Projekt Todlicht - Ilona Bulazel - E-Book
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Ilona Bulazel

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Beschreibung

»Fünf … vier … drei … Ich will nicht sterben!« Der Countdown läuft. Die Welt sieht sich einer nie da gewesenen Bedrohung gegenüber. Ein alter Pass aus dem Dritten Reich taucht bei einer Online-Auktion auf, kurz darauf wird in Südkorea ein junger Mann brutal gefoltert und ermordet. In anderen Teilen der Welt verschwinden namhafte Wissenschaftler spurlos oder sterben unter mysteriösen Umständen. Als es dann in Nordkorea zu geheimnisvollen Explosionen apokalyptischen Ausmaßes kommt, ist das Team um Leon Marchand in höchster Alarmbereitschaft. Alles deutet auf eine Verbindung zu einem 1945 verschollenen deutschen U-Boot mit unbekannter Fracht hin. Eine andere Spur führt in die Wüste Nordafrikas. Die Jagd nach Antworten fordert weitere Opfer. Was verbirgt sich hinter »Projekt Todlicht«? Und welche Rolle spielt dabei die verführerische CIA-Agentin Catherine Smith, die Marchand schlaflose Nächte bereitet? Bleibt am Ende genug Zeit, um eine schreckliche Katastrophe zu verhindern? (Seitenzahl der Taschenbuchausgabe: 300 Seiten)

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Projekt Todlicht

 

Copyright © 2015 Ilona Bulazel

Alle Rechte vorbehalten.

 

Impressum:

Ilona Bulazel

Sinzheimer Str. 40b

76532 Baden-Baden

Deutschland

E-Mail: [email protected]

Website: https://www.autorib.de

Facebook: https://www.facebook.com/ilonabulazel

Newsletter-Anmeldung über: https://www.autorib.de/newsletter

 

Ausgabe 22.03/2020/TL

 

Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de

Bilder: Photo Images © Shutterstock / Susan Law Cain, bepsy, Ensuper, Esa Riutta

 

Lektorat/Korrektorat: Schreib- und Korrekturservice Heinen

www.sks-heinen.de

 

* * *

 

Über das Buch:

 

»Fünf … vier … drei … Ich will nicht sterben!«

 

Der Countdown läuft. Die Welt sieht sich einer nie da gewesenen Bedrohung gegenüber.

Ein alter Pass aus dem Dritten Reich taucht bei einer Online-Auktion auf, kurz darauf wird in Südkorea ein junger Mann brutal gefoltert und ermordet. In anderen Teilen der Welt verschwinden namhafte Wissenschaftler spurlos oder sterben unter mysteriösen Umständen.

 

Als es dann in Nordkorea zu geheimnisvollen Explosionen apokalyptischen Ausmaßes kommt, ist das Team um Leon Marchand in höchster Alarmbereitschaft. Alles deutet auf eine Verbindung zu einem 1945 verschollenen deutschen U-Boot mit unbekannter Fracht hin. Eine andere Spur führt in die Wüste Nordafrikas. Die Jagd nach Antworten fordert weitere Opfer.

Was verbirgt sich hinter »Projekt Todlicht«? Und welche Rolle spielt dabei die verführerische CIA-Agentin Catherine Smith, die Marchand schlaflose Nächte bereitet? Bleibt am Ende genug Zeit, um eine schreckliche Katastrophe zu verhindern?

 

Nach »Die Akte Aljona«, »Operation Castus«, »world: reset« und »Sepsis – Verkommenes Blut« ein weiterer Thriller von Ilona Bulazel, der dem Leser keine Zeit zum Luftholen lässt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Schlusswort und Anmerkungen

Leseprobe »Die Akte Aljona«

Leseprobe »Operation Castus«

Kapitel 1

 

400.000 v. Chr.: Der Speer ist vielleicht nicht die erste von Menschen benutzte Waffe, aber sicherlich eine der ersten, die speziell für den Kampf und das Töten hergestellt wurde. Selbst heute benutzen noch viele Menschen den Speer zur Jagd und zur Verteidigung.

 

* * *

 

Hiroto hob abwehrend die Hände. Der Versuch, um Gnade zu betteln, scheiterte – die Kugel drang in seine Stirn ein. Das Geschoss prallte am Knochen ab und schrammte unter der Kopfhaut entlang. Keine Sekunde später trat das Projektil seitlich wieder aus und zerfetzte dabei die Ohrmuschel. Er sank auf die Knie.

Neben ihm rief jemand: »Nicht! Er ist doch keine Gefahr. Er …«

Ein Magazin wurde leer geschossen, damit verstummte auch der, der eben noch gerufen hatte.

Hiroto rutschte währendessen auf den Boden. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Das war also der Tod, sein Tod. Warmes Blut lief ihm über das Gesicht. Warum konnte er noch denken? Warum hörte er noch das bedrohliche Rauschen des Meeres und das Kreischen der Seevögel? Diese Fragen beschäftigten ihn mehr als die Angst vor dem Unbekannten, das noch vor ihm lag.

 

Neben ihm knirschte der Kies. Instinktiv hielt er die Augen geschlossen. Eine Stiefelspitze stieß ihm grob in die Seite, aber das nahm er nicht mehr wahr. Seine Gedanken wurden träge. Ein paar Erinnerungen traten zaghaft in Hirotos Bewusstsein. Vor ihm stand plötzlich die Mutter und winkte ihm zu, so wie sie es früher oft getan hatte, als er noch ein kleines Kind gewesen war. Alles glich einem schönen Traum. Ganz weit entfernt erklang ein dumpfes Geräusch, ein weiterer Schuss, dann verflüchtigten sich auch die letzten Traumbilder und um ihn herum war nur noch Dunkelheit.

 

Nordkorea – 1. Mai, Gegenwart

 

Die monotone Stimme zählte rückwärts, dann erfolgte die automatische Zündung. Eine grelle Lichtsäule schoss nach oben und schien irgendwo in der Atmosphäre zu verschwinden. Die Explosion verlief vollkommen unkontrolliert. Es war, als hätte man den Startschuss zur Apokalypse gegeben.

Die Erde riss auf und ein Krater, so tief, als würde er direkt in die Hölle führen, verschlang Teile der Forschungsstation. Der infernalische Lärm der einstürzenden Gebäude konnte jedoch nicht die grauenvollen Schreie der Sterbenden übertönen. Die Menschen flehten um Erlösung und riefen nach dem Tod, als ihre Haut schmolz, bis nur noch die rohen Knochen zurückblieben. Ein hässliches Zischen und Dampfen begleitete dieses furchtbare Schauspiel. Es klang wie sich auflösendes Eis, das in heißes, brodelndes Fett gekippt wurde. Einigen der Opfer platzten die Lungen. Anderen schoss das Blut unaufhaltsam aus Mund, Nase und Ohren, so als hätten ihre Körper keine Gerinnungsstoffe mehr. Obwohl die Qual nur wenige Sekunden dauerte, war sie von einer so grausamen Intensität, dass sich die Sterbenden den sofortigen Tod herbeisehnten.

Und doch waren die, die so umkamen, die Glücklicheren. Denn wer den Test aus einiger Entfernung verfolgt hatte, musste beim Sterben Geduld haben. Deren leidvolles Stöhnen würde nicht so schnell verstummen.

Das medizinische Personal, das zwanzig Minuten später das Testgelände erreichte, stand hilflos zwischen den Verletzten. Unfähig, Herr des Chaos zu werden, wirkten die Männer und Frauen in ihren weißen Schutzanzügen wie Bühnendarsteller, die ihren Einsatz verpasst hatten.

Der Begriff »Bild des Grauens« wurde der Situation nicht einmal im Ansatz gerecht. Für die meisten der Betroffenen würde es keine Rettung geben. Ihre Herzen schlugen noch und auch ihre Gehirne arbeiteten weiter, sorgten unbarmherzig dafür, dass der Schmerz zu spüren war – aber ihren verstümmelten Leibern konnte niemand mehr helfen. Knochen waren mehrfach gebrochen, Rippen bohrten sich durch den Brustkorb und standen wie Stacheln nach außen. Bei manchen quollen die Augäpfel aus den Höhlen und baumelten an dünnen Gewebefäden. Auch für den Mann, dessen Oberschenkel fast bis zur Brust nach oben gerammt worden waren, konnten die Ärzte nichts mehr tun.

