswerte sind hoch und die Nierenwerte ebenfalls. Sie sollten es nicht zu einer Dialyse kommen lassen.«
»Ja, ich… ich komme nächstes Mal rechtzeitig zum Termin.«
Mit einer geschmeidigen Bewegung rutschte sie von der Liege und verließ den Raum, um sich endlich zu Anlage C aufzumachen. Die Fahrt mit dem Lift und der Bahn dauerte gut eine Viertelstunde, dann war sie am Zielort angelangt. Sie hatte sich nicht einmal ganz umgezogen. Noch immer trug sie die Schildapparatur am Arm, deren Metall in einem bräunlichen Glanz schimmerte, sowie ihren verstärkten Anzug. Egal, das war bestimmt nicht der verkehrteste Aufzug, um dem Neuankömmling entgegen zu treten. Das sollte ihr gleich einmal Respekt verschaffen, auch wenn sie den nach ihrem Einsatz im Institut vermutlich schon hinreichend geerntet hatte.
Etliche Wachen umstellten den Raum, in den sie den Professor gesetzt hatten. Als sie eintrat, fand sie ihn auf einen Stuhl gekauert in der Mitte vor. Die Schreibtische ringsum hatte er nicht inspiziert, obwohl er sicherlich neugierig war, doch er wurde ja beobachtet. Erst als sie herein gekommen war, verließ die letzte Wache das Zimmer. Sie waren allein.
Langsam schritt sie vor ihn und lehnte sich an die Rückseite eines Tisches. Er hob stumm den Blick, als sie die Arme verschränkte, seine Miene war trotzig. Oder widerspenstig, wie Remo es formuliert hatte.
»Herr William Gilbert«, sprach sie dann seinen Namen. »Ich bin hier, um Sie zu instruieren und über das Nötigste zu informieren. Außerdem werde ich Sie in der nächsten Zeit überwachen. Ich nehme an, Sie haben eine grobe Vorstellung davon, wo Sie hier sind.«
»Ist das hier so etwas wie Ihr Hauptquartier?«, wollte er leicht knurrend wissen. »Von der unbekannten Macht, die seit Monaten die Welt von überall infiltriert?«
»Nicht infiltriert…«, korrigierte sie ihn bemessen. »Der Schritt ist schon lange abgeschlossen.«
»Also?«, insistierte er weiter.
»Einer unserer Stützpunkte, ja«, gab sie zurück.
»Wo befinden wir uns?«, fragte er weiter.
Sie antwortete ihm darauf nicht. Er wusste es nicht, da sie ihn einen Großteil der Strecke natürlich blind gehalten hatten.
»Das kann ich nicht sagen, wie Sie sicher verstehen werden. Aber ich werde versuchen, auf all Ihre Fragen einzugehen, so weit ich das darf.«
»Was wollen Sie von mir?«, wiederholte er nun die Frage, die er schon so oft gestellt hatte.
»Sie sind hier, weil Sie der wohl berühmteste und erfolgreichste Physiker auf Ihrem Gebiet sind. Eine echte Koryphäe, wie es heißt. Und wir wollen nur die Besten. Sie sollen hier an etwas arbeiten, für das wir sie brauchen. Ein Projekt.«
»Und wie kommen Sie darauf, dass Sie mich einfach so entführen können und dann von mir erwarten, dass ich das freiwillig tue?«
Jetzt verschränkte er ebenfalls die Arme und lehnte sich zurück.
»Sie haben doch Familie, wie Sie selbst erwähnt haben«, erklärte Bia gelassen. »Und wenn das so bleiben soll… Aber davon abgesehen, denke ich, dass Sie von ganz allein daran arbeiten wollen, wenn wir Ihnen zeigen, worum es geht.«
»Ach ja?«, schnaubte der Professor.
»Dieses Projekt… es trägt den Namen Porta. Und das charakterisiert auch ganz gut, was es sich zum Ziel gesetzt hat. Unsere Mitarbeiter haben bereits entscheidende Schritte selbst getan, aber es liegt nun an Ihnen, das Ganze zum finalen Erfolg zu bringen.«
»Nun reden Sie endlich«, forderte er weiterhin rabiat, doch sie gab sich geduldig.
»Es geht um Dunkle Energie«, sprach sie es aus. »Schon mal gehört? Das ist dieses Ding, mit dem Sie sich schon Ihr Leben lang befassen.«
William zog die Augenbrauen zusammen.
»Ja, damit beschäftige ich mich durchaus, mit diesem… Ding.«
»Und das Phänomen, was die Welt bisher nur als Theorie kannte, ist unseren Wissenschaftlern gelungen aufzuzeigen und zu beweisen.«
»Was?«, entfuhr es ihm sofort und in erstmals herabgesenkter Tonlage. »Sie existiert wirklich? Sie haben einen Beweis?«
»Im Vakuum erbracht… ja.«
»Das ist… das glaube ich erst, wenn ich… aber wie ist das möglich?«
»Nun, für die Details befragen Sie besser Ihre zukünftigen Assistenten. Aber ich versichere Ihnen, das ist ein ziemlicher Durchbruch.«
»Allerdings! Ich habe mein ganzes Leben…«
»… danach gesucht. Ich weiß. Also. In der Theorie bewirkt die Dunkle Energie, wie ich Ihnen ja nicht erklären muss, dass das Universum sich ausdehnt.«
»Gesetzt dem Fall, dass das Universum tatsächlich flach ist…«
»Und es gibt uns ungeahnte Möglichkeiten, jetzt wo wir seine Essenz erweisen und isolieren konnten. Möglichkeiten zu sehen… was dahinter ist. Hinter dem Raum. Hinter dem… Universum.«
»Aber«, machte der Professor, dem offensichtlich etwas die Worte fehlten. Seine blauen Augen waren glasig geworden, als wäre er völlig in sich gekehrt. »Was haben Sie herausgefunden, dass Sie das glauben?«
»Wie uns die Wissenschaftler mitteilten, haben sie es schon so weit erforscht, weshalb Sie denken, dass es möglich ist, das Feld der Energie zu durchbrechen und unser Raum-Zeit-Gefüge zu verlassen. Eine Tür zu erschaffen… um dahinter zu blicken. PORTA-L. Leuchtet Ihnen jetzt ein, oder?«
»Hm.« Umsichtig hob er das Kinn an und ließ einige Sekunden schweigend verstreichen. »… Ich muss darüber nachdenken.«
»Tun Sie das.«
»Und meine Familie… Was wird mit ihr geschehen?«
»Nichts, wenn Sie kooperieren.«
»Ich meine, könnten Sie… könnten Sie für Ihre Sicherheit garantieren?«
»Sie meinen in der Zukunft?«, fragte Bia direkt. Er ahnte wohl schon, dass die unbekannte Macht erst dabei war, ihre lange vorbereiteten Pläne in die Tat umzusetzen. Und er hatte gesehen, was sie mit dem Militär beim Institut gemacht hatten. »Na ja. Ich kann nichts versprechen, aber ich kann diesbezüglich mal nachhören. So was gehört eigentlich nicht zu unseren Tätigkeiten.«
»Und wenn Sie sie hier herholen? Zu mir?«
»Auch das wird schwierig«, meinte sie. »Zeigen Sie erst mal, dass Sie die Mühe wert sind.«
William senkte still den Blick. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, nach ihren zunächst scheinbar willigen Antworten derartig mit seinen Bitten abzuprallen.