Nur die Menschen in den weiter entfernten Schutzräumen waren unversehrt geblieben. Aber von denen war kein Mitleid zu erwarten. Dieser Fehlschlag bedeutete, dass einer die Verantwortung übernehmen musste. Alleine darauf konzentrierten sich diese Männer und Frauen jetzt.

 

Kiel, Anfang 1945

 

Es war eine kalte Nacht. Irgendwo in einiger Entfernung trommelte das Dauerfeuer einer Flugabwehrkanone durch die Dunkelheit. Kapitänleutnant Siegfried Röhmer zog die Schultern zusammen. Der dicke Rollkragenpullover unter der schweren schwarzen Lederjacke ließ ihn die feuchte Kälte leicht ertragen. Als guter Soldat hätte er sich sowieso niemals darüber beklagt; weder über eisige Temperaturen noch über sinnlose Befehle. Und dieser Einsatz war ein Selbstmordkommando.

»Herr Kapitänleutnant?«, erklang hinter ihm die Stimme von Egon Stasse, dem Offizier des MSD, dem Marine Sonderdienst Ausland. »Wir wären dann so weit.«

Röhmer nickte kurz. Sein Gesichtsausdruck war hart und unergründlich. Tiefe Falten ließen ihn wesentlich älter als vierzig erscheinen. Manche nannten ihn einen alten Seebären, andere einen unberechenbaren Draufgänger. In Wirklichkeit war der Kapitänleutnant nichts mehr von alldem. Er war kriegsmüde und erschöpft. Zu viele hatte er in den letzten Jahren in den Tod geführt. Die Alliierten waren bereits im letzten Juni in der Normandie gelandet und die Russen marschierten nach Berlin – wie lange würde das Sterben noch weitergehen?

»Ihr Passagier sollte jeden Moment eintreffen.«

Auch diese Aussage nahm Röhmer kommentarlos zur Kenntnis. Er erinnerte sich an den Tag, als er den Befehl erhalten hatte:

 

»Streng geheim, mein lieber Röhmer! Sie verstehen?«, erklärte ihm Stasse mit einem jovialen Schulterklopfen. Dann teilte man ihm die Einzelheiten mit.

»Mein U-Boot soll als ›Milchkuh‹, als Frachter dienen?«, brüllte er wütend, ohne Rücksicht auf den ebenfalls anwesenden Offizier der Waffen-SS. »Sie verlangen, dass ich mit minimaler Besatzung und Bewaffnung irgendwelche Maschinenteile, oder weiß der Teufel was, nach Japan bringe? Einfacher können wir es dem Feind wohl kaum machen. Das ist doch Selbstmord!«

Während des ganzen Gespräches wandte ihnen der SS-Offizier den Rücken zu. Jetzt räusperte er sich geräuschvoll, starrte jedoch weiterhin aus dem Fenster. Ganz langsam begann er, seinen Kopf nach links und rechts zu bewegen, so als würde er sich vor dem Sport aufwärmen. Anschließend zog der Mann die Schultern hoch und wippte auf den Zehenspitzen. Er schien vollkommen entspannt. Plötzlich, mit einem Ruck, drehte er sich um und Röhmer sah in das entstellte Gesicht eines Dreißigjährigen.

Der SS-Offizier trat nun mit ausladenden Schritten vor den U-Boot-Kommandanten. Ein bösartiges Flüstern drang aus seinem Mund: »Sehen Sie mich an, Kapitänleutnant. Diese Narben trage ich mit Stolz. Sie sind das Zeichen meiner Treue gegenüber dem Führer und meinem Vaterland. Nur wenn wir bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen, werden wir siegreich sein. Was können Waffen schon bewirken, wenn der Wille fehlt, sie zu führen?«

Jetzt baute sich der Mann direkt vor Röhmer auf und streckte ihm, unangenehm nah, das fratzenartige Gesicht entgegen.

Die in verschiedenen Rosatönen schimmernde verbrannte Haut wirkte wie speckiges Pergamentpapier. Röhmer sah den Irrsinn in den Augen seines Gegenübers, als dieser weitersprach.

»Sagen Sie mir, Kapitänleutnant, fehlt Ihnen der Wille?« Die Worte kamen freundlich aus dem Mund des SS-Offiziers, aber die Drohung war überdeutlich herauszuhören.

Röhmer spannte alle Muskeln an, als er mit eisiger Stimme erwiderte: »Ich habe Männer verloren, gute Männer. Mein Sohn fiel bei Stalingrad, meine Frau starb bei einem der ersten Bombenangriffe. Für all diese Menschen wäre ich nur zu gerne gestorben.« Nun machte der Kapitänleutnant einen Schritt nach vorne und der SS-Offizier wich reflexartig zurück. »Stellen Sie nie wieder meine Bereitschaft, Opfer zu bringen, infrage. Ich …«

»Ich denke, wir sind uns einig. Nicht wahr, mein lieber Röhmer?«, hatte sich Egon Stasse schnell beschwichtigend eingemischt, bevor der Streit der beiden Männer noch hätte eskalieren können.

 

Röhmer verdrängte die Erinnerung und den damit verbundenen Zorn und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Er sah zu seiner Besatzung. Sie hatten ihm Buben geschickt, keine erwachsenen Männer. Er würde wieder einmal Kinder befehligen.

Sein leitender Ingenieur und guter Freund Fritz Hallster sah ihn erwartungsvoll an. Mechanisch gab er daraufhin die Kommandos und die Männer gingen an Bord. Ihm war untersagt worden, die Besatzung über das Ziel und den Zweck ihrer Fahrt zu unterrichten. Er selbst wusste nur das Nötigste.

»Geheime Reichssache!«, war die Standardantwort des MSD gewesen, wenn er nach Details gefragt hatte.

Unter den Bögen des U-Boot-Bunkers fühlte er sich heute mehr denn je an einen Kanalisationstunnel erinnert und Stasse war eine der heimischen Ratten. Dieser Gedanke ließ für einen kurzen Moment ein boshaftes Lächeln auf Röhmers Gesicht erscheinen. Dann wurde er sofort wieder ernst und dachte an die geheimnisvolle Fracht, die in großen Kisten überall auf dem U-Boot verteilt worden war. Selbst einige der Minenschächte waren zu Frachträumen umfunktioniert worden.

»Ah, da ist er ja. Pünktlich auf die Minute!«, seufzte Stasse nun selbstzufrieden neben Röhmer.

Das Klackern von Absätzen war zuerst zu hören, dann lösten sich zwei Gestalten aus der Dunkelheit.

Röhmer war nicht besonders begeistert, auch noch einen zivilen Passagier an Bord zu haben, darum trat er dem Mann mit wenig Freundlichkeit entgegen. Noch schlimmer war jedoch, dass dieser in Begleitung kam. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse hatte der Kapitänleutnant den zweiten Mann sofort erkannt. Dieses verunstaltete Gesicht, das mit Brandnarben übersät war, konnte man unmöglich vergessen. Es handelte sich um den SS-Offizier, der damals auch in Stasses Büro gewesen war.

Mit einem triumphierenden Lächeln begrüßte der nun die Anwesenden: »Wie es aussieht, ist alles zur Zufriedenheit des Führers vorbereitet.« Der Mann behandelte Röhmer, als wäre der Luft. Stattdessen wandte er sich ausschließlich an Egon Stasse. »Das ist Professor Friedrich Maynfeld«, sagte er beinahe andächtig. »Der Führer erwartet, dass man den Professor mit der größtmöglichen Ehrerbietung behandelt. Ich hoffe, wir verstehen uns.«

»Selbstverständlich!«, antwortete Stasse kriecherisch, während Röhmer den Befehl mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken bestätigte.

Stasse übernahm es schließlich, die Männer vorzustellen.

Abschätzend betrachtete Friedrich Maynfeld den U-Boot-Kommandanten Röhmer, der ihn an sein Ziel bringen sollte. Schließlich streckte er seine Hand aus. »Sehr erfreut, Herr Kapitänleutnant. Ich hoffe, Sie und Ihre Männer sind sich der Wichtigkeit unserer Mission bewusst.«

Röhmer empfand sofort eine Antipathie gegenüber dem Fremden. Sein Instinkt sagte ihm, dass dieser Professor ein kaltblütiges Aas war. Dafür reichte ein Blick in die gefühllosen Augen des Mannes.

Maynfeld entsprach nicht gerade dem Bild eines typischen Gelehrten dieses akademischen Grades. Das lag vor allem an seinem Alter. Der Wissenschaftler war vermutlich noch keine fünfunddreißig. Nein, ein zerstreuter Professor war Maynfeld wohl kaum.

Der Kerl ist berechnend, dachte Röhmer nicht ohne Sorge.

»Verehrter Professor, ich darf Ihnen im Namen des Führers die besten Wünsche für ein erfolgreiches Gelingen aussprechen?« Der SS-Offizier räusperte sich und fuhr dann feierlich fort: »Ich möchte noch anfügen, dass ich Sie um diese Mission beneide.«

Bei seiner kleinen Ansprache ließ er Röhmer allerdings bewusst unerwähnt.

Stasse beeilte sich, ebenfalls etwas zu sagen. »Fürwahr, Sie sind ein echter Held des Vaterlandes!«

»Aber, aber, meine Herren. Ich tue nur meine Pflicht«, antwortete der Professor salbungsvoll, während der Kapitänleutnant ein Zähneknirschen unterdrückte.

»Deutschland wird für immer in Ihrer Schuld stehen!«, setzte der SS-Offizier nun noch nach.

Unter anderen Umständen hätte Röhmer diese Szene mit einem Kopfschütteln abgetan. Aber das, was er hier gerade hörte, verstärkte seine Besorgnis. Bisher hatte er nicht wirklich geglaubt, dass ein gelungener Transport von Kiel nach Japan kriegsentscheidend sein könnte. Eher war er davon ausgegangen, dass Egon Stasse und sein SS-Freund mit dieser ganzen Aktion die eigene Wichtigkeit herauskehren wollten. Aber so langsam kamen dem Kapitänleutnant Bedenken. Was, wenn diese Fahrt der U-9881 tatsächlich eine entscheidende Rolle für den Sieg spielen könnte? Deutschland lag bereits am Boden, davon war Röhmer überzeugt.

Den Ersten Weltkrieg hatte er als Kind erlebt. Er wusste genau, wie sich eine Niederlage anfühlte. Heute brauchte er sich nur umzuschauen, um zu wissen, dass das Ende nur noch eine Frage der Zeit war. Was also hatte er an Bord, das daran noch etwas ändern könnte? Viele geheimnisvolle Kisten und Behälter teilten mit ihm und seinen Männern den knappen Platz unter Deck. Und jetzt waren sie zu allem Übel das Begleitpersonal für diesen Wissenschaftler, vor dem selbst die Waffen-SS katzbuckelte. Röhmer wollte weder mit der Fracht noch mit diesem aufgezwungenen Passagier etwas zu tun haben.

Das frenetische »Heil Hitler« von Egon Stasse ließ den Kapitänleutnant zusammenfahren. Er murmelte genervt einen entsprechenden Abschiedsgruß. Etwas, das Professor Maynfeld mit großem Interesse registrierte.

Dann wandte sich der Wissenschaftler mit einer gönnerhaften Miene dem SS-Offizier zu, der daraufhin salutierte und in militärischer Manier die Hacken zusammenschlug.

 

Zentrale des FSB (russischer Geheimdienst) – 1. Mai, Gegenwart

 

Einem grellen Lichtblitz folgte eine weiße Wolke, die sich langsam auf dem großen Flachbildschirm ausbreitete. Die Sequenz lief abgehackt und verzerrt über den Monitor.

»Was zum Teufel war das?« Der Leiter der Abteilung Aufklärung Nordkorea hatte einen tiefen Bass. Als seine Stimme nun durch das moderne Konferenzzimmer dröhnte, verstummten die Anwesenden.

»Antworten!«, setzte der Mann gereizt nach.

Jetzt begann das Papiergeraschel, und endlich wagte einer der Analysten zu sprechen. »Wir wissen es nicht …«

Noch bevor sich die Stimme des Abteilungsleiters erneut erhob, fuhr sein Mitarbeiter fort: »Wir haben nur die Satellitenbilder. Es ist eindeutig eine Explosion.«

Der Vorgesetzte betrachtete erneut die Aufnahmen. »Haben wir schon eine Rückmeldung von den Nordkoreanern?«

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und eine hübsche Frau im schlichten grauen Kostüm stürmte ins Zimmer.

Ohne eine Aufforderung abzuwarten, sprudelte es aus ihr heraus: »Es war ein Unfall!« Dann schnappte sie geräuschvoll nach Luft und sprach weiter: »Eine Chemiefabrik ist in die Luft geflogen, keine Toten, nur ein paar Leichtverletzte.«

»Das glauben die doch selbst nicht«, blaffte ihr Vorgesetzter ungehalten. »Was ist das für eine Chemiefabrik, bei der Radioaktivität austritt?«

»Das ist ja das Verwirrende«, schaltete sich der Analyst wieder ein. »Die Messungen bestätigen zwar den Austritt von Strahlung, aber die Menge ist zu gering für die üblichen Atombombentests. Die seismischen Auswertungen und die Satellitenbilder lassen allerdings darauf schließen, dass hier eine Detonation provoziert wurde und es sich nicht um einen harmlosen Fabrikunfall handelt.«

»Die Strahlung ist also zu schwach für eine Atombombe, aber eine Bombe könnte es trotzdem sein?«

Der scharfe Ton des Vorgesetzten ließ den Mitarbeiter zusammenzucken. Hilflos hob der die Hände. »Wir können es nicht zuordnen, vielleicht kann man auf diplomatischem Weg mehr erfahren. Immerhin sind unsere Nationen miteinander befreundet.«

Der Abteilungsleiter winkte müde ab. Sollte er sich die Mühe machen und dem jungen Mann erklären, dass es auch zwischen befreundeten Nationen Geheimnisse gab? Schließlich stellte der FSB seine Aktivitäten nicht einfach ein, bloß weil gerade mal Friede, Freude, Eierkuchen mit einem anderen Land herrschte. Er versagte sich jedoch den Kommentar. Sollten die Herren ganz oben entscheiden, wie es weitergehen würde.

 

1945, einige Wochen nach dem Auslaufen des U-Boots Nr. 9881

 

»Das Boot ist aufgetankt, Herr Kaleu!«, teilte Fritz Hallster Röhmer mit. Sie hatten eines der Versorgungsschiffe erreicht und den notwendigen Diesel bekommen.

»Gut, dann Kurs halten!«

»Jawoll, Herr Kaleu!«

Damit war der leitende Ingenieur eigentlich entlassen. Aber Hallster machte keine Anstalten, sich aus der Kabine des Kommandanten zu entfernen.

Röhmer, der gerade die Seekarten studierte, blickte auf. Hallsters bekümmerter Gesichtsausdruck entging ihm nicht. Seit Jahren fuhren sie gemeinsam zur See und waren mehr als nur Kameraden.

»Was gibt es, Fritz?«, fragte Röhmer daher und wechselte zum vertraulichen »Du«.

»Ich mache mir Sorgen.«

»Und weswegen?« Röhmer legte die Karten beiseite und bat Hallster, in der engen Kabine Platz zu nehmen.