»Na schön. Nur mal angenommen, ich würde Ihnen helfen. Was passiert, wenn ich damit fertig bin? Darf ich dann gehen?«
Bias Mundwinkel zuckten überrascht.
»Gehen?«
Aber er wusste ja nicht, was sie wusste. Also verstand sie, wieso er glaubte, dass das eine Option sein könnte.
»Wohin gehen, Herr Gilbert? Wenn die erste und zweite Phase von Horizon abgeschlossen ist… dann werden Sie in die Ordnung integriert. Sie und Ihre Familie. Dann sehen Sie sich wieder… vermute ich.«
Sie sah die Verwirrung in seinem angespannten Gesicht, doch er hakte nicht mehr ein, sondern fragte sie nach etwas anderem, das ihm vermutlich schon lange auf der Zunge brannte.
»Gut. Und wer sind nun Sie?«
»Ich bin Bia, eine Agentin.«
»Bia – wer?«
Sie blinzelte. »Einfach Bia.«
»Wirklich. Ist das so eine Art Codename?«
»Nein«, erwiderte sie achselzuckend. »So heiße ich.«
»Aha«, antwortete er murmelnd. »Und was ist eine Agentin in ihrem System? Spezialkräfte?«
»Wir sind sieben insgesamt«, gab sie Auskunft. Ein bisschen was über die Macht zu offenbaren war kein Problem. Und er sollte sich ja einigermaßen zurechtfinden. Früher oder später würde er gewisse Dinge sowieso bemerken. »Agenten sind so was wie Spezialkräfte, ja. Jeder hat seine eignen Fähigkeiten und Einsatzbereiche. Aber wir sind weit mehr als das. Wir sind das Herz unserer Ordnung. Wir sind die Vorhut einer neuen Menschlichkeit, die zentrale Kraft und Vorboten dessen, was in der Zukunft kommen wird. Wir… haben einige körperliche Verbesserungen gegenüber normalen Menschen. Und jede ist etwas anders und auf die jeweiligen natürlichen Anlagen der Agenten abgestimmt.«
»Verbesserungen – Sie meinen, genetischer Art?«
»Genau«, bestätigte sie. »Sie sind scheinbar nicht umsonst Professor.«
»Welche haben Sie?«, wollte er sofort wissen.
»Ich hätte damit gerechnet, dass Sie erst mal fragen, wie das überhaupt möglich ist.«
»Nun, wenn Sie den Beweis für Dunkle Energie gebracht haben, halte ich gerade alles für möglich.«
»Ja, wir haben ein ziemlich gutes Medizinprojekt und auch auf diesem Gebiet einige Durchbrüche erzielt. Projekt Kodikas war sogar unser erster wissenschaftlicher Erfolg in der Größenordnung, als die Macht noch in ihren Anfängen stand. Der Director selbst hat es als erstes Projekt überhaupt geleitet, denn im Bereich der Gentechnik ist er führend und kennt sich ungewöhnlich gut aus.«
»Der Director?«
»Unser Kopf… Anführer… Gründer… und mein Vater.«
Williams Augen weiteten sich.
»Dann ist das Ganze also ein Familienunternehmen?«
»Was? Nein«, widersprach Bia. »… Er ist nicht mein Vater, also, das ist er schon. Aber… wir sind nicht verwandt. Keines seiner Kinder, also die Agenten, ist das.«
»Die Agenten nennt er seine Kinder?«, forschte er mit ungläubigem Unterton.
»Ja«, meinte sie dagegen nüchtern. »… Er hat uns gerettet, uns alle. Wir alle waren ohne Eltern, ohne jede Führung. Die Gesellschaft hätte uns niemals so gefördert. Aber er hat das getan. Und für mich hätte die Gesellschaft nichts übrig gehabt. Mich hat er aus meiner Lage gerettet, mir eine Chance gegeben… als das niemand tat.«
Der Professor streckte während ihrer andächtigen Ausführungen skeptisch das Kinn.
»Sie sind also eine Waise, die von der Straße aufgelesen wurde?«
»Nein«, wandte sie erneut ein. »Ich nicht, ich hatte im Prinzip Eltern, nur ich… es ist kompliziert. Egal.« Sie wechselte jetzt lieber das Thema. »Jedenfalls hat er uns eine Chance gegeben und uns ein Geschenk gemacht. Ein Geschenk in Form dieser genetischen Mutationen, von denen ich sprach. Ich zum Beispiel… bin ungewöhnlich schnell und geschickt. Deshalb werde ich nicht nur in verdeckten Operationen eingesetzt, sondern auch in Kampfeinsätzen. Mit meiner Ausrüstung, die von unserem Technikprojekt Phaeton gefertigt wurde, läuft das ganz von selbst.«
»Ist mir schon aufgefallen. Und dass Sie keinerlei Skrupel haben, Menschen umzubringen.«
»Es ist notwendig«, äußerte sich Bia dazu nur und beließ es auch sofort dabei. Sie hatte keine Lust, über solche Einwände zu diskutieren, die von jemandem kamen, der ihre Sache überhaupt nicht verstand. »Wie auch immer… Dann sage ich mal, willkommen an Bord.«
Der Professor gab nur einen unverständlichen Laut zurück.
»Wollen Sie einen Kaffee? Ich mache ziemlich guten Kaffee.«
»Da mir wohl nichts anderes übrig bleibt, als hier zu arbeiten, ja. Und ich will jetzt diese Assistenten sehen, die mir den angeblichen Beweis zeigen sollen…« Er räusperte sich. »Bitte.«
Ein flüchtiges Lächeln glitt über ihre Lippen und sie löste sich erstmals vom Schreibtisch.
»Klar. Ich hole Ihnen den Kaffee.«
Als sie wenig später mit der dampfenden Tasse zurückkehrte, saß William schon äußerst gespannt auf seinem Sitz, und ihm waren in ihrer Abwesenheit offenbar noch neue Fragen eingefallen, mit denen er sie jetzt löcherte.
»Danke«, murrte er widerstrebend beim Überreichen des Heißgetränks. »Was wollen Sie eigentlich mit all dem? Was wollen Sie mit diesem Projekt Porta, und was will diese unbekannte Macht?«
Bia zögerte.