»Diese Fahrt … unser Gast … das gefällt mir nicht. Wir haben den Funk der Amis abgehört. Sie sagen, der Krieg sei für Deutschland verloren.«

»So, sagen die das?« Röhmer wusste, auf was sein Freund hinauswollte und seufzte. »Du zweifelst an unseren Befehlen?«

»Verstehe mich nicht falsch, Siegfried. Du weißt, dass ich dir überall hin folgen werde.«

Röhmer winkte ab und lehnte sich nach hinten zu seiner Koje. Unter der Matratze zog er eine Flasche hervor. Gemächlich löste er den bröseligen Korken und nahm einen großen Schluck des durchsichtigen Inhalts. Dann reichte er das scharfe Getränk an Fritz Hallster mit den Worten weiter: »Ich habe nie an dir gezweifelt, mein Freund. Also, was genau beunruhigt dich, außer der Tatsache, dass wir vermutlich bald in dieser Blechbüchse sterben werden?«

Hallster verzog das Gesicht und schüttelte sich, als der hochprozentige Schnaps seine Kehle herunterlief. Röhmer hatte ihre Situation perfekt zusammengefasst. Sie waren nun schon seit einigen Wochen unterwegs. Die Nordostpassage hatten sie nicht nehmen können. Seit sich Hitler mit Genosse Stalin im Krieg befand, war dieser Weg nach Japan keine Alternative mehr, zumal die Witterungsverhältnisse mehr als ungünstig gewesen wären. Die Afrika-Route war ihre einzige Möglichkeit und fast genauso gefährlich – die alliierten Kriegsschiffe hatten sich längst in Position gebracht. Bisher war das Glück auf ihrer Seite gewesen und man hatte U-9881 noch nicht versenkt. Allerdings war ihnen das nur durch das sehr vorsichtige Manövrieren gelungen. Die ständigen Tauchfahrten machten sie langsam. Die Vorräte an Bord wurden knapp und die hygienischen Bedingungen waren alles andere als vorbildlich. Die Versorgungsschiffe waren kaum in der Lage, sie ausreichend mit Nachschub zu beliefern. Die Wenigsten kamen überhaupt noch an den feindlichen Flottenverbänden vorbei.

Die meisten Männer an Bord trugen mittlerweile Bärte. Die Luft hing voller menschlicher Ausdünstungen und die Enge setzte einem jeden Tag mehr zu. Niemand beklagte sich – aber das war auch nicht nötig, denn die Gesichter der jungen Matrosen, die ihre kindliche Zartheit längst verloren hatten, sprachen für sich.

Röhmer sah unverwandt zu dem leitenden Ingenieur, der sich endlich von seinen Gedanken losriss und dem Kaleu eine Antwort gab. »Die ständige Todesangst, das ist eine Sache. Was mir Bauchweh bereitet, ist unser Gast und seine Fracht. Was ist hier los?«

Röhmer nahm erneut einen Schluck aus der Flasche. Zuerst dachte Hallster, er würde keine Antwort bekommen, aber dann begann sein Gegenüber, doch noch zu sprechen. »Sagen dir die Worte ›Geheime Reichssache!‹ irgendetwas?« Noch bevor Hallster auf die Frage reagieren konnte, fuhr Röhmer fort: »Eigentlich weiß ich nicht mehr als du oder der Rest der Mannschaft. Der ganze Kram, der in unseren Minenschächten sitzt, soll zusammen mit diesem Wissenschaftler, Friedrich Maynfeld, kriegsentscheidend sein. Was auch immer das heißt!«

»Pah! So wie ich das sehe, ist der Krieg doch längst entschieden. Wir werden verlieren.«

Röhmer gab einen kehligen Laut von sich. »Sei vorsichtig, mein Freund, sonst stellen sie dich noch vor ein Kriegsgericht.«

Fritz Hallster war wütend. »Dort werde ich wohl nicht mehr lebend ankommen«, sagte er aufgebracht. »Wir werden alle draufgehen, wegen irgendwelchem Schrott, mit dem die Japaner genauso wenig anfangen können wie wir. Und dann dieser Professor. Hast du seine Augen gesehen? Der Typ ist unheimlich. Schleicht durch die Gänge wie ein Gespenst. Plötzlich taucht er irgendwo auf und redet geschwollen daher. Der schwitzt noch nicht einmal, ein richtiger Lackaffe.«

Röhmer lachte bitter. Er teilte Hallsters Einschätzung. Friedrich Maynfeld war ein gefährlicher Zeitgenosse, obwohl er sich während der Fahrt nichts hatte zuschulden kommen lassen.

»Traust du dem Mann?«

»Nein«, gab Röhmer unumwunden zu. »Ich vermeide es, ihm den Rücken zuzudrehen, ich …«

Der Kapitänleutnant wurde von einem lauten Rufen unterbrochen.

 

Vereinigte Staaten, CIA/Abteilung Nordkorea – 1. Mai, Gegenwart

 

Catherine Smith hatte den Job als stellvertretende Sektionschefin für Nordkorea seit zwei Jahren. Der Weg dorthin war nicht einfach gewesen, aber Catherine hatte skrupellos und mit harten Bandagen gekämpft.

Sie wusste, wie das »Spiel« funktionierte, war aber weit davon entfernt, sich immer an die Regeln zu halten. Sie hatte ihr eigenes Rezept, um ihr Ziel zu erreichen. Ihr Motto lautete: »Wenn man etwas nicht bekommt, dann will man es nicht genug!«

Was vor zwei Jahren noch gut für sie funktioniert hatte, brachte sie allerdings mittlerweile nicht mehr weiter. Als vor sechs Monaten die Stelle des Sektionschefs frei geworden war, hatte man sie übergangen. Stattdessen war ihr ein mäßig intelligenter Typ von außerhalb vor die Nase gesetzt worden.

Catherine war eine ausgesprochen attraktive Frau. Mit ihren dreiunddreißig Jahren zog sie die Männer gewöhnlich in ihren Bann. Das lag auch mit daran, dass sie sich nicht scheute, die eigenen körperlichen Vorzüge gewinnbringend einzusetzen, anstatt sich nur auf ihre geistigen Fähigkeiten zu verlassen. Das hübsche Gesicht und die üppige Oberweite hatten ihr zwar noch keine entscheidenden Türen geöffnet, aber diese zumindest ein paar Zentimeter aufgestoßen.

Auch das Dummchen zu spielen, fiel ihr bei Bedarf nicht schwer. Aber wer Catherine Smith kannte, der wusste, dass sie ein eiskaltes Miststück sein konnte, wenn es darauf ankam.

Die Meldung aus Nordkorea beunruhigte sie – aber das sagte sie nicht, sondern hörte sich nun den Statusbericht an.

»Es war eine Explosion, das steht fest«, sagte gerade Bob, ihr Chef, der links neben ihr saß.

»Und die Ursache?«, warf Catherine nüchtern in die Runde.

»Laut unseren Quellen ein Unfall in einer Chemiefabrik«, antwortete einer der Anwesenden.

»Ich wusste gar nicht, dass die in dieser Ecke Chemiefabriken haben«, sagte Bob nun flapsig und betrachtete die Karte Nordkoreas.

Die Explosion hatte in einer Gebirgsregion im Norden stattgefunden, abseits der größeren Städte.

»Wir wissen noch vieles nicht!«, antwortete ihm Catherine genervt und wandte sich an ein anderes Mitglied ihres Teams, »wie reagieren die Chinesen?«

»Die halten sich zurück, schlucken offiziell die Unfallversion.«

»Und weiß man etwas von den Russen?«, hakte nun Bob nach.

»Die Russen?«, antwortete ihm ein Mitarbeiter. »Die Russen stehen doch momentan auf ›Du und Du‹ mit den Nordkoreanern. Jede Wette, dass die genau wissen, was da passiert ist.«

 

* * *

 

Aber dieses Mal lag die CIA daneben. Der FSB war weit davon entfernt, auf dem Laufenden zu sein. Etwas, das so manchen mächtigen Mann in Russland nervös machte. Ein Atombombentest zu Propagandazwecken hätte die Gemüter sicherlich wesentlich weniger erregt. Aber dieses sture Leugnen jeglicher militärischer Aktionen und die fadenscheinige Chemiefabrik-Geschichte ließen die obersten Befehlshaber nicht mehr ruhig schlafen. Folglich gaben sie die Anweisung, die Angelegenheit genauer zu untersuchen.

Die Männer des russischen Geheimdienstes sahen die Order mit gemischten Gefühlen. Dieser Auftrag war besonders gefährlich. Die Nordkoreaner waren Spezialisten im Bewahren von Geheimnissen, und sollte man die Russen beim »Recherchieren« erwischen, dann würde sich das äußerst negativ auf die diplomatischen Beziehungen der beiden Staaten auswirken. Immerhin war man bisher nicht müde geworden, mit dem Russisch-nordkoreanischen-Schulterschluss zu werben.

 

1945, einige Wochen nach dem Auslaufen des U-Boots Nr. 9881

 

»Zerstörer voraus!«, hallte es durch das U-Boot.

Die gesamte Besatzung war mit einem Schlag wie elektrisiert. Röhmer stürmte gefolgt von Hallster in die Operationszentrale. Der Gesichtsausdruck des wachhabenden Offiziers war ihm Information genug.

»Alarmtauchen!« Der Schrei des Kommandanten wurde in sekundenschnelle durch das ganze Boot getragen. Jeder, der nicht gerade Wache hatte, rannte in Windeseile zum Bug, um das Abtauchen durch mehr Gewicht im vorderen Bereich zu beschleunigen.

Die Befehle kamen schnell hintereinander. Im Augenblick der Gefahr wusste jeder der Matrosen, was er zu tun hatte.

»Volle Kraft, Ballasttanks füllen!«, brüllten die Offiziere. Das Kommando zur Einstellung der Tiefenruder folgte. U-9881 tauchte in einem extremen Winkel ab, sodass im hinteren Bereich nicht gesicherte Ladung ins Rutschen kam.

Das knirschende Geräusch, das entstand, als sich das U-Boot jetzt entschlossen durch die Wassermassen in die Tiefe schob, ließ den jungen Matrosen das Blut in den Adern gefrieren, obwohl dieses Rumpfknistern längst nichts Fremdes mehr für sie war.

Dann wurde es still, niemand sprach. Wenn nötig, wurde geflüstert. Nur so konnten die deutschen Soldaten verhindern, von der feindlichen Technik aufgespürt zu werden.

Es war nicht das erste Mal, seit sie in jener kalten Nacht in Kiel abgelegt hatten, dass U-9881 in solch eine Situation kam. Bei den ersten Feindkontakten hatten der Kampfgeist und der Wunsch, dem Gegner die Stirn zu bieten, die Männer angetrieben. Mittlerweile sah man jedoch nur noch die Angst in ihren Augen. Die jungen Matrosen konnten nicht mehr verbergen, wie ihnen zumute war. Manche bewegten lautlos die Lippen und sprachen ein stummes Gebet. Andere verkrampften die Körper oder ballten die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. Der junge Funkmaat unterdrückte mühsam ein Schluchzen.

Als der Zerstörer über ihnen die Wasserbomben abwarf, schlossen die meisten der Männer die Augen. Um das 90 Meter lange U-Boot begann das Meer zu toben. Ihr metallenes Gefährt erbebte und schien verloren. Durch die Explosionen wurde es wie ein kleines Papierschiffchen hin- und hergeschleudert. Jemand rief »Wassereinbruch«, dann griffen Hände nach Eimern oder großen Schraubenschlüsseln. Jeder tat sein Möglichstes. Mit verbissenen Mienen kämpften die Männer gegen das eindringende Wasser an. Als das Leck endlich unter Kontrolle war, schien auch der Angriff des Zerstörers vorbei zu sein. Sie hatten überlebt, aber der Jubel blieb aus. Stattdessen konnte man das schwere Atmen der Matrosen vernehmen. Sie gaben sich keinen Illusionen mehr hin – heute war es gut gegangen, doch letzten Endes wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das Glück sich von ihnen abwenden würde.

Röhmer sah die müden Gesichter der Besatzung und die Hoffnungslosigkeit darin. Ihm ging es nicht anders. Am liebsten hätte er sie alle nach Hause befehligt, aber das war unmöglich. Außerdem musste er, als Kommandant, die Moral der Mannschaft aufrecht erhalten und mit gutem Beispiel vorangehen. Röhmers Blick kreiste nochmals über die Marinesoldaten. Niemand schien seine Verbitterung zu bemerken. Zumindest glaubte der Kapitänleutnant das in jenem Moment.

 

* * *

 

Friedrich Maynfeld hatte wie gewöhnlich die Operationszentrale leise verlassen. Sein Gesichtsausdruck entspannte sich. Wieder einmal hatte es dieser Kapitänleutnant Röhmer geschafft. Der Wissenschaftler hätte für die Reise gerne ein bequemeres, zumindest ein sichereres Transportmittel gewählt, aber er hatte nehmen müssen, was er kriegen konnte. Er würde die Fahrt überstehen, seine Pläne realisieren und ein reicher, berühmter, aber auch einflussreicher Mann werden. Seine Mutter hatte ihn oft als »Glückskind« bezeichnet. Aber es gehörte viel mehr dazu als nur pures Glück. Man musste die Chancen erkennen, keine Skrupel haben und mit genug Improvisationstalent gesegnet sein. Letzteres hatte es ihm ermöglicht, bei den Nazis Karriere zu machen. Politik oder Krieg interessierten ihn nur, soweit sie ihm einen Vorteil brachten. Er unterschrieb dort, wo man die besten Konditionen bot. Die Reise nach Japan war eine Option gewesen, aber ihm schwebte eine bessere Alternative vor.

Bei dem Gedanken daran verzog Maynfeld das markante Gesicht zu einem boshaften Grinsen. Sein erster Eindruck von Röhmer war offensichtlich der richtige gewesen. Dieser Mann hatte Zweifel, die er sich zunutze machen könnte. Jetzt brauchte es nur noch einen winzigen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde, und Maynfeld hätte ein leichtes Spiel mit dem Kapitänleutnant.

 

 

Kapitel 2

 

40.000–25.000 v. Chr.: Ein »Atlatl« dient dazu, einen Pfeil oder Speer mithilfe eines Wurfarms mit hoher Kraft zu schleudern. Diese Speerschleuder erhöht die Reichweite enorm, gleichzeitig wird das Geschoss mit höherer Wucht ins Ziel befördert. Der »Atlatl«, den man auch als »Steinzeit-Kalaschnikow« bezeichnet, wird später durch Pfeil und Bogen ersetzt.

 

Büro des »BAS« in Brüssel – 15. Mai, Gegenwart

 

Leon Marchand saß entspannt an seinem Schreibtisch und sah den Tagesbericht durch. Die letzten Wochen waren ruhig gewesen. Nur die üblichen Verdächtigen. Ein russisches Drogenkartell und ein argentinischer Konzern, die sich ungewöhnlich aggressiv auf den osteuropäischen Markt drängten. Er hatte ein kleines Team mit der Recherche beauftragt. Paul Berens, der erst seit Kurzem zum BAS gehörte, hatte die Koordination übernommen. Paul hatte vor wenigen Monaten entscheidend dazu beigetragen, die gefährlichen Machenschaften aufzudecken, die im Zusammenhang mit der geheimnisvollen »Akte Aljona« standen. Daraufhin hatte ihm Marchand kurzerhand einen Job beim BAS angeboten.

Das »Bureau of Analysis and Statistic«, kurz »BAS« genannt, war nach dem Mauerfall 1989 gegründet worden, um die Entwicklungen im Osten, vor allem in Russland, zu beobachten. Natürlich war das alles streng geheim gewesen und auch heute hatten nur wenige Menschen Informationen über das BAS.

Anfang der Neunziger beschränkte sich die Arbeit vor allem auf das Überwachen von Personen, die aufgrund ihrer Vergangenheit nach 1945 und während des Kalten Krieges interessant waren – beim BAS hießen sie »Rote Lichter«. Heute, über fünfundzwanzig Jahre später, konzentrierte sich die Behörde immer mehr auf das Beobachten der osteuropäischen Märkte und auf das Herausfiltern krimineller Subjekte. Damals wie heute standen ihnen dafür eine umfangreiche Datenbank und der Zugriff auf die Infrastruktur anderer Institutionen und Behörden zur Verfügung. Welche europäischen Regierungen hinter dem BAS standen, wusste auch Marchand nicht genau. Eine Rolle spielte das für ihn nicht, denn er hatte seinen Vorgesetzten, der ihm die Gespräche mit den Politikern abnahm.