»Projekt Porta ist eine persönliche Angelegenheit des Directors… aber genauso gut könnte ich Sie fragen, was Sie eigentlich mit ihrer Forschung wollen. Wieso Sie sich Ihr ganzes Leben damit beschäftigt haben.«
»Ich…«
»Was unsere Ziele betrifft… Sie sind doch klug. Sie wissen, dass es mit der Menschheit nicht so weitergehen kann. Sie wissen… wie das enden wird.«
Natürlich wurde er aus ihren nebulösen Erklärungen nicht schlau, doch mehr war sie nicht gewillt darüber zu sagen. Er würde es nicht verstehen. Noch nicht.
In den nächsten Tagen folgte sie dem Professor noch auf Schritt und Tritt, doch er schien sich mit der Situation allmählich abzufinden, auch wenn er sich gelegentlich noch unwillig gab. Und die Aufzeichnungen der Forscher über die Dunkle Energie fesselten ihn sichtbar, egal wie sehr er es zu verbergen versuchte.
»Das ist fantastisch«, wiederholte er, wie schon mehrfach an diesem Abend. »Sie existiert tatsächlich…« Ehrfurchtsvoll schob er sich an den isolierten und rotierenden Behälter mit Vakuum heran, in dem ansonsten gar nichts weiter zu sehen war. Doch die Computer zeigten deutlich, was sich darin wirklich befand. »Also ist das die Kraft, die das Universum auseinander treibt… ihm seine Form verleiht… wie eine allumgebende Essenz, die alles durchdringt… war sie auch an der Entstehung des Kosmos überhaupt beteiligt? So viele Fragen…«
»Klären Sie sie«, kommentierte Bia seinen Monolog hinter ihm und rührte in ihrem Kaffee. »Und dann finden Sie eine Möglichkeit, sie zu manipulieren.«
William stockte.
»Manipulieren? Inwiefern?«
»Ich sagte ja. Der Director möchte eine Tür erschaffen und sehen, was dahinter ist.«
»Das klingt geradezu, als würde man einfach durch einen Rahmen spazieren. So einfach ist das nicht, meine Liebe.«
»Ist mir schon klar.« Dachte sie jedenfalls. Sie war schließlich keine Physikerin. »Und dem Director dürfte das ebenfalls sehr bewusst sein. Weshalb er den Besten wollte. Sind Sie das nicht? Sehen Sie sich etwa in irgendeiner Weise mit dieser Aufgabe überfordert?«
Er starrte sie an. Dann verengten sich seine blauen Augen ein wenig.
»Nein.«
»Gut. Also dann, weiter an die Arbeit. Ich muss jetzt gehen. Für ein paar Wochen. Kann ich Sie so lange allein lassen, ohne dass Sie irgendwelchen Schwachsinn produzieren?«
Der Professor gab einen Laut der Entrüstung von sich, antwortete ihr aber nicht auf die Frage.
»Herr Gilbert – ich habe Sie etwas gefragt«, machte sie also weiter, in deutlich harscherem Ton. »Kann ich Sie alleine lassen?«
»Ja, natürlich!«, fauchte er zurück. »Ich bin doch kein Kind mehr!«
»Hm. Das hoffe ich für Sie… und Ihre Familie.«
Bia unterzog ihn einem letzten prüfenden Blick, ehe sie sich abwandte und das Labor verließ.
Sie hatte nun eine wichtige Aufgabe vor sich: Sie würde die zweite Phase ihres Vorhabens einleiten. Und obwohl ihr globales Netzwerk inzwischen perfekt war, überließ ihr Vater sie nur seinen vertrauenswürdigsten Personen… seinen Agenten.
Mit festen Schritten betrat sie jenen Saal, in dem sie auch mit Remo Bericht erstattet hatte. Nur diesmal war es nicht das nebelgedämpfte Sonnenlicht, das durch die verglasten Seiten einfiel, sondern ein zarter, silberner Mondschein. Nur ein paar schwache gelbliche Lichtquellen waren in den Ecken platziert. Die Einrichtung würde nachts mit der Dunkelheit fast völlig verschmelzen.
Die anderen waren schon da. Alle sechs. Remos Blick streifte sie, als sie sich dazu stellte. Aber es war Kimon, der brillante Techniker, der fast alles Menschengemachte auf diesem Planeten beherrschen konnte, der sich räusperte.
»Was macht unser Professor?«
»Zickt noch ein wenig, aber arbeitet«, erwiderte Bia knapp. Natürlich hatte es sich rumgesprochen, dass der Vater ihr seine Überwachung übertragen hatte.
»Du weißt, wie wichtig das für Vater ist.«
»Und deshalb wird er auch sein Bestes geben«, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. Ihr war sein zweifelnder Unterton nicht entgangen und auch nicht die Art, wie er sie dabei ansah. »Dafür sorge ich.«
Die Tür ging auf und der Director kam herein. Doch er war nicht allein. Als Bia sie sah, beschleunigte sich ihr Herzschlag abrupt, und sie schluckte, während sie versuchte ihn zu beruhigen. Die Frau neben ihm begleitete sie in ihre Runde und die Beiden stellten sich auf die erste Stufe des Podests, auf dem mehrere Sitze zwischen den Wasserspielen standen.
»Wie ich sehe, sind wir komplett.«
Bia hasste diese tiefe, energische Stimme. Sie weigerte sich, sie mit Mutter anzureden, so wie die anderen es meistens taten. Denn das war sie nicht. Delia würde niemals ihre Mutter sein. Und als jene in genau diesem Moment – als hätte sie ihre Gedanken erahnt – ihren Blick kreuzte, zeichnete sich auf ihren Lippen ein schmales Lächeln ab.
»Das stimmt.« Der eingehende Ton ihres Vaters dagegen beruhigte Bia sofort und zwang sie, sich loszureißen und stattdessen ihn anzuschauen. »Danke, dass ihr alle gekommen seid, meine Kinder. Ich weiß, ihr hattet in letzter Zeit viel zu tun und wart in weiten Teilen der Welt unterwegs. Jetzt aber ist es an der Zeit, dass wir den ersten Schritt tun. Das, woran wir glauben, die neue Ordnung – sie wird Wirklichkeit werden. Doch man kann nicht für etwas kämpfen, wenn man nicht selbst bereit ist, voranzugehen.«
Seine wachsamen Augen glitten über die Runde und hielten bei jedem für eine Sekunde inne.
»Delia«, sprach er dann nach dieser Stille.
»Ja, Theodor.«
Bia sah zu, wie sie ihm das Tablett hinhielt, das sie mitgebracht hatte. Während ihr Vater eine der Spritzen ergriff, begann ihr Herz erneut schneller zu schlagen.
»Wir können uns nicht selbst aus der Ordnung ausschließen… oder uns irgendwelche Privilegien zuerkennen. Wir müssen zeigen, dass wir es ernst nehmen. Dass wir davon überzeugt sind. Wie sonst sollte es uns jemals gelingen, andere zu überzeugen? Und deswegen werden wir die Ersten sein, die diesen Schritt tun.«
Er krempelte sorgfältig den Ärmel seines schwarzen Pullovers hoch. Bia starrte auf seinen Arm, als er die Nadel unter die Haut stach und langsam den Kolben hinunter drückte. Es war schnell geschehen. Dann blickte er nach links zu seiner Gefährtin.