 

Leon Marchand war ein gut aussehender Mann Mitte fünfzig. Das Haar trug er stets militärisch kurz. Ein Überbleibsel aus seiner Zeit bei der Armee.

Das Klopfen an der Tür ließ ihn aufblicken. Jone betrat den Raum und schob sich, wie es seine Gewohnheit war, das kantige schwarze Brillengestell in die graue Haarpracht. Jone war Finne und Marchand schätzte ihn als Mitarbeiter und Freund. Außerdem war der Mann ein wandelndes Geschichtsbuch. Leon würde es bedauern, wenn sein langjähriger Kollege eines Tages in Rente gehen würde.

»Gibt es etwas Neues von diesem Drogenkartell?«, fragte der Leiter des BAS nun interessiert.

Jone, der nächstes Jahr seinen sechzigsten Geburtstag feiern würde, blickte ernst zu seinem Vorgesetzten. »Nein«, antwortete er ein wenig gedehnt.

Marchand horchte auf. Etwas an der Art und Weise, wie dieses »Nein« klang, hatte ihn alarmiert.

»Du wirst es nicht glauben«, fuhr Jone nun fort, »wir haben ein ›Rotes Licht‹.« Und noch bevor sein Chef eine Frage stellen konnte, lieferte der Finne weitere Informationen. »Es geht um Siegfried Röhmer!«

Der letzte Satz klang, als wäre damit alles gesagt, aber Marchand tappte völlig im Dunkeln.

»Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, wer das ist. DDR? Stasi?«

Jone schüttelte den Kopf und setzte sich seinem Vorgesetzten gegenüber. Aufgeregt sprach er weiter: »Es geht um Kapitänleutnant Siegfried Röhmer.«

Der Leiter des BAS verspürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut. Jetzt sagte ihm der Name etwas. Das bedeutete, es musste sich um jemand Brisantes handeln. Bei der Datenmenge, die sie mittlerweile verwalteten, blieben einem nur die »großen Fische« in Erinnerung.

»Marine?«, hakte er nun nach.

»Ja, und zwar Hitlers Marine. Was sagt dir U-9881?«

Marchand schnappte nach Luft. Mit einem Schlag wusste er, von wem sein Mitarbeiter sprach und warum Röhmer als »Rotes Licht« in ihrer Kartei schlummerte.

»Der Siegfried Röhmer? Der, der mit seinem U-Boot 1945 zu den Russen übergelaufen ist?«

»Genau der«, antwortete Jone mit einem triumphierenden Lächeln.

»Ich weiß nicht, wie viele Geschichten sich um die geheimnisvolle Ladung dieses U-Boots ranken! Es heißt, Röhmer wäre auf dem Weg zu den Japanern gewesen und hätte sich dann kurz vor Kriegsende dazu entschlossen, zu den Russen überzulaufen. Es halten sich hartnäckig Gerüchte, die besagen, dass der Krieg anders ausgegangen wäre, wenn U-9881 Japan jemals erreicht hätte.«

»Ja, ich weiß. In diesem Punkt gleichen sich die Geschichten. Die Fracht des U-Boots wäre angeblich kriegsentscheidend gewesen. Allerdings hat nie jemand feststellen können, was genau die damals an Bord hatten. Laut den noch existierenden Ladelisten gab es eine große Anzahl durchnummerierter Kisten mit unbekanntem Inhalt …«

Leon Marchand war nun neugierig. Ungeduldig fragte er deshalb: »Wie genau ist dieser Kapitänleutnant denn nun auf unserem ›Radar‹ aufgetaucht?«

Jone zog die Brille vom Kopf und setzte sie sich wieder auf die Nase. Dann sagte er ernst: »Online-Auktion.«

»Bitte?«

»Tja, wer hätte das gedacht. Sein Soldbuch, sprich sein Pass, ist bei einer Online-Auktion angeboten worden und er sieht echt aus. Hier …«

Marchand nahm den Ausdruck, den ihm Jone von der Website gemacht hatte. Dann bemerkte er die fremden Schriftzeichen unter der Abbildung des Passes.

»Was ist das? Chinesisch?«

»Koreanisch«, antwortete Jone angespannt.

Marchand hob überrascht eine Augenbraue. »Wie kommt der Pass nach Korea?«

»Keine Ahnung, eventuell hat das gar nichts zu bedeuten.«

»Was wissen wir sonst noch über diesen Röhmer und sein U-Boot?«

»Die Alliierten glaubten damals, die Ladung hätte etwas mit Hitlers Atomprogramm zu tun. Es gab sogar Spekulationen, die davon ausgingen, dass Stalin mit den Kisten von U-9881 sein eigenes Atomprogramm vorangetrieben hätte. Allerdings haben die Russen nie bestätigt, dass das U-Boot samt Ladung in ihren Besitz gekommen ist.«

»Warum sollten sie auch?«, antwortete Marchand nachdenklich. »Zudem wäre diese Forschung mittlerweile längst überholt.«

»Du denkst, diese Angelegenheit spielt für das BAS heute keine Rolle mehr?«

»Siegfried Röhmer spielt für uns heute vielleicht keine Rolle mehr, aber eine Ladung kriegsentscheidendes Material? Ganz privat hoffe ich auf den guten, alten ›dummen‹ Zufall. Soll heißen, es hat nichts zu bedeuten, dass dieser Pass als ›Schnäppchen‹ im Internet angeboten wird. Ganz privat vertraue ich auch darauf, dass das U-Boot längst von den Russen verschrottet wurde und die Ladung keine Gefahr mehr darstellt. Aber als Leiter dieser Abteilung kann ich mir Hoffen und Vertrauen nicht erlauben. Deswegen möchte ich doch noch ein bisschen mehr erfahren. Also, was haben wir noch?«

Dieses Mal grinste Jone zufrieden. »Ich habe unsere Computerleute darauf angesetzt. Wir haben die Adresse des Verkäufers in Südkorea.«

 

Philippinen, am gleichen Tag in einem Hotelresort auf der Insel Cebu

 

Gerrit genoss seinen Aufenthalt auf den Philippinen. Das Hotel war erstklassig, das Essen lecker und die Temperaturen fantastisch. Er hatte Bedenken wegen möglicher Unwetter gehabt – aber offensichtlich blieb sein Ferienort verschont. Die Taifun-Hochsaison hatte, genau so, wie es ihm von der netten Reisebüromitarbeiterin in Brüssel versprochen worden war, noch nicht begonnen.

Sein Kollege Jone hatte ihn mit der Frage »Haben dir unsere Ausflüge nicht gereicht?« aufgezogen und damit natürlich auf ihren letzten Fall angespielt.

Gerrit musste zugeben, dass ihm der Nervenkitzel bereits fehlte. Er fühlte sich nicht dafür geschaffen, rund um die Uhr am Schreibtisch zu sitzen. Das war ihm hier in seinem Urlaub nur noch bewusster geworden. Er würde mit Marchand sprechen müssen. Seit ihrem Abenteuer letztes Jahr hatte sich für ihn alles verändert.

Gerrit war neunundzwanzig Jahre alt und Brite. Den Job beim BAS verdankte er seinen Computerkenntnissen. Ihm machte seine Arbeit Spaß, keine Frage, aber ihm fehlte das gewisse Etwas dabei. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm, während er nach seinem Mai-Thai griff und beherzt an dem Strohhalm sog. Offensichtlich war das zwei jungen braun gebrannten Amerikanerinnen nicht entgangen, die nun kichernd in seine Richtung blickten.

Gerrit war selbst an der Strandbar akkurat frisiert und glatt rasiert. Zu seinem Bedauern hatte er die für viele Engländer typischen rotblonden Haare und sehr helle Haut. Damit war er dazu verdonnert, sich vor allem auf die Schattenplätze der feudalen Hotelanlage zu beschränken. Die jungen Frauen kicherten immer noch. Gerrit grinste jungenhaft zurück und machte gerade Anstalten, sich den Damen zuzuwenden, als der Anruf kam.

 

»U-9881?«, Gerrit vergaß sofort den Mai-Thai und die beiden Strandschönheiten und bahnte sich eilig den Weg durch die zahlreichen Feriengäste.

»Ich bin allein, wir können reden«, sagte er etwas theatralisch, als er in seinem Hotelbungalow ankam.

Leon Marchand, am anderen Ende der Leitung, musste schmunzeln, enthielt sich allerdings eines Kommentars. Er hatte längst bemerkt, dass sein Mitarbeiter nach der »Aljona-Sache« anfing, sich im normalen Büroalltag zu langweilen. Er hätte Gerrit gerne im Team behalten, befürchtete aber, dass dieser sich in nächster Zeit einen aufregenderen Job suchen würde. Nun, vielleicht konnte ihn dieser Spezialauftrag davon überzeugen, dass das BAS doch das Richtige für ihn war.

»Hör zu, was hältst du von ein paar Tagen Sonderurlaub in Südkorea?«

Gerrit war sofort Feuer und Flamme. »Klar, Boss, ich bin schon am Packen!«

Marchand erklärte seinem Mitarbeiter, was sie herausgefunden hatten, und gab ihm die Adresse in Sokcho. Eine Stadt an der Ostküste Südkoreas, direkt am Japanischen Meer und nicht weit entfernt von der Grenze zu Nordkorea.

Der Verkäufer von Röhmers Pass hatte einen Nickname benutzt, aber für die Computerspezialisten war es ein Leichtes gewesen, seine reale Adresse herauszufinden. Ein gewisser Lim Mok hatte die Wohnung angemietet – traditionell stand im Koreanischen der Nachname vor dem Vornamen.

»Ich will wissen, woher der Pass stammt und ob er echt ist!«

»Geht klar«, antwortete Gerrit eifrig, der sich sein Handy hinter das Ohr geklemmt hatte und bereits während des Gesprächs seine Kleider achtlos in den Koffer warf.

»Versuche, ihm den Pass abzukaufen. Dein Budget sollte dafür ausreichen.«

»Privatjet?«, fragte der junge Mann nun hoffnungsvoll.

»Nicht übertreiben. Linienflug, erster Klasse, mein Freund, das sollte reichen. Du bist knappe fünf Stunden in der Luft. Am Flughafen in Seoul steht ein Mietwagen bereit. Ich will alle sechs Stunden Meldung.«

»Geht klar!« Gerrit war die Aufregung anzuhören.

Marchand hatte das Gefühl, noch eine Warnung aussprechen zu müssen, darum sagte er: »Wenn dir irgendetwas komisch vorkommt, dann verschwinde in dein Hotel. Wir gehen momentan davon aus, dass nichts hinter diesem plötzlichen Auftauchen des Passes steckt – trotzdem möchte ich, dass du vorsichtig bist. Außerdem solltest du die Zeit während des Flugs nutzen und die Unterlagen lesen, die dir Jone per E-Mail geschickt hat.«

Das dritte »Geht klar!« unterdrückte der junge Mann gerade noch, stattdessen verabschiedete er sich mit einem nüchternen »Ich melde mich, sobald ich in Seoul gelandet bin«.

 

Südkorea, 16. Mai

 

Am frühen Morgen saß Gerrit im Flieger Richtung Seoul. Er hatte mittlerweile alles gelesen, was er von Jone erhalten hatte. Dem Finnen war es sogar gelungen, Kopien der alten Fracht- und Besatzungslisten von U-9881 aufzutreiben.

Obwohl der junge Brite die Anfangszeiten des BAS nicht miterlebt hatte, da war er schließlich noch ein Säugling gewesen, wusste er natürlich um die ursprüngliche Bedeutung dieser Behörde. Eigentlich war es darum gegangen, keine bösen Überraschungen mit den neuen Freunden im Osten zu erleben. Daher sollten auch alle ehemaligen Gegenspieler im Auge behalten werden. Die älteren Kollegen, wie Jone zum Beispiel, hatten ihm erzählt, welche Geheimnisse damals zutage gefördert worden waren. Der Verbleib des Kapitänleutnants Siegfried Röhmer, seiner Mannschaft und U-9881 gehörte allerdings nicht dazu.

Mit einer wohligen Gänsehaut lehnte sich Gerrit in seinem breiten Erste-Klasse-Sitz zurück und dachte über Jones E-Mail nach. Dieses U-Boot hatte also eine geheime Ladung transportiert. Man munkelte, dass die Nazis zusammen mit der Fracht auch einen ihrer besten Physiker nach Japan geschickt hätten. Allerdings tauchte in den Papieren des Bootes nirgendwo ein entsprechender Name auf.

Was, wenn Röhmer damals doch nicht zu den Russen übergelaufen war? Wo war dann das U-Boot geblieben? Lag es vielleicht auf dem Meeresgrund, oder hatten es sich doch die Amerikaner gekrallt? War die Behauptung, der Kapitänleutnant hätte Stalin seine Aufwartung gemacht, nur ein geschicktes Täuschungsmanöver? Wie dem auch sei, jedenfalls war der junge Brite froh, dass ihn Marchand mit den Nachforschungen betraut hatte.

 

Nach der Landung in Seoul setzte er sich sofort in den Mietwagen und machte sich auf den Weg nach Sokcho. Allerdings stellte sich das als schwieriger heraus, als er angenommen hatte. Seoul war nicht nur irgendeine Großstadt, hier war das Herz von Südkorea und entsprechend pulsierte die Metropole.

Als er bemerkte, dass er sich verfahren hatte, und das Navi einschaltete, war die Sprachwiedergabe auf Koreanisch. Aber auch die emotionslose englische Version lotste ihn noch gefühlte dreitausend Kilometer kreuz und quer durch die City, bis er endlich die richtige Stadtautobahn erreichte. Gerrit stöhnte, sein Missgeschick war ihm peinlich. Glücklicherweise verlief die restliche Fahrt ohne weitere Zwischenfälle und er fand problemlos die Adresse in Sokcho.

Die Wohngegend war alles andere als ansprechend. Ein bisschen erinnerte sie ihn an die Außenbezirke von Birmingham oder Manchester.

Um nicht zu sehr aufzufallen, ließ er den Wagen nicht direkt vor dem mehrstöckigen Haus stehen, sondern parkte ein Stück entfernt neben einem kleinen Lebensmittelgeschäft.

Zu Fuß machte er sich auf den Weg. Die Einwohner des Viertels hielten ihn vermutlich für einen Touristen, der sich verlaufen hatte.

Das Haus, in dem Lim Mok lebte, wirkte etwas heruntergekommen. Die Eingangstür hing schief in den Angeln und ließ sich nicht richtig schließen. Auch die Fassade hätte einen neuen Anstrich vertragen können. Am Eingang gab es keine Namensschilder, allerdings hätte Gerrit mit den koreanischen Schriftzeichen sowieso wenig anfangen können. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als sich zu Moks Wohnung durchzufragen.

Eine Frau mittleren Alters fegte gerade den Gehweg. Obwohl sie während ihrer Arbeit ein mürrisches Gesicht machte, reagierte sie äußerst freundlich auf den Briten.

Sie bemühte sich, sein Anliegen zu verstehen, und konnte ihm in gebrochenem Englisch die Auskunft geben, dass Mok im dritten Stock wohnen würde: linke Seite, zweite Tür.

Zuvorkommend informierte sie Gerrit noch darüber, dass vor ungefähr einer halben Stunde schon einmal nach Herrn Lim gefragt worden sei. Die beiden Männer habe sie ebenfalls nach oben geschickt, allerdings seien das keine Ausländer gewesen.

Gerrit wurde hellhörig. Offensichtlich war dieser Lim Mok heute bei Fremden sehr begehrt. Freunde konnten die Männer kaum gewesen sein, sonst hätten sie nicht nach dem Weg zu seinem Appartement fragen müssen.

Er bedankte sich freundlich, bemerkte aber, wie sich seine Muskeln anspannten. Die Baseballkappe, die er auf dem Kopf trug, zog er tiefer ins Gesicht. Für alle Fälle kramte er sein Handy aus der Tasche und startete die Videoaufzeichnung. Unauffällig umschloss er das kleine Smartphone mit der Handfläche und hielt es vor sich.