Auch Delia nahm sich eine der Spritzen und tat dasselbe. Und so ging es reihum. Sie schwiegen. Remo gab sich besonders souverän und seine Mundwinkel offenbarten sogar den Hauch eines Lächelns. Dann hielt ihr der Agent rechts das Tablett hin.
Bia nahm sich eine Spritze und presste den Kiefer zusammen. Mit einer einzigen Bewegung strich sie ihren Ärmel zurück, doch dann zögerte sie plötzlich. Ihre Augen waren auf die klare Flüssigkeit gesenkt, die sich im Inneren befand. Sie blinzelte. Irgendwie wurde ihr schwindelig dabei. Und sie stellte fest, dass ihr Herz wie wild hämmerte.
»Bia?«, hörte sie jemanden, doch sie war wie in Trance. Sie hatte es nie hinterfragt. Und tat es auch jetzt nicht. Doch als hätte sie einen Aussetzer, bewegte sich ihre Hand nicht, in der sie das Mittel hielt.
»Planst du noch was?«, mischte sich Remos lässiger Einwurf dazu.
Sie biss sich in die Innenseiten ihrer Wangen.
»Nein«, gab sie zurück, setzte die Nadel an und injizierte sich das Mittel.
Wortlos legte sie dann die benutzte Spritze zurück auf das Tablett und reichte es weiter.
»Ich verstehe, dass das kein leichter Schritt ist«, schloss ihr Vater, nachdem alles beendet war. »Umso erfreuter bin ich, dass ihr alle dazu bereit wart. Ich danke euch. Nun genießt noch den Abend, bevor wir uns morgen dem Rest der Welt widmen.«
Nach dieser Angelegenheit wechselten sie in einen fensterlosen Raum, der äußerst gemütlich eingerichtet war. Hier gab es eine Bar, Sitzecken, stimmungsvolle Beleuchtung und sogar ein Klavier. Es kamen ein paar weitere Visionäre der Einrichtung hinzu, die die Projekte leiteten. Es versprach ein angeregter Abend zu werden.
Bia blieb nichts anderes übrig als teilzunehmen und ließ sich in irgendeine Couch sinken; fand sich schon damit ab, etliche Stunden unbeschäftigt und unbeachtet von den anderen über sich ergehen lassen zu müssen. Umso erstaunter war sie, als auf einmal ihr Vater vor ihr stand, als sie gerade an ihrer Limo nippte.
»Bia«, sprach er, »kann ich mich zu dir setzen?«
Sie gefror in ihrer Haltung und blickte zu ihm auf. Seine Augen, in denen ein so regungsloser und doch warmer Ausdruck lag, hielten sie gefangen.
»Natürlich, Vater… bitte.«
Er setzte sich neben sie und ihr wurde heiß.
»… Du weißt, dass ich bei dir keine Ausnahme machen konnte.«
Kaum merklich biss sie sich auf die Lippe und wusste nicht, wohin sie schauen sollte.
»Ich weiß«, sagte sie viel entschiedener klingend, als es ihr Verhalten erwarten ließ. »Ich hätte auch keine gewollt. Ich will keine Ausnahme sein.«
Ihre erhitzte Hand auf dem gekühlten Glas schmerzte.
»Das weiß ich«, gab er ruhig zurück. »Doch du sollst wissen, dass ich diese Entscheidung bei dir nicht leichtfertig getroffen habe.«
Bia schlug den Blick nieder und drehte das Glas in ihrer Hand.
»Bitte… sieh mich an.«
Sofort gehorchte sie der Aufforderung und hob das Kinn. Seine grauen Augen wirkten so dunkel in diesem gedimmten Licht. Viel finsterer, als sie eigentlich waren. Er lehnte sich ein Stück nach vorn, und spannte dabei seine markanten Gesichtszüge.
»Du weißt, dass ich dir nie mehr aufbürden würde, als du tragen kannst.«
Sie schluckte. »Ich kann… das tragen.«
»Ja, du kannst. Daran hatte ich auch nie einen Zweifel. Doch ich will nicht, dass du glaubst, ich würde dabei nicht Acht auf dich geben. Trotz allem kannst du Großes, Bia. Deshalb habe ich dich ausgewählt und es noch niemals bereut. Ich will sichergehen, dass du deinen Wert nicht vergisst.«
Ihren Wert… für ihn?
»Das tue ich nicht«, erwiderte sie leise.
»Gut.« Sein Blick wanderte nun in prüfender Weise über sie, wobei erneut ein heißer Schauer über ihre Haut lief. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln: »Wie geht es dir?«
»Ganz okay«, meinte sie nur.
»Oh, wirklich. Dr. Langley hat mir gesagt, deine Blutwerte wären ziemlich schlecht.«
»Ja, das… ist meine Schuld, denke ich. Ich bin eine Weile nicht bei ihm gewesen.«
»Alle drei Tage lautet die Empfehlung. Wenn du unterwegs bist, sollst du es doch eigenhändig tun. Du weißt doch, wie es funktioniert. Hast du die Mittel vergessen?«
Nein, das hatte sie nicht. Sie hatte sie liegen lassen, in ihrem Badezimmer. Vielleicht hatte sie geglaubt, es nicht zu brauchen. Vielleicht hatte sie einfach abwarten wollen, was passierte. Vielleicht hatte sie beweisen wollen… Ach, es war unwichtig.
»Ja«, antwortete sie. »Es war zu spät, als ich es bemerkte. Es war zu spät, umzukehren. Ich wollte unsere Mission nicht aufhalten.«
Erneut lächelte er und sank in die Lehne zurück. Bia wandte sich ab. Er wusste, dass sie log. Er durchschaute das. Aber sie wollte nicht darüber sprechen und sah keinen anderen Weg, ihm das zu signalisieren.
»Ich zweifle nicht an dir. Nicht eine Sekunde. Du brauchst mir nichts zu beweisen.«
Sie schwieg und krallte ihre Finger in das Glas.
»… nächstes Mal vergisst du nichts mehr, verstanden? Ich brauche dich in deiner besten Form.«
»Natürlich, Vater.«
»Du bist meine loyalste und beste Agentin, Bia. Vergiss das nicht.«
Sie nickte nur.
»Spielst du etwas für mich?«
Reflexartig setzte sie sich auf. »Spielen? Jetzt?« Entgeistert starrte sie ihn an.
Theodor lächelte. »Ja, ich möchte, dass du etwas für mich spielst. Du bist die Einzige hier, die es kann.«
»Es läuft schon Musik.«
»Wir machen sie aus.«
Bia holte Luft. »Aber… ich kenne… nur traurige Lieder.«
Er streckte das Kinn:
»Das macht nichts.« Ratlos saß sie einen Moment lang da, doch sein Wunsch war eindeutig. »Bitte. Ich bestehe darauf.«
»Gut, also… wie du möchtest.«
Geschlagen erhob sie sich und schlich leise zum Klavier. Als sie sich gesetzt hatte, stoppte die fröhliche Musik. Sie schluckte und sah nach unten, um die vielen Blicke nicht auf sich zu spüren. Vor allem nicht den von Delia.