Das Treppenhaus war menschenleer und der Geruch von würzigem Essen zog durch die Gänge, während der BAS-Mitarbeiter den dritten Stock erklomm. Vor Moks Wohnung blieb er stehen und lauschte. Im Inneren hörte er ein eigenartiges Rumoren – es klang, als würde jemand Möbel verschieben. Dann vernahm er gedämpfte Stimmen. Die koreanische Sprache war für ihn fremd, alles klang unrhythmisch und hart. Irgendetwas polterte im Inneren der Wohnung auf den Boden. Gerrit zuckte zusammen und dachte an Marchands Anweisungen. Jedoch wäre es ihm in diesem Moment unmöglich gewesen, einfach zu gehen. Seine Neugier war zu groß. Hinter der Tür hörte er plötzlich eilige Schritte, die auf ihn zukamen.

Mit angehaltenem Atem sprang er zur Seite und schnellte um die nächste Ecke. Vorsichtig spähte er aus seinem Versteck und schob das Handy ein wenig nach vorne. Zwei Männer verließen die Wohnung von Lim Mok. Sie sprachen nicht miteinander, sondern huschten wie Schatten vorbei und verschwanden.

Instinktiv hatte es der Brite vorgezogen, den beiden nicht entgegenzutreten. Jetzt hoffte er, dass das kein Fehler gewesen war, schließlich hätte ja einer von ihnen der gesuchte Mok sein können.

Er wartete ein paar Minuten und schlich dann zur Wohnung. Erneut versuchte er, etwas zu hören, und bemerkte dabei, dass die Tür nur angelehnt war.

Mit klopfendem Herzen schob er sie leise auf und schlüpfte schnell hindurch. Im Inneren war es dunkler als im Treppenhaus.

Gerrit trat in ein kleines Wohnzimmer und wollte sich schon mit einem freundlichen »Hallo« bemerkbar machen, als er begriff, was hier geschehen war.

Mit Entsetzen starrte der BAS-Mitarbeiter auf den Toten am Boden. Wie es aussah, hatte er Lim Mok gefunden.

 

In diesem misshandelten Zustand war das Alter eines Menschen nur schwer zu erkennen. Gerrit konnte es kaum glauben, dass Lim erst fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein sollte.

Im Gesicht des toten Koreaners hing noch ein Fetzen breites Klebeband. Offensichtlich war es als Knebel benutzt worden, damit die Nachbarn die Schreie nicht hören konnten. Er war noch nicht lange tot. Sein Gesicht glänzte feucht von den Tränen, die er vor Angst und Schmerz vergossen hatte. Der Geruch von menschlichen Ausscheidungen hing in der Luft. Es fiel Gerrit schwer, nicht in Panik zu geraten, als ihm bewusst wurde, was man dem Mann angetan hatte.

Noch nie zuvor hatte er ein Folteropfer gesehen. Auch wenn man die Berichte darüber kannte, so war es doch etwas vollkommen anderes, im gleichen Raum mit einem so grausam geschundenen Körper zu sein.

Lim Moks Peiniger hatten ihm mit Stöcken die Fußsohlen blutig geschlagen. Vor Gerrits innerem Auge spielte sich eine schreckliche Szene ab: Er stellte sich vor, wie man Mok immer und immer wieder schlug, bis die Haut aufplatzte und die harten Stöcke die freiliegenden Knochen malträtieren konnten. Zwischendurch riss man ihm das Klebeband vom Mund, um Antworten zu erzwingen, die er nicht geben konnte, nur um dann mit dieser sadistischen Prozedur fortzufahren. Gerrit glaubte sogar, die vom Knebel gedämpften Schmerzensschreie hören zu können, sowie Moks leises Wimmern und Flehen.

War es so gewesen? Hatte man von dem Koreaner Informationen gefordert? Ging es etwa um den Pass des einstigen Kapitänleutnants Siegfried Röhmer? Oder war hier ein Bestrafungsritual durchgeführt worden – vielleicht ein Kredithai, der Schulden eintrieb? Gerrit verwarf seinen letzten Gedanken. Geldeintreiber brauchten lebendige Kunden. Tote konnten Schulden nicht zurückzahlen. Außerdem hatten die Mörder in der Wohnung etwas gesucht. Die polternden Geräusche von vorhin erklärten sich, wenn man einen Blick auf die ausgeleerten Schubladen und durchwühlten Schränke warf. In der Wohnung herrschte wildes Chaos.

Gerrit fasste einen Entschluss. Er würde selbst noch einmal nachsehen. Vielleicht stieß er auf etwas Brauchbares. Allerdings war das nicht der Fall. Vermutlich hatten die Mörder bei ihrer Suche mehr Erfolg gehabt.

 

Als der Brite zwanzig Minuten später so unauffällig wie möglich die Wohnung von Lim Mok verließ und die Stufen zum Ausgang hinabstieg, hatte er weiche Knie. Zum Glück war die nette Nachbarin von vorhin nicht mehr auf der Straße. Wenn sich erst einmal die Polizei der Sache annehmen würde, dann wäre er sicherlich schnell der Verdächtige Nummer eins. Vielleicht war es aber auch verkehrt gewesen, die südkoreanischen Behörden nicht sofort zu verständigen. Jetzt spielte das jedoch keine Rolle mehr.

Er würde entgegen dem ursprünglichen Plan sofort nach Seoul zurückfahren und von dort aus Marchand anrufen. Länger hier in Sokcho zu bleiben, schien ihm nicht besonders klug.

Nur unter größter Anstrengung gelang es Gerrit überhaupt, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken, so sehr zitterten seine Finger. Auf der Rückfahrt war er dankbar, dass das Navi von Zeit zu Zeit etwas sagte – das half ihm, sich nicht so alleine zu fühlen. Der Schock saß tief und plötzlich wünschte sich der junge Mann zurück an seinen Schreibtisch, der momentan einsam in dem hellen Büro in Brüssel stand.

 

* * *

 

Während sich Gerrit das Zahnputzglas mit Gin Tonic im Verhältnis 2:1 füllte und es sich wie eine kalte Kompresse an die Stirn hielt, ertrug er stumm die Schimpftirade von Leon Marchand, die gerade per Handy über ihn hereinbrach.

Sein Chef war sauer. »Was habe ich dir gesagt? Kein Risiko! Ab ins Hotel, wenn etwas merkwürdig ist! Waren das nicht meine Worte?«

Gerrit murmelte eine Entschuldigung und wartete, bis sein Vorgesetzter Dampf abgelassen hatte.

»Herrgott, du bist nicht ausgebildet für so etwas!« Leon Marchand fühlte sich verantwortlich. »Du nimmst die nächste Maschine zurück, pack alles zusammen und bewege dich schnellstens zum Flughafen.«

Statt darauf zu reagieren, stellte Gerrit eine Frage: »Konntet ihr mit dem Video etwas anfangen? Kann man die Gesichter der Typen erkennen?«

Marchand schnaufte gut vernehmlich in den Hörer. Kurz schwieg er, dann wurde er sachlich. »Ja, die Aufnahme ist brauchbar. Wir versuchen unser Glück. Außerdem hat die Polizei in Sokcho mittlerweile die Leiche von Lim Mok gefunden. Wir haben jemanden in der britischen Botschaft in Seoul, der uns auf dem Laufenden halten wird. Bis jetzt suchen sie dich jedenfalls noch nicht.«

Es folgte eine kurze Pause, dann sprach Marchand erneut: »Das mit dem Video war gute Arbeit.«

Gerrit entspannte sich ein wenig und ergriff seine Chance: »Ich sollte die Schwester aufsuchen. Vielleicht weiß sie etwas.«

Im Appartement des Toten hatte er Fotos und die Adresse von einer gewissen Lim Sang in Seoul gefunden. Wie sich herausstellte, die Schwester des Opfers. Röhmers Pass blieb allerdings weiter verschwunden.

Marchand wusste, dass Gerrit recht hatte. Wenn sie an der Sache dranbleiben wollten, dann musste sie ihr nächster Weg zu der Schwester führen.

---ENDE DER LESEPROBE---