Von der Menge ungefragt begann sie zu spielen. Es war in der Tat ein trauriges Stück, sehr melancholisch. Sie hatte nur solche Lieder gelernt. Für alle anderen hatte sie nie die Motivation gehabt. Und überhaupt war dieses ganze Hobby sowieso eine Schnapsidee gewesen, für die sie mehr als einmal komisch angeguckt worden war. Ja, sie sollte die Zeit besser für ihr Kampftraining nutzen. Aber irgendwas… hatte sie hierin gefunden und ließ sie nicht mehr los.
Als Bia nach dem ersten Stück den Kopf aus ihrer Versenkung hob, sah sie Delia auf dem Platz, wo sie gerade noch gesessen hatte; und Theodors Augen funkelten im dämmrigen Schein still zu ihr herüber.
Bia starrte aus dem Autofenster und versuchte, den Qualm zu ignorieren, der beständig zu ihr herüber wehte. Natürlich machte Remo nicht das Fenster auf. »Das zieht während der Fahrt«, sagte er dann immer, zusammen mit einer gleichgültigen Geste. Manchmal hatte sie das Gefühl, er machte das absichtlich. Es würde ihr ja nichts ausmachen, wenn sie nicht Angst hätte, dass Rauch in ihrer Lunge alles noch schlimmer machen würde. Sie war so vorsichtig, dass sie sich von allem, was ihren Körper schädigen konnte, fernhielt. Bestimmt war das übertrieben, doch sie erlaubte es sich nicht.
»Bist du zu krank?«, hörte sie ihn plötzlich zwischen der Musik. »Du wirkst geschwächt.«
»Nein, ich bin bloß erkältet«, gab sie unwillig zurück.
»Ach ja?«
»Ja«, sagte sie energisch. »Soll auch gesunden Menschen hin und wieder passieren. Ich wette, sogar dir.«
»Ich weiß nicht, ist schon lange her.«
»Das ist wahrscheinlich eher wegen den Hygienemaßnahmen als wegen deiner Unverwüstlichkeit«, meinte sie schnippisch.
»Wir sind da. Ab hier machen wir zu Fuß weiter.«
Remo lenkte auf einen Parkplatz und Bia stieg aus. Sie sah ihm zu, wie er den Kofferraum öffnete und eine Box herausholte.
»Die Botschaft sollte um diese Uhrzeit nur noch vom Sicherheitspersonal besetzt sein. Wir schalten aus der Nähe die Systeme ab und gehen über die Garage in den Keller.«
»Ja, ich kenne den Plan.« Er musste es nicht für sie nochmal wiederholen.
Remo lächelte sie an, zog ein letztes Mal an der Zigarette und warf sie weg.
»Also, dann los.«
In der Dunkelheit huschten sie lautlos durch die Straßen, bis sie vor dem Zaun standen, der das Gebäude einrahmte. Dort zog Remo den Laptop aus der Box und deaktivierte sämtliche Sicherheitssysteme auf ihrer Route, während sie gleichzeitig dem Personal als weiterhin aktiv angezeigt würden.
»Kimon ist wirklich ein Genie, was diese Dinge betrifft.«
»Hast du’s?«, erkundigte sie sich.
»Ja, gehen wir.«
Er packte alles wieder in die Box und sprang mit einem eindrucksvollen Satz an den Zaun, um darüber zu klettern. Bia tat es ihm gleich und so gelangten sie ohne Weiteres in die Garage. Drinnen mussten sie einer Wache ausweichen. Da Remo weniger schnell war als sie, übernahm sie die Führung und dirigierte sie geschickt daran vorbei, ohne dass er sie bemerkte. Im Keller gingen sie zur zentralen Lüftungsanlage, wo Remo erneut die Box öffnete. Jetzt wurde es ernst.
»So, dann stellen wir mal sicher…« Er nahm vorsichtig eine kleine Kiste heraus. »… dass es sich auch in den oberen Schichten verbreitet… Die Regierungen werden sich nicht durch irgendwelche Schutzmaßnahmen entziehen können.«
Langsam nahm er eines der Röhrchen heraus und hielt es ihr hin. Als Bias Finger es berührten, war es noch eiskalt durch die Kühlung.
»Du zuerst.«
Sie hob die Augenbrauen.
»Woher habe ich denn jetzt auf einmal die Ehre.«
Er grinste.
»Einfach so.«
Bia verkniff sich einen Kommentar und verströmte den Inhalt in die Lüftung. Das Virus war so hochansteckend und widerstandfähig, dass es sich über lange Zeit im Gebäude halten und wirklich jeden infizieren würde. Dabei völlig symptomlos. Sie würden es erst bemerken, wenn es bereits viel zu spät war. Und selbst dann würde man nie auf den Ursprung kommen. Dabei hatten sie für sich keinerlei Sicherheitsmaßnahmen getroffen – schließlich waren sie bereits infiziert. Es war also nicht nötig.
Remo entließ den Inhalt zweier weiterer Röhrchen und meinte dann:
»Das müsste reichen.«
»Wie lange glaubst du wird es dauern?«
»Bis es jeden in den oberen Kreisen erreicht hat? Hm, bei der letzten Pandemie waren es ein paar Monate.« Remo verschloss sorgfältig die Box. »Also würde ich bei diesem Virus sagen, ein paar Wochen. In den spärlicher besiedelten Regionen etwas länger, aber darum kümmern sich ja andere.«
»Hat der Vater schon mit dir über das nächste Mittel gesprochen?«
»Ja, das hat er in der Tat.« Er warf ihr einen Blick unter seinem schwarzen Haar heraus zu, das ihm in der vorgebeugten Haltung gerade in die Stirn fiel. »Wir warten noch einige Zeit damit, um ganz sicherzugehen, dass der erste Schritt abgeschlossen ist.«
»Das wird dann vermutlich auch der Zeitpunkt sein, an dem die Welt es weiß«, überlegte sie. »Ich meine, sie hat zwar durch unsere vereinzelten Eingriffe sowieso schon gemerkt, dass irgendwas vor sich geht. Aber wann treten wir aus dem Schatten?«
»Gar nicht, für’s Erste. Wieso – bist du heiß darauf?«
Bia verschränkte die Arme.
»Ich will nur nicht ewig Verstecken spielen. Du etwa?«
»Ungeduld ist nicht grade die geeignetste Art, die neue Ordnung zu errichten«, gab er zurück und erhob sich wieder, sodass er sie nun um einen ganzen Kopf überragte.
»Das hab ich auch nicht gemeint.«
»Wie auch immer, gehen wir.«
Lautlos verschwanden sie wieder, überquerten den Zaun und schalteten die Systeme wieder ein. Als sie zurück im Auto waren, sah Bia vielsagend zu ihm hinüber.
»Ich hätte das allein machen können.«
Remo stieß den Atem aus und schwang die Tür zu, ehe er den Wagen startete.
»Was willst du jetzt von mir hören?«
»Dass ich es alleine hätte machen können.«
Er fuhr los.
»Das ist nicht meine Entscheidung.«
»Also war es eine bewusste Entscheidung, uns zu zweit loszuschicken?«, forschte sie weiter. Doch Remo gab nur ein lustloses Seufzen von sich.
»Ich habe keine Ahnung, Bia. Aber ja, ich nehme es an.«
Also immer noch – was sollte sie denn noch tun? Es war jetzt so viele Jahre her. Am liebsten würde sie mit dem Vater reden. Wie konnte er sie seine treuste Anhängerin nennen und sie gleichzeitig nichts mehr alleine tun lassen? Es konnte nur diesen einen Grund haben, keinen anderen. Denn unfähig war sie nicht, das hatte sie doch längst bewiesen. Theodor und sie… Er vertraute ihr doch.
»War das wirklich seine Entscheidung? Oder war es Delia?«, fragte sie zerknirscht.
»Ich sage dir nochmal, ich habe keine Ahnung… Und es interessiert mich auch nicht.«
Sie hüllte sich in Schweigen und sah aus dem Fenster, wohl wissend, dass die beleuchtete Nachtkulisse der Stadt ein Anblick war, der in naher Zukunft der Vergangenheit angehören würde.
Nachdem sie das Ganze an weiteren Standorten der Union wiederholt hatten, kehrten sie zur Einrichtung im Gebirge zurück, die sie kurz Lethe nannten. Es gab noch viele andere auf der Welt, doch dies war ihre Basis – der Standort ihrer wichtigsten Projekte, allen voran die Abteilung der Gentechnik, mit der die Gründung begonnen hatte. Das Technikprojekt Phaeton, das für den zweiten Schritt bedeutend sein würde, lag in unmittelbarer Nähe.
Nach einer Woche Fahrt waren sie wieder zurück. Bia und Remo erstatteten dem Director Bericht und sie spielte mit dem Gedanken auszusprechen, was sie dachte, aber sie hielt sich zurück. Vielleicht reimte sie sich doch alles nur zusammen. Und sie wollte das Thema eigentlich auch nur begraben.
Anschließend machte sie sich auf den Weg nach Anlage C. In einem der Laborräume fand sie den Professor vor, an einen Computer sitzend und so vertieft, dass er sie nicht bemerkte.
»Sie haben sich also benommen?«
Jetzt sah er hinter seinen Brillengläsern auf.
»Was glauben Sie denn, was ich hier gemacht hätte? Die Einrichtung mit einem Schläger zertrümmert?«
»Guten Morgen.«
Er schnaubte und widmete sich wieder dem Bildschirm.
»Schon irgendwelche Fortschritte?«, wollte sie wissen.
»Nein. Ich bin noch dabei, den Nachweis nachzuvollziehen, den Ihre Forscher erbracht haben. Um sicherzugehen, dass sie keinen Fehler gemacht haben.«
»Und was ist das Ergebnis Ihrer Untersuchungen?«
»Ich glaube nicht«, erwiderte er. »Die exzessive Interaktionen von Partikeln mit der Hintergrundstrahlung im Vakuum und die gleichzeitige Wechselwirkung mit einem Gravitationsfeld hat die Energie offensichtlich verdichtet und isoliert… Was, nebenbei gesagt, auch beweist, dass sie tatsächlich in Clustern existiert.«
Bia sank auf einen Tisch und verschränkte die Arme.
»Okay.«
»Sie haben keine Ahnung, wovon ich rede.«
»Muss ich das?«
»Wenn Sie überprüfen wollen, ob ich Fortschritte mache, setzt das womöglich gewisse Grundkenntnisse voraus, ja.«
»Ich habe Grundkenntnisse«, gab sie tonlos zurück. »Und zwar darin zu bemerken, wenn Sie mich für dumm verkaufen wollen.«
William tat beschäftigt und klickte mit der Maus auf dem Bildschirm herum, als ob er irgendwas konzentriert durchsehen würde.
»Und wo waren Sie die ganze Zeit?«, erkundigte er sich dann.
»Unterwegs«, erwiderte sie.
»Geht das auch etwas präziser?«
Ihre Augenbrauen wanderten nach oben. Ihre Abwesenheit hatte ihm offenbar nicht gut getan.
»Ich wüsste nicht, dass Sie das irgendwas angeht.«
»Wenn ich hier arbeiten soll«, sagte er bestimmt, »und Teil Ihrer… sogenannten Zukunft werde… dann will ich erfahren, was auf mich zukommt.«
»Das werden Sie früh genug.«
»Es ist mir also nicht grundsätzlich verboten, dass ich irgendwann Kenntnis darüber erlange.«
»Ähm… nein, nehme ich an. Ich denke, irgendwann lässt es sich nicht mehr vermeiden.«
»Also was spielt der Zeitpunkt dann für eine Rolle?«
Darüber hatte der Vater ihr nie was gesagt. Nur, dass die ganze Überwachung des Professors allein in ihrem Ermessen lag. Doch erst jetzt stellte sie fest, dass er ihr vielleicht ein paar Grenzen für diese Aufgabe hätte definieren sollen.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie daher wahrheitsgemäß. »Ich denke, ich… muss dafür zuerst um Erlaubnis fragen.«
»Dann sind Sie scheinbar doch nicht so hochgestellt, wie ich annahm.«
Bia verdrehte ein wenig die Augen, was er nicht bemerkte – er war ja immer noch völlig auf den Computer fixiert und schien sie explizit nicht mehr als nötig beachten zu wollen.
»Hoch genug, um Ihnen die Hölle heiß zu machen, wenn noch mehr solcher Sprüche kommen. Ihnen und Ihrer Familie.«
»Folter gehört also auch zu Ihren futuristischen Methoden?«
Mann, der nervte vielleicht. Bia straffte die Schultern und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
»Arbeiten sie einfach«, blaffte sie ihn an. »Dann bekommen wir auch keine Probleme.«
»Ich finde es lediglich interessant, dass Ihr Vorgesetzter Ihnen keinerlei Angaben gemacht hat, wie viel Sie mir mitteilen dürfen.«
»Das kann ich anscheinend selbst entscheiden«, knurrte sie.
»Und – wie lautet Ihre Entscheidung?«
»Meine Entscheidung lautet, dass ich Ihnen umso weniger sage, je mehr Sie mich damit nerven.«
»Das ist wenigstens mal eine klare Aussage.«
Bia stellte sich vor ihn, bis er endlich die Augen vom Bildschirm löste und zu ihr aufsah.
»Bis nächste Woche will ich irgendeinen Fortschritt hören«, sprach sie deutlich.
»Wie stellen Sie sich vor, dass Forschung funktioniert? Auf Kommando?«
Ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen und sie stützte die Hände auf die Tischplatte, während sie ihn in den Blick nahm:
»Mir egal, wie Sie das machen. Wenn Sie nichts vorzuweisen haben, dann trifft es jemanden, der Ihnen nahesteht. Und ich werde Ihre Assistenten fragen, ob es auch stimmt, was Sie mir erzählen.«
Damit drehte sie sich um und wollte den Raum effektvoll verlassen. Doch da mischte sich seine Stimme wieder ein:
»Ich verlange dann allerdings besseres Essen. Die ‚Gerichte‘, die man mir hier vorsetzt, sind ja grauenvoll. Was für eine Art Ernährung soll das sein? Ich fordere etwas Gehaltvolleres. Richtiges Fleisch und nicht diese Astronautenkost.«
Bia wandte sich zurück.
»Käse und Wein vielleicht auch noch dazu?«
Der Professor verschränkte die Arme.
»Ich kann so nicht arbeiten.«
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihn packen und gegen die Wand drücken sollte.
»Das ist alles, was Sie benötigen«, äußerte sie sich stattdessen kühl. »Gewöhnen Sie sich dran.«
»Nur ein gesättigter Körper kann die Leistungen bringen, die Sie erwarten. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich Hunger habe. Das liegt auch in Ihrem Interesse, wie Sie mal nachdenken sollten.«
Gründlich betrachtete sie seinen eisernen Gesichtsausdruck und fand sich schnell in einer Art Starr-Duell mit ihm wieder.
»Ich sehe, was sich tun lässt«, verkündete sie knapp und verschwand.
»Dieser Typ ist unglaublich«, murmelte sie vor sich hin, während sie jetzt wohl oder übel zur Chemie-Teilanlage fuhr, um eine andere Versorgung des Professors in Auftrag zu geben. Dabei würde das Essen, das er wollte, sicher nicht die abgestimmte und hochenergetische Nahrung ersetzen, so wie er sich das vorstellte. Nein, er würde nach wie vor dieselbe optimierte Art der synthetischen Ernährung bekommen wie sie alle, aber ab und zu mal ein Steak konnte da sicher nicht schaden. Irgendwoher ließ sich das sicher auftreiben.
Nachdem sie das erledigt hatte, rüstete sie sich am Nachmittag für einen kleinen Ausflug. Der klare Himmel hatte sich im Laufe des Tages zugezogen und düstere Wolken hingen am niedrigen Himmel. Doch das störte sie nicht. In einen dichten Anzug gehüllt, trat sie hinaus in die schneeverhangene Landschaft und stapfte voran, während der eiskalte Wind ihre Wangen berührte.
Sie war gern hier draußen. Es gab ihr das Gefühl, weniger behütet zu sein. Weniger wichtig, irgendwie. Wenn sie an einem gefährlich schlüpfrigen Felshang stand und in die gewaltige Weite schaute, spürte sie etwas. Ein Gefühl, das sie drängte. Nach Antworten einer uralten Frage, die sie nicht einmal fähig war zu formulieren. Ihre Gedanken schweiften dann weit ab und versuchten, die Dinge klar zu sehen. Und solange sie hier war, ein einsames Licht in der kalten Leere, schien sie das auch zu tun. Sie konnte es nicht erklären.
Als sie nach etwa einer Stunde in die Einrichtung zurückkehrte, wurde sie von jemandem abgefangen.
»Delia will dich sprechen«, lautete die Botschaft.
Sofort verringerte sich das friedliche Gefühl, das sie eben noch verspürt hatte, erheblich.
»Na gut«, entgegnete sie übellaunig und betrat noch eben ihre Wohnung, um sich umzuziehen. Sie hatte keine Ahnung, worum es ging, aber auch keine Lust, es herauszufinden. Doch sie würde es wohl müssen, denn eine Bitte der Mater schlug man nicht einfach in den Wind. So machte sie sich widerwillig auf den Weg zu dem Saal, wo sie normalerweise der Director empfing.
Delia saß in einem maßgeschneiderten Kostüm auf einem der Sitze bei den Wasserspielen und lächelte, als sie herankam.
»Endlich. Setz dich, Bia.«
Sie stand einen Moment regungslos herum, ehe sie sich flüchtig nach einem Platz umsah und dann in einigem Abstand zu ihr niedersank.
»Ich würde mich gern über den Stand des Projekts Porta informieren«, eröffnete sie und ihre stechend grünen Augen gruben sich in sie hinein.
Bia senkte kurz den Blick, ehe sie umso fester zurückschaute.
»Bei allem Respekt, Delia… Ich denke, das geht nur den Vater was an, da es sein Projekt ist.«
»Theodor und ich haben keine Geheimnisse voreinander«, sagte sie spitz, »und dir steht es nicht zu, meine Befehle zu hinterfragen. Also? Schon irgendwelche Fortschritte?«
»Noch nicht«, erwiderte Bia steif. »Das dauert eben seine Zeit.«
Erneut lächelte Delia in süffisanter Weise und ließ sich elegant zurücksinken.
»Ich habe keine Ahnung, wieso Theodor dir diese wichtige Aufgabe übertragen hat… nach allem, was du getan hast.«
Bia sagte nichts und starrte an ihr vorbei.
»Hast du keine Antwort darauf?«, forderte Delia sie auf zu sprechen.
»Ich weiß nicht. Vielleicht ist das so eine Art Test.«
»Ja, das wäre möglich, wenn es bei irgendeinem anderen Projekt wäre – doch wir reden hier von Porta. Das ist seine persönliche Lebensaufgabe. Sie ist viel zu wichtig, um sie für solche Zwecke zu missbrauchen.«
»Ich dachte, die Ordnung wäre seine Lebensaufgabe.«
»Ich sagte, es sei seine persönliche Lebensaufgabe.« Delia streckte das Kinn. »Also: Ich habe gehört, dass du offenbar irgendwelche Sonderwünsche für den Professor erfüllst.«
Bia blinzelte.
»Oh, du glaubst, das fällt niemandem auf? Ich nehme ganz genau unter die Lupe, was du tust, Bia.«
»Ich habe ihm nur ein paar Steaks bestellt«, verteidigte sie sich tonlos.
»Ich sehe, was du tust«, wiederholte Delia und ihre Augen funkelten. »Und ich werde beweisen, dass man dir nicht trauen kann. Theodor hätte dich niemals in den Status eines Agenten erheben dürfen. Er hätte niemals in dich investieren dürfen. Du bist eine Gefahr, die er nicht sieht.«
»Ich würde sterben für ihn!«, zischte Bia nun und konnte ihr Wut nicht mehr zügeln. »Im Gegensatz zu dir… Denn du willst bloß einen Platz an der Sonne. Das ist das, was er nicht sieht.«
»Ich leite Projekt Kodikas seit seiner Gründung vor fast dreißig Jahren«, erklärte sie gefährlich leise. »Ich habe dieses Projekt und die unbekannte Macht mit aufgebaut. Ich stehe mehr als jeder andere hinter ihr. Und wenn ich bemerke, dass irgendetwas – irgendjemand – diese Ordnung gefährdet, dann werde ich vor keinem Mittel zurückschrecken, die Gefahr auszumerzen.«
Bia blickte kalt. »Bist du fertig?«
»Geh.«
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und stand auf. Während sie ging, staute sich noch mehr Zorn in ihr auf. Natürlich hatte sie Delias Aufmerksamkeit erregt, als der Vater ihr diesen ungewohnten Auftrag gegebenen hatte. Aber sie würde sich nicht von dieser scheinheiligen Lügnerin überwachen lassen. Sie musste einen Weg finden, sie loszuwerden – sich ihrer Kontrolle zu entziehen. Wenn sie so weitermachte, würde sie bestimmt irgendwas finden, was sie aufbauschen und dem Director weißmachen konnte. Ab jetzt musste Bia wohl oder übel vorsichtiger sein. Auch wenn sie beim besten Willen nicht verstand, was in aller Welt an Steaks so dramatisch war. Delia eben. Viel Wirbel um nichts. Dabei wusste sie gar nicht, was sie ihr überhaupt jemals getan hatte, dass sie derart feindselig war. Gut, einen Teil konnte sie sich zusammenreimen, aber dafür konnte sie doch nichts. Und was sollte überhaupt dieser Auftritt gerade? War das nur wieder die übliche Abwertung all dessen, was sie tat, oder wieso regte Delia sich so offen auf?
Grübelnd kroch Bia auf ihr Bett und schaltete den Fernseher ein. Es liefen Nachrichten. Nicht ihre primäre Quelle um herauszufinden, was in der Welt gerade vor sich ging, aber manchmal ganz nützlich.
»… Noch kann man dieses Phänomen nicht einordnen oder erklären, doch die globale Häufung versetzt die ganze Welt in Alarmbereitschaft. Möglich wären irgendwelche noch unidentifizierten Umwelteinflüsse, die sich in der Atmosphäre verbreitet haben, die Untersuchungen dauern an.«
Bia seufzte und schaltete wieder aus. Unwillkürlich strich sie sich über die Stelle an ihrem Arm, wo sie sich das Mittel injiziert hatte. Dann drehte sie sich herum und begann zu schlafen.
Bia stellte die Schale mit der Spritze geräuschvoll neben dem Computer ab, sodass der Professor sich genötigt sah, von seiner Arbeit abzulassen.
»Und was soll das jetzt, bitte?«
»Antworten«, erklärte sie trocken und verschränkte die Arme. »Jedenfalls ein Teil davon.«
Seine Augen studierten kurz die Spritze, ehe sie langsam zu ihr nach oben wanderten.
»Ah ja.«
»Ich gebe Ihnen die Wahl, es sich selbst zu injizieren.«
Er hob abrupt seine Brauen.
»Nein, wie großzügig! Ich lehne ab, danke.«
Bia musterte ihn.
»Gut, dann kann ich es auch in die Luft abgeben, sodass es Sie infiziert. Ich werde Ihnen nicht sagen, wann und wo oder was es ist. Dann können Sie sich nicht mal dagegen wehren. So oder so, Sie kriegen das hier. Ich dachte nur, es wäre Ihnen lieber, sie wüssten, was passiert.«
William gab einen entnervten Laut von sich, ließ endlich den Computer in Ruhe und blickte sie auffordernd an.
»Was ist das?«
»Ein Virus«, antwortete sie. »Wir – der Director und die Agenten – haben es bereits uns selbst verabreicht und in die Welt entlassen. Jetzt ist es so weit, es auch im Rest der unbekannten Macht zu verteilen. Die Variante, die unsere Mitarbeiter erhalten, ist nicht ansteckend. Wir ziehen es vor, diesen Schritt bewusst zu tun. Und jetzt sind auch Sie an der Reihe.«
»Sie wollen die ganze Welt mit diesem Virus infizieren?«
Sie nickte.
»Es hat sich bereits hinreichend verteilt… Dafür haben wir gesorgt. Jetzt… wollen Sie sicher wissen, was es bewirkt.«
»Ich bitte darum.«
»Es dürfte Sie nicht weiter betreffen… Sie haben ja schließlich schon eine Familie.«
Er starrte sie an. Hinter seinen Brillengläsern schien es in seinem Kopf sofort zu arbeiten.
»Was haben Sie getan?«, entfuhr es ihm ernst und bereits eine Spur entsetzt.
»Eine absolut notwendige und unumgängliche Maßnahme durchgeführt«, erwiderte sie und musste nun allmählich konkret werden. »Kein Mensch auf diesem Planeten wird sich noch auf natürliche Weise fortpflanzen können. Na ja, das hat die Welt nur noch nicht bemerkt… das dauert bestimmt noch ein wenig, bis es auffällt. Aber was schon auf dem Weg war, ist auch tot… und das ist aufgefallen.«
William sagte nichts. Es hatte ihm offensichtlich die Sprache verschlagen. Bia beobachtete, wie er seine Brille hochschob und sich die Augen rieb.
»Das…. Das ist das Widerlichste, was ich jemals gehört… Sie sind Mörder. Sie alle. Und nicht nur das, Sie… Sie haben unschuldige Ungeborene… sind Sie denn völlig wahnsinnig? Wollen Sie uns alle ausrotten, die ganze Menschheit?!«
»Nein!«, widersprach sie sofort. »Selbstverständlich nicht. Was für ein absurder Plan. Aber Sie wissen doch selbst… dass es so nicht weitergehen konnte. Wir waren selbst das Virus und völlig außer Kontrolle. Darum geht es! Kontrolle darüber zu erlangen.«
»Worüber?«, blaffte er.
»Über unseren Fortbestand!« Bia beugte sich zu ihm herunter: »Diese Maßnahme gefällt sicher niemandem, aber es ist der einzig richtige und logische Schritt. Die Überbevölkerung. Der Zustand unseres Planeten. Unsere gesamte Zukunft. Und wir sind die Einzigen, die dazu bereit sind. Jemand muss es sein. Jemand muss die Stärke und Vernunft dazu besitzen.«
»Und…«, zischte er und rang sichtbar immer noch nach Worten. »Und wie stellen Sie sich diesen Fortbestand vor? Wie wollen Sie jetzt verhindern, dass die Menschheit ausstirbt?«
»Indem wir von jetzt an jegliche Nachkommen künstlich erzeugen«, gab sie zurück und blickte fest. »Kontrolliert. Und das wird auch einer der Gründe sein, wieso die auf der Erde Verbleibenden uns als Ordnung akzeptieren werden. Sie können nicht anders. Wenn sie Kinder wollen, müssen sie sich an uns wenden. Und wir entscheiden dann, ob und wie viele.«
Er schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist nicht Ihr Ernst.«